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Biblische Seelsorge auf dem Weg in der Zuwendung zum Individualpilger

Vergewisserung für neue Herausforderungen

4. Biblische Seelsorge auf dem Weg in der Zuwendung zum Individualpilger

In dem genannten Abschnitt in der Apostelgeschichte stehen sich zwei kontrastierende Akteure gegenüber: mit Philippus, dem Apostel und Christuszeugen, auf der einen Seite ein Wandermissionar und Seelsor-ger auf dem Weg, mit dem äthiopischen Kämmerer und Hofb eamten der Kandake auf der anderen Seite ein individueller Jerusalempilger vom Ende der antiken Welt kommend, der sich allein auf dem Rückweg vom heiligen Ort befi ndet und nach Daniel Marguerat, auf den ich mich im Folgenden beziehe, in seiner Gott suche am heiligen Ort noch nicht zum entscheidenden Durchbruch gelangt ist31. In der neutestamentlichen

Exe-29 Vgl. hierzu ausführlich Christian Kurrat, Biographische Bedeutung und Rituale des Pilgerns, in: ders. / Patrick Heiser (Hg.), Pilgern gestern und heute. Soziologische Beiträge zur religiösen Praxis auf dem Jakobsweg (Soziologie 77), Berlin, Münster 2012, 161–191.

30 Exemplarisch bei Müller, der „das Pilgern als eine Zeitsignatur verstanden und pa-storaltheologisch refl ektiert” (Müller, Volk Gott es unterwegs, 371) haben will.

31 Vgl. hierzu Daniel Marguerat, Eine Randfi gur der Apostelgeschichte: Der Eunuch aus Äthiopien (APG 8,26–40), in: Küchler, Max / Reinl, Peter (Hg.), Randfi guren in der

gese stuft man heute die persönliche Situation des Pilgers mit den be-iden Att ributen eunúchos, Verschnitt ener,32 und zugleich dynástos, d.h. ein Würdenträger und Hofb eamter der Kandake, der Königin der Äthiopier, der ihren Schatz verwaltete, als paradoxal ein, da sie in der Spannung von Macht und Ausschluss steht33. Möglicherweise ließe sich der Äthiopier dem biographischen Pilgertyp des Menschen in der Krise oder auch dem des biographischen Neustarts zuordnen. In älteren Kommentaren zur Apostelgeschichte wird der äthiopische Pilger abwechselnd als „«Sym-pathisant» der jüdischen Religion”34, Gott suchender,35 Fernstehender (da im Heidentum aufgewachsen)36 oder auch nur als Suchender37 bezeich-net. Damit würde der hier vorgefundene Pilger in der Systematisierung der Pilgertypen von Rebillard am ehesten unter den zweiten Pilgertypus fallen, also den mystischen oder metaphysischen Pilger aus der Gruppe

Mitt e. FS Hermann-Josef Venetz , Luzern 2003, 89–101. Sein Kommen vom Ende der Welt wird auch schon in älteren Kommentaren thematisiert, vgl. hierzu Ernst Dinkler, Philippus und der aner aithiops (Apg 8, 26–40). Historische und geographische Bemerkun-gen zum Missionsablauf nach Lukas, in: E. E. Ellis / E. Grässer (Hg.), Jesus und Paulus.

FS W. G. Kümmel, Gött ingen 1975, 85–95, hier, 94. Die Angabe als einer, der vom Ende der Welt kam, fi ndet sich bereits bei Hieronnymus, ep. 53, 5–6, zit. in James Gavigan / Brian McCarthy / Thomas McGovern (Hg.), The Navarre Bible. The Acts of the Apostles in the Revised Standard Version and New Vulgate with a commentary by members of the Fac-ulty of Theology of the University of Navarre, Dublin 2000 (repr. 1989), 103.

32 Zur exegetischen Diskussion zum eunuchos, ob Amtsbezeichnung oder Verschnit-tener im wörtlichen Sinn, vgl. z.B. Gerhard Schneider, Die Apostelgeschichte. I. Teil. Ein-leitung zu Kommentar zu Kap. 1, 1–8, 40 (Herders Theologischer Kommentar zum Neuen Testament 5), Freiburg, Basel, Wien 1980, 500 mit Anm. 19–20; Luke Timothy Johnson, The Acts of the Apostels (Sacra pagina series 5), Collegeville 1992, 155.

