DIE NATURWISSENSCHAFTEN
Zw ölfter Jahrgang. 22. Februar 1924. Heit 8.
Das Duraluminproblem.
V on W . F ra en k el und E . S cheuer, F r a n k fu r t a. M .
Das D u ralu m in ist der H a u p tvertreter einer eigen artigen K la sse von L egieru n gen , d ie d ie A ufm erksam keit der m etallographischen F o r schung in hohem Maße verdien t, näm lich der v e r gütbaren L egieru n gen . M an bezeichnet m it diesem Ausdruck 'solche Legieru n gen , die nach einer in E rh itzen und Abschrecken bestehenden thermischen Behandlung ih re F estigk eitseigen - -chaften bei gew öhnlicher Tem peratu r im L a u fe einer .gewissen Z e it erheblich verändern.
W ir w ollen uns h ier nur m it den technisch w ichtigsten dieser L egieru n gen , den vergü tbaren A lu m in iu m legieru n gen 1) beschäftigen und zu
nächst als B eisp iel das eigen tlich e D u ralum in an- tühren, eine L eg ieru n g , die neben A lu m in iu m ea. 3,5 % K u p fe r, 0,5 % M agnesium , evtl. etwas M angan enthält. W ir d eine solche L e g ie ru n g nach norm aler mechanischer V erarbeitu n g, etwa durch W alzen, a u f eine Tem peratu r in der Gegend von 500° C e rh itzt und in kaltem W asser ahge- söhreekt, so z e ig t sie s o fo rt nach dem Abschrecken F estigk eiten von ca. 18 kg/qmm bei ca. 15 % Dehnung, nach e in ig er Z e it ist die F e s tig k e it auf ca. 40 kg/qmm gestiegen , ohne daß die D ehnung sich wesentlich verm in d ert hat.
U m die E ig e n a rt dies V ergütungsvorgangs kurz zu umreißen, seien die schon durch den E r fin d er ( W ilm ) und d ie späteren U ntersucher an D uralum in übereinstim m end festgestellten T a t sachen zusammengefaßt.
1. A l-Lcgiieru n gen zeigen d ie E igen sch a ft der Vengütlharkeit nur wenn sie bestim m te M etallzu- sätze, die als M isch kristalle vom. A lu m in iu m auf- benommen w erden, enthalten. B isher h ie lt man Magnesium fü r einen integrierendien Bestandteil, doch sind in neuester Z e it auch andere Zusätze als w irksam gefunden worden. Eingehendere U n ter
suchungen liegen bisher nur an A lu m in iu m -M ag- nes i um -Ku p f er- u nid A lu m ini u m -M ag nesium -Zi nk- Legieru n gen vor.
2. Z u r E in le itu n g des V ergü tu n gsvorgan gs ist es n ötig, das M eta ll au f eine bestim m te T e m peratur zu erhitzen und dann schnell abzukühlen.
1) A n m e rk u n g w ä h rend d er K o r r e k t u r : liiiiie A r b e it von W . S a n d er und K . L . M e is s n e r (Z e its c h r ift für M etallk u n d e 16 (1924), 12) versucht, über die w ir k samen Z u sä tze b estim m te a llg em ein e A u ssagen zu machen und k om m t zu A n s ich ten über den V e rg ü tu n g s vorgan g, die von den h ier v e rtre te n e n abweichen.^ Ji^s is t n a tü rlich n ich t m öglich, d ara u f h ier näher einzu- gehen.
D ie H öh e dieser Tem peratu r wechselt m it der Zusammensetzung der L e g ie ru n g (b ei den u n ter
suchten L eg ieru n g en 420— 530° C ).
3. Das vergü tete M a te ria l v e r lie r t seine V e r gütung, wenn es ein er anderen, ebenfalls von der Zusammensetzung’ der L e g ie ru n g abhängigen Tem peratur ausgesetzt w ird , d ie n ied riger lie g t als die unter 2. besprochene. E rklärlich erw eise e r fo lg t keine V ergü tu n g, wenn das M a teria l nach dem Abschrecken bei oder oberhalb dieser T e m peratur .gelagert w ird.
4. Das M etall, das a u f d ie unter 3. beschrie
bene A r t seine V erg ü tu n g verlo ren hat, vergü tet auch nach Abkühlung au f Zim m ertem peratur nicht. . Zu r E in le itu n g des VergütungsVorgangs ist vielm eh r W ied ererh itzu n g und Abkühlung, w ie unter 2. beschrieben, nötig.
5. W ir d die L e g ie ru n g von der unter 2. an
gegebenen Tem peratur sehr langsam abgekühlt, so t r it t keine V erg ü tu n g ein1.
6. D ie G esch w in d igk eit des V erg ü tu n g svo r
gangs .ist — inn erh alb des Tem peraturbereichs, in dem dieser überhaupt sta ttfin d e t — von der Tem peratur abhängig. B e i d er Tem peratur der flü ssigen L u ft ist nach W ochen noch keine V e r änderung festzustellen, während bei gew öhnlicher Tem peratu r der V o rga n g in ein igen Stunden zum größten T e il, nach ein ig en T a gen praktisch v o ll kommen beendet ist.
7. U nm ittelbar nach dem Abschrecken zeigt d ie L e g ie ru n g u ngefähr dieselben mechanischen Eigenschaften, die sich auch ergeben, wenn durch E rw ärm en w ie unter 3. beschrieben die V e r gü tu n g verloren gegangen ist.
Es sind m ehrere eingehende Untersuchungen an verschiedenen S tellen ausgeführt worden, um eine E rk lä ru n g fü r diese Erscheinungen zu f in den1). Es is t klar, daß d ie meisten Forscher zu
nächst in A n a lo g ie zu den bei Stahl, Bronze.
M essing entdeckten E rscheinungen der U m b il
dung d er inneren S tru ktu r der L e g ie ru n g auch beim D u ralu m in S trukturveränderungen als F o lg e der W ärm ebehandlung verm uteten. A b er im Gegensatz zu jenen S to ffe n , wo schon die mikroskopische U ntersuchung d eu tlich ein v e r
ändertes B ild , also das A u ftr e te n von neuen Strukturelem enten bei der H ä rtu n g zeigt, ist es bisher nicht gelungen, bei den vergütbaren A lu m iniu m legieru ngen m it dem M ikroskop irg en d
i) S. auch Z. f. M eta llk u n d e Bd. X I V (1922), S. 425, Ooebel (über B le i-N a tr iu m ).
