Technik und Wirtschaft
H e r a u s g e b e r : D r . - I n g . O t t o B r e d t und Dr. G e o r g F r e i t a g / V D I - V e r l a g G m bH , B e r l i n N W 7
28. Jahrgang
Febr. 1935
Heft 2
Der Wandel
des Arbeitsvertrages im Laufe der Zeit
Auf dem W ege zu ein er neuen Sozialordnung
Von Dr. KURT WERNER, Berlin
E rste Pflicht jedes Staatsbürgers m uß sein, geistig und körperlich zu schaffen. Biese Pflicht, zu leben, um zu arbeiten, ist Zweckbestim m ung unseres Da
seins. A rb eit um der Pflicht willen ist die A u ffa s sung, die unserer deutschen Einstellung zur A rbeit und ihres Trägers das Gepräge gibt, wobei unter
„Arbeiter“ im weitesten Sinne jeder Mensch zu ver
stehen ist, der m it der S tirn oder Faust W erte fü r die Gesamtheit schafft. Unser Leben gew innt erst dann an W ert, sobald ivir einen B eru f haben, und wenn wir im ihm etwas leisten. Das verleiht uns und unserm D ienst fü r die Allgem einheit erst die rechte innere Befriedigung.
Arbeit und S ta a t
Der arbeitende und schaffende Mensch steht im M ittel
punkt des Staates. „E h ret die A rbeit und ehret den A r
beiter“ w ar die Losung f ü r die M aifeier im Ja h re 1934.
Dieses Gebot soll unser gesamtes deutsches Arbeitsleben beherrschen. A d o lf H itler h at diese Losung klar und eindeutig ausgesprochen, als er mit den W orten: „Geist- und H andarbeit werden den ersten S tand im Reich des Deutschen bilden“ jeglichen A rbeiter der E hre versichert, die ihm aus einer D ienstleistung zufließen muß.
Bei weitem die meisten deutschen A rbeiter der S tirn und der F aust finden ihre Lebensgrundlage in abhängiger un
selbständiger A rbeit und sind somit gezwungen, ein A r
beitsverhältnis m it d ritten P ersonen einzugehen. Es ist das wichtigste der vier G rundverhältnisse des Arbeitsrechtes, mit denen der A rbeiter nach ebenso vielen H au p tric h tu n gen hin rechtlich gebunden ist. Im A rbeitsverhältnis ver
wirklicht sich der A rbeitstatbestand unm ittelbar, und er bildet den A usgangspunkt sowie das K ernstück jeder arbeitsrechtliehen Regelung. Seine rechtliche G estaltung im engeren Sinne findet dieses A rbeitsverhältnis im A r
beitsvertrage, der dam it zum eigentlichen Lebensrecht des größten Teiles unseres Volkes geworden ist. N u r so läß t sich die überragende Bedeutung des A rbeitsvertragsrechtes im A ufbau des bisherigen und nunm ehr erst recht des neuen deutschen A rbeitsrechtes erklären.
U nter den großen F ragen, die unsere Zeit bewegen, und die einmal späteren Geschlechtern als das fü r unsere Zeit Kennzeichnende erscheinen werden, stehen m it an erster Stelle die O rganisation der w irtschaftlichen A rbeit und ihre E inpassung in den Gesamtkomplex des menschlichen Daseins. Alle, die an dieser F rage wissenschaftlich und praktisch mifarbeiten, sind hierbei getragen von dem Ge
fühl, daß die w irtschaftliche A rbeit ein bestimmender F ak to r ersten Ranges fü r die O rganisation der mensch
lichen Gesellschaft ist. Die gesetzliche Regelung der Be
ziehungen, die sich aus der A rbeit ergibt, muß sieh also logischorweise zu einer Regelung der gesellschaftlichen A rbeitsorganisation ausweisen, das A rbeitsreeht m uß zum Sozial recht werden. Das Einzelgebiet des A rbeitsvertrags- rechtes w ird hiervon einen Teil bilden.
Da eine jede Rechtsform der äußere Ausdruck der welt
anschaulichen Überzeugung ist, die dem 'Staate, der sie schafft, zugrunde liegt, und somit auch neu auftretende W eltanschauungen •— sobald sie sieh im Staatsgefüge und Volksleben durchsetzen — au f das bestehende Recht ein
wirken, haben sich seit Beginn der nationalsozialistischen Revolution grundlegende W andlungen in der Gestaltung des A rbeitsvertragsrechts vollzogen, ohne daß zunächst eine ausdrückliche gesetzliche Neuregelung eintrat. E rst nachdem im Jah re 1933 die wesentlichen Voraussetzungen fü r eine gesetzgeberische Tätigkeit au f diesem Gebiet ge
schaffen worden war, wurden die Rechtsbestimmungen ge
boren, die nun die Formen zu bestimmen haben, unter denen sich das soziale Leben unseres Volkes in arbeits
vertraglicher H insicht künftig zu vollziehen hat. H andelt es sich doch, nachdem die Möglichkeiten, Klassengegensätze in festen und immer mehr oder weniger starren, unpersön
lich gewordenen O rganisationen auszutragen, beseitigt sind, darum, die Auseinandersetzungen um die Lebens
bedingungen des deutschen A rbeiters so zu gestalten, daß sie im einigenden Geist des neuen Staates erfolgen, und daß an ihrem Ende die aus gegenseitiger Überzeugung entstehende Versöhnung und B ereitschaft zu weiterer Zu
sam menarbeit am gemeinsamen W erk, nicht aber wie früher V erkram pfung der Gegensätze und politische Verhetzung stehen. H ierfü r ist ganz allgemein die Erneuerung des w irtschaftenden Menschen Vorbedingung. Sie ist die große Gegenwartsaufgabe. Diesem erstrebenswerten ethischen Ziel wird sich daher alles unterzuordnen haben, "was im endgültigen A rbeitsvertragsrecht zu regeln sein wird.
I. Die G rundlagen
des bisherigen A rbeitsvertragsrechtes 1. D e r fr e ie A rb e its v e rtra g
A usgangspunkt und Grundlage des früheren A rbeitsver
tragsrechtes war der um die W ende des 18. Jahrhunderts auftauchende Gedanke des freien A rbeitsvertrages. D a
mals tra t an Stelle der seitherigen genossenschaftlichen oder staatlichen Regelung des Arbeitsverhältnisses deren O rdnung durch V ertrag zwischen dem A rbeitgeber und Arbeitnehmer, indem diese die Arbeitsbedingungen im Wege freier V ereinbarung festlegen sollten.
Freilich hat sich der Gedanke des freien A rbeitsvertrages im Laufe der Zeit bald als unzulässig erwiesen, da er inso
fern von falschen Voraussetzungen ausging, als er über
sah, daß die w irtschaftlichen K räfteunterschiede zwischen A rbeitgeber und A rbeitnehm er einen w ahrhaft freien A r
beitsvertrag niemals erstehen lassen, vielmehr im Regel
fälle der W ille des Arbeitnehm ers sich u n te r das D iktat des Arbeitgebers beugen würde. Da der U nternehm er
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doch fast immer dem A rbeiter gegenüber der Überlegenere w ar und der A rbeiter dadurch bei der F estlegung der A r
beitsbedingungen sich zumindest benachteiligt fühlen konnte und großenteils auch mußte, bestand kein Zweifel, daß der freie A rbeitsvertrag in seiner reinsten Form zwangsläufig zur Unzufriedenheit der A rbeiterschaft führte. Aus dieser E rkenntnis wurde die weitere E n t
wicklung des deutschen A rbeitsrechtes überwiegend von dem W illen einer möglichst weitgehenden Einschränkung und Durchbrechung des freien A rbeitsvertrages beherrscht, die sich a u f zwei völlig getrennten W egen vollzogen.
2. D e r K a m p f um d e n T a rifv e rtr a g
Einm al erhielt der an sich schon ältere Gedanke des ge
nossenschaftlichen Zusammenschlusses der A rbeitnehm er in F orm der in der M itte des vorigen Jah rh u n d erts als K am pforganisationen entstandenen Gewerkschaften neuen A uftrieb. Als Gegenverbände hierzu w urden in den 70 er und noch mehr in den 80 er und 90 er Jahren von den A rbeitgebern sogenannte A ntistreikvereine, Abw ehrorgani
sationen usw. gegründet. D er Zusammenschluß der U nter
nehmer w ar also eigentlich nicht durch die Entw icklung der A rbeitgeberschaft an sich, sondern vielmehr durch die Arbeitnehmerbewegung bedingt. Die ursprüngliche Ge
schichte der A rbeitgeberverbände ist, da sie au f selbstän
digem A ntrieb oder H andeln nicht beruht, keine eigene, sondern lediglich das Spiegelbild der gewerkschaftlichen Entw icklung der deutschen A rbeiterschaft.
