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Die Zukunft, 30. April, Bd. 23.

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AbJs- «Cis-I-

Berlin, den 30.April 1898.

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paragraph s75.

Paragraph

175 desReichsstrafgesetzbuches«, ein«wunderlicherTitel

» fürein Werkaus ärztlicherFeder,demnun hieraucheineärztliche EinführungundBesprechungzuTheilwerdensoll-k).DieVerwunderung schwindet,wenn man sichmitdemInhalt dieses ominösen§175 undmit seinenpraktischenKonsequenzenetwasnäherbeschäftigt.Esist nämlichder Paragraph,derbeiderneuerdings sovielumstrittenen »homosexuellenFrage«

wesentlichin Betrachtkommt, dadurch ihn »diewidernatürlicheUnzucht, welchezwischenPersonen männlichenGeschlechtesbegangenwird«,unter Strafe gestelltwird. Vondenkeineswegsseltenen analogenSünden beim weiblichenGeschlechtweißderdeutscheGesetzgeberinglücklicherNaivetätnichts, während durchdenentsprechenden§129 desösterreichischenStrafgesetzes inallgemeinerFassungdie»UnzuchtmitPersonendesselbenGeschlechtes««

mitStrafebelegt ist.

DieMeinungenüber die indiesenBestimmungenmitStrafe bedrohten FormengeschlechtlicherVerirrung habenimLanderuns bekanntenZeit- spanne,die wiringrasserUebertreibungals»Weltgeschichte«bezeichnen,in verschiedenenKulturperiodenundunter verschiedenenKulturvolkern nur allzu häufiggeschwanktund gewechselt.Eskannhier nichtmeineAufgabesein, inbreiter Darlegungzuentwickeln, wiesichdie»Blüthe«dergriechischen,

Ilc),,§175desReichsstrafgesetzbuches.«DiehomosexuelleFrageimUrtheil derZeitgenossen,bearbeitetvomDr.med.M..Hirschfeld, prakt. ArztinCharlotten- burg.Leipzig,VerlagvonMax Spohr,1898.

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diedecadence desrömischenAlterthumes,wiesichHeidenthumundChristen- thum,Mittelalter und Renaissance,Orient undOccident, gelbeundweiße Rasse,undwas sonstdenKulturhistoriker,denAnthropologenundEthno- logendabeikümmernmag,wiesichendlichvorAllemdie antikenundmo- dernengroßstädtischen,,Sodoms«zudiesen Fragentheoretischundpraktisch gestellthaben.Für dieStrafgesetzgebungunddieStrafrechtspslegeinihrer zeitlichenundörtlichenBedeutung sindDasja freilichunumgänglichejviel- fach entscheidendeGesichtspunkte Jedes Strafgesetz,dasseinen so abgegrenz- tenZweckenzu dienenbestimmt istundwirklichdient,entspringtamEnde nichtdenausgeklügeltenMeinungenabstrakterRechtstheoretiker,sondernbietet sichalsdasnothwendigeErgebnißunddernatürlicheNiederschlagder zurZeit seiner Abfassungvorherrschendensittlich-rechtlichenAnschauungen, soweit odereng,hochoderniedrig diese,von anderen Standpunktenaus betrachtet,

nun ebenauch seinmögen.Aufdie damals vorherrschendenAnschauungen hatte also auchdasvor baldeinemMenschenalterentstandeneReichsstraf- gesetzbuchingebührenderWeise Rücksichtzunehmen.Undesnahmsie;es kodifizirtenur, was damals indeneinzelnenLandesstrafgesetzengeltendes Recht,wasauchimöffentlichenBewußtseinbisdahinfastwiderspruchlos anerkannt war. Zwarwurden schondamals,zurZeit seinerAbfassung, vereinzelteStimmen laut,die eineStreichung dieser Strafbestimmungdes