N\v. 1924 in
146 Fraenkel und Scheuer: Das Duraluminproblem.
welche U nterschiede zwischen „geh ä rtetem “ und
„angelassenem “ M a te ria l festzustellen.
D ie ersten M itte ilu n g e n ü'ber das D uralum in stammen vom E r fin d e r W ilm 2) selbst. S ie be
schränken sich jedoch a u f die F eststellu n g der w ich tigsten D aten über die therm ische Behand
lung u.nd d ie dadurch erreich ten mechanischen W erte. Über die N a tu r des V ergü tu n gsvorgan gs äußert sich der E r fin d e r nicht. Eir erw ähnt nur, daß er im S c h liffb ild e keine U ntersch iede z w i
schen vergü tetem und u n vergü tetem M a teria l fin d en konnte.
A u s den K reisen d er H e rs te lle r stammen auch e in ig e V e rö ffe n tlic h u n g e n von L . M . C ohn3) , die außer den mechanischen W e rte n auch d ie K o r rosionsbeständigkeit von D u ralu m in behandeln und dabei feststellen, d a ß . das vergü tete M a te ria l ein e größere W id ersta n d sk ra ft gegen chemischen A n g r i f f a u fw eist als das n ich t vergü tete.
B elgisch e und französische Forsch er4) haben versucht, das P rob lem ganiz analog dem der S talil- h ärtu n g zu behandeln. F ü r sie ist d ie A lte ru n g durchaus dem Anlassen des Stahls vergleich b ar nur m it dem U nterschied, daß das M a te ria l durch das Anlassen härter w ird. A u f die b ei der V e r g ü tu n g ein treten d en in n eren U m w andlungen gehen d ie Forsch er n ich t näher ein, so daß die b etreffen d en A rb e ite n eher eine A n re g u n g denn als V ersuch zur L ösu n g der F ra g e zu betrachten sind'.
Z w e i F ra g en onuß die T h e o rie des V e r- gü tu ngsvorgangs b ean tw orten :
1. W elch e B esta n d teile sind fü r das A u f treten der V erg ü tb a rk e it w esentlich?
2. W elch e V erä n d eru n gen fin d en während des Vergütuingsvorgangs in der L e g ie ru n g statt?
W i r betrachten zuerst die A rb eiten , d ie die erste F ra g e in den V o rd erg ru n d stellen. Sie basieren n a tü rlich au f therm ischen und m ik ro
skopischen Untersuchungen.
V o g e l5) hat d ie K o n stitu tio n der D u ralu m in legieru n gen durch ein e genaue therm ische A n a lyse der alum iinium reichen A lu m in iu m -K iip fe r- M agn esiu m -Legieru n gen festgestellt. E r fin d et, daß die L e g ie ru n g e n keine therm ischen E ffe k te zeigen, die fü r die E rk lä ru n g des V ergü tu n gs- Vorgangs als A n haltpu nkte dienen können.
I n A m e rik a haben P . D . M e rica und Zay J e f
frie s m it 'W altenberg, S c o tt .und F re e m a n °) eine Lösu ng der F ra g e au f m etallographischem W e g e angestrebt. S ie gehen aus von dem Zustands
diagram m d er A lu m in iu m -K u p fe r- und der A lu - m inium -M agnesium legieruingen und stellen fest,
2) M e ta llu r g ie 8 (1911), S. 225.
3) E le k tro te c h n ik und M aschinenbau 1913, H e ft 20 und! 31.
4) G u ille t, D u ra n d , O a lib o u rg , C. E . 1G9 (1919), S. 508; O ra rd C. R . 169 (1919), 570.
5) Z. f. anorg. Chem. 107 (1919). 205.
6) Scient. pap. Bur. o f Stand ards N r . 347 (1919) ; B u ll. A m . In s t. M in in g E n g in e e rs (1919), 913; Ohem.
a. M e ta llu rg . E n g g. 21 (1919), 551; P h y s. B er. (1921) 2, S. 7, 386, 387.
daß d ie darin au f tretenden V erbin du n gen CuAL»
bzw. M g 4A l 3 m it A lu m in iu m M isch kristalle b il
den, daß sich aber d ie L ö s lic h k e it beider V e r bindungen in A lu m in iu m (im festen Zustand) m it sinkender T em p eratu r verm in dert. D ie am erikanischen A u to re n fü h ren die A lte ru n g zurück au f A usscheidung der V erb in d u n g CuAL.»
in fein ster V e rte ilu n g aus dem durch d ie A b kühlung übersättigten M ischkristall. D ie H ä r tu ng beim A lte r n stellen sie sich so vo r, daß die a u sgesehiedenen C u A l2-T eilch en die A u sbildu n g von Gleitebenen in den M isch kristallen verh in dern, indem sie, grob gesprochen, d ie G le it- flächen verk eilen (slip in terferen ce th e o r y )7).
F ü r diese hem m ende W irk u n g müssen d ie T e i l chen ein e ganz bestim m te Größenordnung haben, die noch w e it unterhalb der G renze der m ik ro
skopischen S ich tb ark eit lie g t. D ie kritische G röße der ausgeschiedenen T eilch en soll nun bei rascher Abkü h lu n g und L a g e ru n g b ei gew öh n lich er Tem peratu r e rreich t werden. L a g eru n g bei erh eblich höherer Tem peratu r b ew irk t stär
kere A gglo m era tio n , also g e rin g e re A n zah l der ausgeschiedenen Teilch en , daher g e rin g e re H ä r tung. B e i noch höherer Tem peratu r geh t in fo lg e w eiterer V ergröb eru n g der A u sscheidung der ganze H ä r te e ffe k t verloren , dlabei w ird aber im m er noch vorausgesetzt, daß d ie Größe der aus- geschiedenen P a rtik e ln unterhalb d er S ich tbar
keitsgren ze bleibt.
D ie größte Schwäche dieser T h e o rie l i e g t in der irrtü m lich en Annahm e, daß nur kupfer- haltiges M a te ria l vergü tet, w ährend in der T a t auch k u p fe rfre ie A lu in in iu m -M agn esiu m -Legie- rungen g e rin g e und z. B. Z in k -A lu m in iu m - M agnesium -Legieruingen sehr bedeutende V e r gü tu n gseffek te zeigen. B e i den zin k h a ltigen L e gieru n gen könnte man an ein analoges V erh alten der ebenfalls bekannten binären V erb in d u n g A l 2Z n 3 denken, das b ietet aber S c h w ie rig k e ite n ; denn während die in F ra g e kommende L e g ie ru n g nur 8 % Z in k enthält, entsprich t bei 250 ° C die L ö slich k eit der A lu m in iu m -Z in k -V erb in d u n g in A lu m in iu m noch einem G eh alt von 25 % Zink, müßte also beim Sinken der Tem peratu r bis auf Zim m erw ärm e in unwahrscheinlich starker W eise abnehmen. A u ß erd em hat sich aber auch gezeigt, daß der elektrische Widerstand* dieser L e g ie ru n g e n während des V erg ü tu n g svorg a n g s s te ig t9) , was bei L egieru n gen a u f M isch k ris ta lls ild u n g und nicht au f A u sscheid ung hindeutet.
