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Geisteskultur. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, 1926, 35. Band, Heft 1

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Gei teskultur

MonatsheftederComeniusgefellfchaft für Geisteskulturund Volksbildung

Begründetvon Ludwig Keller Herausgegebenvon Nrtur Buchenau

85. Jahrgang - CrstesHeft

Januar 1926

Berlin undLeipzig1926 Verlagvon Walter de Gruöter82 Co.

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ComeniuosGesellschaftsflir Geisteskulturund Volksbildung

Begründer1892 oonGeh. NrchioratDr.LudwigKeller Vorsitzenden OberstudiendirettorDr.Buche-mu- Charlottenburgs,Schlossstrasje46

DieMitgliedschaftwirddurchEinzahlungvon 20Goldmark erworben. (Jn-und Ausland.) DieBeitragszahlung kann erfolgen:

1.aufdasKonto derComenius-GesellschaftbeidemPostscheckamtBerlin Nr.21295 2.direkt andieGeschäftsstellederC--G. inBerlin W10,Genthinerstr.38i.H.

«

Walter deGruyterF-Co.

B. beijeder BuchhandlunginForm desZeitschrift-Abonnements.

DieMitgliedererhalten dieZeitschrift kostenlos. Sie erscheint jährlichetwa in 12Hesten. DieHeste sind auch einzelnläuflich

Js.Jahrgang Inhalt: Heft1

Seite

F. Köhler, WeltwirllichkeitundChristentum......·........................... 1

ErnstSamter, FrauenlebenimaltenRom .............·.......·..·........ 9

Konrad Molinski, GeistundRhythmus....·............................... 19

Karl Gunrperlz, MedizinischesinderReligiondesalten Judiens............. 28

Theaterbericht .......·......................................«............... 34

Lebede: Kaufmann von Venedig;Romeo und Julia; Viel Lärm um Nichts; Gdtzvon Berlichingen. S.34. Streislichter .............................·............................... 38

W.Kühne: W.v.Hnmboldts KunstdesBriesschreiberrs. S.Is- Aus alten und neuen Büchern.........................·................. 40

GoetheüberdasGesetzderPolarität. S.40. Bücherbesprechungen ...........................................·......... 42

Kunst Wernick: Fr. Ottmann,SchönbrnnnS.42. Buchenau: K.Linsen, Zugder GestaltenS.43. Wahn: C. D.Friedrich,BekenntnisseS.43. Völker- und Länderkunde Kekule v.Stradonitz: E.Tiessen,DieBefreiungvon derJudensrageS.43. W.Kühne: N.Jacqneö, Heiße-sLand S.44.—- Dörge: A.Goldschmidt, Mexiko S.45 Buchenau: Fr. Lederer,Berlin undUmgegendS.45. Literatur Wernick: Genast,Weimar S.46.—- Buchenan: Gautier, Ges.WerkeS.46. Wahn: A.Schaesser,DasPrisma S.463Das KasperbnchS.47. Gesellschaftsnachrichten..............................................·.......... 47 Mannskripte« werden erbeten andenRedakteur Dr.SiegsriedMcttc, Berlin-Südcnde,

Oehlertstraße26. TelephonSüdring779 Die Manns lripte sollen paginiert,nureinseitigbeschrieben seinundeinenRandfreilassen. Nachdruckganzer Aussätze ist, ohne besondere Erlaubnis-, nicht gestattet. Dagegenkönnen einzelne Abschnitte,beigenauer Quellenangabe, auch wörtlich übernommen werden.

Jährlicherscheinen 10bis 12Heftr. Preis desJahrgangs M. 20.—.

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Weltwirlrlichlreitnnd Christentum

VonProf.Dr.F. Köhler,Köln.

