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Dieses Heft
wurde zusammengestellt von
Mitarbeitern der
Städtischen Volkobüchereien Düsseldocs.
Inhalts-Verzeichnis
Sernolprodlem undweltanschauung von Dr.Jos. peteri, Utisseldorf .
Sien-
Buchdesprechnnqent
I.Ari- demschdngeistigen Schristtutn. . . . . . (
Büchermndenweltkrieg . . . . . . . . . 19
Wegweiser nach Stossgrnppen. . . . . . . 22
II.Bücher filrdieJugend . . . . . . . . . 23
Ill.Vom WissenundErkennen . . . . . . . 25
n) Essayz . . . . . . . . . . . . . 25
b) cedensbilder nndcebenzerinnernngen . . . . . IS I.Neue Künstlerinnenbiographien. . . . . . . 26
2.wegezudenDichtern unsererZeit . . . . — ss c) Aus dckGeschichteundKultur . . . . . . . as ti) Uns Kunstnnd Literatur . . . . . . . . . 39
C) Erziehung-—nnd weltanschaunngistagen . . . . . 42
t)Länderknndlicheians HeimatnndFerne. . . . . . 44
S) Uti- deInTierleben . . . . . . . . . «51
h) Zur gegenwärtigensozialpolitischencase. . . . . . 52
i)Aas verschiedenen Gebieten . . . . . . . . 54
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VerantwortlichfürdenGesamtinhalt cudwigRohrscheidBonn,fürdie einzelnen BeiträgedieVerfasser.DruckHch.cadwiginBonn.
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VonAM, Buches-«erscheinenintJahre6HesteimUmfangvon 1—2 VOIMSUII preisevon Mk. Wo detportosreierZasendang.
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NEUE BÜCHER
Besprechungen
vonNeuerscheinungen
herausgegeben von der
Freien Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksbibliothekare
Jahrgang 5 Heft 6
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sEXUÄLPROBLEM UND WELTÄNSCHÄUUNG.
VON DR. JOS. DETERS, DÜSSELDORR
DieVermittlung sexual-ethischerundsexual-pädagogischerWerke durchdie öffentliche Volksbücherei bedarf fraglos einer besonderenDifferenzierung und Jndividualisierung, dajenachderweltanschaulichen Richtung die Meinungen oftschroff gegeneinander stehenundgleichzeitigdietheoretischeAnsicht auf diesem inalleBezirke menschlicher Betätigung geheimnisvoll hineinreichenden Lebens- gebietvon entscheidender Bedeutung fürdiepraktischeCebensgestaltung ist. Der notwendigen Differenzierung und Individualisierung stehtdieSchwierigkeit ent- gegen, daß auf diesemGebiet derLeserdemBibliothekar sich garnichtodernur in beschränktem Maße erschließtundes kaum möglich ist,dieBuchwirkung zuver- folgen,um soNormen und Handhabenfürdieweitere Behandlung desganzen Fragenkomplexes zugewinnen. Umso mehristeserforderlich,alleanderen Mittel einer eingehenden Differenzierung der Buchausleihe sich nutzbarzumachen,und zwar inersterLiniedurcheineZusammenstellung derweltanschaulichbestimmten Richtungen,diewirheuteimSchrifttum überdiesexuelle Frageantreffen.
Eine erstewichtige Unterscheidung istdanachzutreffen,obdieWerke rein auftlärendwirken durch bloße Wissensvermittlung, oderobsiedarüber hinaus ein ethisches,lebenspraktisches Sollaufsiellenund diesemSoll dieWissensvermittlung unterordnen. Die rein aufklärenden Werke, deren Anschauungen auch meistens useltanschaulich bestimmt sind,stellendie Volksbüchereivor die schwierigsten Probleme.Dasmedizinisch-fachwissenschaftliche Schrifttuni, welches sichmitsexuellen Dingenbefaßtundvon unsererFragestellung nicht betroffenwird- kann nichtindenKreis derVolksbüchereiarbeiteinbezogen werden. Gleichesgilt aberauchvonBüchernwie»DieVollkommene Ehe«von van deVelde,dermedizi- nisch-phi:siologische Eheberatung inalle Oeffentlichkeitträgt,oder von demBuch MaxHodanns,,SexualelendundSexualberatung«,einerMaterialsammlung aus der Beratungspraxis desBerliner Stadtarztes, und ähnlichen Werken,obwohlsie sich nachderAbsichtder Verfasseran breitete Kreisewenden. Daneben stehtdas naturalistisch orientierte Schrifttum mit ernsterer sozialer und lebenspraktischerAbsicht,dasunsererArbeit undihremSinn näherkommt. Seine Moral gründetsichimwesentlichen aufdieEinsichtindiesexuelleNot unserer Tage,deres abzuhelfengilt,fallsnotwendig unter Freigabederindividuellen Triebbefriedigung, beimöglichst weitgehenderAusschaltung derschädlichen Konse- quenzen fürdenEinzelnen unddieGesamtheit. Geschlechtliche Erziehung ist auch hier gleichbedeutendmitderVermittlung eines möglichst vollständigen Wissensum dieTatsachen desgeschlechtlichenLebens. Vorallem inlinksgerichteten sozialisti- schen Kreisenmüssen wirmit entsprechenden Anschauungenbeim Teserpublikum rechnen. Glaubt man, dieMöglichkeitenderFührung des Lesers aufeinem Gebiete, daswiedassexuelle so nahedenintimen Kern derPersönlichkeit berührt, alsbegrenztannehmen zumüssen, soläßt sicheineAblehnung dieses Schrifttums
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fürdieBücherei, zumalfür gewisse Lesergruppenwie Jugendliche und Heran- wachsende wohl begründen.Aber selbstwenn manindieserHinsicht optimistischek ist- kann dieAusgabe nur miteiner Reihevon Vorbehalten vorgenommen werden:
DieseSchriften dürfennur aufausdrückliche Anforderung ausgegeben werden unter Hinweis aufdiesachlichen Grenzenund aufanderes, positiver gerichtetes Schrifttum. DerBibliothekar hatinjedem FallediePflicht,sichderVerantwor- tungbewußtzubleiben,dieerfüreinensolchenAusleihfall übernimmt. Dasgilt vor allem fürdieradikale Ausprägung der hiercharakterisiertenAnschauungen- wie man sieetwa beiMaxHodann inseinenBüchern ,,Bub und Mädel« und ,,GeschlechtundLiebe«antrifft,fallsman sie trotzihrer politisch-tendenziösenSeite und trotzdesabsolutenMangels anerzieherischemTakt inderVermittlung von Tatsachenwissen für linksgerichtete KreiseindieBücherei einstellenwill. Aber auch fürdasBuchmaterial, dasinderWissensvermittlung sachlicher bleibt, sindin vielen Fällen ähnliche Vorbehalte zumachen,nichtnur, weildieerzieherischeSeite der Problemeaußer Betracht bleibt, sondernzudemAnfichteiivertreten werden- dieinweltanschaulich und traditionell stärker gebundenen Kreisen abgelehnt werden unddiedortbestehenden echten Bindungen auflösen.Daswürde zutreffen für HerinannFreunds Buch ,,HYgienederEhe«; für Grotjahns ,,Gesundheitsbuch der Frau mitbetonter Berücksichtigungdesgeschlechtlichen Lebens-J selbstfür Forels ,,Sexuelle Frage«(zumalinder großen Ausgabe, dieallerdings inder Volksbüchereineben der Volksausgabe entbehrlichist),inder die ethischeund sozial-reformerischeTendenzdesAutors neben derAufreihungmedizinischsphysiw logischerTatsachen und der Kritik traditioneller Anschauungen zustarkinden Hintergrund tritt. Sehrproblematisch bleibt aus ähnlichenGründen fürdie Volksbücherei auchdasWerk von Tindseizund Evans über»Die Kameradschafts- ebe«.
Positiverzuwerten sinddie aufklärendenund die Geschlechtskrankheiten behandelndenWerke,diefreimütigund offenalles sagen,was hierfüreinbreites Publikumgesagtwerden kann,wenn sie aufdieAuswirkungen sexueller Laszivität hinweisen und angesichtssolcher Tatsachen zu konkreten sittlichen Forderungen kommen wie z.B.M. von Gruber inseinem Buche ,,HYgienedesGeschlechts- lebens« oderRibbing in,,Gefundes Gefchlechtsleben vor der Ehe«und etwa SchumburgundGalewski inihren Büchernübergeschlechtliche Erkrankungen. Hier fließen schondie Grenzen gegenüberderzweiten, insich stärker differenzierten Gruppe von Büchern,dieaufBindung und Normierung des geschlechtlichen Lebens abzielen.
