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Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, 15 Januar 1905, 14. Band, Heft 1

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Der Bezugspreis beträgt im Buchhandel und bei der Post jä h rlic h 10 M ark.

Alle Rechte Vorbehalten.

Monatsschriften der C. 6. XIV. Band. Heft I .)

JVIonatshefte

der

Comenius-Gesellschaft.

Herausgegeben von Ludwig Keller.

V ie r z e h n te r J a h r g a n g . ^ V -

19Q.5 • *

Erstes Heft.

> -

**■

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4.

Berlin 1905.

W e i d m a n n s c h e B u c h h a n d l u n g .

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Inhalt.

Seite

W i l l y P a s t o r , B erlin, G ustav Theodor Fechner und die W eltanschauung der A l l e i n s l e h r e ... 1 A d a lb e r t v o n H a n s te in (-J-), D er Staatsgedanke in der dramatischen

L ite ra tu r um die M itte des 19. Jahrhunderts (A u s dem N achlaß) . . 20 L u d w ig K e lle r, Die maurerischen Sozietäten und die moralischen W ochen­

schriften ... 43 B e s p r e c h u n g e n u n d A n z e i g e n ... 50

A d o l f L a n g g u t h , C h ristia n H iero n y m u s E sm a rc h u n d d er G ö ttin g e r D ic h terb u n d . (P au l H ohlfeld.) — A r c h i v f ü r R e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t . H rsg . v. A lb re c h t D ieterich . L e ip z ig , T e u b n e r, B d. V I I I . (G . F .) — R e a l e n c y k l o p ä d i e f ü r p r o t e s t a n t i s c h e T h e o l o g i e u n d K i r c h e . 3. Aufl. B d. X IV . (G . F .) — D e u t s c h l a n d . M o n atssch rift fü r d ie gesam te K u ltu r. H rsg . von G raf von H o ensbroech. B d. I I I . (G . F.)

B e m e r k u n g e n u n d S t r e i f l i c h t e r ... 55

S ind die W o rte H um anism us u n d H u m a n itä t als K am pfrufe e n tw e rte t? — I s t der H um anism us eine S chule d e r A skese o d e r des L ib ertin ism u s? — I s t die W e lta n sc h a u u n g des H um anism us p a n th c istisc h ? — Ü b er d as Sym bol d e r Sonne in den K u ltg e se llsc h aften d er A n tik e. — Das Z eich en des P o rtik u s (L oggia) in den p la to n isch e n A kadem ien. — D er h. J o h a n n e s als S c h u tz p a tro n in den ä lte re n A kadem ien. — L u th e rs A n sic h t ü b e r „D ie W eish e it d er G riech en “. — L o u ise vo n C oligny u n d d er T o leran zg ed an k e. — B eziehungen d e r H o h en zo llern zu den b ö hm ischen B rü d ern . — Die Sozietäten des 17. u n d 18. J a h r h u n d e r ts als S chulen v a te rlä n d isc h e r G esinnung. — D ie Z u rü c k d rä n g u n g d er d eu tsch en S o zietäten d u rc h die en g lisch e S o zietät im 18. J a h r h u n d e r t. — D er E id d er L a z a ru s - B itte r u n d d er O rdens-E id d e r T em p elh errn . — D ie S ocietas Philo-M usicae et A rc h ite c tu ra o in L on d o n . — D er p reu ß isch e S ta a tsm an n F . G. Scheffner ü b e r den M au rerb u n d .

Ziele und Aufgaben der Comenius- Gesellschaft.

Die C. G. h a t den Zw eck, die E ntw icklung d er religiös-philosophischen W eltanschauung der abendländischen V ölker zu erforschen und dam it die Geistes- G eschichte zum R ange eines selbständigen W issensgebietes zu erheben.

Die C. G. b eab sich tig t insbesondere, die W eltanschauung nnd die G rundsätze des Comenins und d er com enianischen G eistesrichtnng, d. h. die G rundsätze der H um anität und des Hum anism us und die Geschichte der K u ltgesellschaften, die deren T rä g e r w a re n und sind, w issenschaftlich zu untersuchen nnd k larzu ste lle n .

Die C. G. h a t sich die A ufgabe g e s te llt, in diesem G eiste bildend nnd erziehend a u f das h eutige Geschlecht zu w irk e n und zugleich eine W issenschaft d er V olkserziehung (S o z ia l-P ä d a g o g ik ) als selbständigen W issenszw eig zu

begründen. ___________

Jahresbeiträge gehen an das Bankhaus Molenaar & Co., Berlin C., St. Wolfgangstrasse.

Die Austrittserklärung muß drei M onate vor Schluß des K alenderjahrs erfolgen widrigenfalls der B eitrag noch für das folgende J a h r fällig bleibt (§ 4 d. Satzungen).

Satzungen, W erbeschriften und Probehefte versendet auf A nfordern die Geschäfts­

stelle der C. G., Berlin-Charlottenburg, Berlinerstrasse 22.

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Die M onatshefte d e r C. G. erscheinen im Januar, März, Mai, Septbr.

und November. Die M itglieder erhalten die Hefte gegen ihre Ja h res­

beiträge. Bezugspreis im B uchhandel und bei d er P ost M. 10,—.

E inzelne Hefte M. 2,—. N achdruck ohne E rlaubnis untersagt.

Gustav Theodor Fechner

und die Weltanschauung der Alleinslehre.

Von

W illy P a s t o r in Berlin-W ilmersdorf.

F ü r die Geschichte der Landschaftsm alerei g ibt es eine A rt Pegelverm erk, der uns über den jeweiligen Stand der Entwicklung eine schnelle und sichere Auskunft erteilt. Das ist die Höhe des A ugenpunktes, von dem aus die Maler ihre Landschaft betrachten. Es ist überraschend, m it welcher E inm ütigkeit sich die Meister der F rühkunst für einen tiefen G esichtspunkt ent­

scheiden, und wie dieser G esichtspunkt dann m it der Fortbildung der Kunst langsam em porsteigt. Es kom m t m ehr Himmel auf das Bild, m ehr Tiefe, m ehr Freiheit des Horizontes. Selbstver­

ständlich gibt es D ichter auch in den frühen, und Routiniers auch in den reifen Zeiten. Aber das ist wohl gew iß, daß die Kunst, die uns am w eitesten aus der Enge d'es Alltags hinaus­

fü h rt, am stärksten uns k rä ftig t für das Leben und seine Auf­

gaben, die K unst des w eiten Horizontes, des hohen Augenpunktes ist. Und ganz gewiß kein Zufall ist es, daß m it dem E in tritt des germ anischen Elem entes in die Landschaftskunst, m it den Holländern, die Aussicht frei und tief wird.

M o natshefte d er C. G. 1906. 1

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2 Pastor, Heft 1.

In der Geschichte der Geisteswissenschaften ist es nicht anders als in der Geschichte der K unst, und in der Geschichte der Philosophie gar, von der alle, wenn wir den Begriff Philosophie nur richtig fassen, alle anderen geistigen Betätigungen ausstrahlen, zeigt sich das langsam e Steigen zur Höhe in w underbarer Klar­

heit durch alle K ulturen und Jah rhun derte hindurch. Es gibt Philosophen des tiefen Augenpunktes, tüchtige M eister in ihrer Art, beredte Verkünder eines ernsten Strebens. Aber sie haben die engen Fesseln einer örtlichen und zeitlichen Befangenheit nicht abgestreift. Die Geschichte der Völker verzeichnet ihren Namen und ihr W erk, nicht die Geschichte der Menschheit. Da ist jener größere H orizont, in dem die Blicke sich w eiten, erste Voraussetzung. Der Himmel und seine Sterne müssen sich aus- breiten über die Gedanken der Männer, die der Menschheit etw as sind. Und über unsere Seele w ölbt es sich in solchen U nerm eßlichkeiten, wenn wir die Namen der wirklich großen Denker hören, der alten Inder, der P lato, der Spinoza, oder auch, in bescheidenerem M aße, der Giordano B runo, der italienischen und deutschen Humanisten.