J neinemschwungvollenAufruf hatderchristlichechinesischeGeneralFeng der,,gesamten Christenheit«dieFrage gestellt,warum siedenEreig- nisseninChinagegenübergleichgültigbleibe.Dienach Chinakommen- denMissionareführtendenNamen Christinur imMunde, ohne feine Lehre durchzuführen.Wenn dieChristen sichüber diegegenwärtigenEreignissein Chinanichtentrüstenkönnten,so Verleugnetensiedamitihre Religionundver- dientendieVerachtungder ganzen Welt. Das sind KlängeeinerEmpfindung, Welcheaus einerSeelehineinin dieOffentlichkeit dringen, die,inüberzeugter BegeisterungfürdenTenordesChristentums, dieWirklichkeitmit demJdealbild JesuvondemWesenundderGestaltungderWelt nichtinEinklangzubringen Vermag- WasbedeutetChristentumalsuniversellerMotordeskulturellen und ethlfchenLebens,wenn sein Geist nicht lebendig istin dengroßenBewegungen derMenschheit,wenn man zwarChristus predigt,aberVoneinerDurchdrin- gUUgdesMenschentumsmitseinen humanen Ideenundinsbesonderemit der AllgewaltderLiebe,welche nichtnurdieeinzelnenMenschenim kleinenKreise, sondern auchdie Völker einensoll, nichtsmerkenläßt?

Gewißistes,daßdie inChinazurZeit siehabspielendenVorgängein ersterLiniepolitischerNatur sind,unddaßdiemaßgeblicheUnterströmung von derpolitisch-terroristischenPropaganda kommunistischerWühlarbeitge- bildetwird. Indessen mußman sich doch wohldarüber klarwerden, daßder allederartige Bewegungen tragende GrundgedankederWeltrevolution sichnicht inderpolitischen Schlagader erschöpft,sondern durchausdenethischenGe- dankenfür sichinAnspruchnimmt,dersichnur in einemrücksichtslosenProtest gegendieGegenwartszustände,welche fürdieTrägerderBewegungdasAnt- litzderschreienden Ungerechtigkeitzeigen,auswirkt.

Fürdas christlicheDenken sind solcheelementaren Ereignissefraglos Krisen.Wirkennen sie sehr wohlaus derZeitdesWeltkrieges,unddamals wurden,wenn auch zaghaftundunklarumschrieben,immerwiederStimmen laut, welchedenallgemeinenVölkerhaßals einenSchlagin dasAngesicht christlich-kulturellerGesittungundHumanität empfandenundan demKredit desGlaubensandasWeltgewichtchristlicherKulturauffassungverzweifelten, weildas christlicheGemeinschaftsgefühlder MenschheitVor derMachtund

GeltungpolitischerRücksichtenund StrebungendieSegel strich.Bisaufdie Ecgenbrödeleieiniger christlichenSekten,insbesonderederQuäker inEngland undAmerika,schwiegdas,,ehristlicheWeltgewissen«undließeswiderspruchs- 1

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2 Köhlcr

losgeschehen,daß fich Völker, obwohl sie sich christlichnannten, bekriegten, mordeten unddurch harteQualundLieblofigkeitbiszurErschöpfungzer- mürbten. Mankanntenichtsvon Nächstenliebemehr,dieBergpredigtwar, wieman vielfachsagte, außerKursgesetzt,man hatvon einer Intekimszeit unchristlicherLebensatmosphäregesprochen,dieman nachdemKriegebeenden wolle.Freilichauchdamitwirdman sichbei einemheutigen Weltüberblick nicht Wohlfühlen.AlsoesklafftderAbgrund zwischenWirklichkeit undchrist- licherWeltgestaltung: darüber kann keinZweifel sein.

Wiesoll sichdiechristlicheWeltanschauungmitdieser nichtabzuleugnen- denTatsacheabfinden?Soll sieesgutheißen,wenn man kurzerhand sagt, Politik sei PolitikundChristentum sei Christentum,undbeideshabe nichtsmit- einander zu tun? Nun,derAufruf jenes chinesischenchristlichenGenerals läßt keinenZweifeldarüber,daßsodieSachenicht geht.DerErnst,dersichin der klarenBetonungdersittlichenUnmöglichkeitresignierterSchweigsamkeitchrist- lichenEmpfindensgegenüberdenrealenEreignissenausspricht,istimGrunde gewißbeschämendfürdeneuropäischenKompromiß,dersichin derunklaren undunschlüssigenHaltungin derFragederStellungdesChristentumszu den Gegenwartsereignissenausdrückt.

