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Die Zukunft, 24. October, Bd. 45.

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Berlin, den R. Oktober 1903.

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Die KaiserinseL

Vor

elfoderzwölsWochenempfingdieRedaktiondes»Vorwärts«einen

-Brief,den derSchreiber offenbar nicht fürdasCentralorgander sozialdemokratischenParteiDeutschlands bestimmt hatte.EinQuartbogen;

dasersteBlattso ausgeschnitten, daßnur KopfundRanderhaltenwar.

DerKopf trugingedrucktenLetterndasMerkmal derHerkunft:»Mitt- tärischerBegleiterSr.KaiserlichenHoheitdesKronprinzen«.Dieeistenzwei Wortewaren mitTinteausgestrichenund —wie esschien,vonderselbenKanz- listenhand,derauchderBriefdiktirtwar durchdasWort»Hofmarschall- amt««erfetzt.DerBrief mußtealsoaus derZeit stammen,wodemKron- prinzen, dessenAngelegenheitenvorherein»militärischerBegleiter«erledigt hatte, schoneineigenerHofstaatzugewiesenwar.Kinder-,magvonden Redak- teuren einergesagthaben,dieSache riechtstarknachSchwindel;wennwir vonderBeuthstraßenachderLindenstraßeübersiedeln,lassenwirneue Brief- bogendrucken: und einHofmarschalldesKronprinzen sollte so philisterhaft knauserigsein, daßer,umein paar Mark zusparen,den altenBogenvorrath mitveränderter Kopfinschrist aufbraucht?Unglaublich!.. Unglaublich?

EinSchwindlerhättedasersteBlatt nichtabgeschnitten,nichtausdrück- lichUmRandvermcrkt,erwollekeinePerson kompromittirenundhabedes- halbUnterschriftundAdresseunleserlichgemacht.DasmußteVerdachter- regen undkonnte dieRedakteure,wennsieeineKabalewitterten, auf denEinfall bringt-IVdenBrief faksimilirtzuveröffentlichenzdann wärederSchwindler Wahrscheinlichentlarvtworden. UndwasaufdemzweitenBlattstand, klang nicht spfürchterlich,daßeseinäußerstumständlichesVerfahren rechtfer- tigenkonnte. Dem ungenannten Adressatenwurde,,vertraulichderVorschlag

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mitgetheilt,imZugederinAusführungbegriffenenHeerstraßevonBerlin nach TöberitzaufderInsel PichelswerdereingeräumigesStadtschloßfür die ganzekaiserlicheFamiliezu erbauen unddieInsel, nach Expropriation derdortigen Privatbesitzer,für jeden nichtganzeinwandfreien Besucherabzu- sperren.«Dadurch solle »dieörtlicheSicherheit fürdiePersonSeinerMaje- stät« füralleFälle verbürgtwerden. Um»dieGefahrzubeseitigen«,daßder vonderskaiserlichenFamilie bewohnte Wahlkreis durcheinenRepublikaner vertreten werde,wolleman aus Pichelswerder,derDomäne Ruhleben, demBezirkderspandauerStaatswerkstätten,denGutsbezirkenDöberitz undHahnrbergeineneigenen Reichstagswahlkreisbilden,in demnurPer- sonenaus kaiserlichemundköniglicheknDienst wohnen dürfen.Andiese Mitthiilung schloßsichderSatz: »Ihr Vorschlag, wonachdieGarder.·gi- menter keine direkteRekrutenaushebungerhalten, sondern ihren Ersatz durch einwandfreie ElitemannschaftenderLinieerhaltensollen, ist wohlderEr- wägung werth.«Warum sollte dieserBrief nicht geschriebenundabgesandt sein? Gewißist, unbestreitbar, daßin derHossphäreHerren leben,denen dieSicherheitderkaiserlichenFamiliein dersozialdemokratischenResidenz gefährdetscheint.Ebenso gewiß,daßindiesenKreisen mehrals einmalschon dieFrage aufgetaucht ist,obman in der Stunde solcherGefährdungaufdie denberlinerBacillen ausgesetztenGardetruppen unbedingtzählendürfeoder obsichein anderes Rekrutirungsystemempfehle,dasdenrothenGiftstoffdem Gardecorpsfernerhalte.Werdaranzweifeltundnicht Gelegenheithat,die BerechtigungdesZweifelsinPrivatgesprächenzuprüfen, brauchtblosin daseinstvielgelobte Buchzublicken,dasderGeheimrathvonMassow vorneun Jahrenunter demTitel»ReformoderRevolutions«erscheinen ließ.Da sindimersten Kapiteldiefolgenden Sätzezulesen:»Fünfzig- tausend entschlosseneKämpferinBerlinunter dieWaffenzurufen,denen sichweiterefünfzigtausendnachdemersten Erfolg anschließen,istdensozial- demokratischenFührern schonheute ohne Schwierigkeitmöglich; undinzehn Jahrenwirdesihnen noch leichter sein,wenn dieVerhältnissenicht anders werden... Jn derNacht,wenn dieOfsiziere,mitAusnahmeterLieutenants, diein derKaserne wohnen,inihren Stadtquartieren sind,wirdderfquruhr plötzlichgegendieKasernen anstürmenunddabei mitTynamitarbeiten TieOsfiziere,die in dieKasernen eilen,wirdman durch aufgestelltePosten rechtzeitigabsangen, sie einzelnmitUebermacht angreifenundtöten.Wäh- renddieTruppen ihreKasernenvertheidigen müssenundderPolizei nicht zurHilfekommenkönnen, führtdiePolizeinur einenkurzen Kampf.

