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Der kurzfristige Wandel (Bedeutungswandel), exemplarisch dargestellt am Substantiv Volk

Ein Abriss der Interpretationsmöglichkeiten

2. Der kurzfristige Wandel (Bedeutungswandel), exemplarisch dargestellt am Substantiv Volk

In dem hier behandelten Beitrag von Józef Wiktorowicz wird die Bedeutungs- entwicklung des Substantivs Volk – entsprechend der eingangs expressis verbis formulierten Aufgabe – seit dem 18. Jh. verfolgt. Ich erlaube mir, wesentlich früher anzusetzen, da es mir in meinem Beitrag um eine Trennlinie zwischen kurz- und langfristigem Wandel geht. Etymologisch handelt es sich um das Nomen, welches auf den indogermanischen Stamm *pļk- zurückgeht. Die-se Form ist die typische Nullstufe des Wurzelablauts, bei der zwischen dem anlautenden Konsonanten und der darauffolgenden Kombination von Reso-nant und Geräuschlaut (oder bei anderen Formen der ResoReso-nantengemination des Typs mm, nn, ll, rr) der Kurzvokal der sog. Voll- oder Normalstufe, also e oder o, verschwindet (daher auch die Bezeichnung „Schwundstufe“ neben

„Nullstufe“). Eine Erläuterung dieses Prozesses würde den Rahmen meines Beitrags sprengen und wird hier daher nicht vorgenommen. In den meisten indogermanischen Sprachen (außer z.B. Armenisch oder der Südslavia) wird in solchen Fällen zwischen den Anlautskonsonanten und die Resonanten-kombination ein sog. epenthetischer Vokal eingeschoben. In der Germania war es ursprünglich das kurze u, welches im Deutschen zu o gesenkt wird, da das Substantiv Volk zu den a-stämmigen Nomina gehört, bei denen der genuine stammbildende Vokal a eine teilassimilative Veränderung von u zu o (Vokalharmonie) auslöst.

Der anlautende stimmlose Spirant f entstand im Germanischen im Er-gebnis der 1., oder gemeingermanischen Lautverschiebung (Grimms Gesetz) aus dem indogermanischen explosiven stimmlosen p. Die exakte polnische Entsprechung für nhd. Volk, ne. folk ist also das Substantiv pułk, und die Be-deutungsnähe beider Wörter lässt keinen Zweifel zu: Es handelt sich nämlich um eine genuine Bezeichnung größerer (Menschen)menge.

Im Althochdeutschen bedeutete folk, folch eine Menschenmenge, es wurde u.a.

auch in Verbindung mit menigi ‘Menge’ verwendet, so im ahd. Tatian, wo auf die-se Weidie-se die lateinische Wendung multitudo populi wörtlich wiedergegeben wird:

(1) Tat. 2, 3: […] inti al thiu menigi uuas thes folkes ûzze, betonti in thero ziti thes rou-hennes.

L. 1, 10 […] et omnis multitudo erat populi orans foris hora incensi.

‘und die ganze Menge des Volkes war draußen und betete in der Zeit des Weihrauchs.’

Neben dieser Bedeutung weist das Substantiv folk, folch bereits im Alt- hochdeutschen die Semantik auf, die dem gegenwartsdeutschen Volk als eth-nisch bestimmbare Menschengruppe nahe steht, vgl. schon im Hildebrandslied:

(2) Hild. 8-13: her fragen gistuont / fohem uuortum, hwer sin fater wari / fireo in folche … / eddo hwelihhes cnuosles du sis. / ibu du mi ęnan sages, / ik mi de odre uuet, / chint, in chunincriche: chud ist mir al irmindeot.

‘er begann zu fragen mit wenigen Worten, wer sein Vater war unter den Leuten seines Volkes oder welchen Geschlechts du bist. Wenn du mir einen nennst, kenne ich auch die anderen; Kind, im Königreiche bekannt ist mir das ganze Volk.’

