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Die Zukunft, 23. April, Bd. 23.

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Berlin,den 23.April 1898.

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JsraelS Sozialreform

Manpflegtvon einer»fozialenFrage«zusprechen,wenn sichweite

·

-o KreisederGesellschaftinihrenmateriellenLebensbedingungenunbe- fmdigkfühlenundaufMittel zurAbhilfe sinnen. Jn ersterLiniehatman

dabeidiesoziale FragederGegenwartimAuge,wo dieUnzufriedenheit breiteSchichtenderBevölkerungergriffenundinBewegung gesetzthatund UfoUnzahligeProjektezurHebungvonNoth undUnzufriedenheitaufgetaucht, VIeIeAktionenderSelbsthilfe, StaatshilfeundPhilantropie auch thatsächlich

dslkchgeführtodermindestensgeplantwordensind.Manmuß sichjedochhüten, dlesozialeFragealseineausschließlichmoderneErscheinunganzusehen:jede großeWirthschaftepochehat auch ihre spezifischesoziale Frage gehabt.

WirfindenbereitsindenältestenZeiten, aufdie dasvolleLichtder Geschichtefällt,inJsraelwie inHellasundRom,densozialen Antagonis- IIIUSderKlassen,denKampfderParteieninGemäßheitderwirthschaft-

llcheskKlassengegensätzeundsozialeReformbestrebungen:alsoAlles,waseine

«szkaleFrage«konstituirt.Unddiese sozialeFrage erscheintinderantiken erthschaftepocheinbestimmten Formen, diebeijenen sonst so verschieden gearteten Völkerngleichmäßigwiederkehren:vor Allem inderFormeines

Kamperums Land,einesKampfesderParzellenbauerngegendenLati-

RmdlenbesihsodaßdiesozialeReform hier—immeraufErhaltungdes bäuer- chmMlttelstaudesabzielt, alsa sichwesentlichals»Mittelstandspolitik«dat- Daswar einfachdieKonsequenzderwirthschaftlichenStruktur der

enGesellschaft,wo dieWohlhabenheit sich vorzugsweiseauf Landbesitz gundete-der Kleinbetrieb inLandwirthschaftund städtischemGewerbedie

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138 DieZukunft.

Regelwar,die Bauern diegroßeMajoritätderfreien Bevölkerungrepräsen- tirten,schließlicheinwesentlicherTheildesProletariatesausSklaven dieaus sichkeine»Frage«machenkonnten—- bestand: sokonntendamals nichtdiewirthschaftlichenNöthedesArbeiterstandes, sondernnur die des Mittelstandes sichzueinersozialen Frage großenStiles entwickeln. Der ökonomischeProzeß,der zurSchaffungvonLatifundien auf Kostenderkleinen Eigenthümerführt,nimmt inallenLändernantikerCivilisation prinzipiell dengleichenVerlauf. Irgendwann einmalgeräthderBauernstandineine»

Nothlage: durch Mißernten, durch KriegsdienstefürsVaterland,durchden Uebergangvon derNatural- zurGeldwirthschaftoder durch preisdrückende Konkurrenz fremdenGetreides. DerBauer wendet sichum Darlehenan

seinen reichenNachbarn,deresauchgerngewährt,weiler,fallsdieSchuld nicht bezahltwird,seinGutdurchEinziehungderverschuldetenBauernhöfe zuLatifundienbesitzarrondiren kann. Zu diesem Effektkommtesnun in Wirklichkeitbaldgenug. ZunächstpflegteinjenenaltenZeitenderübliche Zinsrecht hochzusein,in- derRegel10bis20Prozent:wiesollteda der ErtragdesBauerngütchensdieBezahlung solcherZinssummen ermöglichen?