33 Vgl. hierzu Marguerat, Randfi gur der Apostelgeschichte, 92.

34 Wörtlich im Kontext: „Als «Verschnitt ener» konnte er nicht Jude werden [vgl. Dtn 23,2–9]; doch neben seiner Jerusalemwallfahrt, [sc. die er nicht zu Fuß, sondern in einem Wagen tätigte (V 29)], zeigt auch seine Lektüre [sc. des Propheten Jesaja] (V 28), daß er

«Sympathisant» der jüdischen Religion war” (Schneider, Apostelgeschichte I. Teil, 502).

Zur exegetischen Diskussion, ob der äthiopische Pilger unter die Gott esfürchtigen oder Proselyten zu zählen ist, vgl. Johnson, Acts of Apostles, 159. Jürgen Roloff , Die Apostel-geschichte (Das Neue Testament Deutsch 5), Gött ingen, Zürich 21988, 140 bezieht noch klar Stellung zur Zuordnung des Äthiopiers unter die Gott esfürchtigen, da er durch sein Verhalten (Jerusalemwallfahrt, Studium des Propheten Jesaja, Besitz einer eigenen Schrift-rolle) „als ein großer Freund des Judentums geschildert” wird und seine „Liebe zur jüdi-schen Religion” (ebd.) unter Beweis gestellt hat.

35 Vgl. Ott o Cohausz, Die Apostelgeschichte (Herders Bibelkommentar Die Heilige Schrift für das Leben erklärt 12), Freiburg i. Br. 1936, 323.

36 Cohausz, Die Apostelgeschichte, 324.

37 Vgl. Josef Kürzinger, Die Apostelgeschichte. I. Teil (Geistliche Schriftlesung. Er-läuterungen zum Neuen Testament für die Geistliche Lesung 5/1), Düsseldorf 1966, 227 u. 228.

derjenigen, die auf der Suche sind, ohne sich speziell als jüdisch respek-tive christlich zu bezeichnen38. Dass der Kämmerer allein unterwegs ist, unterstreicht noch einmal seine prototypische Erscheinung als metaphy-sischer Individualpilger auf der Sinnsuche.

Bedeutsam für die biblische Vergewisserung in Bezug auf die pastora-le Begpastora-leitung solcher Individualpilger ist nun die Weise, wie hier, freilich in idealtypischer Ausgestaltung, die Annäherung zwischen dem Pilger und dem Seelsorger geschieht. Was sofort auff ällt und die gängige pa-storale Praxis durchkreuzt, ist die Tatsache, dass diese Kontaktaufnahme erst auf dem Rückweg des Pilgers vom heiligen Ort in die Heimat ge-schieht. Sie spielt sich aber in Etappen ab, die sich von der chiastischen Struktur des Textes fassen ließen als Vergewisserung der Identität der Akteure – Annäherung und Begegnung – Seelsorgliches Gespräch über die Reiselektüre des Pilgers – Taufe des Pilgers – Trennung der Akteu-re39. Beschränken wir uns hierzu skizzenhaft auf die Etappen der ersten Annäherung und des seelsorglichen Gespräch: Bereits das Moment der Annäherung mit der stufenweisen Überwindung der räumlichen Distanz zwischen dem Seelsorger und dem gott suchenden Pilger stellt ein Me-isterstück lukanischer Textkomposition dar: Die topographische Distanz von den zunächst nicht ganz hundert Kilometern auseinanderliegenden Ausgangsorten der beiden wird durch die schritt weise Annäherung des Seelsorgers an den Pilger Stück für Stück überwunden. Zunächst wird der sich gerade in Samarien befi ndende Philippus kraft gött licher Initiative mit genauer Richtungsangabe (nach Süden), Reiseroutenverlauf (Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt) und Beschreibung des Ziels (eremos) auf einen der Jerusalemer Pilgerwege berufen. Damit ist dieser ganz vom Wegmotiv und Unterwegssein40 geprägte Seelsorgeeinsatz für den Apostel in Bezug auf den Topos nichts vages, sondern zielgerichtet und von der Wegstecke zunächst auch vorausplanbar. Als ihn nur noch wenige Meter von dem Pilger trennen, heißt es für Philippus, dem Re-isewagen nachzulaufen; und als er ihn eingeholt hat, wird die räumliche Distanz sukzessive abgebaut bis hin zu einer körperlich fassbaren Nähe