Indieser zweitenGruppe istdieBegründung desSexualethos je nachder weltanschaulichen Orientierung eine ganzverschiedene. Soziale,soziologischeund vitaliftisch-biologischeErwägungen und eine ähnlich begründete Weltanschauung bestimmeneineerste Kategorie von Schriften,fürdiedie Lösungder sexuellen problemeimletztenGrunde aufeingesundesLebenundeinedenCebensgesetzeii desIndividuums und derGemeinschaftgemäße Menschlichkeit abzieltund sich darin erschöpft. »Die schöpferischePause«von FritzKlatt vor allem zeigt,wie aus dem AbhorchenderinnerstenCebensgesetzeund rhythmischen Schwingungen desTebensablaufes Normen fürfinngemäßes Verhalten insexuellenDingen,wie inallenFragendercebensgestaltung zugewinnensind.Andere Veröffentlichungen desVerlegers Diederichs,diedieweltanschauliche Auffassungvon der,,tceib-Seele- Einheit« vertreten, bleiben meist schon ihrerForm nachnur einem engeren Kreise von Gesinnungsfreunden zugänglich.Susmanns Buch ,,VomSinn derLiebe« ist einBeispieldafür.Einebreitere Wirksamkeit entfaltenErnstWegeners Bücher, derneben dembekannten Buche »WirjungenMänner« zumalin»GeschlechkUnd Gesellschaft«aus sozialen Erwägungen beiAblehnung derkirchlich-dogmatischen Bindung zum Kampfgegen jeglichenTibertinismus kommt, wie überhauptdie Besinnung aufVoraussetzung eines gesunden persönlichenUnd sozialen Lebens meistdenSinn dertraditionellen christlichenMoral undihrerBindungen erweist.
Daszeigen Veröffentlichungenaus positiv christlichen KreisenWiediedesWeithin beachtetenundbekannten katholischenBiologezkHei-MannMuckkrmaumvor allem dessenzweibändigesWerk »Kind und VZlk,unddie SchriftdesSchweizer Gelehrten paar qubeclin ,,UebekdieEhe,derschaus psychologifkhenErwa-
gungen nichtnur zur Einehe, sondernauchzueiner Cebensweisheit in sexuellen Dingen bekennt, wiesieinderchristlichenMoral ihren bedeutendstenNiederschlag gefundenhat.
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Als zweitewichtige Kategorie indemSchrifttum, das auf Bindung und Normierung desgeschlechtlichenLebens abzielt,istdieLiteratur herauszuheben, die inersterLinieaus religiöser SatzungihrerStellungnahme zudenSexualproblemen herleitet. Hier istderKatholizismus inseinenMoralforderungen am konsequen- testen.Neben dem Schrifttum,dasausschließlich aufdie religiöseNorm zurück- geht,sind heute füruns vorallembeachtenswert dieVersuche,überdieautoritative SatzunghinausdieSinngemäßheitderAnforderungen auch fürdasLebenselbstzu erweisen. Als philosophischeVersuche solcherArtsindzunennen D.von Hilde- brands »EheundIungfräulichreit«,daseinestärtere religiöseZioteträgt,unddas
neue, unten eingehender besprochene Buchvon Fahsel»Ehe,Liebe undSexual-
problem«.Beide wenden sichaneindringlichereLeser. Aufdentiefen erzieherischen Sinn derkatholischenMoral gehtFr.W.Foersters,,SexualethikundSexualpäoa- gogik«zurück. ImKreise jungerMenschen finden augenblicklich zwei Büchervon H.SchilgenüberdasVerhältnisvon Iungmann und Iungmädchen,betitelt »Du und Sie« und»Duund Er«stärkste Beachtungund Verbreitung, weil sieam glücklichstendendiesen Menschen entsprechendenTontreffen. TiefesVerständnis fürdieNotderReifezeit zeigtdasBuchvon Martinsdale für Heranwachsende, betitelt ,,Durchinnere FreiheitzurReinheit«. Gesunde,aber restlose Aufklärung gibtEdelbert KurzjungenMenschenin»Christlichdenken«. Ein sehrbeachtens- wertes Ehebuchmitdem Titel ,,VordenToren derEhe« stammtaus derFeder desArztesR.Liertz.
DerProtestantismus läßtinseinemSchrifttum zum Sexualproblem bei seinem stärkeren Individualismus eineEinheitlichkeit derStellungnahme, wieman sie auf katholischerSeite findet,vermissen. Bei ihm stehenz.B.inBuchwürdi- gungen sehr strenge Auffassungenvon Liebe und Eheneben einer zustimmenden Besprechung der ,,Kameradschaftsehe«von Lindsey und Evans. Zu einer strengerenAuffassung rechnetvon Rohdens ,,Sexualethik«und seinneues, für einen beschränktenKreis von IungmädchenberechnetesBuch»VonLiebe und Ehe«,dasjedoch aufdieeigentlichesexuelle Problematik weniger eingeht. Sehr zubeachten ist WilhelmSchreinersBuch »WirMänner inderEhe«,dasalsweit- hinverbindlichfürdieevangelischeAuffassunganzusehenistund außerdemin sachlich sehr gründlicher Formdieheute sobrennenden Fragenbehandelt. Für Kinder undjungeMenschenschriebderevangelische ArztHans Hoppeler mehrere ileine Büchlein,wie ,,Aufklärungund Rat für Jünglinge beim Eintritt ins geschlechtsreifeAlter« unddiefürKinder bestimmtenSchriften»DasWunder der Menschengeburt«, »WoherdieKindlein kommen«, »Wie HannchenMutter ward«, dieunbedingt neben demHodannschenBuch,,Bringt uns wirklichderKlapper- storch?«mitseinem polemischen Nachwortbeachtetwerden müssen.
Mit derhierversuchten Unterscheidung istnur eine erste Differenzierung versucht. Eine individualisierendeBuchvermittlung verlangt selbstverständlich,daß außerdemdienachanderer RichtunggehendenDisserenzierungsmöglichkeitennach Schwierigkeitsgraden, nach AngemessenheitderWerkefür bestimmte sozialundnach Alter undGeschlechtszugehörigkeitusw.zuunterscheidendeLesergruppenberücksichtigt werden.
Indemhier gesteckten beschränkten Rahmenistesnur noch wesentlichzu erkennen, daßmitdem Hinweisaufeinigebesonders wichtige weltanschauliche HaltungenzumSexualproblem gleichzeitig MöglichkeitenderMotivation fürdas praktischeVerhältnisimLebenaufgewiesen sind.Kenntnis dersexuellenErkran- kungenund derindividuellen undsozialenAuswirkung sexueller Laszivitätüber- haupt,Besinnungaufdieinneren GesetzedespersönlichenundsozialenLebens und dieAnerkennungeines religiös-sittlichen Moralgesetzes, von demgeglaubt wird, daßesmitderGesetzlichkeitdesgesundenLebens übereinstimmt,bedeuten gleicher- maßenMotive fürdieAnerkennung objektiver Bindungen in geschlechtlichen Dingen. Bedeutsamist, daßdieverschiedenenMotivationsmöglichkeitengewertet
werden müssen. Eine Motivation, die auf reine Nützlichkeitserwägungen
angesichtsderAuswirkung sexueller Haltlosigkeit zurückgeht, istalsdieweniger edleundwenschliche anzusprechenneben denBeweggründen,dieaus einemtieferen echten VerhältniszuLebenundWelt überhaupt entspringen. Aus diesemGrunde istdieBüchereiarbeit, soweit dazudieMöglichkeit bleibt,aufdas höhere Ideal eines letzthinmetaphysischiglaubensmäßig begründeteninneren Verhältnisses zu densexuellenProblemen wiezuallenLebensfragen auszurichten.
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I. Aus DEM
ScHoNGEISTIGEN ScHRiFTTuIvs
21mmers-Küller, Jo van, De rsti l leKampf. Leipzig, zurich:
Grethlein 1928. 245S. Jst5.50
DerProfessorderMedizin Franzvan Westreeneistim Grunde seines WesenseinEgoist. SeinBeruf, seineKarriere sind ihmalles. HätteereineFrau ansich fesseln sollen? Erselbst hat sichkaum jemalsdarüber ernstlichGedanken gemacht.Erstalseszuspät ist, erfährtervon demstillenKampf,denseine Frau Jahre hindurch geführt hat. Nach ihremTodeliesterdiebeimOrdnen desNach- lassesgefundenen Aufzeichnungen, die ihmenthüllen, daßdienachaußen hin ruhig verlaufeneEhefür sieein Daseingewesen,wechselndzwischenfreudigem HoffenundEntsagung. Siewollte ihm Gefährtin fein,wollte Frau,wollte Mutter sein. Das hater,derganzvon seinerWissenschaft erfüllte Mann, niebegriffen.
sob
bleibt ihrnur dieResignationund schließlich— derVerzichtaufeinsinnloses een.Wir haben hiereinen inTagebuchform geschriebenen Frauenroman, der trotzanzuerkennender psychologischerFeinheiten, docheinen stofflichüberholten Eindruck hinterläßt. DasdargestellteProblem: dieEhealsinnigsteCebensgemein- schast,inderdieFraunur FrauundGefährtindesMannes sein soll, ist gesehen imSpiegel einer Zeit,deren Wertung wir inwesentlichen Dingenals überholt ansehen. DieDaten desTagebuchesumfassendieJahre i896—1909. Zwischen damals undheute liegteineWelt, liegtdieErschütterungdereuropäischenVölker, inderen Folgesich auchdieStellung derFraubedeutsam gewandelt hat. Was kümmert uns dadasGestern,wenn esnicht von hoherWatte aus überlegen gemeistertwird,sondernnur — wiehier— mitgutenDurchschnittskräftenpDas Buch ist deshalbinVolksbüchereien entbehrlich. K.Hartwig, Solingen.
