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Technik und Wirtschaft : Monatsschrift des Vereines Deutscher Ingenieure, Jg. 28, H. 7

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Academic year: 2022

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Technik und Wirtschaft

H e ra u s g e b e r: Dr.-Ing. O tto B re d t und Dr. G e o rg F re ita g / V DI-V erlag GmbH, B e rlin N W 7 28. J a h rg a n g

Der Einfluß der Technik auf die berufliche

und soziale Gliederung des deutschen Volkes

Von Professor Dr. ERNST GÜNTHER, Gießen Dem vorliegenden A u fsa tz liegen A usführungen des Verfassers a u f dem ersten Tage der deutschen Technik zugrunde, und zwar aus der Fachgruppe

„Organische W irtschaftsgestaltung durch technisches D enken“. Professor Günther kom m t zu dem E r ­ gebnis, daß die Technisierung früher im Dienst der W irtschaft, der P rivatw irtschaft, Schicksal und Ver­

hängnis war, wider W illen und W unsch der Men­

schen eine rein technisch-wirtschaftliche Ordnung herauf führte. A ber der F ortschritt der Technik gibt den Menschen ihr Selbstbestimmungsrecht, ihre Freiheit wieder; die innere Freiheit gegenüber der Technik, die durch wissenschaftliche Durchdringung und geschlechterlange Gewöhnung ihres ursprünglich mystisch-dämonischen Charakters entkleidet worden ist; und die äußere Freiheit durch die Technik, weil diese den Lebensraum so erweitert hat, daß der Mensch nicht mehr bedingungslos jeden technischen Fortschritt und seine unerwünschten Folgen an­

nehmen m uß, sondern auch einmal darauf verzichten kann, wenn andere, wichtige Lebensbelange dadurch gefährdet werden. Die Technik bedingt nicht mehr zwangläufig eine ganz bestimmte Sozialordnung, son­

dern sie gibt je tz t die Möglichkeit, diese Ordnung nach höheren Gesichtspunkten fre i zu gestalten. Die Technik ist nicht H errschaft, sondern Dienst, aber nicht mehr Dienst fü r Sonderinteressen, sondern fü r das ganze Volk.

Das W ort „Technik“ ist sehr vieldeutig; w ir sprechen von der Atemtechnik der Sängerin ebenso, wie von der Seiltechnik des Bergsteigers; von der Technik der geistigen A rbeit oder der Technik der Menschen­

fahrung, der Regierungstechnik und unzähligen ändern Techniken. Dieser allgemeine Begriff der Technik als der K unst des aufgabegerechten V erfahrens ist hier aber nicht gemeint, sondern n u r d i e T e c h n i k i m e n g e r e n S i n n e als die K unst der bewußten Meisterung der M aterie, der planvollen D ienstbarm achung der N atur f ü r menschliche Zwecke; die Technik, wie sie uns täglich sinnfällig vor Augen tr itt in Maschinen, A p p a­

raten und Bauten, in all den „W underw erken der modernen Technik“ . Diese Technik soll durch den V olkswirtsehaft- ler, den Sozialpolitiker einmal in das Ganze der Sozial­

w irtschaft hineingestellt, au f ihre Auswirkungen inner­

halb dieser untersucht werden.

Freilich der technische W irkungsgrad einer K onstruktion ist viel leichter und eindeutiger zu erm itteln als deren soziale Auswirkung. U nd wenn vielleicht auch bei einem bestimmten technischen V erfahren, etwa beim Übergang von der alten Glasbläserei zur maschinell-automatischen G lasfabrikation, die w irtschaftlichen und sozialen A uswir­

kungen wenigstens au f die Nächstbeteiligten noch leidlich sicher festgestellt werden können, so schwindet diese Sicher­

heit doch sofort, wenn es gilt, die Technik überhaupt fü r bestimmte Vorgänge und Erscheinungsform en innerhalb des sozialen Gesamtlebens verantw ortlich zu machen.

W enigstens f ü r den vorsichtigen Beobachter, der nicht ein­

fach aus dem zeitlichen Zusammentreffen zweier Entwiek- lungsreihen au f ihre gegenseitige Bedingtheit, au f die zwangläufige V erursachung der einen durch die andere schließen will.

D ie „verhängnisvolle“ Rolle der Technik Nicht immer freilich w ar man so vorsichtig. W ir brauchen uns n u r an den bekannten A ussprueh zu erinnern: „Die Handm ühle ergibt eine Gesellschaft m it Feudalherren, die D am pfm ühle ergibt eine Gesellschaft m it industriellen K ap italisten “ . Der technische F o rtsch ritt wäre danach die alles entscheidende T riebkraft f ü r die Entw icklung der Ge­

sellschaft, die Technik, der S tand der Technik, bestimmend f ü r die Form en des gesellschaftlichen Zusammenarbeitens und dam it der Gesellschafts- und W irtschaftsordnung über­

h a u p t; die berufliche und soziale Gliederung eines Volkes wäre einfach ein Ausfluß, eine F unktion seiner technischen Entw icklung; m it dieser notwendigerweise und in allen Einzelheiten auch jene gegeben. Nicht aus seiner eigenen, innersten Sehnsucht und V eranlagung heraus könnte sich danach ein Volk die ihm zusagenden Einrichtungen und Lebensformen, die ihm passende Sozial- und W irtschafts­

ordnung schaffen, sondern es m üßte einfach die O rdnung hinnehmen, von der es überlagert wird, die ihm aufgezwun­

gen wird, und zwar durch den S tand der Technik aufge­

zwungen wird.

A uf den ersten Blick könnte diese Anschauung ja gerade fü r den Techniker etwas Bestechendes haben. Die Teehno- kratie, über die w ir vor ein p a a r Ja h re n aus Amerika solche Sirenengesänge vernahmen, wäre danach die n a tu r­

gegebene, notwendige W eltordnung, d er Techniker der eigentliche H e rr der menschlichen Geschicke.

I n W ahrheit hätte er allerdings recht wenig zu sagen; denn die schicksalhafte E n tfaltu n g der Technik w äre nicht seine freie, alle Folgen klar ins Auge fassende sittliche Tat, sondern dum pfes M uß im Dienste frem der Gewalten.

Zweier frem der Gewalten.

Denn entweder ist die Entw icklung der Technik bloßes Naturgesetz, das m it naturgesetzlieher Notwendigkeit ab­

läuft, weil aus der einen Maschine ganz zwangläufig und unaufhaltsam , ob w ir es nun wollen oder nicht, die andere leistungsfähigere Maschine, aus dem einen V erfahren das andere, technisch verbesserte V erfahren hervorgeht, hervor­

gehen m uß; oder wenn der Mensch wirklich das Abrollen dieser Entw icklung etwas leiten und bestimmen kann, dann ist es nicht der Techniker, bei dem diese Leitung liegt, der Ziele und Grenzen setzt, sondern der W irtschaftler. E igent­

lich auch nicht der W irtschaftler als Persönlichkeit, sondern

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die unpersönliche W irtsch a ft selbst, die u n te r dem Zwang des Gesetzes der W irtschaftlichkeit, der R e ntabilität steht und dieses Gesetz einfach erfüllen m uß.

Diese pessim istisch-fatalistische A nschauung von der Rolle der Technik h at eines der K ernstücke im Lehrgebäude des M arxism us gebildet. A ber der M arxism us sprach dam it n u r aus, was unausgesprochen und ohne den M ut zu solcher pessimistischen F olgerichtigkeit ü b erhaupt die A nschauung der Zeit w ar, was jedenfalls das praktische H andeln und dam it auch das Gesicht dieser Zeit bestimmte.

Alle sozialpolitischen M aßnahm en, die eigentlich von A n­

fan g an das M aschinenzeitalter begleiteten •— bereits 1802 wurde in E ngland der M orals and H ealth Act zum Schutze der K inder in den neuen T extilfabriken erlassen — können doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Zeit völlig d a ra u f verzichtet hatte, irgend ein eigenes Ideal der Sozial- und W irtschaftsordnung aufzustellen und zu verwirklichen, sondern daß sie sich dam it abgefunden hatte, daß diese m ehr oder weniger erfreuliche O rdnung naturw üchsig aus der Entw icklung der W irtsch a ft und Technik hervorgehe, durch diese in ihren Grundzügen festgelegt werde, höch­

stens in nebensächlichen Einzelheiten nachträglich durch die Sozialpolitik hier und da etwa gem ildert, geändert werden könne.

Diese Gleichgültigkeit gegenüber den von d e r Technik aus­

gehenden E inw irkungen au f die Sozial- und W irtsch afts­

ordnung h at n un f ü r unsere B etrachtungen den V or­

zug, daß w ir die in dieser Zeit eingetretenen Ä nderun­

gen in der beruflichen und sozialen Gliederung des deut­

schen Volkes zunächst einmal als u n ter dem E influß der Technik erfolgt ansehen können, wobei w ir die weitere F rage, ob die Technik dabei selbständige T rieb k raft oder n u r Treibm ittel war, vorläufig zurüekstellen wollen.