38 Marguerat hingegen lässt es off en, ob der Äthiopier ein Jude aus der Diaspora, ein Proselyt oder Gott esfürchtiger gewesen ist, vgl. Marguerat, Randfi gur der Apostelge-schichte, 92.

39 Zur chiastischen Struktur der Textkomposition vgl. Marguerat, Randfi gur der Apo-stelgeschichte, 91, an der sich die hier vorgenommene Einteilung anlehnt, allerdings in pastoraltheologischer Nomenklatur.

40 Zur Unterstreichung der Wanderexistenz des Philippus durch das lukanische Vo-kabular gehen (26b, 27a, 36a, 39c), Weg (26b, 36b, 39b) und durchqueren (40b) vgl. Mar-guerat, Randfi gur der Apostelgeschichte, 89.

auf demselben Wagen, wo nun geistliche Berührung geschieht, indem Pilger und Seelsorger über die Schriftrolle gebeugt in den Heilsraum des Wortes Gott es eintreten.

Der Schlüssel zu dieser sich entwickelnden Dynamik liegt in der au-fmerksamen Wahrnehmung der Realität des Pilgers durch den Seelsor-ger, der genau hinhört, womit der Pilger gerade beschäftigt ist. Seine die eigentliche Begegnung initiierende Frage mit dem Wortspiel der Verben ginoskein (kennen) und anaginoskein (lesen) – wörtlich „Verstehst du, was dir dieser Text zu verstehen gibt”41 (Apg 8, 30) wird vom Pilger mit einer Gegenfrage quitt iert, mit der „er bekennt, dass er jemanden braucht, der ihn anleitet” – wörtlich „auf dem Weg leitet”42, wozu er das Verb hode-gein benutz t (vgl. Lk 8, 31). Auf diese Weise bekommt der topographi-sche Weg eine neue Qualität, in dem der Seelsorger für den Pilger nicht mehr nur Weggefährte, sondern jetz t Wegbegleiter – Weganleiter – wird.

„Der Weg, dem er folgt (V 26, 36, 39) nimmt somit”, wie dies Margu-erat ausgedrückt hat, „die symbolische Konnotation einer spirituellen Suche an.”43 Im Fortgang des Dialogs geschieht dann die entscheidende

„christologische Wende”44, indem Philippus die Reiselektüre des Pilgers aus dem Propheten Jesaja (Jes 53, 7b–8c) mit der Passage des leidenden Gott esknechtes, dem sein Recht (krisis) weggenommen und niemand von seinen Nachkommen (genea) sprechen wird, weil sie ihm weggenommen wurden und sein Leben von der Erde fortgenommen (airein) wird,45 auf Christus hin deutet. Zugleich liegt in dieser Bibelkatechese auch eine Of-fenheit zur Anwendung auf die persönliche Situation des Pilgers. Denn

„trotz seiner hohen sozialen Stellung war er [sc. durch sein Eunuchentum]

Opfer erniedrigender Äußerungen, gegen die er nicht protestieren kon-nte; die Hoff nung auf Nachkommenschaft ist ihm versagt”46. Somit eröf-fnet ihm die christologischen Auslegung des leidenden Gott esknechtes einen ganz neuen Interpreta-tionsraum der Schrift: die Identifi kation se-iner eigenen leidenden Existenz mit erniedrigten und erhöhten Christus, was in ihm die Sehnsucht nach der vollen Christusidentifi kation in der Taufe wachruft.