Das Fragment zeigt eindeutig, dass es sich gerade um eine Volksgemein-schaft handelt. Hildebrands Frage an Hadubrand wird alternativ formuliert:

Der Letztere soll entweder die Zugehörigkeit seines Vaters zu einem Volk bezeichnen oder aber seine eigene Herkunft durch den Verweis auf sein Geschlecht (cnuosal) verraten, was somit eindeutig von der Synonymie zwi-schen beiden Begriffen zeugt. Darüber hinaus wird das zusammengesetzte Nomen irmindeot (soviel wie ‘das gesamte Volk’) als weiteres Synonym zu folch verwendet. Bedenkt man, dass ahd. deot eine unverkennbare ethnisch-sprachlich-kulturelle Identifikation einer (hauptsächlich germanischen) Men-schengemeinschaft als semantisches Hauptmerkmal trug, wird die durchaus

‘moderne’ Lesart von folch im Hildebrandslied unverkennbar.

Auch in der Tatian-Bilingue wird neben der im Beleg (1) bezeugten Be-deutung ‘Menschenmenge’ durchaus auch auf das ethnische Volk bzw. das

„Gottesvolk“ referiert, vgl.

(3) Tat. 2, 7: Inti her ferit fona inan in geiste inti in megine Heliases […] garuuen truhtine thuruhtigan folc.

‘und er [Johannes der Täufer – M.K.] wird vor ihm wandeln im Geiste und in der Macht des Elias […] (um) dem Herrn ein würdiges Volk vor(zu)bereiten.’

Die in (1) erscheinende Lesart lebt neben der Semantik in (2) und (3) auch in mhd., frnhd. folk, volk/Volk weiter, darunter insbesondere als bewaffnete Einheit (also maximal nahe zu seinem polnischen etymologischen Pendant pułk) – als Simplex oder in Zusammensetzungen wie fussvolk, vgl. die Nürn-berger Stadtchronik von Ullmann Stromer aus dem Jahre 1398:

(4) Stromer, Puechel, 1388: […] und di stat zoch am montag frw aus, und heten bey tawsent raysiger pferd und sust vil folks, di auf wagen und karren furen und sust vil fussvolks […]

‘und die Stadt zog am Montag früh aus, und [sie] hatten nahezu tausend kampfberei-te Pferde und sonst viel Volk, die [referiert als Plural auf Volk – M.K.] auf Wagen und Karren fuhren und sonst viel Fußvolk […]’

Dem Bedeutungswandel von ‘Menschenmenge’ zu ‘ethnische Menschenge-meinschaft’ liegt allgemein die Spezifizierung nach dem semantischen Merkmal der Abgrenzung zu Grunde. Das jeweilige Abgrenzungskriterium ist dabei mehr oder minder frei wählbar. So kann Volk sowohl eine bewaffnete bzw. militärische Einheit (so schon im älteren Deutsch oder im modernen polnischen pułk) als auch eine ethnologisch-kulturell definierbare Menschengruppe bedeuten, wie dies in der deutschen Sprachgeschichte bereits seit deren ältesten schriftlich bezeugten Etappen der Fall gewesen ist. Natürlich treten dabei im Laufe der geschichtlichen Entwicklung weitere Veränderungen auf, die mit dem Wandel des VOLK-Kon-zeptes selbst verbunden sind und daher eigentlich nicht als Bedeutungswandel sensu strticto interpretiert werden können. Beispielhaft sind hierfür Entwicklun-gen, die teilweise sehr akribisch im hier behandelten Beitrag von J. Wiktorowicz (2011: 339f.) nachvollzogen wurden, u.a. die Interpretation von Volk als einer dem Herrscher (Fürsten, König etc.) unterstehenden größeren Menschengemein-schaft, später mehrfach als ‘einfache, arme, ungebildete etc. Menschen’ (gemeines Volk) umgedeutet (daraus ergeben sich mehrere Entwicklungen, allen voran die Pejorativierung in solchen Fügungen wie wildes, grausames, dummes, rohes Volk etc. (ibid.: 339)); oder aber als einer Glaubensgemeinschaft, so das Christenvolk (insbesondere in der Reformationszeit) etc. Mit zunehmender Identifizierung des Volksbegriffs mit dem sich ausbildenden bürgerlichen Staat und Entstehung von Volksstaaten mit mehr oder minder definierten Staatsgrenzen wird die Semantik von Volk wiederum als Staatsbürger bzw. Nation umgedeutet (ibid.).