Selbstwenn esaberdemBauern gelang,seine Zinsenregelmäßigabzu- führen,war erseinem Gläubigerdoch aufGnadeundUngnade ausgeliefert:

dennwiesollteerimStande sein,dasgelieheneKapital innerhalb kürzerer Frist zurückzuzahlen?EinGut bringt bekanntlich nicht schnellenKapital- ersatz,esbefähigtalsoeinennicht kapitalkräftigenBesitzerzurRückzahlung desgeliehenenKapitalesin derRegelnur dann,wenn derModus derAmorti- sationderSchuldsumme durchkleinejährlicheTheilzahlungengewähltwird:

sowar damals der Bauer, dereinegrößereSumme geliehen hatte, meist verlorenund seinGutzuGunstendesreichen Gläubigersverfallen.Das istdertypischeVerlaufdesökonomischenKlassenkampfesimAlterthum, derhäufiggenugnoch durch offeneoderversteckteGewaltbeschleunigtwurde,sei esdurchAustreibungderBauernfamilien,wiesieinJtalien vorgekommen,oder durchRechtsbeugung,wiesie für IsraelundAttikakonstatirtworden ist.

NunwerdenwirdieKlagenderPropheteninJsrael,derWeisenin·

HellasundderVolkstribunen inRomverstehen-V)»Jsrael; JahwesVolk«, klagtHosea, ,,istzum Kenaan,zum Krämervolkgeworden,das daspricht:Bin ichdochreich geworden,habeWohlstanderlangt,alle meineErwerbungenwerden mirzu keinerVerschuldung gereichen,dieVerbrechenwäre.« Understrecht wendetsichJesajagegen diedurchdiegeschildertenPraktiken gebildetengroßen Grundherrschaften,indemerzornig droht: »WeheDenen, dieHausanHaus reihen, FeldzuFeld schlagen,biskein Raummehr istundJhralleinwohnen älc)S.: GeorgAdler, »DieSozialrefortnimAlterthum«,Jena, Fischer-

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JstaelsSozialreform. 139 bleibtinmittendesLandes« Und noch schärferwendet ersichgegenden frevelndenMißbrauchderGerichtsstättedurchdieReichen: »Wehe,wie ward zur Huredie treue Stadt,Zion,dasmitRecht einst erfüllte!DeinSilber ward zUSchlacken,Deine Führer GenossenderDiebe,einJederliebtBestechung, jagtdemLohne nach,derWittweHaderkommtnichtansie,dieWaise richten sie nicht...DerMann vonJuda hoffte auf gutRegimentundsieheda:

EinBlutregiment, aufRechtsprechungundsieheda: Rechtbrechung.«

Demgegenüberentsteht, ungefährseitdemJahre70(),zuGunsten derbesitzlosenSchichteneinemächtigeStrömung,alsderenhervorragendste TrägergewissePropheten,zumalJesaja, angesehenwerden müssen: nach dsrellPlänen solltediewirthschaftlicheReform ihr TheilzurWiederauf- Uchtungdesalten,einfach erhabenen Volksthumesund zurWiederherstellung VonJsraels GlanzfundHerrlichkeitbeitragen. Undso wurde imAnschluß andie altenhumanitärenForderungendesisraelitischenRechtes Verbot desZinsesunter Volksgenossen,FreilassungdeszumSchuldsklaven degra- dirten Bürgers nach siebenJahrenu.s.w. eineweitgehendeReformdes Schuld-,Arbeiter-undArmenrechtes verlangt. GegenEnde dessiebenten Jahrhundertskamdann diereformatorischePartei,derdieeingetroffenenpro-

FhetischenDrohungenüberallAnhang verschaffthatten,zuEinflußundschließ- llch gelangesihr auch,denjungen König Josias für sich einzunehmen: so HießensichdieUmständegünstigan,um mitdemumfassendenProgramm einer NeugestaltungderTheokratie hervorzutreten. Jm Jahre621wurde das Deuteronomiumentdeckt,anerkannt undeingeführt«(Julius Wellhausen).

