DIE NATURWISSENSCHAFTEN
E l f t e r J a h r g a n g . 22. J u n i 1923. H e f t 25.
D ie V erw endung vo n organisiertem „Totem “ im Aufbau des leb en d igen Organismus u n d ihre th eoretisch e und tatsächliche Basis,
V o n F r a n z W eide nreich, Heidelberg.
U n te r dem v ielversprechenden T ite l: „L''Orga
n is a tio n de la m atiere d an s ses ra p p o rts avec la v ie “ h a t der P a ris e r H isto lo g e N a g e o tte 1) vor k u rz e m ein B uch e rsc h ein e n lassen, das n ic h t w eg e n seiner die E tik e tte b estim m en d en A llg e
m e in h e ite n 'ü b e r d e n B e g riff der lebenden M a terie
— d enn w esen tlich n eu e G edanken ü b er dieses Them a sind d a r in k a u m zu f in d e n — b esonderes In teresse erw eckt, so n d e rn w eil h ie r d er V ersu ch gem acht w ird , die R ic h tig k e it r e in th e o re tisc h histo lo g isch er Ü b erlegungen d u rc h E x p e rim e n te , die in dars G eb iet der C h iru rg ie fa lle n u n d d a m it besondere p ra k tisc h e B e d e u tu n g h ab e n , zu e r w eisen.
N a g e o tte gellt bei seinen Ü b erle g u n g en von d e n In te rz e llu la rs u b s ta n z e n aus, u n d zw ar von d eren w esentlichstem S tru k tu re le m e n t, d e r B in d e gew ebsfaser, u n d der A rt ih r e r E n ts te h u n g . S e in e r M e in u n g n ac h is t e n tg eg e n der h e r rs c h e n den A n sic h t diese F a s e r n ic h t d'as P r o d u k t irg e n d e in e r d ire k te n U m fo rm u n g p e rip h e re r P r o to p la sm a te ile der lebenden Z elle, so n d e rn e n ts te h t z u n ä c h s t in te rz e llu lä r, d. h. in n e rh a lb d e r G ew ebs
flü s s ig k e it d u rc h ein en G e rin n u n g sp ro ze ß als F ib r in . D ieses F ib r in w an d e lte sich d a n n s e in e r
se its in die kollagene F a s e r um . Z ellen b e te ilig te n sic h bei diesen V orgängen n u r in so fe rn , als sie ein F e rm e n t a b so n d e rte n , das d ie F ib rin b ild u n g u n d den „M eta rn o rp h ism u s“, w ie N a g e o tte im G eg en satz zu an d eren , u n te r M itein b e zie h u n g von Zellen, selbst z u sta n d e kom m enden ,,m e ta p la s ti
schen“ V org än g en diese U m se tzu n g bezeich n et, auslöse. D a n u n d a s F ib r in , das s o e in e n p räk o lla- g en e n C h a ra k te r gew änne, „ n ic h tle b e n d “ sei, k ö n n e auch die kollagene F a s e r a ls h isto lo g isc h er A u sd ru c k jenes M etarnorphism us n ic h t als
„leb e n d “ b ez eich n e t w erden. In d e m d e r O rg a n is
m us sie gleichw ohl als B a u elem e n t im w eitesten A usm aß b en ü tze , v erw ende e r in gew issem S inne
„ to te s “ M a te ria l. I s t d em aber so, dann m a ch t es au ch k e in e n U n te rsc h ie d , w enn zu Ile ilu n g s - zw eeken als D efek tau sg le ic h d ir e k t to tes, d. h. ab
gestorbenes M a teria l dem lebenden K ö rp e r e in v e r
le ib t w ird . D ah er e m p fie h lt N a g e o tte in solchen F ä lle n to te S ehnen, to te n K n o rp e l oder K no ch en , to te B lu tg efäß e , to te N e rv e n zu tra n s p la n tie r e n . B is z u einem gew issen G ra d e lasse sich dabei auch u n b ed e n k lic h h e tero p lastisc h es G ew ebe verw enden.
D a M a te ria l, d a s seiner N a tu r n a c h ü b e rh a u p t
1) N a g e o tte , •/., L ’o rg a n iß a tio n d e la m a tie re darus ses r a p p o r ts avec la vie. Pa riß 1922.
n ic h t lebte, auch n ic h t ab sterb en k ö n n e, so v e r
sc h läg t es dieser A u ffa s s u n g n ach n ic h ts, w enn die zu r T ra n s p la n ta tio n v erw en d e ten Ge webs
stü ck e nach, ih r e r E n tn a h m e aus dem K ö rp e r auch lä n g e re Z eit in F o rm a lin oder A lkohol au fb e w a h rt w aren . Z w ar sollen die Z e lle n des T ra n s p la n ta ts in jed em F a lle z u g ru n d e gehen. A lle in d er W irt b ie te so fo rt E rs a tz , in d e m F ib ro b la s te n in das G ewebe ein w a n d e rte n u n d es „w ie d e rb e v ö lk e rte n “ . D ie n eu e n Z ellanköm m linge sollen sich dabei den o rts- oder w irts fre m d e n fa se rig e n E lem en ten g eg e n ü b er g en a u so v e rh a lte n , w ie w enn diese im O rg a n ism u s selbst u n te r n a tü rlic h e n B e d in g u n g e n g ebildet w orden w ären . N a g e o tte b e r ic h te t über zahlreiche V ersu ch e, in d en en ih m solche Ü ber
tra g u n g e n g lü c k te n u n d bei denen n ic h t n u r fu n k tio n e ll eine v o lls tä n d ig e R e s titu tio n e rre ic h t w orden sei, so n d e rn auch d ie n a c h trä g lic h e m ik ro skopische U n te rsu c h u n g — z. B. b ei S eh n en - und G e fä ß tra n sp la n ta tio n e n — ein e so to ta le V e r
w isch u n g der G ew ebsgrenzen ergeben h ä tte , daß n ic h t ein m al die V e rlö tu n g ss te lle m eh r nach w eis
b ar geblieben w äre.
So o rig in e ll auch die Id e e n N a g e o tte s im erste n A ugenblick a n m u te n , so sin d sie doch w eder in ih re n th e o re tisc h e n V o ra u sse tzu n g e n noch in dem V ersu ch ih re r p ra k tisc h e n A u sw e rtu n g w irk lic h neu. Sowohl die V o rs te llu n g der E n ts te h u n g d e r B in d eg ew eb sfaser am ab h ä n g ig v o n den Zellen', wie auch d ie L e u g n u n g ih r e r T eiln a h m e an den V o rg än g en des Lebensprozesses sin d G edanken, die schon vor v ie len D ezen n ien von H e n l e 2) und V irc h o w 3) ausgesprochen w u rd e n . H e n le ließ die B indegew ebsbündel aus e in e r g lasig en G ru n d substanz, dem „C y tob lästern“, d u rc h Z e rk lü ftu n g h ervorgehen, w obei die Z ellen, d. h. e ig e n tlic h die in diese M asse e in g e la g e rte n K e rn e sich passiv v e rh a lte n sollten. V irchow , d er B e g rü n d e r der Z e llu larp a th o lo g ie , v erle g te den S itz aller L ebens
v o rg än g e au ssch ließ lich in d ie Z elle. D as K r i te riu m des Lebens sah er n u r in d er d en I n t e r ze llu larsu b sta n ze n abgeh en d en E rre g b a rk e it, d. h.
in der E ig e n s c h a ft a u f äu ß e re E in w irk u n g e n h in in T ä tig k e it zu g e ra te n . D a dlas L eben k u rzw eg Z e lltä tig k e it sei, so k ö n n e es auch k ein e x tra - zellu läres Leben geben. D aher seien au c h die In te rz e llu la rsu b sta n z e n n ic h t le b e n d ig : s ie seien
2) Henle, ./., A llgem eine A natom ie, 1841..