Daß sehr fe in k ö rn ig e Ausscheidungen in M e tallen eine V erbesserung der mechanischen E ig e n schaften verursachen können, erscheint durchaus m öglich, so n im m t z. B. Benedicks9) in seiner A r b e it über den T r o o s tit an, daß dieses S tru k tu r
elem ent ein P e r lit von k olloid aler V e rte ilu n g der F e r r it- und Z em en titkörn ern ist. H ie r sind aber
T Die Natur- Lwissenschaften
7) Z a y J e f f ries, Jou rn . In s t, o f M e ta ls N r . 2 (1919), 329.
8) F ra e n k e l u. Seng, Z. f. M etalllk. 12 (1920), 225.
9) Journ. of tlie Ir o n andi Steel In s t. I I (1908).
Fraenkel und Scheuer: Das Duraluminproblem. 147
auch andere A n zeich en fü r d ie E ntm ischung v o r
handen, so z. B. w ir d bei der T ro o stitb ild u n g der elektrische W id erstan d g e rin g e r, die Ä tzb a rk eit stänker usw.
In E n glan d sind im Rosenhainsclien In stitu t außerordentlich s o rg fä ltig e Untersuchungen von Ifanson und G ayler10) au sgefü hrt worden. D iese haben zu der F eststellu n g g e fü h rt, daß fü r den
^ergü tu n gsvorgan g nich t die V erb in d u n g Cu Al?, sonde#n die von M e ric a ganz nebensächlich be
handelte V erb in d u n g M g 2S i w esentlich ist. D ie zur U m w an dlu n g des im D uralum in enthaltenen Magnesium in M g 2S i n otw en dige M en ge S iliciu m ist in jedem technisch h ergestellten A lu m in iu m als V e ru n re in ig u n g enthalten. Ila n s o n und G ayler stellen ein vo llstän d ig ausgearbeitetes Diagram m der Alu m in iu m ecke des Systems A lu m ini rnn-Magnesi u m -S iliciu m auf, aus dem h ervo r
geht, daß diese V erb in d u n g b ei 5 0 0 ° C bedeutend niehr in A lu m in iu m löslich ist, als bei gewöhn- -ioher Tem peratur. E in Überschuß an M agnesium , der als M g ^ A U .,in Lösu n g geht, v e rrin g e rt d ie L ö s lich k eit des M g 2S i in A lu m in iu m so, daß bei einem Gesam tm agnesium gehalt von etwa 7 % die M a g n esiu m -S iliciu m -V erb in d u n g überhaupt unlöslich w ird.
D ie A u to ren stellen fest, daß besonders die Legieru n gen V ergütungserscheinungen zeigen, d ie nach dem Zustandsdiagram m zwischen 5 0 0 ° C und gew öh n lich er Tem peratu r M g 2S i ausscheiden können, das sind die L e g ie ru n g e n m it einem -Magnesi um gelialt bis 1 %.
P rin z ip ie ll kommt die E rk lä ru n g von TIanson, und G ayler a u f dasselbe heraus, w ie die von M erica . W ie d e r w ir d als e ig en tlich e Ursache der H ä rtu n g die fe in v e r te ilte Ausscheidung einer interm etallischen V erb in d u n g angenommen (a lle r
dings m it sehr v o rsich tig er Ausdrucksw eise), bei der quasi als m etastabile Zw ischenstu fe die bestimmte K orn größ e erreich t w ird , die dem O p
tim um der mechanischen E igen sch aften ent
spricht.
D ie A n sich t von B osenhain und seinen M it arbeitern is t schon bedeutend b efried igen d er als die von M erica , w e il sie dem M agnesium dte w esentliche R o lle zu teilt, die ihm allem Anschein nach bei dem V o rg a n g zukom m t; aber die E in wände, d ie gegenüber d er A nnahm e einer A u s
scheidung gem acht worden sind, behalten auch hier ih re G eltung.
D iesen S ch w ierigk eiten gehen F ra en k el, Seng und S ch eu eru ) , d ie das P rob lem in Deutschland etwa g le ic h ze itig m it den Rosenhainsclien U n te r
suchungen behandeln, durch eine grundsätzlich andere Annahm e aus dem W ege. S ie stellen d ie zw eite G ru n d fra g e des Problem s in den V o rd e r
grund', näm lich d ie nach der A r t der bei dem V e r gü tu n gsvorgan g stattfindenden] A u fbau änderun- gen. D aher kommen sie zu einer genauen U n te r
Heft 8. l 22. 2. 19241
suchung der m it dem V ergü tu n gsvorga n g v e r
knüpften Än deru n gen der physikalischen E ig e n schaften (F e s tig k e it, D ichte, chemische A n g r e if barkeit, T b erm o k ra ft, elektrom otorische K r a ft , elektrische L e itfä h ig k e it), denen sie auch in ih rem zeitlichen V e r la u f nachgehen1.
D ie H ypothese, zu der sie gelangen, ist fo l
gen de: A ls Ursache der V ergü tu n g w ird ein chem ischer V o rg a n g in dem abgeschreckten M eta ll angenommen, d er unter B ild u n g eines M isch
kristalls v e rlä u ft. D ie V e rg ü tu n g fü h rt nach ih re r A n sich t n icht zu einem m etastabilen, sondern zu einem stabilen Zustand, d er das P ro d u k t der chemischen R eaktion in F o rm einer festen Lösung enthält, wenn die L a g eru n g nach dem Abschrecken bei gew öhnlicher Tem peratu r erfo lg te. W u rd e das M eta ll nach dem Abschrecken bei höherer Tem peratur (1 0 00 bzw. 2 0 00 C ) gelagert, so scheidet sich das R eaktionsprodukt aus und be
w irk t eine H ä rtu n g etwa im Sinne von M erica oder Bosenhain. D er V e rlu s t der V erg ü tu n g bei w eiterer E rw ärm u n g (w ie N r. 3 S. 145) ist nach Fraenleel durch den Z e r fa ll der V erb in d u n g bei dieser Tem peratur zu erklären. E ig e n tlic h müßte sich nun die V erb in d u n g beim Abkühlen w ieder bilden, das w ird jedoch verh in d ert durch den Umstand, daß die Z erfallsprodu kte der V e rb in du n g in den Alum iinium m isehkristallen n icht lös
lich sind, daher nach Abkü hlu ng au f gewöhnliche Tem peratu r in fo lg e der fast, gän zlich verh in derten D iffu s io n n ich t m ehr zur gegenseitigem B erührung und daher auch n ich t zur R eak tion kommen.
