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Die Zukunft, 16. April, Bd. 23.

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Berlin, den 16.April 1898.

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KönigOtto. "«7·

WährendringsuminEuropadiefrüherscheinbarfestestenThronewank- ten, wurde,amsiebenundzwanzigstenApril 1848,Maximilianvon Bayern, LudwigsErben,derzweiteKnabegeboren.EswareineböseZeit für dieKönige.HerrOmneswarwieder einmalaus langemSchlaf ausgestanden-

haustelärmendimLandundwolltedenLenkerdeseigenenSchicksals,denschrau-

kenlossouverainen,spielen.MitmißtrauischemBlickmaßen,wennsiesichuni-

beobachtetwähnten,dieMonarchendiesteileHöl)e,aufderihr goldenesStühl- chenstand,undeinZittern befielsiebei demGedanken,in dernächstenStunde schonkönnten derbeFäuste hinauflangenunddieRagenden rohin das wimmelderEhrfurchtlosenherniederzerren.Was sollteda unten ausden Verwöhntenwerden,fernvondem buntenTroß,dersichvorGroßenbückt, umvorKleinen dasDienerhauptdestohöhertragenzudürfen,dersicheinen Charakter verleihen,einglänzendesMünzleinoder farbigesBändleinanhän- genläßt,weilerdurchdieKraftdeseigenenWesensundimselbsterworbe- nenGewand nichts gelten würde, fernvondemGlauben,derin den alten Liedern lebt und dieWehrlosen langevorderPöbelwuthschätzte?Die Götter selbstsind verloren,wenn erstderGlaubeanihren himmlischenUr- sprungwelkt.Demin derWiege zappelndenPrinzleinmagdie Amme die WeisevomKönigssohngesungenhaben,dersich,da dem VaterKroneund Reichgeraubtward,alsTaglöhnerverdingenmußte;undderBayernfiirst Maxmag denKopfdes Kleinen manchmal unruhvoll gestreichelthaben.

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98 DieZukunft.

Ersollte,alsZweitgeborener,nachmenschlicherVoraussichtnie dieLasteiner Kronetragen;aber würde derfrecheEmpörergeisteinergährendenZeit ihm auchnursein Prinzenrecht gönnenoderdenVerzärteltenaus derwarmen

Heimathscheuchen?DerElternWillehatteden inschlimmerStunde Ge- borenenOttogenannt,nachdemanderenWittelsbacher,deralsFeldherrund Staatsmann sichumFriedrichdenErsten sogroßeVerdienste erwarb, daßer alsBayernherzog Heinrichden Löwenbeerbendurfte.Ob der kleine Otto jeindas AnsehendiesesNamens hineinwachsen,im werdenden Reichder DeutschenauseigenemWerth jeEtwasbedeutenwürde? Oder wardihmbe- stimmt,einletzter Königsfproßzusein,einheimloserPrinz ohneLand, auf dendieMenge höhnendmit demFingerdeutenwürde,alsauf Einen,der in dieZeit nicht mehr paßtund gespenstischnun, mitlängsterloschenem Anspruch, durchdashelleGebiet derAllbeherrscherinDemokratia spukt?

ErwuchsunterGleichen heran,tratindasHeerundtrug für Bayern zuerstund dannfürdieEinheitderdeutschenStämme dieWaffen. Königs- söhnen,sowill es die unverrückbareOrdnung, ziemtnur derKriegerberuf, ziemt, auchwenn sievomKriegernichtsinsichhaben, dochnur desKriegers Kleid,derScheinderWehrhaftigkeit,die derhohenWürdegeselltsein soll.

PrinzOttowar wohlkeinschlechtererSoldat als andereFürstenkinder;er wahrtedenScheinundschieneinHeld,weilernichtbeimerstenKanonenschuß inOhnmacht fiel.