Dicht hinter uns liegt eine Z eit, in der das Denken der m eisten zurück gehalten wurde auf einem tiefen Gesichtspunkt.

Der Name Darwin bezeichnet die Macht, die h inter alledem stand, und das „N aturgesetz“ vom Kampf ums Dasein w ar das Medium, durch das die Macht zur W irkung kam. Wenn irgendwo, läß t sich bei diesem sogenannten Gesetz die B ehauptung örtlicher und zeit­

licher B eengtheit nachweisen. Vergegenwärtigen wir uns die Zeitum stände, das K ulturm ilieu, das dem Darwinschen Entw ick­

lungsgedanken eine eigene Färbung gab. Die englische Industrie, damals wie heute noch das w ichtigste Organ im englischen Staatsorganism us, befand sich in einer Umwandlung. Das m ittel­

alterliche System zünftiger Arbeit w ar verlassen, aber das neue der F abrikarbeit bestand noch nicht, und das Übergangsstadium des M anufakturbetriebs durchschütterte den großen S ta ats­

organismus m it all jenen Schauern und Schrecken, die eben Übergangsstadien eignen. Auch solche Zustände pflegen ihren gedanklichen Ausdruck zu finden, und in England fanden sie ihn in der berühm ten, berüchtigten Lehre des Nationalökonomen Malthus. Die Theorie dieses Mannes kann wohl als bekannt vorausgesetzt werden. Sie versucht das Ungeheuerliche, die verworrenen Verhältnisse jener Übergangszeit unter den Gesichts-

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punkt des Bleibenden, unentrinnbar Naturgesetzlichen zu bringen.

Die W eltgeschichte wurde um gedeutet zu einer Art Stellenjägerei im g roßen, das Angebot menschlicher Geburten sollte bei weitem die Nachfrage vakanter Stellen übertreffen, und wenn unter solchen Voraussetzungen eine Änderung zu erw arten war, so war es eine Änderung zum Bösen. Immerhin beschränkte Malthus sich auf die menschliche Gesellschaft. Die N atur und ihre Freiheit ließ er u nang etastet, er gab eine Lebensauffassung, keine W elt­

anschauung. Darwins W erk w ar es, diese letzte Erw eiterung geschaffen zu haben. Er h a t „die Lehre des M althus auf das ganze animalische und vegetabilische Reich übertrag en“ .

Die Zustände menschlicher Arbeitsweise, die uns die M althus- lehre im Spiegelbilde zeigt, haben sich allgem ach geändert.

Koalitionen verdrängen die Konkurrenzen, und nur natürlich ist es, daß die Nationalökonom en je tz t endlich auf die Fehler des M althus aufmerksam werden. H e n r y G e o rg e („F ortsch ritt und Arm ut“) h at die grundsätzliche Bekäm pfung der alten Irrlehren ernstlich aufgenommen. W as bisher noch nicht genugsam beto nt wurde, ist das Unzulängliche der M althusschen G rundbehauptung, daß nämlich in jedem Volke, nach Darwins Erw eiterung in jeder A rt, ohne äußere Hemmung m ehr Einzelwesen geboren würden, als fortleben könnten. Die S tatistik weiß n ac h g era d e, daß die Vermehrung der einzelnen Völker durchaus nicht in irgendw elcher m athem atischen Progression mechanisch vorw ärts geht, daß viel­

m ehr irgendwelche geheimnisvollen Ursachen das eine Volk fruchtbar m achen, indes ein anderes aus gleich verborgenen Gründen langsam hinsiecht. Welche Anstrengungen wurden gemacht, einzelne N aturstäm m e oder die Überlebenden einer der­

einst mächtigen T ierart zu erhalten! Umsonst. Die Praxis widerlegte Malthus, und die Praxis widerlegte Darwin.

Der Augenpunkt steigt langsam. Es ist bezeichnend, welche Mühe sich einsichtige Darwinisten geben, das Gesetz vom Kampf ums Dasein nach Möglichkeit aus dem Gesamtwerke Darwins zu eliminieren. Aber noch niemals wurde durch eine bloße Ver­

neinung etwas Positives geschaffen. Darwin minus M althus: das ist keine Zauberform el, die uns neue Weiten freilegen könnte.

Einen einheitlichen Namen wollen wir hören, ein einheitliches, in sich geschlossenes W erk sehen.

Nun, wir haben einen solchen Namen und ein solches W erk.

Die Lebensarbeit des Philosophen F e c h n e r führt den, der willig 1*

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4 Pastor, Heft 1.

folgt, auf jene höchsten Höhen des G edankens, die uns unsere größten Geister, die wenigen berufenen Verkünder der Alleinslehre, bisher erschließen konnten.

* *

*

Herman Grimm beginnt sein Buch über Rafael m it einer Geschichte des Rafaelschen Ruhmes. Das ist ein guter Anfang, denn die Ruhm esgeschichte eines großen Mannes pflegt eine gedrängte W iederholung seiner Lebensgeschichte zu sein, nur in größeren, w eiterhin lesbaren Zügen, befreit von irdischen Zufällig­

keiten.

Die Fechnersche Ruhmesgeschichte und ihr Verhältnis zu Fechners Lebensarbeit ist ein beredtes Beispiel dafür. W as dem Namen dieses Mannes zuerst einen guten Klang verlieh, waren einige exakt wissenschaftliche Arbeiten, die m an nam entlich ihrer methodologischen Akkuratesse willen schätzte. Die „Elemente der Psychophysik“, und in zw eiter Linie die „Vorschule der Ä sthetik“ w aren die H auptw erke dieser Art. Man nahm sie als die Äußerungen eines im Experim entellen selten begabten Forschers, und als solche erkannte m an sie ohne R ückhalt an. In den Hörsälen wurde ihr wesentlicher Inhalt gelehrt und im staatlichen Examen dann geprüft. W as aber in keinem Hörsaal vorgetragen und noch weniger im Exam en abgefragt wurde, das waren einige philosophische Schrullen, die derselbe nüchterne Fechner einst in Form eln gebracht hatte.

Daß man auf diese sogenannten Schrullen aufmerksam wurde und anerkannte, daß sie zum indest einen recht wesentlichen Teil der Fechnerschen Lebensarbeit bildeten, das bezeichnet den zweiten A bschnitt in der Ruhmesgeschichte Fechners. Philosophische Ideen pflegen zunächst in kurzen Schlagworten bekannt zu werden.

Das für Fechner geprägte Schlagw ort lautete, daß Fechner der Mann sei, der gesagt habe, d ie S t e r n e s e ie n le b e n d e W e s e n . Eine ungeheuerliche B ehauptung für a le in der K ant-Laplaceschen W eltanschauung und einer mechanistischen Auffassung des Alls Herangewachsenen. Und da der bekannte und anerkannte Psycho- physiologe Fechner dem hergebrachten Urteil als ein Virtuos der mechanistischen Forschungsweise g a lt, kam m an zu einer m erk­

würdig dualistischen Auffassungsweise, einer Zweiseelen-Deutung, die wie eine unaufgelöste Dissonanz keinen Menschen befriedigen konnte.