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Von einemMassenschnellfeuerempfangen,wirdsie schnelldenPlatzräumen Müssen.EingleicherEmpfangwirdder«Feuerwehrbereitetwerden,wenn sieherbeieilt,nachdemdieKaserneninBrand gestecktsind... Auf demWasserwegeließensichunter falscherDeklaration auf Schleppzügen, dieja ohne BeschwermitzuverlässigenGenossenbemannt werdenkönnten, GewehreundMunition inerforderlicherMenge einschmuggeln.Undwenn die sozialdemokratischeBewegungunterderJugend unsererarbeitendenKlassen soweiterumsichgreiftwiebisher:wer stehtunsdafür,daßinzehnJahren diejungenSoldaten nichtmit denAusrührernfraternisirenundihnendie WaffenausliefernPBeteinemgutangelegtenunddurchgeführtenPlanwürde esderSozialdemokratienicht schwer,sichbeimersten AnsturmderReichs- hauptstadtzubemächtigen.«Dann wirdgeschildert,wie,,sastdiegesammte Jnfanterie"absorbirt«würde,umdasSchloß,dasGeneralstabsgebäude,die Reichsbank,dasHaupttelegraphenamtundandere Verwaltungcentrenzu schützen;»obder ArtillerieundKavalleriealleingelingenwürde, d:nStraßen- kampf siegreichdurchzuführen,ist mehralszweifelhaft.«Das wurdevor zehnJahren geschrieben,nacheinerReichstagswahl,diedenSozialdemokraten 1700000Stimmen gebrachthatte.Von einemgebildetenMann geschrieben, der indreißigjährigerVerwaltungpraxisund alsOrganisator deutscherAr- beitcrkoloniendenVolkscharakterundbesonders dieWesenseigenschastendeö Proletariers erkennen gelernt haben konnte;voneinemMahnerzukräftiger

»sozialerResorm«. Selbsterwußtenicht, daßdiedeutschenMarxi.stenvon StraßenaufständenundPatschen nichts,vonderunwiderstehlichenGewalt«

wirthschaftlicherEntwickelungAlleserwarten undjeden Versuch,dieherr- schendeMachtmitPulverundDynamitniederzuzwingen,als eineNarren- posseverlachen,alseinenFrevelamLebensrechtedesProletariatesverpönen würden. Das schienvielGrößeren sogarleererWahn.Bismarck war nicht aus dem Glauben zubringen,alle graueTheoriewerdeandemTageüber Bordgeworfenwerden,wodieSozialdemokratie sichstarkgenugfühle,um einenHauptftreichwagenzudürfen;ersaheinenStraßenkampsvorausund seineSorgekehrteoftzu derFrage zurück,obmanandiesemSchicksalstagdie TrUPPeUfcstinderHandhabinwerde.Undjetzt,dasei11893 dieZabldersozial- demokratischenStimmen sich fast verdoppelt hat, nachden Redenüber die hochvkkkälhckischeSchaarunddiefeige Mördersippe, jetzt solltesolche Sorge NichtdasHerz zweier Dutzendhöflingebeschleichen?Werüberhaupt mit derMöglichkeiteinesStraßenaufstandes rechnet, hat auchdiePslicht, andieSicherheitderköniglichenFamiliezu denken ;hat doppeltdiePflicht,

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wenn erzumHausedesKaisers gehört.Bis19to undso langewürde dieAusführungdesSchloßbauplanesdauern kann dieSozialdemokratie auchdenerstenberlinerReichstagswahlkreiserobert,kannsie, nach höfischer Meinung,dasGardecorpsweiterverseuchthaben.Gar nicht unglaublich also, daßzweiGetreueamHofnachMitteln suchen,die unter allenUm- ständendieSicherheitderDynastie verbürgen;garnicht unglaublich, daß.

