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Geisteskultur und Volksbildung. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft 1923, 32. Band, Heft 1-3

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Academic year: 2022

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Geisteskultur und Volksbildung

M onatshefte d e r C o m en iu s-G esellsd iaft

H e r a u s g e b e r u n d S c h r i f t l e i t e r : Dr. Artur Buchenau u. Dr. Georg Heinz

INHALT:

Durchhalten!

R ie d ric h , Friede

C a s s ire r, Der wahre Friede P a n n w itz , Hinweis auf Rückert

O e h le r, Vom klassischen Philologen zum Um­

werter aller Werte

Streiflichter — Rundschau — Bücherschau Gesellschaftsnachrichten

32. Jahrgang 1923 1.-3. Heft

Verlag von ALFRED UNGER in Berlin C2

(2)

Belgien u. Luxemburg . 18 Fr.

D änem ark ... 6 Kr.

England ... 6 Sh.

F r a n k r e i c h ...15 Fr.

S chw eden... 6 Kr.

S ch w eiz... 6 Fr.

S p a n ie n ... 6 Pes.

Verein. Staaten u. Mexiko 3 Doll.

COM E N I U S ' G E S E L L S C H A F T

Ä T Geüieskulhir und Volksbildung. Begründet von Qeh. Archivrat Dr. Ladwiff K eller

Vorsitzender: Schriftleiter: Oeschäftiföhrer:

Stadtschulrat D r. Buchenau Dr. G eorg Heinz A lfred U n s e r , Verlagsbuchhändler Charlottenburg 5, Schloßstr.46 Berlin 0 34, Warschauer Str. 03 Berlin C 2, Spandauer Str. 22

|~ )ie Mitgliedschaft wird innerhalb Deutschlands, der Freien Stadt Danzig und des Memelgebiets durch Einzahlung des Mindestbeitrages, je nach Können von 3 — 5 Goldmark zur jeweiligen Schlüsselzahl des Buchhandels, die bei Ausgabe dieses Heftes 5000 beträgt, erworben. Die Beitragszahlung kann erfolgen:

1. auf das Konto der Comenius-Gesellschaft a) bei dem Postscheckamt Berlin Nr. 21295,

b) bei der Mitteldeutschen Creditbank, Depositenkasse K in Berlin C 2, Königstr. 25/26 — (nicht mehr Deutsche Bank),

2. direkt an die Geschäftsstelle der Com.-Ges. in Berlin C2, Spandauer Str. 22, 3. bei jeder Buchhandlung in Form des Zeitschrift-Abonnements.

Für das Ausland ist der Mitgliedsbeitrag wie folgt festgesetzt:

H o lla n d ... 3 Fl.

I ta lie n ... 18 Lire J a p a n ... 2,40 Yen N o rw e g e n ...7,20 Kr.

Die Mitglieder erhalten die Zeitschrift k o ste n lo s. Sie erscheint jährlich etwa in 4—6 Heften im Umfange von je 3 Bogen. Die Hefte sind auch einzeln käuflich.

Bei Zahlungen von Behörden oder Vereinen ist zur Vermeidung von Miß­

verständnissen und kostspieligen Rückfragen die Angabe des Empfängers des Exemplars, für das der Beitrag gelten soll, dringend erforderlich.

Die Zeitschrift wird in Deutschland durch die Post überwiesen. Außerhalb Deutschlands unter Kreuzband. G e n a u e Anschriftsangaben unbedingt nötig!

■r- Ein p e rs ö n lid ie s W o rt a n je d e s M itglied!

In banger Sorge um die Erhaltung unserer Gesellschaft und in großer Not richten wir an alle unsere Mitglieder die dringende Bitte

um ein freiwilliges Notopfer

über den M itg lie d s b e it r a g h in a u s . Der Untergang der Comenius-Gesellschaft muß unbedingt verhindert werden. Halten Sie sich vor Augen, wieviel An­

regung unsere einzigartige Zeitschrift bietet und was sie dem Deutschtum, zumal Im Auslande, durch die Widerspiegelung deutschen Gcdankenlebens leistet.

S p e n d e n S ie b a ld u nd r e ic h lic h l Postscheckkonto: Berlin Nr. 21295.

Die G eschäftsstelle.