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Heute erst erleben wir es, daß diese Auffassung langsam verblaßt, daß der Ruhm Fechners in ein drittes Stadium tritt, in dem m an ihn verstehen lern t als einen in sich geschlossenen Geist, der ein festes, zuverlässiges Gedankengebäude errichtete, in dem es sich wohl hausen läßt, und dessen Zinnen jene wundervollen Aussichten erschließen. Nicht im W iderspruch stehen die „exakten“

und die „phantastischen“ A rbeiten, sondern in steter Ergänzung, und nicht bloße Schrullen sind die Phantasien des Philosophen, sondern W irklichkeiten höchster Art, die, wie sie einen Forscher zu strengster W issenschaftlichkeit befähigten, auch uns im Leben weiterhelfen könnten.

In derselben Unklarheit, wie der junge Fechnersche Ruhm, setzte auch die eigentliche Lebensarbeit des Philosophen ein.

Derselbe schrille, dissonierende Dualismus und dasselbe langsame Sieh- durcharbeiten zu bestim m teren einheitlicheren Verhältnissen. Eine große Reihe streng wissenschaftlicher Arbeiten, teils orientierender, teils kritischer N atur (die Biographie Fechners von J. E. Kuntze gibt im Anhang ein genaues Verzeichnis) leitet das große Register der Fechnerschen Schriften ein. L auter höchst ehrwürdige, bibliotheksfähige Titel. Mit einigem Erstaunen gew ahrt man m itten in diesen Reihen einige anders geartete, nichts weniger als gelahrt klingende Überschriften: „Beweis, daß der Mond aus Jodine bestehe“, „vergleichende Anatomie der Engel“und ähnliches.

Und dam it der Dualismus vollkommen sei, erfahren wir auch noch, daß Fechner sich bei der Herausgabe dieser frem dartigen Arbeiten des Decknamens eines Dr. Mises bediente. S pät erst verschwindet dieser Name. Gleichzeitig aber werden die phantastischen Titel minder phantastisch und die abstrakten minder abstrakt. Die große Synthese h a t sich vollzogen, der W eltweise h a t den Gelehrten in seinen Dienst gebracht und beide arbeiten gemeinsam ihrem großen Ziele entgegen.

Wie sollen wir uns diesen seltsam en W erdevorgang erklären?

Es ist leider noch immer Mode, die Unterlagen für eine rein geistige Lehre, eine W eltdeutung in den „zufälligen“ äußeren Lebensumständen zu suchen, die der Verkünder der betreffenden Lehre durchzumachen hatte. Nichts leichter, als einen solchen Zusam m enhang zwischen äußerem und innerem Erleben bei Fechner nachzuweisen. Die ersten Schriften, die Fechner herausgab,

„Beweis, daß der Mond aus Jodine bestehe“ und „Panegyrikus der jetzigen Medizin und N aturgeschichte“ (1821 und 22, Dr. Mises

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6 Pastor, Heft 1.

gezeichnet), sind bittere Satiren auf die medizinische Forschung der dam aligen Tage. Sie sind leicht gedeutet als die Äußerungen des enttäuschten jungen D oktors, des Pfarrersohnes, der im medizinischen Studium so viel zu finden hoffte und so wenig fand.

Philosophische und naturw issenschaftliche Arbeiten folgen. Der im tiefsten Innern religiöse Drang des jungen Forschers ist wieder rege geworden und sucht auf anderen W egen nach Erkenntnis.

Dann plötzlich wieder zwei tolle M ises-Schriften: „Stapelia m ix ta “ und „vergleichende Anatomie der Engel“. Die Biographie Fechners lä ß t uns auch das m aterialistisch-äußerlich erklären. Die frei­

literarischen A rbeiten, m it denen der m ittellose Philosoph sich durchschlagen m ußte, bringen ihn in B erührung m it einer Anzahl Bohem enaturen. Einer dieser Bohemiens, eine bizarre, fast Hoff- mannsche G estalt, m acht auf ihn einen tiefen und nachhaltigen Eindruck. Das launenhaft Genialische dieses „verdorbenen Genies“, das Antim ethodische, alle strenge W issenschaft Verachtende erklärt den Ton dieser Arbeiten.

So ließe sich w eiter schließen von Fall zu Fall, bis zu der großen und entscheidenden K rankheit, die Fechner in seinem besten Leben überfällt, und nach der dann endlich die Synthese eintritt.

Aber was wäre m it einer solchen Erklärung, die überall nur den Zufall sieht, eigentlich gewonnen? W enn wir schon einmal vom äußeren Erlebnis ausgehen wollen: wie unendlich viele Möglich­

keiten des Erlebens und Erfahrens boten und bieten sich einem jeden von uns. Und sollte die Auswahl, die in jedem Falle ge­

troffen wird, und zu der unser unm ittelbares Bewußtsein nur das Allerwenigste hinzutut, bloß auf Zufälligkeiten beruhen? Das m üßte fürw ahr ein ärmliches, erbärmliches Dasein bedeuten, das sich so „von den Ereignissen schaukeln“ ließe! Man kann die Lehren, die von uns ausgehen, als die R esultanten einer Reihe von Erfahrungen auffassen, kann jede einheitliche philosophische Lehre deuten als die Diagonale gleichsam eines verwickelten Kräftepolygons. Aber auch die um gekehrte Deutung läß t sich geben: daß nämlich rein geistige Mächte, die in uns gelegt sind, das äußere Leben beherrschen, daß sie uns die Ordnung der Er­

lebnisse vorschreiben. Und sehen wir recht zu, so ist der Gegensatz dieser beiden Erklärungsarten derselbe wie der zwischen einem tiefen und einem hohen Gesichtspunkt. Der W irrw arr der Erlebnisse am Anfang, und die geistige Erkenntnis als bloßes A usscheidungsprodukt: das ist dasselbe, wie der sinnlos in den

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Zufälligkeiten einer Art wütende Daseinskampf, der es ohne jedes höhere Zweckbewußtsein und ohne übergeordneten Willen zu höheren und immer höheren A rten bringen soll.

„Nicht ich denke, sondern es denkt in m ir“: der Mann, der das niederschreiben konnte, will m it anderem Maß gemessen werden. Er verlangt nach Einordnung in die große Geschichte der menschlichen Geistesentwicklung überhaupt. Versuchen wir das, so stellt sich uns jener ganze merkwürdige Gegensatz zwischen Mises und Fechner, der das Grundproblem in der Gestaltung der Fechnerschen Lehre bildet, doch wesentlich anders dar.

Die Geschichtsschreiber unterscheiden gern bei der Schilderung der alten K ulturzustände zwischen nomadischen und seßhaften Völkerstämmen und betonen, daß der nomadische Zustand dem des Ansässigseins vorangegangen sei. Der Psychologe h a t das R echt, einen ähnlichen W andlungsvorgang im Aggregatzustand gleichsam auch bei der Gedankenbildung zu behaupten. Überlegen wir uns doch, wie etw a ein Buch zustande ko m m t; wie die Gedanken erst „intuitiv“ , schweifend, unfest in unserem Geiste nom adisieren; wie sie dann langsam ansässig werden, bestim mtere, methodischere Form annehmen. Oder denken wir an ein Kunstw erk; an die verschiedenen M etam orphosen, die es von den ersten ungefähren Skizzen bis zum ausgeführten Gemälde durchzumachen h a t, und die gleichfalls jene Marschroute streng innehalten. Ist das nicht genau, aber auch genau derselbe Weg, der vom gedankenspielenden Mises zum W eltweisen Fechner fü h rt? Und gew innt hier das Gesam twerk Fechners, dem man bei jedem einzelnen Buch so gerne Nachlässigkeiten der K om position, Mängel einer strengen Methode (im literarischen Sinne) nachweist, nicht eine M onum entalität und Geschlossenheit geradezu einziger A rt?