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EinFürst,derimöffentlichenWandelnicht mehr Aerger- nißgiebtals einPrivatmannundSteuerzahler ruhigen Schlages, gilt schon als einMusterbild ritterlicherTugend.An demPrinzenOttowarnichtsaus- zusetzenund dasAugederBayern leuchtete,sooftes denjungen Wittelsbacher inseinesWesens Freundlichkeit sah.Dennder Sturm desbösenJahres warinzwischenverbrauft,HerrOmneshattedieallzu hastigerrafstenWaffen sorgsamwieder in dieZeughäusergeschleppt,dasalteTreugefühlhervorge- sucht,—unddieMonarchenblicktengetrostindieTiefenieder,aus derihnennun keineGefahrmehr drohte. AufdersteilenHöhestanddasgoldeneStühlchen wieder ganzfest;undeinBischenweiter unten war einegoldeneWandge- zogenworden,dieBesitzundBildung säuberlichvonderwimmelndenHunnen- schaartrennen sollte.DaswardieErrungenschaftdesGroßenJahres.Eine sehr guteEinrichtung;dennnun mußtedaswüsteGesindelerstdiegoldene WanddurchbrechenunddieReihenderBesitzendenundGebildetenüber- rennen, eheessichandasgoldeneStühlchenwagen konnte.Früher hatte derKönigmitdemTroß derPrivilegirtenobengethrontundsichkaumum dasungegliederteGehudelda untengekümmert.Als esihm fürchterlich

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KönigOtto. 99

szU werdenbegann, zogenAnderedieschützendeWandzund damitsiegezogen und,als eineneueAbgrenzungerworbener Rechte,vonJedermannausdem Volkanerkannt wurde,hattenvondemGesindelein paarhundertNamen- lofe ihrLebengelassen.DieKönigischenimLandkichertenin denBart, riebendieHändeund rannten schmunzelndeinanderzu:»Jetztsindwirsoweit;

jetztkann,wie in altenZeiten, sogarein Toller wiederdie Kronetragen-«

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Prinz Otto,den desVatersHandeinstinSorgeunruhvoll streichelte, dessenFürstenzukunsteinst unsicher schien, ist seit zwölfJahren König VonBayern.Erweißesnicht.Sein Geist ist umnachtet,war schonin UndurchdringlichesDunkelgehüllt,alsLudwigderZweitedenTodsuchte und fandundseinem jüngerenBruder die Kroneließ.DemVolk blieb dasgräßlicheSchauspiel erspart,einenIrren imPurpurzusehen, den weihendenGoldreifaufder Wölbungüber einemzerstörtenHirnzu erblicken.

Die MauernvonNymphenburg, SchleißheimundFürstenriedhabenden AermstenspähsüchtigerNeugier verborgen.Nur allerleiGerüchtekrochen ausdenRitzenundwuchsenunterwegs-. DerBejammernswerthe seiin die nie- derstenFormenderThierheit gesunken;keineHemmungwilderTriebemehr, keinnochsoleisesFlimmernderErkenntniß,kaum dieSpureinerRegungdes Jnstinktes.ErfallegierigmitMund undFingernüber dieKrankenkosther, befriedigewährenddesSpeisens schamlosdieNothdurft, wälzesichaufallen Vieren durchdie Säleund freue sich,wenn man ihnzumSchein auf harmlosVorüberwandelnde schießenläßt, aus Landeskinder,dieerkraft seinesAmtes zuschirmenberufen ist.Dennerist König.MitseinemBilde werden dieMünzengeprägtundderFremde,derjenseitsdes Weltmeeres denschmalenJünglingskopfbetrachtet,ahntvielleichtgarnicht, daßereinen geistigunrettbar Erkranktenvorsichhat. Jn seinemNamenwirdRechtge- sprochen,werdenTodesurtheileverkündet undvollstrecktundihn,denUnselig- sten, sucht,bang verröchelnd,derletzteRufderausderMenschengemeinschaft Geftoßenen,dievorderGrabesnacht schlotterndumGnadewinseln. Ihm leiftetder insHeerEintretende den Eid derTreue,aufseinHauptflehendie PriesteramAltardenSegen desHöchstenherab.Erweißesnicht,weißnicht einmal,daßseinBruderdemWahnsinnverfielund dergreiseOheimansei- nerStatt dieRegentengeschäftebesorgt. KöniglichePrachtumgiebtihn, auf

selnenirren WinkeiltdieDienerschaar hinundher,bücktsichund wedelt.

