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Der mittelfristige Wandel (Funktionswandel), exemplarisch dargestellt am Adverb dann und an der Konjunktion resp. Diskurspartikel denn

Ein Abriss der Interpretationsmöglichkeiten

3. Der mittelfristige Wandel (Funktionswandel), exemplarisch dargestellt am Adverb dann und an der Konjunktion resp. Diskurspartikel denn

Freilich gibt es auch Sprachwandel, der in der Gegenrichtung verläuft, d.h.

nach dem Prinzip abnehmender semantischer Spezifizierung. Ein Paradebei-spiel dafür sind diverse Grammatikalisierungsprozesse, in deren Folge Autose-mantika zu SynseAutose-mantika werden. Diese Entwicklung können wir gerade bei der Geschichte von dann/denn beobachten, die als zweites Beispiel in Wik-torowiczs Artikel (op. cit.: 341ff.) behandelt wird. Bekanntlich sind die koor-dinierende Konjunktion denn mit kausaler Funktion (Er kommt nicht, denn er ist krank), die (heute veraltende) komparative Konjunktion denn (Die Si-tuation ist komplizierter denn je) sowie die modalisierende Abtönungspartikel denn (Was macht er denn?!) etymologisch direkt zu dem temporalen Adverb dann zu stellen. Dieses entstand seinerseits durch Anfügung des temporalen deiktischen Elements *-n an den indogermanischen Pronominalstamm des Demonstrativums *to-, was lautgesetzlich germ. *þa-n (vgl. got. *þan ‘dann’

bzw. ahd. than(n)e, später dann(e) ergab. Die genuine Semantik ‘damals’ wan-delte sich zunächst von absoluter zu relativer Zeitreferenz, also von ‘zu jener Zeit’ zu ‘danach’.

Eine anschauliche Illustration hierzu ist folgende Stelle aus dem althoch-deutschen Tatian:

(5) Tat. 2, 4 (Lk. 1, 12): Thanân thô Zacharias uuard gitruobit thaz sehenti, inti forhta anafiel ubar inan.

zu lat. et Zacharias turbatus est videns, et timor inruit super eum.

‘und da wurde Zacharia betrübt, das sehend, und Furcht überfiel ihn.’

Auffällig ist hier u.a., dass thanan neben dem üblichen althochdeutschen (später auch mittelhochdeutschen) narrativen Konnektor tho (ahd. auch dô und mhd. nur dô) mit temporaler Funktion auftritt, der normalerweise zur Kodierung einer Aufeinanderfolge von Ereignissen eingesetzt wurde. Dabei wird hier – anders als in der lateinischen Vorlage, wo bloß das unmarkierte et ‘und’ erscheint – die Zeitrelation doppelt belegt, einmal text-anaphorisch (tho) und zum anderen referenzdeiktisch (thanan). Dadurch wird die tem-porale Lesart komplex, da sie sowohl eine Abfolge der Ereignisse (danach-

Konzept) als auch die zeitliche Fixierung des in der betreffenden Proposition kodierten Ereignisses (dann- bzw. damals-Konzept) enthält.

Die weitere Entwicklung ist von Wiktorowicz (ibid.: 341f.) mustergültig und lückenlos dargestellt worden. Das zeitliche Nacheinander wurde nämlich u.a. als eine Kausalkette umgedeutet (vgl. Wiktorowicz, op. cit.: 341f.), was dem in der Logik falschen, doch bei sprachlicher Interpretation durchaus benutzten, ja beliebten Grundsatz post hoc ergo propter hoc entspricht, nach dem die absolu-te Mehrheit kausaler, finaler, konsekutiver und ähnlicher Konnektoren aus absolu- tem-poralen Indikatoren entstanden sind, wie während, sobald, solange, weil etc. (vgl.

Kotin 2011: 311ff.). Allerdings wurde hierbei nicht die Form dann, sondern die mundartlich bedingte andere Form denn in die Standardvarietät übernommen, welche ursprünglich zunächst soviel wie dann bedeutete. Dadurch sind in der deutschen Gegenwartssprache etymologische Dubletten entstanden, was aus der Sicht des Sprachwandels jedoch nicht die Tatsache schmälert, dass die gram-matikalisierten, synsemantischen denn-Varianten unmittelbar der temporalen Semantik des Adverbs dann, und zwar in der – ebenfalls von ‘damals’ abgeleite-ten, relativen zeitreferenziellen – Bedeutung ‘danach’ entspringen.