siebei dererstenErörterungdeseinstweilennur inUmrissen entworfenen Planes verwaltungrechtlicheundkonstitutionelleBedenken alsZwirnsfäden betrachten,über die man, aufdemWegezu einemgroßenZiel, nicht stolpern dürfe. Daß aufPichelswerder derPrivatbesitznicht so leichtzuexpropriiren,.

ein neuer, abnorm kleinerWahlkreis nicht soleichtzuschaffenist, fichtsienicht an: siesahen nicht selten schlimmereSchwierigkeit schnellüberwunden.Gar nichtunglaublich schiendieSacheauchdenRedakteuren des»Vorwärts«,dieja nichtzum erstenMaleinamtlichesSchriftstiickaufihremTischfanden. Dieses dünktesieeinungemein lehrreichesSymptom höfiicherStimmung.Einer vonihnen setztesichalsohinundmachteaus demBriefeinen kleinenArt-.kel, der,unterdemTitel»DieKaiserinsel«,amsechzehntenAugust1903erschien.

Darin wurdevon,,höchstsonderbaren Plänen« gesprochen,die»inHof- kreisenerörtert werdenundaufebenso unbegriindetewiedüstcre Stimm- ungenschließenlassen.«DerSkizzirungdesPlanesfolgte leichter,nichtkrän- kenderSpottüber,,dieHofleute·«,»dieHerren,diesichaInHofüberdieZu- kunftderMonarchiedenKopfzerbrechen«,und,,allerleiGeister,die einInter- essedaran haben, durchErregung schwarzerVorstellungendieGeschäfteder- Reaktionund desJunkerthumes spekulativzufördern.«Mitkeiner Silbe- war angedeutet, daßderKaiserdenPlan billigeoderauchnur kenne;und derSatzvondenspekulativenFörderernderJunkergeschäftesprach deutlich- gegen denVerdacht,diesozialdemokratischenZeitungschreiberkönnten Wil- helmdenZweiten fürdenErsinnerdesPlanes gehalten haben.Amnäch-.

sten Tagerklärte diefreiwilligoderunfreiwillig offiziösePresse,dieInsel- geschichteseiein albernes Märchen,»einelächerlicheHundstagsphantasie.«

JnderReduktiondes»Vorwärts«abertrafbalddanacheinePostkartc ein, dievonderselbenHandgeschriebenschienwie derBriefmit dcmkorrigirten Kopfundbehauptete,dieGeschichtesei wahrundNäheresdarübervornHof- marschall UlrichvonTrothaundvondemRestauratorderHohiönigsburg, HerrnBodoEbhardt,zuerfahren. Dieses Zeugniß genügtedenRedak- teuren. Vielleicht hattederHohn,womit ihre ersteMeldung ausallenSei- tenempfangenwordenwar,sie eigensinniggemacht;jedenfalls bedachten sie.

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DieKaiserinsel. 129 Nicht,daß derArchitektEbhardteinenernsthaftenAuftragzurAusarbeitung einesP rojektesnur vomKaiser selbsterhalten habenkonnte. Siemeinten wohl, ihnenkönnenichts passiven,weilsiedenKaiser nichtangegriffen hätten,und warenihrer Sache so sicher,daßsiedenHofmarschallvonTrotha,derseinen Namenunter dieErklärung setzte,erwisse nichtsvonsolchemPlan, durch denVorwurfderUnwahrhaftigkeitzurKlagezwangen. Was nun kam, überraschtenicht sieallein. ZweiHaussuchungenin derRedaktion, Expedi- tion,Druckerei(natürlichohneResultat); VeschlagnahmedesArtikelsvom

sechzehntenAugust; VerhaftungdesVerantwortlichenRedakteurs Stadt- verordneten Leid,derangellagt wird,gegen§95(Majestätbeleidigung)und

§36011(Grober Unfug)gesündigtzuhaben.(DasVerfahrengegen einen anderenRedakteur,unterdessenVerantwortlichkeitHerrvonTrothaim»Vor- wärts«derLügegeziehenwordenwar,brauchtuns hiernichtzubeschäftigen;

wereinenhohenBeamten,widerdessenmitNamensunterschriftgedeckteVer- sicherung, öffentlicheinenLügnernennt,mußdievomGesetzvorgesehenen Folgen tragen.)HerrLeid wirdaufBeschlußderBeschwerdeinstanzenthastet, desKammergerichtes, dessengefürchteterStrafsenatin dem inkriminirten Artikel denThatbestandderMajestätbeleidigung,,keineswegszweifelfrei«

festgestelltfindet. Für dieseFeststellung hatnun die dritteStrafkammer desLandgerichtesIBerlin gesorgt: sie hatam sechzehntenOktober1903 HerrnLeidvonderAnklage,GrobenUnfugverübt zuhaben,sreigesprochen, wegenMajestätbeleidigungaberzuneun Monaten Gefängnißundzum VerlustderausöffentlichenWahlen hervorgegangenenAemter verurtheilt.