HenkerWagt- ihmdenTitel zuweigern,dernach göttlichemundmensch- llchemRechtihmgebührt,undsogar seineAerzte,dieihn dochinden

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100 DieZukunft-

schwächstenStunden sahen, sprecheninihren Attesten ehrerbietigvondem psychischenVerhaltenSeiner Majestät.UnddieseMajestät wälztsichauf deinMosaikbodenderPrunksäleund lalltunverständlicheLaute.

...Ob indiesemlichtlosenHirnnie, auchnicht fürkurzeSekunden, einFunke ausslammt,eineflüchtigeAhnungderfurchtbaren Wirklichkeiter- wacht?ObjeeineschnellgekniipfteundschnellgelösteAssoziationdemIrren plötzlich,wie imBlitzlicht,verrieth, daßerKönig istundmit derGrimasseder Sklavenehrfurchtvorliebnehmenmuß,daßerwie einkrankes,ungütigesThier lieblos gepflegtundwie eineallmächtigeMajestät dochumdienert wird?

Wenn OttovonBayerneinesTagesKrone undPurpurmantelheischteundin seinem KäfigvordengrinsendenWärterndenKönig spielte! DasGitter desKäfigs ist dicht;nur Gerüchtedringen heraus. WehederMonarchie, wenn einemwahnsinnigen König MenschenverstandundMenschensprache wiederkehrtenunder zuerzählenbegönne,was erin denMinuten der Dämmerung,beim trübenFlackerndesBewußtseins,einst hörteundsah!

Früher hättedumpferAberglaubesolcheZweifelgenährt.Dieanthro- poeentrischeWeltanschauungduldete den kränkendenGedankennicht,der ir- discheHerrderSchöpfungkönneausdietiefsteStufe derThierheit sinken,in dieNiederungseinerkreuchendenDienerzihnmochtenDämonenundSchwarz- albenplagen,aberseinvomGötterodembeseeltesWesenkonnte nievölligent- adeltwerden« DerpsychischKrankewar heilig,war ein zubesonderemZweck geweihtesGefäßdesgöttlichenWillens,den keinnur denAlltagserscheinun- gen derZeitlichkeiterschlossenesAugezuahnenvermag· Und gar einvom finsteren Wahn umsponnener König:werwolltedasTeloserkennen,das hinterdemGespinnst vielleichtgeheimnißvollwaltete?... Restedesmystisch- poetischenDämonenglaubenshaben sichlange erhalten.Esist bekannt, daß diebayerischenBauern noch heuteinLudwigdemZweiten nichteinen Kran- ken, sonderneinenhochsinnigenSchwärmersehen,dendieTückeschnöderNei- derausderMachtunddem Leben vertriebenhat.DiewirrePhantastikdes Königs stütztediesenKinderglaubenzdieMengeerfuhr nicht,daßLudwig sich mitStallknechten umhertrieb,plumpe Burschen zärtlichumfingunddiehöch- stenDienerdes Staates zwang, wieHundeanseiner Thiirzukratzen,wenn sieEinlaßbegehrtenzsie vernahmnur vongroßartigenBauten, prunkvollen Festen,einemköniglichenDrang nach erhabener Einsamkeitund derSehn- sucht,Künstlerträumenfür kurzeStunden denScheinderWirklichkeitzu ge- winnen. Undalsdie WahrheitansLichtsiekerte,warimMassenempfinden dieLegendenichtmehrzu entwurzeln.EinwunderschönerKönig,derhochoben