Damitwar endlichgreifbar formulirt,was diePropheten bisherin dunklen Wortenzur Um- undEinkehrJsraels gepredigthatten.Unddieseprophetischen Ursprüngeder-imDeuteronomium vorliegenden Volksgesetzgebungtreten in Pessensittlich-religiösenGrundgedankenklar genughervor:derMensch sollsich MallenLebensbeziehungenzu einerhöherenMoral bekennen und gegenseine Mltmenschemzumaldiearmen, stets humanerHandlungen befleißigen.Der starke Egoismus soll abgethanwerdenund eineneue Sozialethik herauf-

kkJmsUemdie denGesetzgebermöglichund-praktikabeldünkt:»Die Forderungen, die1chanDich stelle, sind nicht unerreichbar für Dichundnicht fernliegend;

mchtimHimmel, so daßman sagenkönnte: werkannhinaufin denHimmel Undsie herab holenunduns mittheilen, daß’wirsie erfüllen!Nichtjenseits desMeeres,sodaßman sagenkönnte: wer kannherüberüberdas«Meer UndUnsmittheilen,daßwirsie erfüllen!Sondern sehr nahliegtDirdie Sache-in Deinem Mundeund inDeinem Herzen,so daßDu sie thun kannst’«Die sozialen Reformen,diedasDeuteronomium anordnet,be-

zwfckfninersterLiniedieErleichterungderLagedesSchuldners:ganzbe- greifllchineinerZeit,wo sichderGegensatzzwischenKapitalund Arbeit

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140 DieZukunft. . vornehmlichin derKreditnothderkleinenvermögenlosenBauern und im DruckdesLeihkapitalsdarstellte. Jm Einzelnenwerden inAnknüpfung

andievorhin erwähntenaltisraelitischenVorschriften diefolgendenAn- ordnungenzuGunstendesSchnldners erlassen. Erstenswirdesnichtge- stattet,vom VolksgenossenZins für geliehenesKapitalzunehmen.Dann wirddasPfandrechtdesGläubigersbeschränkt,indem die zum Lebennoth- wendigenDingevon derPfändungausgeschlossenwerden. Weiter sollder Schuldsklaveimsiebenten Jahre entlassenwerden,und zwarnichtbettel-

arm so daßergleichwieder in die alteMisere verfällt—, sondernersoll von denSchafen,der Tenne und der KelterseinesGläubigerseinegehörigeLasterhalten.

Ferner wirdjedes siebenteJahralssogenanntes ,,Erlaßjahr«proklamirt,in demjedes Darlehen ohne Rückzahlungverfallen ist. »Der Gläubiger«,heißt esimGesetz,»sollseinen NächstenundVolksgenossennichtdrängen.WasDu vonDeinemVolksgenossenzufordern hast, sollstDuerlassen. HüteDich jedoch, daßinDeinem HerzeneinnichtswürdigerGedankeaufsteige, nämlich:das siebenteJahr,dasJahrdesErlasses, ist nah, unddaßDunichteinenmiß- günstigenBlickaufDeinen armen Volksgenossenwerfestund ihm nichts gebest;wenn erdannDeinetwegenzuJahwe schreit, sowirdeineVerschul- dung aufDirlasten; vielmehr sollstDu ihm gebenundsollst,wennDuihm giebst, nicht verdrießlichenSinnes seinz«AndereGesetzeverpflichtenzueiner weitgehenden-BarmherzigkeitgegenAlle, diehilf-undsubsistenzlossind,ver- langenvomJsraeliten,daßerinjedemdrittenJahredenZehntenvonseinem gesammtenErtragezuGunstenvonWittwen,Waisenundverarmten Priestern verwende, underklärenschließlichdenDiebstahl aufdem Felde oder im Wein- bergedesNächstenzumZweckeunmittelbaren Genusses für gestattet.