Erklärungsbedürftig ist hierbei allerdings, dass das kausale denn statt zu erwartender Konsekutivität Kausalität kodiert, also die Reanalyse nicht den Pfad ‘danach’  ‘folglich’, sondern den offenkundig entgegen gesetzten Pfad

‘danach’  ‘deshalb’ bemüht, was gerade der komplementären Zeitreferenz ‘da-vor’ entsprechen müsste, da der Grund immer der Folge zeitlich vorausgeht.

Möglicherweise soll die Erklärung für diese scheinbare logische Inkonsequenz in der von Wiktorowicz (op. cit.: 341) festgestellten Semantik gesucht werden, welche denn in mittelhochdeutschen Sätzen mit durativen Verben aufweist:

„[…] die zum Ausdruck bringen, dass sich ein Geschehen über einen längeren Zeitintervall erstreckt“ (Wiktorowicz, op. cit.: 341). Das Temporaladverb dan-ne/denne […] referiert in diesem Fall auf einen mit der zweiten Prädikation zeitgleichen Prozess, vgl. den von Wiktorowicz a.a.O. angeführten Beleg aus der mittelhochdeutschen Kaiserchronik, Vers 1395:

(6) Hât er danne wîstuom / der lêrt in êre unde frum.

‘Hat er dann/denn Weisheit, / lehrt er in Ehre und fromm.’

Es genügt hier die Satzordnung zu ändern und danne als Konnektor zu deuten, um aus der ursprünglichen Temporalität die erforderliche Kausalität zu bekommen, also

(6a) Der lêrt in êre unde frum / danne er hât wîstuom.

‘Der lehrt in Ehre und fromm, denn er hat Weisheit.’

Die Umdeutung der genuinen Temporalität als Komparativität beim skalierbaren Vergleich (besser denn je etc.) setzt voraus, dass die Zeitreferenz als Vergleich von zwei gegebenen Zuständen, Prozessen etc. in unterschiedli-chen Zeitpunkten reanalysiert wird. Das jeweilige prädikative Merkmal wird bezüglich seiner Ausprägung im Zeitpunkt A mit derselben im Zeitpunkt B konfrontiert. Die Komparativform des Adjektivs kodiert dabei den höhe-ren Grad der Merkmalsausprägung und die Konjunktion denn wird in ihrer Funktion aus dem temporalen Bereich in den damit kongenialen Bereich der unmittelbaren Komparation verlagert, nach dem Schema es war immer X  es ist dann X+ geworden zu es ist jetzt X+ denn [= im Vergleich zum] (früheren) X.

Schließlich die Partikelfunktion in illokutiv markierten Sätzen (Wo bleibt er denn?!), die zeitlich die jüngste ist, ist ebenfalls unmittelbar von der tem-poralen Semantik des zu Grunde liegenden Adverbs dann ableitbar und be-darf keiner Annahme von Zwischenstufen in der Gestalt kausaler oder kom-parativer Konnektorfunktion, vgl. Wie heißt er DANN? (wenn er nicht Müller heißt). In diesem Fall wird dann dermaßen umgedeutet, dass die Temporalität zu Gunsten einer sekundären konversationellen Implikatur (vgl. Grice 1979:

243ff., Liedtke 2012: 141f.) zurückgestellt wird. Dann ist nämlich insofern

„temporal gerechtfertigt“, als die zweite, alternative Aussage, die getroffen werden muss, nachdem die Nichtfaktizität der ersten festgestellt wurde, erst zeitlich später erfolgen kann. Doch dieses zeitreferenzielle Merkmal ist ledig-lich für die Reanalyse relevant, nicht jedoch für die Verwendung in der Funk-tion eines alternativen Markers.

Dann ist in dieser Funktion in aller Regel akzentuiert, doch ist seine ge-nuin mundartliche Variante denn als Illokutionspartikel stets unbetont: Wie HEISST er denn? Die „alternative“ Lesart ist hier zwar möglich, aber nicht obligatorisch und relativ selten. Die unmarkierte Lesart ist hingegen eine Fra-ge mit hervorFra-gehobenem Sprecherverweis, der z.B. als indiziertes Interesse, Ungeduld etc. zu deuten ist. Dies ist u.a. der Grund, warum Illokutionsparti-keln dieses Typs lediglich in Hauptsätzen (hauptsächlich in Fragesätzen) bzw.