3) Virchow, R., Die G elM arpathologäe usw., 1. Aufl., 1858; dasselbe, 4. Aiu>£l., 1871. — Z,uim neuen J a h r hundert, Viich. Areh. 159, 1, 1000.
N w . 1923. G2
486 Weidenreich: Die Verwend. v. organis. „Totem“ im Aufbau d. lebend. Organismus. \ Die Natui-
L W issenschaften
aber au ch n ic h t als to t zu bezeichnen. „ D e n n to t tkann n u r etw as sein, w as v o rh er lebendig w ar, un d d ie In te rz e llu la rs u b s ta n z w ar dies n ie m a ls.“ D er le tz te re G edanke k e h rt f a s t w ö rtlic h bei N a g e o tte w ieder.
D ie F ra g e nach d er E n ts te h u n g un d d e r N a tu r d e r In te rz e llu la rsu b sta n z e n , d ie so von A n fa n g an au fs en g ste m it d er Z e lle n sta a tle h re v e rk n ü p ft w ar, h ä n g t in ih r e r B e a n tw o rtu n g d u rc h a u s von dem S ta n d p u n k t ab, den m an zu d ie se r L e h re ein-- n im m t. Alber es is t in te re s s a n t, zu sehen, daß m an selbst b eim A b rü c k en von diesen V o rste llu n g e n zu ganz en tg eg e n g ese tzten .S c h lu ß fo lg eru n g en ge
la n g en k an n . T ro tzd e m N a g e o tte die B ild u n g je n e r S u b sta n z e n in d ie n ic h t lebend g e d a c h te G e
w eb sflü ssig k e it v e rle g t u n d sie d a ru m a ls n ic h t- lebend b e tra c h te t, stim m t er gleich w o h l m it V irc h o w ü b ere in , der allein die Zelle als B ild u n g s s tä tte a n e r k e n n t u n d gerad e desw egen ih re m P r o d u k t das P rä d ik a t leb en d ig absprechen m öchte.
I m G eg en satz h ie rz u sie h t M. H e i d e n h a i n 4) , der d ie Z e lle n sta a t-T h e o rie im V irch o w sch en S in n e v e rw irft, in d e n Zellen im w ese n tlich en n u r tro - ph isclie E in h e ite n , aber keinesw egs die au ssc h lie ß lic h en T rä g e r d er Lebensprozesse. D en n diese sin d n ac h ih m an k le in ste m olek u läre V erb än d e, die P ro to m e re n , g ebunden, d ie n ic h t n u r das eig e n tlic h e P ro to p lasm a , so n d e rn au c h d eren B ild u n g sp ro d u k t, die „ m e ta p la stisc h e n “ S t r u k t u r m assen, d. ih. d ie In te rz e llu la rsu b sta n z e n , zu sam m ensetzen. A us lebender M a te rie a u fg e b a u t, le b ten diese dah er „ s c h le c h th in w ie 'die Zelle selb st“ . Irg e n d w ie „e rb o rg te s“ L eben gäbe es n ic h t. D iese A n n ah m e h a t z u r V o ra u sse tzu n g , daß c h a ra k te ris tis c h e L e b e n säu ß e ru n g e n auch an d e n M etaplasm en fe stz u ste lle n sind. H e id e n h a in g la u b t, d ie sen B ew eis e rb rin g e n zu k ö n n en . Schon f rü h e r h a tte v. E b n e r 5) gezeigt, daß in d er aus F a s e rn bestehenden, zellenlosen C h o rd asch e id e n ie d e re r T ie re b esondere sc h ich tw e ise D if f e re n z ie ru n g e n a u f tr e te n , die b ei fo rts c h re ite n d e m W a ch stu m in gleich er W eise u n d A n o rd n u n g a n M asse zunehm en, un d d a ra u s den 'Schluß gezogen, daß h ie r, da eine appositioneile Z u n a h m e von außen h e r keine b efried ig en d e E rk lä r u n g d e r E r sc h e in u n g gäbe, e in selb stän d ig es W a ch stu m der zellenlosen S c h ic h ten , d. h. ein e B ild u n g n e u e r F a s e rn zw ischen den alten , v o r sich g ehen m üsse.
H e id e n h a in n im m t ein solches in tu ssu sz e p tio n e lle s W a ch stu m f ü r alle B indegew ebsbündel an u n d v e rm u te t, daß ihm eine F ib rille n s p a ltu n g zu g r u n d e läge. A u ßerdem soll d en I n te r z e llu la r su b stan ze n auch ein e physiologische A k tiv itä t u n d E rr e g b a r k e it zukom m en. D ie e rs te re w ird aus der B ä n d e rsp a n n u n g ab g e le ite t, die le tz te re aus d e r T atsac h e d e r fu n k tio n e ile n A n passung.
B ie d e r m a n n 6) g e h t zw ar n ic h t ganz sow eit w ie 4) H eidenhain, M ., P la s m a u n d Zelle, 1907.
5) v. E in e r , V ., D ie C h o rd a d o re älie d e r n ied e re n T ie re u n d d ie E n tw ic k lu n g de® f ib r illä r e n B in d e gew ebes. Zieitsolir. wiss. Zool. 62, 469, 1897.
6) B ie d erm a n n , W ., D ie P h y s io lo g ie d e r S tü tz- u n d S k e le ttsu b sta n z e n . W in te rs te in s H an d b . vgl. P h y s io l.
I I I , 1, 1913.