IN H A LT (Fortsetzung)

S treiflichter...Seite 25 R u n d sch au ... 28 B ü c h e rs c h a u ... 31

Religionskunde — Philosophie und Weltanschauung — Unterricht und Erziehung — Staatswissenschaften — Schöne Literatur

Qesellschaftsnachrichten... 48

V e r la g v o n A L F R E D U N O E R , B E R L IN C 2, S p a n d a u e r S t r a ß e 22

(3)

Geisteskultur und Volksbildung

M o n a t s h e f t e de r C o m e n i u s - G e s e l l s c h a f t

Schriftleitang:

Schulrat D r. A. B uchenau

B e rlin -C h a rlo tte n b u rg S d ilo B straß e 46

D r. G e o r g H einz

B e rlin 0 3 4 W a rsc h a u er S tra ß e 63

V erla g von A lf r e d U n g e r , B e r li n C 2

Jährlich 12 H efte

Preis für den lahrgang Gz. 5.—

mal Schlüsselzahl des Zahlungstages freibleibend

Bezugspreise fü r das Ausland auf d e r 2. Umschlagseite

Spandauer Straße 22

32. Jahrgang = 1923 = 1.— 3. H e ft

D u r c h h a lte n !

L an g e K rie g sja h re hindurch tönte dieser E u f im m er w ieder an u n ser O hr und h alf uns über unsere k ö rperliche und seelische N ot hinweg. W ir hofften dam als au f einen F ried en der G erech tig keit, der uns und allen V ölkern der E rd e die M öglichkeit geben sollte, in edlem W e ttstre it m itzuarbeiten an der W eiterentw icklung der K u ltu r, an dem W ie d e ra u fb a u der seelischen Schäden und an der H eilung der W unden, die durch den K am pf aller gegen alle der K u lturm en schh eit g eschlagen w orden sind.

D er F ried e kam , ab e r ein Scheinfriede, der w eder die äußeren noch die seelischen V erw üstungen des jah re lan g en K rieg es w ieder gut m achte. Im G egenteil: der Scheinfriede v eru rsach te noch neue Schäden und v erg rö ß erte und vertiefte noch die G egensätze in der W elt.

In W irklichkeit to b t der K rie g w eiter, e rb itte rte r und u n barm h erziger a ls je : und die O pfer sind alle diejenigen, die friedliche A rbeit leisten wollen. So eilen w ir m it unaufhaltsam en S ch ritten dem U n terg an g d er abendländischen K u ltu r entgegen, wenn w ir nicht alle d urch engen Zusam m enschluß dem V e rlu st u nersetzlicher G ü ter Vor­

beugen.

S eit Ja h rz e h n te n steh t nun schon unsere C om enius-G esellschaft im M ittelpunkt aller derjenigen K reise, die für die W iederbelebung d er geistigen G ru n d k räfte und fü r die Pflege zukunftsreich er N eubildungen e in treten . F ü r alle F reu n d e u n serer B estrebungen gilt es h eu te:

A b er das ist heute schw erer denn je, besonders in D eutschland, wo in jedem H ause N ot und E n tbehrung h errsch t, wo diejenigen Schichten, die als T rä g e r deutscher G e istesk u ltü r bisher an der Spitze der B e ­

D urchhalten!

i

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w egung gestand en haben, d er N ot zu erliegen drohen. Ihnen gilt h eute unser R uf:

D urchhalten und nicht verzweifeln 1

Z w ar h a t die C om enius-G esellschaft b isher allen S türm en der Z eit g e tro tz t und ih re A ufgaben, wenn auch m it m anchen E in schränk un gen , b ish e r infolge der O pferw illigkeit ih re r M itglieder fortführen können. D an k dafür g eb ü h rt allen den F reu n d en , die im In lan d und im A usland durch G eld­

spenden und durch W erbung n eu e r M itglieder u n se re r G esellschaft die M öglichkeit des W eiterw irk en s gegeben haben. D ie Spendenliste, die jedem H efte beigegeben ist, ist d ah e r eine E h re n ta fel d er K äm pfer fü r die E rh a ltu n g k u ltu reller W e rte und für die W ied erh erstellu n g d er K ulturm enschheit.

N o c h s i n d w i r n i c h t a m E n d e u n s e r e r Not .

Noch ist unsere Aufgabe n ich t erfüllt.

D a ru m heißt es auch für uns: D u r c h h a l t e n u n d n i c h t e r l a h m e n , sondern tre u und opferw illig w eiter zusam m enstehen und die M ittel für die F o rtfü h ru n g d er A rb e it aufbringen. Um auch un seren w irtschaftlich schw ächeren M itgliedern die M öglichkeit zu gew ähren, w eiterhin an unseren B estrebungen teilzunehm en, haben w ir uns entschlossen, den F rie d e n sb e itra g von 10 M ark au f 3— 5 G oldm ark zu r Schlüsselzahl des B uchhandels h eru nterzusetzen. D e r w irkliche B e itra g w ürde dann etw a d as 4000— 5000 fache dieses F rieden sgrundpreises sein. D a dieser B ei­

tra g n u r einen Teil der S elbstkosten decken w ird, so muß von allen F reu n d e n der C om enius-G esellschaft außerdem e rw a rte t w erden, daß je d e r nach besten K rä ften durch

ein N otopfer

an dem W eiterb esteh en und W eiterw irk en d er C om enius-G esellschaft m itarb eitet. D ie H öhe dieses N otopfers sollte je d e r a u f G r u n d d e r S e l b s t e i n s c h ä t z u n g feststellen.