Die Scherze des „Dr. Mises“ haben für den, der den ganzen Fechner ken n t, etwas Ängstliches, sich Entschuldigendes. Ernste B ekenntnisse bergen sich hier in das Narrenkleid des Witzes.

Man muß sich erinnern, wie allein, wie w eltverlassen allein der junge Fechner m it seinen Ideen unter den Gebildeten damals stand. H ätte er diese Ideen gleich anfangs als feste Behauptungen hinausgestellt, es w äre über sein Credo ein gelehrter Sturm hingebraust, dem es schwerlich standgehalten hätte. Aber wie die Narren am alten Hofe ungestört die W ahrheit sagen durften, ließ man diesen Dr. Mises lächelnd seine Phantasien

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8 Pastor, Heft 1.

über Sternenengel, über G ott und über das Jenseits vortragen.

Im selben Maße, als dann die Ideen in Fechner selbst fester wurden, wurden die Züge der scheinbaren Narrenw eisheit ernster, bis dann im „ B ü c h l e in v om L e b e n n a c h d e m T o d e “ offenbar wurde, welcher P rophetengeist in M ises-Fechner wohnte.

* *

*

In zwei W erken gravitiert die Fechnersche Lebensarbeit:

„ N a n n a “ und „ Z e n d - A v e s t a “. Bei ihnen muß die B etrachtung verweilen, und m it ihrem Studium beginnt am besten, wer den Weg in das Reich Fechners sucht.

N anna (das Buch erschien im Revolutionsjahr) ist der Name der indischen B lum engöttin, der G öttin Baldurs. Im Vorwort erzählt Fechner, wie er anfangs schw ankte zwischen diesem Titel und den Titeln „F lora“ und „H am adryas“. Die Bezeichnung ist ihm m ehr als ein bloßes Symbol. Die moderne W elt blickt lächelnd auf die Mythologien vergangener Zeiten zurück. Sie sind ihr M ärchen, Dichtung. Fechner w eiß, daß die größten D ichter jener Tage zugleich die größten Gelehrten ihrer Zeit w aren, daß ihre Gesänge und Sagen nicht weniger wissenschaft­

liche Forschung sind als künstlerische Phantasie. Eine W elt­

anschauung rang nach Ausdruck in den G estalten einer Dryas und einer Nanna. Es w ar die W eltanschauung der A lten, die auch die W eltanschauung des natürlichen, noch unverbildeten Menschen ist. Sie schien Fechner die beste Fürsprecherin für seine Behauptungen.

Selbstverständlich ist Fechner darüber nicht einen Augenblick im unklaren, daß die Berichte über alte W eltanschauungen, wie sie uns heute vorliegen, getrü b t sind durch das Medium der dazwischen liegenden Jahrtausende. In jedem Märchen steck t ein Teil W elt- und M enschenkenntnis reinster Art. Aber die Märchen sind uns nicht in ihrer eigenen G estalt überliefert worden. Sie sind durch die Spinnstuben gegangen, sie haben sich lange Ja h r­

hunderte um hergetrieben in allen möglichen W ink elstätten , und so lange wir nicht die Jahrhunderte niederreißen können, die uns von ihnen trennen, so lange wissen wir nichts auszusagen vom G eist der alten Märchen. Die Jahrhunderte und Jahrtausende in diesem Sinne niederzulegen, das ist Fechners sehnlichstes Verlangen.

Was h a t uns nun der Inhalt des Nanna-Buches an Erkenntnissen zu verm itteln?

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Der U ntertitel lautet: „über das Seelenleben der Pflanzen“.

E r deutet die B ehauptung des Buches an. Daß die Pflanzen beseelte Wesen seien, ist für die W eltanschauung des natürlichen, noch unverbildeten Menschen, etwas schlechthin Selbstverständliches. Noch in der griechischen Mythologie ist diese Überzeugung, freilich anthropom orphisiert, lebendig im Dryadenglauben. Dann kam der Zug in die S ta d t, in der sich die W itterung für das Seelenleben in der N atur m ehr und m ehr verlor. Man fand, daß nur die Menschen und Tiere, ja

„eigentlich“ nur die Menschen beseelte Wesen seien. In der Kirche wurde der Hochmut des alleinbeseelten Menschen ein Dogma, das eine Generation der anderen verm achte. So begreift es sich w ohl, daß der G elehrte, der zum ersten Mal einer solchen Irrlehre entgegentrat, w eit ausholen m ußte.

Fechner tu t es. Die Grundfrage, von der er ausgeht, lau tet:

„welche Erscheinungen und Prozesse veranlassen die Wissenschaft, vom Vorhandensein eines Seelenlebens in allen menschlichen und tierischen Leibern zu reden?“ Er stellt die Antworten zusammen.

Der zweckmäßige Bau der K örper, das Ineinandergreifen und -arbeiten der einzelnen Teilorgane, die Kom bination des Ganzen m it den jeweiligen Außenbedingungen.

Einerlei, ob man die Summe dieser Erscheinungen fassen will als das zufällig geratene P rodukt unzähliger Fehlversuche, oder ob die „Teleologen“ recht haben; jedenfalls ist m an sich einig darin, daß diese gu t funktionierenden Mechanismen einen Schw erpunkt haben, und die von diesem Schw erpunkt ausgehenden T ätigkeiten sind uns ein Beweis vom Dasein der Seele.

Wie nun? fragt Fechner, wenn wir im Bau und im Leben der Pflanzen dieselben zweckmäßigen Einrichtungen sich wieder­

holen sehen, wenn sich auch hier die Organe in einen Organismus schicken, wenn äußere Sinnenreize auch bei der Pflanze auf eine Empfindlichkeit treffen, die den Körper sich wunderbar in seine Umgebung einfügen lassen, wenn endlich, das W ichtigste, die Verhältnisse der Fortpflanzung m it einer Feinheit und Zweck­

m äßigkeit organisiert sind, die selbst einige analoge Verhältnisse des Tierlebens übertreffen: ist man dann nicht berechtigt, von einem Seelenleben auch der Pflanzen zu reden?

Und nun stellt er jene Beobachtungen zusamm en, die seine

„N anna“ mindestens zu einer unserer liebenswürdigsten literarischen Erscheinungen machen. Ein Beispiel: „Ich sah neulich meine F rau

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10 Pastor, Heft 1.

eine Pflanze m it dem Erdbällen aus dem Blumentöpfe heben, und bew underte es, wie die Pflanze den Erdbällen so vollständig bis ins Feinste durchw urzelt, jedes Fleckchen Erde auszubeuten versucht h a tte ; und wie unter der Erde war es über der Erde.

E rst w ar die Pflanze in Zweigen auseinandergefallen, und dann h a tte sie die Zwischenräume m it Zweigelchen und B lättern gefüllt, daß kein bischen L uft ungenossen durchkommen konnte; und an den Spitzen der Zweige h ä lt sie überdies noch die blauen Blümchen dem Lichte entgegen.“

Sollten das die „tauben“ Schnörkel sein, die nach der all­

gemeinen Ansicht ins Blaue hinein wachsen?

E r betrach tet eine W asserlilie, wie sie nachts ins W asser u ntertaucht und sich morgens wieder daraus erhebt: sollte sie die Sonne und das Wasser nicht ebensogut empfinden wie ein F isch? Eine Bergpflanze in ihrer reinen Höhenluft, so w underbar in den engen Kreis ihrer Verhältnisse hineingewachsen, sollte kein Empfindungsleben haben und in ihm nicht irgend ein ge­

m einsames Moment m it der Seelentätigkeit eines Schm etterlings?