H e id e n h a in , aber er w ill doch g erade a u f G r u n d der v. E b n ersc h en F estste llu n g e n d ie B i n d e gew ebsfasern n ic h t als to te u n v erä n d erlic h e Z e l l p ro d u k te g e lte n lassen, so n d e rn möchte ih n e n w en ig sten s ein zeitw eises, v ie lle ic h t a u c h d au ern des S onderleben u n te r dem E in f lu ß d e r produzie
ren d e n Zellen zuschreiben.
l n n e u e re r Z eit h a t H u e c h 7), in d em er den sy n c y tia len B ild u n g sc h a ra k te r des O rg an ism u s, w ie e r besonders in dem B a u u n d d er A n o rd n u n g des M esenchym s u n d se in er D e riv a te zum A u s
d ru c k kom m t, u n te rs tric h , d ie H e id e n h a in sc h e G ru n d id e e m it R ü c k sic h t a u f path o lo g isch e V o r
g än g e au ch a u f das W a c h stu m k o m p lizie rt ge
b a u te r M em branen ü b e rtra g e n u n d speziell am B eisp iel der A rte rie n w a n d nach zu w eisen gesucht', daß h ie r W achstum svorgänge, D iffe re n z ie ru n g e n un d U m d iffe re n z ie ru n g e n , 'R eg en eratio n en un d D e g e n eratio n en in n e rh a lb d e r G ru n d s u b sta n z e n ab lau fen , f ü r die d ire k te Z ellv o rg ä n g e n ic h t v e r
a n tw o rtlic h gem acht w erd en k ö n n en u n d d ie d a her d ie A n n ah m e 'ein e s au to n o m en L ebens n o t
w en d ig m achten. A uch h ie r das gleich e B e streb e n w ie bei Nageotte, vom Z e lle n s ta a tb e g riff loszu
kom m en, n u r m it dem d ia m e tra le n G egensatz in d er B e u rte ilu n g d er N a tu r in te r z e llu la re r D if fe r e n z ie r u n g e n : N a g e o tte h ä lt im V irchow schen S in n e n u r die Zelle f ü r lebendig, d ie u n a b h ä n g ig davon e n tste h e n d e G ru n d su b sta n z eben d a ru m f ü r n ic h tle b en d , H u e c k - H e id e n h a in dag eg en sehen ü berall im O rg an ism u s Löben au c h a u ß e rh a lb der Zelle und d arum auch in den In te rz e llu la rs u b stanzen.
B ei den V e rtre te rn d er Id e e vom autonom en L eben d er B indegew ebsfaser und ih r e r M o d ifi
k a tio n e n sp ric h t die f a s t allg em ein ak z ep tierte V o rstellu n g m it, daß d ie F a s e r ein d irek tes Z ell
p ro d u k t ist, d. h., daß sie sich im P ro to p lasm a o d er w en ig sten s in u n m itte lb a re m Z u sam m en h a n g m it ihm „ e p iz e llu lä r“ en tw ickle. A lle in m it d er bloßen F e s ts te llu n g solcher to p o g ra p h isc h g e n e tis c h e r B eziehungen k an n die z u r D isk u ssio n steh en d e F ra g e .nicht gelöst w erden. D e n n die kollagene F a s e r is t ja in ih re r chem ischen und p h y sik a lisc h e n K o n s titu tio n ganz a n d e rs g e a rte t als das Z ellplasm a. S elbst w en n sie also au ch aus diesem d ire k t h erv o rg in g e, so w ä re es d och d en k b ar, daß sie m it der ta tsä c h lic h e n U m än d e ru n g ih r e r .S tru k tu r g era d e d ie je n ig e n E ig e n sc h a fte n ein b ü ß te, d ie das W esen des Lebens ausm achen.
D ieser E in w a n d is t auch d an n b e re c h tig t, w en n m an m it Meves8) annehm en w ill, daß die O hon- d rio co n ten selbst d ie G ru n d la g e n der f ib r illä r e n D iffe re n z ie ru n g sind. A n d e re rs e its k ö n n e n sogar in n e rh a lb der Zelle selbst g e ra d e m e ch a n isch be
d eu tu n g sv o lle S tr u k t u r e n z u r A u sb ild u n g ge
langen, die m it S ic h e rh e it als n ic h tle b e n d an z u sprechen sind. H ie r h e r g eh ö re n z. B. die K alk - 7) Iliie ck , W ., Ü ber da© M esenchym usw . B e itr. p ath . A n a t. allg . P a th . 66, 330, 1920.
8) M eves, F., Ü ber S tr u k tu r e n in den Zellen des em b ry o n alen S tü tzg ew eb es uew. A rch . miikr. A n a t. 75, 14&, 1910.
H e ft 25. I W eidenreich: Die Verwend. v. organis. „Totem" im Aufbau d. lebend. Organismus.
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n ad e ln d er S p o n g ien , die z u n ä c h s t im I n n e r n be- , so n d e re r S k ier ob la ste n als so g e n an n te g efo rm te S e k re te a u f tr e t e n un d , auch w enn .sie aus der Z elle h era u sw a ch sen , doch im m er noch N ach sch u b v o n i h r e rh a lte n . A u f der an d eren S e ite h ab e n w ir in den H o rn su b stan z en e in en B eleg d a fü r, daß d er Zelleib als Ganzes w eitg e h e n d e n U m fo r
m u n g e n m it völliger Ä n d eru n g seines' chem ischen u n d p h y sik a lisc h en C h a ra k te rs u n te rlie g e n , ja daß d ie Z elle als solche w irk lic h ab ste rb e n k a n n , w ä h re n d das P ro d u k t d ie se r D ek o m p o sitio n ge
r a d e d a m it zu seiner p h y sio lo g isch e n H ö c h s t
le is tu n g gelangt.
I s t dem nach auch m it d e r g e n e tisc h e n A b lei
t u n g allein n ich ts an z u fa n g e n , so bleiben doch noch die W ach stu m sv o rg än g e zu e rk lä re n . I s t e in W achstum ohne E ig e n !e b en m öglich? D ie B e an tw o rtu n g d er F ra g e h ä n g t in e r s te r L in ie von der A rt der V o rg ä n g e ah, die h ie r als W a ch s
tu m bezeichnet w erden. N ac h den B e fu n d e n v. E bners a n der C hordasdheide, die auch Meves f ü r die sich en tw ick e ln d en 'S e h n en fase rb ü n d e l be
s tä tig t, h a n d e lt es sich u m ein e M assenznnahm e g le ic h g e a r te te r S u b stan z, die aus fe in ste n , d u rc h ein e „ K itts u b s ta n z “ 'zusam m en g eh alten en F ib r i l
le n b esteh t, v. E b n e r 9) h a t aber selbst die A u f
fa ssu n g v e rtre te n , daß diese F ib r ille n d u rc h re in m echanische V orgänge in d er e in h e itlic h e n p rä - kollagenen M asse e r s t g e p rä g t w ü rd e n . D ie F i b rille n so n d e ru n g is t d a n a ch e in se k u n d ä re r P r o zeß, u n d zum W ach stu m g e n ü g t d ie e in fa c h e Z u n ah m e je n e r B ildungsm asse. D aß diese ohne d ir e k te Z ellb eteilig u n g vor sic h g e h t, w ird zu gegeben. D a m it aber kom m en w ir zu d er V o r
ste llu n g , daß das W a ch stu m h ie r e in fa c h e A n- g lie d e r u n g von S u b stan z en b e d e u te t, die in irg e n d e in e r F o rm in dem u m gebenden M edium e n th a lte n sin d . E n tw e d e r fin d e n sich d iese S u b s ta n z e n in flü ssig e r F o rm u n d w e rd e n n u r d u rc h e in e Ä n d e ru n g ihres A g g re g a tz u sta n d e s g e fo rm t o d er aber sie sind a n d e rer A rt, u n d d ie A nglic- d 'erung is t n u r d e r A u sd ru ck eines A ssim ilatio n s- v b rg an g s, also w irk lic h e r S to ffw ech selv o rg än g e, i n d er w achsenden F a se r. W e r a u f dem S ta n d p u n k t ste h t, daß d e ra rtig e W iachstum sprozesse im O rg a n ism u s u n te r allen U m stä n d en echte L eb en s
p h än o m en e s in d , w ird die le tz tg e n a n n te A lte r
n a tiv e allein f ü r r ic h tig a n e rk en n en . A lle in so
lange n ic h t nach g ew iesen is t, daß die F a se r atm et, h a t d ie e rs tg e n a n n te A n n a h m e ebenso viel f ü r sich.