FreilichganzleichtisteschristlicherWeltanschauungnichtgemacht,ein ernstesWortzu denTagesereignissenundzu denhinter ihnen sichentwickeln- denUmgestaltungendesWeltwesenszusprechen, zumal gewiß auch hinter reinpolitischanmutenden Vorgängen sich maßgeblichesittlich-religiöseVervoll- kommnungsanfängeverbergenkönnen undjedeNeuerungnicht ohne Bruch mit demBisherigen sichzuvollziehen vermag. DaistesalsoAufgabe, sichklar aufsichselbstzubesinnen, sichdieGrundlagendereigenen Weltanschauungzu vergegenwärtigenundsich vorzuhalten,zuwelchenMöglichkeitenallerdingsdie Wege offengehaltenwerden müssen.

AlsGrundlagederchristlichenWeltauffassungist gewißzunächstKlar- heitdarüber zuschaffen,wieJesus, derStifterderchristlichenReligion,die WeltgesehenundsichdieWirkungseinesAppellsandieMenschheit vorgestellt hat.DasistinKürze freilich nichtzuerschöpfenundesmagauch außerBe- tracht bleiben,wievielderAusbaudeschristlichenSystemsdemrastlosen,auf dogmatischeFestlegungenabgestimmtenArbeitenundFörderndesgroßenPau- lus verdankt. Aberauf einige wesentliche Punktein derEigenartderWelt- sauffassungundLehre Jesu läßt sich doch nachdrücklichhinweisen,wenn wir

vom ErnstdesChristentumsundseiner Bedeutung fürdieGegenwartreden wollen.

WirnehmendieLehre Jesunicht wörtlich,darüber kann beiehrlicherBe- trachtungderSachlagekeinZweifelsein,undwersichin dieklare,scharfe Fas- sungderBergpredigtvertieft,der bleibtzunächstnicht ohnedenbeunruhigenden Eindruck,alsob dieWirklichkeitunferesGemeinschaftslebenseine ganz andere Einstellung verriete,als wiesiedemNazarenervorgeschwebthat.Wir kommen schwerüber das verwickelteWesen unferer Kultur,über dasGewichtderHem- mungen wie derGeltung,welchevon denreligions-nndfittlichkeitsfeindlichen

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WeltwirklichkeitundChristentum 3 ElementenherinKraft treten, hinweg;diepshchologischeWertungin denprak- tischenMenschheitsfragendrängt sichuns fo zwingend auf SchrittundTritt auf, daßman fast Versuchtsein möchte,jenenuns so weltfremdanmutenden Weisungendes BergpredigersdenStempelderNaivitätaufzudrücken.Aber sehenwirgenauerzu:WieeinLeitfaden zieht sich durchdie ganzeBergpredigt dasreligiös-ethischeGebot derNächstenliebe, welcheinihrer wahrenAus- wirkungkeinRichten,keinBeneiden,keinEhescheiden,keinenFeindeshaßund garkeineGegenwehrgegendasUnrecht,dasman uns anzutun sich anschickt, kennen soll.Man fragt: Wohinsolldasallesführen,wenn man dasschrau- kenlosbeherzigenundbetätigensollte,wirdnichtder bedingungslosunter- gehen,derheuteesversuchenwollte,damitwirklich für seine Person ,einen Anfangzumachen?Undwas sollaus einemganzen Volke derGegenwart werden,wenn eswirklichdieStreiche, welchederpolitischeGegner ihm versetzt, ohne inneresAufbäumendesberechtigtennationalen Stolzeshinzunehmenwil- lensist?Wirsind innerlich, ohne daßuns dieBegründung schwer fallen möchte,davonüberzeugt,daß solche resignierte Haltung sowohldesEinzelnen wie derGemeinschafteinedemUntergang entgegeneilendeSchwäche anstatt eineweltüberwindende Stärke bedeutet. Der ProtestNietzschesgegendie ,,Sklavenmoral« erhebt sichgegenüberderBergpredigtdesNazareners.Wir fragenangesichtsder ausdenKulturgegebenheitenwie aus einemtiefberechtigt erscheinendenJndividualismus heraussich ergebendenNotwendigkeit mutiger, kücksichtsloserSelbstbehauptung zagend nachdemErnst desChristentums;

denneinsolcher möchtevölligverblassen,wenn sichalssichere Wahrheiter-

gsbevsollte,daßdieWeisungenderBergpredigt, so gut sie gemeint sein sollten, kadasLeben derWirklichkeitnichts taugen, weltfremdundkulturfeindlieh anszehenund einzuschätzenfind.