(selten) in konstruktionell und semantisch unabhängigen Nebensätzen, doch so gut wie nie in logisch abhängigen Nebensätzen verwendet wird, welche keine indizierte Illokution kodieren können (vgl. Abraham 2010: 33ff.), vgl.

(7) Wie heißt er denn?! Was hat er denn vor?! Wo wohnst du denn? Ich habe es dir denn gesagt!

(8) *Ich fragte ihn, wie er denn heißt. *Frag ihn, was er denn vorhat. *Ich weiß gar nicht, wo du denn wohnst. *Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich es dir denn gesagt habe.

Es kann nun folgende Zwischenbilanz gezogen werden.

(i) Der Funktionswandel bei dann/denn ist grundsätzlich mittelfristig in dem Sinne, dass die ältere, spezifizierte zeitreferenzielle Funktion des Adverbs zur unterspezifizierten Funktion eines temporal-kausalen und später rein kausalen Konnektors und schließlich zur unspezifi-zierten Funktion einer Illokutionspartikel wurde, wobei einige Glie-der Glie-der Wandelkette im Rahmen Glie-derselben Generation Glie-der Sprachträ-ger nebeneinander existierten und andere erst später entstanden sind.

Parallelität und Varianz sind im Ergebnis der Wandelprozesse ausei-nandergegangen, was u.a. aus der Formdifferenzierung dann vs. denn ersichtlich ist, welche ursprünglich lediglich mundartliche Varianten derselben Sprachform gewesen sind. Diese Formspaltung erfolgte somit erst in der Standardvarietät des (Hoch)deutschen, wodurch dann und denn im Neuhochdeutschen klassische etymologische Dubletten sind.

(ii) Der besprochene Funktionswandel ist ein klassischer Fall von Gram-matikalisierung, in deren Folge aus einer lexikalischen Entität (einem Temporaladverb) durch semantischen Abbau und die ihn begleitende Ausbildung unter- bzw. unspezifizierter Funktion zunehmend zwei synsemantische Entitäten (Konjunktion bzw. Illokutionspartikel) ent-standen sind. Derartige Entwicklungen sind in der Fachliteratur ein-schließlich ihrer Mechanismen und Besonderheiten bisher ausführ- lich beschrieben worden (vgl. u.v.a. Lehmann 1985, 2004; Bybee 1985, Hopper/Traugott 1993, Diewald 1997, 2000; Heine/Kuteva 2002).

Der Wandel ist in diesem konkreten Fall „klassisch“ in dem Sinn, dass er unidirektional und irreversibel ist, d.h. eine Rückentwicklung von grammatikalisierten synsemantischen Entitäten (Konjunktion bzw.

Illokutionspartikel) zur sekundär umgedeuteten autosemantischen Einheit ist ausgeschlossen.

Interessant ist übrigens, dass das Englische eine durchaus vergleichbare, wenn auch keinesfalls dieselbe Entwicklung durchmacht, inklusive der genui-nen formalen (allerdings genau umgekehrten) Verteilung funktional belaste-ter a- und e-Formen, welche im Neuenglischen ebenfalls beibehalten ist, vgl.

then [ðen] ‘dann’ vs. than [ðεn] ‘denn’ (in der Bedeutung ‘als’ beim Vergleich, welche, wie oben gezeigt wurde, auch im Neuhochdeutschen – auch wenn als veraltet – fortlebt).

Vergleichbare Entwicklungen können auch in anderen Sprachen beob-achtet werden, zunächst wie immer in solchen Fällen in der mündlichen Alltagssprache mit weiterer (realisierter oder nicht realisierter) Option einer

Ausweitung auf die Standardsprache, vgl. die Grammatikalisierungstendenz bei dem polnischen Lokaladverb tam ‘dort’, welches in der mündlichen All-tagsprache als Illokutionspartikel, insbesondere in den emphatischen Fragen und Antwortrepliken, verwendet werden kann:

(9) – Co tam Pan mówi?!

(10) – No to jak tam Panu poszło?

(11) – Czy mógłbyś się ze mną dziś spotkać? / Gdzie tam?! Przecież nie mam ani minuty wolnego czasu!

4. Der langfristige Wandel (Formwandel), exemplarisch dargestellt