D er W ach st urnsvo r g a n g w äre d a n n einem K r i s ta l
lisatio n sp h än o m e n gleich zu setzen , zu m al schon aus optischen G rü n d e n (D o p p e lb rec h u n g ) eine kristalloid'e S tr u k t u r d e r B in d eg e w e b sfase r v e r
m u te t w erden d arf. W eder W a c h s tu m sfä h ig k e it noch A usb ild u n g ty p isch e r G e s ta lt noch au ch T e i
lu n g s fä h ig k e it lassen sich n ac h B h u m b l e r 10) der
9) v. E b n er, V ., U n te rsu c h u n g e n ü b er d ie U rsäc h en d e r A n is o tro p ie o rg a n isch e r S u b s ta n z en . 1882.
10) R h m n ile r , L ., A u s .dem Lückengelbiet zw ischen o rg a n is m is c h e r und an o rg an ism iisch er M a terie . E rg . Ana<t. E ntw .-G esch . 15, 1, 1905.
o rg an ism isc h en lebenden S u b stan z allein zu sehreiben.
D er ganze G egensatz d er M ein u n g en k o m m t le tz te n E ndes a u f d ie D e f in itio n des L ebens
b e g riffe s h in a u s. S o lan g e w ir das V o rh a n d en se in von Leben n u r <aus b e s tim m te n Ä u ß e ru n g e n der M a terie ableiten k önnen, w ird es schw er sein, die G renze zw ischen leb en d ig en u n d n ic h t lebendigen B e sta n d te ile n des O rg a n ism u s zu ziehen. D ie n orm alen m orphologischen D iffe re n z ie ru n g e n u n d d ie patholo g isch en E rs c h e in u n g e n zw ingen uns aber dazu, d ie L e b e n d ig k e it n a c h G ra d e n abzu
s tu fe n 11) u n d dabei au ch F e r n w irk u n g e n d er Zelle anzunehm en. Sow ohl die B ild u n g sv o rg ä n g e wie au ch das V e rh a lte n d er fe r tig e n I n te r z e llu la r substanzen b ie te n d a f ü r Belege. N a g e o tte , der so n st in der E rk lä r u n g ih r e r S e lb stä n d ig k e it sehr w eit geht, n im m t f ü r ih re E n ts te h u n g noch die M itw irk u n g d er Z elle in F o rm e in e r F e r m e n t
ab so n d eru n g an. A u ch h ä tte die von ih m be
h a u p te te „ W ie d erb ev ö lk e ru n g “ des ab g e tö te te n Bindegew ebes d u rc h n eu e in w a n d e rn d e Zellen kein en S in n , w enn m an sie n ic h t w e n ig sten s m it irgendw elchen tro p h isc h e n N o tw e n d ig k e ite n in V erb in d u n g b rin g e n w ill. Ic h selbst12) habe n eu e rd in g s u n a b h ä n g ig von N a g e o t t e die A n sic h t v e rtre te n , daß die B ild u n g d es lam ellösen K nochens, den ich m it einem allg em ein e re n A u s
d ru c k als S c h alen k n o c h en bezeichne, als e in A u s
flo ck u n g sv o rg a n g a u f zu fasse n ist, in d em nach A r t d e r F ib rin b ild u n g d u rc h ein e v e rm u tlic h f e r m e n ta tiv e S e k re tp ro d u k tio n der O steoblasten zu n ä c h st eine G ru n d s u b sta n z a u s fä llt, in der es d ann zu e in e r P rä g u n g d'er F ib rille n u n d zu e in e r A b
la g e ru n g d e r K a lk e rd e in d e r v erb le ib en d e n , n u n m eh r als K itts u b s ta n z ersc h e in e n d e n in te r f ib r il
lä re n G ru n d s u b sta n z k o m m t.. Solche V o rgänge kö nnen sich abspielen, o h n e daß d ie dabei b e te ilig te n Zellen in u n m itte lb a re r V e rb in d u n g imit dem so e n tste h e n d e n P ro d u k t zu sein b rau c h en . B ei der B ild u n g des F ase rk n o c h en s, wobei d ie fe rtig e n B in d eg e w e b sfase rn von einem m it K alksalzen im p r ä g n ie rte n u n d um sie h e ru m sich .ablagernden K itts u b s ta n z m a n te l um schlossen w e r d e t, scheinen sich die m itein g e sch lo ssen e n B indegew ebszellen v o llstän d ig passiv zu v e rh a lte n .
D och lä ß t sich ein e B e zieh u n g d e r Zelle zu ih rem g efo rm te n S e k re t auch noch in a n d e re r W eise denken. D asselbe P ro b le m , -das die I n t e r z e llu larsu b sta n ze n f ü r den tie r is c h e n O rg a n ism u s stellen , b e s te h t auch im P fla n z e n k ö rp e r in bezug a u f das V e rh ä ltn is zw ischen M em b ran u n d Z ell
in h a lt. F ü r die M em bran w ird in tu ssu sze p tio n e l- les W achstum und so n stig e T e iln a h m e an den
J1) S. h ierü b e r W eid cn reich , F., U ber D iffe re n z ie r u n g u n d E n td iffe re n z ie ru n g . A rch . m ik r. A n a t. 97, 227, 1923.
12) W eid en reich , F., K -nochenbiklung u n d Binde- gewefasiverknöcheruing. M ünch, m ed. W oeh. N r. 10, 315, 1923. — Knochenstuidiien. I. T e il: Ü b er A ufbau u n d E n tw ic k lu n g des K n o ch en s u n d den C h a ra k te r des Kri'Ochongewebes. Z eatschr. A n a t. E ntw .-G esch. (im D ru c k ).