O rganisatorisch haben die Vereinigungen der U nternehm er wie alle neuen Gebilde zunächst tastende Versuche u n ter
nommen, hauptsächlich als Lokalvereine in den einzelnen Gewerben. Ohne jede E rfa h ru n g vegetierte so eine große Anzahl durchaus uninteressanter V erbände nebeneinander ohne besondere Tätigkeitsm ögliehkeiten gegenüber der in neuen Ideen wurzelnden Arbeiterbewegung. Die Verschie
denheit der einzelnen Industrien und Gewerbezweige in ihren A ufgaben, die dadurch zwischen ihnen oft nie zu vereinigenden Interessensphären und nicht zuletzt und nicht selten der ewige W ettbew erb untereinander ver
hinderte anfangs eine straffe und starke O rganisation auf seiten der U nternehm erschaft. H inzu kam als weiterer S törungsfaktor noch das Vorhandensein sehr vieler älteren A rbeitgeberverbände, die sich au f w irtschaftspolitischem , hauptsächlich handels- und zollpolitischem Gebiet betätigten.
Das Fallen des Sozialistengesetzes in den 90 er Jahren und der dadurch verursachte starke Aufschwung der Gewerk
schaften v eranlaßte auch endlich die A rbeitgeberschaft, sich in erfolgversprechenderer Weise zu vereinigen. Aus jen er Zeit eigentlich erst stammen die festgefügten O rgani
sationen der U nternehm er. Eine vollkommene E inigung aller A rbeitgeberverbände blieb aber erst dem W eltkrieg Vorbehalten. Es erwuchs ein lückenloses Netz von U nter
organisationen m it einer Zentralstelle fü r das Z ustande
kommen von T arifverträgen und sonstigen Abmachungen zwischen A rbeitern und Arbeitgebern.
B etrachtet man heute rückblickend die Stellung und P olitik der Untermehmerverbände gegenüber den Gewerk
schaften in der Frühzeit, so erkennt m an, daß der Ge
danke des „H errn-im -H ause-S tandpunkt“ die O rgani
sationen der A rbeitgeber verleitete — s ta tt sich der A r
beiterbewegung anzunehmen — F ro n t zu machen gegen alles, was die A rbeiterschaft zu ihren Gunsten verlangte.
Dies b e tra f insbesondere das K oalitionsrecht und den T arifv ertrag als Ablösung fü r den freien oder Individual
arbeitsvertrag, bei dem der A rbeiter sich durch die M acht des U nternehm ers fa st immer benachteiligt fühlen mußte.
Mit allen möglichen M itteln versuchte m an Stim m ung gegen die Forderungen der A rbeiterschaft zu machen und verzichtete auch nicht a u f die A n rufung staatlicher H ilfe im K am pfe gegen die Arbeiterbewegung.
Als nach dem F äll des Sozialistengesetzes fü r die Gewerk
schaften eine. Zeit der H ochkonjunktur gekommen war und den U nternehm erverbänden vor allem der Gebrauch staatlicher H ilfe unterbunden wurde, versuchte die Arbeit- gebersehaft in strafferer Gliederung n u r durch eigene Mittel die A rbeiterbew egung aufzuhalten. Man führte schwarze Listen und antigew erkschaftliche Reverse ein.
W ährend die ersten dazu bestimmt w aren, alle organi
sierten A rbeiter aufzunehm en, um diese jedem F abrikherrn und U nternehm er bei Neueinstellungen vor Augen führen zu können, w urden die letztgenannten V erzichterklärungen den A rbeitern beim E in tritt zur U nterschrift vorgelegt.
Mit ihrer Abgabe verpflichteten sie sich, keinerlei gewerk
schaftliche Bindungen einzugehen, m it ändern Worten, sich keiner Gewerkschaft anzuschließen. Als diese M aß
nahme auch nichts half, versuchten die Arbeitgeberver
bände, die Abwehr besser zu organisieren durch E rrich
tung sogenannter eigener Arbeitsnachweise. Die von diesen Stellen ausgegebenen A rbeitslegitim ationen waren aber in W irklichkeit keine A rbeitsnachw eispapiere, son
dern ausgesprochene K ontrollbescheinigungen in politi
scher H insicht. Man konnte sich als U nternehm er da
durch freihalten von organisierten A rbeitern. Die Ver
m ittlungsstellen bedeuteten eine Zeitlang eine nicht zu unterschätzende G efahr f ü r den B estand der Gewerkschaf
ten. Aber schon 1910, also bereits vier Ja h re vor dem W eltkrieg, hatte man a u f seiten der Arbeitgeberverbände eingesehen, daß der Entw icklung der Gew erkschaften nicht mehr erfolgreich entgegengetreten werden könne, und schaffte diese E inrichtungen, die letzten E ndes fü r die Arbeitsuchenden einen Zw angscharakter trugen, wieder ab.
M an erkennt also, daß sämtliche V orkriegsm ittel der U nternehm erschaft gegen die G ewerkschaften au f die D auer ohne jeglichen E rfo lg geblieben sind.
Es überrascht daher nicht, daß schon vor dem K rieg in einer Reihe von F ällen A rbeitsbedingungen zwischen A r
beitgebern einerseits und Angestellten und H andarbeitern anderseits in einem V ertrage, der die gesamte Belegschaft betraf, festgelegt und von den V e rtrete rn der beiden Ver
trag sp arteien angenommen und dadurch als gültig erklärt wurden. W enn es dam als bereits derartige Vereinbarungen gab, dann insbesondere auch deshalb, weil hauptsächlich die kleineren U nternehm ungen und noch m ehr das H and
werk leichter als die G roßindustrie und sonstige bedeutende F irm en fü r die Zubilligung von Bedingungen und Zuge
ständnissen zugängig gem acht werden konnten.
A ber rascher als m an glaubte, h at der K a m p f zwischen den O rganisationen der U nternehm er und A rbeiter dann durch den K rieg ganz allgemein ein Ende e rfa h re n ; inso
weit wenigstens, als noch vor der Revolution im November 1918 die A nerkennung der Gewerkschaften als V ertrete
rinnen der A rbeiterschaft seitens der A rbeitgeberschaft vertraglich zugestanden wurde, wodurch dem jahrelangen Ringen der A rbeiter v orerst ein grundsätzliches Ziel gegeben und der K a m p f a u f eine andere G rundlage gestellt wurde.
So w ar die R echtsordnung allmählich zur gegenseitigen A nerkennung der frei gebildeten A rbeitnehm er- und A r
beitgeberverbände und der von ihnen abgeschlossenen Ge
sam tvereinbarungen gelangt. A llerdings w ar die E in fü h rung dieser K ollektivverträge überwiegend nicht der E in sicht, sondern dem E rfo lg der Macht der Gewerkschaften
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zuzuschreiben. Insgesam t unterstanden in Deutschland etwa 10 Mill. Menschen den Bedingungen derartiger V er
einbarungen, so daß man von dem ganzen W irtsch afts
leben als allgemein vertraglich gebunden reden konnte.
Diese Kollektivabschlüsse nannte man ganz generell T a rif
verträge, weil sie T arife enthielten, nach denen die den beteiligten G ewerkschaften angehörenden M itglieder be
zahlt werden m ußten, solange das Tarifabkom m en gültig war. Die Abrede w ar eine V erständigung über Arbeitsnorm als Grundlage fü r künftige V ereinbarungen. Sie nahm den Individualvertrag zwischen den einzelnen A rbeitgebern und Arbeitnehm ern heraus und schaffte allgemeine G rund
sätze f ü r A rbeitsverhältnisse der Zukunft.
Diese Ü bereinkünfte eines T arifvertrages erstreckten sic h , natürlich nicht allein au f die Löhne und Gehälter, sondern um faßten z. B. auch die Dauer der Arbeitszeit, die Be
schäftigung von F rauen und K indern, die Einstellung von ge- und ungelernten A rbeitern, die D auer der Lohn- und Gehaltszahlungsperioden, die Länge der Urlaubszeit, ohne allerdings sämtliche F ragen, die in einem Betrieb akut werden können, zu erschöpfen und zu regeln. A ber die hauptsächlichsten Gründe f ü r A useinandersetzungen zwi
schen A rbeiterschaft und A rbeitgeber waren üblicherweise durch die T arifvereinbarung beseitigt.
Praktisch bedeuteten diese Tarifabkom m en — wenigstens innerhalb des von ihnen erfaß te n Personenkreises — da sie eine F estlegung der Arbeitsbedingungen m it W irkung fü r die in den abschließenden Verbänden organisierten Mitglieder enthielten, wenn auch keine völlige Ausschal
tung, so doch eine starke V erw ässerung des Gedankens vom freien A rbeitsvertrag, eine Tendenz, die sieh im Wege der allgemeinen V erbindlichkeitserklärung auch darüber hinaus au f alle in einem bestimmten Bezirk und einem be
stimmten Betriebszweig Tätigen ausdehnen konnte.
Was blieb überhaupt noch von der freien V ereinbarung übrig? Lediglich die Ü bereinkunft, einen Menschen in einem bestimm ten B eruf zu beschäftigen, also festzulegen, in welcher A rt der Einzelne au f Grund des T arifvertrages seine T ätigkeit ausüben sollte, w ar noch die A ufgabe der freien Abrede. Sobald aber dies geregelt war, tra t das tarifliche Abkommen in K ra ft, und somit waren alle weiteren Rechte und Pflichten der A rbeiterschaft und der A rbeitgeberschaft festgelegt, d. h. beide Teile hatten A n
spruch au f die hierin vereinbarten Arbeitsbedingungen.