Ü bergang vom A grar- zum In d u striestaat Ich m uß mich natürlich au f die H ervorhebung der w ichtig­

sten V orgänge und Tatsachen beschränken. Zunächst ein­

mal fü h rte die Entw icklung der modernen Technik auch in Deutschland zu einer U m lagerung des beruflichen Schwergewichts, zum Ü bergang vom A g ra rstaa t zum Industriestaat. Um 1800, ehe die neue Technik bei uns einzog, w ar D eutschland zweifellos noch ein ganz über­

wiegendes A g ra rlan d ; die landw irtschaftliche Bevölkerung machte damals w ahrscheinlich mindestens Zweidrittel, viel­

leicht sogar D reiviertel der erw erbstätigen und der Gesamt­

bevölkerung aus. Nach Schmoller gab es um diese Zeit in P re u ß en erst 160 000 sogenannte F ab rikarbeiter, denen aber die vierfache bis fünffache Zahl landw irtschaftlicher A rbeiter gegenüberstand. U nd diese F ab rik arb eiter w aren wahrscheinlich noch längst nicht alle echte F abrikarbeiter im modernen Sinn, d. h. A rbeiter im maschinellen G roß­

betrieb, sondern oft nichts anderes als verlegte K lein­

meister, die als solche in der Solinger F ab rik , d. h. in der Solinger Messermacherei, oder in der Schlesisehen F abrik, d. h. in d er schlesischen Leinenweberei tä tig waren. Diese H eim arbeiter und vor allem auch die selbständigen H a n d ­ w erker in den kleinen A ekerstädten standen vielfach durch eigenen kleinen landw irtschaftlichen B etrieb der L andw irt­

schaft noch sehr nahe.

1882, bei der ersten großen Berufs- und Gewerbezählung im neuen Reich, h at die L andw irtschaft immer noch die F ü h ru n g in D eutschland; 42,2 % der erw erbstätigen Be­

völkerung kommen a u f sie, und von der Gesamtbevölke­

rung, also einschließlich der von den E rw erbstätigen er­

n äh rten Angehörigen und ihres häuslichen Gesindes, 40 % .

A ber 1925 waren es von den E rw erbstätigen n u r noch 30,5 % und von der Gesamtbevölkerung sogar n u r noch 23 % . N icht mehr ganz jed er d ritte Deutsche findet also heute in der L andw irtschaft seine Beschäftigung, und noch nicht einmal jeder vierte Deutsche findet durch sie seinen Lebensunterhalt. Diese letzte Zahl ist wohl die richtigere, denn d ara u f kommt es an, wieviel Menschen tatsächlich vom landw irtschaftlichen B eruf in D eutschland leben, und nicht, wieviele landw irtschaftlich erw erbstätig sind, oder von der am tlichen S tatistik hier als hauptberuflich erwerbs­

tä tig betrachtet werden.

Stellen w ir der L andw irtschaft je tz t die von der E nt­

faltu n g der Technik ja am tiefsten berührte Industrie und das H andw erk gegenüber, so entfielen a u f diese W irt­

schaftsabteilung im J a h re 1882: 33,8 % aller Erwerbs­

tätigen und 35 % der Gesamtbevölkerung, in beiden Fällen also ein gutes D rittel. Bis 1925 stieg der A nteil in beiden G ruppen au f 41,4 bzw. 41,3 % . H eu te leben also in Deutschland fa st doppelt soviel Menschen vom Gewerbe als von der L andw irtschaft — 41,3 % gegen 23 % — während um gekehrt vor dem E inbruch der neuen Technik doppelt, ja wahrscheinlich dreim al soviel Menschen von der Land­

w irtschaft gelebt hatten.

Die V erlagerung des beruflichen Schwergewichts von der L andw irtschaft zum Gewerbe h at n un zu r Voraussetzung, zu r Folge eine entsprechende V erlagerung des Bevölke­

rungsschwergewichtes vom Lande zur S tadt. W ohl gab es in Deutschland um 1800 schon m indestens 1500, oder viel­

leicht sogar 2000 Städte, d. h. m it. S tad trech t begabte Ge­

meinden, aber die wenigsten dieser sogenannten Städte w aren nach ihrem geistigen, w irtschaftlichen und sozialen Gefüge wirkliche S tädte im m odernen Sinn. Die meisten w aren nicht viel m ehr als erw eiterte D ö rfer oder Acker­

städte, die nicht n u r m ihrem H andel und H andw erk aufs engste m it der um liegenden L andw irtschaft verbunden, von dieser abhängig w aren, sondern deren B ürger selbst noch in großem U m fang L andw irtschaft betrieben, unmittelbar davon lebten. V or zwei M enschenaltem (1875) wohnten noch 26 Mill. oder 60,9 % aller Deutschen in Landgemein­

den bis zu 2000 Einw ohnern und n u r 2,7 Mill. oder 6,3 % in G roßstädten m it über 100 000 E in w o h n ern ; heute woh­

nen n u r noch 22,2 Mill. oder 35,6 % in den Landgemein­

den, aber 16,7 Mill. oder 26,8 % in den Großstädten.

N atürlich w ar eine gewisse V erschiebung von den Land­

gemeinden zu den K lein- und M ittelstädten und von diesen zu den G roßstädten unvermeidlich, denn wenn die Bevölke­

ru n g im ganzen au f das D reifache steigt, wie es in Deutsch­

land von 1800 bis heute der F a ll w ar, dann müssen n atü r­

lich auch viele frü h eren D ö rfer die 2000-Einwohner-Grenze überschreiten, nebeneinanderliegende kleinere Gemeinden zu M ittelstädten und G roßstädten zusammenwachsen. Aber über diese natürliche, m it dem W achstum der Bevölkerung notwendigerweise verbundene V erstädterung hinaus hat doch die Industrialisierung, die Technisierung eine unmit­

telbare A bw anderung vom L ande zu r S tad t zur Folge.

Berlin gewann von der M itte des 19. Ja h rh u n d e rts bis zum K riegsausbruch rd. 1 Mill. Menschen durch Zuwanderung

— meist natürlich vom Lande oder aus L andstädten, Ham ­ burg 400 000, das rheinisch-westfälische Industriegebiet über 600 000 und das industrielle K önigreich Sachsen etwa 350 000. Besonders deutlich w ird diese W anderbewegung aber, wenn w ir die großstädtische A rbeiterschaft betrach­

ten. Von 2,9 Mill. A rbeitern, die 1907 in 42 deutschen G roßstädten gezählt w urden, stam m ten n u r 940 000 oder ein knappes D ritte l aus der Z ählstadt selbst, 845 000 aus

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ändern Städten, meist natürlich kleineren Städtchen, aber über eine Million oder fast 35 % vom flachen Lande.

Übergang zum G roßbetrieb

Die M obilisierung der Menschen, wie sie in diesen Zahlen zum Ausdruck kommt, ist wohl eine der wichtigsten, verhängnisvollsten Begleiterscheinungen der neuzeitlichen Technik. Millionen von ländlichen Tagelöhnern und K lein­

bauern, von kleinstädtischen A rbeitern und H andw erkern, deren V orfahren seit Jahrhunderten im gleichen Dorf, im gleichen Städtchen gesessen, den gleichen B eruf ausgeübt hatten, deren Leben bisher fest umhegt von Sitte, Sippe und Freundschaft in den alteingefahrenen Geleisen abge­

laufen war, wurden au f einmal aus ih rer gewohnten Um­

gebung und B eschäftigung gerissen und in die fremde Stadt, an neue, frem dartige Maschinen, unter fremde, unfreundliche Menschen hinausgestoßen und hier ganz allein auf sich selbst gestellt. Ganz neue Lebensgewohn­

heiten, ein ganz anderer Arbeits- und Lebensrhythmus, ja eine ganz neue Moral m ußte hier von ihnen ausgebildet und angenommen werden. Eine Aufgabe, der viele rasch erlagen, die meisten jedenfalls erst nach einer längeren Übergangs- und Leidenszeit einigerm aßen gewachsen w ur­

den. V erschärft wurde diese seelische K rise durch den Übergang zum Großbetrieb, zu dem die sieh selbst über­

lassene Maschine und Technik fast immer drängt. Gerade weil man den G roßbetrieb fürchtete und vermeiden wollte, hatte man ja in früheren Ja hrhunderten immer wieder die Anläufe zu einer neuen, verbesserten Technik bekäm pft und unterdrückt. Der K leinbetrieb des allein oder doch nur mit ganz wenigen H ilfsk räften arbeitenden H an d ­ werkers ist die typische W irtsehafts- und U nternehm ungs­

form in der vormasehinellen Zeit, und der Großbetrieb wird immer mehr die vorherrschende Unternehm ungsform im Maschinenzeitalter. Ich kann und d a rf wieder n u r ein paar Zahlen nennen: 1882 kamen von den im Gewerbe, Handel und V erkehr Beschäftigten noch 4,3 Mill. oder 59 % auf die K leinbetriebe m it bis zu fü n f beschäftigten Personen und 1,6 Mill. oder 22 % au f die Großbetriebe, wie man sie in einer bescheidenen Zeit schon nannte, mit über 50 beschäftigten Personen. Der K leinbetrieb hatte also noch ganz ausgesprochen die Führung, aber er verlor sie in der Folgezeit sehr rasch. 1925 w aren zwar 5,4 Mill.