» LiegthierdieKrisedesEhristentums? Läßt sich hier deutlich zeigen, daß wirimwirklichenLeben uns trotzgewissenhafterSelbstkontrolle nichtsanderes alsClIristentumundchristlichesHandelnvorgaukeln können,anstatt wirkliches

hkistentumwahrzumachen? Es will einemnicht rechtwarm dabeiwerden, WennvontheologischerSeite,wieso häufig,denKonfliktzwischendenscharf UmfchriebenenFormulierungenderBergpredigtundihrenAuswirkungenim

PrFktischenLeben derMenschheit dadurchzurSchlichtungzubringen versucht Wird-daßman dieEinzelvorschriftennicht sogenaunehmenzubrauchenver- meint undlediglichdenAkzent aufdieGesinnung legt,der ausdensittlichen Vorschriftenund ihrem religiösenUntergrund hervorleuehte. Indessendamit kommtdergewissenhaft Prüfende dochüber dieTatsache nichthinaus,daß FbendieEinzelvorschriftenwirklich vorhanden sind, daß Jesus nichtvoneiner tmeinzelnenFalle schondasRichtige ohneweiterestreffendenGesinnungredet, FvenngleicherdieGrundlegungeinersolchen durchaus wahrhaben will,etwa mdemSinne,wie es imNikodemus-Gesprächheißt: »Es sei denn, daß je- mand vonneuem geboren werde,kannerdasReichGottesnicht sehen«.

Damuß also doch wohl nacheineranderen Lösungumgeschautwerden.

Willman denKonfliktzubeseitigen-suchen,indemman dieeschatologische

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4 F. Köhler

Atmosphärealsausreichendbetrachtenmöchte,um angesichtsdesnahenden

WeltendesunddesanbrechendenGottesreichesdieRegelungderWeltangelegen- heitenineinem neuen,lediglichvom GeistderschenkendenundUnrechtdulden- den,keinerleiAbwehrkennendenLiebegetragenenSinne vorzunehmen,so steht man derTatsache hilflosgegenüber,daß,geschichtlichunwiderlegbar,das

WleltendeundderEinbruchdesGottesreichesindieMenschheit,wie esJesu

Jungererwartet hatten,sich nicht verwirklichte.Undsollte nichtdamit die, wie angenommen,aufdas Weltendeabgestimmte Menschheitsmoral fürdie Gegenwart,inwelcherderPulsschlageinervorwärts stürmenden,von Kon- kurrenzundrückfichtsloserSelbstliebe durchwogten Menschenarbeitlebendigist, nureineIllusionundderMöglichkeitihrerVerwirklichung entzogene Phantasie fein?—-

Auf diesemWegekannalsoeineSchlichtungdesunleugbarenKonfliktes ebenfalls nicht geschehen.WirmüssenzudiesemZweckedieSache tieferan- fassen.Esscheintmir ganzunzweifelhaft, daß JesusdasLeid derWelt in vollstemMaßedurchschautundempfundenhat.Seine persönlichenErfah- rungen, welcheeran demWiderstandund derHartherzigkeit pharisäischen FormelwefensundKastengeistes machen mußte,derDruckderrömischenWelt- herrfchaft,unter demerfeinVolkgeknebeltundausgebeutet sah:daswaren in der TatAnhaltspunktegenug, um derWirklichkeitvollaufdasAugenmerk zuzuwendenundmit ganzer Seele indieWeltderTatsacheneinzutauchen.

Damit aberenthüllteundVerklärtesich zugleichdie ganzeTiefeundFülleder Jesusseele,daß sie solcherbedrückendenWirklichkeitgegenübereinebesondere, eigengeartete,vollste Geltunginsich tragende Welt,die beiihrerscheinbaren Unsichtbarkeit dochdiegesichertsteRealität beanspruchen konnte,zuprokla- mierenvermochte:die WeltdesGotteswillens, dasReichdesGlaubens, dieWirklichkeitderreligiösenGewißheit. Jn dieserUmrahmunghat Jesus in derTat,wirwürdenheute sagen:in einerbesonderenErkenntnistheorie, dieMenschenunddie Welt ganzanders gesehen,alswieesderAugenschein darbot. ErhatdieMenschenreinreligiös angeschaut, gewissermaßenaus einergöttlichenPerspektiveheraus,in der einmalGottselbsteine ganzandere, mitdemMenschenwesenengverknüpfteRollespielte,undanderseitsdie Men- schen,weilsie für ihnin dersie erhebenden Gotteskindschaftetwas ganzVe- sonderes ausmachten,ein ganz anderes Antlitztrugen.

