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Typenbildungen zum Menschen unterwegs im Allgemeinen und zum Pilger im Spezifi schen

Vergewisserung für neue Herausforderungen

3. Typenbildungen zum Menschen unterwegs im Allgemeinen und zum Pilger im Spezifi schen

Unterwegssein, In-Bewegung-Sein, Mobilität gelten als Kennzeichen spätmoderner Lebensart. Jürgen Manemann spricht sogar von der Mo-derne als einem „Sein zur Bewegung”17. In der neueren Forschung ist zum „Flaneur” als Chiff re für den Wanderer zwischen den Welten einer

13 Vgl. hierzu Häselhoff , Rudolf, Sinn unterwegs. Grundlegendes und Praktisches zur Wallfahrt (Theologische Trends 9), Thaur, Wien, München 1999.

14 Michael Kessler (Hg.), Mit den Füßen beten. Ein Pilgerbuch, Ostfi eldern 1999, 79.

15 Manfred Hutt er, Pilgern. Ein universalreligiöses Phänomen, in: PThQ 155 (2007), 265–272, hier 268.

16 Vgl. Philipp Müller, Volk Gott es unterwes. Eine pastoraltheologische Refl exion über das Pilgern und Wallfahren, in: TThZ 120 (2011), 370–386, hier 375–378 (=Punkt 2.3:

Individualisierung als gesellschaftliches und religiöses Phänomen).

17 Jürgen Manemann, Eurotaoismus. Zur Kritik der politischen Kinetik, Frankfurt 1989, 37; wieder aufgegriff en in ders., Exil und Heimat. Theologische Refl exionen im Zeit-alter der Migration, in: Claudia Kraft / Eberhard Tiefensee (Hg.), Religion und Migration.

Frömmigkeitsformen und kulturelle Deutungssysteme auf Wanderschaft (Vorlesungen des interdisziplinären Forums Religion der Universität Erfurt 7), Münster 2011, 63–78, hier 63.

postmodernen Kultur der „Tourist” getreten18. Er repräsentiert für Ma-nemann den Lebenstypus in Zeiten der Globalisierung, da er nach neuen Erfahrungen und Reizen sucht, über ein Zuhause verfügt, ohne an dieses gefesselt zu sein, und der für den Aufb ruch in fremde Welten durch viel-fältige Bindungen abgesichert ist. Dabei werden der Flaneur und Tourist von sogenannten „vormodernen Figuren der Bewegung”19 noch einmal abgegrenzt: vom Nomaden mit seiner Wüstenexistenz, seinen Fami-lientraditionen und Geschichten sowie dem Pilger, der sich in der Ent-fremdung zwischen seiner eigenen Welt und der, auf die er hoff t, befi ndet und sich in seinem Unterwegssein auf die Suche nach der Wahrheit und dem Sinn seines Lebens begeben hat.

In früheren Arbeiten hingegen, so etwa bei der französischen So-ziologin Danièle Hervieu-Léger, wird der Pilger neben dem Konverti-ten noch als eine idealtypische Figur moderner Religiosität gesehen20. Während für die Figur des Konvertiten der Moment der Entscheidung wesentlich ist, steht der Pilger hier „als Sinnbild für eine moderne, durch Beweglichkeit der Glaubensvorstellungen und Zugehörigkeiten charakterisierte Religiosität”21, die von Individualität und Unverbin-dlichkeit in Bezug auf die Gemeinschaftszugehörigkeit gekennzeichnet ist. Mit Recht konstatiert hierzu der Mainzer Pastoraltheologe Philipp Müller: „Ist die Figur des Pilgers eine idealtypische Form moderner Re-ligiosität, dann sind das heutige Pilgern und Wallfahren deren konkre-te Verwirklichungsformen”22. Zugleich gibt Müller zu bedenken, dass

„der christliche Glaube von seinem Selbstverständnis her auf Verbin-dlichkeit und damit eher auf Herveusche Figur des Konvertiten als die des Pilgers ausgerichtet”23 sei. Und er fragt sich, „wie angesichts der modernen Pilgermentalität der christliche Glaube so angeboten werden kann, dass dieser seine Identität bewahrt und Menschen sich

gleichze-18 „Der Tourist scheint zu dem Lebenstypus im Zeitalter der Globalisierung zu avan-cieren” (Manemann, Exil und Heimat, 65, worauf sich auch die folgenden Ausführungen beziehen); ähnliche Aussagen fi nden sich bei Michael Stausberg, Religion und moderner Tourismus, Berlin 2010, 27, der sich hier auf die Vorarbeiten von Zygmunt Baumann, From the Pilgrim to Tourist – or a Short History of Identity, in: Stuart Hall / Paul Du Gay (Hg.), Questions of cultural identity, London 1996, 18–36 beruft.

19 Manemann, Exil und Heimat, 66.

20 Vgl. Danièle Hervieu-Léger, Pilger und Konvertiten. Religion in Bewegung (Reli-gion in der Gesellschaft 17), Würzburg 2004, 59–79, aufgegriff en bei Müller, Volk Gott es unterwegs, 376.