EineVerurtheilungwegen GrobenUnfugeswarvonvorn hereinaus-

geschlossen.Vorfünf Jahrenwar ichinMünchen angeklagt, durchdenam

sechzehntenApril1898 hier veröffentlichtenArtikel,,KönigOtto« Grvben Unfugverübt zuhaben.DerArtikelhatteinBayernkeinsichtbaresAerger- Riß erregt;Johann Baptist Sigl,derdenPreußen dochnicht holdwar,fand ihn»tief ergreifend«,imbayerischenLandtag,woderFall zweimalaus- führlicherörtertwurde,erhob sichkeine Stimme wider denBeschuldigtenund iderGutshIrrvonFriedrichsruhnannte diekleineDarstellunghistorischrichtig UndfürdenMonarchistenerfreulich.TrotzdemOttoMittelstaedtinder»Zu- kunst«denschöffengerichtlichenSchuldspruch für unhaltbar erklärte,blieb esindenfolgendeanstanzenbeiderVerurtheilungzuvierzehnTagenHaft;

dieRichtermeinten,derArtikelmüssedasPublikum »beunruhigenundbe- lästigen«.Vergebens hatte ich mich aufdie aus Mittelstaedts Feder stammende—- ReichsgerichtsentscheidungvomdrittenJuni1889berufen,

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wonach §36011StGB nichtetwaalseineallgemeinesubsidiäreStrafbestimm- unganzuwenden sei,derAlles untergeordnetwerden dürfe,waseinemRichter Unrecht scheine,ohne daßes vonirgendeiner anderen strafrechtlichenNorm getroffenwerde.VergebensandenletztenThermidorkarrenerinnert undden Gerichtshofaufgefordert,eheeszuspätsei,mit einerSpruchpraxtszubrechen, die derstärksteKriminalistdesReichsgerichtes,,abwegig«genannthabe.Die Antwort war undblieb:VierzehnTageHaft.Dochichhatte wirklichaufdem letztenKarten gesessen.Nochimselben Jahr ergingvomReichsgerichteine- neueEntscheidung,nachder zumThatbestandedesGrobenUnfuges die»Ver- letzungoderGefährdungdesäußerenBestandesderöffentlichenOrdnung«

gehört,diebloße,,BelästigungdesPublikums« nicht ausreicht. Mirhalf diesesUrtheilnicht mehr: ichmußtein denKäfig; aberesendete dieaus§3601Is derPresse drohende Gefahrundhätte genügt,um denRedakteur Leidvor Strafezuschützen.DerErsteStaatsanwaltam Landgericht1Berlin,Herr- Oberstaatsanwalt Dr.ernbiel,kennt dieleipziger Judikatur natürlichge- nauundhat sichüber dieAusfichtlosigkeitdiesesTheilesderAnklagesichernicht getäuscht.JnderHauptverhandlungfagteer, alsJurist seierstetseinGeg- ner allzu weitgehenderInterpretation des§36011gewesen,undstellte indiesemPunktedemGerichtdieEntscheidung anheim...Warum aber, wurdegefragt, haterdannLeiderstGrobenUnfuges angeklagt? Jchver- muthe:umdieZulassungdesWahrheitbeweiseszurechtfertigen. DieFrage, ob beiMajestätveleidigungderWahrheitbeweis zulässigsei,istin derTheo- riekontroversz siewirdvonGeyer,Hälschner,John, Lisztbejaht,vonMeyer, Merkel, Olshausenverneint. FürdiePraxisist sie seit dreiundzwanzig Jahren negativbeantwortet. DasReichsgerichthat entschieden,daß»imFalle- des§95StGB derBeweis derWahrheitmitdemGrundsatzderUnver- letzltchkeitdesStaatsoberhauptes inWiderspruchtreten undErörterungen imGefolge haben würde,diemitdererhabenen StellungdesStaatsober- hauptes unverträglichwären.«DieseEntscheidungduldetkeineAusnahme- WennderRedakteur des»Vorwärts« aber, ohnedieWahrheit seinerAn-- gaben beweisenzudürfen, verurtheiltworden wäre,hätte Jeder gedacht, Etwas müssedochwohlanderSache sein.Dassolltevermiedenundkünf- tigenMajestätprozessendennochnicht präjudizirtwerden. DaherdieJdeal- konkurrenzvon MajestätbeleidigungundGrobem Unfug. §36011 hatte seineSchuldigkeit gethan, sobalderdemAngeklagtendieMöglichkeitgege-- benhatte,denBeweisderWahrheitzuerbringen.Daswar juristischfein ausgeklügeltundverdient auchvondemBerurtheilten eherLob als Tadel.

