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Die Zukunft, 15. Juli, Bd. 28.

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Berlin, den 15.Juli XVI

Ve- st I VI

Jphigenie in Bergen.

WidrigeVI Windehieltendie genTrojasteuerndenHellenenimHafenvon Aulis zurück.ArtemiszürntedemAgamemnonundhemmteden das

GriechellheerporwärtsführendenWindstoß.Da kündeteKalchas,derSeher:

nichtfrüherwerdederZorndermächtigenMondgöttinsich-lindern,als bis derBasileusseine lieblicheTochter, die, nachdemBeinamen derArtemis, JPhigeneia,diemitKraftGeborene,genannt ward, aufdemAltar derhohen Grollerin geopferthabe. Doch schondamals war denAuguren menschliches JMU nichtfremd,schondamals waren die Göttergnädigeralsihrebe- amteten Geberdenspäher.DieschnellzurMilde gegen dasMädchenge- stimmteMondgöttinverschmähtedasBlutderJungfrauausköniglichem Stammund entrückte dieTochterdesAgamemnonundderKlytämnestra VomOpferaltar,aufdemnun eineHindin ihrLebenließ,heimlich aufdie taurischeHalbinseLDerfeisteKalchas röstetesichamTriumphseinerSeher- kunst;denn dasOpfer schien gnadenvollangenommen unddicHerrinüber

MondlichtundMeeresfluthwürde, so hoffteer,denGriechenundderen KönigUUUgünstigenSinnes bleiben.DaßdenEitleneinIrrwahn narrte, WissenwirausdemMythos.DieHellenenhatten noch häufigdenZornder

Himmlischenzuspüren;undganzbesondersoftwurde Agamemnon durch dasSchkcksalseinesHausesdaran gemahnt, daßervonAtreus undThyestes abstmntnte,den Enkeln desTantalos,der dieGeheimnissederGöttertasel- rundeausgeplaudert,Nektar undAmbrofiavomTischentwendet und,um dasMaßseines Frevelnsvoll zumachen,denRufderAllwissenheit,derso langeschreckendvordenOlympiern herschritt, durchdie ekleMenschensleisch-

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mahlzeiterschütterthatte.Werwillsichdarüberwundern, daßdiethörichte KurzsichtdeshochwürdigenHerrnKalchas, trotzdemdaszerrbildnerifche GenieJakobs Offenbach sie verewigte,diespätergeborenenHakuspicesund Fulguratores nicht gehindert hat,inTagen wachsenderSkepsisdenRuhm ihrerSeherkunstlautdurchalleGassenzurufen?

Siesindeben wiederam Werk;undzu demBuchDefabulis ad Iphigeniampertinentibus könntejetztein anderes Kapitel geschrieben werden,dasrecht reichhaltig ausfallenwürde. DerDeutsche Kaiser hat, alseraufderNordlandfahrtinBergen rastete,dasfranzösischeSchul- schifprhigåniebesuchLErwurde,wiesichsnachdeminternationalen Brauch gebührt,amFußderSchiffsleitervom KapitänManceron empfangen,die Mannschast salutirtebeiklingendemSpiel,undalsWilhelmderZweitean Bord war,stiegamHauptmastdiedeutscheKaiserstandarteempor. Drei Viertelstundenlang manövrirten, auf seinen Wunsch,dierepublikanischen SchtfssschülervordemMonarchen,dembeimScheidendanneine Salve voneinundzwanzig SchüssendasGeleitgab. ZueinerMahlzeitanBord warderKaisernichtgeladen;ersrühstücktebeimdeutschenKonsul,lud aber die Offiziereundsogarein paarDutzendKadetten desfranzösischenSchiffeszu einemSouper auf seine Yadt »Hohen1,ollern«.Vorher hatteerin einem höchstschmeichelhastenTelegrammandenPräsidenten derfranzösischenRe- blik über seineangenehmenEindrückeberichtetundden»glücklichenUm- stand« gepriesen,derihm gestattet habe,dieihres »edlenVaterlandes«

würdigen, »sympathischen«jungenSeeleute zutreffen,undHerrLoubet hatte,vielkürzer,abermitartiger Korrektheit, für diesen Zuruf gedankt.