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KönigOtto. 101 jin weißenGebirge hauste,unterdenkleinenLeutensichFreunde suchte,den GlanzentschwundenerTagewiedererstehenließund, wie ein inMenschen- geftaltvermummter Gott, auf goldenemSchlitten nachts durchdieSchnee- flächedesBerglandes fuhr:Herrlichereskonnte keinDichterdemMärchen- trieb des Volkesersinnen. Unddamitnichts fehle,kamnochdiedunkle Sagehinzu,derEinsame habeniemalsein Weibberührt,nachder verbotenen Fruchtnie die reineRechtegestreckt.Wie einSündenloser,vongemeiner Menschlichkeitnicht Vesleckter,lebteerhinter blüthenweißenSchleiern,lebt ernochjetztimGedächtnißderEinfalt...Demarmen OttowardasGeschick nicht so gnädig.SeinGeist erkrankte, ehe sein Hauptdie Kronetrug.Das Volkhatihn nie,wiesvOftin gutenJahrendenstrahlendenBruder,alsKönig gesehen,nieeine edleAbsichtanihm bemerkt,einholdinsOhr klingendes Wortvonihm gehört.Niemand hat jeanseiner Krankheitgezweifelt,über derenFortschreitenundStillstandBulletins ausgegeben wurden, unddie nüchterneKnappheitderärztlichenAusdrucksweisemordetdieMystik.Wenn dasWortGehirnerweichungeinmalausgesprochenist, schwindetdie Mär- chenstimmungauf Nimmerwiedersehen.Dann denktman nicht mehrander Furien Rache,dieJphigeniensBruder peinigte,nichtanLearsgrausesRa- sen auföderHaide:dannstehtvordem SinndasBild eineshilflosenKran- ken,der im Mannesalter wieder zum Kindegeworden istund den dieSorge derWärtervordenRegungen wüsterBestialitätbewahren muß.DasMit- leidbleibt,aberdiescheueEhrfurcht entweicht,denndiesergepäppelte,gesäu- berte,nurvon thierischenTriebenerfüllteLeibist nichtein zubesonderem ZweckgeweihtesGefäßdesgöttlichenWillens, istwahrlich nichtjederZollein König.UnddieunverständigeEinfaltselbstglaubtdemArzt,derauf dieFrage, ob indiesemlichtlosenHirnnie einFunke aufflammen,eineflüchtigeAhnung derfurchtbarenWirklichkeiterwachenkann, kühlundsicherantwortet: »Nein.

DaspsychischeBefindenSeinerMajestäthindert jedeMöglichkeitauchnur kurzenErwachensaus düstererWahnsinnsnacht.«

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JnWeimar steht,ausderHügelkrümmungderBerkaerChaussee, eineinsames Haus. Auchdawohnteingeistig unheilbar Erkrankter, wohnteinMann, in·demdielyrischeGrundstimmung stärkerwar alsdie scheidende,unterscheidendeKraftdes TheoretikersderErkenntnißund dermit spftürmischerLeidenschaftdoch,wiesonstnur umirdischenBesitz,umdas GoldunddasWeib,gerungenwird,um dieErkenntnißderWahrheitrang.

DerPfarrerssohnhattesichaufdasblanke Eis

-derhöchstenGletscherblöcke i

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102 DieZukunft.

gewagt,hattedasHaupttrotzigin denHimmel gerecktundwar alsein Siecher dann,ein zumGeistestod Verdammter, thalwärts geschlichen.Er konntesein letztesWort nicht«sprechen, vielleicht nichteinmal seinvor- letztes;ausdemheißenWirbelsturm rastloserEntwickelungrißihndasSchick- salundwarf ihn,einHäufleinentgeisteterErde, aufdürrenStrand. Er lernte denWeltruhm nichtkennen undmußte,schmerzlichoftstöhnend,aufden Beifall derVolksgenossenverzichten.DerWeltruhm istgekommen,in den Vor- hutgeistern seinesVolkesistdievonihm ausgestreuteSaat aufgegangen:

erweißesnicht. Wohl ihm:erweißauch nicht,werihn heutebewundert undwie dieverhaßtenVielzuvielenmitschmatzendenLippen jetztdieQuellen verpesten,diesein Zauberstab einstaus totemGesteinerweckte.Abererhat gelebt, hat sichselbst,mitschonmüden,zitterndenHänden,denRiesentorso seinesDenkmals gethürmtundwirdimGedächtnißderguten Europäer, auchdervon seinemZiel nicht geblendeten,weiterleben. WennFriedrich NietzschederMenschheitauch leiblich stirbt,wirdsie schauderndfühlen,daß dieHülleeinergroßen,starkenundreinen Seelei·n Staub zerfällt.