§175befürworteten.Doch ließ sichschwerlichbehaupten, daß diese Einzel- stimmeneinenansehnlichenTheilderVolksmeinung,dervox publica, hinter sichhätten,dievielmehr fortfuhr,die injenen ParagraphenunterStrafege- stellten Handlungen nichtnur alsAusflüsselasterhafterNeigungenmoralisch zu brandmarken,sondern auchalsverbrecherischundstrafwürdigzubetrachten- Auch heute noch dürfte sichdarinkaumeinewesentlicheAenderungvollzogen haben;und eswürdealsovon diesemGesichtspunkteaus derangerufene GesetzgeberschwerlicheingenügendesMotiv zurAbänderungoderAufhebung jener Strafbestimmung thatsächlichvorfinden.AndereUmständejedochkommen hinzu,dieesnichtnur alswünschenswerth,sondern geraderalsPflichtsache erscheinenlassen,eineAufklärungundBerichtigungderöffentlichenMeinung unddamiteineReformderbestehendenStrafgesetzgebungauf diesemGebiet indieWegezu leiten.

DieseNothwendigkeitist durchdieinzwischenerfolgtenFortschritteder wissenschaftlichenDurchforschungdiesesGegenstandes also durcheinenvon denwechselndenörtlichenundzeitlichenVerhältnissenvölligunabhängigenFak- tor« herbeigeführtworden. Die ärztlicheWissenschaft eswirdwohl, trotzmancheneinslnßreichenGegenwart-undZukunft-Autoritäten,nocherlaubt sein,von einersolchenzusprechen! hatsichausGrundeinesumfangreichen undstetig anwachsendenErfahrungmaterialsin derAnschauungbefestigt,daß

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. Paragraph 175. IR7 eseineverhältnißmäßignicht geringeAnzahlvonIndividuengiebt,die zwar äußerlichdenHabitusund dieunterscheidendenMerkmale,die,,primären«und- selbstdie»sekundären«Zeichen ihres Geschlechtesansich tragen,denen aber inseelisch-geistigerBeziehung,namentlichim HinblickaufdietypischenGeschlechts- empfindungen,diecharakteristischenUnterschiedemehroderwenigervollständig fehlenunddurchdie dem anderen Geschlechtanhaftenden Eigenthümlichkeiten ersetztsind.Dasgiebtsichindervon vorn herein ausschließlichenNeigung zu demeigenen,zu demgleichenGeschlecht in der»Homosexualität«desEm- pfindens——vorwiegendzu erkennen. Eshandelt sichdemnachbeidiesenIndivi- duenumeineangeboreneseelisch-geistigeAbnormität in derSphäredesGeschlechts- empfindens,fürdieman inFrankreichnichtmitUnrechtdieBezeichnung»Um- kehrdesGeschlechtssinnes«(inversion dusens gånitay gewählthat, während

man inDeutschlanddenvonWestphal zuerst gebrauchtenAusdruck»konträre Sexualempfindung«bevorzugt. Westphalwar es, der nachdemVorgange einergroßengerichtsärztlichenAutorität, Casper,unddesPsychiatersGrie- singer zuerstdasKrankhafte,Anomale dieserinderRegel auchmitan- derweitigennervös-psychischenStörungen,bisweilenmitangeborenemSchwach- sinnverbundenenZuständenachdrücklichbetonte-ASeitdem istdie Literatur diesesGegenstandesinsUngeheure gewachsenunddieKenntniß dieser Zu- stände,derzurHomosexualitätdisponirenden konstitutionellenVeranlagung, ihrerErscheinungenundEntwickelungformenist insbesonderedurchTarnowsky, Moreau, Krafft:Ebing, Moll, Schrenck:NotzingundAnderevielfachindankens- werther Weisebereichert,wenn auch nochkeineswegsinjeder Beziehungbe- friedigendgeklärtworden. Namentlichdarüber, obessichbei deneigentlichen Homosexualenimmer um angeborene,meistinererbterBelastung begründete krankhafteVeranlagung,um »Degenerationerscheinungen«handeltoder ob zum Theil aucherworbene,durchGelegenheitursachen,Milieu,Erziehungeinflüsse