Personen in Kleinbetrieben beschäftigt, aber diese 5,4 Mill.

machten jetzt nur noch 28,6 % aller überhaupt B eschäftig­

ten aus und standen 8,8 Mill. in Großbetrieben B eschäftig­

ten gegenüber oder 47,2 % . Nach der neuesten Zählung von 1933 wäre ja der Anteil der Kleinbetriebe wieder etwas gestiegen, der Anteil der G roßbetriebe etwas gesunken, denn an den einzelnen örtlichen Niederlassungen und nicht an den G esamtuntemehmungen, die ja eine ganze Reihe solcher Einzelbetriebe in sieh vereinigen können und heute sehr oft vereinigen, gemessen, w aren 1933 von rd. 9 Mill.

im Gewerbe, also ohne H andel und V erkehr, überhaupt be­

schäftigten Personen etwas über 3 Mill. oder 33,9 % in Kleinbetrieben u nter 5 Personen tä tig und kn ap p 4 Mill.

oder 4 4 ,4 % in G roßbetrieben; davon reichlich 2% Mill.

in wirklichen G roßbetrieben mit über 200 und reichlich 1 Mill. in Riesenbetrieben m it über 1000 Beschäftigten.

Der Rückgang des Anteils der Großbetriebe gegenüber der vorletzten Zählung ist wohl au f die W irtschaftskrise zu­

rückzuführen, die gerade die größten Betriebe am schwer­

sten traf. Im m erhin h at der G roßbetrieb heute ganz aus­

gesprochen die Führung. Das tr itt noch deutlicher hervor, wenn w ir zur Zahl der beschäftigten Personen auch die ihre A rbeit unterstützenden Maschinen hinzunehmen. Den ge­

werblichen K leinbetrieben standen 1933 n u r reichlich 2% Mill. P S zur V erfügung, den Betrieben m it über 50 beschäftigten Personen aber 18 Mill. P S oder m ehr als siebenmal so viel. Der stärkeren B etriebskraft entspricht natürlich auch die bessere, reichlichere A usstattung m it Arbeitsmaschinen und sonstigen technischen H ilfsm itteln.

Auf 2 0 S elbständige kom m en 8 0 Unselbständige Doch nicht die Tatsache, daß das Schwergewicht der Lei­

stung heute zweifellos bei den Großbetrieben liegt, geht uns hier an, sondern die sozialen Auswirkungen dieser Betriebs­

vergrößerung. H ier ist nun der entscheidende Vorgang die Verschiebung im Zahlen Verhältnis zwischen Selbständi­

gen und Unselbständigen, zwischen Unternehm ern und A rbeitnehmern. 1875 standen in Industrie, H andel und Verkehr den 2,9 Mill. Selbständigen erst 3,5 Mill. U n­

selbständige, A rbeiter und Angestellte, die damals noch nicht getrennt wurden, gegenüber, also 45,5 % zu 54,5 % . Bis 1925 w ar die Zahl der Selbständigen zwar noch um 14 % auf 3,3 Mill. gestiegen, aber ein Teil dieses Z u­

wachses w ar wohl mehr eine wirtschaftliche K rankheits­

erscheinung, entsprang einfach aus der bitteren Notwendig­

keit fü r viele Arbeitslose, sich irgendwie eine eigene küm­

merliche Scheinselbständigkeit aufzubauen. Die Zahl der Angestellten, die 1875 noch so niedrig gewesen war, daß man ihre besondere statistische E rfassung fü r überflüssig gehalten hatte, w ar bis 1925 au f 2,6 Mill. und die Zahl der A rbeiter au f 10,7 Mill. angestiegen. Wenn wir die m it­

helfenden Fam ilienangehörigen außer Betracht lassen, die 1875 nicht m itgezählt worden waren, und deren Zahlen immer stark von der engeren oder weiteren Fassung des Begriffs „m ithelfend“ abhängen werden, kamen also 1925 genau 20 % aller in den W irtschaftsabteilungen B und C Beschäftigten au f die Selbständigen, 15,6 % au f die neue G ruppe der Angestellten und 64,4 % au f die Arbeiter.

W ährend sich frü h er die Selbständigen und Unselbständi­

gen ungefähr die W aage gehalten hatten — die etwas schwächere Besetzung der G ruppe der Selbständigen er­

k lä rt sich daraus, daß sie durchschnittlich höheren A lters­

klassen angehören, und diese höheren Altersklassen ja normalerweise, in einem wachsenden Volk, stets schwächer besetzt sind als die jüngeren Jahrgänge — stehen heute 20 Selbständige 80 Unselbständigen gegenüber.

W ährend im m ittelalterlichen H andwerk, vor Aufkommen der neuzeitlichen Technik, die unselbständige A rbeit als Geselle im allgemeinen n u r eine Alters- oder Jugenderschei­

nung war, ein Durchgang au f dem Wege zur selbständigen M eisterschaft, die grundsätzlich jedem als Ziel winkte, wenn auch vielleicht nicht jeder das Ziel erreichte, ist heute fü r die große Mehrzahl der im Gewerbe Tätigen die ab­

hängige Lohnarbeit unentrinnbares Lebenssehicksal gewor­

den. Das ist selbstverständlich bei den A rbeitern und An­

gestellten im Groß- und Riesenbetrieb, von denen ja unter keinen Umständen, nach welchem System auch immer die W irtschaftsordnung gestaltet sein mag, jeder oder auch nur ein g rößerer Teil zu F ührerstellungen aufsteigen kann.

Aber auch der M ittelstandsfreund, dem vielleicht ein Be­

trieb von 5 bis 10 Personen als soziales W unschbild vor­

schwebt, m uß sich darüber klar sein, daß auch in diesem Falle die ganz überragende Mehrzahl dauernd in w irt­

schaftlicher A bhängigkeit bleiben müßte. W irtschaftliche Selbständigkeit fü r alle ist tatsächlich n u r im K leinstbetrieb möglich, wie eine einfache Rechnung zeigt. Nehmen wir als soziales und menschliches Ideal, daß der junge Mensch vom 14. bis 18. J a h r als Lehrling und vom 18. bis zum 25. J a h r als Geselle, als Gehilfe tä tig sein, dann aber w irt­

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schaftlieh selbständig, Meister, oder wie w ir es nennen wollen, werden soll. Nach der deutschen S terbetafel 1924/26 ständen dann aus 100 000 jährlichen K naben­

geburten 338 000 Lehrlingen zwischen 14 und 18 Jah ren und 578 000 Gesellen zwischen 18 und 25 Ja h re n rd.

2,86 Mill. M eister im A lter von 25 bis 65 Ja h re n gegen­

über, d. h. erst au f jeden fü n fte n M eister käme ein Gehilfe, und erst a u f jeden achten bis neunten M eister käme ein Lehrling. U nd auch wenn w ir die G ehilfenzeit bis zum 30. J a h r verlängern, die M eisterw erdung entsprechend hinaussehieben, würde doch erst jed er zweite bis d ritte M eister einen Gehilfen und erst jeder siebente einen Lehr­

ling halten können. W enn au f jeden M eister mindestens eine H ilfsk ra ft — Geselle oder Lehrling — kommen soll, m üßte das M eisterwerden bis zum 39. J a h r hinausgescho­

ben w erden; zwei H ilfsk rä fte f ü r jeden M eister bedingen ein W arten bis zum 4Ö./46. J a h r, drei H ilfsk rä fte bis zum 50. Ja h r. Es bleibt also dabei, daß w irtschaftliche Selb­

ständigkeit f ü r alle n u r im K leinstbetrieb denkbar ist.

W eil das M ittelalter u nter allen U m ständen diese allge­

meine w irtschaftliche Selbständigkeit sichern wollte, hat es folgerichtig auch jede B etriebsvergrößerung u n terbun­

den, und auch heute w ürde bei gleichem Ziele kein anderer W eg möglich sein. W ir sehen daran aber auch, daß w i r t ­ s c h a f t l i c h e S e l b s t ä n d i g k e i t a l l e r u n d m o d e r n e T e c h n i k v ö l l i g u n v e r e i n b a r sind.