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DennnichtdesStaatsanwaltes Schuldwars,daßderBeweisversuch völlig mißlung.DieHerrenvonTrothaundEbhardt, GrafHülsen-Häsclerund HerrvonLucanus, Graf EulenburgundFreiherrvonMirbach,Stabs- offiziere,Geheimräthe,Sekretäre,Amtsdiener: AllesagtenunterdemZeu- geneidaus,vondemSchloßbauplanundAllem,wasdamitzusammenhän- gensolle, sei ihnennie dasGeringstebekanntgeworden. Festgestelltwurde aber, daßimkronprinzlichenHofmarschallamtgenausolcheBriefbogenmit korrigirter Kopfinschrift benutzt werden,wieeiner densozialdemokratischen RedakteureninsHausgeschicktworden war. Wer denBriefgeschriebenund in dieLindenstraßegeschickthaben mag?...Bermuthungen sind selbstim neustenDeutschland gestattet; UnzweideutigwirddieFrage vielleicht erstan demTagebeantwortet werden,wodasGcheimnißderLotka-Briefe entschleiert wird,derenVerfasserHerrLebrechtvonKotzeganzsichernicht ist.

Schon währendderBeweisaufnahme erregtederschlechteStil der BertheidigungAergerniß.AlsdieHerrenvonTrothaundEbhardt,dieChefs desCivil-undMilitärkabinets, allenfalls nochderin alle Sättelgerechte FreiherrvonMirbachgeschworenhatten, siewüßtennichts voanselschloß- plänen, mußteman desgrausamenSpielesgenugsein lassen,demHofmar- schallund demArchitelteneinerückhaltloseEhrenerklärunggebenundaufdie Fortsetzung desZeugenverhöresverzichten.Statt sozuhandeln, suchtendie dreiBertheidigerHaase,LevyundLiebknechtausdenZeugenumjedenPreis irgendEtwas herauszupressen.DaswareinschlimmerFehler; nichtnur, weil derVersuchmituntauglichenMittelnunternommen wurdeund inje- demeinzelnenFall fehlschlug:auchwennerzufälligeinmalgelungen wäre, hätteeraufdasGericht einenschlechtenEindruckgemacht.Werbeweisenwill, daßHerrMüllersilberne Löffelgestohlen habe, darf,wenn dieserBeweis nicht erbrachtwerdenkann, sichnichtumdenNachweis bemühtzeigen, daß derAngeschuldigteMüllernur seltenbadeundmanchmalschmutzigeNägel habe, unsauberenWandels also verdächtigsei.DerAusgangdesProzesses wärenichtanders gewesen,wenn GrafHülsen-Häselerzugegebenhätte,von einerveränderten RekrutirungderGardesei irgendwann schondieRede ge- wesen. Ergabs nichtzu; unddieinquisitorischeEmsigkeitverrieth,wieun- sicher dieVertheidigung sichfühlteundwievielihrdaran lag,vondenhart- näckigenBehauptungendesAngeklagtenwenigstenseinenFetzeninsNebel- reichderWahrscheinlichkeithinüberzuretten.JinBanndieser Sorgeüber- sahendieAnwälte denwichtigsten,den,wiemichdünkt,alleinwichtigenPunkt derAnklageundfochten,wenn derBerichtdes»Vorwärts«nicht trügt,das

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HauptargumentdesStaatsanwaltes garnicht erstan.Siedurften nichtden Glauben wecken,dasSchicksal ihresMandanten seian dasGelingendes Wahrheitbeweises gekettet,nach dessenMißlingenbesiegelt;durftenes umso weniger, als, nach reichsgerichtlicherEntscheidung, »jederAngriff, dessen