A u f G rund ih rer Annahm en können Fraenleel und Sch eu er die vielen verschiedenen E rsch ei
nungen, besonders auch den zeitlichen V e r la u f der W iderstands- und F estigkeitsän deru n g nach dem Abschrecken und seine B eeinflussung durch A b schrecktemperatur, A bschreckgeschw indigkeit und Tem peratu r während der La geru n g ableiten. D ie T h eo rie ist etwas k om p lizierter als die beiden anderen, steht aber, dia sie aus einem v ie ls e iti
geren Versuchsm aterial abgeleitet ist, besser im E in k lan g m it der W irk lich k eit.
In d er letzten Z e it is t von S. K o n n o 12) eine Untersuchung über D uralum in an der Töhoku- U n iversitä t in Japan (In s titu t von P r o f. H o n d a ) au sgeführt worden. Obgleich vollkom m en unab
h än gig von Fraenleel basiert auch sie au f der M e
thode d er W iderstandsm essung, berücksichtigt aber dabei das S iliciu m als wesentlichen F ak tor beim Härtungsprozeß. A u ch K o n n o v e r t r it t den Satz, daß ein e Erhöhung des elektrischen W id e r
stands einer L e g ie ru n g m it dem Entstehen von festen Lösungen verk n ü p ft ist, und daß eine V e r m inderung des W iderstands a u f eine Ausschei
dung schließen läßt.
B eim E rw ärm en des vergü teten Duralum ins stellt K o n n o bei zw ei Tem peraturen plötzliche Abnahm e des W iderstands fest. E r kann durch entsprechende Versuche an A lu m in iu m -K u p fer-
10) E n g in e e r in g (1921), 519. --- -
lx) Z. f. M eta llk u n d e 12 (1920), 225, 427; U (1922), 12) Science R ep. of th e Töliok u Im p . U n iv e r s ity
49, 1 1 1. V o l. X I , N r . 4.
*48 Fraenkol und Scheuer: Das Duraluminproblem.
le g ie r ungen naehweisen, daß d ie Wiiderstandsver- m inderung bei ca. 280 ° C der Ausscheidung der V erb in d u n g A l 2Cu entspricht, an der der M isch k ris ta ll durch die Abschreckung ü b ersättigt ist..
F ü r d ie zw eite Ausscheidung (bei ca. 210 ° C ) fin d e t er keine E rk lä ru n g durch d ie entsprechende U n tersu chu ng der A lu m in iu m -M agn esiu m legie
rungen. E rs t durch B erü cksich tigu n g des S ili
ciums kom m t er zum Z iel. K o n n o fin d e t ferner., daß die H ärtezu nahm e beim A lte r n der M en ge der beim Anlassen sich ausscheidenden M agnesium - S ilic i um Verbindung parallel geht. Schließlich z e ig t beim E rw ärm en des ausgeglühten M aterials ein unverhältnism äßig starkes Anw achsen des W iderstan ds von ca. 380 ° C ab die B ild u n g von M ischkristallen an, die nach dem Abschrecken A n laß zu Ausscheidungen geben können. Es sieht also so aus, als ob die A r b e it von K o n n o ein e glänzende B estä tigu n g der Rosenhai nschen A n sichten bedeute. Das g ilt jedoch nur bezü glich der F ra g e nach den Substanzen, die fü r das A u f treten des A lteru n g seffek tes v e ra n tw o rtlich sind.
B ezü glich der D eutung des A lteru n gsvorga n gs ist aber w esentlich, daß K o n n o den M om en t der A u s scheidung erst bei einer Tem peratu r fin d et, wo die V erg ü tu n g schon w ied er verloren geht, so daß man also diese Ausseheidung nicht, w ie Ila n s o n und G a ile r tun, als Ursache der V e rg ü tu n g an
sprechen kann.
Dem nach stellt K o n n o eine T h e o rie auf, die zwar den Zusam m enhang der V e rg ü tu n g m it der Ü bersättigung der L e g ie ru n g m it M g 2S i betont:, aber nicht eine Ausscheidung der V erb in d u n g als G ru nd des H ärtu n gsvorgan ges annim m t. E r und H o n d a 13) sehen in der vergü teten L e g ie ru n g einen .durch innere U m w andlu ng des b ei 500° C bestän
d igen M isch k ristalls (y ) entstandenen metastabilen M isch k ristall (ß ), aus dem sich dann beim E r wärm en unter V e rlu s t der V erg ü tu n g d ie V e r b in dung M goS i ausscheidet (a-Z u stan d ).
H on d a sagt, daß die H ä rtu n g des D uralum ins ganz analog der des Stahls v o r sich gellt. D er Y-Zustand entspräche dem A u sten it, der a-Zustaud dem P e r lit und der ß-Zu stand dem ebenfalls durch besonders gu te mechanische E igen sch aften ausgezeichneten M artensit. N u n hat aber d ie K ristallu n tersu ch u n g m it R ön tgen strah lu n g e r
geben, daß A u s te n it und1 M a rten sit zw ei versch ie
dene R a u m g itte r haben, während K o n n o fin d et, daß bei den am D uralu m in au f genom m enen L a u e diagram m en k ein U n terschied zwischen den v e r
schiedenen Zuständen zu fin d en ist. M it H i l f e der T h e o rie von H on d a und K o n n o kann man schon ein e größere A n za h l von E rscheinungen bei
der V e rg ü tu n g erklären. Besonders d ie W irk u n g einer sch roffen und ein er verhältnism äßig la n g
samen Abkü h lu n g a u f d ie bei der V e rg ü tu n g e in tretenden Ä n d eru n gen 'des W iderstandes. E in e Gruppe von wesentlichen E rscheinungen ist aber nicht durch diese T h e o rie deutbar, näm lich die von F ra e n h e l und seinen M ita rb eitern gefundenen, die au ftreten , wenn man die Alteruing statt bei gew öhnlicher Tem peratu r bei 100° C stattfinden läßt. Es t r it t dann erstens d ie F estigk eitsä n d e
rung n ich t e n tfe rn t so rasch ein, als man nach dem T em p era tu rk o effizien ten der V ergü tu ngs- gesch w in d igk eit in d er N äh e der Zim m ertem pe
ratur erw arten muß. Zw eiten s fin d e t die ganze V erg ü tu n g ohne Ä n d eru n g des elektrischen W iderstandes statt. D ritten s w ird d ie W id e r standsänderung gan z langsam, aber ziem lich in v o lle r H öh e naohgeholt, w enn man das M eta ll nach dem Abschrecken nur w en ige M in u ten bei 100° O und dann bei gew öhnlicher Tem peratu r altern läßt.