Denn selbst, wenn die P opularisierung der Technik durch Kleinm otore, wie sie schon vor einem halben Ja h rh u n d e rt W erner Siem ens vorschwebte, wirklich in größerem Um­

fan g möglich wäre — au f vielen Gebieten, wie im Bergbau und H üttenbetrieb, in der Chemischen In d u strie u. a. m.

w ird sie w ahrscheinlich au f imm er unerreichbar sein — so w ürde sie doch fa st niemals dem wirklichen K leinbetrieb zugute kommen können, sondern höchstens den m ittleren B etrieben m it 5, 10 ja 20 A rbeitern, in denen erst eine einigerm aßen w irtschaftliche A usnutzung der Maschine, eine vorteilhafte V erbindung verschiedener Maschinen zu einem einheitlichen A rbeitssystem möglich ist.

D e r so ziale Fortschritt

Die w irtschaftlichen und sozialen Nöte, die im Gefolge d er E in fü h ru n g der Maschine au ftraten , lösten frühzeitig eine Gegenbewegung aus. Die A rbeiter, deren bisherige A rbeits- und Lebensformen, ja deren ganze Existenz durch die neuen Maschinen untergraben w urden, machten ihrem H a ß durch M aschinenzerstörungen L u ft; in der englischen T extilindustrie w aren um die W ende vom 18. zum 19. J a h r ­ hundert solche M aschinenzerstörungen an der Tagesord­

nung. N atürlich w urden sie n u r dem U nverstand, der Bosheit der A rbeiter zur L ast geschrieben und deshalb m it den schwersten S trafen, ja m it dem Tode bedroht. 18] 3 w urden tatsächlich 18 solcher Ludcliten, wie die M aschinen­

stürm er nach einem ih rer F ü h re r genannt w urden, gehenkt.

A ber nicht n u r die unm ittelbar bedrohten, betroffenen A r­

beiter w urden zu M asehinengegnem ; selbst ein so w eit­

blickender, allem Neuen stets aufgeschlossener Geist wie Goethe sagt doch im W ilhelm M eister, daß er „durch das überhandnehm ende Maschinenwesen gequält und ge- än g stig t“ w erde; Sism ondi weist frühzeitig a u f die m it der Industrialisieru n g verbundenen G efahren hin, und John R u skin p red ig t die A bkehr von der Maschine, dam it der Mensch wieder zu seinem Rechte, zu sieh selbst komme.

Selbst wenn die Technik f ü r alles, was ih r zu r L ast ge­

schrieben wurde, voll verantw ortlich wäre, könnte sie doch zu ih rer E n tla stu n g au f ungeheure positive Leistungen ver­

weisen. H eute leben in Deutschland dreim al soviel Men­

schen, als um 1800 hier gelebt haben, und alles in allem leben diese 66 Mill. heute besser, w enigstens m ateriell­

w irtschaftlieh besser als die 22 Mill. um 1800; bei der W ohnung und H ygiene ist der F o rts c h ritt ganz unleugbar, aber auch die E rn ä h ru n g ist zweifellos ganz allgemein regelm äßiger und reichlicher als vor 100 oder 150 Jahren.

D er beste Beweis fü r die V erbesserung der Lebensbedin­

gungen ist die in dieser Zeit eingetretene V erlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer. Um 1800 hatte das Neu­

geborene in D eutschland w ahrscheinlich durchschnittlich höchstens 30 Ja h re vor sieh, aber nach der Sterbetafel 1924/26 betrug die durchschnittliche Lebensdauer bei uns bereits 57y2 J a h r; inzwischen ist sie wahrscheinlich noch w eiter au f rd. 60 J a h re gestiegen. Diese V erdoppelung der Lebensdauer ist doch ein untrüglicher Beweis dafür, daß sich die Lebensbedingungen in dieser Zeit nicht verschlech­

te rt haben können, sondern verbessert haben müssen, denn die V erlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer ist natürlich nicht dadurch zustande gekommen, daß n u r die M itglieder der w irtschaftlichen Oberschichten als eigent­

liche N utznießer des neuen Reichtums 60 oder 120 Jahre älter wurden als frü h e r und dadurch tro tz ihrer geringen Zahl den allgemeinen D urchschnitt so viel hoben, sondern die allgemeine Lebensdauer konnte n u r steigen, weil vor allem die Lebensdauer der breiten Masse der Bevölkerung entsprechend anstieg.

Es ist nun kein Zweifel, daß die Zunahm e der Bevölkerung n u r durch die F o rtsch ritte der Technik möglich wurde. Der S tillstand oder doch ganz langsam e F o rtsc h ritt der Technik in D eutschland in der Zeit von 1200 bis 1700 ließ auch nur eine gleichzeitige Steigerung der Bevölkerung von etwa 12 a u f 15 Mill., also um 25 % in 500 Ja h re n zu. Die erste A uflockerung der alten Bindungen, die ersten A nläufe einer höheren Technik fü h rte n im 18. Ja h rh u n d e rt zu einer Ver­

m ehrung a u f 22 Mill. oder um 50 % ; und die volle Tech­

nisierung im 19. Ja h rh u n d e rt wurde von einer Bevölke­

rungsverm ehrung au f 68 Mill. bis 1914, also um reichlich 200 % begleitet. W enn Millionen auch heute noch unter gegenüber den gesteigerten A nsprüchen der Zeit und gegen­

über den durch die neuzeitliche Technik scheinbar er­

schlossenen M öglichkeiten ganz ungenügenden Bedingungen leben müssen, so dürfen w ir doch niemals vergessen, daß ohne diese Technik diese Millionen, und noch mehr, über­

h a u p t nicht leben w ürden, nicht leben könnten; daß ohne diese Technik D eutschland höchstens die H älfte, vielleicht n u r ein D rittel seiner heutigen Bevölkerung ernähren könnte, und wahrscheinlich schlechter ernähren könnte, als es heute der F a ll ist.

Schon dies eine A rgum ent w ürde genügen, um die schwer­

sten A nklagen gegen die Technisierung zu entkräften. Es m uß allerdings sta rk an Bedeutung verlieren fü r eine Zeit, die, wie w ir im nächsten M enschenalter, nicht entfernt mehr m it einer ähnlichen Bevölkerungszunahm e wie das 19. Ja h rh u n d e rt rechnen kann, in der also auch nicht mit dem N otstand des ständigen Bevölkerungsdruckes alle Nöte und A usschreitungen entschuldigt werden können.

A ber w ir haben noch andere A rgum ente zugunsten der Technik, die entw eder bereits f ü r die V ergangenheit gelten, oder doch fü r die Z uk u n ft im m er stärkere G eltung gewin­

nen werden. W as w ir f ü r die V ergangenheit an unerfreu­

lichen Begleiterscheinungen der Industrialisierung, der Technisierung feststellen m ußten, d a fü r w ar die technische E ntw icklung n u r zum Teil w irklich v erantw ortlich; zum Teil handelte es sich dabei auch um bloße K inderkrank-

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heiton, die mit der weiteren E n tfa ltu n g der Technik, ge­

rade durch diese, wieder verschwinden werden.

Nicht die Technik fü h rte zur E inspannung auch der klein­

sten K inder in die F ab rik arb eit und zu r V erlängerung der Arbeitszeit über jedes vernünftige M aß hinaus, wie sie uns aus der Jugendzeit des Industrialism us auch aus Deutschland berichtet w erden; nicht die Technik schuf die dunklen, nassen, unhygienischen, unfallgefährdeten A r­

beitsräume und die entsprechenden Arbeiten- ohnungen, die trostlosen F abrikstädte und F abrikdörfer. Die Technik hätte unbedingt auch hier von A nfang an wirklich Gutes schaffen können, aber sie d urfte es nicht; sie w ar ja nicht frei, sondern sie stand im D ienste; nicht im Dienste der Volkswirtschaft, sondern der P rivatw irtschaft; nicht im Dienste des allgemeinen Wohles, sondern des persönlichen Nutzens.

Im Dienst wird die Technik ja stets ste h en ; es liegt schon in ihrem Begriff begründet, ob w ir sie nun, wie ich es im Anfang getan habe, als die K unst des aufgabegerechten Verfahrens bezeichnen möchten oder als die K unst des besten Weges zum Ziele, wie es von anderer Seite geschieht.

Stets liegt darin auch, daß die A ufgabe, das Ziel der Tech­

nik von außen gesetzt wird. Ich weiß, daß sich die Tech­

niker gegen die bloß dienende Rolle, die ihnen dam it zuge­

wiesen wird, sträuben. A ber wenn ein Friedrich der Große stolz darauf war, d e r e r s t e D i e n e r s e i n e s S t a a ­ t e s zu sein, wer könnte da auch in der Tatsache des Dien­

stes etwas Entw ürdigendes finden1? N i c h t d a ß i c h d i e n e , s o n d e r n w e m i c h d i e n e , i s t e n t s c h e i ­ d e n d . Am A ufbau der deutschen Z ukunft an bedeutungs­

voller Stelle mit dienen zu dürfen, sollte auch fü r die Technik höchstes Glück sein. Sie w ird dann auch zeigen können, daß es nicht an ihr lag, wenn in der V ergangen­

heit oft n u r unvollkommene Lösungen gefunden wurden, sondern n u r an der falschen Aufgabestellung.