488 Weidenreich: Die Verwend. v. organi?. „Totem“ im Aufbau d. lebend. Organismus, f Di0 Natur- L Wissenschaften
L eb en sv o rg än g en angenom m en. A ber a u c h h ie r is t es fra g lic h , ob diese P rozesse E ig en ersc’h e in u n - gen d e r Z e llh a u t sind oder vom P la sm a ir g e n d w ie h in e in g e tra g e n w erden. Z u g u n ste n der le tz
te re n A n sic h t sprechen neue ex p e rim en telle U n te rsu c h ungen / / ans te en-C ranners13) , dessen T hese sich a u f die N a tu r d er Z ellm em b ra n als kolloidales G ebilde g rü n d e t u n d in d ie se r F o rm Z usam m enhänge m it d e r p rin z ip ie ll g leich s tr u k tu r ie r te n P la sm a h a u t .annim m t. P la sm a u n d Va- c u o le n h a u t der P fla n ze n ze lle ste llten d an a ch ein kolloidales S ystem au s Plhosphatiden d a r ; die P h o sp h a tid g re n z sc ’h ic h t d u r c h d rin g t ü b e ra ll auch die an lieg e n d e Z ellh au t, die selbst ein kolloidales N etzw erk sei, dessen feste s G e rü s t aus Z ellulose u n d H em izellu lo se bestehe, w äh ren d d ie M aschen sä m tlic h e P h o sp h a tid c d er G re n z sc h ic h t e n th ie l
te n . D iese F o rm u lie ru n g k o m m t a u f ein en a lte n G ed a n k en W ie sn e rs14) h in a u s, den schon B ie d e r m a n n 15) a u f die kollagene F a s e r ü b e rtra g e n hat.
D a auch die tie risc h e n I n te rz e llu la rs u b s ta n z e n ein kolloidales S ystem darstellend k önnen zw ischen ih n e n u n d d er Zelle zum 'Feil sehr wohl ganz ä h n lic h g e a rte te Z usam m enhänge b estehen, die die I n te rz e llu la rs u b s ta n z an Z ellv o rg än g en te il- n eh m en ließe, ohne daß sie a b e r d a ru m selbst der H e r d m e tab o listisch e r P rozesse zu sein b ra u c h te . D er u rsp rü n g lic h e G edanke Virchows, daß die I n te rz e llu la rs u b s ta n z zw ar n ic h t lebt, aber doch in A b h ä n g ig k e it von den lebenden Z ellen ste h t, w ü rd e d a m it in e in m odernes G ew and g ekleidet.
E s gäbe d ann doch etw as w ie ein' „ e rb o rg te s“ , d. h. ein in d u z ie rte s Leben.
W ie m an aber auch das Leben der In te r z e llu la rsu b s ta n z e n b e u rte ile n m ag, so is t doch sic h er, daß sowohl im tie risc h e n w ie im p fla n z lic h e n O r
g an ism u s. F o rm a tio n e n Vorkom m en, die m orpholo
g isc h als to t oder je d e n fa lls als ab sterb en d zu be
tra c h te n sind, denen ab e r gleichw ohl im H a u s h a lt des K ö rp e rs ein e hohe physiologische B e d e u tu n g zukom m t. H ie r h e r geh ö ren alle ep id erm o id a len B ild u n g e n des T ie rk ö rp ers, w ie d ie v e rh o rn te O b erh au t, H a a re , N ägel, F e d e rn usw . T ro tz ih r e r u r s p rü n g lic h e n E n ts te h u n g a u s lebenden Z ellen u n d ih r e r in n ig e n V e rb in d u n g m it-d e m lebenden O rg a n ism u s sind diese G ebilde sich er n ic h t m e h r d er S itz eigener S to f fw e eh sei v o rg ä u g e , u n d w enn au ch gew isse R e a k tio n e n an ih n e n beo b ach tet w erd en m ögen, so h a n d e lt es sich h ie rb e i doch n u r um V e rä n d e ru n g e n p h y sik a lisc h e r N a tu r , w ie sie a u c h an sic h er u n b eleb te n K ö rp e rn n ac h w eis
bar sind. A uch ein d a u e rn d im O rg a n ism u s v e r bleibendes O rg a n , die L inse, is t h ie rh e r zu re c h n e n ; sie is t zw ar zum T eil von leb en d ig en Z ellen u m k le id e t, aber ih r e H a u p tm a sse b esteh t au s eig e n tü m lic h u m g e fo rm te n zellenlosen F a s e rn , an
13) H a n steen -C ra n n er, H., Z u r B iochem ie u n d ’ P h y sio lo g ie dier Gremzisclrieilten leb en d er P fla n ze n ze llen . Melid. N o rg . L an d b ru k ß h o isk . 2, 1, 1922.
14) W iesn er, J D ie E lernen ta .rstru k tu ir u n d das W ach stu m der lebenden S u b sta n z. 1892.
15) B ied erm a n n , 1. c
denen n ic h ts a u f spezifische L ebensvorgänge 'h in w eist. D ie b e k a n n te T atsache, daß sie k e in a r t- spezifisches E iw eiß besitzt, i s t v ie lle ic h t au ch e in Bew eis d a fü r, daß sie am S to ffw ech sel des O rg a n ism u s k ein e n A n te il nim m t. I m pflan zlich en O rg a n ism u s f in d e t to te s M a te ria l in großem U m f a n g V erw endung. K o rk , S tein z ellen , S k leren - ch y m fa sern in B ast u n d H o lz s i n d im au sg eb ild e
te n Z u sta n d e to te Z ellen, d ere n P la sm a völlig ge
sch w u n d en ist, die aber gleichw ohl zum T e il ge
rad e als m echanisches Gewebe von f u n d a m e n ta le r B e d e u tu n g f ü r d en P f 1 an zen k ö rp er s in d . D as g ilt 'besonders auch f ü r das L eitg ew eb e der T rach een u n d T ra e h e id e n , d u rc h d e re n M em b ran en der W asser- und S ä fte stro m d au e rn d h in d u r c ’hpassie- rori: m uß. A uch die T rich o m e der P fla n z e n k ö n n e n ab sterb en (W oll- und F ilz h a a r e ), g le ic h wohl ab e r f ü r das Leben von a b so lu te r N o tw e n d ig k eit sein, w ie z. B. die d u rc h d ie B ild u n g von K a p illa rrä u m e n d as atm o sp h ä risch e W a sse r f e s t
h a lte n d e n S c h u p p en h a are d e r e p ip h y tise h en B ro- m eliaceen16) .
i n den g e n a n n te n F ä lle n h a n d e lt es sic h um Z ellelem ente oder um ganze, a u s solchen zu sam m engesetzte O rgane, bei d e n e n d er Tod am S ch w u n d e des K ern es u n d d e s P ro to p la sm a oder w e n ig sten s an dessen w eitg eh e n d er V e rä n d e ru n g h isto lo g isc h abgelesen w erden k an n . Da w ir a n d e re rse its bei W irbellosen re in e K alk -, K ie s e l
u n d H o rn s k e le tte fin d e n , die tr o tz ih re s sich er n ic h t lebendigen Z u sta n d e s in d e m B a u p la n des K ö rp e rs e in e ebenso w ic h tig e R o lle spielen w ie lebende M a terie , so is t z u n ä c h s t k e in G ru n d e in zusehen, w a ru m a u c h d ie so n stig e V erw endung n iö h tleb e n d en M a te ria ls von v o rn e h e re in u n m ö g lic h sein sollte. F re ilic h sehen w ir m eisten s, daß der O rg a n ism u s das B e streb e n h a t, T o tes zu be
se itig e n , in d em er es e n tw e d e r a b w irft, wie z. B.
die epid erm o id alen G ebilde oder es im K ö rp e r
in n e re n selbst z e rstö rt. Im le tz te re n F a lle is t es g le ic h g ü ltig , ob es sich u m P ro d u k te des eigenen IJö rp e rs h a n d e lt, die d a h e r von H a u s au s a u f d ie spezifischen B e so n d erh e iten des H a u s h a lte s abge
stim m t sind, oder um F re m d k ö rp e r, die dem O r
g an ism u s e in v e rle ib t w u rd e n . Solche F re m d k ö rp er pflegen, wie b esonders v. B a e y e r 17) gezeigt h a t, c h a ra k te ristisc h e , z. T . d u rc h ih re E ig e n a r t b e d in g te R e a k tio n e n auszulösen, d ie den Z e r
störungsprozeß e in le ite n o d er d e n K ö rp e r d u rch A bschluß n ach außen h in u n sch äd lich zu m achen suchen.