WennOttovonBayern,wie derSpruchderAerzte jetztahnen läßt, demNierenleiden erliegt,dasdenFünfzigjährigenheimgesuchthat,wird nichtsvonihmimGedächtnißdesVolkesfortleben; nichts Gutes, dochauch nichts Schlechtes.Er konnteseinemLandenicht schaden,nichtdenSchrecken verbreiten,denSamuel aufdemWegederKönige sah,als dereifersüchtige Rachegottithsrael vordenMonarchenwarnen hieß.Erkonnteselbstbeim schlimmstenWillennichtdenkleinstenTheildesUnheils stiften,dastolle Herrschervon denTagenderrasenden römischenJmperatorenbisaufden russischenPaulunddenenglischenGeorg angerichtet haben...Was ist einKönig,denvonderMachtnur derSchein,nur derName schmückt undderauchimPurpur,mit KroneundSzepter,einkrankes, nachBeute brüllendes,vonkeinerBewußtseinsschrankeinfeinerwildenGiergehemmtes Thierbliebe?Jm zerstörtenGeistdeslyrischenPhilosophenlebt die alte AnmuthdesWesens fortunderbietet welkendnochdemBlickein lieb- lichesBild;dem irrenKönig schwandmitdembewußtenWillenundden hemmenden Vorstellungen jederan menschlicheArtmahnende Zug.

DennochwirdmanauchdiesesKönigs spätergedenken.Alsergeboren ward,wankten inEuropadieThrone;alserins vierteLebensjahrzehntschritt, konnte imdeutschenLand einWahnsinniger König heißen,dreiLustren fast undlängervielleicht,—- unddasVolkbliebruhigundtreu. Auch diese Wandlung darf,wennmandesTollenJahres gedenkt,nichtvergessenwerden.

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Deutsche GeschichtschreibungimZeitalter Herders. 103

DeutscheGeschichtfchreibungim Zeitalter Herder5.

WebendendreigroßenHistorikern,dieseitderMitte desachtzehnten

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JahrhundertsalsHeroldeeinerentwickelndenundzugleichallgemeinen Geschichtschreibungaufgestandenwaren,istinDeutschlanddieseneueAuffassung- derHistorie doch auch sonst nichtunvertreten geblieben. FreilichmitHerders, Winckelmanns undMösers Leistungen darfman dieseArbeiten nichtver- gleichen.Abersiesollen auch nicht übergangenwerden, wienoch neuerdings einsummarischerUeberblick überdieGeschichtschreibungdieserZeiten gethan hats-) Jhre Existenzist ja freilich sehr unbequem füreineAuffassung,die begründenwill,daß eigentlichnieetwas Anderes alsStaatsgeschichteden AnspruchaufdenNamen derGeschichtehätte machendürfen;aberman wirdsie durchAbneigungundSchweigennichtausder Weltschaffenkönnen.

Gatterer,Pütter,Meiners, SchlözerundJohann Gottfried Eichhorn sindnebendendeutschenHistorikern dieser ZeitanersterStelle zu nennen;

siegehörenzu Denen,die derAusbreitungderGeschichtschreibungaufdas Gebiet der Kulturgedient,dieAbwendungvonreinerDiplomatie-undKriegs- geschichteeingeleitethabenunddiedoch auch,infreilichvielbedingterem Sinne,diepraktischeEntfaltungdesEntwickelungsgedankensin derGeschicht- schreibunggeförderthaben. Sie habenAlleinGöttingengewirkt,damals derunbestritten ersten UniversitätDeutschlands;nur derSchwabeSpittler ist ihnenanwissenschaftlicherBedeutungandieSeite zustellen. Jhre Thätig- keitdrängt sichineineverhältnißmäßigkurze Zeit zusammen:Gatterers Weltgeschichteistin denJahren1785bis 87,SpittlersGeschichtedesFürsten- thUms HannoverundPiitters deutscheVerfassungsgeschichte1786,Meiners’

GeschichtedesweiblichenGeschlechtes1798bis 1800erschienen.Abersiege- hören auch ihrer geistigen Gesammtrichtungnachzueinander,besonders, weilsieAlleebenso wohldasArbeitgebietderHistoriewie die Blickweite ik)rerKausalitätforschungausgedehnt,d.h.weil sieAlleKultur- und in einemgewissenSinne auchEntwicklungsgeschichtegeschriebenhaben-

Undwunderbar: an einzelnenStellen läßt sichdoch auch hierwieder nachweisen,wie dieBerührungmitsystematischenWissenschaftenderGeschicht- schreibunginihrem FortschreitennachbeidenRichtungen hin förderlichwar.