Freiheit in der G estaltung der S o zial­

ordnung durch technischen Fortschritt

Einzelnes von dem, was w ir als Begleiterscheinung der modernen Technik hingestellt hatten, ist nicht n u r zeitliche Begleiterscheinung, sondern echte, zwangläufige Folge der­

selben. Eine gewisse Verkleinerung des ländlichen Be- völkerungs- und des landwirtschaftlichen Berufsanteils — wenn auch nicht au f das heutige M aß — wird u nter allen Umständen bleiben müssen, da eben durch die Techni­

sierung der L andw irtschaft notwendigerweise früher ländliche Arbeiten in die M aschinenfabrik, in die chemische F ab rik verlegt werden müssen. Auch der Zwang zur Maschinenarbeit f ü r eine wachsende Anzahl Menschen ist unvermeidlich. W ir können die F rage, wie diese Maschinenarbeit au f die beteiligten Menschen w irkt, leider nicht näher untersuchen. Die Ansichten gehen hierbei be­

kanntlich weit auseinander; neben den A nklägern der seelenlosen, geisttötenden M aschinenarbeit finden w ir auf der ändern Seite — Kämmerer, Öchelhäuser, Ulrich W endt u. a. m. — andere, die von der fortschreitenden V ergeisti­

gung der A rbeit durch die Maschine sprechen, sich viel davon versprechen.

A ber selbst wenn gewisse Schädigungen untrennbar m it der M aschinenarbeit verbunden sein sollten, so sind w ir doch heute in der Lage, diesen Schädigungen durch V er­

kürzungen der Arbeitszeit, deren Grenzen wir sicher noch nicht erreicht haben, entgegenzuwirken.

Die Bestrebungen au f Verschönerung der A rbeitsstätte, wie sie je tzt durch die Deutsche A rbeitsfront in Angriff genommen worden sind, gehören auch hierher, und ebenso die M aßnahmen zur sinnvollen Verwendung der arbeits­

freien Zeit.

W enn die Masse der E rw erbstätigen im Maschinenzeit-alter nicht mehr die w irtschaftliche Selbständigkeit erreichen kann, so liegt ein gewisser Trost fü r diese dauernde Dienst­

barkeit vielleicht darin, daß auch die A rbeit des U nter­

nehmers, des Betriebsführers, immer mehr zum Dienste wird, und au f der ändern Seite darin, daß der Arbeiter selbst außerhalb seiner B erufsarbeit zum freien gleich­

berechtigten Volksgenossen geworden ist.

Abschließend wäre vielleicht noch das eine zu sagen. Im A nfang stand der Mensch der neuen Technik unfrei gegen­

über; innerlich unfrei, weil ihn diese neue Technik m it der Fülle ihrer Eindrücke und Schöpfungen so überwältigte, daß er sich ihr g ar nicht entziehen konnte, einfach voll­

ziehen mußte, was die Gesetze der technischen Entwicklung brachten und verlangten; und äußerlich unfrei, weil die materiellen Grenzen des Lebens noch so eng waren, daß er sich überall daran stieß, daß ihm jede Erw eiterung dieser Grenzen durch die Technik willkommen sein mußte, ganz unbekümmert darum, welche Schädigungen au f ändern Lebensgebieten etwa dam it verbunden sein mochten.

In beiden Beziehungen ist der Mensch je tzt freier gewor­

den. Nach einem Ja h rh u n d e rt der größten technischen F ortschritte h at er so viel Technik erlebt und in sich auf- genommen, daß er die Technik nicht mehr als eine außer ihm, über ihm stehende dämonisch-mystische Gewalt an- sehen muß.

U nd durch diese Technik ist unser Lebensraum weit über das bloße Existenzminimum hinaus erw eitert worden, so daß w ir nicht mehr fürchten müssen, sofort au f dieses Minimum zurückgeworfen zu werden, wenn w ir au f irgend­

welche technischen Möglichkeiten verzichten. W ir haben heute die F reiheit gewonnen, neben dem technisch-wirt­

schaftlichen Effekt auch den sozialen Effekt, die au ß er­

technischen Nebenwirkungen m it ins Auge zu fassen. W ir haben so heute gerade durch die E n tfaltu n g der Technik zum ersten Male die Möglichkeit, den beherrschenden E in ­ fluß der Technik auf die w irtschaftliche und soziale Gliederung des deutschen Volkes auszuschalten und diese Gliederung nach höheren Gesichtspunkten, nach den inneren Anlagen und Lebensbedürfnissen des deutschen Volkes zu gestalten. Ich glaube, daß darin keine H erab ­ setzung der Technik, des Technikers liegt, sondern hier mitzuwirken ist eine Arbeit, des Schweißes der Edelsten

wert. [2465]

Das Reich als U nternehm er

Das Statistische Reichsamt veröffentlicht soeben eine Über­

sieht über die Einnahm en des Reiches aus den Reichsbe­

trieben und Beteiligungen im E ta t 1933/34. Danach stellten sich die E rträ g e regelm äßiger A rt a u f 301,7 Mill.

RM, dazu kommen Einnahm en von 151,9 Mill. RM, die fast vollständig aus dem V erkauf von Reichsbahn-Vorzugs­

aktien herrühren. Den Eingängen von 453,6 Mill. RM standen Zuschüsse und sonstige Aufwendungen fü r Betriebe von 120,7 Mill. RM gegenüber, darunter 102,5 Mill. RM f ü r den Erw erb von Vorzugsaktien der

197

(6)

D resdner Bank. M it den somit als Reineinnahmen ver­

bliebenen 332,9 Mill. RM deckte das Reich 5,9 % seines Z uschußbedarfs von 5,6 M rd. RM. Die Reineinnahmen aus den Betrieben und Beteiligungen entwickelten sich in den letzten J a h re n folgenderm aßen:

Jahr Reineinnah­

men in Mill.

RM

Anteil an der Deckung des Zuschuß­

bedarfs in

°/o

Jahr Reineinnah­

men in Mill.

RM

Anteil an der Deckung des Zuschuß­

bedarfs in

%

1927/28 113 1,6 1931/32 181 2,8

1928/29 200 2,5 1932/33 276 5,0

1929/30 161 2.1 1933/34 333 5,9

1930/31 478 6,1

Den H au p tp o sten u nter den Einnahm en regelm äßiger A rt bildeten wieder die A blieferungen der Reichspost mit 228 (i. Y. einschließlich eines R estbetrages von 19 Mill. RM 249) Mill. RM. An Dividende aus dem Besitz an Reichs­

bahn-V orzugsaktien liefen n u r noch 6,4 (19,6) Mill. RM ein.

Die A ktienveräußerung erbrachte außergewöhnliche E in ­ nahm en von 151,3 (53,'6) Mill. RM. Von den sonstigen V erkehrsunternehm ungen des Reiches fü h rte der Sehlepp- betrieb au f den westlichen deutschen K anälen und dem M ittellandkanal wieder 120 000 RM an die Reichskasse ab.

Bei den gewerblichen und industriellen U nternehm ungen des Reiches, die 1932/33 in ihrer Gesamtheit rd. 51 Mill. RM m ehr an Zuschüssen erhalten hatten, als sie dem Reich an Gewinnen zuführten, waren in diesem Ja h re die Ü ber­

schüsse und Zuschüsse ziemlich ausgeglichen. Die Viag- Dividende (9 Mill. RM ) w ar im vergangenen Ja h re zur K apitalerhöhung benutzt worden, diesmal floß sie voll der Reichskasse zu. Zum Erw erb ju n g e r A ktien aus der K apitalerhöhung der Gesellschaft wendete die Gesellschaft 7,5 (8,1) Mill. RM auf. A n die V ereinigten Stahlwerke leistete das Reich au f G rund eines V ertrages aus A nlaß des E rw erbs von A ktien der Gelsenkirehner Bergwerks-Ges.

einen B etrag von 4 Mill. RM. Die Deutsche W erke Kiel A. G. erhielt wiederum einen Verw altungskostenzuschuß von 2,5 Mill. RM, dem eine Leistung von 500 000 RM an Zins- und Tilgungsbeträgen gegenüberstand. Die Über­

schüsse der Reichsdruckerei, des Reichsanzeigers und des Reichsverlagsam ts erm äßigten sich a u f 4 (6) Mill. RM.