Der Vorgang scheint politisch zunächstvöllig bedeutunglos. Schonbei der EröffnungdesNord-OstseeKanals hatderKaisereinfranzösischesSchiff betreten aufdemrussischen Admiralsschiff sollen sehrbalddanachvon FranzosenundMoskowitern beim Becherrechtbedenkli.t;e Redengeführt worden sein—, auch derAustausch höflicherDepeschen ist zwischenden höchstenVertretern DeutschlandsundFrankreichs nicht mehrneuundder ,,glückliche11mstand«,der dasZusammentreffeninBergen ermöglichte,soll, wieman imFigaro lesen konnte,derInitiativedesDeutschen Kaiserszu dankensein,der demMarineattachåderfranzösischenBotschaftinBerlin schonvorWochen deannsch ausgesprochenhabe,derIphigånieeinenBe- such abzustatten. DennochwurdedieMeldungausNorden in einem be- trächtlichenTheil unserer Pressemit einemSchalmeienkonzertbegrüßt.Die Hundstagesind nah,esfehltanlohnendcm Zeitungstoff,dieHoffnung,

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HerrnvonMiquclschonimJuli geschlachtetzusehen, hat sichnichterfüllt, unddieGelegenheit,denKaiser winselndmitSchwanzund Pfotenan- zuwedcln, darfkeinbyzantinischgekämmterPudel sich entgehen lassen.

So wurdeauseinerRegungliebenswürdigenWesensdennschnelleinpoli- tischesEreignißvon weltgeschichtlicherBedeutung gemachtundderaufhör- cheUdenWeltvomHolzpapierharuspiciumverkündet: Was Otto Bismarck vergebenserstrebte,warddem milderenWilhelmalsLohn seinesMühens;

erhatiU diesprödsich verschließendenFranzosenherzendenWeg gefunden, hatdietrotzdreißigjährigemFriedenimmernochGrollendenendlichversöhnt Unddurcheine ganzpersönlichePolitikderRuhe EuropenseinefestereBasis geschaffen,alsesdersanfte LockrufdesWeißenZaren vermochte;vonder Feühftundedes-sechstenJulitages1899,daderKaiserdenFußanBord derIphigiåniesetzte,wird diemitteleuropäischeMenschheit künftigeineneue

EpochefriedlicherEintrachtdatirenunddiefernstenEnkelweiden denEnkel derSiegervonSiebenzigpreisen,dessenbezaubernderKunstdasholdeWunder gelang...Kalchasistwieder einmalsehr stolzundsonnt sichwohlgefällig infeinemSehertriumph.

Ob dieLust lange währenwird? Daßes einepersönlichePolitikdes Kaisers,eine,dienicht zugleichdievond.namtlichen TrägernderVerant- wortunggebilligtePolitikdesDeutschen Reiches ist, nicht giebtundnicht gebenkann,brauchtkaumausdrücklicherwähntzuwerden. UnddaßdieFran- zoerbei der

BeutthcilungdesTagesvonBergen rechtweitvondembeschä- mendenUeberschwangunserer Wortführerentfernt sind, lehrteinBlick in diePariserPresse.JndenBlättern,die dengrößtenLeserkreisunddeshalb diePfllchthaben, sichdemMassenempfindenbesonders fchmiegsamanzu- PUsseU,fandman dieüblichenhämischenUngezogenheitengegen denKaiser;

in anderenBlättern,dieihrerkleineren GemeindeeinenbrsserenTonbieten zumüssenglauben,wurde huldvoll gesagt, Frankreich dürfesichdiedeutschen AMäherungveksucheimmerhin g.falleu Iasseu,dadiechuvcikdieHiifedes benachbartenKaiscrreichesin kolonialknAngelegenheiten—— Dasiotlhrißcnx in etwaeintretenden BetwickelungenmitEngland einesTages vielleicht brauchenkönne.Kühlwurde dieSachein allenLagern beurtheilt.Und daßder Windnicht noch frostigerüber dieVogesen weht, istnur der Rück- sicht aufdenProfithungerzudanken,dersichimMeßsommerdesJahres 1900zUsättigenhofft.DieMehrzahlderFranzosen ist überzeugt,die ge- häUfkeUHöflichkeiten,«diederDeutsche KaserderNachbarrepublit während desletztenLUstrUmserwiesenhat, seiennur bestimmt,denvonihm erschnten