Nimmt man dazu nochdasschon seitalterZeit bestehendeGesetz derSabbathruhe,dasauch fürKnecht,MagdundVieh unbedingteGiltig- keithatte, sowirdman zugeben, daßdiejüdischeSozialreform umfassend genugwar und von großer Bedeutung hättewerdenmüssen,wenn sie zurDurchführunggelangtwäre. Das war aberimWesentlichensicherlich nichtderFall. WennauchdieprophetischeReformation aufdemGebiete desKultus Erfolge aufzuweisen hatte, sowurden doch ihre sozialenund moralischenForderungentaubenOhren gepredigt,selbstdann, alssieGesetzes- krafterlangt hatten. »Sie richtetensichzudembesondersandie oberenStände, und diesezurSelbstverleugnungzuzwingen,war nicht so leicht,wie das VolkzumVerlassen seinerAltäre«(Wellhausen). Einzelne Bestimmungen freilich,wie z. B. dieSabbathruhe,diealshohe religiöseEinrichtungzu Ehren Jahwesgalt,wurden wirklichgehalten;und daßbeidenJsraeliten dieSklaven undTagelöhnerbesserbehandeltwurdenundmehr Barmherzig- keit gegen denHilflosenundArmen geübtwurde alsirgendwosonstinder

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JsraelsSozialreform 141 altenWelt, ist auchalssicheranzunehmen.Aber diewichtigstenBestimmungen, diewirklicheinenkräftigenBauernstand hätten erhaltenkönnen worauf eben Alles ankam—, habennur imAugenblickderEinführungpraktische Bedeutunggehabt.Das »Erlaßjahr«magvielleichtunmittelbar nach seiner Dekretirunggegolten haben woesdannwie eineAufhebungderSchuld- lasten gewirkt hat—, aberaufdie Dauer war einsolchesGesetz,dasallen realenBedürfnissendesWirthschaftlebensinsGesichtschlug, nicht haltbar:

dennwer hätte sichunter derGeltungeinesGesetzes,dasjedenunbe- glichenenAnsprucheinesGläubigersimsiebentenJahreausderWeltschaffte, noch zurGewährungvon Darlehen verstehenwollen? So wurde denndas Erlaßjahrfaktischnicht durchgeführtundschließlichsogar auch formellun-

wirksamgemacht,daderGläubigersichdurch gerichtlicheErklärungdasRecht Vorbehaltendurfte,seineSchuldzujederZeit einzufordern.Ebenso wissen wir,daß auchdasGesetzderFreilassungderisraelitischenSchuldsklavenim"

siebentenJahre aufdieDauer nicht durchgeführtwurde. Undähnlichging Esmitdem GebotdesJubeljahres,dasspäterandieStelle diesesGesetzes trat: danachsolltejedes fünfzigsteJahrzumJubeljahrerklärtwerden,in dem alleisraelitischenSchuldsklaven frei ausgehenundallerLandbesitz,der durchSchuldenoderVerkaufin dieHändeAnderer übergegangenwar,ganz VonselbstandieFamiliedesfrüherenInhabers zurückfallensollte· Dieses Gesetzüber dasJubeljahr enthältein tiefsinnigessozialpolitischesPrinzip.

Der Bauer konnteaufkeinenFallfür-immer seines Grundstückesverlustig gehen, unddochkonntedasGutdemBauernalsGrundlage fürdie AufnahmevonKredit dienen,daderGläubigeresjabiszumJubeljahr übernehmenundjeglichenNutzendaraus ziehenkonnte. Wenn dasGesetz Giltigkeiterlangt hätte,wären unfehlbardieBauerngütererhalten geblieben Und dieLatifundienderGroßenwärenunmöglichgewesen.AberdieKraft der unterenKlassen reichtenur dazuaus,dieAnkündigungdesJubeljahres durchzusehen,nichtaber, seineAusführungzusichern.DieherrschendenStände gewannenbald wiederdieOberhandundverhinderten,wie diejüdischeTra- ditionausdrücklichbezeugt, daßdasJubeljahr gehaltenwurde. So verlief diejüdisch-sozialeBewegungim Sande undihr einzigesbleibendesResultat UJUTeinegewisse Ethisirungund Humanisirungder wirthschaftlichenBe- ziehungeninbescheidenemRahmen.AberderSame dersozialen Reform, denIsrael zuerst gepflanzthatte, sollte nichtgänzlichverfaulen,sondern Früchte tragen-derenGenußnoch heutedasLebenverschönt.Denninder ganzen KultUeWelt,so schriebd’Jsraeli,»wirddurchdieGesetzevomSinaidemrastlos schassendenVolk allesieben Tage wenigstenseinRuhetag gesichert«.

