• Nie Znaleziono Wyników

Bedeutungsnuancen und der „Hintersinn“ von Worten

zu einer Sub-Semantik

2. Bedeutungsnuancen und der „Hintersinn“ von Worten

Bedeutungsnuancen samt Wortkarrieren und -konjunkturen sind bislang vor-wiegend Gegenstand des Feuilletons, der Sprachpflege bzw. der Sprachkritik, der Publizistik, aber auch des wortorientierten Kabaretts. Ohne diese „Arbeits- teilung“ grundsätzlich in Frage stellen zu wollen, scheint es wenig nachvoll-ziehbar zu sein, dass nicht auch die synchrone Linguistik dieses Thema für ihr Fach reklamiert.

Dazu drei Beispiele aus dem Feuilleton, aus der Sprachpflege und der Publizistik: Ist es vertretbar, ein so scheinbar trivial anmutendes, aber zugleich die Mentalität der heutigen Moderne so treffend charakterisierendes Wort wie neu allein dem Feuilleton zu überlassen. Werfen wir dazu einen kurzen Blick auf das „Dossier“ der Zeit (Nr. 3, 9.01.2014) unter dem Titel:

Neu. Muss das sein? In immer kürzeren Abständen kommen neue Autos, Handys, Fernseher auf den Markt. In immer schnellerem Rhythmus wechseln die Menschen Wohnort, Arbeit und Partner. Darüber haben wir vergessen, was Anfangen wirklich bedeutet.

Darin wird der Strukturwandel des Gebrauchs von neu wie folgt kom-mentiert:

Aus der Sehnsucht nach dem Neuen ist eine Sucht geworden. So wie das Hirn eines Süch-tigen in immer kürzeren Abständen nach Stoff verlangt, können wir vom Neuen nicht genug bekommen. (Lobenstein 2014: 11)

Hier wird das Subversive dieses Alltagswortes anschaulich umschrieben.

Tiefer könnte eine Bestimmung gehen, die weiter unten als „Teflon-Wort“

be-schrieben werden soll: Neuem, insbesondere wenn es als neu plakativ bezeich-net wird, kann man sich heute kaum mehr entziehen. Widerstände, Skepsis, Kritik perlen ab, sollte man gegen Neues versuchen anzuargumentieren. Bleibt die Frage: Soll die Linguistik die Sub-Semantik dieses Gebrauchswandels nur deshalb ignorieren, weil sie so schwer fassbar zu sein scheint?

Wortkarrieren sind vor allem Gegenstand der Sprachpflege, vielleicht noch der Sprachkritik. Bisweilen erfassen sie aber Bedeutungsnuancen und –potenziale, die ebenso wie neu ein Schlaglicht auf unsere Zeit bzw. unsere heutige Kultur werfen. Dazu gehört etwa der sich offenbar ausweitende Ge-brauch von zeitnah in bestimmten Diskursen und GeGe-brauchskontexten:

Politiker lieben das Wort ‚zeitnah’, weil es gebildet klingt, auch wenn es in Wahrheit genauso unpräzise ist wie ‚bald’ oder ‚demnächst’. Noch im letzten Jahrhundert führte

‚zeitnah’ ein eher unscheinbares Dasein im Wirtschafts- und Bankenjargon. Der Berli-ner Bürgermeister Eberhard Diepgen verhalf ihm im Jahre 2001 zum gesellschaftlichen Durchbruch. Die Frage nach dem Zeitpunkt des Rücktritts des CDU-Fraktionsvorsitzen-den Klaus Landowsky beantwortete Diepgen mit CDU-Fraktionsvorsitzen-den Worten: ‚Die Entscheidung wird zeitnah folgen.’

Seitdem hat die Verwendung des Wortes ‚zeitnah’ bei Politikern und in den Medien sprunghaft zugenommen. Immer wieder hört und liest man von ‚zeitnahen Lösungen’ und

‚zeitnahen Umsetzungen’, und die Bahn verspricht ‚zeitnahe Auskünfte über Verspätungen und Anschlussmöglichkeiten’. (Sick 2007: 115)

Vergleicht man diese eher laienlinguistische Erklärung zum Beispiel mit jenen aus Wörterbüchern, so findet sich etwa im Wiktionary (http://

de.wiktionary.org/wiki/zeitnah; letzter Zugriff 04.01.14) für zeitnah eine Be-deutungsbeschreibung, die kaum auf stilistisch und/oder diskursspezifische Nuancen Bezug nimmt 3:

Bedeutungen:

[1] sehr bald in Bezug auf einen bestimmten Zeitpunkt [2] einer bestimmten Zeit entsprechend

3 Interessant ist, dass das Wort auch schon im Wörterbuch der deutschen Gegenwartsspra-che aus den 70ern auftaucht, und zwar in nicht-verwaltungssprachliGegenwartsspra-cher Bedeutung; es wird dort etwa in der Bedeutung „aktuell“ angegeben (also etwa wie [2]). Das Wörter-buch wird gerade digitalisiert, der Eintrag zu ‚zeitnah‘ findet sich unter: http://www.dwds.

de/?qu=zeitnah.