3. D e r E in flu ß d e s p riv a te n R e c h te s
Die Einengung und Durchbrechung des freien A rbeits
abkommens vollzog sich nicht n u r dadurch, daß dem V er
langen au f E in fü h ru n g von Tarifverträgen,, das geschicht
lich eine der ersten Forderungen der A rbeiterbewegung und somit der gewerkschaftlichen Entw icklung gewesen ist, nachgegeben wurde, sondern auch infolge des E in
greifens der staatlichen Gesetzgebung zugunsten der w irt
schaftlich schwächeren Arbeitnehmer. Das Ergebnis hier
von w ar ein Ausbau des A rbeitsvertragsrechtes durch zwingende V orschriften über das R echtsverhältnis zwischen A rbeitgeber und A rbeitnehm er, sowie die E ntstehung eines neuen Rephtsgebiefes, nämlich des Arbeitssehutzreehtes.
Die G rundlage unseres A rbeitsrechtes in engerem Sinne bildeten die entsprechenden Bestim mungen im BGB von 1896, im LIGB von 1897 sowie in der Gewerbeordnung von 1869.
Das BGB gibt hauptsächlich — die V orschriften beruhten im wesentlichen a u f den §§ 611 bis 630 — die allgemeinen Normen über die G eschäftsfähigkeit, den D ienstvertrag
und die G eschäftsbesorgung im A ufträge. Eine E rgänzung hierzu bildeten die Bestimmungen der K onkursordnung von 1898, insbesondere hinsichtlich der Einw irkung des Kon
kurses au f bestehende D ienstverträge sowie das Gesetz gegen den unlauteren W ettbewerb von 1909.
Das H B G regelte vornehmlich — in erster Linie kamen die H 58 bis 83 in B etracht — das V erhältnis kaufm änni
scher Angestellter und Lehrlinge.
Die Gewerbeordnung gibt einerseits Normen fü r die Rege
lung der Dienstverhältnisse in gewerblichen Betrieben, und zwar fü r die rein körperliche als auch fü r höhere überwiegend geistige Tätigkeit, anderseits bildete sie das Grundgesetz fü r den Arbeitsschutz. Leitender Gesichts
punkt h ie rfü r war, die äußeren Umstände der A rbeitsver
richtung soweit als möglich von allem fern zu halten, was zur gesundheitlichen Benachteiligung führen könnte.
W eiterhin verschaffte sich der S taat unm ittelbare Eingriffs
möglichkeiten in den einzelnen A rbeitsvertrag, wiederum zum ' Schutze der Arbeitnehmer als der w irtschaftlich Schwächeren. Dies geschah durch die V orschriften des Gesetzes über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 12. J a n u a r 1923, der N euordnung betr. M aßnahm en gegen
über Betriebsabbrüehen und -Stillegungen vom 8. November 1920 und des Gesetzes über die F risten fü r die K ündigung von Angestellten vom 9. Ju li 1926. Das erstgenannte Ge
setz regelte die U nterbringung der Kriegs- und U nfall
beschädigten in der W irtschaft und gab insbesondere Schutzbestimmungen gegen ihre Entlassung. Die S till
legungsverordnung lag au f der gleichen Linie der E in schränkung des Entlassungsreehtes der Arbeitgeber. Das gleiche gilt von dem oben letzterwähnten Gesetz, das m ehr
monatige K ündigungsfristen fü r langjährige Angestellte, gestaffelt nach B eschäftigungsjahren, vorsah.
Diese vorgenannten Bestimmungen bewirkten, indem sie einmal den Abschluß, zum ändern die A uflösung des Ar- beitsverhältnisses unter gewissen Voraussetzungen zur Pflicht machten oder verboten, eine Durchbrechung des Gedankens vom freien A rbeitsvertrage in einem bisher nie gekannten Umfange.
4 , D as W esen d es frü h e re n A rb e its v e rtra g e s Das bisherige A rbeitsvertragsrecht war ein fast rein p r i
vates Recht. Die Tatsache, daß es sieh somit hierbei um einen Ausfluß des zu Beginn des liberalistisehen Zeit
alters aufgetauchten Gedankens vom freien Arbeitsabkom
men handelt, ließ sich nicht verkennen. Der Gesetzgeber beschränkte sich lediglich darauf, zum Schutz der w irt
schaftlich schwächeren A rbeitnehm er gewisse Auswüchse der U nternehm er als der mächtigeren V ertrag sp artn er zu verhindern.
Rechtslehre und Rechtsprechung stellten die Gestaltung und Auswirkungen des früheren Arbeitsabkommens unter den H errschaftsbereich bürgerlich-rechtlicher V ertrag s
grundsätze. Diejenigen Bestim mungen des BGB, der K on
kursordnung, des H GB und der Gewerbeordnung, die sich auf das D ienstverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und A rbeiter bezogen, gingen im wesentlichen und allgemeinen von der geistigen Grundeinstellung aus, daß der Effekt, d. h. also Leistung und Gegenleistung das Entscheidende ist. Die A rbeitsvereinbarung wurde als ein gegenseitiger schuldrechtlicher V ertrag bezeichnet, durch den der A rbeit
nehmer vom U nternehm er zur Leistung unselbständiger Arbeit gegen E ntgelt angestellt wird. Es herrschte also eine materielle A uffassung der Arbeit. Die Anschauung einer vergangenen Epoche h at sich als unfähig erwiesen, den Menschen als das M aß aller Dinge rechtlich zu formen,
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vielmehr die geleistete A rbeit als eine gewisse Menge W are betrachtet.
So w urde das Leben praktisch zu einem Reehenexempel von A rbeitsstunden. E ine d era rt m aterialistische Behand
lungsweise w ar nicht in der Lage, das Problem einer L au f
bahngestaltung menschlichen Berufslebens zu lösen.
Die zahlreichen E rgänzungen und Abänderungen, die die obengenannten Rechtsnorm en nach ihrem E ntstehen er
fuhren, haben in der Folgezeit bis gegen Ende des W elt
krieges an der vorstehend gekennzeichneten G rundein
stellung kaum etwas geändert.
II. D as G esetz zur O rdnung
der nationalen A rbeit als G rundlage des künftigen A rb eitsvertragsrech tes
Das Gesetz zur O rdnung der nationalen A rbeit vom 20. J a n u a r 1934 begnügt sich nicht damit, die Grundlage des künftigen deutschen A rbeitsreehtes zu bilden und be
reits dam it eine entscheidende Bedeutung f ü r den Neubau der deutschen Sozialverfassung zu erlangen, der Endzweck geht vielmehr weiter. E r kommt in der Ü berschrift des Gesetzes treffend zum A usdruck: der Gesetzgeber will nicht n u r Recht setzen, sondern darüber hinaus eine neue S ozialordnung selbständig aufrichten.
Schon technisch ist das Gesetz ein g roßer W urf. In nur 63 P arag rap h e n (abgesehen von den Schluß- und Über- gangsvorsehriften), die in sechs fest umrissene Abschnitte gegliedert sind, werden einem heißum strittenen Rechts
stoff, der wie kein anderer in das politische, soziale und w irtschaftliche Leben unseres Volkes eingreift, klare N or
men gesetzt. Insgesam t besteht das Gesetz, das in seinem H au p tteil noch w ährend des Ja h re s 1934, am 1. Mai, dem F eiertage der nationalen A rbeit in K ra ft getreten ist, aus folgenden sieben A bschnitten 1) :
1. F ü h re r des Betriebes und V ertrauensrat, 2. Treuhänder der Arbeit,
3. Betriebsordnung und T arifordnung, 4. Soziale E hrengerichtsbarkeit, 5. K ündigungsschutz,
6. A rbeit im öffentlichen Dienst, 7. Schluß- und Ü bergangsvorschriften.
Die meisterliche K n ap p h eit des Gesetzes wird darin noch deutlicher, daß elf wichtige und schwierige sozial- sowie arbeitsrechtliche Gesetze und V erordnungen, vor allem das Betriebsrätegesetz, fern er die T arif-, Stillegungs- und Schlichtungsverordnung nicht nur form al aufgehoben, son
dern auch tatsächlich ersetzt oder erledigt wurden. W ie der A ufbau, ist auch die Sprache des Gesetzes fest, ein
fach und klar. Schon daran ist zu erkennen, daß hier ein w ohldurchdachter, ausgereifter P lan au f weite Sicht eine ihm gem äße F orm gefunden hat. Und das ist fü r den Be
stand, f ü r die Geltung und die W irkung des hier neben der erstrebten Sozialordnung gesetzten Rechtes von höch
ster W ichtigkeit. Es ist zu wünschen, daß die noch zu er
w artenden Einzelgesetze sowie sonstige Richtlinien und V orschriften wie die endgültige D urchführung selbst den großen Zug und die K larh eit dieses Grundgesetzes be
wahren, wie sie auch in den bisher ergangenen acht D urch
führungsverordnungen (die erste am 1. M ärz 1934, die letzte am 28. Septem ber 1934) zum A usdruck kommen, denn Richtigkeit, E infachheit und Übersichtlichkeit der Normen und E inzelvorschriften sowie die Zuverlässigkeit der Rechtsanw endung bedeuten hier alles.