D er O rg an ism u s h a t also die T en d e n z, sic h gegen S ubstanzen fre m d er P ro v e n ie n z zu w e h re n , g leich v iel ob sie leben oder t o t sin d . S o ll ih n e n g a r eine fu n k tio n e lle L e is tu n g ü b e rtr a g e n w erd en , so h a t dies zur V o ra u sse tzu n g , daß der F re m d k örp er n ic h t an eine belieb ig e S te lle g e la n g t, wo er n ic h t n u r se in er K o n s titu tio n w egen, so n d e rn auch, w eil e r a u f die lokalen A rb e itsb e d in g u n g e n
16) Mez, C P h y sio lo g isc h e B rom eliaeeen.studien.
J a h r b . wi.se. B ot. hO, 157, 1904.
17) v. B a ey er, Tl., F re m d k ö rp e r im O rg a n ism u s.
Bei tr . k lin . C h ir. 58, 1, 1908.
H e ft 25. 1 Weidenreich: D ie Verwend. v . organis. „Totem“ im Aufbau d. lebend. Organismus.
22. 6. 1923 J & 489
ü b e rh a u p t n ic h t e in g e s te llt w erd en k an n , n ic h t von v o rn e h e re in als fre m d em p fu n d e n u n d d e s
w egen n ic h t to le r ie r t w ird. E s g ib t n u r w enig F ä lle , in d en e n d e ra rtig e s M a te ria l v ö llig phy sio lo g isch e rw eise vom O rg a n ism u s au fg en o m m en
u n d als I n s tr u m e n t b en u tzt, d . h. zu b estim m te n L e istu n g e n d ie n stb a r g e m a c h t w ird . D a h in ge
h ö ren die X en o sk e le tte m a n ch e r P ro to z o en , R o ta- to rie n , A nthozoen u n d A scid ien , wo a n o rg a n isch e K ö rp e r, dem O rg a n ism u s ein g eg lied 'ert, w ie ein E ig e n p ro d u k t V erw en d u n g f in d e n ; fe rn e r die S ta to lith e n d er D ecapoden, die n a c h je d e r H ä u tu n g vom T ie re selbst w ied er in die S tato c y sto g e s te c k t w erden u n d aus den v e rsc h ie d e n ste n zu
f ä llig v o rh an d en en fe ste n P a r tik e lc h e n b estehen k önnen. A llein h ie rb e i w ird das M a te ria l n u r als to te Masse benutzt, au c h w en n Ivalk-, K ie s e l
nad eln , D iatom eenschalen o der ä h n lich e o rg a n is m ische E rz eu g n isse e in g e b a u t w erden.
S ehr viel a n d e rs u n d in je d e r B e zieh u n g m e rk w ü rd ig er lie g en d agegen d ie D in g e b ei d e n Ä oli- d ie rn 18). D iese m a rin e n N a c h tsc h n e c k e n besitzen a u f ih re m R ü c k e n la n g e p apillöse, vo n P o re n d u rc h se tz te F o rts ä tz e , die m it N esselkapseln ge
la d e n s i n d u n d b ei einem A n g rif f von B e u te tie r e n explodieren. D ie N esselkapseln sind aber n ic h t E ig e n o rg a n e des T ie re s, so n d e rn sta m m e n aus d er au fg e n o m m en e n C n id a rie rn a h ru n g , die vom D a rm h e r in die zu N esselsäcken e rw e ite rte n u n d in den R ü o k en p ap illen gelegenen E n d e n der L eb erb lin d säck e g e le ite t w ird . D ie Ä o lid ie r be
n u tz e n also die W a ffe e in e r ganz a n d e re n O rg a n ism en k lasse, als ob sie ih re eig en e w äre. Ob die N esselk ap seln selbst als „ to t“ oder „leb e n d “ be
tr a c h te t w erden m üssen, is t n ic h t zu en tsch eid en . B ei der K o n s tr u k tio n des A p p a ra te s is t eine A u s
lö su n g der E xplosion au ch b ei to te n Z ellen m ög
lich. A n u n d f ü r sic h i s t die le tz te re A nn ah m e w a h rsc h e in lic h e r; d en n e in m a l m ü ssen die N esse l
k apseln ein en g ro ß en T e il des D a r m tr a c tu s p a s
sie re n , ehe sie a n O rt u n d 'S telle g elan g e n , und d a n n kennen w ir e in e d e r a rtig e T o le ra n z fre m d e n L ebens n u r von der Sym biose u n d in gew issem S in n e auch vom P a r a s itis m u s h er, wobei es sich aber u m ganze O rg a n ism e n u n d n ic h t um E in z e l
o rg a n e oder g a r n u r um b esondere Z e lld iffe re n zie ru n g e n h a n d e lt.
D agegen is t die k ü n stlic h e E in v e rle ib u n g a rt-, person- oder o rts fre m d e n Gewebes zum Zwecke physiologischer V e rw e n d u n g im E ig e n d ie n s t schon seit a lte r Z e it von d e r C h iru r g ie g e ü b t w orden.
W as u n s h ie r in te re s s ie rt, is t n u r d ie F ra g e , ob lebendes, to te s oder a b g e tö te te s M a te ria l ohne w eiteres im fre m d en O rg a n ism u s w ie selbstpi’odu- z ie rte s V erw endung fin d e n k a n n . B ei der B l u t
tr a n s f u s io n .ist b e k a n n tlic h ein e h om oioplastisehe Ü b e rtra g u n g m öglich. D ie ro te n B lu tk ö p e rc h e n d er S äu g etiere, die m orphologisch w eitg eh e n d de- k o m p o sitie rte E le m en te sin d u n d die d a d u rc h
1S) S p en g el, D ie N esselk ap seln d e r Ä o lid ier.