Beispiele:

[1] Der Beschluss sollte zeitnah umgesetzt werden; inzwischen ist aber schon wieder viel Zeit verstrichen.

[2] Es war eine sehr zeitnah gestaltete Aufführung.

Wie man hier sieht, wird zeitnah praktisch synonym zu bald oder dem-nächst beschrieben. Bleibt die Frage, worin die angedeutete Nuance von zeit-nah besteht, die ja heute in vielen offiziellen Schreiben bzw. in „förmlichen“

Diskursen zu finden ist. Oder anders: Wie ist zu erklären, dass zeitnah die beschriebene Gebrauchskonjunktur genommen hat?

Die Zukunftsbestimmung bald oder demnächst scheint für viele aufgrund seiner Unbestimmtheit „abgegriffen“ oder gar „nichtssagend“ geworden zu sein. In diesem Sinn kann das Versprechen: Glaub mir: Wir werden bald hei-raten! oder Du bekommst das geliehene Geld demnächst von mir zurück sehr schnell den Charakter von gezielter Unverbindlichkeit annehmen. Demge-genüber signalisiert der Gebrauch von zeitnah in offiziellen Texten bzw. Kon-texten, dass – je nach Sachlage – in überschaubarer Zeit definitiv gehandelt werden soll. Diese Nuancierung hat gegenüber der Unverbindlichkeit von bald oder demnächst offenkundig zum gegenwärtigen Gebrauchserfolg von zeitnah beigetragen. Man darf daher auf die weitere Gebrauchskarriere dieses Wortes gespannt sein: Wandert es in weitere Diskursbereiche aus bzw. in be-stimmte Diskursbereiche ein? 4 Und welche Rolle spielt dabei der hier ange-deutete Gebrauchskontext?

Dass sub-semantische Hintergründe weit über ihre womöglich stilistische Erfassung hinausgehen, soll ein drittes Beispielpaar zeigen: In der Publizistik wird immer wieder versucht, subkutane oder gar subversive Bedeutungsver-änderungen im Gebrauch von Worten und Wendungen nachzuspüren. Eines der großen Verheißungen der modernen Informationsgesellschaft ist bekannt-lich Transparenz. In einem Spiegel-Essay hat nun der Philosoph Byung-Chul Han vor dem Hintergrund der lückenlosen „Totalprotokollierung“ unseres digitalen Lebens durch Geheimdienste, Datenfirmen oder andere Unterneh-men diese Verheißung ideologiekritisch wie folgt analysiert:

4 Das traditionelle Rollenstereotyp einmal vorausgesetzt, würde es merkwürdig anmuten, wenn ein ER IHR seinen Trau- und Heiratswunsch mit folgenden Worten zum Ausdruck brächte: Du kannst es mir wirklich glauben: Ich werde dich sehr zeitnah heiraten! Wer im Deutschen gelernt hat, auf so genannte Untertöne zu achten, wird dieser vollmundigen Beteuerung bestenfalls etwas Kabarettistisches abgewinnen können.

Die Transparenz wird heute im Namen der Informationsfreiheit oder Demokratie gefor-dert. In Wirklichkeit ist sie eine Ideologie, ja, ein neoliberales Dispositiv. (…) Vom Di-spositiv der Transparenz geht ein Konformismuszwang aus. Zur Logik der Transparenz gehört es, dass sie ein weitgehendes Einvernehmen bewirkt. Eine totale Konformität ist die Folge. (…)

Die Machttechnik des neoliberalen Regimes ist nicht prohibitiv oder repressiv, sondern seduktiv. Eingesetzt wird eine smarte Macht. (…) Die smarte Macht schmiegt sich der Psyche an, schmeichelt ihr, statt sie zu unterdrücken oder zu disziplinieren. (…) Vielmehr fordert sie uns permanent dazu auf, mitzuteilen, zu teilen, teilzunehmen, unsere Meinun-gen, Bedürfnisse, Wünsche zu kommunizieren und unser Leben zu erzählen. Wir haben heute mit einer Machttechnik zu tun, die nicht unsere Freiheit verneint oder unterdrückt, sondern sie ausbeutet. (…) Bedürfnisse werden nicht unterdrückt, sondern maximiert.

