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am Beispiel von verbalen Morphosyntaktika im Ersten Stadtbuch aus Schweidnitz

4. Zur hân/haben-Periphrase

Außer seiner possessiven Grundbedeutung kommt haben als Auxiliaris vor.

Seine Satzstellung als eines Finitums schwankt aber im 14. Jh. noch erheblich (von der nhd. konsequenten Satzklammer darf noch nicht die Rede sein), vor allen Dingen im Nebensatz, wo die Tendenz zur Endsatzposition des Finitums erst anfängt sichtbar zu werden. Ähnliches beobachtete auch Wiktorowicz (2011: 95) in seinen Studien zur Krakauer Kanzleisprache des 15. Jh.s. Schauen wir uns zwei vergleichbare Relativsätze aus derselben Seite eines Schweidnitzer Dokuments aus dem Jahr 1328 an (Quelle für die Belege 1 und 2: 180, S. 25):

Beleg 1: Ich geliche in eyme wisen manne der sin hus vf eyne gute vnd eyne stete gruntfeste gebuet hat.

Beleg 2: [gesetzce der stat] dye wir bye syme vatir [...] haben gehat.

Hier steht das Finitum im ersteren Satz an letzter Stelle; im anderen eröff-net es die Prädikatsgruppe. Interessant sind hier – am Rande bemerkt – auch die Formen der Partizipien selbst. Die Form gebuet entlarvt eine zur Zeit der Handschriftentstehung vermutlich noch nicht durchgeführte Diphthongie-rung des mhd. û sowie die nach wie vor unsynkopierte Flexionsendung -et. Die andere Form ist eine von zumindest drei damals parallel geltenden Partizipfor-men des Verbs haben, die aber in der Entstehungszeit des Korpus viel seltener auftrat und später letztendlich zugrunde ging. Die unterschiedliche Abfol-ge der Prädikats komponenten im Verbalkomplex am Nebensatzende ist hier nicht etwa beispielsweise durch die jeweilige Person determiniert. Genauer ge-sagt ist dies durch kaum etwas determiniert 5; das Zeitfenster zwischen dem 14.

5 Wenn schon etwas als Faktor für die jeweilige Wahl der Reihenfolge und gegenseitiger Komposition von Verbalformen im Satz genannt werden müsste, dann wären es – nach

und 17. Jh. war eine ‚Probezeit‘ und ein ‚Kampfplatz‘ für mehrere Parallelfor-men – auch im Bereich der relativen Positionierung mitten im Verbal komplex (vgl. Ebert u. a. 1993: 438). Man kann nämlich auf derselben Handschrift- seite weitere Belege finden, die eine eventuelle Abhängigkeit der Satzstellung von der Person o.Ä. ausschließen (Quelle für die Belege 3 und 4: 180, S. 25):

Beleg 3: [die geseczce] die wir von aldere be tracht vnd bescriben haben mit der eldesten rat von der stat [vnd die wir...]

Beleg 4: [...] die wir ouch bie sinen zciten [...] zcu rechte haben gegeben zcu einer gantzcen stetikeit haben bracht.

In diesen zwei Belegen wurden beide Möglichkeiten der relativen Stellung im Verbalkomplex nebeneinander gesetzt. Im Beleg 3 steht darüber hinaus die prädikative Gruppe gar nicht am Ende des Satzes, was im frühen 14. Jh. (und noch lange danach) keine Regel war, sondern vielmehr nur eine aussichten-reiche Parallelalternative. Die Form bescriben visualisiert wiederum die nicht abgeschlossene î>ei-Diphthongierung sowie eine frühere Form des Prozesses vom /∫/-Werden des mhd. /s/ vor Konsonanz; die Graphemik hat hier nämlich die ältere Form versteinern lassen. Der 4. Beleg bringt die Zusammenstellung von zwei Handlungen, die wie im Beleg 2 durch eine Prädikatsgruppe am Satz-ausgang mit dem sie eröffenden Finitum ausgedrückt wurden. Was hier be-merkenswert und z.T. auch für früheres Frühneuhochdeutsch charakteristisch ist, ist das Auslassen des Präfixes ge- am Part. Prät. der auch ohnehin perfektive Geschehen abbildenden Verben (vgl. Hashimoto 1962: 15-22). Zu betonen

Ebert u.a. 1993: 438 – a) der Konstruktionstypus oder b) die eventuelle prosodische Beto-nung eines von den Komponenten.

wäre dabei, dass gerade bringen dieser Tendenz relativ konsequent folgt. Von anderen perfektiven Verben, die in dieser Hinsicht aus phonotaktischen oder assimilationsbedingten Gründen ähnlich betrachtet wurden, muss kommen ge-nannt werden (vgl. auch: Paul 2007: M73, Anm. 3, Ebert u.a. 1993: § M87, 3).