W e l c h e P f l i c h t e n h a t a l s o j e d e s M i t g l i e d ?

1. De n M i t g l i e d s b e i t r a g für 1923 auf G rund d er S elbstein schätzun g um gehend einzusenden! M indestbeitrag sind 3 — 5 G oldm ark!

2. U n ab lässig n e u e M i t g l i e d e r für u nsere C om enius-G esellschaft zu w e r b e n .

3. F r e u n d e u n s e r e r B e s t r e b u n g e n i m I n - u n d A u s l a n d e zu v e r­

anlassen, M itglieder u n serer G esellschaft zu w erden und B eiträg e und Spenden in der W äh ru n g ih res L an d e s einzusenden. W erbe- . Schriften v ersen d et die G eschäftsstelle (B erlin C 2, S pan dau er S tr. 22).

2 D urchhalten!

(5)

Friede 3 4. D urch regelm äßige E insendung von B erichten und E rfah ru n g e n die

B estrebungen u n serer G esellschaft zu fördern und nicht bloß L e se r d er Z eitschrift, sondern t ä t i g e r J ü n g e r d e s C o m e n i u s z u w e r d e n ! W ir w erden die jetzige Z eit der N o t überstehen und un sere B e­

strebungen fo rtführen können, w enn alle F reu n d e auch w eiterhin tre u zur C om enius-G esellschaft stehen.

G e b t e i n J e d e r s e l b s t , b a l d u n d r e i c h l i c h ! W e r b e t b e i F r e u n d e n u n d G ö n n e r n !

S e i d t ä t i g e J ü n g e r d e s C o m e n i u s !

Der V orstand der C om enius-G esellschaft.

Postscheck-Konlo: Nr. 21295.

Postscheck anbei!

Friede

Zwei Gedichte von O t t o R i e d r i c h G e b e t

Unsichtbares, Unnennbares, Grund der Welten, atme auf, Leite mich aus allem Dunkel zum ersehnten Tag hinauf!

Wie du führest, wie du leitest, wie du willst, so muß ich gehen;

Alles, w as aus uns entström et, muß nach deinem Drang geschehen!

In mir ruht die W elt gegründet, in mir ruht das künft’ge Sein;

Wecke auf das Tiefverborgne, laß dein Licht lebendig sein!

Laß mich schaun in sel’gen Träumen, was der Tag entfalten soll, Laß es leuchten und nur Demut leite mich in allem Groll.

Unsichtbares, Unnennbares, das du in mir waltend lebst, Und in unfaßbaren Gründen alles W eltgeschehen webst:

Sei lebendig, sei gewaltig, sei in mir stets offenbar,

Überwindend, weltbezwingend, laß mich Ruh sein immerdar!

W ie du tönst in meiner Seele, muß ich singen, muß ich sagen.

Du, o unnennbares W alten, du, den alle W elten tragen, Überglühe alles Irren, laß mich lächelnd sein in Not, Du, o meines Heimattages rosengleiches Morgenrot!

B u d d h a

Von Schmerz und Gram erfüllt w ar meine Seele, Vom Tag zerrissen und zerwühlt in letzten Tiefen.

Von W unscheswahn erfüllt und höchster Sehnsucht

Nach Erdengütern, fand sich kein Hort, der Ruhe mir versprach.

Vergeh! — sprach es in mir, nur Tod gibt F rie d e n .---—

l*

(6)

4 Cassirer

Da strömten Buddhaworte in mich ein. — — Sie tönten einst in schönheitstrunknen W äldern, Den Pfad enthüllend, der Erlösung gibt,

Erlösung spendet denen, die da leben

Ohn’ Heim und Gut nur in sich selbst versunken.

W ie dichte Nebel vor dem Glanz der Sonne.

So löste sich des Tages W irrnis auf;

Die Stürme schwiegen, Leid und Qual versanken, Und wie ein Spiegel lag das Meer in mir.

Nur Andacht w ar ich, seinem W ort zu lauschen, Das aus dem Borne der Erwachtheit kam.

Verschwunden w ar mein Leben, denn kein W unsch Drang wie ein Stachel giererweckend ein.

W unschloser Frieden ist nur dort, wo tief das W esen In sich die eine, hohe W ahrheit trinkt

Und allerlösend in sich selbst versinkt. — — —

Der wahre Friede

Von E r i c h C a s s i r e r I.