<) V g l. h ie r z u a u c h D r . M achem ehl, „ D a s G esetz z u r N a ti o n a le n A r b e i t “ , T e c h n . u . W i r ts e h . J g . 27 (1934) S. 105 ff.
Bei der m ateriellen W ürdigung des seinerzeit m it b egreif
licher S pannung erw arteten und schon nach dem B ekannt
werden der ersten Grundzüge allseitig b egrüßten Gesetz
werkes, ist es nötig, sich darüber k la r zu werden, wie sich das Gesetz grundsätzlich von dem bisher kodifizierten A r
beitsrecht unterscheidet.
III. Die W andlungen des A rb eitsvertragsrech tes 1 . G ru n d s ä tz lic h e s
Der E inbruch der nationalsozialistischen W eltanschauung in das Gefüge des A rbeitsvertragsrechtes bedeutete ein völliges A ufräum en m it den geistigen Einstellungen, die bisher dieses Gebiet beherrschten. Sie beruhten au f dem das deutsche Volk in zwei feindliche L ager teilenden In te r
essenstreit zwischen A rbeitgeber und A rbeitnehm er.
Beeinflußt werden die arbeitsvertragrechtlichen A n
schauungen durch das nationalsozialistische Gedankengut von fü n f Seiten. E inm al u n te r dem G esichtspunkt der U nterstellung des A rbeitsverhältnisses u n te r das Gesamt
wohl, zum ändern durch die E rric h tu n g der Betriebs
gem einschaft und der Zuweisung der dieser zufallenden A ufgaben, drittens durch die V erkündung des F ü h rer
p rinzips in der Betriebsgem einschaft, viertens durch die E in fü h ru n g des Persönliehkeitsgedankens in das Arbeits
recht überhaupt und fü n fte n s durch das E rstark en des öffentlich-rechtlichen Gedankens, der im übrigen in der heutigen Z eit ganz allgemein in zunehmendem M aße zahl
reiche, ehedem der privatreehtlichen G estaltung über
lassene Lebensbereiehe erfaß t.
2. D e r G ru n d s a tz d e s G e m e in w o h ls
D er schaffende Mensch steht im M ittelpunkt des Staates, dessen oberstes Gesetz somit die A rbeit zum W ohl des gesamten Volkes ist. Dieser Leitgedanke hat zwangsläufig eine natürliche U nterordnung der am A rbeitsvertrag be
teiligten Personen und P arteien u nter das Gesamtwohl zur Folge. Das A rbeitsordnungsgesetz betont daher nicht das Trennende zwischen U nternehm er und A rbeiter, das uns in der V ergangenheit unendlichen Schaden zugefügt hat, ja es verm eidet sogar sorgfältig, die A usdrücke „A rbeit
geber“ und „A rbeitnehm er“ auch n u r ein einziges Mal zu gebrauchen. Sein G rundgedanke ist allein das Einigende.
An die Stelle des M ißtrauens h at die A tm osphäre des V ertrauens zu treten, und beide P arteien des A rbeitsver
hältnisses haben sich in gem einsamer A rbeit neben der F örderung der Betriebszwecke den gemeinen N utzen von Volk und S ta a t zum Ziele zu setzen (§ 1 des Gesetzes).
Von einer d era rt hohen W arte aus gesehen, gewinnen die Beziehungen zwischen den K ontrah en ten einen ungleich höheren ethischen W e rt und In h alt, als sie frü h e r jemals hatten.
3 . S c h a ffu n g u n d A u fg a b e n d e r B e trie b s g e m e in s c h a ft Die schieksalsm äßige V erbundenheit von U nternehm ern und A rbeitern w irkt sieh im kleinsten R ahm en im Be
triebe aus. Z u r V erw irklichung des G rundgedankens des Gemeinwohls ist es also notw endig, eine Betriebsgemein- sehaft zwischen dem U nternehm er einerseits und den An
gestellten sowie H an d a rb e ite rn anderseits entstehen zu lassen. Das Gesetz geht daher aus von der Betriobsgemein- sehaft als der T rägerin der nationalen E rzeugung und der Urzelle der nationalen W irtsch aft. D am it ist zum ersten Male die nationalsozialistische A u ffassu n g von der G em einschaftsarbeit zwischen dem U nternehm er und seinen M itarbeitern gesetzlich verankert worden.
Die der B etriebsgem einschaft gestellte A ufgabe, zw ar die größtm ögliche E rgiebigkeit und W irtsch a ftlich k e it der
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Betriebsleistungen anzustreben, dabei aber als Endziel den Betriebsegoism us nicht rücksichtslos zu überspannen, son
dern dem gemeinen Nutzen von Volk und S taat zu dienen, ist n u r logisch, stellt doch die Betriebsgem einschaft ledig
lich einen Teil der Volksgem einschaft dar, so daß auch im Leben eines U nternehm ens der Gemeinnutz dem betrieb
lichen E igennutz vorgehen muß.
Gleichzeitig w ählt das Gesetz den Betrieb als die n a tu r
gegebene ‘G rundlage des A rbeitsverhältnisses, au f der sich eine personenrechtliche Beziehung zwischen U nternehm er und A rbeiter entwickelt. Diese au f H erstellung einer dauernden die Personen als solche ergreifenden Gemein
schaft (nicht lediglich au f die B ew irkung einzelner Leistungen gerichtete V erbindung), die den A rbeitgeber mit seiner Belegschaft in der Betriebsgem einschaft um schließt, soll nicht n u r das w irtschaftliche Streben im Betrieb und die F ö rderung des Allgemeinwohls zu einer gemeinsamen A ufgabe gestalten, sondern darüber hinaus auch die Beteiligten zusam m enführen und so die Regelung der beiderseitigen Beziehungen erleichtern.
Die vorstehenden A usführungen zeigen, daß der Gesetz
geber es insbesondere au f die innere Betriebsgem einschaft abgestellt hat. E in derartiges Gefühl der Zusammen
gehörigkeit, wie es in diesem Begriff zum A usdruck kommt, m uß — richtig verstanden — weit hinausgehen über den G rundsatz der sozialen A rbeits- und Betriebs
gemeinschaft, wie ihn schon das Reichsgericht in der be
kannten Entscheidung vom 6. F eb ru ar 1923 zur F ra g e des Betriebsrisikos aufgestellt hatte.
4. F ü h re rg ru n d s a tz in d e r B e trie b s g e m e in s c h a ft In der Betriebsgem einschaft gibt es, wie gesagt, keine Arbeitgeber und Arbeitnehm er, sondern n u r den F ü h re r des Betriebes und die Gefolgschaft. Das Gesetz unterstellt also das A rbeitsverhältnis im Betriebe dem F ührerprinzip.
Der F ü h re r entscheidet in allen im A rbeitsordnungsgesetz geregelten sozialpolitischen F ra g en des Betriebes. A uf die rein kaufm ännischen und technischen Belange erstreckt sieh das Entscheidungsrecht des F ü h re rs als solches nicht.
W er hierüber zu befinden hat, bestim m t sich nach den ein
schlägigen V orschriften des BGB und des H G B. Dies ist in den Ausnahm efällen wichtig, in denen F ü h re r und U nternehm er in Abweichung von § 1 des A rbeitsordnungs
gesetzes nicht dieselbe P erson sind.
Die Entscheidung des F ü h rers d a rf nicht willkürlich sein.
Auch d a rf er sich bei seinem E ntschluß nicht von eigenen selbstsüchtigen Interessen leiten lassen. Aus den E in
gangsparagraphen des A rbeitsordnungsgesetzes geht her
vor, daß der F ü h re r bei seiner Entscheidung drei Um
stände zu berücksichtigen hat, f ü r die er zugleich v erant
wortlich gem acht w ird: Das W ohl der Gefolgschaft, die F örderung der Betriebszwecke und den Gemeinnützen von Volk und S taat. H ieraus die richtige Synthese zu finden, wird im Einzelfalle nicht immer leicht sein.
F ü r den A rbeitgeber w ar die Leitung eines Unternehmens ein Rechenexempcl, bei dem Menschen und Zahlen gleich
w ertig gegenüberstanden. D er F ü h re r eines Betriebes aber k äm p ft an der Spitze seiner Gefolgsangehörigen um A r
beit und B rot, er hält seine Belegschaft bei schlechtester Beschäftigung auch u nter persönlichen O pfern durch, so
w eit es irgend geht, er rechnet nicht n u r in Reichsmark und K onten, er fü h lt sich auch sozial verantw ortlich fü r das W öhl seiner M itarbeiter. Dieser E instellung ent
spricht es auch, daß der F ü h re r wichtige Beschlüsse nicht fa ß t, ohne vorher V ertreter der Belegschaft hierzu um
ihre M einung zu frag en und sich au f diese Weise die E r
fahrungen der Betriebsangehörigen zunutze zu machen.