·

RichtungoderthatsächlicherErfolgdieVerächtlichmachungoderHerabwür- digungdes Staatsoberhauptesin deröffentlichenMeinung ist, unabhängig vonderWahrheitoderUnwahrheitderzu Grunde liegenden Thatsachen, nothwendigeinwiderrechtlicherist.«DertaktischeAufmarschderVertheidigung warschlechtvorbereitet, ihre Verschanzung ohnedienöthigeVoraussichtaller Möglichkeitengewählt. Daß nichts bewiesenwerdenkönne,war nachder AussagedererstenZeugen nicht mehrzweifelhaft.Wasbliebnoch?DieBe- hauptung,derinkritninirteArtikelhabesichgarnichtgegen denKaiserge- richtet.DafiirsprachVieles, dochauch Manches dagegen. Weshalbdergroße ApparateinesWahrheitbeweises,wenn dieBeschuldigung,denKaiserbelei- digtzuhaben,unhaltbar schien,—niochtendieangeführtenThatsachennun wahroderunwahr sein? Zwei EisenimFeuerzuhaben,ist immer,beide voreiligzuzeigen, fastniemals nützlich.Auch hattederschreibendedieLage desverantwortlich zeichnendenRedakteurs durchzwei Unbedachtsamkeiten verschlechtert:inseinemArtikelstand, durchdasJnselprojektwerdedie dö- beritzerHeerstraße,»derenZwecknicht recht ersichtlichwar,ihre eigentliche Bestimmung erhalten«;und erhatte späterangedeutet,HerrEbhardt sei bereitsmit derAusarbeitungdesPlanes beauftragtworden. DiesenAuftrag konntenur derKaiser ertheilenundnur erkannte dervonBerlinnachDöberitz führendenStraße ,,ihre eigentlicheBestimmung«geben. Diese Schwierigkeit schrecktediedreiVertheidiger nicht.Unermüdlichwiederholten sie,demArtikel fehle jede Beziehung aufdiePersondes Kaisers.DeralteLiebknechthatin Breslau mitdemVersuch,zuleugnen, daßseineParteitagsredederAbwehr eineskaiserlichen Angriffes gegolten habe, einstübleErfahrunggemacht.

Dashinderte seinenSohn nicht,alsVertheidiger jetztdieselbeunklugeund muthloseTaktik zuwählen.»Die Sozialdemokratieübtstetsnur anJusti- tutionen,nichtanPcrsonenKritik«.(Oktober1903!) ,,DiesenGrundsatzhat auch der,Vorwärts«immerbefolgt,derdurchaus nicht geneigtist,denKaiser herunterzureißen.«,,Der,Vorwärts«hatnie,wie derStaatsanwalt behaup- tet,demSport gehuldigt,demKaiser verschleiertdieWahrheitzusagen.«»Die AbsichtdesArtikelschreiberswar,denKaiservordenUmtrieben derKama- rilla zuschiitzen.«KonntenverständigeMenschenoonsolchenSätzenirgend eineWirkung auseine berliner Strafkammer erhoffen? Mußte nicht Klug-

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heitundEhrgefühlimVerein hierzuoffenemBekenntniß republikanischer Ueberzeugungdrängen?UnddurftederAngeklagteLeidredlichenHerzens staunen,alserausdemMunde desVorsitzenden,derdenSchuldspruchbe- gründete,dieWorte vernahm,der»Vorwärts« habe nichtdieTendenz,den KaiservorderKamarilla zuschützen,sondern suchedie Autoritätder Krone zuuntergraben? DerLandgerichtsdirektorhätte sichgegen Einwändeauf denGenossenBebel zuberufen vermocht,derinDresden gesagt hat:»Ich will derTodfeind dieserbürgerlichenGesellschaftunddieserStaatsordnung bleiben,solange ichlebe,um sieinihrenExistenzbedingungenzuuntergraben.«

ZurStaatsordnung gehörtsicherdasKaiserthum.KeinRepublikaner,kein SozialdemokratverdientTadel oderSchmähung,weilerthut,was ihm Ueberzeugunggebietet; dochjeder sollte,waserist, auchzuscheinenwagen.

Gegen solchesBertheidigungsystemhätte selbsteinDutzendprokurator leichtesSpiel gehabt;undHerr Drstenbiel istunter Tessendorffs Nach- folgernderbesteMann. Ausganz anderem Holzals Arnims Ankläger,der mühsam,mitstammelnderZunge,die Wortezusammensuchte,dannaber den