Professor GeorgAdler- F

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142 DieZukunft.

Aus der römischenVerbrecherwelt.

«ieallegroßenStädte, hat auchRom seine geheimnißvolleunterirdische

«Welt,wodieprofefsionelleVerbrechergesellschaftverkehrt,woMesser- klingenblitzen,wodietollkühnstenThatenersonnen nndgeplant,wozwischen einemFluchund einerZoteeinemunglücklichenWeibeihre wenigenSoldi ent- rissenwerden,wodas ganzeHeervonHehlern,schmutzigenkleinenSpekulanten, polizeilichUeberwachtenund zurückgekehrtenSträflingen sein Wesentreibt·

WerdiesegeheimnißvolleWelt,diese elendesteKlassevonAbenteurern undVerbrechernkennen lernenwill, Der folgemirinihreKlubs, wosie ihre Feste feiern,wosichdieuntersteHefedesVolkesderTrunkenheitund Lustindie Armewirft.Jn diesen Höhlentrifftman gerichtlichVerwarnte (amm0niti), Arbeiter, kleineSchneiderinnen,gefallcneFrauen. ImViertel vonSanLorenzogiebtesvielesolcheKlubs;undumzugelassenzu werden, ist nichtsweiternöthig,alsdaßman amEingang sechsbiszehnSoldibe- zahltunddaßman nichtwieein»Onkel« aussieht; so heißennämlichim römischenVerbrecherjargondiePolizeiagenten.Es sindgewöhnlichLokale niederstenRanges,die aberhinundwiedermiteinerplumpen Eleganzaus- gestattet sind.

DerKlubCampani,vordenThorenvonSan Lorenzo,isteinObst- laden. AufdereinenSeite-wird getanzt, aufderanderen, in dem kleinen Raum,wodieFrüchteverkauftwerden,istderSchänktisch.Dietanzenden

·

Paare drehensichunterGrünzeug-undTomatenbündeln unddeninlangen Reihen aufgehängtenKnoblauch-undZwiebelknollen.DerLadentischistzur Tafel umgewandelt,laufderumeineinderMitte thronende Riesenflafche mitweißemWein herumdieGläser aufgereiht stehen· Rechtsdavon ein paarFlaschenmitschlechtemMarsala,einTellermitaltenBiscuits,—und dasBusfet ist fertig.

Wenn ichdenLeseran einemAbenddesvorigen Jahresindiesen Klubgebrachthätte,sowäreerZeugeeinerderblutigen Szenen geworden, die insolchenLokalen garnicht seltensind. ZweiBrüder hatten ihre Schwester mitgenommen,die, wie alleMädchen,ihren Liebhaber hatte.»Dusollst nicht zweimal hintereinander mitihm tanzen«, hattederältere Bruder gedroht.

Aber dasMädchenhatte dieseErmahnung nicht gehörtodernichthörenwollen undwurdenun, geradealssie sichderWonne einesWalzersmitihremGe- liebtenhingab,vondem Bruder angefallen.DerjüngereBruder warssich dazwischen,dieMesserwurdengezogenunddie beidenKämpferverwundeten