D i e a n a l y t i s c h e u n d d i e k o n s t r u k t i v e E r k e n n t n i s ie G eistesw issenschaften m üssen ebenso wie die N aturw issen­

schaften in einem selbständigen System der Philosophie b e­

g rü n d e t sein. Die Problem e d er Geschichte, d e r Politik und des Rechts sind keine geringeren Anliegen des erkennenden Geistes, als die F orschungsm ethoden des theoretischen W issens. Ja, sie sind insofern von noch g röß erer Bedeutung, als sie das W ohl und W ehe d er Völker und so auch das Geschick des M enschen­

geistes selbst w enigstens m ittelbar bestim men. Dieses Interesse v e r­

dichtet sich zur intensiven B edeutung einer Lebensfrage des K ultur­

m enschen in einer Zeit, w o eine neue Epoche der W eltgeschichte sich vorb ereitet und eine Revolution der traditionellen R echtsauffassungen, der bürgerlichen und internationalen, eintritt; w o endlich die G efahr u nabw endbar erscheint, daß sich vo r die H erkulesarbeit dieser Um­

w andlung ein zu schw aches und zu zaghaftes Geschlecht gestellt sieht, daß die zarten L ebensgeister, die nur durch das Ideendenken zu w ecken und w ach zu halten sind, u nter d er Überm acht d er m ateriellen W iderstände erschlaffen. W e r u n ter Philosophie gem äß ihrer u rsp rü n g ­ lichen W ortbedeutung Liebe zur w issenschaftlichen Erkenntnis versteht, der w ird ihre Aufgabe für nicht zu formial und fehlerhaft bestim m t

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Der w ahre Friede 5 halten, w enn m an sie darin erblickt, die Prinzipien oder G rundlehren alles W issens zu ergründen. Die Philosophie h ätte danach d as „reine E rk en n en “ zum G egenstände, die Erm ittlung des objektiv gültigen Urteils in allen F rag en des Geistes und d er Tat.

Das theoretische W issen bietet den natürlichen Leitfaden zum hier gefo rd erten Nachweis, daß es eine solche O bjektivität in allen E rk en n tn is­

fragen, in den G eistesw issenschaften ebenso wie in den N aturw issen­

schaften, gibt. Das V erfahren der M athem atik gilt seit Platon als die m ustergültige E rkenntnisart. Die Entwicklung der m odernen W issenschaft zeigt, daß die rein gedanklichen Begriffsbestim m ungen des m ath em a­

tischen W issens der N aturerkenntnis dienen. Der in sich selbst g e ­ gründete Aufbau der ab strak ten Axiome und L ehrsätze der M athem atik findet eine A nw endung auf die Außenwelt. Der m athem atische Begriff läßt sich zw ar unabhängig von der G egenw art der N aturkörper als Modell versinnbildlichen und schem atisch konstruieren, wie ja auch die M athem atik eine eigene Geschichte neben der der N aturw issenschaft hat, aber erkenntniskritisch erh ält das Denken der M athem atik e rs t seine genaue Bedeutung, w enn es an der bunten Sinnenwelt erp ro b t und betätigt wird. Geist und G egenstand ergänzen sich in der E rfah ru n g s­

lehre derart, daß in den rein begrifflichen Elem enten des m athem atischen W issens der Schlüssel zur N aturerkenntnis gegeben ist, und daß zw ar die uns um gebende N atur d as eigentliche Objekt u n serer W ißbegier bildet, ab er d e r Geist schon in sich selbst die V oraussetzungen zur Lösung jener Aufgaben besetzt, die uns die unendliche M annigfaltigkeit des Universums stellt. Nicht etw a erfüllt das m athem atische Denken seine Aufgabe darin, den N aturgegenstand abzubilden, sondern die Denk­

einheiten der M athem atik sind zugleich die Erkenntnism ittel der Natur.

Ließe sich das gegenständliche E rkennen als bloße Reaktion des erkennenden Subjektes auf an sich in m etaphysischer S elbstgenügsam keit und U nnahbarkeit bestehende Dinge auffassen, so w ürde die U nter­

suchung über die Prinzipien d e r E rkenntnis ein hoffnungsloses U nter­

nehm en w erden. M an w ürde über tastende V ersuche nach gew issen

„heuristischen M axim en“ nicht hinauskom m en, wobei m an auf das gute Glück einer genialen Intuition angew iesen w äre. W ie m an in diesem Falle die Begreiflichkeit des N aturgegenstandes erk lären sollte, bleibt unerfindlich; m an w äre auf ganz vage m etaphysische Konstruktionen, w ie e tw a die einer Harm onie zwischen d er psychischen O rganisation des E rkenntnissubjektes m it den Eigenschaften d er Dinge angewiesen.