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BesuchderpariserWeltausstellung vorzubereiten,—und einensobilligen, so weithin sichtbarenclou del’Expositjon wünschtsichnatürlichjeder lutetische Händlerherbei. Diese Ansicht ist doppelt thöricht.Dennerstenswirdsich, wenn dieVerhältnissesichnicht wideralles Erwarten ändern,imDeutschen ReichkeingewissenhafterMenschfinden,derfüreinepariserReise desKaisers dieLastderVerantwortung übernimmt,einerVerantwortung,dievorjäher Kriegsgefahr nichtzurückschreckendürfte;undzweitens beweistdasGewisper, welcher kleinlichenErwägungenderRepräsentantdesDeutschenReichesvon« demVolksgeistderFranzen verdächtigtwird:ihm,dennurderWunschtrei- benkann, zwei hochkultivirte Nachbarnationeneinander imFühlen näher zubringen,wirdschlankwegdieAbsichtuntergeschoben, einenpersönlichenEr- folg einzuheimsenundsich aufdenGroßenBoulevards,wieweiland Herr Boulanger,vomgeputzten Pöbel umjubelnzulassen.Auf diesekränkende Unterstellungwurde hier jedesmalwarnend hingewiesen,wenn einkaiser- licherGrußin deramtlichenSphäreFrankreichseinhöflichherüberklingen- desEchoweckte und darobausdenGesindezimmernderdeutschenPresseein gewaltiger Jubel erscholl.DieWarnung ist ungehörtverhallt.Siewird auchdiesmalverhallen; und denernsten BeobachterpolitischenWerdensund Wandels wird im KreisderFrohlockenden bange Sorge beschleichen,wie im ParzenlieddergoethischenJphigeniedenAlten,der

»DenktKinderundEnkelundschütteltdasHaupt.«

Vielleicht istsdenKindern undEnkelnderDeutschenvonheutebe- schieden,dieschöneFriedensstundezuschauen,dadergallischeHahnfroh dendeutschenAdlerumkrähtundim Lande deruns knochenlosdünkenden JphigcänieRacines einst gut goethischzurhohenGöttingebetetwird: »O enthaltevom BlutmeineHändelNimmer bringtes SegenundRuhm...«

Noch sindwir leiderlängstnicht so weit;undjede übereifrigeFreundschaft- bekundung,diesichinDeutschland zeigt, stärktnur den unausrottbaren GallietstolzundsteigertdieGefahr einerunheilvollenVerwickelung.Frank- reich durchlebt jetzteineKrisis,vondernur einzelne Symptomein dem wüsten Kampfum Dreyfusbemerkbar gewordensind.Das Reichdes SonnenkönigsundBonapartes wird,mitseinerabnehmendenBevölkerung- zuwachszifferundseinerbis zurErstarrung rückständigenIndustrie,all- mählichausseineraltenGroßknachtstellungverdrängtundaufdasNiveau Italiens hinabgedriicktzesleidet, zuerstunter allenStaatenEuropas,an demZwiespalt zwischenmilitärisch-aristokratischemKastengeistund demo- kratischenEinrichtungen;undesscheintzumersten Experimentirlandedes

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JphigenieinBergen. 101 modernenSozialismusbestimmt.DieserKrisis, die,wennerstdieAus-

stellungernteeingebracht ist, jeden AugenblickzudemVersucheiner

Entladungnach außenzuführenvermag, kannDeutschlandkaumstill AFUUSzusehen;schonderSchein eifrigenWerbens könnte diegefähr-

lllsheHoffnungaufeinenErsatzdes1870Verlorenen nähren.Wiedas kkltischeStadium schließlichverlaufen,obsichamEnde dieMöglichkeitzuver- fälligerFreundschaftzwischenden beidenReichenergebenund ob der vonVielen erträumteDreibundDeutschlands-,FrankreichsundRußlandsgegenangel- sächsifchcAnmaßungjeEreignißwerdenwird? NurdieaufwolkigerHöhe Thronendeweißes,zu derunser DichterdiejungfräulichePriefterinbetenläßt:

»Weise bist DuundsiehestdasKünstige.