GegnermitKeulenschlägentraf und,weilersichnur inleidenschaftlichem Zorn starksühlte,dasdenVertreterderStaatsgewaltzierende ruhige Gleich- maßimmervermissen ließ. Tessendorf hätteinrauh wüthenderRededer Sozialdemokratieihr ganzes Sündenregistervorgehalteu,dieNothwendig- keitbetont,den§95gegen dieUmsturz sinnende Partei heutzutagemitun- barmherziger Strenge anzuwenden,denAngeklagtenLeidgrobgescholten, denZeugen Eisner,weilerselbstschonwegenMajestätbeleidigungimGe- fängnißgesessenhabe, fürvollkommen unglaubwürdigerklärt und in den Saal gewettert,bis derBriefausdemHofmarschallamtvorgelegtwerde,sehe erin der ganzenGeschichtenureineruchloseErfindung boshafterTintenkleck- ser.Herszenbielistnicht sostark,abergewissenhafterundnoblerin derWahl seinerMittel. Erbemühtsich,gerechtzusein,undwürdebewußtenWillens wohlnieeinenwehrlosen Angeklagten schimpfen.HerrLeidfühltesichdurch denHinweis auf seine ökonomischeAbhängigkeitbeschwert deroffenbar dochnur denZweckhatte,eingeringeresStrafmaßzurechtfertigen,alsnach derWuchtderAnschuldigungzu erwarten war-, würdesichaberwundern, wennerandereStaatsanwälte kennen lernte;ichkenne andereundkann ihn versicheru, daßichnieso würdig behandeltworden bin wieer. Keingrelles Scheltwortgegen dieSozialdemokratieoder derenangeklagteVertreter ; kein ZweifelanderExistenzdesBriefesausdemHofmarschallamt,dernatürlich nicht vorgelegtundüber denaufwichtigeFragendieAussage verweigert

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wurde; einKomplimentfürHerrnEisner,der»den,Vorwärts«gut redigire«

unddessenVorstrafe unerwähnt blieb;keinGezeterüber die,,bodenloseFri- volität einesTreibens,dasnichteinmaldurchdenSchatteneinesBeweises- geschütztwerde«;keinebhzantinischeVlerherrlichungdesKaisers:nurgerade, waszurSache unbedingt nöthigschien;undschließlicheineUeberraschung, dieunsere Zeitungsprachesensationcllnennen könnte: derErsteStaatsan- waltbekanntesichals einenGegnerdes§95, denerfreilich,alsgeltendes Recht,anwenden müsse,dochlieberausdemStrafgesetzbuchverschwinden sähe.DasBekenntnißwurdezwarrascheinBischen eingeschränkt,aber es bleibt einetapfere That,die denKühnendasTressenbarrett kostenkonnte und diesicherlichwederdenJustizministerSchönstedtnochdenOberstaatsanwalt WachlerzuentzücktemBeifall hingerissen hat.DaßeinabhängigerVer- waltungbeamter,dertäglichaufWartegeld gesetztwerdenkann,Solches öffent- lichheutersagenwagt, ist immerhinderErwähnungwerth;undmirscheint, man brauche nichtservilzusein,umeinenStaatsanwalt, der,ohnegegen den Schwachenzuwüthen,die WürdedesAmteswahrtundalsein moderner Europäerangesehensein möchte,aufrichtigenSinnes zu loben.

DasLobgiltdemmuthigenundtaktvollen Mann,demwirglauben dürfen, daßernicht leichtenHerzens MenscheninsGefängniß schickt,gilt nicht seiner letzten forensischenLeistung.DerLaie,dernurpassiv Strafrcchts- studiengemachthat,und derPolitiker muß fastjedemSatzdesHerrnDr.Ism- bielwidersprechen.DerStaatsanwalt warstärkeralsdieVertheidiger,deren Blößcnergeschicktausnützte,undseinSchlußvortraghob sich beträchtlich über dieDurchschnittshöheprokuratorischerDialektik.SokameransZiel:

sein StrafuntragwurdevonderKamnier alsgerechtbefunden.Vielenaber scheintderBau,in demAnklägerundRichter sich zusammenfanden, auf recht morschemGebälk zuruhen. DieVertheidigung hatte behauptet,der inkriminirte Artikel könnenicht aufdenKaiser bezogenwerden. Der Staats- anwalt antwortete,solcheBeziehungseisehr wohl möglichunddieseMöglich- keitgenüge,wenn überhaupteinestrafbareHandlungalsvorhandenange- nommen werde,zumThatbestandederMajestätbeleidigung Dagegen ist, trotz derKuppeltanteVoßundihren noch dümmerenBasen,nichtszusagen;

man brauchtgarnichtandieausschweifendeAnwendungdesdoluseven- tualis zudenken,derjaansichauchkeinkindischerNonsens ist: selbstdie modernstenKriminalisten finden dieBegrisfsmerkmaledesVorsatzes erfüllt, wenn derThäterdenErfolg für möglichhielt.Die inderPresseverfochtene Meinung,derErfolg müssealssicher,nichtnuralsmöglichvorausgesehen

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fein,wirdwedervonderTheorie nochvonderPraxis gedeckt.HatderRe- dakteurLeid inseinBewußtseindieMöglichkeitaufgenommen,daßderArtikel aufdenKaiser bezogenwerdenkönne,sowird er,vorausgesetzt,daßderArtikel