« dlc)SchäferhatinseinerakademischenRede (DaseigentlicheArbeitgebietder

Geschichte[1888]S.17 ff.),dieeinensolchenUeberblickgiebt,mitkeinemWort die göttitlger Schule erwähnt.Winckelmann undHerder sind wohl genannt,aber demZusammenhangnachalsGründer von Einzeldisziplinen,Justus Möser alsAntoreinesscharfsinnigenApercus

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104 DieZukunft.

Pütterwar Jurist, erbeherrschtedasWirrsaldesStaatsrechtesamAus- gang desReichesmitvölligerKlarheitund dieser systematischeSinn mag ihn auch geleitet haben,alserinseiner»EntwickelungderheutigenStaats- verfassungdesTeutschenReiches«dieJahrhunderte langen Zusammenhänge dieserMaterie dochinsehrvielhöheremMaßals Totalitätbegriff,alsman

bisher gewöhntgewesenwar. DasBuch hält mehr,alsseinTitelverspricht;

esist eigentlichfasteinedeutscheGeschichte,wenigstensinderAbgrenzung, diebisheute üblichwar. Sein Hauptaugenmerkist aufdieAbwandlung derVerfassung gerichtet,aber erzieht doch auchreingeistigeBewegungen indenBereich seiner Darstellung, soweitsie juristischeFolgen hatten; so dieReformation. Methodisch wichtig sind freilichnur jene,dieHauptab- schnittedesBuches;undauchinihnenwirdman nur eineAnnäherung

andenEntwickelungsgedankennachweisenkönnen.Aberschon ihreleitende Idee, SchrittvorSchritt nichtnur denHandlungen der·FürstenundRe- girungen, sondernderGeschichtevonInstitutionenzufolgen,kannnur von ihm eingegebensein. Wennseine Darstellung sich auch vielfachnur mitder Punkt für Punkt fortschreitendenBeschreibungdesThatsächlichenbegnügt undalso streckenweiseebenso tiefimEhronikenstilwie diedamaligeDiplomatie- Geschichtesteckenbleibt,wenn sie sich auch sehr seltenzu ganzallgemeinen Betrachtungen,zu Ueberblickenüber ganzeEntwickelungreihenerhebt:immer- hin ist doch schonderwenigstens halb bewußteZweckdermaßgebende,die GeschichtevonEinrichtungenalseinGanzeserblicken zulassen.Undzu- gleichwurdedochwiedereinneuesGebiet,diesmal derinnerstaatlichenEnt- wickelung,dasStaatsrechtinfachmäßigerBearbeitung,indenBereichder Geschichtschreibunggezogen. EinVorgang,derdoch fürdieGeschichteunserer Wissenschaftwichtigist,dennBoltaire z. B.war übersolcheDingenur sehr oberflächlichinformirt gewesen;hieraberergriffderersteVertreterderanalogen systematischenWissenschaftdasWort.

Ein ähnlichesAnsangsstadiumbezeichnetGatterers Weltgeschichte,die biszurEntdeckungAmerikas fortgeführtwurde. Sie empfiehlt sichdem modernen LeserinandererHinsichtalsdasWerkPütters,indemderVer- fasserinVoltaires Artund inganzumfassender DarstellungalleGebiete derKulturgeschichteseinem Bucheinverleibt: erunterscheidetgeistreichzwischen Völker:undMenschenhistorieundweist jenerdiepolitische, dieserdieGe- schichtedergeistigenundmateriellen Kultur zu. Aberauch hier entspricht dieAusführungzuwenigdemPlanoderbesser:der indieser systematischen Disposition schlummerndenTendenz; das Werkistgarzusehr Notizen-und Nachrichtensammlung,alsdaßman eseineEtappe aufdemWegezu einer neuen Geschichtschreibungnennen dürfte.