Böhlau, Helene, D ie klein e Goethe mUt ter. Stuttgart:
Deutsche Verl.-21nst.1928. 212 S. Ew. »-«5.——
Inloseaneinander gereihtenBildern läßt Helene Böhlaudiekleine Elisa- beth Textor,dieMutter Goethes,inderganzen Lieblichkeit ihrer Kindheit voruns lebendigwerden. Anäußerer Handlung arm, erhältdasBuch seinenWert durch die feinfühlige Gestaltung derfrüh heranreifenden jungen Menschenseele. Des Kindes Vorbild istinallen DingendieBase Katharina Schaket,dieinlebhaften Farben gezeichnetund mehr, als demRoman gut tut, in denVordergrund geschobenwird. In denGedankengängenderVerfasserintritt wohlimmer wieder neben diewerdende diegewordene Goethemutter, FrauAja. Eindrucksvoll veran- schaulichtistdiealteReichsstadtFrankfurt am Main mitihrerreichenbunten Kultur. DieSprachedesRomans hättemitunter straffer undzuchtvollersein können,z.B.beidemNebeneinander von Hochdeutschund Frankfurter Dialekt.
Das Buch,das inreizvollerzählender Weisezum Mutterboden derGoethewelt hinführt,dabei aber eine starke gefühlsmäßige Einstellungverlangt, wird vielen Ceserinnemauch schon jungenMädchenvom 15.Jahrean,Freudebereiten.
· Dr.G.Metzmacher, Wesel.
Chesterton, Gilbert Keith, Die verdächtigen Schritte.
Sechs Detektivgeschichten. Vl, 175 S. Die Sünden deS ptin zen Sarad in. Sechs DetektwgeschlchteIL Jll. München: Kösel8xpustet. 1927. VII, 158S.
jeW2.50, le. WZ.30 Die vorliegenden zweiBände sindeinemit guten Schattenzeichnungen illustrierte Neuausgabe der zwölf Detektivgeschtchtm Chestettons, die bereitsin einem Bande vereinigt unter dem Titel »PkkestetUndVetekttv« (»theinnocence
of fatherBrown«)mehrere Auflagen erlebten. —- .
Der Reiz der sogenannten »Kriminalromane« ist nicht lediglich ein Spannungsreiz, sondernerbestehtebensosehrinderFreudederAufdeckung eines 4
Verbrechens durchgenaue BeobachtungderJndizien unddurch richtige logischeund psychologische Verkettung diesesMaterials. Diesem detektivischenMoment könnte man einengewissen bildungsmäßigenWert — SchulungdesLesersinderlogischen Schlußfolgerungund der psYchologischen Menschenkenntnis — zuschreiben. Die Detektivgeschichten Chestertonsbesitzeneinen solchenWertingroßem Maße,dadie AufdeckungderVerbrechenbeiChestertonganzauf tiefer psychologischer Beobach- tungundEinfühlung beruht.
Eshandelt sichindenGeschichten Chestertons meistnicht um gemeine Verbrechen(Eigentumsverbrechen), sondern um psychologischkomplizierte Ver- brechen(Mordaus Ueberzeugung oderEifersucht,Blutrache usw.).
Diequdeckung dieserVerbrechenwird durcheinenunscheinbaren katholi- schenpriester,den,,VaterBraun« bewirkt. DieEinführung dieser Gestalt isteine sehr merkwürdigeund fürdieReubelebungderDetektivgeschichten sehr fruchtbare Erfindung Chestertons.Vater Braun, derdiepsychologische ErfahrungdesBeicht- vaters hat,wird beiderUusdeckungderVerbrechenniezum Detektiv,derden VerbrecherderPolizeiunddemGesetz übergibt, sondernerbleibt immer Priester, indemerdenVerbrecherzumfreiwilligeninnerlichenoder äußerlichenBekenntnis seiner Schuld veranlaßt. DurchdiesAusschaltenderbanalen weltlichen Gerechtigkeit wirdeineweltanschauliche Vertiefungerreicht. Ineinigen Erzählungen ist dieseVer- tiefung jedoch sehr gesuchtunderzwungen, sowenn derfreigeistigePolizeichefvon paris einenamerikanischenMillionär vernichten will,weil dieserbeabsichtigt, sein Vermögenderkatholischen Kirchezuvermachen.
BeidemMangelan gutenKriminalgeschichten sinddievorliegenden Bücher für Volksbüchereien unentbehrlich. Dr.E.Brandt, Opladen.
Drygalski, era von, Juliane von Krü dener. Jena:
Diederich5«1928.256 S. Ew.»s«7.20
DreiVerlegerhabensichumdieHerausgabe diesesRomans gestritten.Dem VerlagEugenDiederichs,derschon so manchen bedeutsamenUnbekannten heraus hob, istderSiegzugönnen.Irmavon DrYgalskiwar durch ihrekleinen Novellen
»FlippWoller« und »Der Heilige Berg« bishernur engeren Kreisenbekannt; mit dem vorliegenden Buch stellt sie sichindieReihederführenden deutschen Dich- terinnen. — Alles Dichten ist letzthin Konfession. DieErbin eines alten ostpreu- ßischen Adelsgeschlechts traf hier auseinenStoff,derihrunmittelbar blutnahsein mußte.DieKrüdener entstammtedem alten BaltengeschlechtderVietinghoffs.
Eine ältereBiographie infranzösischer Sprache gibtdieungefähren Umrisse ihres Lebens und läßt freier dichterischer Gestaltung Raum genug für Deutung und Erfindung.JnParis erzogen, wurde siealsSiebzehnjährigedieFrau Sr.Exzellenz desrussischen Gesandten Burkhardvon Krüdener,einem korrekten älterenDiplo- maten, dernach zweiverfuschten Ehen auchan dieserdritten scheiternsollte.— Daserste BuchdesRomans zeigtdieZickzackwegederjungenFrau,dienoch halb Kind indenSalons von Paris,Berlin, Rotterdam undwo sonst noch ihr Wesen treibt. Ganzsich auslebt, abirrt und sichwieder findet,Liebe erntet undLiebe verschwendet— stetsaber ihremheißen HerzenundihremeigenenSelbsttreu bleibt. DieJrrwege dieses leidenschaftlichenFrauenschicksalsdeserstenBuches sindnur Vorspiel fürdas Gottsuchertum deszweitenBuches,wo dieKrüdener sichverliert andieapokalyptischenVisionendesJung-Stillingkreises; sichdann steigertzurreligiös-ekstatischen SeherinundinmYstischer Vereinigung mitAlexan- derl.dieheilige Allianzbegründen hilft. SchließlicherlebtsieinderErkenntnis, daßGottnur inderStille ist,nur inuns ist, sieben JahredeswachsendenGottes:
,,causche nicht mehrindieWelt. Sei duselbst— seiduGott,widerklingend ohne ZwangdasGöttlicheum dich her.«— DasBuch gehört unbedingt injede
Volksbücherei. Dr.W.Winker,Düsseldorf.
Edward, Georg,pas satwind. Roman aus Westindien. Mün- chen,Berlin: Drei Masken Verl. 1928. 351 S.
Brosch.M 4.—,Hlm«5.—
Ein sinnenfroherRoman derLiebe unter PalmenundMimosenbäumenam tiefblauenMeer. InfarbenprächtigenKleidern bewegensichdiebraunen, schwarzen undgelbenFrauenwie wandelnde Blumen, und aus diesersonnenbeglänzten
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Buntheit leuchten EuropäerinnenundAmerikanerinnen inihren weißenSommer- kostümen.DieHerren aber, englische Beamte, amerikanischeEmporkömmlingeund reiche, verzärtelteSalonlöwen denken verächtlichvom ,,unreinen Mischblut«, genießen jedoch gierig seine überreife, üppige Fruchtfülle,denndiefarbigen Frauen und Mädchen sind glücklich, sich ihren weißen Erlösern hingeben zu dürfen.
Wesensfremd sind ihnen jene nordisch kühlen BegriffewieEinehe,Treue,Selbst- zuchtund Entsagung. hierin erlebt dienaive,hellbrauneheldinihre großeEnt- täuschungimvertrauensseligen Liebesbunde miteinemnoch helleren Mischling,der seinerseitsfüreineweißeAmerikanerin schwärmtundihre Ehe bricht. Seine ver- lasseneBraut muß fliehen,wirdvon einemalten Chinesen verborgen gehalten,bis eindunkler Jugendfreund sieals seine Frau mitins ferneheimatdorf nimmt undsodasRasseproblem,,natürlich« löst: GleicheszuGleicheml
Den Freunden exotischerReisebeschreibungenwird dieserleidenschaftliche, buntschillerndeLiebesroman zwischenIndern, Chinesen, Kreolen, Juden, Ameri- kanern,Engländernund Zigeunern willkommen sein. Volksbüchereienkönnen das BuchdeserotischenGrundtons wegen nur mitgrößter Vorsicht ausleihen.