In den Fällen, in denen ein V ertrau en srat besteht, kommt dieser, der das O rgan der Betriebsgem einschaft darstellt, als Beratungsausschuß in Betracht. E r hat schon in seiner Zusammensetzung ('inen ändern C harakter als der frühere B etriebsrat, und auch in seinen A ufgaben unterscheidet er sich wesentlich von diesem. D aß ein V ertrau en srat erst in allen U nternehm en m it regelm äßig mindestens 20 Beschäf
tigten gebildet wird, zeigt, daß man von der Erw ägung aus
ging, der F ü h re r einer kleinen F irm a könne die zur A u f
rechterhaltung des V ertrauensverhältnisses erforderlichen persönlichen Beziehungen zur Belegschaft selbst pflegen. Tn großen U nternehm ungen ist dies unmöglich. Die Zahl der dortigen V ertrauensm änner ist zwar gestaffelt nach der Beschäftigtenanzahl, beträgt jedoch höchstens zehn. Durch diese Beschränkung wurde der W iederkehr der alten
„B etriebsparlam ente“ wirksam vorgebeugt.
Da der V ertrau en srat innerhalb des ihm eingeräumten Tätigkeitsbereiches lediglich beratend zu wirken h at und anderweitig V ertreter der Belegschaft nicht einmal g u t
achtlich gehört zu werden brauchen, ist in die H and des Betriebsführers das volle Entscheidungsrecht über sein Unternehmen, dam it aber zugleich eine erhöhte V erant
w ortlichkeit zurückgege'ben worden. Unabhängig vom Be
stehen eines V ertrauensrates h a t der F ü h rer die endgültige Entscheidung stets selbst zu treffen, und n u r er allein trä g t auch h ie rfü r die volle V erantw ortung.
Lediglich der Treuhänder der A rbeit bildet eine Be
rufungsinstanz, denn er kann, falls ein U nternehm er Be
schlüsse fa ß t, die mit den w irtschaftlichen und sozialen V erhältnissen des Betriebes nicht vereinbar erscheinen, auf schriftlichen A nruf durch die M ehrheit der V ertrauens
m änner die Entscheidung des B etriebsführers aufheben und von sich aus die erforderliche Regelung treffen.
5. D e r D u rc h b ru c h d e s P e r s ö n lic h k e its g e d a n k e n s im A rb e its v e rtra g s e lb s t
Dem G rundsatz und A ufbau der Betriebsgem einschaft ent
sprechend erhält auch die Regelung der A rbeitsbedingun
gen selbst einen ändern C harakter. Die bisherige Rechts
ordnung hatte die überwiegend nach dem Vorbild der römisch - rechtlichen Dienstmiete ausgestalteten V or
schriften des BGB über den D ienstvertrag, der gerade im Gegensatz zum A rbeitsvertrag die Leistung selb
ständiger und unabhängiger A rbeit zum Gegenstand hat, zu beherrschenden Regeln des A rbeitsreehtes erhoben.
Demzufolge wurde der A rbeitsvertrag seinem wesentlichen Inh alt nach als ein sdhuldrechtlieher -— regelm äßig ent
geltlicher — V ertrag des bürgerlichen Rechtes über die Leistung abhängiger A rbeit umschrieben. Insbesondere in den letzten Ja h re n w ar das A rbeitsverhältnis zu einem rein m ateriellen Abkommen geprägt worden. Das soziale Leben hatte jegliche persönlichen Elemente verloren und der unpersönliche S ta a t die W ohlfahrt über die P arteien des A rbeitsvertrages übernommen. Demgegenüber h at die nationalsozialistische Reehtsansdhauung die persönlichen und sittlichen Elemente des Arbeitsverhältnisses in den V ordergrund gestellt. E rst u nter dem Einfluß der national
sozialistischen W eltauffassung beginnt sich die E rkenntnis durehzusetzen, daß dem A rbeitsvertrag ein überwiegend seelischer Grundgedanke, der ein personenrechtliches Band um U nternehm er und A rbeiter schlingt, innewohnt.
Bezeichnend f ü r das deutsche Rechtsleben im alten Staate ist, daß es erst eines Z urückgreifens auf den altgerm a- mischen T reudienstvertrag bedurfte, um das Wesen des
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1 /
deutschreehtlichen A rbeitsverhältnisses' herauszuarbeiten.
Durch den Treuegedanken w urde die innere Aus- und Um
gestaltung des bisher a u f schuldrechtlieher Beziehung be
ruhenden A rbeitsvertrages dem deutschrechtlichen T reu
dienstvertrag in starkem M aße angeglichen. Die A nknüp
fung an diese deutschreehtlichen G edankengänge und dam it a n altes deutsches Rechtsempfinden, das schon frü h zeitig den Adel der A rbeit erkannt hatte, kommt am sinn
fälligsten schon darin zum Ausdruck, daß das A rbeits
ordnungsgesetz fü r die Belegschaft des Betriebes die Be
zeichnung „G efolgschaft“ erstm alig anwendet,
ln W issenschaft und P ra x is w ird somit endlich der P e r
sönlichkeitsgedanke E in fü h ru n g finden, der au f der U n ter
nehm erseite eine weitgehende F ü r s o r g e p f l i c h t und a u f der A rbeiterseite eine sta rk ausgeprägte T r e u - p f l i e h t in sieh schließt. W enn auch der frü h ere schuld- rechtliche A rbeitsvertrag eine Fürsorgepflicht des A rbeit
gebers gegenüber dem A rbeiter und eine gewisse Treue- verpfliehtung des letztgenannten zum U nternehm er in be
stimmtem U m fange vorsah, so werden diese wechselseitigen V erpflichtungen doch künftig h in die tragenden P feiler des A rbeitsvertragsrechtes bilden.
M it den V orschriften des neuen Gesetzes wandelt sich demgemäß grundsätzlich der bisherige C harakter des A r- beitsvertragsrechtes also auch insofern, als die Festsetzung der Bestim mungen, die die R egelung der A rbeitsbedingun
gen betreffen, zu einem wesentlichen Teil aus den K onfe
renzsälen der B erufsverbände und B erufsgruppen wieder in den B etrieb zurüekgelegt wird. Da es rein interessen
m äßig orientierte K ollektivvertretungen von U nternehm ern und A rb eitern nach A uflösung der A rbeitgeber- und A r
beitnehm erverbände nicht m ehr gibt, sind infolgedessen auch zwischen ihnen gem einschaftliche V ereinbarungen, wie sie das frühere Recht kannte, nicht m ehr möglich. An Stelle dieser Abkommen, wie sie in Ü bereinkünften inner
halb gewisser Gewerbezweige sowie im T arifv ertrag ihren A usdruck fanden, tr itt die B etriebsordnung, die die Rege
lung der A rbeitsbedingungen in dem ihr vorgeschriebenen Rahmen in A nlehnung an die Gewerbeordnung vom im m t.
Alles w as innerhalb des U nternehm ens vereinbart werden kann, soll grundsätzlich diesem Vorbehalten bleiben. Die Grenze fü r die Zulässigkeit der betrieblichen Regelung, die die Rücksicht a u f das Gemeinwohl erfordert, zieht das Gesetz durch die E inschaltung des Treuhänders der Arbeit, der nicht n u r R ichtlinien f ü r den In h a lt von B etriebsord
nungen und Einzelarbeitsverträgen festsetzen kann, son
dern auch in der Lage ist, nach B eratung in einem Sach
verständigenausschuß eine T arifordnung schriftlich zu er
lassen, wenn die F estlegung von M indestbedingungen zur Regelung der A rbeitsverhältnisse zwecks Schutzes der B e
schäftigten einer G ruppe von U nternehm en seines Bezirkes zwingend geboten erscheint. Is t eine derartige O rd
nung erlassen, so sind ihre Bestimmungen als M indest
bedingungen f ü r die von ihr erfaß te n A rbeitsverhältnisse, entsprechend der bisherigen U nabdingbarkeit norm ativer T arifv o rsch riften rechtsverbindlich. Entgegenstehende Be
stim m ungen in B etriebsordnungen sind nichtig.
6 . D as V o rd rin g e n d es ö ffe n tlic h e n R e c h ts
D as neue A rbeitsordnungsgesetz weist eine Reihe öffent
lich-rechtlicher Erscheinungsform en a u f und gestaltet so das A rbeitsvertragsrecht weitgehend um, indem es seine bisherigen privatrechtlichen G rundlagen sta rk einsehränkt.
W enn beispielsweise das Gesetz bestimmt, daß einerseits der U nternehm er f ü r das W ohl der B eschäftigten zu sorgen h a t und anderseits diese ihm die in der Betriebs-
gem einsehaft begründete Treue zu halten haben, so handelt es sich dabei in erster Linie um im öffentlichen Recht ver
ankerte Pflichten, die dem S taate gegenüber geschuldet werden und daher nicht im Wege v ertraglicher Abrede erlassen w erden können.