Besonders diese d ritte Tatsache spricht sehr gegen die A u ffa ssu n g, daß das v e rg ü tete M etall sich in einem m etastabilen Zwischenzustand b e fin d et. D enn w o m it is t die n achträgliche E in stellu ng des bei höherer T em peratu r n ich t a u f
tretenden höheren W iderstandes zu erklären, wenn n icht durch Zurückgehen in einen b ei t ie fe ren Tem peraturen stabilen Zustand. (D i© F e s t
stellung, daß ausgeglühtes D u ralu m in sich v e r gütetem gegenüber anodisch betätigt, könnte man als B estätigu n g dieser A u ffa s s u n g betrachten, wenn n icht Potentialm essungen an A lu m in iu m - legierunigen m it zu großen U n sicherheiten b eh aftet w ären.)
H ie r scheint bisher allein die A u ffa ssu n g der R e fe re n te n in der L a g e zu sein, d ie tatsächlichen V erhältnisse darzustellen. E s w ä re daher nützlich, wenn ih re G rundlagen nach verschiedenen R ic h tungen g e p rü ft und ergänzt würden.
M an hat die M ethode der kinetischen V e r fo l
gu n g von U m w andlungen in L e g ie ru n g e n in zwischen a u f M essing (A u sscheidu ng von a -K ri- sfallen aus ß-M essing14) und in ein er demnächst erscheinenden A r b e it au f die A n la ß vo rgä n ge beim Stahl angew endet. I n beiden F ä llen w u rde eine E rn ie d rig u n g des elektrischen W iderstandes bei der Zersetzung des M isch k ristalles gefunden. D ie W id erstan d sern ied rigu n g tra t ein, längst bevor die Ausscheidung im M ikroskop sichtbar w ird. Es ist also kaum noch z w e ife lh a ft, daß d er V e r gü tu ngsvorgang bei den D u ralu m in legieru n gen n ic h t in ein er A usscheidung besteht.
f Die N a t u r - L W issenschaften
13) Chem. M et. Engigv 2J. 1001.
14) F r a c n k e l u. B eck er, Z e its c h rift fü r M etallk u n de 15 (1923), 103.
Ü ber einen theoretisch und praktisch bedeutungsvollen Selektionsvorgang in freier Natur.
V o n H e in ric h P re ll, Tharandt.
Heft 8. l Prell- Uber einen bedeutungsvollen Selektionsvorgang in freier Natur. 149 22. 2. 1924J
„ B e i d er künstlichen Züchtung, durch welche hewußt oder unbewußt die Rassen unserer H au s
tiere und K u ltu rp fla n zen entstanden sind, w irken o ffen b a r d re ie rle i F ak toren zusammen, nämlich erstens die V e rä n d e rlich k e it der A r t, zweitens d ie F ä h ig k e it der Organism en, ih re eigenen C haraktere a u f Nachkom m en zu vererben und dritten s der Z ü c h te r, w elcher bestim m te E ig e n schaften zur Nachzucht auswählt. K e in e r dieser Fak to ren d a rf feh len .“ ,,D a rw in nim m t nun an, daß ganz ähnliche Um wandlungsprozesse, w ie sie hier unter L e itu n g des Menschen, vor sich gehen, auch in fr e ie r N a tu r s ta ttfin d en ; ja daß sie es vor allem sind, welche d ie U m w andlung der A rten , w ie sie im L a u fe der E rdgesch ich te sta tt
gefunden hat, h ervorru fen und leiten. E r nennt diesen P rozeß : N a tü rlic h e Z u ch tw a h l oder e in fach N atu rzü ch tu n g“ (tS. 36).
M it diesen W o rten le ite t W eism ann1) d ie G rundzüge d er Selektionstheorie ab. Das W esen t
liche fü r die V orstellu n g, welche der D a rw in is mus von deir A rtb ild u n g verm itte lt, lie g t also darin, daß d re i verschiedene P rin z ip ie n g le ic h z e itig w irk en müssen, näm lich ein fo rm en schöpfendes, die V a ria tio n , ein form en erh alten des, die V ererbu n g, und ein form enzerstörendes, d ie Selektion. D iese A nnahm e vom W echselspiel d reier P r in z ip ie n b ei der A rtb ild u n g w ar es, w elche dem D arw inism us den S ie g über den Lam arckism us zu fallen ließ. Denn d ie V o r stellung des Lam arclcism us, daß nur eine zweck
mäßige V a ria tio n m it der V ererb u n g Zusammen
w irken brauche, um die fortsch reiten d e A r t bildung zu erklären, verm ochte a u f d ie Dauer nicht zu b efried igen .
In neuerer Z e it sind nun w ied erh olt B e
denken gegen d ie T h e o rie von der N aturzüchtung geltend gem acht worden.
E in großer T e il dieser Bedenken kann des
halb außer B e t r a c h t bleiben, w e il ihnen eine falsche A u slegu n g des W eism annsehen Schlag - wortes von 'der „A llm a c h t der N atu rzü ch tu n g zu
grunde liegt. A u s den ein gan gs wiedergegebenen Sätzen geh t m it v o ller K la r h e it hervor, daß am Geschehen d er N atu rzü ch tu n g gem einsam V a r ia tion, V ererb u n g und S elektion b e te ilig t sind, und daß keineswegs die Selektion allein als artbilden des und stam m entwickelndes P r in z ip ange
sprochen w ird . D er V o rw u rf, daß vom D a rw in is
mus ein negierendes P rin z ip als E rk lä ru n g fü r den F o rts c h ritt herangezogen werde, ist also un
berechtigt.