Dr.F. Vogeler, Diisseldorf.
Frank,Bruno, Trenck.Roman eines Giinstlings. Berlin: Rowohlt
1926. 328 S. M7.50
EinhistorischerRoman aus derZeitFriedrichs desGroßen.DerTitelheld istFriedrichFreiherrvon derTrenck, dessen Familieimbrandenburgischen Rand- gebietbegütert,und dermitkörperlichenund geistigenVorzügen verschwenderisch ausgestattet war. —— Mit 13Jahren isterschonStudent inKönigsberg, mit 17 Jahren Offizierbeim Garde-du-Corps und persönlicher Adjutant Friedrichs des Großen. Erhat-einegroße Zukunft vorsich,und sein Königzeichnet ihnbei jederGelegenheitaus. Als sichaber zwischen ihmund derjüngsten Schwester Friedrichs, derPrinzessinAmalie, einLiebesverhältnis entwickelt,wird erplötzlich ohne Verhörvom KriegsschauplatzwegindieGefangenschaft aufdieFestung Glatz gebracht. SeinFluchtversuchglückt,undnun irrt er— dieVerfolgerdesKönigs ausdenFersen— wieeingehetztesWild durch Europa. DieHauptstationen sind Wien,derrussische Kaiserhosundwieder Wien. DerTodseinerMutter führt ihn indiefreieStadt Danzig, Kaum dort,wirdererneut gefangengenommen und nach Magdeburg gebracht. Durch Vermittlung seinerGeliebten undderKaiserin Maria Theresiawird ernach neunjährigerschwerster Kerkerhaft,dieernur dank seinerüberaus gesunden kräftigenNatur überstand, befreit. Erläßt sichinAachen als Großkaufniannnieder und heiratet,als alleVersuche,dieprinzessin Amalie wiederzusehen,scheitern,dieTochterdesAachener Bürgermeisters. Späterkauft ersichinOesterreichanundlebthier auf seinen Gütern,bisihndiefranzösische Revolution nachparis führtundalseinesihrerOpfer fordert.
Diewechselnden LebensschicksaleTrencks schildertderVerfassermitteil- nahmsvollerWärme und Anschaulichkeit. Nicht wenigergutistdastraurige Los derPrinzessin Amalie dargestellt. AndemBilde FriedrichsdesGroßenerfreut dielebenswahreErfassungderüberragenden PersönlichkeitmitihrenLicht-und Schattenseiten.— Aufbauund Sprachepassen sich würdigdemgroßen Stoffan.
— DasBuch ist füralleBüchereien geeignet. L.Bock,Düsseldorf.
Griese,-Friedrich, Die Flucht. Berlin: Cassirer 1928.
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Z.80S.Bachofen sagteinmal: »Zuarm istdiemenschliche Sprache,UmdieFülle derAhnungen,welchederWechselvon Tod und Leben wachruft, in Wortezu kleiden. Nurdas Symbolunddersich ihm anschließendeMYEHOSkennendiesem Bedürfnisse genügen. Symbole— sind ZeichendesUnsagbakell-Unekfchopflichwie diese.Die Sprachekann nur erklären.« DiesUnsagbare zusagen,dasBildzu finden,dasdasErlebnis vermittelt —- dazuistder Dichterberufen. Friedrich Griesesieht noch hinterderunendlichenMannigfaltigkeitderDingeihre innere Verbundenheit. Sein erster großerRoman ,,Winter Istnicht einüblichek Heimatroman; seineSprache nichtBeschreibungvon .Menschenund Dingen,von
Taten undEmpfindungen; sondernallesistbeiihm SymbolundZusammenschqu»
Alles Lebensiehtersich entwickeln, sichverwirren undverirren und wiederzurück- b
kehren,von wo eskam,imewiggleichen Rhythmus desWeltgeschehens. Auch Grieses zweitesBuch »DieFluch t«, zeitlichvordemWinter entstanden,schöpft aus gleichem Urquell.Düfteres SchicksalüberdemHofe Varg.DerBauer Christian isteinschwerfälliger Mann; weichlichund energielos. Jane, seineFrau,knochig, hartund schweigsam,undalsdritter dersechzehnjährigeSohn Johannes,altschon trotzseiner Jugend und wieoergrämtvon einer Weisheit ,,älter als die des Vaters«. Wortlos gehtjeder seinen eigenen Weg. DasVerhältnisdesBauern zu seiner Magdstehtals Gespenst zwischen ihmund denSeinen. Das Kind dieser außerehelichen Gemeinschaft,einblöderKrüppel, wächst,vom Vater verleugnet, im Stall beidenTieren auf. Aber derFehltritt wird kund vor allen Leuten,als-
alter Sitte gemäßderHofsohnvon Varg am Martinstage seines sechzehnten
Lebensjahres zumVorbild derHossöhnedesTals ernannt werden soll.Man weiß, daßderBauer nichtdenMut hat, für seineTat einzustehen,sonderndurchden Sohnseine Ehrewieder gewinnen will. In derTrunkenheit am Martinstage kommteszuAnspielungen.. Christian wirdzumSchwurgetrieben, verleugnet den Krüppelundschwört— einen Meineid. DenSohn glaubterdamit gerettet. Er selbst, begleitetvon demKrüppel, gehtinsMoor undstirbtwieeinTier.
WortkargwiedieMenschen ist auchderDichter;und doch zeigendieGestal- tenunmittelbar bluthaftesLeben.Ihrebleischwere Sittenhörigkeit, ihr schwelender Haß, ihre uneingestandene Qual hatdieGewalt von Naturkräften,diezerstören,
umneues Lebenzuschaffen. Mit äußerster Knappheit vollzieht sichdieHandlung
indramatisch zugespitzterNotwendi keit. Selbstdasbeiläufig Hingeworfenedient sinnvollderIdee.—— Füralleernsaften LeserderVolksbücherei.
Dr.W.Winker, Düsseldorf.
Hofer, Klara, DerB üße r. Tübingen: Wunderlich 1928. 273 S.
Brosch.W5.—,geb.« 7.—
Ein Strindberg-Roman. Klara Hofer versucht,mit derSchilderung der zwiespältigen Ehe seinerEltern undseiner bedrängten Jugend dieUntergründe aufzudecken,dieStrindberg zum Urbild des tragischenMenschenwerden ließen.
DieZerrissenheiteines wahrhaft dämonischen Lebens, das nie zur Harmonie gelangt,weil Materie undGeist,beide gleich stark,sich nichteinen lassen, ersteht voruns,undwas beiDurchschnittsmenschenzurstillenResignationundzumSich- FügenindiegegebeneLageführt, mußtebeidiesem genialenMenschen Kampf, Auflehnung undSchuld bringen.Soerklärensich sein unglückliches äußeres Leben, seine tragischen Ehen, sein KampfumseineKinder undsein Ringen umAnsehen und Dichtergeltung. Brutalität, Verworfenheit und Alterskleinlichkeit fehlenin diesemmenschlichstenLeben ebenso wenigwie reinsteErkenntnis, innigsteMen- schenverbundenheitund Güte. Alsihmdasletzte Wissenwird um dieSinnlosig- keitdesDaseins,falls nichteinGlaub enaneinen Sinn imUeberirdischenHalt gibt,flüchteterindieMystikunddenEmpfindungsreichtum desKatholizismus.
Hier»findetderewigRuheloseseinDamaskus« undbeiseinemTodeverklärt sich ihmselbstdasBild derersten geliebtestenund gehaßtesten Frau — einSymbol fürdenAusklangseinesKampflebens.
Klara Hofer setztmitdiesemRoman dieReihe ihrer Biographien und Romane fort,dieBruder Martinus (Luther), Hebbel, KasparHäuser, Sonja Kowalewsky undGoethezumGegenstandhatten.Waren diebisherigengutgestaltet, mitstarker Einfühlungskraft geschrieben, so versagtdieDichterinvorderDämonie desStrindberg’schenLebens. DasBuch zeigteinesolche Verworrenheit undZer- rissenheit, daßdieLektüre quälendwird. Jnmanchen Kapiteln spürtman wohl, daßdieVerfasserinselbstinintuitivem Erfassenderpersönlichkeit Strindbergs näher gekommen ist, doch gelingtesihrnicht,denspröden Stoffzumeistern, ihren Helden lebenswahrzugestalten. DieUnklarheitgeht so weit, daß sogar wichtigste äußere Dingeüberhaupt nicht erfaßbar sind.Sokönnen nur die Leserzum VerständnisdesBuches gelangen,dieausBiographien, vorallemaus Strindbergs Selbstbiographie mit seinemLeben vertraut sind. Eine Erklärungliegtvielleicht inderWesenheitStrindbergs selbst. EinRoman muß wohl subtilste Dingever- gröbern,wenn nichteinkongenialer Künstlerdabei zuWerke geht. Vielleicht ist Strindbergs tragischeGestaltambestenimSchauspiel—- oder nur imsachlich- psychologischchiographischenWerkzuerfassen.— Das Buchkommt nur füraus- gesprochene Strindbergkenner inFrage. C.Wienen, Düsseldorf.