Niemals könnte m an für die Prinzipien der w issenschaftlichen E rkenntnis jene N otw endigkeit der Geltung herausbekom m en, in d er m an von jeher und zugestandenerm aßen ihren sie auszeichnenden logischen E rkenntnis­

w ert erblickt hat. W as w ürde ein M athem atiker von einer Definition oder einem L ehrsatz seiner W issenschaft halten, der nur dann gelten soll, wenn sich zw ischen ihnen und der Außenwelt eine Übereinstimmung

(8)

6 Cassirer

herausstellt, oder w enn e r sie g a r auf die „A hnung“ einer solchen Harm onie hin bew eisen sollte! R echnet überhaupt der M athem atiker in e rs te r Linie m it der K örperw elt o d er ist ihm nicht vielm ehr selbst der Raum ein freies Geschöpf m athem atischer definitorischer Kunst und gedanklicher Kom bination? Gilt ihm d er n-dim ensionale Raum w eniger, a ls der euklidische dreidim ensionale, gelten ihm die T ransform ationen d er Z eitkoordinaten w eniger, als die einheitliche durch die funktionale Beziehung des N aturgesetzes verknüpfte Zeitreihe, die doch allein für das physikalische P hänom en in B etracht kom m t?

Die W eisheit des P arm enides von d er Identität des Denkens und Seins behält ihre W ahrheit auch für unsere m oderne W issenschaft. Sie bedeutet, daß das Denken, insbesondere d as m athem atische, das m etho­

dische M ittel der gegenständlichen Erkenntnis ist, daß Denken und Sein korrelative Begriffe in der E rkenntnisfunktion sind, die voneinander inso­

fern als u n ab tre n n b ar gelten, als das w issenschaftliche Denken den G egenstand bestim m t und andrerseits das Sein nichts für sich ist, so daß etw a die Eigenschaften an sich zu denkender Dinge auf rätselhafte W eise in unsere V orstellungen „hinüberw anderten“ . Ebensow enig freilich wie das Sein eine sta rre Gegebenheit, sind die Begriffe ein d er E rkenntnis ein für allemal vorliegendes, unveränderliches Datum. Die N otw endigkeit der Geltung der Prinzipien ist eben keine T atsachenw ahrheit, sondern ein in der Entw icklung der E rkenntnisfunktion innerhalb d er Forschung stets von neuem zu prüfendes Ergebnis. Die Prinzipien können sich wohl w andeln und w andeln sich auch m it den F o rtsch ritten d er Erkenntnis, aber in einem planm äßigen stetigen V erfahren gem äß den Aufgaben, die sich die W issenschaft selber stellt im Zusam m enhang m it einer system atisch angestellten N aturbeobachtung, und nicht auf die E in­

w irkung äu ßerer U rsachen und durch sie bew irk ter Im pressionen und Em pfindungen hin.

An der klaren und eindeutigen Bestimmung des w issenschaftlichen Prinzips h ängt die genaue Feststellung der Aufgaben d e r idealistischen Philosophie. W er auch die E rkenntnisprinzipien durch äußere E rfahrung affizierender Dinge bestim m t sein läßt, verw echselt die Erkenntniskritik m it einer psychologischen Erkenntnislehre.

W ie der G edanke des Kopernikus, den Zuschauer um die als ruhend gedachten S terne sich drehen zu lassen, eine neue Epoche in der m athem atischen Physik eröffnete, so w urde durch eine entsprechende

„Revolution der D enkart“ die M ethode der Erkenntniskritik gew onnen.

A nstatt die Erkenntnis durch die Dinge zu bestim men, unternahm es die V ernunftkritik, die Bedingungen d er G egenstände d er E rfahrung in den Bedingungen des w issenschaftlichen Denkens zu suchen und zu ermitteln.

Als A usgang der Bestimmung bot sich die m athem atische M ethode dar.

Die Kopernikanische D rehung des G egenstandes um den erkennenden Geist w ird folgerecht in allen Zweigen d er N aturerkenntnis durch­

(9)

Der w ahre Friede

zuführen gesucht. Di,e Biologie bietet in ihren Begriffen von Organism us und Leben, von M ittel und Zw eck Beispiele dieser neuen W eltänsicht, insofern in ihnen das N aturobjekt auf das erkennende Subjekt zurück­

bezogen wird. W ir deuten den O rganism us d er Pflanze od er des Tieres stets notw endig auf den Zweck des Lebens. Dieser Z w eckbegriff ist der vom denkenden B etrachter selbstgew ählte Gesichtspunkt, d er eine system atische Ordnung der biologischen E rkenntnisse erm öglicht. Mit seiner Einführung entsteht eine b eso n d ere'U rteilsk lasse: ihr gehören die A ussagen der Chemie, M ineralogie, ja d er beschreibenden Psychologie an, insofern sie M ittel zur E rklärung des Lebensprozesses sind. Sie alle aber enthalten den Hinweis auf die reinen M aße d er M athem atik und w erden e rs t durch die m athem atische Bestimmung zu objektiven Erkenntnissen. So läßt sich der Zw eckbegriff n u r rech t begreifen, w enn m an in ihm den Ausdruck einer Einheit von Problem -M annigfaltigkeiten sieht, die für eine m athem atische Behandlung gesam m elt und v o rb ereitet w erden.