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Spittler ist auchinseinen bestenBüchern,soinseinerGeschichtevon

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Deutsche GeschichtschreibungimZeitalter Herbei-s 105

Hannover,noch mehrChronistalsGattererundPütter.ErtheiltdiesBuch sauber nachdenRegirungzeitenselbstderunbedeutendstenFürstenein, aber er. Wendetdoch auchdenmehr organischenEntwickelungen, namentlichder

Verwaltung,sovielSorgfaltzu,daßman ihmUnrecht thäte,wollteman

ihn nichtnebenPütternennen. SeinEntwurfderGeschichtedereuropäischen Staaten ist freilich mehreintrockenes Handbuchals Darstellungund selbstseinekleineKirchengeschichte,von derman mehrerwartet, kommtnicht allzUweitüberunproduktive Deskription hinaus; sienimmt wohl hierund da denAnlaufzuweitgreifender,ganzeZeiträume umfassender Betrachtung, kommt aberdoch nichtübergelegentlicheAperqusindieserRichtunghinaus.

WiewenigderTresslichesichüberseine eigeneBedeutungklar war,ergiebtsich deutlichauseinerWendung seines literarischenApparates,mit dererVoltaires

»JahrhundertLudwigsdesVierzehnten«abschätzigbei Seite schiebtmitden Worten: EingeschmackvollerhistorischerEntwurf,aberkeineGeschichte!

JohannGottfried Eichhorn hat,was Gatterer begann, wesentlichge- fördert:aucherwidmetderKulturgeschichtenicht allzu ausgedehnte,aber systematischdisponirteKapitel. Namentlich,wosichihmzuwenigeNachrichten über dieauswärtigePolitikdarbieten,bevorzugternothgedrungendie Kultur- Daernämlich sicherunter demEinflußHerdersfedenansich werth- vollenGedankenhegte, seine Weltgeschichtemüsse auch Asien, Afrikaund Amerikaumfassen,undihn auchmitall dersystematischenBeharrlichkeitund derPedanteriedurchführte,dieHerder nicht hatte, so gerietheranStellen, wodiegebenedeitenStaatsaktionen unseliger Weise fehlten.Rankewürde solcheVölker als derHistorieundihrer Beachtung unwiirdiggebrandmarkt haben, Eichhornabermachteaus derNotheineTugendundsprach wesent- lichüberihreKultur. Selbstin denpolitischenAbschnitten«dieerderGe- schichtederGriechenundRömerwidmet,isterzuweilenüber dieprimitive EinfaltdesChronistenstilshinausgekommenund entwirft auchvon solchen Zeiten,über die dieerdrückendsteFülledesgleichgiltigstenKleinkrams zu be- richtenwäre, ein BildingroßenZügen, sicherlichwiederunter derEin- wirkungdesherderschenBeispiels. Allerdings hältersichnichtdauerndauf dieserHöhe.Seine Geschichtederdreiletzten Jahrhunderte,dienoch1817 indritterAuslage erschien,artet in einKompendium roh-deskriptiverGe- schichtederauswärtigenPolitikaus und diemeistenanalogen Abschnitte seinerWeltgeschichtesind wenig besser-

Meinershatte wohlvonallenGöttingerndenhöchstenEhrgeiz:erist aufganzneue Gedankengekommen.ErhatdenVersucheinerReligionen- gefchichtederältestenVölker, einenVergleichderSitten des Mittelalters mit denendesachtzehntenJahrhunderts, eineGeschichtederWissenschaftenin GriechenlandundRom,eineGeschichtederhohenSchulen, endlicheineGe-

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106 DieZukunft.

schichtedesweiblichenGeschlechtesgeschrieben.Daswaren fruchtbarePläne, diesämmtlichnur imentwickelungsgeschichtlichenSinngefaßtwerdenkonnten, aberfreilichnur zumTheilsoausgeführtzu werdenbrauchten.Denn der Vergleich,das wesentlichstemethodischeMittel der entwickelndenGeschicht- schreibung,muß,angewandt auf zweiweitvoneinanderentfernt liegendeZeit- alter,auchzu weiteren Konsequenzeninderselben Richtung führenunddie GeschichteeinzelnerZweigedergeistigenKultur kannkein anderes Zielhaben, sowenigwiedieGeschichteeinergroßensozialen Gruppe,dergrößten,die esgiebt,einesganzen Geschlechtes. DochdieGrundtendenzdieser Werke verbürgteallerdings nochnichtdieFolgerichtigkeitderAusführung Esistbei