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Huna, Ludwig, Hexe nfahrt. Leipzig, Zürich: Grethlein 1928.
393S» Brosch.Jst 4.50, geb..-i-l8.50
In der,,Hexenfahrt«— nur immittelalterlichen Sinne »ein Roman«, für uns wegen seines Mangelsan Charakterentwicklung mehreinebunte Kette von Zustandsschilderungen, eine Reisebeschreibung durchdasingrellenFarben aus- gemalteDeutschlanddeslö. Jhdts.— ziehteinneuer Parzival,dervon Gottund Teufelinverschiedensten Offenbarungen auf-uindniedergezerrt, doch seine kindliche Einfaltbehält.Liebezueinem weiblichen Werwolf,Liebezueinemausserehelicheiy darum verstoßenen Mädchen,dasNonne, Hexe, Stigmatisierte undMörderin wird, bissie Candsknechtenzum Opfer fällt, Begegnungen mit Satanas in verfüh- rerischsterund abstoßenster Gestalt einschließlich succubus etincubus, Erlebnisse mitpriesternundMönchen jeder Art,mitSpielleuten, Einsiedlern, Candsknechtem Bauern und Städtern, Besuchebei paracelsus, dergerade eine Scheintote mit deutschlateinischemSalbader verlebendigt, Zusammenkunft mit Dr. Faust, der ironisch bürgerbluffend Mummenschanztreibt, BekanntschaftmitPirckheimer,per- sönliche Begnadigung durch Erzherzog Ferdinand, denspäteren Kaiser—- zwischen- durch Bauernkriege, Bilderstürme, Probleme derReformation und Gegenrefor- mation, desHumanismus undderRenaissancez Magie,Alchemie,Chiromantie — dasalles wirbelt bunt durcheinander. Auf seinerGralsfahrt, die eine rechte ,,Hexenfahrt« wird,kommt erdichtanFolterkammer, Scheiterhaufen und Spieß- rutenlaufen vorbei — bis erendlich stimmungsvoll hineinfindet indieArme der wartenden Braut: einSiegerübertausendfältigen Wahnunddocheinunberührter Tor.
Leider fehltdemWerk dieftilistische Einheit. Neben Luther-undParacel- susdeutsch stehenmoderne Journalistensätze und glatte plattheiten. Auchder organischeZusammenhang fehlt häufigund mußteeiner reinen Addition von Bildern weichen. IndenVolksbüchereien sind ,,Wieland derSchmied«undallen- falls,,Walther von derVogelweide« vorzuziehen. Aber auch diesekommen sur Jugendliche nichtinFrage.Ebensoist für katholische Leser Zurückhaltung geboten.
Dr.F. Vogeler,Düsseldorf.
Iacob, Heinrich Eduard, Jacqueline und die Japaner.
Ein kleiner Roman. Berlin: Rowohlt 1928. 128S.
Ew..-i-l6.——
Ein deutsches Künstlerehepaarerlebt sorgenvolleJnflationszeit inBerlin.
Diejunge Frausuchtdem geldlichenElend etwas aufzuhelfen,indem sieein Zimmer aneinen Japaner vermietet undsicheiner japanischenStudiengesellfchaft alsFührerin verpflichtet. Leise Verstimmung beidenGatten — Disharmonie der ZeitauchimInnern. Jacqueline führt tapfer ihren Plan durch,bisdieJapaner abreisenund sie ihremganzin sich zurückgezogenen Eheherrn ein sorgenfreies Schaffensjahrschenkenkann. Versöhnung, Wiederfinden,Uebereinstimmung, auch imVerstehenderjapanischen Geisteskultur, diedieöstlichenGästederjungenFrau vermittelt hatten. EinletztesTreffeninHeidelberg vereinigt denKreis nochein- malund gibtdenbeiden jungenDeutschendasunvergeßlicheErlebnis japanischen Geistes. Das Tatsächlichein diesem zarten ,,Spiegel und Schattenspiel« ist unwichtig gegenüberderAnmut,Heiterkeitund Weisheitdesinneren Geschehens.
Ein«köstlich-harmonischerGeistvollGüte, Zierlichkeitund weiser Ironie zwingt unserebeidenproblematischenDeutscheneines problematischenZeitalters inseinen Bann undmacht sie empfänglich für östliche Ruhe, HarmonieundheitereGelassen- heit. Dieser »kleineRoman« isteinKunstwerk, sormstrengund von einer solch graziösen Beschwingtheit, daßman ein Wort Bruno Franks anwenden könnte:
,,Nietzsche dürfte heuteauchderMeinung sein, daßdieDeutschennun dochdas ,,Tanzen« gelernthaben.«FüralleBüchereien. C.Wienen, Düsseldorf.
Kagawa, Toyohikq AUflehnungundO pser. Tebenskampf eines modernen Japaners. Jll. Stuttgart: Gundert.1928.
368 S. Ew.»t- 9.—
Der jungeStudent EiichiverläßtnachlangemStudiumabendländischek philosophie und Theologievoller Zweifelan sichund derWelt dieHochschulein Tokio und auchbald nach Zerwiirfnis mit seinem materialiftischenVater sin
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unerfreuliches Vaterhaus. Nach schwereninneren Kämpfenwird erChristund findetseine Tebensaufgabe darin,indenArmenvierteln von Koba denElenden und Hilflosen,Verbrechern, Dirnen, Bettlern und vor allem denKindern das Christentumzupredigenund durch seineHilfsbereitschaftundOpferwilligkeitvor- zuleben.— DerVerfasser,einchristlich-sozialerArbeiterführer Japans, schildertin EiichisErlebnissen offenbar seine eigeneEntwicklung. Als Roman, als Kunst- werk stehtdasBuch nichtüber demDurchschnitt,doch istes ein bedeutsames Kulturdokument, das diegeistigkulturelle Krisis, inderJapan durchdieAus- einandersetzung mitdenoft ungeklärtenwestlichen Ideen steht,und diesozialen UöteimLande derBlüten und lächelnden Geishasschonungslos, inoft krassen Bildern aufdeckt;auchdieStellung derjapanischenFrauwirdinvielen Szenen deutlich.— Das größtenteils rechtspannend erzählte,mitBildern japanischer Künstler ausgestattete Buchkann denBüchereien, besondersreiferenTesern,diesich fürOstasien, Sozialismus und sozialeFragen und für Mission interessieren,
empfohlenwerden. Dr.M.Thilo,Stolp.
Klabund, Borg ia. Roman einer Familie. Wien: Phaidon-Verl.
1928. 242S. Geb. M5.50
Seit Konstantin derGroßedasChristentum zurStaatsreligion ernannte, tobt— abwechselnd gewalttätigoderdiplomatischverbrämt — einunentschiedener Kampf zwischenVertretern derweltlichpolitischenKirchenmachtundderasketi- schenGrundidee ihrerReligionsentwicklung. Als das ganze Mittelalter hierin ergebnislos verlaufen,standen sich aufderSchwellederNeuzeitdieradikalstenVer- treter dieserbeiden Lagergegenüber:Alexander Vl.und Savonarola. Natürlich lag auch hierwieder deräußere Sieg aufSeiten derweltmächtigeneeclesia militans (triumphans), dermoralisch-religiöse aufSeiten desgewissensmächtigen Mönches freelesja orans).
Unter denSchriftstellern,diedasleidenschaftlicheZeitalter derRenaissance inItalien zumGleichnis für jenen Jahrtausende alten Prinzipienkampf erwählten, gehörtKlabund zudenkirchlichund religiös Indifferenten, wieauchzudenen,die derKulturgeschichte nicht gerechtzuwerden suchen.Für ihn sinddieBorgias zeitlose Träger seineslibertinen Esprits,underhäuft auf sie,was seitBoccaccio ansittlichen Verfehlungenchristlichen Priestern satirisch nachgeredetwurde. Kunst- technisch ziehterrecht raffiniert ihre »Abenteuer«zueiner aphoristischenBilder- ketteaufundblendet durcheinen Stil,deräußerlichetwas mitRilkes ,,Cornet«
verwandt ist.
DieserRoman eignet sichwegen seinerrücksichtslosund sarkastischüber- treibenden Enthüllungen vatikanischerVerhältnissenicht fürVolksbiichereien.
Inihnen istKlabund würdigervertreten durch seineRomane »P10tt«, »Moham- med«, »Moreau«und denüberlegen schalt-haften Eulenspiegelroman ,,Bracke«.