u.s.w.geförderteZuständevorliegen, darüber wirdnoch gestritten,wenn auchdieWagschale sich mehrundmehr aufdieersteSeite, zuGunsten derangeborenenBelastung,zuneigen scheint. Doch so wichtigdieseStreit- frage fürdietheoretischeBeurtheilungundzumTheil auch fürdieMöglich- keit einerkurativenBeeinflussung der »Homosexualität«unterUmständensein mag,sokönnen wirsiehier,woessichlediglichumdiepraktischenFragender gerichtsärztlichenWürdigungundderunvermeidlichzuziehendenRechtskon- fequenzenfür solcheIndividuen handelt,alsunwesentlichübergehen·

Esistnun nichtzuverkennen,daßdemallmählichso gänzlichver- f)Dies geschahzuerstineinerimJahre1869 (ArchivfürPsychiatrie, BandII)veröffentlichtenAbhandlung. Die erstebezüglicheMittheilungvonCasper erschienimJahre1863. (S.dieLiteraturangabeinmeinem Buch»Sexuale Neuropathie«,pag.85.)

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188 DieZukunft.

ändertenwissenschaftlichenStandpunkte hinsichtlichder»konträrenSexual- empfindung«,der»Homosexualität«gegenüberdiejetzt nochimReichsstraf- gesetzbuchundin denmeistenanderenStrafgesetzeninKraft stehendenBe- stimmungennothwendigzumancher Härte, mancher Kollision führenund aufdie Dauer schwerlichaufrecht erhaltenwerdenkönnen. Bei denaufGrund ungeborenerBelastung, psychischerDegenerationvon vorn herein homosexual veranlagtenIndividuen,wieauchbei denetwadurch erzieherischeundsonstige EinflüsseinfrüherJugend homosexualgewordenenhandeltessichdochgleicher- maßenum AeußerungeneinesmitunwiderstehlichemZwangewirkenden,von denTrägern selbst keineswegsalskrankhaftundnaturwidrig, sondernviel- mehralsihrem innersten Wesen, ihrer Organisation gemäß empfundenen Triebes. So anomal dieser ZugundvielesAndereindemGebahrender betreffendenIndividueninderRegel auch ist, so istdamitdochnichtim Mindesteneinsolcher psychopathischerZustand gegeben,um daraufhineine

»Geisteskrankheit«imgesetzlich-rechtlichenSinne zustatuiren,um, nachder herrschendenStrafrechts-Phraseologie,imgegebenenFalle ihre »freieWillens- bestimmung«unddamitihre ZurechnungfähigkeitundStrafbarkeitalsaus- geschlossenbetrachtenzudürfen. BekanntlichkönnensolcheLeutenicht gerade seltenindenverschiedenstenLebensftellungenganzgutihren Platzausfüllen;

wer auf diesemGebieteselbst Erfahrungen sammeltoder nur dievon einzelnenAutoren veröffentlichtenAutobiographienvon »Urningen«auf- merksam durchmustert,Der weiß, daßman ihrerimKreisederBeamten, Offiziere,Künstler,Schauspieler,Kaufleutes.w.(vonnochhöheren»Kreisen«

ganzzuschweigen)mehrals genug findet.Ueberallendiesenhäufigim Umfange ihrerBegabungganzachtbarenundzuweilensogarvoneinemhoch- gestimmtenIdealismus durchdrungenenIndividuen hängtnun als Damokles- schwertbeständigjener drohendeStrafparagraph175, dersiezu einemun-

unterbrochenenselbstquälerischenKampfemitdengeradebeiihnen häufig abnorm starkengefchlechtlichenImpulsenundzueinerlebenslänglichenEnt- haltung verurtheilt,dasie sichheterosexualnichtbefriedigenkönnen undwollen, homosexualabernicht befriedigendürfen.InderThat sindalsodieseun-

glücklichen»Urninge«(wiesiesich, nachdemVorgangeihres seltsamenApostels, desin densechzigerJahren literarisch thätigen hannoverischenIuristenUl- richs,vielfach selbst nennen)ineinerbedauernswerthen,dasMitgefühler- weckendenLage.Sieeinfachzu kastriren, wie einnamhafter Psychiatervor einigen JahreninallemErnstvorschlug, geht dochwohl nichtan;undzu warten, bissie sämmtlichdurch hypnotistischeZauberkünsteindenallein selig machendenSchoßheterosexuellerLiebezurückgekehrtfind,würdevermuthlich etwas zulangezu dauern. Unter denjetzigenVerhältnissenfühlensichdieseLeute einemwiderwärtigenErpresse·r-undDenunziantenthum,einerhierund dasyste-