Besonders deutlich kommt die stärkere B etonung des öffentlichen Rechtes bei der N euregelung der a u f den E inzelarbeitsvertrag einwirkenden Gesam tvereinbarungen zum A usdruck. W ährend frü h e r A rbeitsordnung und Tarifabkom m en, soweit Schiedssprüche nicht in Frage kamen, im W ege vertraglicher Ü bereinkunft entstanden, werden nunm ehr k ü n ftig B etriebs- und T arifordnungen vom U nternehm er bzw. vom T reuhänder der A rbeit k raft eigener M achtbefugnis erlassen, die ihre Rechtsgrundlage im öffentlichen Recht findet. Die T arifo rd n u n g insbeson
dere h a t die E igenschaft einer öffentlich-rechtlichen Satzung, die ihrerseits den In h a lt der von ih r erfaßten Einzelarbeitsabkom m en bestimmt. D er T reuhänder kann in einer T arifo rd n u n g Schiedsgerichte zu r Entscheidung von S treitigkeiten aus A rbeits- und Lehrverhältnissen unter A usschluß der A rbeitsgeriehtsbarkeit vorsehen.
Mit der T arifo rd n u n g tr itt neben die frei verantw ortliche Festlegung der A rbeitsbedingungen durch den B etrieb das staatlich gesetzte zwingende Recht. Z w ar fan d dieses bis
her auch in der V erbindliehkeitserklärung von Kollektiv
vereinbarungen sowie Schiedssprüchen Ausdruc-k, jedoch beruhte es beim T arifv e rtra g a u f dem W illen der V ertrags
parteien. Die T arifo rd n u n g dagegen, die k ü n ftig die einzige F orm der übertariflichen R egelung ist, gründet sieh allein au f dem W illen des an die W eisungen und Richtlinien der Reichsregierung gebundenen Treuhänders der Arbeit.
Pflichten öffentlich-rechtlichen In h altes enthalten auch die V orschriften über die soziale E hrengerichtsbarkeit. So trä g t zunächst jed er A ngehörige der Betriebsgem einschaft die V erantw ortung f ü r die gew issenhafte E rfü llu n g der ihm obliegenden Pflichten. E r hat sich durch sein Verhalten der A chtung w ürdig zu eiweisen, die sieh aus seiner Stellung in der B etriebsgem einsehaft ergibt, und insbeson
dere im steten Bew ußtsein seiner V erantw ortung seine volle K ra ft dem Dienste des U nternehm ens zu widmen und sich dem Gemeinwohl unterzuordnen.
F erner ergeben sich aus den in § 36 des A rbeitsordnungs
gesetzes aufgestellten S tra ftatsb estä n d en im W ege des Umkehrschlusses folgende, sämtlich dem öffentlichen Recht entspringenden arbeitsvertragliche V erpflichtungen:
1. In te rn e h m e r, F ü h re r des Betriebes oder sonstige A ufsichtspersonen dürfen ihre M achtstellung im Be
triebe nicht dahingehend m ißbrauchen, d aß sie bös
willig die A rb e itsk ra ft der G efolgsehaftsangehörigen ausnutzen oder die E h re der B eschäftigten kränken;
2. den M itgliedern der B elegschaft ist es untersagt, den A rbeitsfrieden im U nternehm en durch böswillige V erhetzung d e r G efolgschaft zu gefährden, sich ins
besondere als V ertrauensm änner bew ußt unzulässige Eingriffe in die B e triebsführung anzum aßen oder den Gem einschaftsgeist innerhalb des U nternehm ens böswillig zu stö ren ;
3. die B etriebsangehörigen haben es zu unterlassen, leichtfertig unbegründete Beschwerden oder A nträge an den T reuhänder der A rbeit zu richten oder seinen schriftlichen A nordnungen zuw iderzuhandeln;
4. die M itglieder des V ertrau e n sra tes sind verpflichtet, vertrauliche Angaben. Betriebs- oder G eschäfts
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geheimnisse, die ihnen 'bei E rfü llu n g ihrer Aufgaben bekan nt ge worden und als solche bezeichnet worden sind, nicht unbefugt zu offenbaren.
Besondere Pflichten öffentlich-rechtlichen U rsprungs lie
gen den M itgliedern des VertraueQ srates ob. Sie haben zunächst nach § 6 Ziffer 1 des Gesetzes das gegenseitige V ertrauen innerhalb der Belegschaft zu vertiefen. F ern er sind sie a u f G rund w eiterer Bestim mungen gehalten, in ihrer A m tsführung nur dem Wohl des U nternehm ens und der Gemeinschaft aller Volksgenossen u n te r Zurückstellung eigennütziger Interessen zu dienen und in ihrer Lebens
führung und Pflichterfüllung den Angehörigen des U n ter
nehmens V orbild zu sein.
Endlich enthält das A rbeitsordnungsgesetz noch öffent
lich-rechtliche Schutzvorschriften, die eine K ündigung des A rb e itse rtra g e s ausschließen oder beschränken. So ist nach § Id die K ündigung des D ienstverhältnisses eines Vertrauensmannes unzulässig, es sei denn, daß sie infolge Stillegung des U nternehm ens oder einer Betriebsabteilung erforderlich w ird oder aus einem Grunde erfolgt, der zur Auflösung des Dienstverhältnisses ohne E inhaltung einer
K ündigungsfrist berechtigt. F ern er steht nach § 56 ff.
jedem H andarbeiter oder Angestellten nach einjähriger B eschäftigung in der gleichen F irm a das Recht zu, die K lage au f W id erru f der K ündigung zu erheben.
Alle diese vom Gesetzgeber im einzelnen umrissenen Pflich
ten sind öffentlich-rechtlicher N atur und wirken k ra ft dessen unm ittelbar au f den In h a lt der A rbeitsverträge ein.
Ihre Verletzung berechtigt somit zur u. U. fristlosen A uf
lösung des A rbeitsverhältnisses. A uf diese Weise hat eine E rw eiterung der Tatbestände stattgefunden, die bisher zur außerordentlichen K ündigung ausreichten.
In welchem Umfange der öffentlich-rechtliche Gedanke k ünftig sich noch au f andere Gebiete der arbeitsvertrag
lichen Beziehungen ausbreiten und diesen möglicherweise sogar sein Gepräge aufdrücken wird, steht noch dahin.
Zweifellos gibt es aber in dieser H insicht verschiedene F aktoren, die, wie beispielsweise Lohn und Gehalt, noch heute völlig oder überwiegend der privatrechtliehen Rege
lung unterliegen, deren Beeinflussung im öffentlich-recht
lichen Sinne jedoch vielerseits gefordert wird — mit wel
chem Erfolge, muß die Z ukunft lehren. [2343]
Grundlagen der Organik
Von CHRISTO PH K LO T Z S C H VDI, Köln a. Rh.
A lle menschliche Organisation unterliegt den gleichen Gesetzmäßigkeiten wie die natürlichen Organismen.
Deren wichtigste Erscheinungen, Grundbegriffe und Gesetze zeigen sich im organischen Arbeitsbegriff, im organischen A ufbaugesetz, in der A rbeitsteilung, im Gleichgewicht von Zw ang und Freiheit, in der Mechanisierung und im organischen W achstum. Bei ihrer allgemeinen Besprechung wird au f Parallelen und Sonderfälle in der menschlichen Organisation und da vor allem wieder in der W irtschaft hin
gewiesen.
Organik ist die Lehre von der O rganisation. O rganisie
ren heißt einheitliche Organismen bilden durch geeignetes Zusammenwirkenlassen einzelner Organe.
Gewöhnlich machen die Menschen beim O rganisieren einen grundlegenden F eh le r: Sie berücksichtigen nur einzelne bestimmte Zwecke, ohne au f die Einheitlichkeit des Ge
samtorganismus zu achten. Auch die Stellen, die zur Pflege und zum Ausbau der W issenschaft von der O r
ganisation berufen wären, z. B. die Sebriftleitungen der einschlägigen F achzeitschriften und die H erausgeber unsres gesamten O rganisationsschrifttum s, zersplittern sieh zumeist im Behandeln von Einzelfragen, sta tt endlich erst einmal die verschiedenen Einzelerscheinungen au f ihre allgemeinen Zusam menhänge zurückzuführen. Denn nur so kann diese junge W issenschaft in der von mir frü h e r angedeuteten W e ise 1) w eiter entwickelt werden.
O rganisation ist weder an die W irtsch aft noch an die Technik, noch überhaupt an menschliches Handeln aus
schließlich gebunden. I m . Gegenteil, der allgemeine w irt
schaftliche N iedergang nach dem W eltkrieg 1914 bis 1918 beweist ja, wie wenig die Menschheit von der K unst zu organisieren vorläufig noch versteht. Viel vollkommenere O rganisationen zeigt uns die N atur in ihren lebendigen Schöpfungen. W ir bestaunen hier das w underbar geregelte Zusam menwirken der verschiedenen Organe in den hocli-
1) Oh. K lo tz s e h , „ O r g a n ik als W is s e n s c h a f t“ , Z. V D I B d . 7 7 N r. 11.
organisierten Einzelwesen, Tieren oder Pflanzen, eben
sowohl wie die straffe Zusam menfassung und scheinbar geradezu planm äßige O rdnung in gewissen Gemeinwesen, wie z. B. im Ameisenstaat. Die Einzelwesen nennt die O rganik biologische, die Gemeinwesen soziale Organismen.
Sie hat zunächst zu untersuchen, welche gemeinsamen Gesetze fü r beide A rten von Organisationen gelten. So wird auch hier die N atur zur Lehrm eisterin des Menschen, und jede menschliche Organisation ist dann gerade so wie die menschliche Technik angewandte N aturwissen
schaft. N ur mit dem Unterschied, daß sieh die Technik ausschließlich mit Stoff und K ra ft, die.O rganisation aber mit Stoff, K ra ft und Leben zu beschäftigen hat.