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AusderrömischenVerbrecherwelt. 143 einander.DiePolizeihatden Lärmgehörtundsuchtin den Kreiseinzudringen, dabeientfliehteinTheilder LeutedurcheineThürundanderewerfen sich zwischendieKämpfendcn,um siezutrennen. JndiesenKlubsgiebtesauch Oftaus anderenGründenalsum WeiberHändel. Jcherinnere michz. B- ellteineSchlägereiin derCaiffa,einem Klub, den eineMischungvonFuhr- leuten, Kutschern,entlassenen Sträflingen,DienstmädchenundDirnen nieder- sterSorte zubesuchenpflegte.Eshandeltesichum einWettwalzenzdas Paar,dasam Bestenwalzte, solltevon einem Preisrichter-Kollegium Prämien SüßigkeitenundWein-—erhalten.DerTanz beginnt.Nun stürzensichdieFuhrleute,diealtenDiebemitihren Schönenin denStrudel, Mit einemEifer,alshandelteessichumeinenEinbruchodereinenDiebstahl VVU100000 Franken; sie beobachteneinander neidischundmißgünstigund dieErregungwirdimmer heftiger, je mehr Paarevon denPreisrichtern alszuplumpvon derweiterenKonkurrenz ausgeschlossenwerden. Schon werden dieAusgeschlossenenimmerunzufriedener:da verkündetdasKollegium seinen Spruch.ErwirdmitGeheulundPfeieraufgenommen;die Weiber beschimperdiePreisrichtermitdenkräftigstenVerwünschungen,dienachdem ZUchthauseriechen,die Männer werfenTellervom Buffet,dieamBoden zerbrechen,nachderEstrade,wodasgeschmähtePreisgericht noch sitzt.Die RichterräumendenPlatzundnun richtet sichderZorndernicht Prämiirten gegen diePreisgekrönten.Allesgreift nachdenStöcken, diesaftigstenZoten fliegenherüberundhinüber,dieWeibersindbesonderswüthend.Sieschleudern diehäßlichstenVokabeln ihres WortfchatzesdenMänner-nmitWollustins Gesicht-Plötzlichfliegtdererste Schemelindie kleinereGruppe,—- und damitistdasZeichenzumBeginnderSchlacht gegeben.Alsnachein paar MinutendiePolizei erscheint,findet siekeinen derStreitenden mehr.

—————.———-.—.———.-——-——---—--.—-

Suchenwirnun einanderes Tanzlokal,eineechteTaverne vor der PortaSanLorenzo,auf.

MittenimSaal stehtderTanzmeister,deneinerotheKokardeim Knopflvchkenntlichmacht,undsuchtindemWirrwar derTänzereinWenig rdnUUgzuhalten;ineinemstarklatinisirten Französischsuchterden Eontre:

tanz-dersichzwischenderThürund demSchänktifchbildet,zusammenzuhaltenz aUfeiner BanknahamKlavier sitzteinPärchen:das Weib,nochjugendlich, aber dasGesichtvom LasterangefressenundmitvorzeitigwelkerHaut, beißt lautlachendihrenKavalier, dersiemitkräftigenPüffen abwehrt,in die

Schulter;esist eintändelndesLiebespaar. JnderReihederTänzerschreit eUIanderes Weibplötzlichlaut,daß ihr Strumpfband aufgegangenseiund

«

sie nichtweitertanzenkönne.Siebücktsich, schürztdenRockauf sie

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144 DieZukunft.

isteinmunteres ZöfchenvonderViaGrande undknüpftesdichtunter

demKniezusammen.DieNachbarn rufen ihrlaut saftigeWitze zu und sieantwortet mit.ein paarVersenimRothwelsch.