NichtvorüberistDirdasVergangene UndDeinBlickruhtüber denDeinen, WieDeinLicht,dasLebenderNächte, UeberderErderuhetundwaltet.«

KalchaswähntsichtrotzallenentdecktenJrrungennochheuteweiserals die WeisesteGöttin.Er veriibtinderStadt Olafs Kyrre Streiche,die demSchelm VOUBergenEhremachenwürden,blähtsichmit seinenDeuterkünstenund be- denkt,als einblitzdummerAugur, nicht einmal, daßauchdenFranzosen,die ekVersöhntin dieoffenenArmederDeutschen sinkensieht, »dasVergangene

«

Nichtvorüberist«.DochseitdemTrugvonAulis Bismarck hatesoftge- sagt trauen dieKönigedenZeichendeuternnicht mehr recht. Und somag demvon

schlauenKalchasföhnenschamlos belogenen Deutschen Kaiserdie

schmerzlicheEnttäuschungerspart bleiben, selbstschauenzumüssen,wie die

Franzosen,dieihnalsSehenswürdigkeitvielleichtdenMeßgäftenvorsetzen möchten,aufdemtiefstenGrund ihres heißenChauvinherzensinihmden ErbendesSiegersvonSedan hassenund wie gernsie,nachdemWortaus GoethesGedicht,»meiden,im Enkel dieZügedesAhnherrnzusehen«.

MO-

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Die Reaktion in Italien.

WerItalienliebt,siehtmittiefem Schmerz,wiedieses intelligenteVolk an einerpolitischenReaktionkrankt, dieschlimmerist alstürkische Mißwirthschaft.AberderSchmerzdarübermuß hinterdieFrage zurücktreten, wasdieserReaktiondenWeg geebnetundfast jedenWiderstand dagegenin einem Landebeseitigthat,das,wenigstensinseinennördlichenGegenden,ebensocivili- sirtundvonliberalenIdeen erfülltistwie diefortgeschrittenstenTheile Europas.

DieBeantwortung ist nicht schwer.Drei protektionistischeSysteme,eins immer verderblicheralsdasandere, erdrücken dasLand. Das dritte soll denSchrei ersticken,dendie beidenanderendemVolkentreißen.

DieIndustriellen besondersdiedes Nordens haben,unter dem Vorwande,dieIndustriedes Landeszuheben,dieEinsuhrzölleauf fremdeGe- werbeproduktenach Möglichkeitgesteigert;sie bedachtendabei abernicht, daßIn- dustrien,dienurinkünstlicherBruthitzegedeihen,übermäßigeKostenverursachen undschließlich,wenn derSchutzzollfällt, doch.nichtlebensfähigsind.Dann habendiegroßenGrundherren besonders die des Südens denschutz:

zöllnerischenIndustriellendieHand gereichtodervielmehrmit denIndustriellen Halbpart gemacht; sie bewilligten ihnendieAufrechterhaltungvonIndustrie- zöllen,um dafür entsprechendeLebensmittelzölle,inersterLinieausWeizen undMais,zuerhalten,dic,ihrer Angabe nach, freilichnur dielandwirth:

schaftlicheProduktion heben sollten.Undalswenn das AllesdasVolknoch nichtgenugbedrückte,kam der Militarismus als Dritterim Bundehinzu.Der Hof,derwederanderLandwirthschastnochanderIndustrie interessirt ist, findet seinen Ruhm, seine Freudeundseine ZerstreuungimSoldatenspiel undimMilitarismus