Die exakte W issenschaft strebt danach, die verschiedenen Erscheinungen au f einheitliche Grundform en zurückzufiih- ren, nm sie dann durch M aß und Zahl zu erfassen. So sehen w ir in unserm heutigen N atur- und W eltbild alle Fragen nach Stoff und K ra ft letzten Endes durch Energie
w irkungen dargestellt. Auch in den Lebewesen finden sich keine anderen Energien als die aus Physik und Chemie bekannten. Dennoch aber lä ß t sich die E igenart des Lebendigen nicht mechanistisch, oder wie m an richtiger sagen m üßte, ausschließlich energetisch erklären. Sie be
ru h t vielmehr a u f der besondern O r g a n i s a t i o n der Lebewesen. Das ist eine grundlegende Erkenntnis. Schon K a n t deutet sie in der „K ritik der U rte ilsk ra ft“ mit fol
genden W orten an : „W ir betrachten die organisierten Wesen nach mechanischen Gesetzen, die Zusammenstim
mung und E inheit ih rer besondern Gesetze und Form en aber zugleich nach Gesetzen der Zweckmäßigkeit.“ Auch die. heutige Medizin ist von dieser A uffassung beherrscht, wie z. B. ein V ortrag des 1933 verstorbenen Internisten E. Leschke vor den Deutschen Ingenieuren b ew eist2).
Die O rganik w ird somit, wenn sie die Grundgesetze der O rganisation erforscht, auch das Rätsel des Lebens der menschlichen E rkenntnis näher bringen. Oberste A u f
gabe wird es dabei immer bleiben, die beobachteten E r scheinungen durch M aß und Zahl zu erfassen, gerade so
2) E . Lesc.hJce, „ M e c h a n ik u n d L e b e n “ , Z. V D I B d . 77 N r. 19.
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wie z. B. die P hysik A rtunterschiede au f M engenunter
schiede zurückführt, etwa die verschiedene Höhe der Töne au f verschiedene Schwingungszahlen. Denn darin be
steht der praktische N utzen einer W issenschaft, daß man die eintretenden V orgänge vorausberechnen kann. Wie weit die O rganik im Vergleich zu den technischen W issen
schaften noch von diesem Ziele entfernt ist, d ü rfte bekannt sein, aber im m erhin sind verschiedene A nfänge schon ge
macht, und zwar bedient man sieh dazu vor allem statistischer V erfahren.
D er organische A rb eitsb eg riff
Die V errichtungen der lebendigen Organismen beruhen also genau wie die der toten Mechanismen au f Energie- Umsetzung. Es wird somit A rbeit geleistet. Nun kennt die W issenschaft bisher n u r einen wohldefinierten A rbeits
begriff, das ist der der mechanischen Arbeit. So könnte zunächst auch der Begriff der organischen A rbeit als ener
getisches Problem au fg e fa ß t werden.
Allein dam it kommt man n u r bis zu einer Teillösung:
Zw ar wissen w ir schon seit Rubners U ntersuchungen in den Ja h re n 1893 bis 1901, daß der Satz von der E rh a l
tung der Energie auch fü r die belebte N atu r gilt; ebenso fest steht z. B., daß selbst die Seelentätigkeit m it Stoff
wechsel, also mit Umsetzung chemischer E nergie im Ge
hirn und Nervensystem verbunden ist. Trotzdem lä ß t sieh aber vorerst imm er n u r ein Teil der organischen A rbeit messen. Bei den biologischen Organism en können äußere Leistungen ohne Schwierigkeit erm ittelt werden, z. B. die A rbeit eines P ferdes, wenn es einen W agen von bestimm
tem Gewicht zieht. A ber schon die M uskelarbeit, die zum V ersteifen des K nochengerüstes dient, z. B. beim ruhigen H alten eines Gegenstandes m it vorgestrecktem Arm, ist unb erech en b ar3). E rs t recht die A rbeit von Nerven und G ehirn: R eflextätigkeit, In stin k t und V ernunft, Gefühl und S eelentätigkeit: W ieviel M eterkilogram m leistete etwa Goethe beim Dichten seines „ F a u s t“ 1? Auch das Leben in den sozialen O rganism en ist beständige E nergie
umsetzung. D er Stoffwechsel, den m an hier W irtsch aft nennt, besteht zumal bei den Menschen im Z eitalter der Technik aus E rzeugung und V erbrauch recht b eträcht
licher Mengen von elektrischer, mechanischer, chemischer und W ärm eenergie. U nd das K u ltu r- u nd Geistesleben benutzt zum Ü bertragen der Denkleistungen durch Sprechen, H ören, Sehen, Lesen, Schreiben im wesent
lichen au ß e r der E le k trizität die mechanische Schall- und die Lichtenergie. Doch die physikalisch m eßbaren E nergie
um setzungen kommen niemals allein vor, immer sind sie untren n b ar verbunden mit menschlicher Muskel- und Ge
hirnarbeit, die mindestens regelnd und steuernd wirkt.
D aher können w ir die G esam tarbeit eines O rganism us zu
nächst nicht m essen; denn w ir kennen kein konstantes Ä quivalent zwischen mechanischer und organischer Arbeit.
Gerade die W irtsch aft stellt uns aber vor die bittere N ot
wendigkeit, wenigstens von der praktischen Seite her einen Ausweg zu suchen: So b enutzt m an einen recht küm m er
lichen E rsatz, eine A rt von G eneralnenner, au f den die verschiedenen Form en organischer A rbeit gebracht w er
den, und mit dem man ebenso K ilow attstunden wie mensch
liche A rbeitstunden m ißt, nämlich W ert, K osten oder P re is f ü r geleistete A rbeit. D ieser W e rt schwankt aber be
ständig, selbst f ü r ein und dieselbe Arbeitsm enge, erstens wegen der fortschreitenden M echanisierung, von der sp ä ter
3) N ä h e r e s ü b e r d ie M e s s u n g o r g a n i s c h e r A r b e it s ie h e : E . A tz le r , ,, Stoff- u n d K r a f tw e c h s e l“ in s e in e m B u c h e ,,K ö r p e r u n d A rb e it, H a n d b u c h d e r A r b e its p h y s io lo g ie “ , L e ip z ig 1 9 2 7 , V e r la g G eo rg T h iem e .
die Rede ist, und zweitens, weil er in Geld gemessen w ild, das ja seinerseits auch fortgesetzten W ert- und W ährungs
schwankungen unterliegt. D aher schlagen die Techno
k r a te n 4), eine am erikanische W irtschaftsreform er-B e
wegung, vor, in der gesam ten V olksw irtschaft s ta tt mit dem veränderlichen W e rt mit dem feststehenden E nergie
m aß zu rechnen. N atürlich machen sie dabei den grund
legenden Fehler, die F ra g en der W irtsc h a ft als phy
sikalisch-energetisches Problem aufzufassen, w ährend es sich hier doch um ein organisches handelt: Die W irtschaft wird nicht von den M aschinen allein gem acht, sondern menschliches Denken und A rbeiten ist es, was den sozialen Stoff- und Energiewechsel ausschlaggebend beeinflußt.
Die Technokraten werden daher innerhalb eines w irtschaf
tenden Systems vorläufig n u r die mechanische, nicht aber die vollständige organische A rbeit messen können.
Doch in der U m rechnung in M eterkilogram m , Kalorien oder K ilow attstunden erschöpft sieh auch nicht der orga
nische Arbeitsbegriff. Das sind A ufgaben der Energetik.
W esentlich an der von den O rganism en geleisteten Arbeit ist neben A rt und Menge der Energieum setzung vor allem das unzertrennliche Zusam menwirken der einzelnen V er
richtungen und ihre Beziehungen zum Ganzen. D er orga
nische A rbeitsbegriff will den mechanischen keineswegs verdrängen oder ersetzen, im Gegenteil, er braucht ihn als notwendiges H ilfsm itte l; aber er m uß d arüber hinaus die G e s a m t w i r k u n g der einzelnen Energieum setzun
gen umfassen, die W irkung, die sich ausdrückt als Schaf
fung, E rh altu n g und E ntw icklung einheitlicher Organis
men. W ährend der mechanische A rbeitsbegriff verwickelte Gesamtprozesse in leicht berechenbare Teilumsetzungen zerlegt, f a ß t der organische A rbeitsbegriff die Teilverrich
tungen zu ih rer besondern W irk u n g a u f das Ganze zu
sammen. E r w ird als exaktw issenschaftlich geklärt gelten können, wenn es gelingt, die artm äßige Gesamtwirkung au f mengenmäßige Zusam menhänge zurückzuführen.