A n d e re Bedenken wenden sich nicht gegen den Gedankengang der Selektionstheorie als solchen, sondern nur gegen d ie Beispiele, durch welche
1) W eis m a n n , A ., V o r tr ä g e über Dieszendenztheoi ie, 2. A u f]., J en a 1904.
sie gestü tzt w ird. E rin n e rt sei in dieser B e ziehung v o r allem an d ie E in w än de gegen die M im ik ryth eorie, w elche des öfteren erhoben w o r
den sind.
V e rg le ic h t man d ie E rörteru n gen zur Deszen
denztheorie, so fin d e t man, daß g e g e n w ä rtig wohl d ie Tendenz überw iegt, m it den H ilfs m itte ln neuerer E rken n tn is dem D arw inism us en tgegen zutreten und nich t ihn zu unterstützen.
B ei dieser Sachlage erscheint es besonders wünschenswert, a u f solche F ä lle hinzuweisen, in welchen tatsächlich das nach d er Selektions
theorie zu erw artende V e rh a lten nachgewiesen werden kann. Denn darüber, daß die T h eo rie d er N aturzüchtung groß en teils a u f zwar ein leuchtenden, aber trotzdem doch nur erfundenen B eispielen und B erechnungen fußt, d a rf man sich w oh l klar sein. Es ist also zunächst einm al zu präzisieren, in w elcher R ich tu n g die Selektions
theorie der exakten B estätigu n g am dringlich sten bedarf.
Im „ K a m p f ums D asein“ werden aus d er übergroßen Z ah l von Nachkom m en einer A r t nur w en ige erhalten bleiben können, und da selbst
verstän dlich d iejen igen In d ivid u en , denen die V a ria tio n die günstigsten E igen sch aften v e r
liehen hat, den w enigsten G efah ren ausgesetzt sind, gela n gt man zu der T h eo rie vom „Ü b e r
leben des Passendsten“ . D ie E rh altu n gsw ü rd ig
k eit des In d ivid u u m s muß sich dabei in doppelter R ich tu n g erweisen.
In erster L in ie muß ein In d ivid u u m E x is te n z
fä h ig k e it besitzen oder, m it anderen Worten,, es muß unter den gegebenen Außenbedingungen seines Lebensraumes sein Dasein fristen können.
A n der T atsäch lich keit von S elektionsvorgängen au f dieser Basis sind Z w e ife l kaum m öglich.
E in en besonders schönen F a ll m angelnder E x isten zfä h ig k eit bat C orrens in d er k älte
em pfin dlich en Sippe der M ira b ilis jalapa f. d e li- cata behandelt, und die Studien über d ie W in ter- fe s tig k e it der G etreidearten haben, w eiteres M a te ria l beigebracht.
K au m w en iger bedeutungsvoll is t auch d ie K o n k u rre n z fä h ig k e it fü r die A rterh a ltu n g. E in e r
seits muß das In d ivid u u m im Rahm en der eigenen A r t sich fä h ig erweisen, im W ettkam pfe um d ie E rh altu n g zu bestehen; anderseits muß es sich auch in der K on k u rren z m it anderen, ähnlich lebenden O rganism enarten bewähren.
D ieser A u fg a b e muß das In d ivid u u m in v e r
schiedener R ich tu n g R echnung tragen. Daß es durch üppigeres W achstum und d ergl. seine K o n ku rrenten ü b erflü geln kann („a k tiv e r Selektions
w e rt“ ), bedarf kein er besonderen H ervorh ebu n g, denn d ie S elektionsvorgänge a u f Grund davon sind überall zu beobachten, vom E rdrücken
N w . 1924. 20
*50 P r e ll: U b e r e in e n b e d e u tu n g s v o lle n S e le k tio n s V o rg a n g in fre ie r N a tu r.
schwächerer Bäume im W a ld e bis zum V e r drängen schwächerer H ü h n er von der F u tte r schüssel und zur E rdrosselu n g w eltfrem d er V ö lk er. W ic h tig e r ist es, daß auch der Schutz gegen F e in d e („p assiver Selektion sw ert“ ) eine große H o lle spielt.
Den Schutzein rich tu n gen v ie le r P fla n ze n g eg en den Fraß herbivorer T ie r e p fle g t in diesem S in n e besonderer W e rt ‘b eigelegt zu w e r
den. D ie E n tw ick lu n g von D ornen und Stacheln, von B itte rs to ffe n und G ifte n bei a lle r
lei P fla n ze n als Schutz gegen höhere T ie re ist ebenso v ie l besprochen, w ie die V erk ieselu n g und d ie R aphidenbildu ng, d ie Produktion, von Säuren oder die Abscheiidung von ätherischen ö le n gegen den B efraß durch In sekten und Schnecken. Je besser die S ch utzeinrichtung en tw ick elt ist, desto besser sollen sich die geschützten Individuen, e r halten. Das k lin g t theoretisch sehr schön, aber wenn man dem Tatbestände naohgeht, so fin d e t man, daß a lle d ie „geschü tzten“ P fla n ze n auch ihre „besonders angepaßten“ F e in d e besitzen und -darunter genau so leiden, w ie d ie ungeschützten unter den ih rigen . M an denke nur an B ren n nesselstauden, welche von V anessa-Raupen (P fa u en a u ge, Fuchs u. a.) kahlgefressen sind.
Danach w ürde also d ie allgem ein e W ertschätzung solcher Schu tzm ittel als F a k to ren fü r d ie A r t- e rlia ltu n g ganz erheblich sinken. Es fr a g t sich dann, ob sie in speziellen F ä llen b erech tigt ist.
Das klassische B eispiel fü r die theoretische A b le itu n g des W e rte s von Schutzeinrichtungen bei P fla n ze n ist das fo lg en d e: „D en k en w ir uns ein e k ra u ta rtige P fla n ze , etw a vom Aussehen ein er T ollkirsch e, b lä tterreich unid .saftig, aber n ich t g ift ig . Sie w ird ohne Z w e ife l von den T ie re n des W aldes m it V o rlie b e a b gew eid et w e r
den und kann sich deshalb m ir küm m erlich halten, da nur w en ige ih rer P fla n ze n zur Sam en
bildung gelangen,. N ehm en w ir nun au, bei ein igen Büschen dieser P fla n z e entw ickele sich ein w id e r
w ä r tig schmeckender S t o ff in S ten gel und den B lättern , w ie solches 'durch gerin ge V eränderung im Chemismus d er P fla n ze sehr w oh l geschehen kann. W as w ü rd e anders d ie F o lg e sein, als daß nun solche In d iv id u e n w en iger gefressen, würden als die anderen ? Es müßte also ein S elektions
prozeß einsetzen, der darin bestände, daß die w id e rw ä rtig schmeckenden Büsche d er P fla n z e h ä u fig e r verschont blieben, also auch h ä u figer Samen trügen als d ie wohlschmeckenden. So müßte von Jahr zu Jahr die Z ah l der schlecht schmecken,den sich verm ehren“ (W e ism a n n S. 45).