Die Tatsache jedenfalls steh t fest: ob sie im Gebirge oder Tal, im Teich oder auf der Heide sich entfalten, immer haben die Pflanzen es verstanden, aufs engste sich in ihre Umgebung einzupassen.

Soweit die „Analogien“ Fechners. Will m an stehen bleiben beim G esichtspunkt der Analogie, so ist sein W erk nicht ohne Vorläufer. Goethe m acht in seiner „Bildung und Um bildung“

botanische Beobachtungen, die sich m it denen Fechners teilweise decken. So, wenn Goethe von den Pflanzen sag t, es sei ihnen

„eine glückliche M obilität und B iegsam keit“ verliehen, um in so viele Bedingungen, die über den Erdkreis auf sie ein wirken, sich zu fügen, und dadurch sich bilden und um bilden zu können“.

Ebenso die B eobachtung, „wie jede Pflanze ihre Gelegenheit sucht, bis sie eine Lage findet, wo sie in Fülle und F reiheit erscheinen könne; Bergeshöhe, Talestiefe, Licht, S chatten, Trocken­

heit, Feuchte, Hitze, W ärme, Kälte, F rost und wie die Bedingungen alle heißen m ögen“.

Man h a t diesen ganzen Kreis von Tatsachen in der Folgezeit dem Gesetz der Anpassung Darwinscher Psychologie unterstellt.

Es läge dam it nahe, den Fechner der Nanna unter die Vorläufer Darwins einzureihen, wie m an das ja bereits bei Goethe getan hat. Aber — wie sagt doch Nietzsche: „Darwin h a t den Geist

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vergessen, das ist englisch“. Er h a t nicht nur den Geist vergessen, er h a t auch die Seele vergessen, und das ist „wissenschaftlich“ . Fechner h a tte den Mut der „U nw issenschaftlichkeit“, das wird ihm jederzeit die gehörige Distanz sichern von einem der m eist über­

schätzten Gelehrten des vergangenen Jahrhunderts. Man m ag Goethe, den B otaniker Goethe, einen Vorläufer Fechners nennen:

m it Darwin aber haben beide nichts zu tun.

Kein P unkt, faßt Fechner seine R esultate zusammen, der der Annahme einer Pflanzenseele w iderspräche, was wir eben Seele nennen nach seinen Äußerungen im tierischen und menschlichen Sinn.

D ie E r d e i s t r e i c h e r a n d ie s e m s e e l i s c h e n , e m p f in d e n d e n L e b e n , a ls d ie G e le h r t e n d e r E r d e d a s z u g e b e n m ö c h te n . Seele ist nicht nur in den wenigen Tieren des Waldes, in den blüten- umschwirrenden K äfern, sondern auch in den Bäum en, die jene Tiere umgeben, den Blumen, um die jene Käfer surren. Seelisches Leben um zieht die flechtenbestandenen Blöcke des Hochgebirgs, und seelisches Leben däm m ert selbst noch in den faulenden W assern stehender Teiche.

H ätte Fechner innegehalten auf diesem Niveau seiner Unter­

suchungen, seine N anna bliebe immerhin ein bedeutendes Buch.

Auf alle Fälle h ätten wir K ünstler Ursache, zu ihm zu halten.

Diese N anna h a t der en tgötterten N atu r, an die wir niemals glauben w ollten, ihr Leben wiedergebracht. Aber Fechner ist vor allen Dingen Gelehrter. Das Vorhandensein einer Seele allein, die Tatsachen ihrer Äußerungen können ihn nicht befriedigen.

Er muß diese Äußerungen in Einklang bringen m it anderen, ihm bekannten wissenschaftlichen Dingen. Auf dem W ege zu diesem Ziele aber findet er die R esultate, die seiner N anna eine funda­

m entale Bedeutung in der Geschichte menschlicher Erkenntnis verleihen.

Als eines der Hauptsymbole vorhandenen Seelenlebens h at man das Ineinanderarbeiten ganzer Organe in einen Organismus erkannt. Seine Art der B etrachtung zw ingt Fechner, nicht nur ganze A rten gegen Arten auszuspielen, sondern auch das Inein­

andergreifen ihrer Funktionen zu verfolgen.

Da nun erschließt sich ihm ein seltsam es Bild. Das ist die w underbare W eise, wie die einzelnen A rten, deren Entwickelung nach moderner W eisheit ein beständiger Kam pf auf Leben und Tod sein soll, einander ergänzen. „Die Wasserpflanze verhält sich anders als alle Fische gegen das W asser, die Bergpflanze anders

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12 Pastor, Heft 1.

als alle Schm etterlinge gegen Luft und Licht. . . Jedes Wesen stellt gleichsam ein anders gestaltetes Sieb d a r, das demgemäß andere Empfindungen aus der N atur aussiebt; und was eines übrig lä ß t, ist noch für unzählige andere d a “.

E r b etra ch tet eine bestim m te physiologische F u nk tio n, das Atmen. Die Pflanzen nehm en den sie nährenden Atem der Tiere in sich auf, die Tiere den durch die Pflanzen gereinigten Atem der Pflanzen. Beide aber, der Atem der Tiere und der Pflanzen, haben ihre Quelle und Mündung in der Atmosphäre. Aus der Atm osphäre kom m t die Luft, die in die Luftröhren und Lungen aller irdischen Geschöpfe eintritt, in ihnen ein- und ausgeht; in die A tm osphäre tr it t sie wieder zurück. Und diese A tm osphäre ist nicht tot.

Bestimm te Gesetze h alten ein ewiges Leben in ihr bewegt. Und wie diese Gesetze selbst, beeinflussen sie erst recht die von ihr abhängigen Wesen. Ganz ohne Bild lassen sich so die Atem­

werkzeuge aller irdischen Geschöpfe annehm en als die ins feinste sich verästelnden Abzweigungen eines einzigen großen, sie alle verbindenden A tem w erkzeuges: der Atmosphäre.

Nun vergegenw ärtige man sich alles, was die N aturw issenschaft uns als sym ptom atisch für seelisches Leben zugibt: spricht die Summe der erw ähnten Erscheinungen nicht deutlich für das Vorhandensein eines Seelenwesens, das über Mensch und Tier und Pflanze hinausgeht, das den ganzen R eichtum der Arten als die einander ergänzenden, zwanglos ineinandergreifenden Organe eines einzigen ungeheuren Organismus in sich fa ß t? Baum und Blume, Tier und Mensch, sie alle sind Geschöpfe der Erde. Man glaubt, die Erde sei to t. A b e r n o c h n ie h a t e in e t o t e M u t t e r le b e n d e K in d e r g e b o r e n . Die Erde ist ein S tern , N aturvölker verehren in den Sternen göttliche* beseelte Wesen. Sie h alten recht m it ihrer Anschauung vom Seelenleben der Pflanzen, tro tz aller M aterialisten: sollten sie nich t vielleicht auch recht behalten m it ihrem Glauben an ein S e e le n l e b e n d e r S t e r n e ?

Diese Lehre vom Seelenleben auch der Gestirne, die kühnste, tiefste, die Fechners W erk uns g ib t, findet sich in N anna noch unausgebildet, aber angedeutet in allen wesentlichen Punkten.

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*

Drei Jah re nach N anna erschien der Zend-A vesta, eine Art Anatomie und Physiologie der in Nanna entdeckten neuen Spezies Sterne. Gab Fechner dort den Blum en, so gibt er hier den Sternen ihre Seele wieder.

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Der Titel ist auch in diesem Falle Glaubensbekenntnis.

Zend-A vesta, lebendiges W ort, deutet auf eine „uralte, fast ver­

schollene, durch Zoroaster nur neu reform ierte N aturreligion“.