(Han 2014: 107)

Man braucht dieser Argumentation ebenso wenig wie der folgenden zu folgen. Doch bleibt die Frage, ob solche (fundierte) publizistische Analysen nicht als eine Art von Seismograph für bevorstehende Gebrauchsveränderun-gen von der Linguistik in Betracht gezoGebrauchsveränderun-gen werden müssten.

Dazu ein weiteres aktuelles Beispiel aus der Publizistik, in der der nuan-cierte „Gegensinn“ vieler gegenwärtiger Schlüssel- und Fahnenwörter (Felder o. J.) und damit deren untergründiger „Hintersinn“ beeindruckend gegen-einander gestellt werden. Das folgende Zitat stammt aus Schirrmachers wirt-schafts- und gesellschaftskritischem Buch: ‚EGO Das Spiel des Lebens‘ 2013. Er versucht die immanenten Aporien zentraler Begriffe samt ihrer „Paranoia“ mit Blick auf soziale, kulturelle, politische oder wirtschaftliche Entwicklungen in ihrer verborgenen Widersprüchlichkeit zu fassen:

Oder: Wissensökonomie bei gleichzeitiger Auszehrung der Wissensinstitutionen. Oder:

Transparenz bei gleichzeitiger Installation intransparenter Gouverneursräte und unzustän-diger Parlamente. Oder: ‚Partizipation‘ bei gleichzeitiger Diskreditierung von Plebisziten, die die ‚Märkte‘ als die wahren Abstimmungsmaschinen verunsichern könnten. Oder:

absolute ‚Kreativität‘ und Ruhm-Versprechen für jeden bei gleichzeitiger Inflation von Selbstausbeutung und unbezahlter Mikroarbeit. Oder: ‚Ende der Arbeit‘ bei gleichzeiti-ger Beglückung von Schwellenländern mit ‚sweat-shops‘ die aus einem Dickens-Roman stammen könnten. Schließlich: ‚Kooperation‘ bei gleichzeitiger Bevölkerungsexplosion des egoistischen ökonomischen Agenten in allen digitalen Plattformen.

Widersprüche, wie die hier aufgeführten, sind der Grund, warum sogar enthusiastische Vordenker der Netzwerkgesellschaft erschreckt eine ‚strukturelle Schizophrenie zwischen Funktion und Bedeutung‘ registrieren und warum Paranoia zum Wesensmerkmal von Kommunikation zu werden droht. (Schirrmacher 2013: 147)

Schirrmacher zeigt u. a. in seinem Buch, wie der ursprünglich negativ konnotierte Begriff Egoismus in den Wissenschaften, neben der Evolutions-biologie und der Spieltheorie vor allem in der heutigen (Finanz-)Wirtschaft dadurch „salonfähig“ gemacht wird, dass man Egoismus als ein gleichermaßen evolutionäres wie ökonomisches „Naturgesetz“ behauptet und es ungeachtet der desaströsen Krisen in seinem Gefolge häufig monokausal als Erklärung und Rechtfertigung für unregulierten Wettbewerb verwendet (vgl. Antos 2014). Egoismus und seine euphemistischen Varianten wie Erfolg, Gewinn oder Nutzenmaximierung haben – so scheint es – eine alle Lebensbereiche übergreifende Begriffskarriere vollzogen, die die Frage sowohl nach Gründen solcher Sprachgebrauchskarrieren (einschließlich ihrer Konjunkturen) eben-so aufwirft wie nach Sprachgebrauchsveränderung bis hin zu einem sich ab-zeichnenden oder bereits zu konstatierenden Sprachgebrauchswandel. Dies insbesondere dann, wenn diese Bezeichnungen prototypisch für bestimmte Diskurse scheinen oder wenn sie als typisch bzw. gar als „Fahnenwörter“ für einen bestimmten „Denkstil“ (vgl. Fleck 1980 [1935]) herausgestellt werden.

Vor dem Hintergrund dieser Beispiele soll im Folgenden gezeigt werden, dass die analytische Erfassung von sub-semantischen Bedeutungsnuancen zumindest dann sinnvoll erscheint, wenn sie synchrone Wortkarrieren und -konjunkturen in den Blick nimmt. Dabei liegt es nahe, zunächst einmal einen Blick zurück auf historische Wortkarrieren zu werfen.