Das organische A u fb au g esetz
W enn auch das Zusam m enwirken der O rgane a u f Um
setzung der gleichen E nergien beruht, wie w ir sie in den physikalischen System en kennen, so unterscheiden sich die Organismen von jenen doch grundsätzlich schon dadurch, daß der Stoff- und Energiewechsel des Lebensprozesses fortw ährend V erbrauch und E rgänzung auch des äußeren Aufbaues mit einschließt. U nd zw ar w ird von der auf
genommenen Energie zunächst innerer P rozeß und Aufbau des System s gespeist. E rs t ein etwa verbleibender Über
schuß kann als ä u ß e r e A rbeit abgegeben werden. Die zur A ufrechterhaltung des inneren Prozesses und zur E r
gänzung des A ufbaues verw andte E n erg ie nennen wir entsprechend i n n e r e A rbeit. D ieser E nergiefluß inner
halb der Organism en lä ß t sich durch das bekannte S trö
mungsschaubild nach Abb. 1 darstellen.
Ä ußere A rbeit ist nicht — das wollen w ir ausdrücklich festhalten — äußerlich bem erkbare A rbeit, sondern nach außen abgegebene A rbeit. Also ein T ier oder ein Mensch, der m it seinen Beinen oder A rm en A rbeit leistet, um Nah
rung zu suchen und zu sich zu nehm en oder sich gegen einen persönlichen F eind zu wehren, leistet dam it innere Arbeit. E in Mensch aber, der A rbeit abgibt, so daß andere Nutzen davon haben, z. B. der A rbeiter in der F ab rik , der leistet äu ß ere A rbeit. E in W irtschaftsunternehm en, das nu r arbeitet, um Geld zu verdienen, verfo lg t nicht den Zweck äu ß e rer A rbeit. E in U nternehm er aber, dessen
i ) S ie h e z. B. W a y n e W . P a r r is h , „ A n o u tlin e o f T e c h n o c r a c y “ ü b e r s e tz t v o n H . P r i m : „ T e c h n o k r a t e — ■ d ie n e u e H e il s l e h r e " M ü n c h e n 19B 3, V e r la g R . P i p e r & Co.
itr
Verlusterstes Ziel ist, der V olksw irtschaft brauchbare G üter zu liefern, leistet dam it äußere A rbeit.
Wie genauere B etrachtung zeigt, sind die Organe vieler Organismen selbst wieder Organismen. So vereinigen sich z. B. selbständige Leibewesen wie die Ameisen oder Bienen, deren jedes E inzeltier schon als hochzusammen- gesetzter Organismus anzuspreehen ist, ihrerseits zu einem übergeordneten sozialen Organismus. Im sozialen Leben der Menschen sind au f diese W eise oft viele S tufen in
einandergeschachtelt. Andere Organismen wiederum kön
nen sich nicht zu übergeordneten zusammenschließen. Die E rklärung gibt das organische A ufbaugesetz:
S e l b s t ä n d i g e O r g a n i s m e n k ö n n e n z u O r g a n e n e i n e s ü b e r g e o r d n e t e n O r g a n i s m u s w e r d e n , w e n n s i e ä u ß e r e A r b e i t l e i s t e n , d i e s i c h d e m a l l g e m e i n e r e n Z w e c k e d i e s e s ü b e r g e o r d n e t e n O r g a n i s m u s e i n f ü g e n k a n n .
Bei vielen Organismen ist nun die innere A rbeit Selbst
zweck. Jene aber, die äußere A rbeit abgeben, vermögen außerdem Sonderzwecke zu erfüllen. Lassen sich diese Sonderzwecke nach den Gesetzen der A rbeitsteilung ver
einigen, so kann nach dem Aufbaugesetz ein übergeord
neter Organismus gebildet werden. Die ursprünglichen Organismen werden zu Organen, ihre äußere A rbeit zur inneren A rbeit des übergeordneten Organismus. Sieht man z. B. die W erkzeugm aeherei einer größeren F abrik, fü r die die W erkzeuge nicht V erkaufserzeugnisse, sondern Produktionshilfsm ittel sind, als selbständigen Organismus an, so ist die H erstellung der W erkzeuge äußere A rbeit;
denn sie werden an die übrige F ab rik abgegeben. Stellt man sich aber au f den S tandpunkt des Gesamtbetriebes, also des übergeordneten Organismus, so muß die H e r
stellung der W erkzeuge als innere A rbeit angesehen wer
den. Solche Überlegungen spielen bekanntlich bei der Gemeinkostenverteilung in den F abrikbetrieben eine wich
tige Rolle, und über manche strittig e F ra g e w ürden sich die Betriebsleute viel leichter einig, wenn sie sich sta tt der unklaren Ausdrücke wie produktive und unproduktive oder unm ittelbare und m ittelbare Ausgaben, Löhne oder A r
beiten des Begriffes der äußeren und inneren A rbeit be
dienen wollten.
F ü r einen Staatsorganism us ist erste und höchste A u f
gabe, seine S taatsbürger als biologische A rt und seinen Organismus als System aufrecht zu erhalten. H ier ist zu
nächst die innere A rbeit Selbstzweck. A u f dieser Stufe stehen die hoehorganisierten Insektenstaaten der Termiten, Ameisen und Bienen. Die nächste Entw icklungsstufe der
„internationalen“ Beziehungen haben sie noch nicht er
reicht. Sie w ürde voraussetzen, daß die Staatswesen äußere A rbeit als Sonderzweck leisten, die sieh einem
übergeordneten politischen Organismus einpassen ließe.
Die Menschen sollten daraus lernen, daß V erbindungen zwischen den einzelnen Völkern erst Aussicht au f E rfolg haben, wenn sie zuvor ihre eignen Staatswesen zu ein
heitlichen Organism en ausgebaut haben.
Die A rbeitsteilung
W ährend der organische Arbeitsbegriff und das Gesetz des organischen A ufbaues zu einem immerhin wesent
lichen Teil au f energetischer Grundlage beruhen, ist die A rbeitsteilung eine rein biologische Angelegenheit, sozu
sagen eine Erfindung der belebten N atur. Alle A rbeits
teilung, die die Menschen bewußt und zweckgerichtet durchführen, ist nichts anderes als die unm ittelbare F o rt
setzung der in der N atu r entstandenen. J a , wenn sie auch durch die menschliche V ernunft außerordentlich vielseiti
gen Zielen dienstbar gem acht wird, so verfolgt sie im Grunde doch in der menschlichen Gesellschaft die gleichen Zwecke wie in der gesamten belebten N atur, nämlich die Lebensbedingungen günstiger zu gestalten: Die einzelnen Lebewesen sollen sich besser ernähren, besser fortpflanzen, besser vor ihren Feinden, vor U nw etter oder sonstigen Ge
fahren schützen, kurz, ihre gesamten Lebensbedürfnisse besser befriedigen können.
A rbeitsteilung ist n u r dann möglich, wenn die einzelnen verschiedenen Tätigkeiten genügend oft wiederholt oder gar ununterbrochen in stetem F lu ß ausgeübt werden.
Beim Lebensprozeß in den biologischen und sozialen O rga
nismen ist das der Fall. I n der N atur besteht nun das eigentümliche Streben, fü r G ruppen verw andter V errich
tungen oder auch f ü r Einzelverrichtungen — je nach der H äufigkeit der W iederholung und nach der Größe des Organismus — besondere Anlagen oder Organe zu schaf
fen. So wird die organische A rbeit von einfachen A n
fängen in steter Entw icklung zu immer weitergehender U nterteilung aufgespalten. Schon die kleinste lebende Einheit, die w ir kennen, die Zelle, zeigt eine, wenn auch prim itive Arbeitsteilung. W ie sich bei den niedrigen E in zellern, z. B. bei den W eehseltierchen oder Amoeben, beobachten läßt, besorgt der zähflüssige Zelleib (P ro to plasma) Bewegung und Nahrungsaufnahm e, während dem in ihm eingebetteten Zellkern der Stoffwechsel obliegt.
Andere Funktionen, insbesondere die Fortpflanzung, neh
men noch den ganzen Zellorganismus in Anspruch. A uf der nächst höheren S tufe der Zellkolonien finden sich teils solche, bei denen trotz der geselligen Lebensweise die ein
zelnen Zellen alle ihre selbständigen V errichtungen bei
behalten haben. A ndre wieder, so die im W asser unsrer Teiche lebende K ugelalge Volvox globator, weisen zwei deutlich voneinander unterscheidbare A rten von Zellen a u f: K örperzellen und Keimzellen. Auch die K ö rp e r
zellen verm ehren sich zwar durch Teilung, bringen aber keine neuen selbständigen Wesen hervor. Das ist alleinige A ufgabe der Keimzellen, welche sieh zu diesem Zwecke nach E in tritt der R eife vom m ütterlichen V erbände los
lösen. M it dieser Scheidung in K örperzellen und Keim zellen ist die erste große S tufe in der biologischen Organik erreicht. Infolge der A rbeitsteilung genügt es, wenn ein Teil der zu engem Zusammenwirken gekuppelten Zellen atm et und friß t, also den Stoffwechsel besorgt; die ändern Zellen widtnen sich ausschließlich der F ortpflanzung und lassen sich d afü r erhalten und ernähren. Von dieser S tufe an ermöglicht die N atu r den höheren Organismen, andere A ufgaben zu erfüllen als n u r sieh fortzupflanzen und die A rt zu erhalten. Als höchste dieser A ufgaben h at die Leistung äußerer A rbeit zu gelten, die es den Organismen