Die Beteiligung des Reiches an wasserwirtschaftlichen U nternehm ungen erforderte Aufw endungen von 2,5 (7,4) Mill. RM. — Die Reiehsbank lieferte 36 Mill. RM ab, und zw ar fü r zwei Jahre. Aus der Beteiligung an der D eutschen Bau- und Bodenbank bezog das Reich 1,53 Mill. RM, wendete aber gleichzeitig 1,08 Mill. RM zur K apitalerhöhung auf. Die Öffa lieferte 7,79 Mill. RM ab. Schließlich flössen dem Reich noch 1,4 Mill. RM aus seinen Beteiligungen an der Deutschen B odenkultur A. G.

und an der A kzeptbank zu. Von den zur S tü tzu n g der D resdner Bank vom Reich 1931 f ü r die Übernahme von 300 Mill. RM V orzugsaktien eingebrachten 300 Mill. RM Schatzanweisungen m ußten 1933 vertragm äßig 100 Mill. R M zu 102,50 % eingelöst werden, so daß 102,5 Mill. RM auf-

zuwenden waren. [2480]

D er d eutsche F rem d en verk eh r 1 9 2 9 bis 1 9 3 3 Deutsche reisen in das Ausland, und A usländer besuchen Deutschland. Von der volks- bzw. devisenwirtschaftlichen Seite gesehen ist dabei von W ichtigkeit, was w ir im Aus­

land ausgeben, und was au f der ändern Seite durch den A usländerbesueh der deutschen Frem denverkehrsw irtschaft zukommt.

Die Entw icklung der Umsätze des internationalen F rem ­ denverkehrs ist naturgem äß durch die W eltw irtschaftskrise in starkem A usm aß beeinflußt worden. F ü r den Zeitraum von 1929 bis 1933 ist demnach au f beiden Seiten der deut­

schen Frem denverkehrsbilanz, die die Ausgaben Deutscher im A usland den Ausgaben der A usländer in Deutschland gegenüberstellt, ein Absinken der Umsätze festzustellen.

Dabei ist aber die Beobachtung zu machen, daß die A b­

nahme der durch den F rem denverkehr nach D eutschland kommenden Gelder wesentlich geringer ist als die E in ­ schränkung deutscherseits. Es ergibt sieh somit eine V er­

besserung des Saldos, wie Z ahlentafel 1 zu erkennen gibt.

198

Z a h le n ta fe l 1. Bilanz de s R e is e v e r k e h r s zu Land

In M ill. RM

A k tiv p o s te n P a s s iv p o s t e n S a ld e n

d e r d e u ts c h e n F r e m d e n v e r k e h r s b il a n z

A u s g a b e n v o n A u s lä n d e rn in D e u ts c h la n d

A u s g a b e n v o n D e u ts c h e n

im A u s la n d S a ld o

1929 180 282 — 102

1930 185 198 — 13

1931 130 144 — 14

1932 100 110 — 10

1933 75 95 — 20

Insgesam t wurden, abgesehen von 1929, somit rd. 10 bis 20 Mill. RM mehr von Deutschen im A usland ausgegeben, als der ausländische Reiseverkehr in Deutschland ein­

brachte. Letzterer wies 1929 A usgaben in Höhe von 180 Mill. RM auf, die bis 1933 au f 75 Mill. RM sanken.

1929 ergaben sich die hauptsächlichen Einnahm en aus dem Besuch der A m erikaner, die m it rd. 40 Mill. RM und 22,2 % der Gesamtausgaben den g rößten Anteil hatten. Es folgt H olland, G roßbritannien, die Schweiz und Dänemark, 1933 ergibt sich aber ein anderes Bild. D er H olländer wird zum wichtigsten Besucher Deutschlands. 1933 beträgt der Anteil der H olländer an den Gesamtausgaben rd. 22,5 %, w ährend der A m erikanerverkehr a u f rd. 1.3,3 % der Um­

sätze fiel.

Beantworten w ir aber nun die F ra g e: W ohin reist der Deutsche? Zunächst reist er weniger in das Ausland. Die G esamtabnahme der Ausgaben D eutscher in frem den Län­

dern w ährend des Zeitraum s von 1929 bis 1933 beträgt nach Zahlentafel 1 rd. 66 % . Am stärksten wurde der Reiseverkehr nach Österreich eingeschränkt. Gegenüber der Schweiz und Italien ist der R ückgang als Folge der devisenw irtschaftlichen Regelungen nicht so stark.

Länder, in denen von Deutschen mehr ausgegeben wird, als die Reisenden des betreffenden Landes nach Deutsch­

land bringen, sind die Schweiz, Italien, Österreich, die Tschechoslowakei, F rankreich, Jugoslaw ien, umgekehrt ist dagegen das V erhältnis in Beziehung a u f die Vereinigten Staaten, H olland, G roßbritannien und Dänemark.

Ein anderes Bild ergibt sich, wenn die Ergebnisse des See­

verkehrs B erücksichtigung finden. Deutsche Schiffe waren und sind immer die gesuchtesten V erkehrsm ittel zur See, so daß es als Selbstverständlichkeit erscheint, daß die Aus­

gaben F rem der au f deutschen Schilfen ganz wesentlich über dem liegen, was w ir au f ausländischen Schiffen ausgeben.

Z a h le n ta fe l 2. Bilanz d e s F re m d e n v e r k e h r s zur See

J a h r

A k tiv p o s te n P a s s iv p o s t e n Sald o

A u s g a b e n a u s lä n d i­

s c h e r R e is e n d e r a u f d e u ts c h e n S c h iffe n

A u s g a b e n d e u ts c h e r R e is e n d e r a u f f r e m ­

d e n S c h iffe n

1929 140 18 + 122

1930 160 12 + 148

1931 125 9 + 116

1932 110 7 + 103

1933 70 3 + 67

Z a h le n ta fe l 3. G e s a m tb i anz des F re m d e n ve rkeh rs

J a h r A k tiv p o s te n P a s s iv p o s te n S a ld o

1929 320 300 + 20

1930 345 210 + 135

1931 255 153 + 102

1932 210 117 + 93

1933 145 98 + 47

Aus den oben angegebenen G ründen sinken zw ar die Ein­

künfte aus dem Frem denverkehr zur Sec, immerhin aber ist die S eeschiffahrt in der Lage, den V erlust ans dem Landreiseverkehr mehr als auszugleichen, so daß sich in der Gesamtheit eine aktive Frem denverkehrsbilanz ergibt (Zahlentafel 3), die 1933 m it einem M ehr von 47 Mill. RM abschließt. F ü r das J a h r 1934 liegen Schätzungen vor (vgl. Archiv fü r den Frem denverkehr 5. Ja h rg g . Nr. 3), die einen Saldo in H öhe von 80 Mill. R M ° zugunsten Deutschlands erw arten lassen. y/yy [2429]

(7)

I Gangbare Wege zur Treibstoff- Eigenversorgung Deutschlands

Von Oberbaurat

Dr.-Ing. H. MEUTH VDI, Stuttgart

Von den Verfahren zur Gewinnung flüssiger Treib­

stoffe aus der Kohle erscheint die Schwelung beson­

ders aussichtsreich. F ür die kü n ftig e Eigenversor­

gung Deutschlands mit Treibstoffen ist es aber dann von größter W ichtigkeit, ob fü r die große Menge des beim Schwelen anfallenden K okses A bsatz vorhan­

den ist. Z u r K lärung dieser Frage hat der Ver­

fasser im W ü rtt. W ärm ew irtschaftsverband Versuche über die Verwendung von Schwelkoks in Großver­

brauchergebieten angestellt, die in He f t 9 des

„Archiv fü r W ärm ew irtschaft“, Jahrgang 1935 ver­

öffentlicht sind. I n dem folgenden, vor der W ürtt.

Volkswirtschaftlichen Gesellschaft gehaltenen Vortrag ist versucht worden, über die M öglichkeiten zur Eigenversorgung Deutschlands m it heimischen Treib­

stoffen einen Überblick zu geben.

Erdöl, schon frü h er als Brenn- und Leuchtöl ein wichtiger F aktor in der V olksw irtschaft, ist heute m it der zunehmen­

den Verwendung als K raftstoff, nam entlich im V erkehr zu Land, zu W asser und in der L uft nicht bloß eine bedeu­

tende K raftquelle der W irtschaft geworden, es beeinflußt geradezu die M achtstellung eines S taates in der W elt­

politik.

Leider ist Deutschland in der V erteilung der natürlichen Ölvorräte sehr schlecht weggekommen. Bei einem Anteil von annähernd V30 der Erdbevölkerung kommt auf Deutschland kaum Viooo der W elterdölgewinnung. Trotz des Aufschwungs der deutschen E rdölindustrie in den letz­

ten Jahren wird dam it kaum 1/io, m it den flüssigen Treib­

stoffen aus den Kokereierzeugnissen der Zechen und Gas­

werke kaum V3 des gegenwärtigen B edarfs gedeckt. Mehr als 2/3 an flüssigen Motorentreibstoffen müssen eingeführt werden. J a der Dieselbetrieb, der in der letzten Zeit durch die besondern Leistungen des deutschen Maschinenbaues zu hoher Entwicklung und V erbreitung gelangt ist, ist fast ganz auf ausländischen Treibstoff angewiesen.