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Paragraph175. 189 matifch organisirten chantage wehrlos überliefert.MitvollemRechthatder moderneStaat sichmit derZeit geradedengeschlechtlichenVergehungengegen- überaufein immerengeres Gebietzurückgezogenund,woerÜberhauptnochein- zuschreitenfür gut fand,dieStrafeimGegensatzzu derehedemüblichenbar- barischenStrenge vielfachbis zurUnwirksamkeitheruntergemildert.Eshindert nichts,indieser RichtungnocheinenSchrittweiter zugehenundden§175 fallenzulassenoderdurchandere,eingeschränktereStrafbestimmungenzuer- setzen.DieZielederStrafgesetzgebungfindauf diesemGebieterfüllt,wenn sie gewaltsamemMißbrauchzusteuern, Minderjährigezubeschützen,öffentliches Aergernißzuverhütendurch wirksame Strafandrohung bemühtist; wofürin unserem ReichsstrafgesetzbuchdurchanderweitigeBestimmungen(§174,183 u.s. w.) schongenügendgesorgt ist.

VonsolchenErwägungenausgehend, hatvorvierJahren zuerst Krafft- EbingineinerbesonderenkleinenSchrift-k)dieAufhebungderbetreffenden Strafparagraphendesdeutschenund desösterreichischenStrafgesetzbuchesM) nachdrücklichundmit eingehenderMotivirung gefordertundfür ihren Ersatz indemangedeutetenSinn bestimmteVorschlägegemacht,derenEinzelheiten hier nichtinErörterunggezogenwerden sollen.Seinem Vorgehen haben sich gewichtigeärztlicheStimmen,namentlichvonNervenärztenundPsychia- tern,angeschlossenundneuerdingsistauchin weiterenKreiseneineziemlichleb- hafteAgitation fürdieSacheinFluß gekommenundhat sichzu einer mitzahl- reichenUnterschriftenklangvollerNamen vonjuristischen,ärztlichen,schrift- stellerischen,künstlerischenNotabilitätenversehenenEingabeandenDeutschen Reichstagverdichtet.Man magdiese Eingabe, ihre Begründungunddas VerzeichnißderihrbeigetretenenMänner inderangezeigtenSchrift nach- lesen·Dawirdman auchdievielfach sehr bezeichnendenZusätzeganzoder zumTheil wiedergegebenfinden,mitdeneneineReihederUnterzeichnerihre Unterschriftbegleitet,hierund daaucheinschränktzmanwirdfernerAeußerungen auchsolcherPersonen angeführtfinden,diesichausmehroderweniger stich- haltigenGründenmit demwesentlichenInhaltderPetition nichteinver- standenerklärenkonnten, so daßdasFürundWider indieser Sachein sziemlich erschöpfenderWeise repräsentirtwird. Sehrbeachtenswerther- scheintu.A.einvon Eduard von Hartmann herrührenderVorschlag,der eineBestrafungder gewerbsmäßigenhomosexuellenProftitutionund die AusdehnungdersittenpolizeilichenAufsichtauf PersonenbeiderleiGefchlechtes fordert. Jm Uebrigenmöchteichmirzu demschwierigenundfür eingehende

dsc)Krafft-Ebing,DerKonträr-SexualevordemStrafrichter, Leipzigund Wien1894.