21 Hervieu-Léger, Pilger und Konvertiten, 81.

22 Müller, Volk Gott es unterwegs, 377.

23 Müller, Volk Gott es unterwegs, 377.

itig ohne vorschnelle Vereinnahmungstendenzen in der ihnen eigenen Suchbewegung geachtet wissen”24.

Nun haben aber andere französische soziologische Studien heraus-gestellt, dass auch der Pilger an sich heute keine einheitlich homogene Größe mehr darstellt und er selbst wieder einer eigenen Pluralisierung in der Typenbildung unterliegt. 2003 hat Sylvie Rebillard im Rahmen einer empirischen Untersuchung vier abendländische Pilgertypen unter-schieden: erstens den traditionellen Pilger, der sich als christlich beken-nt, zweitens den mystischen oder metaphysischen Pilger aus der Gruppe derjenigen, die auf der Suche sind, ohne sich speziell als christlich zu bez-eichnen, dritt ens den touristischen Wanderer mit Interesse am Patronat des Ortes, seiner Geschichte, an der Landschaft, ohne genuin religiöses Interesse und viertens den sportlichen und abenteuerlustigen Wanderer, der eine körperlich-sinnenhafte Erfahrung am Ort des Mythos sucht25. Zur Typologisierung innerhalb des Pilgers tritt dann in neueren franzö-sischen Studien eine Unterscheidung von verschiedenen Wallfahrtstypen hinzu, die sich zum Teil mit den Pilgertypen deckt. Hier diff erenziert man zwischen der traditionell religiösen Wallfahrt (pèlerinages religieux), der touristischen (pèlerinage touristique26) und der säkularen Wallfahrt (pèleri-nage séculier27). Mit dem letz tgenannten Phänomen werden Pilgerströme zu nationalen „Heiligtümern”, politischen Erinnerungsstätt en, aber auch zu Grab- oder Wirkstätt en von Stars (z.B. Michael Jackson pilgrims on pil-grimage to Graceland/Neverland) mit eigenen Wallfahrtskalendern, Riten (z. B. Candlelight-Vigilien) bezeichnet28. Über solche säkulare Erinnerun-gsorte werden ähnlich wie bei traditionellen Wallfahrtsorten religiöse, nationale und auch kulturelle Identitäten gestärkt.

Eine neuere Variante der Pilgertypologie setz t bei der Biographie an.

Christian Kurrat diff erenziert auf der Grundlage seiner narrativen In-terviews auf dem Jakobsweg zur biographische Bedeutung des Pilgerns fünf Pilgertypen: (1) den Typus der biographischen Bilanzierung bei Menschen in der letz ten Lebensphase, die auf dem Pilgerweg Rückschau auf ihr Leben halten, (2) den Pilgertypus der biographischen Krise, der sich etwa aufgrund eines Schicksalsschlages auf den Weg macht, um die Lebenskrise zu bewältigen, (3) den Typus der biographischen Auszeit,

24 Müller, Volk Gott es unterwegs, 377.

25 Vgl. hierzu ausführlich Sylvie Rebillard, Étude réalisée à la demande des CRT Aqui-taine et Midi-Pyrénées, 2003, zit. bei Liogier, Pèlerinage touristique, 337 u. 343.

26 Vgl. Liogier, Pèlerinage touristique, 335.

27 Vgl. Frank Frégosi, Pour une sociologie des pèlerinages séculiers contemporains.

Essai de typologie, in: Social Compass 59 (2012), 311–323, hier 313.

28 Vgl. Frégosi, Pèlerinages séculiers, 318–319.

welcher diejenigen umfasst, die aufgrund von Stress und Alltagsbela-stung des Individuums auf einem Pilgerweg der tieferen Frage des Le-bens nachgehen möchten, dann (4) den Typus des biographischen Über-gangs bei Menschen, für die das Pilgern zum rite de passage wird, um sich auf eine bevorstehende Veränderung vorzubereiten und schließlich (5) den damit verwandten Typus des biographischen Neustarts, mit dem eine Leidensphase im Leben abgeschlossen wird und ein neuer Beginn in eine off ene Zukunft möglich werden soll29.

Es liegt auf der Hand, dass diese Pluralisierungs- und Individualisie-rungstendenzen im Bezug auf Menschen unterwegs zu heiligen Orten in Zukunft mehr als bisher in die Pilgerpastoral miteinzubeziehen sind. Da aber das Phänomen des Pilgerns heute allgemein unter die Zeichen der Zeit eingestuft wird,30 gilt es neben dieser mehr soziologisch orientierten Analyse der Situation und des Phänomens an sich, wie bei allen Zeichen der Zeit auch dieses Phänomen im Licht des Evangeliums zu deuten, um es, mit „Gaudium et Spes” gesprochen, „auf wirklich humane Lösungen”

(GS 11) hin zu orientieren. Für unsere Frage nach einer solchen evan-geliumsgemäßen Vergewisserung der Pilgerpastoral, die im Speziellen den Individualpilger mitberücksichtigt, würde sich ein Rekurs auf das Zusammentreff ens des Apostels Philippus mit dem Äthiopier in Apg 8, 26–40 anbieten.

4. Biblische Seelsorge auf dem Weg in der Zuwendung