Paraden, Ernennungenvon Generalen,Rivalitätenzwischen hohen Militär- UndhohenCioilbeamten undverwickelteIntriguen,indenennicht selten zarte Frauenhändesichtbarwerden,füllenunserhöfischeschen aus;

undobgleichdieVerfassung will,daß derKönig herrschtundnicht regirt, so ist,nachdemallerlei unfähigeMinistereinander derReihe nach abgelöst

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DieReaktion inItalien. 103 haben-auch diese Maxime nicht mehr entscheidend:wirhabeninWirklich- keit ein

caesarischesRegimentundderWilledesKönigs gilt erheblichmehr als der desSenates,der Kammer und leiderauch! deröffentlichenMein- UngsDieHofpartei, obwohlsienur eineverschwindendkleineGruppevon Personenumfaßt,hältallein dasenorme Heeresbudgetfür zwölfArmeecorps aufrecht;unddazu hat sie nichteinmalnöthig,mitdemVolkzupaktiren, sondern sie braucht sichnurmitdenKoterien zuverständigen,die diePar- lamentsabstimmungenbeherrschen.UmdieZustimmung dieserLeutezuer-

halten, unterstütztsie nachder einenSeite dieindustrielle, nachderanderen Seite dieagrarischeProhibitiv:Politik, unddieaufsolcheWeise bestoche- UmInteressentengeben sichdazu her,denmilitärischenProtektionismus,die

allerunpopulärsteInstitution Italiens, aufrechtzuerhalten.

Das Alles würde hinreichen,um einreichesLandallmählichzu ruiniren,wiegewisseVerfallserscheinungeninFrankreich lehren;aberganz unerträglichistesineinemLandevon bestimmt begrenzterProduktivität, mit einer inihrenAnfängenstehendenIndustrie, in einem Lande, in dem die

Landwirthschaftnur an wenigen Punkteneinenintensiven Betrieb kennt,wo nochAllesRevolutionundUnruhe athmet,dieStaatseinrichtungenebenerst UnterDachUndFach gebracht sindunddas FeuerdergewaltthätigenAuf- lehnungnochunter derAsche glimmt. SoistdenndasitalienischeVolk in eineSackgassegerathen,ausdereskeinen anderengesetzlichenWeg giebtals denHungertododereinevölligeAenderungdesRegirungfystemsAberdas VolkistfCstgeschmiedetandendreifachen RingdesMilitarismus, desin- dustriellenund desagrarischenProtektionismuszeskannsichdavonnicht losmachenundistinderLagedesTrinkers,derdreiViertel seines Lohnes durchdieGurgelgejagt hatundnun, magerdieletztenPfennigenochso oft in derHand hin und herwenden,doch nichtgenugherausrechnenkann,um für EssenundNachtquartierzusorgen.

Il- Its

als

Wenn die Staatsmänner nichtbald zurBesinnungkommen,dieAugen öffnenundbegreifen,wohin siedieNation geführthaben, sobleibtnur noch dergewaltsame Ausbruchaus diesem hoffnunglosenEngpaß.Vrutal wirdes zugehen,Wenndie ganzeMassedes Volkes einesTages Hand anlegt,umsich billigesBrotundeinebessereRegirungzuverschaffen, eine, diewenigstens ab UndzUdoch auchandie enterbten Klassendenkt undnichtblos an die paaragrakischenundindustriellenBarone. Nochbrutaler aber-sind heute schondieGewaltmittel,mit denen dieRegirungDie zumSchweigenzubringen VeksnchhdieaufdieschreiendstenUebelständehinweisen,Gerechtigkeitverlangen,

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104 DieZukunft.

denMilitarismus bekämpfenunddieunermeßlicheSchädigungdurchdenin- dustriellen, agrarischenundmilitärischenProtektionismusverkünden. Siehat kein Bedenkengetragen, Schriftsteller fürArtikel zuverfolgen,dieJahre lang vorher geschriebenworden waren; sie hat sichnicht gescheut,grundlosdenBe- lagerungzustandzuverhängen,undsie hatdieunauslöschlicheSchmachderFu- silladenauf sichgeladen,diemehralshundertMenschenin denStraßenMailands hinstreckten,ohne daß auchnur eineinzigerSoldat verwundet worden war.