W) JnFrankreich hatman dieentsprechendenStrafbestimmungen schon seitlängererZeit aufgehoben-

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190 DieZukunft-

Erörterungan dieserStelle allzu heiklenThemanur nocheineSchluß- bemerkunggestatten. Humanität«und Gerechtigkeitfordern unstreitig, daß unhaltbareundveralteteStrafbestimmungen nachArtdes§175 aufgegeben werdenunddaßdenangeborenenoderfrühzeitigerworbenenkrankhaftenZu- ständenderHomosexualitätbei dersittlichenundrechtlichenBeurtheilungder daraus entspringendenHandlungeninhöheremMaßalsbisherRechnung getragenwerde. Aberman sollte auch,wieichschonvormehreren Jahren beiähnlicherGelegenheitausführte,nichtingarzugroßeRührungzerfließen über dastraurigeGeschickdieser,,Urninge«,dieja dochzumgroßenTheil für diemenschlicheGesellschaftfastnur dieBedeutungvonDrohnen(nichteinmal mitderbekanntenEintagsnutzbarkeitdieser Geschöpfe)besitzen.VorAllem aberkannman dieGrenzen nicht scharfundbestimmtgenugziehengegenüber deminGentlemanformen sichhüllendenLüstlingthumund derdamitver- bundenenmännlichenProstitution,inderenMysterienuns vonZeitzuZeit sensationelleProzesse(wievormehrerenJahrender gegen Oskar Wilde in Lon- dongeführte)schauderndeinenBlickthun lassen.Undendlich darfvondem angeblichenRechtederabnormveranlagtenPersönlichkeit,sichinseinerNatur zubehauptenundgeltendzumachen,indieser Frage wenigstensnichtaus- gegangen werden. Sonstkönnteman schließlichvondemselbenStandpunkte wiefürdie»Urninge«auch fürdie»geborenenVerbrechernaturen«dieFrei- heitbeanspruchen,sichinihrerArt»auszuleben«,ohne daßStaat undGe- sellschaftEtwas dawidereinwenden dürften. Auf sozialemGebietekannund darfeseinfürdieeinzelne,abnorme und exzeptionellePersönlichkeitzu- geschnittenesRechtdemgrößerenRechtederGesellschaftgegenüberniemals geben;amAllerwenigstenindemSinneundUmfange,dengewisseschwärmerische Bekenner ibsenschenAdelsmenschenthumesodernietzschischenUebermenschen- thumesdamitmißbräuchlichverbinden.

ProfessorDr. Albert Eulenburg.

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DieBesiedelung unsererKolonien. 191

Die Besiedelung unserer Kolonien.

Wer

LeiterderFreisinnigenZeitungwunderte sichvor Kurzemdarüber, daßein»Gewaltmensch«wieichdasSystemderSelbstverwaltung für unsereKolonien empfehle. Dieses Erstaunen ist sehrkennzeichnendfür dieFreisinnigeZeitungundfürdasdeutschePhilisterthutnüberhaupt.Daß Herr Eugen Richter mich füreinen,,Gewaltmenschen«hält, nehme ich ihm weiternicht übel; nachderwährendderletzten zweiJahregegenmich insze- nirten Hetze halten mich auch wohl weniger parteiischeBeurtheiler dafür.

Jch glaube,esgehörtschoneingewissesMaßvoninDeutschlandungewöhn- licher Billigkeit dazu, mich nicht dafürzuhalten.Aber was hatmeine Ueberzeugungvonder angemessenenBehandlungeinerunterworfenenBe- völkerungmitmeinerAnsichtdarüber zuthun,wiesichdieherrschendeRasse selbstamBestenineinemneuen Landeeinrichtet? Herr Richter scheintzu glauben, daßKolonien mit der Verfassungder autonomen Selbstver- waltungsichdurch besondere WeichherzigkeitgegendieeingeborenenStämme auszeichnen.Wenn ichmitdieserVermuthung Recht habe, so empfehleich ihm,einmalnachzusehen,wie dieKarthagermit denLibyphönikerninNord- afrika verfuhrenoderwieman indenfreienenglischenNiederlassungenin Nordamerika mitdenJndianernumsprangDieVerfassungdererobernden Nation hatmit derBehandlungderunterworfenenVölker in derRegel nichts zuthun;obDespotismus, AristokratieoderDemokratie: Dasbleibtsichgleich.