Das Verhältnis von Denken und Sein bestim m t sich aufs neue in den F rag en der Geschichte und der Sittlichkeit. Der Geist b ehauptet gegenüber den Zeitereignissen und den K ulturw erten in gleicher W eise w ie gegenüber den N aturphänom enen seine ihm eigentüm liche u n ab ­ hängige schöpferische Kraft, ohne deshalb jedoch, ebenso wie im exakten W issen, ein Luftschloß der P hantasie zu bauen. Aber w ährend sich der M athem atiker zu seinen Beweisen gew isser begrifflicher Symbole und gezeichneter F iguren bedient, erfolgt die Ableitung des Sittlichen aus reinen Begriffen. Die K onstruierbarkeit des gedachten Objektes gilt der M athem atik als Kennzeichen dafür, ob der Begriff, d er die Regel d e r Schem atisierung enthält, m öglich ist. Im Sittlichen ab er ist die philosophische E rkenntnis auf die ihr eigene M ethode des rein begriff­

lichen Denkens angew iesen. M an könnte m einen, daß ein W issen, das sich auf n u r g e d a c h t e Begriffe bezieht, der W illkür bloßer m etaphysischer B ehauptungen od er sonstiger B egriffsdichtungen anheim ­ gegeben w äre. Das S ittengesetz jedoch will w enigstens m ehr sein als ein subjektiver Gedanke o der ein Ziel des B egehrens und W ünschens.

Nur insofern die reine V ernunft F orderungen als verbindlich anerkennt, die w ir en tgegen ihrem w irklichen V erhalten an die m enschliche und die äußere N atur stellen, gibt es eine Sittlichkeit.

Diese b eru h t nun zw ar auf unbew eisbaren Axiomen, die ab er deshalb nicht w eniger begründet sind; denn es ist d er Idee des Sittlichen eigen­

tümlich, keiner Herleitung aus einem höheren Grunde zu bedürfen. Sie ist, wie es bei P laton hieß, das U nbedingte; d er U rsprung aller Beweise und alles Seins: „das höchste W issen “ . Dieses U nbedingte ist also keine m etaphysische Substanz, sondern d e r erkenntniskritisch postulierte An­

fang der Ableitung. — Die sittliche Erkenntnis ist m ithin eine rein begriffliche; ihre Begriffe unterscheiden sich von den m athem atischen

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8 Cassirer

Definitionen, die e rst relativ zu den G egenständen, die sie erm öglichen, bew eisbar sind und bezeichnen ein Sein, das zw ar nicht w ie d as m athem atische an die A nschauungsform en von Raum und Zeit geknüpft, aber auch nicht etw a eine willkürliche H ypothese ist. Dieses g ed a n k ­ lich geforderte Sein soll durch d as Gesetz d er Handlung v erw irklicht w erden, den ideellen G radm esser des W ollens und Sollens. Eine begriff­

liche und zugleich objektive V oraussetzung wül den Endzw eck des sitt­

lichen B estrebens ausdrücken.- P laton sah seine B egründung im Ideen­

denken. Das Selbstbew ußtsein vollführt in dieser Grundlegung seine erste entscheidende T at:

Du m ußt glauben, du m ußt w agen, Denn die G ötter leihn kein P fand:

Nur ein W under k an n dich tragen In das schöne W underland.

Der entw ickelte G edankengang läßt sich auch so aussprechen: e s gibt zwei G rundtypen d er Erkenntnis, eine begriffliche und eine k o n ­ struktive, je nachdem sie einen nur gedachten o d er sow ohl gedachten als anschaulichen Sachverhalt betrifft. W ie die konstruktive E rkenntnis der M athem atik das W issen von d er äußeren N atur erm öglicht, so zielt das begriffliche Denjken d er Philosophie auf ganz bestim m te objektive Inhalte. Denn jedes w issenschaftliche Urteü will eine A rt des Seins und der G egenständlichkeit feststellen. Zu diesen R ealitäten gehören die G eschichte des Geistes und der Völker, S taats- und V ölkerrecht, ja alle K ulturw erte.

II.

D i e B e g r ü n d u n g d e s w e l t g e s c h i c h t l i c h e n I d e a l s Zum Glauben an den B estand d er Sittlichkeit und des Rechts g eh ö rt der Mut, aus d e r rein gedanklichen G rundlegung dieser Ideen Folgerungen für die Handlung im A nw endungsfalle zu ziehen. Die m athem atischen W issenschaften erfordern freilich auch w eitgehende A bstraktionen w ie im Begriffe der Graden, des Unendlichkleinen, der Energie u. s. f., deren.