Im m er mehr h a t Fechner sich in die Überzeugung hineingelebt, daß die uralte A nsicht, die Körperliches und Geistiges noch so wenig außer dem Menschen als im Menschen zu unterscheiden w uß te, die natürlichste Ansicht der Dinge war. Nur eines war ältesten Religionen entgangen: „die Einigung aller im All, und die K larheit über ihr Verhältnis zum All“. Das C hristentum brachte endlich die Einigung, aber den einen G ott zu erhöhen, entgötterte die Kirchenlehre die W elt. Es gilt, dem Christentum die engen Dogmen zu nehmen, dem Heidentum die kleinlichen Mythen, und das „lebendige W o rt“ wird hörbar. Beides versucht Fechner in seinem Zend-A vesta.

„Das Auge des Menschen h ö rt nicht, was das Ohr, das Ohr des Menschen sieht n ic h t, was das Auge, ein jedes schließt sich für sich ab in seiner Sphäre und tr itt dem ändern selbständig gegenüber; keines weiß etwas vom ändern, keines vom ganzen G eist des Menschen. Doch über Aug’ und Ohren schwebt ein höherer G eist, der zugleich um die Empfindungen von Aug’ und Ohren weiß. So h ö rt und sieht und fühlt und denkt ein Mensch nicht, was der andere, ein jeder schließt sich ab in seiner Sphäre und t r i t t dem ändern selbständig gegenüber; keiner weiß unm ittel­

bar etwas von des ändern G eist, noch von einem höheren Geist, doch schwebt ein solcher über allen Menschen, der um all’ ihr Em pfinden, Fühlen, D enken, W ollen, Wissen zugleich weiß; der Menschengeist schwebt über niederen Sinnen, der Geist der Erde über M enschengeistern, der Geist Gottes über den Geistern aller G estirne.“

Die Sätze entstam m en einem späteren W erke Fechners, einer S treitschrift gegen den B otaniker Schleiden. Aber sie sind viel­

leicht die kürzeste und schönste Form ulierung des Inhaltes seines Zend-A vesta. Man sieht, es ist keine geringe Höhe, die der Philosoph in diesem Stufenbau erklimmt. Von der Seele des Einzelnen zur Seele der A rt, von ihr zur Seele der Arten und dam it des G estirns, von dem es dann bis zum Leben in G ott nur ein S chritt ist.

Die Arten — andeutungsweise tr a t der Gedanke ja schon in Nanna hervor — sind bloße W erkzeuge des Sternes. W as alles in den Arten geschieht, das geschieht in ihnen durch den W elt­

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14 Pastor, Heft 1.

ball. Die Erde denkt im Menschen, sie sieht und h ö rt m it seinen Augen und Ohren, wie m it denen der Tiere, sie empfindet m it der Blume und preßt m it dem Baume neue Sonnen wärm e in sich ein.

Der erste Einwurf, den der m it seiner W eltanschauung nicht V ertraute hier e rh eb t, ist der: wie kann die Erde so viel Ver­

schiedengeartetes als eine Einheit benutzen? Ein bestim m tes Beispiel zu nehm en: wie vermöchte der P lan et aus den Bildern unserer Augen ein einheitliches Bild des Geschauten gew innen, da doch noch nicht zwei Augenpaare genau das gleiche Bild w ahrnehm en?

Doch Fechner h ält dem entgegen, daß nicht einmal ein einziges Augenpaar ein einheitliches Bild w ahrnim m t. In jedes Auge fä llt ein gesondertes optisches Bild desselben Gegenstandes, und dennoch sehen wir ihn einfach. „Noch schlagender beweisen es die Insekten. Man h a t sich durch direkte Versuche überzeugt, daß ein Gegenstand so viele Bilder im Auge der Fliege gibt, als F acetten daran sind; es ist, als wenn m an einen Gegenstand durch ein künstlich facettiertes Glas b e tra c h te t; aber niem and wird glauben, daß die Fliege den Gegenstand soviel m al wirklich sieht. . . Die Seele vereinfacht ja überhaupt und überall in der Empfindung das physisch Zusam m engesetzte, zieht es sozusagen zusamm en; sehr viele Schwingungen zum Beispiel in e in e n ein­

heitlichen T on “ .

Von dieser Seite also steh t der Annahme Fechners nichts im Wege.

Schwerwiegender erscheint dem künstlerisch empfindenden Verfasser des Zend-Avesta ein anderer Einw urf: das Unästhetische der von ihm entdeckten Spezies W eltball. Ein S tern sollte eine soviel höhere Art darstellen als das genus homo, und ihm doch an Schönheit der äußeren G estalt so unterlegen sein? Da ließe sich denn an die Liebesgeschichte des Satyrs und einer Nymphe erinnern; der Satyr findet das Ohr der Nymphe lächerlich, da es so klein ist und nicht einmal in einen Haarbüschel ausläuft. Oder auch an jene reizende Szene, deren Schauplatz ein entlegener Gebirgswinkel der Alpen sein soll. Es ist dazulande alte Tradition, daß zu einem schön­

gewachsenen Menschen allemal auch ein schön gewachsener Kropf gehört. Ein Reisender m it geradem Halswuchs kom m t in die Gegend. Einer der kleinen Kropfmenschen kann sich nicht be­

ruhigen über diese spaßhafte Erscheinung, bis die M utter ihn ernsthaft verweist: „Sei ruhig, d ie Menschen h a t der H errgott a u c h gem acht“. Der eigene Körper erscheint uns so vollendet,

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der W eltkörper so abscheulich, aber — den W eltkörper h a t der H errgott auch gem acht.

Als positiver Geist h ält Fechner sich nicht lange bei W ider­

legungen auf. Er sucht eine unm ittelbare Bedeutung des Baues der Erde, der S tru k tu r ihrer Einzelteile zu geben, soweit ihm das möglich ist. N icht nur die Arten und ihr Ineinandergreifen will er schildern. Das ist eine Aufgabe, die die N aturw issenschaft leicht bew ältigen w ird, h a t sie sich erst einmal an seine W elt­

anschauung gewöhnt. Aber um auch die zusammenfassenden Organe zu erkennen, die, über uns und alle Tiere hinausgehend, kein genau entsprechendes Bild in unserem Körper haben, das ist eine lohnendere, nur freilich auch viel schwierigere Aufgabe.

Von einem dieser W eltkörperorgane, der Atm osphärenlunge, w ar die Rede. Die Lunge liegt hier nicht im Innern des Körpers.

Die Tatsache kann nicht befremden, wenn w ir uns erinnern, daß ja bereits im Tierreich eingestülpte Atemorgane m it ausgestülpten wechseln (Lungen und Kiemen), und daß dieser W echsel im Großen sich wiederholt beim Gegensatz des Tier- und Pflanzenreiches.

Noch andere Organe zählt Fechner auf und skizziert in andeutenden Linien ihre Umrisse. Er kann hier, wo alles noch schw ankt, nicht deutlicher werden, er m üßte denn an die Stelle wissenschaftlicher W ahrscheinlichkeit phantastische Möglichkeiten setzen. Nur in Bezug auf ein Organ ist er nicht müde geworden, nach immer festeren Vorstellungen zu suchen: das Denkorgan der Erde. Seine Anatomie weniger als seine Physiologie h a t Fechner unablässig beschäftigt. Er w ußte, hier lag der Schwer­

punkt der Frage, hier w ar das Zentrum der Seelentätigkeit seiner neuentdeckten Spezies, von hier aus wurden alle Funktionen geordnet. Bei den anderen Punkten begnügt er sich m it kurzen K apiteln, dieser w ichtigsten Frage ist nicht weniger als ein ganzer Band seiner Zend-A vesta gewidmet.