EineRegirung,anderenSpitzeeinSoldat steht,inderdreiandere Generale dasPortefeuilledesKrieges,derMarine unddesAuswärtigen führen,Einer immer unfähigerals derAndere, dieRegirungeines solchenMinisteriumskannihren Weg nicht zurückmessenundihre Fehler nicht wiedergutmachenzundso blieb dennnichts übrig,alsbegangeneFehler durch neue zu überbieten,neueGewaltmaßregelnzuersinnenundGesetzevorzulegen, die dieSäbelherrschaftund denBelagerungzustandinPermanenzerklären. Das gab nochdazudiewillkommeneGelegenheit,fortandiePreß:undVersammlung- freiheitzuverkürzenunddieStrafenauf VerleumdungenundBeleidigungen zuverdoppeln. SpitzbübereiemwiesieimBanco romano begangenworden waren, würdendann künftignicht mehr so leichtans Tageslichtzuziehen sein,und dieverbrecherischenElementederregirendenGruppenkönntenhübsch unter sichundganzungestörtbleiben

Schon heuteexistirenPreß:undVersammlungfreiheitkaumnochandersals aufdemPapier.DasMinisterium Pellonkonntesich schon wenigeMonate nach seinemAmtsantritt rühmen, außer Konfiskationen ohne Zahl fünfund- siebenzigBerurtheilungenvonRedakteurendurchgesetztzuhaben.EinJournalist wurdeverurtheilt,weilseineZeitungamzwanzigstenSeptember,demTagederEr- mordungderKaiserin Elisabeth,mit einemTrauerrand erschienenwar,derum zweiMillimeter zu breit war;allerdingswarderTag zugleichderJahrestagdes EinzugsderPiemonteseninRom,einTag,überdessenkriegerischeBedeutung

man verschiedenerMeinung seinkann. Einanderer Journaliftwurdever- urtheilt,weilerunehrbietigvonderLoge gesprochenhatte; selbsteineSchrift Tolstois,die denKrieg verwirft,wurde konsiszirtund einjunges Mädchen wurdefür schuldiggehalten,weilsieerklärthatte,man müssedenhungernden ArmenzuHilfekommen. AufdreiMonate entfallen zweitausendVerm- theilungenwegenpolitischer Vergehen.Eine große ZahlvonVolksschul- lehrern istvom Amte suspendirtworden undTausendevon Vereinen und Genossenschaftenwurden aufgelöst,auchsolche,dievondergrößtenwirthschaft- lichen Bedeutung fürdasVolkwaren.

Undnun sollendiedurch königlichesDekreteingeführtenGesetzeden Ausnahmezustand fürimmer festlegenunddenletztenRestvon Vereins- undGedankenfreiheitabschaffen?

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DieReaktion inItalien. 105 Man hat gesagt, einige dieser Maßregeln seien deshalb nöthig,weil dievorjährigenmailänderUnruhen durchdiePressegeschürtworden seien.

DasistAberfalschunderlogen.DieUnruhenwaren dieFolgederBrot- theUeUmgund derallzu berechtigtenEntrüstungüber dieschamlosen Frei- sprechungenderCrispi, FavillaundKonsorten.

Eshieß,wirseienfürdie ganzeFreiheitnochnicht civilisirtundreif genug—Nun, diese»ganzeFreiheit« habenwirseitfünfzigJahren;und wenn wir Etwasbrauchen,so sindes neueFreiheiten, nichtneueUnfreiheiten.

Manhatvonje hermitgeringenEinschränkungenderFreiheit angefangen, Umsieam Endeganzzuerdrosseln.AlleParteien schwärmenfür Preß- freiheit,wennderPressenur irgend welchebestimmten »Ausschreitungen«ver- botenwürden;dieFabrikantenunddieGrundherrenwollenderPressevon Allem zU redenerlauben,nurnichtvonStrikesundvondenGetreidepreisen,die Militärs habennur Einwendungen,wenndieArmeekritisirtwird, dieKlerikalen, wenn dieDogmenangegriffenwerdenu.s.w.