MerkwürdigistdieArt,wiedieseLeutetanzen.DersinnlicheTanz derUrvölker,wieihnLetourneau undLubbockgeschilderthaben, ursprünglich einerotischesAusdrucksmittel, hateinelange Entwickelungerfahrenund dabei immer mehrvon seinerursprünglichenSinnlichkeitverloren,biserinder neueren ZeitimmermehrzumfigurirtenTanz gewordenist,bei demMann undWeib einandernurnochmitdenbehandschuhtenFingerspitzenberühren,sich mitleisemLächelnabwechselndbegrüßen.Von demgeräuschvollenReigen derNaturvölkerum dasFeuer, derineiner bacchantifchenOrgieendete, sindwir zu denlangsamenHostänzengekommen,bei denen derleichte,schwebende KlangderGeigedieanmuthigenSchrittederDame unddes Kavaliers lenkt undbei denennur dieFingerspitzensich zart zusammenfinden.DerTanzin denKreisen,in denenwirunsjetztbefinden, hat diese Entwickelungnochnicht ganzdurchlaufen; ihreBälle haben nochdiestarke Sinnlichkeit primitiver Feste.Mann undWeibtanzenWangeanWange gelehnt, KörperanKörper gedrängt,engumschlungen,mitlangsamemWogenderSchulternundHüften.

DiesederVerbrecherweltundauchdemniederstenVolkeigeneArt, zutanzen, heißtballo alla bu1a.

Blickenwiraber wiederindenSaal: währenddiePaare langsam mitwollüstigschleifendenSchritten sichfortbewegen,GesichtanGesicht,das HaardieHautdesPartnersstreifend, stürzteinMädchenathemlosinden Saal undruftimRothwelschderrömischenGaunerlaut: »La- trotta, la- trotta!·· (DiePolizei!)·JDer Tanz hört aufundnun ereignet sichEtwas, dasichniemals vergessenwerde. Einunter Aufsicht stehenderDiebstürzt ansFensterundschreitdabei: »Wenn sie mich kriegen,binich hin!«Er hatRecht,dennwenn er,derunter Polizeiaufsichtsteht,um diese Zeit,wo

er längstzuHause sein soll, getroffenn"ird,dannmußer insLoch- Das Fenster liegtimerstenStockwerkundgeht aufeineinsamesGäßchen.

Der alteDieb schwingt sichohneZögern hinaus, wirfteinenBlickaufdie Straße,klettert über dieBrüstung nach außenundläßt sichdannaufdie Straße fallen.

Jetzttreten diePolizisteneinundlassendieGästeRevue passiren aberderalteDieb ist aufunddavon.

DieunheimlicheKlassederrömischenVerbrecher hatnebendemTanze nocheine andereLeidenschaft:denGesang.Sie hat ihre eigenen Lieder,die sie nach eigenenMelodien undineigenartigenRhythmen singt.Eineder Gelegenheiten,bei denen dierömischemala vita sich hörenläßt, istdie SerenadezdannwerdenLiebesliedergesungen.DieSerenade wirdspätin

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AusderrömischenVerbrecherwelt. 145

derNacht veranstaltet.DerLiebhaberfindet sichmitseinen FreundenUnter demFenster seinerDame einesverlorenen Weibes ein undsingt ihr dieleidenschaftlichenStrophender mala vita« DieBegleiter,lauterMessieurs Alphvnse,bildenzweiGruppen. Jede schließteinenengenKreis. Dann be- ginntder TenordererstenGruppeinsüßlichenTönendieersteKantate:

DieHaare,diesiemirgegebenhat, Hab’ichmitsilbernem Faden gebunden;

OHolde,ichfindekeineRuh, MachstDumitmirnichtFrieden.

AlleMänner derGruppe begleitendenGesangmitwogenden,ganz tieerTönen,die einenseltsamenEindruckmachen.AmEndederStrophe antwortet diezweiteGruppemitderselbenKantilene undderselben tiefen, sonoren Begleitung.Unddie Antwort sagt:

DieHaaremeines Treuen,Holden, Hab’ ichmitgoldenem Faden gebunden;

Jchlseufze nach Dir, ich verschmachte, Wenn Dunichtbeimirbist-

NachdenStrophenundGegenstrophenkommendieRitornelle. Sie bewegensichumeinbreiteres Motiv alsdieStrophen,mitlanggezogenem Rhythmus:

Kornblume,

DubistdieKönigin,steig’ aufDeinen Thron, GekröntundinderHanddasSzepter.