H ie r t r it t das W esen tlich e klar h e rv o r: der S elek tion sw ert von Schutzeinrichtungen läßt sich nur ermessen, wenn diese Schutzeinrichtungen ceteris paribus bloß ein igen In d iv id u e n der g le ich e n A r t zukommen, während sie den übrigen A rtgenossen fehlen. Es ist also ve rfe h lt, w e ite r
gehend verschiedene P fla n zen a rten in bezug a u f den essentiellen W e r t ihrer Schutzapparate zu vergleich en , denn h ier is t die Z ah l der F eh ler-
r Die Natur- Lwissenschaften quellen zu groß. Entscheidend kann es vielm ehr nur sein, wenn man nächstverw andte Form en, welche sich anscheinend nur in einem w esent
lichen P u n k te unterscheiden, im H in b lic k auf den dadurch bedingten G rad ih rer A rte rh a ltu n g s fä h ig k e it einander gegenüberstellt.
D ie Tatsache, 'daß das M usterbeispiel nur theoretisch abgeleitet ist, läßt 'bereits verm uten, daß solche F ä lle in der fre ie n N a tu r sehr selten d irek t zu beobachten sind:. U m so klarer ist es dann aber auch, daß tatsächlich vorkommenden F ä llen fü r die S elektionstheorie ein ganz beson
derer W e r t zukommt. A u s diesem G runde mag im fo lgen d en ein B eisp iel m itg e te ilt werden, w e l
ches n ich t nur w eitgeh en d dem Weismannschen theoretisch kon stru ierten P a ra d e fa lle entspricht und d er freien, N a tu r entstam m t, sondern auch eine d irek te praktische Bedeutung ersten Ranges besitzt.
In den sächsischen Forsten herrscht gegen w ä rtig eine en orm e N onnenplage. D ie w ir t schaftliche Bedeutung, w elche die Über V e r m ehrung des N on nenschm etterlings ( L y m a n tria monacha L . ) besitzt, dessen, Raupen in verschw en
derischem Fräß e La.ubbäume und Nadelbäum e gleichm äßig heimsuchen, lie g t auf der H and. Im vo rliegen d en F a lle ist die S itu ation noch beson
ders versch ärft. G en ü gt doch ein ein m aliger K a h lfra ß , um eine F ic h te abzutöten,! D ie reinen Fichtenibestände Sachsens sind also auf das ernsteste gefäh rdet. M ancher schöne Bestand ist schon ein O pfer der K a la m itä t gew orden.
N u n ist es schon lan ge bekannt, daß die F ic h ten n icht durchw eg in gleichem Maße unter dem N on n en fraß leiden. In m itten kahlgefressener B e stände sieht man geleg en tlich mehr oder w en iger unbeschädigte Bäume stehen, welche gewöhnlich als Im m u n fic h te n bezeichnet werden. Daß das Überleben solcher Im m u n fich ten die F o lg e eines Selektionsvorganges darstellt, b ed a rf keiner E r läuterung. Es fr a g t sich nur, w ie diese Selektion zustande kommt. B e i meinen Stu dien zur B io lo g ie der N on n e versuchte ich, dem Problem e näher zu kom m en2).
V o n den v ielen Gründen, w elche fü r die N on n en im m u n ität gewisser F ich ten v era n tw o rt
lich gem acht w erden können, erw iesen sich so ziem lich 'alle als nicht stichhaltig. D a es sich o ft iim Bäum e innerhalb eines geschlossenen B e standes handelt, kann ih re P o s itio n n ich t fü r die Im m u n itä t veran tw ortlich gem acht werden.
Schutz durch Am eisenhaufen an der Basis des Stammes kam w enigstens bei den von m ir u n ter
suchten Im m u n fich ten n ich t in Betracht. Späte
res Austreiben, w ie es bei g rü n za p figen F ich ten als V o rzu g angegeben w ird , spielt auch kaum eine R o lle : selbst wenn im F rü h jah r die frisch geschlüpften „S p iegelräu p ch en “ au f spättreiben
den F ich ten noch keine N a h ru n g fin d en sollten und eingehen müßten, so w ürde diese B egü n sti
2) P r e l l, 11., Ü b er d ie Im m u n itä t von F ic h te n gegen N on n en fraß , T h a ra n d te r F o rs tl. Jahrb. 1924.
Heft 8. 1
22- 2. 1924J Theodor Liebisch zum Gedächtnis. 151
gung einzelner Stäm m e im u n geleim ten Bestände sicher durch Überwandern ausgeglichen werden.
Ebenso erled igen sich verschiedene andere M ö g lichkeiten des Schutzes. A ls e in zig e blieb nur die, daß irgen d ein e dauernde innere E igen sch aft der
»Im m u n fic h te n “ sie gegen Fraß schützen möge.
So kam ich zu d er Verm u tu ng, daß es sich um das Vorhandensein eines chemischen K örpers bandeln möge, und zwar eines ätherischen Öles oder auch eines A lk aloid s, welches d ie Nadeln der b etreffen d en F ich ten als F u tte r u n geeignet mache. F ü r das Vorhandensein eines ätherischen Öles sprach dabei noch besonders, daß Z w eige von den Im m u n fich ten , welche län gere Z e it ab- gesclinitten aufbew ahrt worden waren, von Nonnenraupen im Z w in g e r gefressen wurden.
U m diese V erm u tu n g au f ih re R ic h tig k e it zu prüfen, sammelte ich an einer besonders charakte
ristischen S telle in der Sächsischen Schw eiz in einem etw a 50 jäh rigen Bestände M a teria l von Im m u nfichtennadeln und B e f raßfichten,nadeln.
D ie gesam ten d iesjä h rigen N ad eln eines als sicher geeign et erkannten Baumes, oder auch ein großer T e il der älteren N ad eln bildeten dann einzelne Proben, welche in, G lasgefäßen gegen V erdam pfen von ö le n w ohl geschützt m itgenom m en wurden.
Im chemischen In s titu te der F orstlich en H o c h schule T h a ra n d t (V o rsta n d P r o f. Dr. I i . W is lice - nus) w urde dann in entgegenkom m endster W eise von H e r r n D r. G ie ris c li eine A n alyse der N a d e l
proben vorgenom m en.