Nutzen nicht unm ittelbar zu erkennen ist, ab e r in der system atischen und m ethodischen V erknüpfung d er G rundbegriffe und in der V erbindung m it den em pirischen K onstanten w erd en w ir hier zu anschaulichen und besonderen Erkenntniissen geführt, die E rfahrung w ird also durch rein begriffliche M ittel erm öglicht und erw eitert. Die L ehre vom Sittlichen erschließt uns jedoch g a r keine neuen Erfahrungen, sondern sagt n u r aus, daß e tw a s auf bestilmmte A rt hätte geschehen sollen od er geg en­

w ärtig o d er künftig geschehen soll; sie fö rd ert uns nicht in d er E rkenn tnis der W ege, diie zu dieser idealen W irklichkeit führen. W ir m üssen in u nsern sittlichen Urteilen grundsätzlich darauf verzichten, die M ittel zur Ausübung der Handlung in Rechnung zu ziehen und uns von d ieser

(11)

Der wahre Friede 9 E rw ägung in unsern Entschließungen freihalten. Die Sittlichkeit fra g t also so w enig nach der E rfahrung, daß sie sogar ihr T rotz bietet und sie um zustoßen beansprucht; sie hat eine vorgestellte W irklichkeit zum G egenstände, für die es in d er E rfahrung w eder nachw eisbare Beispiele gibt, noch künftig mit Sicherheit geben wird.

Von hier aus läßt sich ein M aßstab für die Beurteilung des w e lt­

geschichtlichen Geschehens gewinnen. Unzweifelhaft stellt dieses eine Summe von E rfahrungen dar; seine E rkenntnis erschöpft sich a b e r deshalb nicht etw a in der bloßen V erm ehrung des W issens von Einzel­

tatsachen. Aus der B etrachtung der W eltgeschichte scheiden alle w issen ­ schaftlichen Sonderfragen aus. R echtsw issenschaft, Nationalökonom ie, geographische Beschreibung, Geologie, S prachw issenschaft u. s. f. statten zw ar m it ihrem Inhalt die G eschichtsw issenschaft aus, liefern aber n a tu r­

gem äß nicht das Gestaltungsprinzip ihrer M aterien, w elches sie in dem Problem der Geschichte zu neuer eigentüm licher B edeutung verw andelt.

Andernfalls w äre die geschichtliche Forschung als ein Sam m elsurium von w issenschaftlichen Aufgaben und nicht als eine bestim m te E rken ntn is­

weise aufzufassen. Das Problem der Geschichte em pfängt eben seine B esonderheit nicht aus seinen stofflichen Elem enten. Zunächst freilich scheint das Eigentüm liche dieser W issenschaft durch eine gew isse leh r­

reiche Synthese zu entstehen, die der H istoriker vollzieht, um dem W iß­

begierigen das Bild der Zeit zu entw erfen. Es leuchtet ab er ein, daß auch in dieser Auffassung der Geschichte nur ein enzyklopädischer W e rt zuzum essen w äre. Aus den Zeilen der Geschichte spricht über den.

bloß unterrichtenden Zweck hinaus die sittliche und politische D enkungs­

a rt des Schriftstellers. Sittlichkeit und Politik aber sind Objekte des W illens, die als solche den W issenschaften vorausliegen. Die Geschichte w äre som it ein G renzgebiet, das in der A nw endung d er Ethik auf die besonderen W issenschaften entspringt. W enn es also eine selbständige E rkenntnis des Sittlichen gibt, deren Axiome unabhängig von d er E r­

fahrung gelten, so ist sie die Grundlage der historischen B etrachtung.

Neben der Ethik sahen w ir in der Politik ein Elem ent des geschicht­

lichen Denkens. Soll diese nicht m it der persönlichen M einung zusam m en- fallen, w odurch m an auf jeden M aßstab d er Objektivität verzichtete, so muß sie einen Zusam m enhang m it den allgem eingültigen Gesetzen des Geistes haben. Diese Verbindung der Politik, insbesondere mit der Ethik, liegt im Rechtsbegriffe.

Die Rechtsphilosophie zeigt, daß der Begriff des Rechts in der Ethik seinen tiefsten Grund hat. Die Ethik form uliert den allgem einen Begriff der Verbindlichkeit. In d e r Begründung der Form el, die das Prinzip d er allgemeinen G esetzgebung ausspricht, besteht ihre eigentliche w issen­

schaftliche Leistung. Der „kategorische Im perativ“ will diese G rund­

gesetzlichkeit der Handlung erläutern: „Handle so, daß die M axime deines

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10 Cassirer

W illens zugleich als Prinzip einer allgem einen Gesetzgebung dienen könne.“ — W enn w ir eine solche G esetzm äßigkeit in unsern Handlungen zu verw irklichen beanspruchen dürfen, so muß diese auch in den allge­

m einsten rechtlichen F orderungen in die Erscheinung treten. D aher ist es nur folgerichtig, w enn entsprechend den G rundw ahrheiten der M athem atik „G rundsätze“ der Rechtsphilosophie behauptet w erden.