Andere sagenwieder: »Aber so ist doch wenigstens RuheimLande«

Ja gewiß,aber dieRuhederLähmung,derErstarrungund desKirchhofes, eineRuhe,dieum denPreisderNationalehre erkauftwird. Manblickeauf jenes unglücklicheLand, für dessenZuständealleunsereReaktionärebewußtoder Unbewllßtschwärmen,aufdaseinstsostolzeSpanien,dasjetzt gedemüthigt UndUnterthurmhoherSchmachbegrabenist.Wohat sichblindeVerfolgungwuth jebitterergerächtalsindemLande, dasseineDenkerauf dieScheiterhaufen sandteundzuletzt noch auf Montjuichalle GräuelmittelalterlicherTorturen amEnde desneunzehntenJahrhundertserneuerte? DaerlaubtsichdiePresse gewißkeinenHinweis mehr auf MißständeinderArmee,nichteinmalunter

Ministerien,die wirnach unseren Begriffenultraliberal nennen müßten.Nun:

Spanien hatdieFrüchtedieses Systems geerntet;mitseinenmilitärischge- drilltenHeeren hatesnichteinmalein paartausendschlechtbewaffneteundzer- lUMPteJnsurgentenniederwerfenkönnen undvor denersten Kanonenschüfsen aus demLagereinesnicht-militärischenVolkesistesfeigin die Kniegesunken.

Undwarum mußteesdahinkommen? Weil dieGenerale nur für sichselbst besorgtwaren, die Soldaten, dienicht wußten, wofür sie kämpften,weder Sold nochLebensmittelerhieltenundnichtim Stande waren, sichweiterals einigeKilometer vonihren befestigtenStützpunktenzuentfernen;weildie Schiffe,diezahlreichgenugwaren, umbetrügerischeLieferantenundprahlende AdmiraleinHaufenzuerhalten,wederGeschützenochMunition hatten.Aber werhätteunterdenspanischenPreßverhältnissenwagendürfen,Dasoffenaus- zusprechen?Mandarflautjubelnd rufen: herrlichwar demStaat mit dieser

BeschränkungderPkeßskeiheitgedient!

Wenn inZukunft auchkeineKlagenmehrlautwerden,sowerden dieLeiden 8

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106 DieZukunft.

doch nicht aufhören,weiter zuschmerzen,und das Krebsübel wirdnur umso tieferfressen.An die Stelle derfreien PressewerdendiegeheimenFlugblätter, wirddie verbotenePropagandatreten. Schon jetzthabenwir eine ArtvonGe- heimliteraturüber dievorjährigenmailänderUnruhen,die umsomächtigerwirkt, weilsie nichtdiskutirt werdenkann. UndandieStelleder verbotenenoffenen GesellschaftenundVereinewerdenGeheirnbündetreten: wirsind dann wieder bei derpolitischenVerschwörungangelangt,diewirlängstüberwundenglaubten-

DasMindeste also,wasdieseGesetze herbeiführenwerden,isteine VermehrungdesZündstoffesunddesHasses; vielleichtwerdensie auch schlecht geleitete Aufständeverursachen,dieallerdingsdenverbessertenSchußwasfen unsererArmeegegenübererfolglosbleibenwerden. Undsolchen verzweifelten Auflehnungenwerdenneue, gewaltsamereRepressionenfolgen, so daßwirauf der einenSeite eineMasse sehenwerden, die, zujederGewaltthatbereit, ihre Opfer aufdemStraßenpflasterund imKerkerlassenwird,aufder anderen Seite einekleineSchaarvon Gewalthabern,dieum so grausamer seinwerden,je mehr sie sich fürchten.Wielangeeinsolcher unnatürlicher Zustanddauernkann,ist nichtvorauszusagen.Dasaberist sicher, daßereine wirklicheRevolution vorbereitet, dienach sovielenhartenundungerechtenVer- solgungenfürchterlichseinwird: unddas Alles in einemliebenswürdigen,leicht lenkbarenVolkevonmilderArt,dasso leichtzuregirenwäre,wenndieherrschen- denKlassennur um einGeringes selbstloserwärenundeinenkleinenTheil ihrereingebildetenVortheilezuGunsten ihresunddesallgemeinen wirklichen Jnteresseszuopfern verstünden.