N a tu r w. W oehensclir. 849, 1904.
zw eifellos eine ganze R e ih e von L e b e n seig en sc h af
te n ein g eb ü ß t hab en , also m it m e h r R e c h t als n ek ro b io tisch , d en n als „leb e n d sc h le c h th in “ be
z e ic h n et w erden d ü rfe n , sin d gleichw ohl im stan d e , ih r e F u n k tio n als G asw ech sler im p erso n fre m d e n O rg an ism u s, der sie im a llg e m e in e n to le rie rt, ebensolange auszu ü b en als im e ig e n e n K ö rp e r, wo ih n e n n ac h w eislich n u r d ie k u rz e L eb en sd au er von etw a 7 W ochen zukom m t. W ü rd e m a n aber die ro te n B lu tk ö rp e rc h e n i m ‘S in n e N a g e o tte s v o r
h e r m it irg en d w e lch e n k o n se rv ie re n d e n R eagen- tie n behandeln, so w ü rd e id'as sic h er tr o tz ih re s n a tü rlic h e n n ek ro b io tisch e n C h a ra k te rs ih re K o n s titu tio n so v e rä n d e rn , daß sie n ic h t m eh r als f u n k tio n ie re n d e E le m e n te i n F r a g e k ä m e n ; h öch
ste n s d ü rfte i h r E is e n g e h a lt n ac h d er A u sm e rz u n g f ü r die N eu b ild u n g g le ic h e r E le m e n te w ieder V erw en d u n g fin d e n . I c h erw äh n e d ie roten' B lu t
kö rp erch e n h ie r desw egen, w eil sie ih re m D if fe re n z ie ru n g sz u s ta n d e n a c h sic h er m in d e ste n s zw ischen Tod u n d L eben stehen.
D och e x istie re n au ch f ü r d ie Gewebe m it I n t e r z e llu larsu b sta n ze n , u n d zw ar speziell f ü r den Knochen', ein g eh e n d e h isto lo g isc h e U n te r s u c h u n gen, die ein e S te llu n g n a h m e zu der w ied e r von N age otte n e u a u fg e w o rfe n e n F ra g e erm ö g lich en . B a r t h 10) u n d Marclnancl20) h ab en k leine K n o c h e n scheibchen au s dem V e rb a n d des S ch äd eld ach s ge
löst u n d so fo rt w ieder e in g e h e ilt. S ie fa n d e n d a bei, daß zw ar dem bloßen A ussehen n ac h ein e völ
lig e R e s titu tio n e in tr a t, daß aber die selbst n u r f ü r w enige M in u te n a u s ih re m n a tü rlic h e n Z u sam m enhang g erisse n e K n o c h e n su b sta n z — w en ig sten s w eim das aus dem Z u s ta n d ih re r Z el
len geschlossen w e rd e n k a n n — zu g ru n d e g e h t u n d a llm ä h lic h d u rc h n e u e e rse tz t w ird . D er P rozeß sp ie lt sich n a c h ih n e n in der W eise ab, daß sowohl von d e r O b erfläch e w ie von d en M a rk rä u m e n bzw. den G efäißkanälen h e r d er alte K n o ch e n , dessen Z ellen f a s t sä m tlic h degene
rie re n 1, entw eder so fo rt a u fg e lö st u n d d urch n e u e n e rse tz t oder aber zu n ä c h st ste h en b le ib t und von n eu a b g e la g erter S u b stan z u m m a u e rt w ird . I n d e m diese V orgänge sich im m er w ied e rh o lten , w ü rd e d er ganze K n o ch en gew isserm aßen h e im lic h von in n e n h e ra u s n e u u m g e a rb e ite t. M archand g la u b t, d aß d ie a lte n K n o ch en zellen ih re V ita litä t ein b ü ß en un d neue in T ä tig k e it tr e te n d e O steo
b lasten die alte G ru n d m asse , ohne daß es dabei zur B ild u n g von R e so rp tio n slü c k e n kom m t, an O rt u n d S te lle auflösen, u m ih r e K alk salz e g leich w ie
d er zu m N eu a u fb a u zu verw en d en . I c h habe a m a n d e re n G rü n d e n diese V ersu c h e w ie d e rh o lt u n d k a n n d ie A ngaben im w e se n tlic h e n b estätig en , w en n ich auch fin d e, daß die M asse des z u n ä c h s t n ic h t absterb en d en K n o ch e n s sehr viel g rö ß er is t als die A ngaben B a r th s u n d M archands v e rm u te n
19) B a r th , A ., H isto lo g isc h e U n te rs u c h u n g e n über K n o ch en im ip lan tatio n . Bei tr . p a th . A n a t. a llg . P a th . J 7, 65, 1895.
20) Marchand, F., D er P ro z e ß der W u n d h eilu n g . D eutsche C h ir. 16, 1901.
N w . 1923. 63
490 Weidenreich: Die Verwend. v. organis. „Totem“ im Aufbau d. lebend. Organismus, f Die Natur- I Wissenschaften ließen. M an sie h t in d er T a t, daß n eu g e b ild e te
K n o c h e n su b sta n z f a s t ü b e ra ll -sich an d ie alte a n la g e rt u n d daß das au ch d o r t der F a ll is t, wo die le tz te re i n w eitg eh en d em M aße z e r trü m m e r t w u rd e (S äg em eh l). A u f diese W eise e n t s te h t ein z. T . aus B ra c h stü c k e n zu sam m en g esetzter, s ta rk spongiöser K n o ch e n n eu b a u . I n diesem F a lle d ü r f t e m an also sagen, daß to tes oder n ic h t le b en des M a teria l im S in n e N a g e o tte s w ied e r beim A u fb a u V erw en d u n g fin d e t. D as g ilt f ü r alle F ä lle , d. h. ob m an m it dem N achw eis d er Z ell
d e g e n e ra tio n auch d ie G ru n d s u b sta n z se lb st f ü r to t h ä lt oder ih r von vo rn e h e re in eig en es L eben ab sp rich t.
N u n lie g e n a lle rd in g s beim K no ch en besondere V e rh ä ltn is s e vor. A u ch im n o rm alen K nochen f in d e n in n e re S tru k tu ru m s e tz u n g e n s ta tt, die sich in g ro ß a rtig e n Ab- u n d A nbauprozessen äu ß e rn u n d das e ig e n tlic h e S tru k tu re le m e n t ides K n o ch en s, das O steon, d a u e rn d zerstü ck eln . D ie einzeln en k le in e re n T rü m m e r dieser B reccie w erd en a b e r — u n d das is t w ese n tlich — h ie r w ieder d u rc h ein en K a lk m ö rte l, der in F o rm von „ K it tlin i e n “ e rk e n n b ar w ird , zu ein er e in h e itlic h fu n k tio n ie re n d e n M asse v erb u n d e n . D ie n eu g e b ild e te n K n o c h e n te ile w erd en also schon p hysiologischerw eise im m er w ied er abgebrochen u n d ih r e F ra g m e n te in die allg em ein e M asse e in g e m a u e rt. B e i d ieser S ach lag e v e rsc h lä g t es n ic h ts, w en n au ch ein m al zellenlose B ru c h s tü c k e u n te r die B a u ste in e ge
m e n g t w erden. B ei stä rk e re r D u rc h se tz u n g des M a te ria ls m it solchen T rü m m e rn v o llz ie h t sich d er U m b au o ffe n b ar n u r rasc h er a ls u n te r n o r
m alen V e rh ä ltn isse n . So w ird v e rstä n d lic h , w a r
um z u r D eck u n g etw a ig e r D efek te an u n d f ü r sich au c h ab g e tö te te r K n o ch en V erw en d u n g fin d e n k an n , w ie d ie V ersu ch e B a r th s u n d M archands schon lä n g s t erw iesen haben. D ie S c h w ie rig k e it lie g t b ei d e r p ra k tisc h e n A n w en d u n g dieses V e r
fa h re n s z. T. w ohl d a rin , daß in solchen F ä lle n d ie E le m en te , die das neue zu r V e rlö tu n g n ö tig e S te in - u n d M ö rte lm a te ria l zu p ro d u z ie re n haben, n ic h t so rasc h u n d le ic h t an O rt u n d iStelle a n g e lie f e r t w erd en können.