DiereligiöseWeltJesu brachte geradezueinenneuen TypusMensch,den religiösen Menschen,demJesus dieKennzeichenverlieh,dieer seinem BildevonGott,demgütigenVater,demgerechtenRichter,dem allein voll- kommenen Sein, entlehnte.Nur unter dieserGewißheit,daßderMenschals dieSchöpfungGottes ewigeundunentweihbareElementeinsich trage, istdie Heranrückungdeszeitlich begrenztenMenschenwesensundseiner greifbaren Unvollkommenheitan dieewige,vollkommene Gottheit verständlichund die Lehre,»daßwirMenschenwahreKinder Gottesseien, begründet. Gewiß hob sichdtkseeminenteWürdigungdesMenschenwesensdeutlichüber die Bilder derWtkkllchkeithinaus-in dersich ihmdieUnterschiedein denRangstufen,in

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WeltwirklichkeitundChristentum

derGelehrsamkeit,indersozialenGeltungundindenpersönlichenQuali- tätenauf SchrittUndTritt bemerkbar machten.Erbrachte diese Überzeu- gung von demBerufensein jedes einzelnen, noch so geringen Menschenzur Gottesgemeinschaft,inwelchem VerhältnisdieTrennungderMenschen durch Nation, Stand, Rang,materielle Unterschiedenur eineunliebsame Hemmung bedeutete,inseinem VerkehrmitderUmwelt deutlichzum Ausdruck. Das besondereMitgefühlunddieHingabeandie ArmenundGeächteten,dasWehe gegeneinsichüberhebendes,sich gerechtdünkendesPharisäertum,diePredigt von derFeindesliebeundderAlleingeltung unumschränkterDemut: dasalles ist der sinnfälligeAusdrckeinerreinreligiös abgestimmtenWelt- und

Menschheitsanschauung,welcherdieWirklichkeitselbstUnddie unmittelbare Auswirkungihrer Betätigungnur einenAnstoß lieferte,abernichtdie Be-- rechtigungstreitig machenkonnte.

Essindin derGeschichtederWeltanschauungen vielleichtnur zweimal scharf gekennzeichneteMenschentypen herausgestelltworden: dasistder religiöseMensch JesuundderÜbermensch Nietzsches.BeideMenschen- typensindgeborenaus einemProtestgegendieWirklichkeit. Für Nietzsches UbermenschhatdasRittelmeyer inseinem Büchlein»Nietzscheunddie Reli- gion«eindringlichbetont. Für Jesu religiösenMenschenistderProtestgegen dieWirklichkeitganzunabweislich,wenn man sichderHoheitseinesBildcs VonderMenschenwürdeeinmalmit der ganzenTiefederEmpfindunghingibt.

BeideMenschentypensind keineswegsin derWirklichkeitaufzeigbar, sie sind zugehörigeiner WeltdesJdealismus, vonwelcherwederNietzschenochJesus sagen konnte, daß sie hieroderdortverwirklicht sei. Jesus selbsthat sich nicht einmalalsvollgültigenRepräsentantendieserWelt desTypusdesreligiösen Menschenausgegeben,abererhat dieseidealeWeltinnerlich geschaut,erhat IhrenAnbruchnochzuseinenLebzeitenerwartet durcheinenmetaphysischen Eingriff,durchdenEinbruchdesGottesreichesindiesesichtbareMenschenwelt.

Darinliegteingroßer Unterschied beschlossengegenüberdergenetischenVer- wirklichungderÜbermenschenweltNietzsches. Während Jesusdiedurchgrei-

fkljdeWendungdurchaus metaphysischverankerte,was bei demWesendes reli- gleetJMenschenthpsgeradezuselbstverständlicherschien, istdieVerwirklichung des«UJIermenschenthpsNietzscheseinmenschlich-biologischerProzeß,bei dem

aslsdmckllQkntsprechendderantimetaphysischenEinstellung seinesPredigers, MMetaphyslhdasWunder desaktiven Gotteseingriffsodereinegöttliche Offenbarung- ausgeschlossenwird. Dieser grundsätzlicheUnterschiedistnicht zuübersehen.