MeineeigeneRechtfertigung,den Beweis,daßmeineBehandlungder Afrikaner richtigist,denkeich,späterzuliefern; ichwerde dannruhigabwarten,

wem diezukünftigeEntwickelungRechtgebenwird.Jchbinnicht nach Afrika gegangen,um dieEingeborenenglücklichzumachen. Dazu hatte ichkeinerlei innere oderäußereVeranlassung, ebenso wenig,wieichgefundenhabe, daß dieAfrikanereinbesonderesBedürfnißempfinden,nachEuropazugehen,um uns glücklichzumachen. Sondern ich habe Kolonialpolitik getrieben,um meineneigenenLandsleutenundderMachtdesDeutschenReicheszu dienen.

Aberich habe stets gemeint, daß hiermitindirekt auchdenInteressender Negerweltgenütztsei;undum somehr,je entschiedenerman siein. dieneuen

wirthschaftlichenOrdnungen hinüberleitet,wobeijafreilich Gewaltmaßregeln leidernichtimmer vermieden werden können. NachmeinerUeberzeugung kommtbeijeder KolonialpolitikAlles aufdiewirthschaftlichenVortheile an, die daskolonisirendeVolkdaraus gewinnt,undsolcheVortheilesindnur zuverwerthen,wenn dieAufschließungundpraktischeEntwickelungderneuen Länder nachdenGesichtspunktendesgesunden Menschenverstandesvorge-

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nommen wird. Mit SchultheorienundUtopien sind, soweitichdie Welt- geschichtekenne, nochniemals großeErfolge erzieltworden«

Allesläuft schließlichimmerausdieBesiedelungfähigkeitderGebiete hinaus. WeißeAnsiedelungensinddieeigentlichenHandhaben,»durchdieneue Werthein den Länderngeschaffenwerden,durchdie rationelleBebauungdes Ackers, SchasfunggeeigneterVerkehrswege,EinführungvonSchutzfürLeben·

undEigenthumundendlichderSiegdereuropäischenKultur erzieltwird.

Ueber dieBesiedelungfähigkeitunsererKolonien istinDeutschlanddenn auchimletzten Jahrzehnt beständigherumgestrittenworden, seitDr.Fischer 1885 dasgroßeWort gelassenaussprach: ,,Wo Afrika fruchtbar ist,daist esungesund,und woesgesundist,daistesunsruchtbar.«Mirscheint nun, dieMeinungenderSachverständigenhaben sichin denletzten Jahren mehrundmehr dahin geklärt,daßessichnichtdarumhandelt, theoretischdieser Frage fürdas ganzeafrikanischeFestlandeine Antwortzusuchen,sonderndarum, imEinzelnendieGebietefestzustellen,diefür AnsiedelungendurchEuropäer geeignet sind. Daß Centralafrikamindestensso gesund istwie dasöstliche Brasilien, leuchtetwohl auchdemLaienheute ein;undweshalb Weißenicht inDar-Es-Salaam wohnen sollen,wenn sie dochinRiodeJaneiroleben können,istnicht abzusehen. Freilichwürdeich rathen,wenn Einer nichtbe- sondere Interessendortzuverfolgenhat,wedernachRiodeJaneiro noch nachDar-Es-Salaam auszuwandern. JnbeidenPlätzen istdieGefahrder ErkrankungamFieber vorhanden,wenn auch Ostafrikavordemmörderischen gelbenFieberbewahrt ist,wieesinBrasilien wüthet.AnderKüste Ost- afrikaswieanderBrasiliens mußdieeuropäischeRasse, selbstwenn sie dazu gelangen sollte, sichdorterblich festzusetzen,imVerlaufder Generationen entarten, wieesdenSpanierninMittel- undSüdamerika unddenPortu- gieseninCentralasrikaundGoa geschehenist. Solche Siedelungplänemüssen deshalbvonderHand gewiesenwerden,solangeesnoch gesundeGebiete giebt,wodieEntartungderRasse vsermiedenwerdenkann.