überhauptdenThatbestandderMajestätbeleidignngcrfüllt,nichtdadurchstraf- frei,daßdieBeziehungnichtunbedingtnöthigwar.Wodurchaberwarindiesem

besonderenFalldieMöglichleitstrafbarerBeziehunggegeben?DerOberstaats- anwaltsagt :»Wennman von,Hofkreiscn-spricht,kannSeineMajestät,als das

HauptdesHofes,11icl)tausgeschlossensein.«Beispiel:»Werdavonspricht,daß,in TheaterkreisewdieAusführungeines verbotenenStückesgeplant werde,denkt

nichtanProjekte irgend welcherSel)auspieler, sondernandiemaßgebenden KreisederTheaterlciterundRegisseure.«Schon dieses Beispiel steht auf schwachenFüßen.WenneinTheatertyrann dieAusführung plant, beißts imBörsencourier: »DirektorSchulze (oder Cohn)will dasStück den lite- rarischen FeinschmeckernderMetropoleineinerSondervorstellung zugäng- lich machen«; redetunserAllerhalter Landau, unserUniversalgenieHolz- bock abervon»Theaterkreisen«,dannweißderKundige, daßehrgeizigeoder schlechtbeschäftigteSchauspielersichzusammenthun wollen,um dieAuf- führungzuermöglichen.Noch falscherist, nach allgemein giltigem Sprach- gebrauch,JsenbielsHauptsatz.Niemals,beinaheniemalswirdandenKönig gedacht,wenn von »Hofkreisen«gesprochenwird. DerMonaeh gehörteben so wenigzumHofwie meinBeispiel hatdenVorzug allerhöchsterLohali- tät derliebeGottzu denhimmlischenHeerschaaren.Schillers Philipp, derauf strengsteBefolgungdesCermonialgesetzeshielt,ladetseinen»ganzen Hos«zumBlutgericht;undseineFrau ruftdem stürmischenKnaben Karl zu:

»MeinHofistinderNähe!«Hundert,tausendBeispieleließensichfürdieThat- sacheanführen,daßfastimmerundüberallzwischenHerrscherundHofunter- schiedenward.Wer,fragtMoliere,sahanHöfenjeEinen,der nichtdeneigenen Vortheilsuchte?On voitpartontquePaktdescourtisans netendqu’å.

profiterdesfaiblesses desgrands Voltaire: Amesure queles pays sontbal-bar’esouquelescours sontfaibles,leceremonial estplusen vogue. Bossuet:La-cour veut toujoursunir lesplaisirsavec lesaf- fajres LaBruyere:Lacour estcomme unedilice bäti demai-bre; je veux direqu’elleestcomposeed’hommes fortdurs,mais fortpoljs.

Heine:»Die KunstderHöfebestehtdarin,diesanften Fürstensozuhärten,daß sieeineKeulein derHanddesHöflingswerden, unddiewildenFürsten sozu sänftigen,daßsie sichwilligzujedemSpiel,zuallenPositurenundAktionen hergeben.«Brougham:»Der-Hoferzeugt,wie der VaterdasKind, selbstseine

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11. Damit kommen wir zum zweiten Grunde der Unberührtheit unserer Sinne von der Kunst: dem WiderspruchzwischenSchein und Sein. Nur nicht in dem Sinne der Schuster, die der

Eben so konnten wir aus den ohne Mühe durchgesetztenPreiserhöhungen vollen Nutzen ziehen- Auf unserer neuen, im Ausbau begriffenen Zeche Borussia ist der eine Schacht fast bis

Hier zeigt sich also mit einem Male, daß die in der Ueberschriftauf- geworfeneFrage nicht nur akademische Bedeutung besitzt,sondern daß sie tief ins praktische Leben eingreift und

— keine sehr komplizirtenatürlich — ergeben, aber nimmermehr eine leben- dige Zelle, ein Jnfusorium; ich füge nicht hinzu: oder gar einen Menschen- weil freilich, wenn die Materie

Auf dem europäischen Festlande zweifelt kein Menschdaran, daß es sich nkn einen Akt frecherGewaltthätigkeit handelt, um einen Raub zug, der selbst in der

Allein schon die Thatsache, daß die Ansstellung der Sezession nur den achten Theil der Kunstwerke enthält, die die Säle des moabiter Glashanses füllen, genügt, die neuere

Vielleichtliegt es Unser- eiticm, der solchen Dingen seit Jahren sein Thun gewidmethat, nicht nah genug, gerade jetzt auf all Das hinzuweisen, wo der Kinderglaube an eine

Noch wird er gewahrt. So lange es irgend geht, sagtJeder:Jch kann vorläufig nicht klagen. Nur die alten Börsenfüchsegeben sichnicht mehr die Mühe, ihre Angst zu verbergen;