* *

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Das Problem allein zu stellen, h a t seine Schwierigkeiten.

Analogien müssen es erläutern. Die Erde denkt in uns, wie sie auch in uns atm et. Aber wie sie auch über uns hinaus atm et, denkt sie auch über uns hinaus. Die große Lunge, als deren kleine Verästelungen unsere Bronchien sich darstellen, war die Atmosphäre. In ihrem Hin und Her atm et die Erde und dam it wir selbst. Wo ist das Denkorgan zu suchen, aus dem heraus die großen Gedanken in unsere kleinen Schädel eintreten, um

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16 Pastor, Heft 1.

von dort, ins Kleinste umgeformt, wieder hinauszugehen, Zwecken zu dienen, die unser kleines Seelenleben nicht zu fassen weiß?

Das R ätsel des Jenseits ist es, das Fechner m it diesen Fragen aufgreift. In den A ntw orten, die er b rin g t, findet er nicht nur einen herrlichen Abschluß für sein System , sondern er weist uns auch einen neuen W eg: den W eg ins „dritte R eich“, .das die Versöhnung bringen soll zwischen Christentum und Heidentum — die große Sehnsucht unserer Besten.

W ieder, wie immer bei Fechner, der Ausgang von bekannten Dingen. Zwei den Psychologen bekannteVorstellungen werden heraus­

gegriffen: Anschauung und Erinnerung. Ihr Gegensatz wird uns entw ickelt. Tausend und abertausend Anschauungen gleiten an unseren Sinnen vorüber. W ir nehmen sie w ahr und lassen sie uns verdrängen durch die neuen Anschauungen, die in nie erschöpfter Fülle den alten folgen. Jede neue Anschauung aber, die unseren Sinn gefesselt h ä lt, bedeutet den Tod der vorauf­

gegangenen. Ein ewiges Sterben zieht so an uns vorüber. Doch dem ewigen Sterben entspricht ein ewiges W iedergeborenwerden, eine stete Auferstehung. Was aufersteht, ist nicht das neue, unm ittelbar unseren Sinnen sich aufdrängende Bild (das ist dem alten ja im Grunde frem d), sondern — die Erinnerung. Tief im Innersten unseres Geistes setzt die Erinnerung sich fest und führt d o rt ein zäheres Leben, als die Anschauung, ja vielleicht das Angeschaute selbst es konnte. W ir glauben „vergessen“ zu haben, jahrelang schon. Aber dann plötzlich, unveranlaßt tau ch t es wieder vor uns auf, in einer schlaflosen Nacht, einer stillen Feierstunde, einem Augenblick des Schreckens — die Erinnerung ist nicht to t.

Anschauung und Erinnerung: das ist das Verhältnis des Diesseits zum Jenseits. Täglich, stündlich werden neue Menschen geboren; täglich, stündlich sterben alte. Sind sie darum to t für alle Z ukunft? Wenn es kein Jenseits hin ter dem Diesseits gäbe, ja. Aber so sicher es eine Tradition gibt, in der die Vergangenheit ihre Hand hineinstreckt in das Leben unserer G egenw art, so sicher g ibt es ein Jenseits, dem unser seelisches Leben entgegen­

w irkt. Wie die Anschauungen an unseren S in n en , gleiten w ir selbst m it allen unseren W erken und W esen vorbei am göttlichen Bewußtsein. Aber wie all die vorübergeglittenen An­

schauungen im Erinnerungsleben ihre Auferstehung feiern, so auch kann niemand unter uns, auch der Geringste nich t, ganz sterben. Als Erinnerungsbild, als G eist füh rt er im göttlichen

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H aupte ein jenseitiges Leben. Und so viel m ehr die Erinnerung abzusehen weiß von allen Zufälligkeiten des vor Zeiten An­

geschauten, so viel reiner werden wir im Leben des Jenseits den Sinn unseres diesseitigen Lebens überblicken; worin zugleich die E th ik dieses Lebens liegt.

Doch dam it ist das Leben im Jenseits nicht erschöpft. Die Erinnerungen, in die unser Geist die Anschauungen umformte, liegen nicht als nutzloses Mobiliar gleichsam in unserem Inneren umher. Der Geist fügt sie ineinander, die Seele ist auch hier in W irksam keit. Wie sie ihre große Kunst der Organisation der Organe an allem M ateriellen b e tä tig t, organisiert sie auch die Erinnerungen und baut m it ihnen ihr inneres Reich aus. Un­

ermüdlich bildet und form t sie so das Wesen eines Menschen, seine W eltanschauung, bis schließlich jede kleinste seiner Taten, jede Geste, jeder Blick wie eine bloße Erläuterung jenes Innen­

reiches sich ausnimmt.

Und so das Jenseits. Mensch nach Mensch gleitet vorüber am Bewußtsein des irdischen Geistes (bleiben wir bei dieser Zwischenstufe zwischen Mensch und Gott). Sie erfüllen ihren Lebenszweck, sie bauen ihre Gehirnwelt aus und sterben — um im Jenseits ihre Auferstehung zu erleben. Mit den to ten Menschen und lebendigen Geistern aber gestaltet die Erde ihre eigene, große Gehirnwelt, und aus ihrer großen W elt schickt sie Gedanken in die kleinen Menschenköpfe, wie die Atmosphäre ihre Luft in die Poren der Pflanzen, die Lungen der Menschen und Kiemen der Fische preßt. Wenn dann ein ganz großer Gedanke in solch kleines Menschenhirn gelangt, dann sprechen wir von einer

„Intuition“. Und aus der Intuition heraus bauen wir unsere Pyram iden Und Dome, schreiben wir unsere Bücher, fassen den Gedanken eines transatlantischen Kabels — und haben ein Recht, uns gottbegnadete Wesen zu nennen, sofern wir intuitiver Momente teilhaftig werden und der Kraft, sie durchzuführen.

* *

*

„T ritt hinaus an das M eeresufer, höre, sieh die W elle, wie sie an das Ufer schlägt, wie eine Welle nach der ändern kom m t;

das ganze Meer ist bedeckt m it einer wandelnden Herde; und jede sag t: nicht ich bins, des Ganzen K raft ist’s, was mich und meine Gesellen tre ib t; was vermöchte die einzelne W elle; höre, sieh, wie der Sturm kom m t und die Wellen höher und höher h e b t, und die W olken jag t und das Schiif sch üttelt, und alle

M o natshefte d er C. G. 1905. 2

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18 Pastor. Heft 1.

W impel nach einer Richtung flattern; in derselben Richtung ziehen die W olken, in derselben gehen die W ellen; und du selbst erbebst äußerlich und innerlich; so h ast du wohl ein ander Gefühl, als da du auf der Schulbank sitzend den weißen Fleck auf dem Globus an­

schautest und der Lehrer zu dir sagte: das ist der atlantische Ozean und das das m ittelländische Meer. Jenes Gefühl i-^t ein aus dem Leben der Erde, dessen dein Leben ein Teil ist, hervorgewachsenes Gefühl, da dich dies Leben in seiner Schwingung m it ergreift.“

W elcher philosophisch G ebildete, der diese Stelle liest, er­

innerte sich nicht an eine ganze Reihe ähnlicher Bilder, in denen die Weisen früherer Zeiten einem ähnlichen Gedanken Ausdruck zu geben trachteten ! Der Unterschied ist nu r, daß die Be­

stim m theit der M itteilung, die K larheit des Gesichtes alles früher Versuchte übertrifft. Und das führt uns zurück zu unserer Auf­

gabe, Fechners W erk aus der Gesam tentwicklung menschlichen Denkens heraus zu begreifen. Auch aus den W erken dieses Mannes tö n t uns das große W ort der Bescheidenheit entgegen:

„Nicht ich bins, des Ganzen K raft ist’s, was mich tre ib t“. Und wie dieses W erk selbst, muß auch eine B etrachtung darüber schließlich hinausweisen können auf „das Ganze“.