Bereits an diesen zwei Etappen der Annäherung und des seelsor-glichen Dialogs dieses Seelsorgeeinsatz es auf dem Weg wird deutlich,

41 Wörtliche Übertragung nach Marguerat, Randfi gur der Apostelgeschichte, 95.

42 Nach Marguerat, Randfi gur der Apostelgeschichte, 95.

43 Marguerat, Randfi gur der Apostelgeschichte, 95.

44 Marguerat, Randfi gur der Apostelgeschichte, 95.

45 Vgl. zur Interpretation des Jesaja-Zitates Marguerat, Randfi gur der Apostelge-schichte, 96.

46 Marguerat, Randfi gur der Apostelgeschichte, 96.

dass bei diesem exemplarisch vor Augen geführten Lehrstück biblischer Pilgerpastoral Topos und Chronos hin zum Kairos der Übereignung an Christus überschritt en werden47. Der Pilgerrückweg wird zum Heilsweg, zum Weg zur Christusbegegnung. Die Sinn- und Gott essuche des Ver-schnitt enen ist zur entscheidenden Wende gelangt: er zieht „voll Freude”

(Apg 8, 39) gleichsam auf einem neuen Weg heimwärts als ein in Chri-stus Befreiter und Freigewordener. Auch auf Philippus wartet ein neuer Weg als Seelsorger unterwegs. Er lässt sich vom Geist Gott es an die Orte entführen, wo er gebraucht wird, mit der Bereitschaft, den Einzelnen im Rahmen dieses punktuellen Seelsorgegeschehen auf dem Weg wieder lo-szulassen.

Würde man diese exemplarisch vorgeführte biblische Pilgerpastoral auf dem Weg mit ihrer sensiblen Annäherung und Ablösung von Seelsor-ger und PilSeelsor-ger schematisch fassen, zeigt sich ein breit gefächertes Ineinan-der von pastoraltheologischen Kategorien:

1. Präsenz der Seelsorge auf dem Pilgerweg (=Narthex-Pastoral im Vor-raum zwischen Kirche und Welt)

2. Nachgehen und Einholen des Pilgers in Raum und Zeit (=Bindung der Seelsorge an Topos und Chronos)

3. Wahrnehmung der Realität des Pilgers und seiner existentiellen Fra-gen (=Einzelseelsorge in einer radikalen Zuwendung zum Einzelnen) 4. Hinführung zu Christus anhand von Schriftlesung und Auslegung

(=Evangelisierung/Bibelkatechese  Kairos)

5. Taufvorbereitung und Taufe (=Sakramentenpastoral)

6. Neues Zur-Verfügung-stehen des Seelsorgers an anderer Stelle (=Loslassen des Pilgers).

Die Voraussetz ungen auf Seiten des Seelsorgers für ein solches seel-sorgliches Ereignis auf dem Weg bestehen in einem hohen Maß an Flexi-bilität und MoFlexi-bilität, Einfühlungsvermögen und SensiFlexi-bilität für die kon-krete Situation und den momentanen Augenblick, im Aufspüren der existentiellen Fragen des Menschen unterwegs, Schriftkenntnis und ihre Deutekompetenz mit dem Überschritt zum Zentrum und der Sinnspitz e

47 „Das Milieu, das sie voraussetz t, ist das der von den Hellenisten eingeleiteten palä-stinisch-syrischen Wandermission. Ortsgemeinden spielen in ihr keine Rolle; alles hängt an den vom Geist getriebenen Boten Jesu, die von Ort zu Ort wandern, um hier und dort einzelne für das Heil zu gewinnen. Die Taufe, die sie vollziehen, ist die Übereignung an Jesus Christus, den Erhöhten, aber sie ist nicht verbunden mit der Gabe des Geistes an den einzelnen, und sie wird auch noch nicht verstanden als Eingliederung in die Gemeinschaft der Kirche” (Roloff , Apostelgeschichte, 139).

des Glaubens in der Verkündigung Jesu Christi, ohne freilich den mysti-schen Pilger auf der Suche in irgendeiner Weise zu überfordern oder zu bedrängen. Auf Seiten des Pilgers treten neben der existentiellen Sinn-suche Einfachheit und Verfügbarkeit hervor, sich diesem seelsorglichen Weggeleit anzuvertrauen48.

5. Konsequenzen für die Seelsorge auf dem Weg zu heiligen Orten