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DieWegezudiesendieWirklichkeitübertrumpfenden,dieVollkommen-

h,e!t»hekauffühkendmReichen sind sowohlbeiJesuswie beiNietzscheinihren

sltfllchenGrundsätzenenthalten.Aberhier istdiePolaritätderGegensätzlich- keitendasentscheidendeKennzeichenfürdie idealeWeltanschauung:BeiJesus istesderdemütige,von haßüberwindender,dasUnrechtalstragbarundals

UIIekfvrschlichenGottesratschlußhinnehmenderLiebebeseelte Mensch,bei NietzscheistesderinstrengerSelbstzucht,aberseinerStärkealsderallein

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6 F. Köhler

Geltung verdienendensittlichenMachtbewußteundsichselbst hinaufsteigernde Mensch-welcherdenTypdesJdealreichesausmacht. Iesu religiöserMensch IFdurchUnddurchmetaphhsischverankert unddurchdieVerbindungmitder

dieGnadedarreichendenGottheitüber denreinenNaturentwicklungsprozeß

hinausgehobemdas istdie innere Stärke dieses religiösenJdealbildes.

NletäschesUbermenschbleibtgeradeum derGegnerschaft gegenüberdem Meta- physischenwillen stetsdemErdenwesen verhaftet,und alleVollkommenheitsge- dankenlösenihn nichtvonderunvollkommenen,zeitlichundräumlicheingeengten Weltatmosphärelos:dasist seineunverkennbare Schwäche. GeradedieseUn- abänderlichkeitundderDruckderirdischen Wirklichkeit sindes,was demreli- giösenMenschentyp Jesu durchdieForderungderLoslösungvom Weltwesen denZugzumGöttlichenhinaufdrängtundin dieGottesgnadeundGottes- kindschaftdenWegeröffnet. Dieser Prozeß verlangtdenGlauben an Gott und an seineGnadealsunumgänglicheVoraussetzung,sodaßderreligiöse MenschimSpiegelderWeltauffassungJesuzwarsichtbarin dergegebenen Weltlebt,aberunsichtbarderidealenGotteswelt angehört.

Mitdiesemdas persönlicheVerhältnisdesEinzelmenschenzuGott be- gründenden religiösenGewißheitsglaubenkennzeichnet sichdasMensch-Ideal- bildJesualsdenAusdruckeinestiefreligiösenJndividualismus, in demum desStrebens nach VerbindungmitderGottheitwillenderErlösungsgedanke seinevolleBedeutungundhöchsteGeltungbeansprucht.Diese Abstimmung botgegenüberdemhistorischVorhandeneneinen entscheidendenneuen Wert dar. DeraltgriechischeGötterhimmelunddasSchattenreichdesHadeswaren gleichdenreligiös-dichterischenSchöpfungenuntergegangen. Mit derPhilo- sophie,demvornehmsten Geschenk,das dieGriechender abendländischen Kultur dargereicht hatten,war derGlaube an diese Dinge versunken.Ein tiefer Pessimismuswar herausgezogen,der nachErlösung verlangte.Das neue MenschenbildJesuinseiner VerbundenheitmitderGottheit schufder ersehntenErlösungeineneue GrundlageundstelltederphilosophischenSpe- kulationdieGewißheitdergeoffenbartenReligion gegenüber.

Indieser metaphysischenUmrahmungtrittunsderreligiöseMenschenthp Jesuin einerwunderbaren Reinheit entgegen,derMenschentyp,der niemals aus bloßemMenschenwillenoderaus einerweltlichenKulturmachtheraus, sondernaus demGnadenwirken Gottesherausseine Verwirklichungerfahren würde.Wennnun geschichtlichdasChristentumdenKlerusalsMittler zwi- schenGottunddenMenschenundeinen derGesamtstimmungderhellenistischen Weltentgegenkommenden mhstischenKultus heraufführte,so hatte dieseEin- richtungmitdemreligiösenMenschentypJesuan sichgarnichtszu tun. In Jer Lebte findet sichdavon nichts,undin derTat hat sichdasprotestantische Christentumum der Ablehnung dieserPriestermittlerschaftwillen inweit engerer FühlungmitdemreligiösenMenschentypJesuinseinerindividuell abftestimmtenGeltunggehaltenalsdiekatholische Kirche,die mit demKir- chenvermittlungsgedankengewissermaßeneinemehrmechanistifche-erstUUV