Insgesamt kann nun Folgendes festgehalten werden.

(i) Der Bedeutungswandel bei Volk ist grundsätzlich kurzfristig in dem Sinn, dass sowohl die ältere, unspezifizierte kollektive Semantik (‘Menschenmenge’) als auch die neuere, davon abgeleitete spezifizierte Semantik einer nach bestimmten Kriterien abgrenzbaren Menschen-gemeinschaft in den Texten bezeugt ist, die chronologisch zu dersel-ben Etappe der Sprachentwicklung gehören und somit stark vermutet werden kann, dass sich der genuine Bedeutungswandel innerhalb der Lebzeit einer Generation vollzogen hat. Außerdem fällt auf, dass mit der Ausbildung neuer, spezifizierter Bedeutungen die alte, unspezifi-zierte Semantik eines weiter nicht definierbaren Nomens collectivum in aller Regel weiter fortlebt.

(ii) Man muss streng unterscheiden zwischen dem „eigentlichen“ seman-tischen Wandel, welcher in der zunehmenden Spezifizierung durch Hinzufügung eines wie auch immer definierbaren spezifizierenden Merkmals besteht (sei dies ‘bewaffnet’, ‘hörig’, ‘gemein’, ‘ethnisch’

o.ä.) und dem „uneigentlichen“ Wandel, der sich aus der Anpassung der jeweiligen spezifizierten Bedeutung an den durch den Wandel im

„gesellschaftlichen Diskurs“ herbeigeführten Konzeptwandel ergibt, wie z.B. im Fall von Volk als ‘Menschen, die sich derselben Sprache bedienen’, ‘Bewohner eines gemeinsamen Territoriums’, ‘Ethnos’,

‘Staatsbürger pl.’, ‘Nation’.

Spezifische diskursbedingte Entwicklungen, wie die von Wiktorowicz (op. cit.: 339) beschriebene zusätzliche Belastung durch Missbrauch in eindeu-tig ideologisch geprägtem Sinn (z.B. in Sprachgemeinschaften mit autoritärer oder gar totalitärer Gesellschaftsordnung) werden hier nicht speziell behan-delt, sind aber unumstritten ebenfalls durchaus forschungswert.

Der hier am Beispiel von Volk beschriebene Bedeutungswandel ist, wie oben gezeigt, kurzfristig, was generell den Wandel bei semiotischen Entitäten kennzeichnet. Anders kann er auch im Prinzip nicht verlaufen, da jede Verän-derung in der Bedeutung eines Zeichens, allen voran des Sprachzeichens ihrer Natur nach atomar ist, d.h. einen momentanen Nominationsakt darstellt. Sie wird danach von der Sprachgemeinschaft entweder akzeptiert oder abgelehnt.

Eine Akzeptanz seitens der Sprachgemeinschaft bei erfolgter neuer Nomina-tion hängt von mehreren Faktoren ab. Unveräußerlich ist dabei jedoch eine Transparenz der Motivation, d.h. eine verständliche Korrelation zwischen der alten und der neuen Bedeutung. Dies gilt für sämtliche metaphorische oder metonymische Umdeutungen, aber auch für sämtliche Umdeutungen

schlechthin. Die zunehmende Spezifikation schafft daher merkmalhafte Be-deutungsstrukturen, die von den merkmallosen Sememen abgeleitet werden, wobei der Bezug des Merkmalhaften auf das Merkmallose im Nominations-akt immer transparent ist.

3. Der mittelfristige Wandel (Funktionswandel), exemplarisch dargestellt