Dr.F. Vogeler, Düfseldorf.
cagerlöf,Selma, Anna, das Mädchen aus Dalarne.
München: TangenI929. 340S. Geh.W 4.—,geb.M7.—
Nach langerPausehatdieDichterinimJahre 1925 eine neue größere Romantrilogie begonnen, genannt: »DieCöwensköldsRomane«. Währendder ersteBand »Der RingdesGenerals« nur losemitdenbeiden folgendenverbunden ist,bilden diese innerlicheine Einheit. ,,Charlotte Löwensköld« istdieVorge- schichtedesneuen Buches ,,Anna, dasMädchenaus Dalarne«. Karl Artur Eken- stedt,einjungerGeistlicher,früherVerlobter derCharlotte Cöwensköld, istein weltfremder Schwärmen Erglaubt,Ideale verwirklichenzukönnen,diein Wahr- heitseine Kräfteweit übersteigen.Er redet sichein, inAnna SvärddieFrau gefundenzuhaben,dieihm eigensvon Gott bestimmt sei. Anna isteine arme Hausiererinaus Dalarne, ungebildetundunverbildet, angefülltmitvolkstümlichen Vorstellungen undBegriffen. Esisteinrecht ungleichesPaar,dasdanachKarl Arturs Ansichtvon Gott zusammengetan ist.Abervielleicht ginge dochallesgut, wenn nichtTheaSundler wäre,derböseDämon inKarl Arturs Leben. Thea fühlt sichindereigenenEhe unbefriedigt und faßteinenahezu hysterischeLiebezu demjungenGeistlichen. ImGegensatzzuAnna, deren natürliches Empfindenden verschrobenenIdeen ihresMannes gegenüber oft versagt,hatTheaimmer das 9
,,rechte Verständnis-«für ihn. Eskommtso weit,daßKarlArtur FrauundHeim verläßt,um mitTheaSundler alsobdachloser predigerdurchdasLandzuziehen und Gottes Wort aufdenJahrmärktenund Straßenzuverkünden. Aber unter demEinflußseiner überspannten, innerlichkranken Gefährtin geräterinSchuld.
ErstCharlotte Löwensköld kann denschon fastVerlorenen ausdenrechten Weg leiten. NachJahrenderLäuterung kehrterzuAnna zurück.— InSpracheund Stoffgestaltung und starkem Ethos ist diese,,Geburtstagsgabe« derSiebenzig- jahrigen ihrenbestenWerken zur Seite zustellenund zeigtihreunverminderte Schaffenskraft. — FüralleLeserkreise geeignet.· G.Braun, Düsseldorf.
London, Jack, Me ns che n de r T iefe. Berlin: Universitas
1928. 269S. «4.80
Die,,MenschenderTiefe« sindderzuletzt erschieneneBand derdeutschen Gesamtausgabe JackLondons (Bd 18). JackLondons Frauberichtet in der Biographie: »Jack London,seinLebenundWerk«, daßderDichterdasvorliegende Buchvon allenseinenWerken ammeisten geliebthat,daihmkeinanderes ,,soviel von seinem jungen Herzblutund sovielTränen« gekostet habe. InderTatragt esaus derReihe seiner übrigen Abenteuerbücher hervor. Esisteine,,Studie der ökonomischen UnterdrückungderArmen«,dieer1902indenElendsvierteln der englischenHauptstadt(London-East-end) machte. Er war damals schon aufder Höhe seines schriftstellerischen Ruhmesund wirtschaftlichvöllig sicher-gestellt III derihm eigenen Tatkraftund Begier,sich durch eigenes Erleben zuunterrichten, verkleidet ersichals Armer und tauchtindemberüchtigten East-endunter. Was erdaerlebt, übersteigtinderTat alleVorstellungen menschlichenElends. Jack London ziehtaus seinen Erlebnissenundaus denDokumenten desElends (Statisti- ken,Polizeiberichtenusw.)dieKonsequenzeiner radikalen Aenderung der Staats- und Wirtschaftsform imSinne desSozialismus. Vorallem liegt·ihmdabeiam Herzen,dievöllige Degenerierung derangelsächsischenRassezuverhindern.
Bei derSchilderungLondons, deren Wahrhaftigkeit, abgesehenvon einigen Effektenbei demBerichteinzelnerEpisoden,keineswegsbezweifeltwerden soll, mußman sich stetsvor Augenhalten,daß dieseZustandeimEnglanddesJahres 1902herrschten,wo eskeinerlei Sozialgesetzgebung,keineKranken- undAltersver- sicherung,keine Unfall-und Erwerbslosenversicherung gab. Es·ist trotzdemim VergleichzurIetztzeit sehr instruktiv zusehen, welche entsetzlichenFolgender unbeschränkte Kapitalismus imsozialenOrganismus zeitigen muß. Fiir die sozial interessiertenLeseraller Kreise. Dr.E.Brandt, Opladen.
Lübbe, Axel, Der Verwandlungskünstler. Stuttgart:
Engelhorn 1928. (Tebendige Welt.) 168S.
Brosch.M Z.—,geb.M 4.——
Die hauptnummer einer kleinen italienischen Schauspielertruppe istder Verwandlungskünstler Giovanni Schichi,dersich vermöge besondererschauspie- lerischer Fähigkeitenund krafteiner seltsamenseelischen Einfühlungsgabeinjede beliebige menschliche Gestaltverwandeln kann. Ein Zuschauer,Simone Donati, kommt beiseinemAnblickaufeineunheimliche Idee. Giovanni soll ihmbeieiner Testamentsgeschichtehelfen. Sein Bruder,derimSterben liegt,hat seinganzes VermögenderKirche vermacht. Nachdessen, zunächst geheimzuhaltendemTode, sollGiovanni dieSterbeszene nocheinmal spielenund dabei eineTestamentss änderung vornehmen. Giovanni, derharmloseunddabeiverliebte kleine Künstler, sieht plötzlichwundervolle Zukunftsbilder vor sich,dieihmSimones inAussicht gestellte Belohnungerfüllen sollen. Heimlich gehterfortundahntnicht,inwelche Verstrickungersich begibt.DerBruder stirbtnicht,Simone erwürgtihn;·Giovanni, zermürbt durchWarten und SehnsuchtnachFiametta, siehtnur dieHilfe-indem erkonsequentseineRolledurchführt.Erlebtsich sodarin ein,daßermszstische Verbundenheit mitdemToten fühlt.AllePhasendesLeidens und Sterbenmussens,
derTodesnähedurchlebter;dieUngeheuerlichkeit seinesTuns legtsichlahmend aufsein schwaches Herz,und esversagtgeradeindemAugenblickzda die ver- zweifelteGeiiebie,dieihn nichtauffindenkann, sichimTeichermka
DieGeschichte dieses Experimentes istmitsolchfaszinierenderFolgerichtig- keitaufgebaut,daßman denSPMMMSSWTZ fast spukhaft empfindets LeichtUnd
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hellistderBeginnderErzählung,mitfortschreitenderEntwicklung zumTragischen wird derTon düstererund dieSprachedunkel-schwer. DerSchluß bringt die AuslösungindemSterben eines Menschen,dernachsolchemErleben seiner Kunst niemehr frohwerden kann undderdieFrevelhaftigkeit seinesTuns erkannt hat.
DerStoff,derindenHändeneines Dichtersvon wenigerFormatalsCübbe zueinem billigenSensationsstiick hättewerden können,ist hierzueinem Kunst- werk geformt. Die äußeren Effekteverlieren den Reizzugunsten der inneren Spannung, derTragödiederMenschen. DieSprache ist edel,esfindensichBilder von erlesenerSchönheit.
Dasphantastisch fabulierende, aberdochmitrealistischerKonsequenzdurch- geführte Buch ist für solche Leserzuverwenden, diedieFeinheitenpsychologischer Vertiefung zuschätzen wissen, dazu reifgenug sind,dieTiefen menschlicherVer-
irrungzuverstehen. C.Wienen, Düsseldorf.
Mathay Ludwig,Wet te rund W irbel. Ultkölnische Geschich-
ten. Köln: Bachem I925. 374 S. Ew. s-« 9——
Pipins Gemahlin verteidigt dasThronfolger-Recht ihresschwachen Söhn- chensgegen denvon Natur und Waffenglück begünstigten Karl,dennatürlichen Königssohn,bisdieStolzedemjetzt schon »großen«Karl sich beugen muß. Dieser sehreinladenden Geschichte folgen rheinischeGestalten undGeschehnisse durchdie Jahrhunderte hin. Ein tausendiährigesKöln lebtauf,indem dieEhre.hoher Kaufherren derHerrschaftderZünfte,dieUeberfiilleverwegener Ritter demRuhm derBürger weicht;indemdieHere nicht wegzuleugnen,diePest nichtzuübergehen ist,undderLärm derfranzösischenRevolution ineinem stillenHause fern vernehm- lich anschlägt.