Von einem Nomadisieren und Seßhaftw erden der Gedanken in unserem Einzelgeiste w ar die Rede. W ir können diese Vor­

stellung erweitern und von einem Schweifen des Gedankens von G eist zu Geist, von Geschlecht zu Geschlecht sprechen. So gut wie es Völker- und Artenwanderungen gibt, gibt es auch Gedanken­

wanderungen. Und wenn Moritz W agner R echt h a t, daß keine A rt-, ja keine Rassenveredlung denkbar ist ohne voraufgehende W anderungen großen S tils, dann ist es auch wohl richtig, daß die großen Gedanken der M enschheit sich ähnlicher M ittel zu ihrer Vervollkommnung bedienen.

' Durch gar viele Jahrhunderte und gar viele erlesene Köpfe hindurchgegangen ist der große Alleinsgedanke, den uns Fechner lehrt. Aber wahrlich, die W anderungen sind ihm gut bekommen.

Die Skeptiker haben einen beliebten Einwand gegen jene A rt der Mystik, der das triebhafte Sicheinsfühlen m it einer übergeordneten Macht etwas Tatsächliches, nicht bloß Erdachtes ist. Diese Ansicht, sagen sie, ist nicht einm al, sondern hundertm ale ausgesprochen worden, und immer wieder ist die Logik der Dinge über sie hin­

weggegangen. Der Gegeneinwand liegt nah e, ob eine Ansicht nicht ein zähes Leben haben m üsse, wenn sie trotz aller Logik

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der Dinge sich immer und immer wieder zur Geltung bringen könne. Aber das wäre ein Streiten um W orte. Auch die Skepsis, der M aterialism us, der sich nur an das grobsinnlich Greifbare hält, muß einen Sinn haben, er muß der höheren W eltanschauung irgendwelche Dienste leisten, wenn sie immer wieder zu rück tritt und ihn arbeiten läßt.

Und das ist in der T a t der Fall. Nehmen wir ein bestim m tes Beispiel, in dem die gegenseitige Ergänzung der beiden W elt­

anschauungen klar hervortritt. Die m ittelalterliche Scholastik nannte die Philosophen, die an die R ealität zusammenfassender Ideen glaubten, Realisten, und ihre G egner, denen die Ideen n u r leere, herkömmliche W orte waren, Nominalisten. Hie Realisten, hie Nom inalisten — darüber ist lang und heftig g estritten worden.

Aber könnte es nicht sein, daß b e id e in ihrer Art recht haben?

Die in tieferen M eeresschichten lebenden Fische empfinden das Sonnenlicht ro t, in den höheren gelb, wir selbst farblos hell.

Lügen darum die Augen der Tiefseefische? Oder unsere Augen?

Oder die Sonne? So, wenn der Nom inalist nichts von Ideen wissen will und nur handgreiflich nahe Dinge sieht: er nim m t nur eine bestim m te Brechung einer Idee w ahr, wie ein unvoll­

kommenes oder ungünstig eingestelltes Auge nur eine Brechung des Lichtes. Die Idee einer A rt etw a bleibt ihm ein W ort, aber die Brechung einer Art in einem Einzelwesen wird ihm tatsächlich.

Und gerade weil das seine ehrliche W ahrnehm ung ist, weil er, der seine Sinne nur auf ein bestim m tes Gesichtsfeld beschränkte, die Dinge so g u t im Kleinen beobachten kan n , gerade deshalb leistet er den von höherer W arte aus Beobachtenden so vorzüg­

lich gute Dienste — gerade deshalb wechseln Realismus und Nominalismus, pantheistische und m aterialistische Ansicht, und wie m an sonst die verschiedenen Verkörperungen der Ideenlehre und ihres W iderparts bezeichnet h at, so regelm äßig ab.

Fechner ist die bisher gew altigste Verkörperung der platonisch- spinozistischen Lehre der Ideen und der Einheit der Substanz geglückt. In seinem eigenen Leben h at er den uralten Kampf zwischen Nominalismus und Realismus durchkäm pfen müssen. Er ist nicht zu Grunde gegangen dabei, er h a t sich em porgearbeitet zu einem freien und lichten S tandpunkt, und deshalb verehren wir diesen M ann, der ein unvergleichlicher N aturgelehrter und überragender N aturphilosoph gleichzeitig w ar, als den bis je tz t größten R epräsentanten unserer geistigen Gegenwart.

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20 Heft 1.

Der Staatsgedanke in der dramatischen Literatur um die Mitte des 19. Jahrhunderts.

Von

A d a lb e r t v o n H a n s t e i n f.

(Aus dem Nachlaß.)

Es gehört zu den literaturgeschichtlichen Phrasen, daß in den fünfziger Jahren des neunzehnten Jah rh un derts infolge der politischen Reaktion auch das geistige Leben in Deutschland völlig darniedergelegen habe. Nehmen doch die einfachsten Daten solchen B ehauptungen jede Begründung. Freytags „Journalisten“

und „Soll und H aben“, O tto Ludwigs „M akkabäer“ und „Zwischen Himmel und E rde“, Scheffels „Trom peter von S äkkingen“ und

„E kkehard“, Gutzkows „R itter vom G eist“ und andere Werke, die Anfang der fünfziger Jah re erschienen, bewiesen zur Genüge, daß das Zusammenprallen der W eltanschauungen die G eister in neue Bahnen gelenkt h a tte , und daß viele, die während der stürm ischen B rausejahre der G ärungszeit allzu sehr u nter dem Druck der Tagesereignisse dichteten, je tz t gerade ihre Reife fanden. Nur freilich dem Dram a schien die neue Zeit nicht günstig zu sein. Ludwig sandte seinen M akkabäern keinen reifen Sprößling m ehr nach, sondern versank in seine verhängnisvollen Shakespearegrübeleien, w ährend er in der Erzählung, die ich oben erw ähnte, sein Meisterwerk schuf. Die vierziger Zeit h a tte neben lyrischen Riesenerfolgen auch einen stark dram atischen Zug gehabt. J a , sie besaß ein starkes „T heaterjahr“ , als 1847 die beiden F ührer des jungen D eutschland, Gutzkow m it seinem

„Uriel A costa“ und Laube m it seinen „K arlschülern“, an dem dam als führenden H oftheater zu Dresden ihre stürm isch bejubelten Erstaufführungen erlebten, und der junge Dresdner Hofkapell­

m eister Richard W agner dem Leipziger Jugendfreund für den S ieg m it seinem Schillerdram a öin freilich nicht ungetrübtes F est gab. In demselben Ja h r holte sich G ustav Freytag m it seiner

„Valentine“ den ersten Bühnenerfolg und bereitete seinen „G raf W aldem ar“ vor, der erst im Revolutionsjahre selbst vor einem leeren Hause in Berlin unter Tiecks feinsinniger Leitung gespielt wurde. All diese werdenden scheinbaren Bühnenkönige aber h a tte n ihr B retterreich verlassen im Augenblick, wo die Revo­

lution vertobt war. Gutzkow w ar zum R om an, der Lieblings- G attung seiner Jugend, zurückgekehrt, Laube w ar als junger B urgtheaterdirektor dem eigenen Schaffen entrückt, und Gustav F reytag w ar durch die Stürm e der M ärztage aufgeschreckt aus seinen dram atischen Studien, die ihm je tz t allzu winzig erschienen fü r die gew altige Zeit.

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