Die Schreiber des späteren Mittelalters und der Frühen Neuzeit haben vermutlich keine Notwendigkeit gefühlt, bei ihren Aufzeichnungen univer-sellere Formen der Schriftsprache anzustreben. Jedermann durfte damals so schreiben, wie er den jeweiligen Diskurs im Audialen wahrnahm. Dies betrifft selbstverständlich auch das Verb haben, das – vor allen Dingen in seiner funk-tionalen Anwendung – zur Kontraktionsvereinfachung (auch im Nhd.) leicht tendiert. Ein entsprechender Nachweis finden wir im folgenden Textstück aus der Stadtbuchnotiz vom Jahr 1344 (Quelle für den Beleg 5: 180, unpaginierter Teil des Buches):

Beleg 5: Ano d[o]m[ini] millesimo CCCoXLIIIIo Man sal wissen daz dý rotlute [...] han bedocht vnd zv rechte mit der aldesten. mit den gesworn allen. vnd der gemeýne der stat. [...]

Was die Satzgliedstellung anbelangt, so schwankt sie bei den haben-Per-fektformen (vgl. Fleischer 2011: 125ff u. 147ff) nicht nur in den Nebensätzen.

Unten werden einige Belege präsentiert, in denen zwar das Finitum an der seit dem Ahd. traditionellen Position steht (vgl. Hartweg/Wegera 2005: 175), aber das Partizip den Satz nicht unbedingt abschließt (Quelle für die Belege 6 und 7: 180, S. 55; Quelle für den Beleg 8: 180, S. 55v):

Beleg 6 6: [...her...] . vnd hat in beroubit libes vnd gutes vnd hat im genumen des [...]

Es gibt aber in direkter Nachbarschaft (genau gesagt in demselben Satz, bloß zwei Zeilen höher in der Handschrift) auch (Teil-)Sätze, in denen die Satzglied- ordnung dem Neuhochdeutschen ähnelt oder durchaus identisch ist, z. B.:

6 Der Punkt vor vnd in diesem und weiteren Belegen ist ein früher spätmittelhochdeutscher Versuch der Kommasetzung.

Beleg 7: [...her...] . vnd hat in gevundit vnd di not an im getan . [...]

Beleg 8: [...her...] . vnd hat in beroubet sines libes vnd gutes . vnd hat in gevundet .

Bei Parataxen mit dem Bindewort und war also im 14. Jh. möglich, wie wir am Beleg 7 sehen, das zu wiederholende Auxiliarverb im zweiten Teilsatz aus-bleiben zu lassen. Andererseits wurde es in den Belegen 4, 6 und 8 wiederholt, obwohl die Teilsätze dort sozusagen dieselbe syntaktische und handlungs- chronologische Matrix abbilden.

Die Partizipformen in den Belegsätzen von 6 bis 8 lassen auch einige weiter-führende Gedanken aufkommen. Die Flexionsendung -it, die im Mitteldeutschen, also auch im Niederschlesischen durchaus üblich war, variiert in den verbalen Morphosyntaktika stets mit parallelem -et (Schauen wir uns auch den Beleg 8 aus demselben Dokument wie Belege 6 und 7 an). Sprachevolutionär gesehen ist es in den Augen des Autors ein weiteres Plädoyer für die im Titel dieses Beitrags postulierte Neigung zum Nebeneinander von (auch phonetischen) Formen; rein phonetisch betrachtet zeugt die Parallelität von gerade diesen zwei Allophonen (und dementsprechend Allographen) von einer relativ geringen „phonetischen Distanz“ zwischen diesen zwei Lautqualitäten im lokalen Dialekt des Niederschle-sischen. Das /u/ in genumen scheint wieder einmal eine dialektal gefärbte Parallel-form zum Äquivalent mit gesunkenem /o/ zu sein.