N ageoU e h a t die B a rth sc h e n V e rsu c h e in a n d e re r F o rm w ie d e rh o lt u n d is t zu den g le ich e n R e s u lta te n g elan g t. A ber er z ie h t d a r a u s keine w e ite re n F o lg e ru n g e n u n d V erg le ich e h in s ic h tlic h d e r E in h e ilu n g r e in b indegew ebiger S tr u k tu r e n u n d d ere n B e u rte ilu n g . A m B eisp iel d e r S eh n e k a n n am d e u tlic h ste n k la r g em ach t w erden, w o r
a u f es ankom m t. B eim K n o ch e n in se in e r G e
s a m th e it b e s te h t k e in e K o n tin u it ä t der se in e G ru n d s u b sta n z m itb ild e n d e n F a se rm a sse seihst.
E r s t die v e rk a lk te K itts u b s ta n z , in d er sie e in g e b e tte t ist, v e rlö te t sie zu e in h e itlic h e r F u n k tio n . G anz anders s c h e in t es b ei d e r S ehne. S ie h t m an au c h d avon ab, ob ein e K o n tin u it ä t zw ischen M uskel- un d S e h n e n fib rille b e s te h t o der n ic h t, so la u fe n doch die S e h n e n fa se rn in n e rh a lb d er S ehne se lb st d u rc h u n d setzen sich u n u n te rb ro c h e n in das P e r io s t oder in v e rk n ö c h e rte r F o rm in den
K n o ch e n selbst f o r t (F a serk n o ch e n vgl. W e i d en- r e ic h 21). W ird n u n aus d e r Sehne e in S tü c k h e r- a u s g e s c h n itte n u n d ein an d e re s d a fü r ein g ese tzt, so m ü ß te es, w enn die m orphologische un d f u n k tio n e lle E in h e it w ie d e rh e rg e ste llt w erd en soll, zu e in e r , v o lls tä n d ig e n V e rlö tu n g v o n F a s e r m it F a s e r a n den V e re in ig u n g sste lle n kom m en. N ach dem, was b ish e r aber h ie rü b e r b e k a n n t w u rd e , tr e te n n ac h K o n tin u itä ts tre n n u n g e n un d T r a n s p la n ta tio n e n von S eh n en oder ä h n lich e m Gewebe (B lu tg e fä ß e n ) im m er k a llu s a rtig e B ild u n g e n au f, d en e n e in e sta rk e V e rm e h ru n g des p e ri- u n d in tra te n d in ö s e n B indegew ebes z u g ru n d e lieg t.
M an h a t dabei den E in d ru c k , daß es sich bei der R e s titu tio n m e h r um ein F lic k e n h a n d e lt, indem d ie d u rc h s c h n itte n e n S e h n e n fa se rn i n e in H ilf s filz w e rk eingew oben w erden, als u m e in e d ir e k te V e rlö tu n g . E s scheint, daß e in e fa k tis c h e W ie d e r
h e rs te llu n g d er K o n tin u itä t e r s t d a d u r c h z u s ta n d e kom m t, daß die F a s e rn in ih r e r g a n z e n L ä n g e n a c h u n d n ac h n eu g e b ild e t w erd en u n d daß das F ilz w e rk d iesen V o rg a n g verd eck t. B e im K n o c h e n lassen sich g le ic h g e a rte te V o rg än g e w e n ig ste n s e in ig e rm a ß e n v e rfo lg e n ; b ei d er S ehne is t bis h e u te n ic h t gezeigt w orden, w ie u n d in w elchem U m fa n g der physiologische E rs a tz d e r F a s e r vor sich g e h t, d e re n zeitw eilig e E rn e u e ru n g w ie bei den m e iste n an d e ren Geweben u n d D iffe re n z ie r u n g e n des O rg an ism u s angenom m en w e rd e n m uß.
D ieser M angel e n tb in d e t aber n ic h t vo n d e r N o t
w en d ig k eit, bei ein er b e h a u p te te n v ö llig e n K o n tin u itä ts w ie d e rh e rs te llu n g im V e rla u fe ein e r W u n d re g e n e ra tio n d ie beso n d ere A r t dieses V o r
gan g e s d a rz u tu n . D ie s g i l t g eg en ü b er N age otte s V e rsic h e ru n g e n , u m so m ehr, als B o r s t u n d E n d e r- le n22) ,sch©n lä n g s t f ü r d ie G efäß e g e z e ig t haben, daß bei ih r e r h o m o io p lastisch en T ra n s p la n ta tio n das T ra n s p la n ta t n u r d er P la tz h a lte r f ü r die von der P fr o p fu n te r la g e aus n eu en tste h en d en Gewebs- p a r tie n i s t u n d in dem M aße, w ie diese N e u b il
d u n g e rfo lg t, selbst z u g ru n d e g e h t, u n d Salo- m o n 23) auch f ü r die S ehne den g leich en V o rg a n g llächw eisen k o n n te .
A u s d e n e rö rte r te n G rü n d e n k a n n d a h e r die von N a g e o tte gegebene D a rs te llu n g n ic h t b e frie digen. S elbst w en n m an zugeben w ollte, daß sich das k ü n s tlic h ab g e tö te te iSehnengew ebe w ie n a t ü r lic h es lebendes v e rh ä lt, m ü ß te d er N achw eis v e r
la n g t w erden, in w elcher W eise die je w e ilig en E n d e n zu ein er n eu e n E in h e it verschm elzen. D ie E rk lä ru n g , daß in einem gew issen S ta d iu m die G re n ze n n ic h t m e h r e rk e n n b a r sind, g e n ü g t des-
21) W eidenreich, 1. c., u n d : Ü b er d ie B ezie h u n g zw isch en M u s k e la p p a ra t u n d K n o c h en u n d d e n C h a ra k t e r des K nochengew ebes. V erh . A n a t. Gets. E rla n g e n 28, 1922.
22) B o rst u n d E n d er le n , Ü b er T r a n s p la n ta tio n von G efäßen u n d g a n ze n O rg an en . D e u tsc h e Z eitsch r.
C h ir. 99, 54, 1909.
23) Solo m o n , A ., U n te rs u c h u n g e n ü b e r d ie T r a n s p la n ta tio n v e rs c h ie d e n a rtig e r Gewebe in S eh n e n d efek te.
A rch. k lin . C h ir. 114, 523, 1920.