16Geschichten, ernstenundhumoristischen Inhalts, derenjede fürsich steht, sindchronologiscb aneinandergereiht. Siegeben gutgewählte Ausschnitte aus der stadtkölnischen Geschichte. sindvoll Ceben und ohneReflexion.. Spannung und einzuweilen tiefer Gehaltzeichnen sieaus. Gegenstandisteineheldenhafte Tat oder einSchelmenstiick, dargestelltineiner teils drastischen,teils lauten Sprache.
Heimatlich interessierten Lesern,aber auch nichtrheinischenBüchereien, sind siezu empfehlen. Sieverdienen eher BeachtungalsdiefrüherenRomane desVerfassers.
Dr.W.Ropertz,Düsseldorf.
Matthiessen, Wilhelm, G örres. Rottenburg: Rottenburger-Verl.
1928. 572 S. « 10.—
Matthiessenschrieb Märchenbiicherundbegann,diephilos.-theol. Schriften desParazelsus neu herauszugeben InGörres hatereinen Helden gefunden,der dasVolkhaftemitdemnaturmYstischenSinn desParazelsus verbindet. Ersieht inseinemGörres-Roman den,.-großen«Görres nichtalswerdenden: vom Politiker zumMystikeyvom Revolutionär zumKirchenmann,sondernalsden,derwurde, was erwar, derimmer aus dem Ewigen handelt,derjederzeitbedeutend war, weiles seinSchicksal ist.Die Stunde seinerGeburt setztderDichtermiteiner Vision Friedrichs desGroßeninBeziehung.— DerGegenstandist alsonichtdas Psychologische,sondern desHelden AufgabeinderZeit,und diese,,·Zeit« auchals Korrelativ zuEwigkeitgenommen. DerRoman, obschoneinGanzes,zersplittert dochineineFiillevon Szenen. Diepolitische, literarischeundheimatlicheUmwelt spiegeltsichinihm. Kein Bedeutender von GoethebisHebbel,derhier nicht auf- träte,dernichtdengroßenGörres irgendwiesuchte.DieVielheitderBegegnungen, diegroßen Spannungen, dieaus demLeben desHelden hervorbrechen,werden in einem höherenSinn enträtseltunddurch oftstark·thematischeBehandlungausge- wertet. Matthiessensiehtaus katholischerAnschauungswelt denkatholischenGörres.
Darum kommt dasBuchvorallem fiirKatholiken inFrageundvorwiegendfiir Gebildete. Eskann jederBücherei empfohlenwerden.
Dr.W. Ropertz,Ditsseldorf.
Michel, Robert, Jesus im Böhmerwald. Wien: Speidel
Id)27. 274 S. Ew. It 6.—
InBerichten,GerüchtenundLegendemdiesichimBöhmerwaldum Ereig- nissederjüngsten Vergangenheitgebildet haben, hatderböhmischeDichterdenStoff 11
zuseinemRoman gefunden. Erstelltdarin einen Knaben dar, dessen Schicksal einer religiösen Verirrung seinerMutter unterworfen ist.— Lähmende Schlafsucht hatMarie inderWaldeseinsamkeitheimgesuchtundnach kurzer Gegenwehrüber- wältigt. Indiesem krankhaften Zustandefällt siederSinnengier eines wandern- denMalers zumOpfer. Seitdem verwirrt sich ihrDenken undFühlen.Sieglaubt aneineBegnadigungdesHimmels: siewerde inihrem SohnedersündigenWelt einenHeiligen,einenBoten desGekreuzigten, geben. InderTaufenennt sie ihn ,,Iesus«. DerGedanke anseine hohe Sendung zwingtsie, seinLeben demseines Schutzherrnanzugleichen. Deshalblebtsiemitihmineiner einsamenWaldhütte undbemüht sich, seine Aufmerksamkeit aufdasGebet und dieheiligeSchriftzu lenken. Liebe zurMutter machtdasaufgeweckteKind gehorsam; abermanchmal offenbartes SehnsuchtnachFreiheit und irdischerFröhlichkeit. Als »Jesus«
seineMutter von einem Schlafkrampfbefreit hat, schickt sie ihn aufeiner Kuhin dieWelt hinaus, damit erlehreund Wunder wirke. Ineinem Dorfe gelingtes ihm,eine lahmeFrauzuheilenunddadurchGeltung zuerlangen. Aber ein Mißverständnis,dasdurchdieNächstenliebedesKnaben beiderVerfolgung eines Mörders, seines eigenenVaters, hervorgerufen wird,bringt ihnindenKerker.
Heimlich befreitihndiekleine TochterdesBürgermeisters. AufdemHeimwege begegnetereinem gefährlichenRaubmörder. DieBlutgierdiesesMannes undder irreGlaube seinerMutter bereiten demKinde imFeuertodeein»Golgatha«. Erst jetzt erwachtinihrdergesunde Mensch,undsie sühntindenFlammen,die,,Iesus«
verzehren,
DieGestaltdesHelden, istklarundecht.Leidertritt diegekünstelteGestalt derMutter zusehr hervor. Beide stehenineiner Kompilation zufälliger Ereignisse undunwahrer Nebengestalten. — DieVolksbüchereikanndasBuch entbehren.
J.Klein, Düsseldorf.
Miomandre, Francis, DasHerzU nd derChinese. Leipzig,
Wien: Tal 8zCo. 1929. 175 S. Geb. Jz2.50
DerfranzösischeTitel: »L’Aventurede«Th6rdse Beauchamps« ist bezeich- nender fürdenInhalt desBuches:DiegroßeLiebederkleinen schönheitsdurstigen, durcheinegraue Ehe gefefselten Beamtenfrau endetalsAbenteuer. — BeauchamPS, dieinkleinen Verhältnissen leben, habeneinen Mieter, denChinesenLung,der nachparis kam,um daseuropäischeLebenzustudieren. LungerhältBesucheines reichenFreundesTschen,dermitasiatischemPomp auftritt unddemTherefeihre ganze Liebeschenkt. Tschen seinerseitsverliebt sichindiegraziöse,schicke.Pariserin.
ErwillihreinLebenvollSchönheit schenken; vorheraber willerinseine Heimat zurückkehren,um sichvon einer ungeliebten Frauzutrennen und seinVermögen flüssigzumachen. Theråse soll sich ebenfalls scheiden lassen,sobald sie seine Weisungenerhält. Vergeblichwartet There-se aufeinLebenszeichenihresFreun- des. Sieleidet unendlich,läßt sichaber schließlichvon Lung,derihr bishernicht so interessantwar — ertrugjaeuropäischeKleidung — verführenundwirdseine Geliebte. Eines Tages ist Lungverschwunden. Thöråse fassungslos, erfährt, daß alleBriefe,die Tschenihrschrieb,von Lung hinterlistigerweiseunterschlagen wurden. Nur derletzte,indemTschen sie ausgibt, gelangtinihre Hände. Gebrochen undenttäuscht kehrt sie zurückindasEinerlei ihrergrauen Ehe.
Diekleine,ansich amüfant erzählte Geschichte isteineansprechendeUnter- haltungslektüreundmagfür FrankreicheineBereicherung sein.— FürdieLeser unsererBüchereien ist sie abzulehnen. C.Coßmann, Düsseldorf.
Morand, Paul, De rlebe ndeBud dha. Leipzig: Insel-Verl.
1928. 283 S. Ew..--l5.50
Diesersozial-religiöse, espritvolle Weltanschauungsroman spieltnachdem letzten Kriege,»der nicht mehrals einwüstesEisenbahnunglück«war, —- TISdie Deutschen ,,lieberden Untergang desAbendlandes proklamierten, denn zugeben wollten,daß ihnenderEinzugdurchdenArcdeTriomphemißglückt sei«.Esspielt
indemIahrzehnt 1920J1930,dessen ,,Charakteristikum dieGleichgültkgkjettist.
»Der Ehemann, dersichmitdemGeliebten seiner Frauamüsiert...diefeind- lichen Generale, diegemütlich zusammenbeimDiner sitzen, ohne sichkmgeringsten vorihrenGefallenenzugenieren«.... Indieses Europa mitseinem Unglauben
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und seinerSkepsis, ,,mitallderBosheit einer ungeliebten Frau« kommt ein osiasiatischerjunger Prinzals schlicht gekleideterPilgerund willindenGroß- städren,den,,Grabern derVöller« diebuddhistische Lehreverkünden. Buddha soll helfen, wo Christus versagt hat. Buddhist sein heißt:,,nicht begehren— nicht handeln—,wenn aber dasUbendland nicht begehrt, stirbtes.