Die MelodiedieserGesängehateinemonotone Süßigkeit,die denZu- hörer traurig, unendlichtraurig macht,wie die graueFlächeeinesbewegung- leeU,schweigendenSumpfes. DieRhythmen sind einfachundprimitiv,fast Wh-underinnernandieRhythmenderNaturvölker, dieHellwald,Spencer undLubbocksogenauschildern,wenn siedieGebräucheafrikanischeroder umerikanischerWildenbeschreiben.Diese Gesängesindmonotone undmelan- cholischeVariationen eineseinzigenTones,dersichbeständigwiederholt,sich hebtundsenkt,wie dasendloseFallen desRegens auf feuchtenBoden. Wenn

dfrGesangzuEndeist,betritt die ganzeSchaardasHausundsteigtüber duEngemschmierigenTreppenderverrufenenHöhle,inderdieAngesungene Wohnt,umsicheineBelohnungzuholen.WennderSängerdemhinterden

LForhäUgenlauschendenWeibenichteinKompliment, sonderneinenSchimpf bletell will, singterstattderebenwiedergegebenenStrophenandere, z. B.:

UmdieHaarederNenaceia Hab ich Messingfädengebunden;

Siehatmireinenbösen Streich gespielt, Jchmag vonihr nichts wissen.

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146 DieZukunft.

Oderersingt statteinesRitornells ähnlicheVerse,die denSinn so ändern,daß ichdavonnichts mittheilenkann.

DieSerenaden werdenoftvon derPolizeiunterbrochen,die denChor zerstreutunddie Dameschnellvom Fenster wegbringt Jstaber diePolizei weitundkannsichnicht einmischen,dann giebtesoftLiederzuhören,die nichts wenigeralsLiebeversprechenundvonHaßundBlutdurst überfließen.

EsgiebtinRomPavillons,woamTageZeitungen verkauftwerden, nachtsaberhinterdengeschlossenenThüren galanteDamen undihreBe- schützer,nebenBerufsdiebenundähnlichemGelichter,Quartier finden.Wenn wirdaunsichtbareintreten oderdurchdiegeschlossenenFensterladenblicken könnten, würden wirsehr merkwürdigeDingezusehenbekommen.Um einen Tisch sitzen hinter Weinflaschen,KartenundgeröstetenKastanienMännerund Weiber;die Männer mitvulgärenGesichtern,inübertriebeneleganterKlei- dung,dieHaarekokett indieStirn gekämmt,dieWeiber mitrothgeschminkten Backen. Niemandhörtsie:sie könnenungestörtsingen; zwischenzweiSchlucken vomtoskanischenWein erklingendieGaunerlieder. DerSträfling,derdas Gefängnißhinter sichhat, singt:

Eswar einmaleinSchließer MitNamen Cavicchio;

Ein alterböser Scherge, Denmachenwirnochkalt!

EinWeibunterbrichtdenChormiteinemgellendenRitornell:

Frachsbciithe, Laß michdasMessernicht ziehen, Sonstkriegst DuKaldaunen zufühlen!

DasRitornellist sehrcharakteristisch,denn diejungenrömischenBurschen, die gern dasMesser ziehen, stoßenimStreit meist nachdemUnterleibund dieMesserwunden,die dieAerztederSanitätwachenzusehenbekommen,sind fast sämmtlichDarmverletzungen.

Wennman nachtsdurcheinen dunklenWinkel derschlummernden Römerstadtstreift, hörtman nicht seltenausderFerne einLied,dasnäher kommtunddannverklingt. Manchmal istesderWarnungrufeines Diebes, deraneinerStraßeneckeauf Wache stehtunddemGenossenseiner Expedition laut,durchdringendundmunter dieStrophe singt:

Auf, auf,dieGlocke klingt, DerTürkeistimHafen;

JetztflicktEuchEureSchuhe, Meinehabeich heute geflickt!

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