Abgesehen von den Devisenschwierigkeiten besteht die Ge­

fahr, daß im Falle einer politischen Verwicklung und einer dadurch bedingten Unterbrechung der E in fu h r unser K raftverkehr in kürzester Zeit lahmgelegt würde, da der im Lande verfügbare Treibstoff restlos fü r die Landesver­

teidigung beschlagnahmt werden müßte. Es werden des­

halb jetzt von allen verantwortlichen Stellen die größten Anstrengungen gemacht, um der durch eintretenden Treib­

stoffmangel f ü r die W irtschaft entstehenden G efahr zu begegnen. Das ist übrigens nicht bloß in Deutschland, sondern auch in ändern erdölarm en Ländern gegenwärtig festzustellen.

Welche Möglichkeiten, und zwar welche sofort praktisch nutzbaren Möglichkeiten zur Deckung unseres Treibstoff­

bedarfs aus heimischen Rohstoffen bestehen fü r Deutsch­

land? Hierbei ist ein Dreifaches zu fordern:

1. daß fü r das betreffende V erfahren eine ausreichende Rohstoff- und G ewinnungsgrundlage vorhanden ist;

2. daß das gewonnene Erzeugnis nicht zu teuer ist, denn die Entw icklung des K raftverkehrs wird vom Preis des Betriebstoffes stark beeinflußt, und

3. daß m it dem Erzeugnis ein unbedingt sicherer und leistungsfähiger Betrieb möglich ist.

G a sfö rm ig er T reib sto ff

G a s f ö r m i g e r T r e i b s t o f f kommt im Betrieb dem flüssigen am nächsten; er bietet sogar geringere A nlaß­

schwierigkeiten und verhütet von vornherein eine V erdün­

nung des Schmieröls. Es eignen sich besonders die soge­

nannten Reichgase, P ropan, B utan und M ethan in ver­

flüssigtem Zustand, die als Nebenerzeugnisse bei der E rd ­ ölindustrie und im K okereiprozeß anfallen. Bei ihrem hohen Heizwert lassen sich diese Gase in Flaschen u nter verhält­

nism äßig niedrigem Druck m itführen und m it Rücksicht a u f die F rachtkosten im Umkreis der Gewinnungsstelle von 30 km bei Methan und bis zu 200 km bei P ro p a n und B utan w irtschaftlich verwenden. Die Brennstoffkosten stellen sich um etwa Vis niedriger als bei Benzinbetrieb.

Ähnlich verhält es sich bei dem in flüssigem Zustand bei der Zerlegung des Kokereigases gewonnenen Ruhrgasol, einem Treibstoff von ebenfalls hohem Energiegehalt. Ab­

gesehen von der Reichweite ist der Betrieb m it solchen Reichgasen auch noch durch die Erzeugungsmenge be­

schränkt, die heute n u r einige Tausend Tonnen beträgt, aber noch einer mehrfachen Steigerung fähig ist.

Kokereigas stünde in weit größeren Mengen f ü r den K raftfah rb etrieb zur V erfügung, wenn das in den Kohlen­

zechen zur Beheizung der Koksöfen verwendete Gas durch geringwertige Brennstoffe ersetzt würde. Auch könnten die städtischen Gaswerke durch Steigerung ihrer meist nicht voll ausgenutzten Leistungsfähigkeit eine beträcht­

liche Gasmenge fü r den K raftfah rb etrieb liefern. Mengen­

m äßig würden die von den Kokereien und Gaswerken mit etwa 6 Mrd. m3 verfügbaren gasförm igen Betriebsstoffe zur Deckung unseres gegenwärtigen Treibstoffbedarfs nahe­

zu ausreichen. H inderlich ist n u r der geringe Heizwert, der eine Verwendung im Fahrzeug n u r m it sehr starker Verdichtung und entsprechend schweren Druckflaschen zuläßt. Dies bedingt wieder hohe Gewichts- und Raum- beanspruehung im Fahrzeug, hohe Beförderungskosten und teure V erdichteranlagen. Von behördlicher Seite wird die Zulassung von Leichtflaschen und die E rrichtung von V er­

suchstankstellen sowohl f ü r Reich- wie f ü r Schwachgase gefördert, um den A ktionsradius fü r Fahrzeuge mit Flaschengas zu erweitern. Vorläufig ist der V erkehr noch au f die Umgebung der Gewinnungsstellen und au f stä d ti­

sche Verkehrs- und Straßenreinigungsfahrzeuge beschränkt.

W enn auch eine allgemeine Verwendung nicht in F rage kommt, so kann doch der in der Sicherheit und Zuver­

lässigkeit erprobte und wirtschaftliche Flaschengasbetrieb in fühlbarem B etrag den B edarf an ausländischem Be­

triebsstoff verringern. Deshalb sollten wenigstens die ver­

fügbaren Mengen Reichgase restlos f ü r den K raftverkehr ausgenutzt werden, wozu ohne erhebliche Kosten Benzin­

fahrzeuge in wenigen Tagen eingerichtet werden können.

B etrieb m it festen Brennstoffen

F ü r den B e t r i e b m i t f e s t e n B r e n n s t o f f e n , Holz, T orf und Kohle haben w ir in Deutschland eine fast unerschöpfliche Rohstoffgrundlage. D er Anteil Deutsch­

lands an der W eltförderung von Stein- und Braunkohle b eträgt nahezu 1U, gegenüber 1/iooo der M ineralölförderung, wie schon erwähnt. Das weist uns deutlich au f die Kohle als Treibstoff hin. Das Brenn- und Abfallholz aus unsern W äldern könnte ein M ehrfaches des Energiebedarfs unse­

re r K raftfahrzeuge decken.

Die F ra g e der Betriebssicherheit und Leistungsfähigkeit ist bezüglich des Holzes heute schon durchaus geklärt.

Schon seit 1931 b efaßt sieh das W ü rtt. Landesgewerbe­

am t m it dem Holzgasbetrieb von N utzfahrzeugen, um fü r

199

(8)

A b b . 1. F a h rze u g m it H o lz g a s g e n e r a to r (G a s re in ig e r am E n d e u n te rg e b ra c h t)

die E in fü h ru n g dieses Betriebes im Interesse der H olzw irt­

schaft und des K raftv erk eh rs E rfah ru n g en zu sammeln.

A u f G rund eines d reijährigen praktischen F ährbetriebs m it über 50 000 km konnte der Nachweis erbracht werden, daß m it H olzgas bei sachgem äßer Bedienung und W artu n g eine nicht wesentlich geringere Betriebssicherheit zu er­

reichen ist als m it Benzin. Denn der Versuchsbetrieb, bei dem ein m it Normalgewichten belasteter F ü n fto n n e r gleich­

zeitig zu r P rü fu n g der Bodenwaagen in W ürttem berg diente, hatte u n te r allen im Lande vorkommenden S traßen- und Geländeverhältnissen, bei jeder W itteru n g und auch

A b b . 2. F a h rze u g m it H o lz k o h le n g a s g e n e ra to r

m it verschiedenen H olzarten keine nennensw erte Störung erfahren und konnte alle festgesetzten Termine au f die Stunde einhalten. Die E rfah ru n g en w urden in m ehreren M erkblättern niedergelegt; sie haben zu r V erbreitung die­

ser B etriebsart in W ürttem berg und darüber hinaus wesent­

lich beigetragen. W irtschaftlich b rin g t der B etrieb beson­

dere Vorteile. Die Brennstoffkosten werden um 75 bis 80 % der Benzinkosten gesenkt. Auch u n te r Einrechnung der Sonderkosten f ü r die Gaserzeugungsanlage ergeben sich noch wesentliche E rsparnisse in den Gesamtbetriebs­

kosten. Abb. 1 zeigt das F ahrzeug m it H olzgasgenerator

A b b . 3. A uch P e rs o n e n -F a h rz e u g e w e rd e n m it H o lz ­ k o h le n g a s e rz e u g e r a u s g e rü s te t

und den am Ende untergebrachten G asreinigern. Abb. 2 zeigt ein weiteres F ahrzeug m it Holzkohlengasgenerator.

D er Tank wird zur W a ag en p rü fu n g m it 3000 1 W asser gefüllt.

Um die V erw endbarkeit fester Brennstoffe auch fü r m itt­

lere und kleinere F ahrzeuge festzustellen, w urden aucli Personenfahrzeuge m it Holzkohlengaserzeuger ausgerüstet, wovon Abb. 3 eine A usführung zeigt. Bei der Holzkohle, wie bei allen Brennstoffen m it geringem W assergehalt m acht die Ausscheidung des pulverigen Staubes aus dem Gas große Schw ierigkeiten; hierzu m ußten erst besondere R cinigungsvorrichtungen geschaffen werden. Auch ver­

langt die höhere T em peratur im F euerraum besondere Rücksicht bei der G estaltung des Herdes, der Düse fü r die L u ftzu fü h ru n g und des Rostes. Nach m ehrfacher Ände­

rung au f G rund längerer Versuche ist je tzt eine befriedi­

gende Lösung gefunden. Dam it können je tz t auch andere K okse wie Stein- und Braunkohlenschwelkoks, Torfkoks u. a. erprobt werden in der bei der V erkokung anfallenden Beschaffenheit und auch in g e p re ß ter Form , die den Brenn­

stoffen ein höheres Schüttgewicht und dam it der Generator­

füllung einen größeren A ktionsradius verleiht. Bis jetzt h at sich gezeigt, daß der teerfreie verkokte, verschwelte oder brikettierte Brennstoff gute Brenneigenschaften im G eneratorbetrieb besitzt und auch bei größerem Asche- gehalt, als Holz und Holzkohle keine Schw ierigkeiten durch Asche und Schlacken verursacht.