Solche gesundeGebietegiebtes nun,meinerAnsichtnach,inAfrikabei einerHöhenlagevon·mindestens1200Metern über dem Meere überallda,wo genügendeBewässerungfür ackerbaulicheBetriebe vorhanden ist.JnDeutsch- Ostafrika besitzenwirderartigeGebieteinerheblicherAusdehnung: abge- sehenvonsolchenGebirgslandschaftenwieUsambara, Ukami, Usagara, Nguru

u.s.w. dieweitenHochplateaus zwischendemKilima-Ndjaround dem Vietoria-See undumdenNorden undOstendesNyassagebietesZwar ist dieFragederBesiedelungsähigkeitauchdieser Landstricheheute noch umstritten;

unter Anderemsprichtsicheine AutoritätwieHermannvonWissmannda- gegen-aus. Aberich glaube, daß WissmannzuweniginAnschlagbringt, welcheWirkung aufdieBewohnerdieserLänderdieEinführungdermodernen

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DieBesiedelungunsererKolonien. 193 Verkehrsverhältnisse,insbesonderederEisenbahnbau,übenmüßte.Mirscheint, daßmanbei derPrüfung dieserFrage überhauptimmerzusehrdieheutigenpri- mitivenVerkehrsmittelzu Grundelegt.EinKolonist,derersteineafrikanische Expedition nachaltemMuster auszuführenhat,bevor erindiegesunden undkühlenHochplateausdesWestensgelangt, ist freilichinGefahr,den An- strengungenderReiseund desTropenklimaszuerliegen.Wenn ihnaber eineEisenbahnfahrtvon etwa»achtbiszehnStunden dahin bringt, so sieht dieSacheanders aus. Die erstenAnsiedlerinNordamerika wurden immer wiederdurchSkorbut dezimirtundimsiebenzehntenJahrhundert bezweifelte man inEnglandeineWeile allen ErnstesdieBewohnbarkeitdesatlan- tischenWelttheiles Heute istderSkorbutüber den ganzen weitenWestenhin verschwunden. AehnlichwirdesauchinAsrika gehen;und inkommenden Jahrhundertenwirdman, glaube ich,dieKlagendesheutigen Einwohners über dasschrecklicheasrikanischeKlima wahrscheinlichebenso beurtheilenwie wirheutedieKlagenderRömerüber dasentsetzlichedeutscheoderbritische Klimavorzweitausend Jahren.

Prinzipiellglaubeichalso,wieausdiesenkurzenAusführungenhervor- geht,andieBesiedelungfähigkeitweiterStrecken unserer afrikanischen,undins- besonderedermirpersönlichbekanntendeutsch-afrikanischenKolonien. Jchlas nunvoreinigenTagenin einerhiesigenZeitung,daßderGouverneurvonDeutsch- Ostafrika, OberstLiebert,beabsichtige,demnächstviertausend deutscheKolonisten inUheheanzusiedemObwohl ich dieseNachricht,wiesie vorliegt, nicht für zutreffend halte,daichdenGouverneurLiebertalseinen vielzuverständigen Mann kenne,um ihm zuzutrauen, daßer einso ungeheuer waghalsiges ExperimentmitdemLeben Anderermachenwird, einExperiment, dessenFehl- schkagengleichzeitigeinenunberechenbarenSchaden für unsere gesammteKolo- nialpolitikbedeutenwürde,scheintmirdochaus anderenAnzeichenhervorzu- gehen, daßsolcheFragen jetztinDeutschlandallenErnsteserwogenwerden.

Das istderGrund, weshalb ich diese Betrachtung schreibe.