Umeinzusehen,daßdieReaktion von heute nichtdauernd dasFeld behauptenkann,daß ihrnur einkurzer Triumph beschiedenist, brauchen wirnurumunszu blicken.WirhabeneinegeistigeThätigkeit,dievonFrankreich undBelgiennichtübertroffenwird,blühendeUniversitätenmitweitenLaboratorien, in denensichForscherausganzEuropaversammeln,unsere abgelegenstenDörfer sindelektrischbeleuchtetund mitentferntenStädtendurchTelephoneundStraßen- bahnenverbunden,Arbeitergenossenschaftenvon zwanzig-bisdreißigtausend Mitgliedern behaupten sichallenbureaukratischenChikanenzumTrotz,Zeit- schriftenentsteheninjedemCentrum,dieFrauen dringenin dieVerufszweige der Männer ein,dieBevölkerung wenigstensOberitaliens löst sich innerlich mehrundmehrvomPriesterundvomSoldaten abundsinnt nicht auf KriegsruhmnudEroberungen, sondern auf Verbesserungenderindustriellen undagrarischenTechnik. Jch sehe,wieselbstdieErzreaktionäreder mailänder Verwaltunggezwungensind,diegroßenBetriebederGas: undWasserversorgung, dieSchulenundVerkehrsmittelzumunizipalisiren,wie undsowaresauch 1848 an die Stelle jedesabtretenden Gegners·zweioderdreiLiberale rücken,wieesderReaktionsoanJntelligenzengebricht,daß sie nichteinmal

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EinekleineInventur. 107

brauchbareRedakteurefür ihre Zeitungen gewinnenkann, Und wiesie sichim gegenwärtigenKabinetmitMinisternvon lächerlichsterUnfähigkeitbegnügen UJUßTWennichdas Allesüberlege,sowillichdenTrostunddieHoffnung nicht fahren lassen, daßderHorizont sichdochbald weiten undaufhellenwird

unddaß trotzAlledem einneues Italien erstehenwird, allen Völkerntheuer, WeilessichvonGewalt, UnrechtundUnkultur abwendet,ummit den anderen Völkernnur nochim GutenundSchönenzuwetteifern.

Turm Professor Cesare Lombroso.

W

Eine kleine Inventur.

MikeMusterungderLage-i) hat bisher ergeben,daßdieProletarier,die einInteresseamUmsturzhaben, sowohlanZahl abnehmenalsanMacht einbüßen,da dieMachtder imStaat organisirtenBesitzendenundSchmarotzer dank der

heutigenWaffentechnikunddemvollendetenNachrichtendienststetig Wächst-daßdemnachjedeGefahreinergewaltsamenErhebung völligbeseitigt ist,daßaber derbestehendeZustand keineswegsbefriedigendist,weil dieZahl derwahrhaft ProduktivenimVerhältnißzuderderSchmarotzenden stetig Ubninlmt,weildieSchmarotzendeneinengrößerenAntheilvom National- PwduktbeziehenalsdieProduktiven,weildasDaseineinesimmer größeren ProzentsatzesderBevölkerungvon denunberechenbarenundimmer schneller wechselndenKonjunkturenderWeltwirthschaft abhängtund weilaufden UnterstenSchichtenderProduktivenundUnentbehrlichenderDruckdesbreiter werdendenundLuxus heischendenReichthumesimmer härter lastet,daeine iMmerkleinereAnzahlvon Arbeitern eineimmer größereMengevonPro- dukten zuschaffenundvon Dienstenzuleisten hat,dieLöhnungaberund diesonstigenArbeitbedingungennichtvonirgendeinerwaltenden Vernunft, sondern durchdasAngebotansichselbst verkaufendermenschlicherArbeitkraft bestimmtwerden. Und zwar helfendie Arbeiter selbst diesen auf ihnen lastendenDruckvermehren,indemauch siealsKonsumenteninMasse wohl-

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die)S. »Zukunft«vom 8.Juli 1899.

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