Der zur Zeit sta rk beachtete K ra ftfa h rb e trie b m it festen Brennstoffen könnte wohl den frem den flüssigen Treibstoff ganz entbehrlich m achen; aber er ist an eine F euerung zur Gaserzeugung und eine Reinigungs- und K ühlanlage für das Gas gebunden. Solche Raum und Gewicht bean­

spruchenden E inrichtungen und ih r nicht ganz einfacher Betrieb passen nicht recht zum neuzeitlichen K ra ftfa h r­

zeug. D er S auggasgenerator (auch der Dampfkessel) auf dem Automobil ist eine N otgeburt, die sich allerdings durchaus lebensfähig und vor allem außerordentlich w irt­

schaftlich erweist. D as versöhnt einigerm aßen m it dieser wenig autom äßigen Betriebsweise, a u f die w ir uns aber wohl längere Zeit einrichten müssen, bis w ir aus unsem W äldern und K ohlenlagern den vollwertigen E rsatz für das ausländische Treiböl werden gewonnen haben. Ich schätze den Z eitraum a u f im m erhin 10 bis 15 Jahre. F ü r Sonderfälle wie in Gegenden m it sonst schlecht oder nicht verw ertbarem Abfallholz w ird auch das G eneratorfahrzeug und nam entlich der ortsfeste H olzgaserzeuger fü r Motoren­

betrieb sich auch w eiter halten.

Das Ziel w ird sein müssen, f ü r den K ra ftv erk eh r und Motoren betrieb den d a fü r geeignetsten flüssigen Brennstoff aus unsem heimischen Rohstoffen zu schaffen, solange es noch nicht gelungen ist, die Energiequelle unserer W älder und K ohlenlager unm ittelbar in den M otoren in T riebkraft umzusetzen. Z u r V erw irklichung des zuletzt genannteu Zieles liegen im K ohlenstaubm otor schon aussichtsvolle An­

sätze vor. D er ursprüngliche P la n von Diesel lief ja auf die unm ittelbare V erbrennung von K ohlenstaub im Motor­

zylinder hinaus; die unüberw indlich scheinenden Schwierig­

keiten veranlaßten ihn, sein V erfahren zunächst mit Schweröl durchzuführen. Sein frü h e re r M itarbeiter Pawli- koivski in Görlitz h at m it verbissener Zähigkeit den alten P lan Diesels w eiter verfolgt. Die E ntw icklung seiner orts­

festen Maschine, an der sich nunm ehr aucli große deutsche Industriefirm en beteiligen, ist nach 40 jä h rig en mühevollen A rbeiten so weit gediehen, daß w ärm etechnisch die Aus­

nutzung des Brennstoffes wie beim Schweröldiesel erreicht rnmfl

2 0 0

(9)

ist. Die größten Schwierigkeiten sind m it der Losung der Verschleißfrage verbunden. Doch ist es der planm äßigen Bekäm pfung des Verschleißes bis je tzt schon gelungen, ihn au f 1/ioo seines anfänglichen Betrages herabzumindern.

Zweifellos w ird es in absehbarer Zeit gelingen, durch Aus­

wahl aschearm er Kohle m it einer unschädlichen Aschen­

zusammensetzung, durch Auswahl verschleißfester W erk­

stoffe f ü r Laufflächen und Dichtungen, durch geeignete Ausbildung der Kolben, richtige Bemessung der Verdich­

tung und Verbesserung der Spülung die noch vorhandenen Mängel ganz zu beseitigen und dam it einen K ra ftm o to r mit unerreicht niedrigen Betriebskosten zu schaffen. Die deut­

sche Automobilindustrie, die in der Entw icklung eines betriebssicheren, w irtschaftlichen und leistungsfähigen Fahrzeugdiesels in verhältnism äßig kurzer Zeit den Beweis ihres K önnens erbracht hat, w ird sicher nicht ihre M it­

arbeit an der Schaffung eines betriebsfähigen Fahrzeug- Kohlenstaubmotors versagen, um dam it den deutschen K raftverkehr von der Sorge um den Betriebsstoff ein fü r allemal zu befreien.

Erzeugung von flüssigem T reibstoff

Solange dieses Ziel noch nicht erreicht ist, ist anzustreben, die Erzeugung von flüssigem Treibstoff aus unsern heimi­

schen Rohstoffquellen au f jede mögliche Weise zu steigern.

Es ist klar, daß dabei jede U m wandlung vom festen in den flüssigen Zustand mit einer wesentlichen V erteuerung verbunden ist. Es werden sich deshalb d i e V erfahren am ehesten durchsetzen, bei denen die Um wandlung m it den geringsten Gestehungskosten erzielt werden kann.

F ü r die Steigerung der bisherigen Erzeugung flüssiger Treibstoffe kommen in B etracht:

a) Die Steigerung unserer E rdölförderung (Abb. 4). Die staatlichen Bohrbeiliilfen in den letzten Jah ren lassen zwar einen Anstieg deutlich erkennen, doch wird die gewonnene Menge im V erhältnis zum Verbrauch immer gering bleiben.

b) S piritus in Mischung m it mineralischen flüssigen Treibstoffen. Z ur Steigerung der Gewinnung sollten aber keine fü r die E rnährung tauglichen Anbauflächen benutzt werden, sondern n u r sonst unverw ertbare Ab­

fälle, besonders Holz.

e) Die Benzin- und Benzolgewinnung aus der Steinkohlen­

verkokung im Zechenbetrieb und in den Gaswerken.

Sie betrug 1933 etwa 350 000 t und konnte 1934 mit der Besserung der W irtschaftslage au f 380 000 t ge­

steigert werden. Es besteht hier, wie aus Abb. 5 her-

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A b b . 5. K o k serzeugu ng und R ohbenzolg ew inn ung im V e rg le ic h zur E isengew innung

vorgeht, eine feste A bhängigkeit der Gewinnung von dem V erbrauch des anfallenden Kokses in der Eisen­

industrie und von dem Koksabsatz im H ausbrand.

Deshalb wird die hier mögliche Steigerung der Ölerzeu­

gung immer begrenzt sein und 500 000 t kaum über­

schreiten können, wahrscheinlich aber wesentlich d a r­

unter bleiben müssen, wenn das Ausland deutschen K oks nicht in größeren Mengen bezieht.

d) Die H ochdruckhydrierung, d. i. die W asserstoffanlage- rung an die vergaste Kohle m it H ilfe von K atalysato­

ren, au f welchem Wege z. B. das Leunabenzin gewon­

nen wird, ist von dieser Bindung an den Absatz des anfallenden Kokses frei. Die Kohlesubstanz wird hier restlos verflüssigt. Diese Umwandlung ist zweifellos das fü r die K ohlew irtschaft günstigste V erfahren.

Leider sind die Gestehungskosten des so gewonnenen Benzins sehr hoch. Deshalb konnte es bis jetzt n u r u nter dem Schutz des hohen Einfuhrzolls au f A us­

landsbenzin überhaupt dam it in W ettbewerb treten und die Gewinnung von der Anfangmenge von 100 000 t nicht wesentlich gesteigert werden. Dieses V erfahren erfüllt wohl die F orderung der ausreichenden Roh­

stoffgrundlage und des sicheren, störungsfreien und leistungsfähigen Betriebes, aber nicht den des billigen Betriebes, der fü r die M otorisierung auch der weniger begüterten Volksschichten und zur E rfüllung der volks­

wirtschaftlichen A ufgaben der N utzkraftw agen die Voraussetzung ist.

e) G ünstiger erscheint das drucklose V erfahren von Fischer, bei welchem die K ohle bzw. nach dem V er­

fahren Fischer-Tropsch der K oks ebenfalls restlos ver­

gast und das erzeugte Gas über geeignete K ata ly ­ satoren in Leicht- und Schweröle übergeführt wird.

Z ur weiteren praktischen E rp robung h at der R u h r­

bergbau bereits eine größere Versuchsanlage errichtet.

Auch dieses V erfahren erweist sich noch als zu teuer.

f) Am aussichtsreichsten zur H erstellung eines billigen Treibstoffes erscheint d i e V e r s c h w e l u n g d e r K o h l e b e i m ö g l i c h s t n i e d r i g e r T e m p e ­ r a t u r , denn dabei entweichen n u r die flüchtigsten Bestandteile aus dem festen Brennstoff, aus denen dann schon durch einfaches Auswaschen und Destillie­

ren und durch H ydrieren des Restes Leichtbenzin und Dieselöle gewonnen werden können. Teer w ird bei

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