Das R esu ltat war eine überraschende B estä ti
gung d er an fän glich en Annahm e. B ei der A n a lyse a u f den G eh alt an H arth arzen und den G e
halt an G erb sto ffen ergaben alle P rob en un
gefäh r die gleichen W erte. B eim T erp en tin geh alt aber stellte sich, obwohl das Quantum der Nadeln in den einzelnen Proben sich als reich lich knapp erwies, doch ein o ffe n k u n d ig e r und einschneiden
der U nterschied heraus: während bei den B efraß- nadeln von rund 35 g E in w a ge kaum meßbare M engen abdestilliert werden konnten, enthielten
Theodor Liebisch
Nachdem k ü rzlich in den „N a tu r w is s e n s c h a fte n "
( l i e f t 45, 1923) der G roth -F estb aiu l der „Z e its c h r. f.
K r is t a llo g r . “ eingeh end g e w ü rd ig t w ord en ist, soll h ier auch eines anderen M in e ra log en geda ch t und der Liebisch -G edäch tnis-B and des „ N . Jahrb. f. M in e r a lo g ie u sw .“ besprochen w erden.
T h e o d o r L ie b is c h starb am 9. F e b ru a r 1922 k u rz vor V ollen d u n g seines sieb zigsten L eb en sja hres. D e r \ e r s to r bene h a t auf den G ebieten d er K r is ta llm o r p h o lo g ie und der K r is t a llp h y s ik , besonders der K r is t a llo p t ik , w ic h tig e U n tersu ch u n gen au sgefü h rt und sich im le tzte n D ezenn iu m seines W ir k e n s m it d er E r s ta r r u n g b in ä re r
3) 48. B eil.-B d . d. „ N . Jahrb. fü r M in e ra lo g ie usw .“
(327 S., 1 P o r t r ä t , 3 T a fe ln , 70 T e x t f ig . ; R e d a k tio n : R . N a c k e n u. 0 . W e ig e l. S tu ttg a r t 1923). R e fe r ie r t von M . B elow sk g , W . H a rtw ig , A . Joh nsen, K . S ch lo ß m acher, K . S c h u lz und I I . S e ife r t (M in e ra lo g . In s t. d.
U n iv ers. B e r lin ).
die Im m unnadeln der gleichen E in w age 0,15 bis 0,2 g Terp en tin , also rund x/2 %.
Selbstverständlich kann das E rgeb n is noch nicht als abschließend bew ertet werden. D ie S ch w ierigk eit der B esch affu n g ein w an dfreien M aterials machte aber ein e Untersuchung in größerem Maßstabe nicht durchführbar. H o ffe n t lich lassen sich im mächsten Jahre ergänzende D aten gewinnen. V o rerst aber liegen d ie D in g e so, daß man sagen d a rf: 1. es ist sicher, daß eine chemische Substanz die immunen N adelu gegen Fraß schützt; 2. es ist äußerst w ahrscheinlich, daß d er erhöhte T erp en tin gelia lt den entscheiden
den F a k tor der Im m u n itä t darstellt.
K eh ren w ir nun zu den anfänglichen theore
tischen E rörteru n gen zurück, so fin d en w ir in dem aus d er P ra x is entnommenen, F a lle eine so schöne P a ra llele zu dem erfundenen M u ster
beispiele W eismanns, w ie man sie sich nur wün
schen kann. D ie E n tw ick lu n g eines Schutzstoffes in größerem U m fan ge, als das sonst üblich ist, schützt die so begabten. F ich ten gegen ihren schlimmsten F e in d aus d er K lasse d er Insekten.
W enn der Mensch n icht m it seinen technischen H ilfs m itte ln , m it Ablesen und m it L eim rin glegen , h elfen d e in g re ife n würde, müßten w e ite W a ld u n gen dem Raupenfraße erlieg en und nur w en ige Im m u n fich ten w ürden d ie K a la m itä t zu über
dauern verm ögen : ein gew a ltig er natürlicher Selektionsprozeß w ürde das Landsch aftsbild von Grund aus Umstürzen. D ie Gebiete, w o trotz des E in greifen s des Menschen der W a ld vern ich tet wurde, geben eine V o rstellu n g -davon, w ie scharf d ie S elektion d u rch gefü h rt w ird.
V ie lle ic h t ist dieser Selektionsvorgang, bei w elchem w ir je tz t anscheinend den entscheidenden F ak tor in der T erp en tin b ild u n g kennengelernt haben, ein besseres B eisp iel fü r d ie M acht der N aturzüchtung, als die R o s tfe s tig k e it des G e
treides, die B la ttla u sfestigk eit von Obstbäumen oder die R eb lau sfestigk eit gew isser Reben, bei denen allen w ir über d ie entscheidenden Faktoren noch ganz im U nklaren sind.
zum Gedächtnis1).
und te rn ä r e r Schm elzen b esch ä ftigt. A u ß erd em v e r fa ß te e r 1880 die „G e om etrisc h e K r is t a llo g r a p h ie “ , 1891 die „P h y s ik a lis c h e K r is t a llo g r a p h ie “ und 1896 den ebenso b ekannten w ie v o r tr e fflic h e n „G ru n d riß der p h ysik alisch en K r is t a llo g r a p h ie “ , ein Buch, das bisher durch k ein g le ich w ertig e s, m odernes e rs e tz t w ord en ist.
S e it O stern 1908 w ir k t e L ie b is ch an d er B e r lin e r U n i
v e r s it ä t ; im H e rb s t 1921 w u rd e e r e m e r itie rt.
(N e k ro lo g e a u f T h . L ie b is c h : K . S ch u lz, Z en tra lb l.
f. M in e ra lo g ie usw. 1922, S. 417; O. M ügge, N ach r.
Gesellsch. d. W issenseh. G ö ttin g en , Sitzu ngsber. vom (). M a i 1922; A . J oh n sen , Z eitsch r. f. Iv ris t. 57, 1923, S. 443, und S itzu n gsber. Preu ß. A k a d . d. W issensch.
vom 28. J u n i 1923.)
J . B eck en k am p , Ü b e r Z w illin g s b ild u n g (S. 1— 33).
E s w ir d ein Ü b e rb lic k ü ber die verschiedenen E rk lä ru n g s a r te n der E n tsteh u n g v on Z w illin g e n gegeben. V e rfa s s e r v e r t r it t w ie O. F r ie d e i den Stand-