Dieoonditio sine quanon jederBesiedelungist für michheutenoch mehrals früherder Bau einerEisenbahn,die diedafürinsAuge gefaßte LandschastmiteinemKüstenhasenund demWeltverkehrverbindet. Nichtnur, weilsiedasMittel bietet, denAnsiedler bequemundohne Lebensgefahran Ortund Stellezubringen,sondernauch,weilsiedieunumgänglicheVoraus- setzungfüreinenlohnendenErtrag seinerArbeitbildet. Mit derEisenbahn kannerseineGeräthschastenUndMaschinen heraufbekommenundwiederum seineProdukte aufden Weltmarkt bringen. OhneBahnverkehrwirderniemals fähigwerden,mitdenerschlossenenLandesgebietenderErdekonkurrirenzu köUUeUsJch rathe also dringend,mitsolchenVersuchenzuwarten,bisdiese erforderlicheVorbedingungerfüllt ist;undichkannnurempfehlen,siesobald

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194 DieZukunft.

wiemöglichzuerfüllen.Es istleidercharakteristischfürdieArt, wie man solcheDingeinDeutschlandbetreibt,daßtrotz dengroßenSummen,die nachgeradeauf Ostafrikaverwendet sind, noch nirgendseineEisenbahn durch- geführtist,die einempraktischenVedürfniß entspricht AlsdieTangabahn sichdemRandvonHandelzunähern begann,bildetesichimVaterland auf VeranlassungdesverstorbenenDr. Kayser soforteinzweites Syndikat,das nichtetwahelfenwollte,diesen angefangenenBahnbauzumZielzuführen, nein, das denPlaninseinerRichtigkeitbekämpfteunddafüreineEisenbahnvon DarsEs-Salaam nachdemTanganjika anstrebte. Nun geriethenbeideGruppen einanderin dieHaare;einewenig schmackhafteBrochurenliteratur entstand;

man stritt hinundherunddasEndevom Liedewar,daß auchderTanga- Vahnbaueinschlummerte.SoungefährwürdeeinewohllöblicheBehördein SchöppenstedtihreKolonialpolitikauch betreiben.

WennDeutschland seineKolonien wirklichnutzbar machenwill, muß esdasProblemderBesiedelungernstlichinsAuge fassen;unddeshalbsollte eseinmal, unbekümmertumalles Andere, alle zurVerfügungstehendenGeld- mittel zur AnlegungeinergenügendenEisenbahnverwenden. Man sollte biszuihrerFertigstellunggarnichtsAnderesindieHand nehmen,vorAllem die»Verwaltung«derKolonie aufdasAeußersteeinschränken.Erstwenn dieDampfmaschineam Ulanga pfeift,kannman AnsiedlerinUheheunter- bringen;dannerwachtwirthschaftlichesLeben;dieAckerwirthschaftliefert Güter, mitdenenman Waaren ausderHeimath kaufen kann;derHandel setztauf gesunderGrundlageeinundalles Anderefindetsichvon selbst.Dann wird DeutschlandausseinerKoloniewirklicheVortheile haben. Heute istsie eine Belastungdesnationalen Wohlstandes

Dashier gestreifteThema habeichbereitsin meinemBuch »Das deutsch- ostafrikanischeSchutzgebiet«ausführlichbehandelt. Aberesscheintfast,alsob die einfachstenWahrheitenamSchwerstenin dieKöpfehineinzubringensind,und der

»gemeineMenschenverstand«ist längstnichtso allgemeinherrschend,wieman an-

nehmen möchte.Esist jaganzschön,Gesetzesparagraphenüber dierechtlicheBe- handlungderEingeborenenzusammenzufchreiben;esist besondersschön,wenn dieParagraphenfabrikantendieseEingeborenenauch nichteinmalausderFerne gesehenhaben.Aberich glaube doch, daßdieDeutschenmehr Nutzendavon habenwürden,wenn siedieEingeboreneneinstweilenmöglichstsichselbstüber- ließenundsich fürdienächsteZeit darauf beschränkten,inihrenKolonien dienützlichenArbeiten auszuführen,ohnediewederihreLandsleute noch auchdieEingeborenenirgend welchenmateriellen Vortheilaus unsererEr- werbung afrikanischenBesitzes ziehenkönnen.

London. Dr. Karl Peters.

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