gattungsmäßigeVerwirklichungdesgeistigen Menschen innerhalbderpro-

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WeltwirklichkeitundChristentum 7

fanenMenschenweltin dieWegezu leitenversuchte. Dochwar dieser katho- lische,dasJndividuelle ausschaltende Organisationszwangaus inneren Grün- dengeradeum der Verwirklichungderimmanenten Idee desChristentums von demunendlichenWertderEinzelseelewillen innerhalbderprofanenWelt

einehistorischeNotwendigkeit: erst nachdemdieallgemeine religiöseVer- geistigungdesMenschen innerhalbund durchdiekatholischeKircheprinzipiell Vollendetwar,konntedurchdieReformationderreligiösnur unmittelbar an Gott gebundene,der,,freie Christenmensch«Wirklichkeitwerden.

Stellen wiruns diese erhabene Wahrheitinihrer EindringlichkeitVor dieSeele,dann könnenwiruns dieTragikderLage nicht verhehlen,die darinbesteht,daßdasIdealbilddesreligiösenMenschenallenthalben aufden WiderstandderprosanenWirklichkeitsverhältnissestößt.Esliegtin demWesen unsererkulturellen Gegebenheiten, unserer wirtschaftlichenundpolitischen Kämpfesowiein derTatsachedersoungemein verschiedenartigundverschie- denwertig abgestimmten Verfassung menschlicher Geistesströmungbegründet, daßderideal-religiöseMenscheinEinsameristundbei allerweltüberwindenden Kraft,bei allerauf geistigeWeltdurchdringung gespannten Energie dochnur zuoft äußerlichdermaterialistischnAbstimmungdestäglichenLebensunterliegt.

DochseinHeiligstesundJnnerlichsteskannihmum deswillennichtgenommen werden: dieGewißheitVonderReinheit seinerreligiös-idealenÜberzeugungund von derVerwirklichungderHerrschaftjenes jesuanischenMenschentyps,der in derErwartungdersichauswirkenden GnadeGottes undderDurchdringung allesWeltwesensmit demgöttlichenGeiste seinenMittelpunktundseineimmer neue Aufgabeempfindet.UndsobetrachtetdervondiesemJdealbild beherrschte Menschalsunüberwindlichinmitten dervon derProfanwelt her anstürmenden Widerstände:dieKraft, dieihnzudenhöchstenOpfern, jazum eigenen Lebensopfer,befähigt,gleichwieJesusimfestenVertrauen aufeinenselbstaus demäußerlichenNiedergangemporwachsenden SiegderIdeedesreligiösen MenschenidealsdenKreuzestod auf sichgenommen hat.

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DieWuchtderäußeren Unstimmigkeitvermag alsoan derGeltungder Inneren Gewißheitnichtszuändern,um soweniger,alsesebengewißist, daßderreligiöseMenschentypsich sicher nicht aufdemWegedesGewaltakts durchzusetzenvermag,sonderninersterLinie das dieWirklichkeitdurchdrin- gesstgestaltende Jdealbild ist, nichtaber dasausderWirklichkeitheraus her- beizuzauberndeMenschenwesen.

Aber,darum hatderreligiöseMenschentypJesu durchaus nichtdie Be- deutungWer haltber Phantasie.DenngeradewegenseinerEinschätzungals eines AusdruckshöchstenreligiösenJdealismus’vermag derMensch-derden religiösenMenschentypJesuimHerzen trägt,mittendurchdieWirklichkeitder LiebloiigkekhderHärten-derFeindschaftenundderUngerechtigkeithindurchzu- schreiten.Dasallesistgewiß seinem Idealbilde zuwider, aber geradeum des idealen Charaktersseines Menschenbildeswillen erleidet dieseskeine Ein- bußeundnochwenigereinePreisgebung,sondernmit dervon diesemidealen MenschenbildeerzeugtenGesinnunggehtdervonihminnerlicherfüllteMensch

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