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Meiners nichtanders als bei den anderen Göttingern: Ansätze, Anläufe undSpureneinerJnnehaltungdesProgrammes finden sich wohl,aberes kommtnichtzufystematischerDurchführungderleitendenIdeen. DieHi- storikervon heute,dieda meinen, derUnterschiedzwischenentwickelnder und befchreibenderGeschichteseieinWahn,.unddieser Meinung oftsoüberheb- lichenAusdruckgeben, hättenhierGelegenheit,aneinempraktischenBeispiel sichvon derUnhaltbarkeitihrer Anschauungzuüberzeugen.Meiners macht infeinerGeschichtederantikenWissenschaftengarnicht seltendenVersuch, denFortschrittoderdieWandlungdergeistigenBewegungderGriechenent- wickelndnachzuweisen, soetwa beiGelegenheitdesUebergangesvonden Sophistenzu Sokrates, aberinderHauptsacheverfällterimmerwiederin

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dietoteDefkription,d.h.in das ich möchtesagen nur addirendeAn- einanderreihenderLehrender einzelnen Philosophen.Undähnlichverläuft sichdieDarstellung seiner GeschichtedesweiblichenGeschlechtesim ersten Bande vielfachineine-ArtethnographischerNotizenfammlung, währendder zweite Theil,derdasMittelalter sehrkurz abfertigt,beidenneuen Jahr- hundertenaberumso längerverweilt,zuletztfastganzin allerleiAnekdoten- kramundHofklatschaufgeht,denerBrantOmeundanderen unterhaltenden Lästersmäulernnacherzählt.DieAnsätzezuentwickelnder Betrachtung,die man zuweilenfindet, sind oftganznaiver, fast thörichtprimitiverArt,oft- auchfreilichweiter reichend.

DengrößtenErfolg hatte SchlözersThätigkeit.Auch ihmmagseine BerührungmitsystematischenStudien wirksam geholer haben:erwarder ersteVertreter nichtnur derdeskriptiven,sondern auchdertheoretischenSta- tistik.SeineWeltgeschichteimAuszug,die indreikleinen BändenbisChlod- wigreicht, isteingedankenreichesBuch. Weß GeistesKinderist, zeigt sich sogleich,wenn man beiihmliest,wieersichüberdieUrsachederGröße derRömerkurz also äußert: ReligionmitWärme,doch ohne Schwärmerei alseinemoralischeundpolitischeTriebfeder,AberglaubeialsLeitseil fürden Pöbel.Das istetwasmanierirt gesagtundsehr anfechtbar,wie dasMeiste,

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aber in dessen ersten Jahrzehnten waren Anstalten, wie wir heute sie kennen, noch unbekannt. Die Chemie galt eben noch als Nebenzweig anderer Wissenschaften, wie Physik,

an zu einem Zwitter. Er mag noch so gern amerikanischerBürger und keinem Menschen unterthan sein, er mag lieber in Amerika leben als in Deutschland, weil er es in Amerika zu

türlich auch die Individuen gleicher Art: und dann kann man von einem Kampfe sprechen. Aber was nöthigt uns denn, uns auf den Standpunkt dieser Individuen zu stellen? Wir brauchen

Selbst wenn man Thyssen (Deutscher Kaiser), Haniel (Neumühl und Rheinpreußeii), die beiden Zechen Oberhauer, Osterfeld von der Gutehoffnunghütte, ferner Westende, die Zeche des

sich zu vertheidigen. Die Zeit von vor fünfhundertJahren liegt nicht gar so fern; wir sind seitdem nicht so »anders« geworden. Frauen, die mehr vom Leben begehren als glückliche

Da er so hochfahrendsprach, verminderte sich der Berg seiner Verdienste um sechzehn Johanns und Tugend und Wirkungskraft fielen ab von ihm, so daß, als er sich wieder an die

Das konnte er, trotzdem er in den »Träumen eines Geister- sehers«Swedenborgs Arcana »acht Quartbände voll Unsinn« nannte; denn zu den Glaubenssätzen, die er »auf dem Luftschiff

Genie ein rein ästhetisches Christenthum. Voltaire hatte das Christenthum lächerlichgemacht, die Encyklopädisienhatten den Atheismus in die Mode gebracht, die Revolution hatte