Begehrenist hieralles. Werthat füruns nur, was demanderen gehört.«— Der Prinz, indessen Palast duftendeKräuter verbrannt wurden, wenn jemand ihn betreten, dernichtzurKönigs.aste gehörte, ——hältseinen Einzugim Abendland durch dieHintergassen. Erlernt dieIdeederMaschinet·ennen. Sieist dazu da,uns Arbeit zuersparen. Siewird aberdazu mißbraucht, durch Massenproduktion den Menschenzuverdrängen. Bald stehtinEuropa nichts mehr still. Ruhe— die wahreRuhe ohne Brom— gibteshier nicht mehr. Diemenschlichen Verhältnisse gleicheneinem Kinodrama, »indemzweiFilmeunsinnigschnell entgegengesetzt übereinander abgerolltwerden«-.— London — Paris —- überall Fehlschläge. prinz Dialiistrein,,su(scessklll s0lll-WIU1101"«- Erzieltzuhoch.SeineRedegehtüber dieKöpfe hinweg. Siesagen höflich überzeugt Ia undfolgenweiter ihrerNatur.
Erfolge haternur beiFrauen— dennsie nehmenesleicht,beieinigen»dürren Jungfern, dieMaeterlinck füreinen Philosophen halten«-, »bei verstaubtenweib- lichenSchemen«,dieöffentliches Alergernis erregen, »weilsienacktgehenund behaupten, sie müßten ihreKleider denArmen geben«-. Imgrößeren publikum istman nur neugierig. paris ersticktanseinemkritischen Geistund erliegtder Angst, nichtüberall aufderHöhezusein.Djaliläßt sichvom »gesellschastlichen Schuarzkünstlertum«nichteinsangen und fährtnachAmerika, diesem,,über- steigertenEuropa«,wo alleeuropaischenProbleme«bisindenUnsinnzugespitzt werden. Erkommt gegen denUmeriianismus nicht ausundwill nach Japan in einKloster flüchten.Vatrifft ihndieKunde vom Todeseines Vaters, desKönigs Indra ll., und ersieht ein,daßes Buddhawohlgefälliger sei,imüberlieferten Ulltagseinen Wegzufinden,als instlavischererachsolgedesMeisters sichzu vergeuden. Djali istnun innerlich»Herrüber Freudeund Schmerz,überVer- achtungundciebe«,imhöchstenSinne würdig, seinemVater alsKönig Indra III.
von Karastazufolgen. ,,Unglücklich istman nur, solangeman jungis.«— Für anspruchsvolleLeser größerer Büchereien. Dr.F. Vogeler, Düsseldors.
Muron, Johannes, Die spanis che Jnsel. Das Buchvom Entdecker Columbus. Berlin: Bühnenvolksbund-Verlag.
Bd I. Die Fremdlinge 1926. 347 S. alt6.—
Bd 2. DerSeesahrer. 1928. 560 S. M 7.50
SchonJohannes V.Iensen stellte seinen,,Columbus« in allerweiteste Zusammenhänge.Muron tutam gleichen Stoff,zugleich seinem ersten großen Werk,denandern Schritt: nachderTiefe hin. NichtinpsYchologischerKlein- malerei sonderninderDarstellung eines normativ bedeutenden Lebens liegtder Wert desBuches. SeineWirkung ist— abernichtnur deswegen— unvergleich- lich tieferalsbeiIensen.
DerInhalt deserstenBandes: DasHinundHer zwischenColumbus und den,,Seinen«,denChristenund «Heiden« auf jener ,,spanischen Insel«an der Ostküste Amerikas, aufderdieSpanier ihreerste Stadt anlegen, Columbus angewidert von der,,Verklammerung dercebensgier«,dieihn schonaus Spanien vertrieb,strebt vorwärts; dieaber,diesich für maßgeblich halten,wollen Genuß desHerrschensund Bekehrens. ,,Sendling, Duallein bist gut«, sagtderWildens König zudemverirrten Ritter, demTichthaarigem dem unverdorbenen, dem so start-enwienaiven Jüngling. Er,derduldende und müdegewordene Indianer, dermitdemGekreuzigtenderChristen Zwiesprache hält, fälltklerikalen Eiserern zum Opfer.— DerzweiteBand führt westwärts jener Inselan zweierleiGestade.
Columbus läßtdieVieleninder,,Perlen-Bucht«, läßt seinepaarDutzend Begleiter dann auch noch zurück,um an fernerem Gestadedem ,,nackten Menschen«zu begegnen. Ersucht nachvieler EnttäufchungkeinIndien mehrundkeinen Groß- khan. Erwird einanderer ,,Entdecker« sein,Entdecker von Menschen,dieaus ihrer Nacktheit ,,gradeswegs Gott entgegenwüchsenaus derZeitindieEwigkeit«.
Inzwischen rebelliert dieMannschastinderPerlenbuchtundmordet inundaußer demLager.
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DesColumbus Fahrt,d.- i. dieEnttäuschungundbeseligende Erkenntnis des Menschenüberhaupt, istmit solcherEindringlichkeit und Schönheit geschrieben, daßman vieleSeiten ingroßenTettern wünschte.Reine Schwereliegtüberder menschlichenTiefe dieses Buches. AnpoetischerAusdrucksweiseund Anschauung istesunermeßlichundjugendlichromantisch. DerKönig,derRitter-,dasbraune Weibbeweisen,dasjeneSchönheit sich nicht begrenzt, sondern geradeinVielheit desGestaltetenihrenAusdruck sucht. Allen außerden»H0ffnungslosen«.
Dr.W.Ropertz,Düsseldorf.
Riese, Charlotte, SchloßEmkendorf. hamburg: Alsterverlag
1928. 250 S. Ji 5.50
InalterLiebe zuihrerHeimatverlegtdieSchriftstellerindenOrt fürdie Gefchehnisse ihresneuen Romans wieder nach Schleswig-Holstein. DieHauptge- staltenwerden indemgastfreienSchlosse Emkendorfzusammengeführt. Hiertrennt siedaswechselnde Spieleiner gärenden Zeit— diefranzösischeRevolution wütet undwird von Napoleonniedergezwungen — hier treffensiewieder zusammen,um schließlich ihr Schicksalzuvollenden. Mit verschiedenen anderen Handlungen der Erzählungverwoben istdieGeschichteeinerLiebe: sie,einFräuleinvonaltem aber verarmtem Adel,er,einSchulmeisterniedriger Herkunft,späteraber mitglänzen- derLaufbahn; erunwandelbar inseinerIugendliebe zuihr;sie stets abweisend.
ErstinseinerSterbestunde findetsiedenWegzuihm.
WährenddieVerfasserindasHistorische aufDetails beschränkt,gestaltet sie umsoeingehender und wärmet dasreinMenschliche.DieGefahr,,vaterländisch«
zuwerden,istdamit glücklichvermieden. .
Jnteressant istdasgelegentliche, durch Zeitund Verhältnisse bedingteAuf- treten literaturgeschichtlicher Personen. So- begegnen wir Goethe, Wieland- Cavatey Claudius, denGrafenStolberg und Johann Heinrich Voß.
Einfache, flüssige Sprache. Für anspruchslofe Leser.
E.Jonen,Düsseldorf.
pinner, Felix,Tannerhü t te. DerRoman einer Sozialisierung.
Helleraub.Dresden: Avalun-Verl. 1928. 307 S. W7.5() EinVolkswirtschaftler zeigthierinRomanformdieverschiedenenMöglich- keiten, ein großes Hüttenwerk(im rheinisch-westfälischen Industriegebiet) zu sozialisieren. Alle Mitarbeitenden sollen nach IntensitätundWert ihrerArbeit an derLeitung desWerkes undals Aktionäre an seinem Kapital beteiligt sein.
DieseArt derDarstellungkann nachdenkliche Leser leichtermit diesenund ver- wandten Zeitproblemen vertraut machenalsesdieallgemeinverständlich geschrie- benen,theor etis chenBücher vermögen. Trotzderfastfpannungslosen Hand- lung,derunendlichvielen Gesprächeüberdieausgeworfenen Fragen, derunan- schaulichenBerufssprachen ist dieserRoman denVolksbüchereienvor allem für
Arbeiterleserzuempfehlen. Dr.F. Vogeler, Düsseldorf.
Pirandello, Luigi, Deutsche Gesamtausg. der Romane hrsg. von
Hans Feist. Zürich:Füßli1927. «
· Bd 1. Einer,Keiner,HUnderttaufend.228 S.
W5.20 Bd 2. Kur beln. Aus denTagebuchaufzeichnungen des Filmoperateurs SerafinGubbio. 240S. J«5.20 Bd Z. Geschichten für ein Jahr. Meisternovellen.
245S. Jst5.20
,,Einer, Keiner, Hunderttausend«— Pirandello kommt aufdenGedanken- sich selbst sehenzuwollen,sowieerwirklich istund sowieihn seine Mitmenschen sehen.Mit Grausenerkennt er,daßerindenAugenseiner nächsten Freundedie verschiedenstenRollen spielt,dienichtmitderVorstellungübereinstimmen,dieer sichvon sich selbst gemacht hat.Erversucht, diese ZerrbilderdeseigenenIch durch Handlungen der,,Narrheit und desWahnsinns«zuzerreißen—- vergeblkckdIst siehtsich letztenEndes als eine Maske und verzichtetdarauf-feine Rolle Im Lebenzuspielen. SeinIch löst sich aufindie«Hunderttaufend«Dinges
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