Solche Axiome des R echts sind die P ostulate der F reiheit aller S ta a ts­

b ü rg er im S taatsw esen, der Selbstbestim m ung und d er Gleichberechtigung aller Völker der bew ohnten Erde. — S taats- und V ölkerrecht beruhen auf diesen ersten V oraussetzungen. W ie der G eom eter seine K onstruktionen nur sym bolisch ausführt und dennoch an ih rer A nw endbarkeit auf die N atur nicht zu zw eifeln braucht, so k ann der Rechtsphilosoph an seinen idealen F orderungen als Maß und Vorbild des geschichtlichen E ntw ick­

lungsprozesses festhalten. Der G eom eter gelangt durch die B etrachtung seiner schem atischen F iguren zur E rkenntnis der konkreten Einzel­

gestalten der äußeren Natur. iDer R echtsphilosoph darf an den G rund­

typen seiner E rkenntnis des S taats- und V ölkerrechts nicht irre w erden, auch w enn ihm die E rfahrung b ish er nur unvollkom m ene Beispiele darbot.

E r schöpft diese Gewißheit aus der Einsicht, daß es zwei A rten objektiver E rkenntnis gibt: eine begriffliche und eine konstruktive, und daß e r in seinem Gebiete des analytischen Denkens keine anschaulichen Beweise braucht und erw arte n kann.

Der G eist bedarf im Bereich des m athem atischen W issens keines äußeren Kriterium s. Der G egenstand ist begründet, w enn m an von ihm eine klare Definition besitzt; auch die K onstruktion des Objektes findet in ein er n u r g e d a c h t e n A nschauung statt. W ir führen z. B. in der Himmelsmechanik unsere Beweise vom Gesetz der Schw ere und den hierdurch bedingten Bew egungen d er Him m elskörper an bloßen Zeich­

nungen, die uns als Modell dienen, und gelangen durch diese m athem atische M ethode zur E rkenntnis der w ahren N aturgesetze. Das S ittengesetz aber läßt sich nicht einm al m ittelbar, an physischen W irkungen erkennen, sondern ist eine rein begriffliche Bestimmtheit. W enn es jedoch überhaupt Urteile gibt, die w ie die m athem atischen ohne Rück­

sicht auf die Existenz von Außendingen einen G eltungsw ert besitzen, so muß dieses noch viel m ehr von den A ussagen gelten, die ersichtlich in der Eigentüm lichkeit des M enschengeistes ihren U rsprung haben.

Es w ird nun freilich nicht allgemein zugestanden, daß die Forderungen von Recht und Sittlichkeit eine objektiv gültige Ordnung neben der O rdnungsreihe des kausalen Geschehens begründen. Es scheint mit H änden greifbar, daß nicht die V ernunfterkenntnis die m enschlichen Handlungen ausschließlich bestim mt, sondern daß die tiefste Einsicht im Kampf mit dem Eigennutz und den sonstigen Begierden zu unterliegen droht. Dieser Einw and geht jedoch von einer falschen Fragestellung aus:

den n es handelt sich nicht darum , ob im gegebenen Falle der ideale

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Der w ahre Friede 11 o d er der em pirisch bedingte M ensch tatsächlich den Sieg davonträgt, sondern ob es überhaupt eine eigene und selbständige G esetzm äßigkeit des Geistes gibt, die zw ar aüf die größten m ateriellen W id erständ e stößt, aber nichtsdestow eniger dauernd von neuem ihre A nsprüche d u rch­

zusetzen sich bem üht. —

Darin zeigt sich die ganze Schw ierigkeit für die Bew eisführung in dieser E rkenntnisart, daß es sich in ihr um ein S o l l e n und nicht um ein anschauliches S e i n handelt, daß ihre Postulate nicht d a r g e ­ s t e l l t , sondern n ur a u f g e s t e l l t w erden können und dennoch nicht nur denselben, sondern einen noch übergeordneten W ahrheitsgehalt b e­

zeichnen gegenüber den Axiomen der Anschauung.

Der Idealismus lehrt, daß in aller w issenschaftlichen Philosophie d er G egenstand in dem Gesetz des denkenden Bewußtseins entw orfen w ird und daß die M aterie, sofern sie m ehr sein soll als d e r zu bearbeitende Stoff der Erkenntnis, eine dogm atische V oraussetzung der populären V orstellungsw eise ist. Es kann also nicht befrem den, wenn die R ück­

sicht auf den G egenstand des W unsches und der Begierde, ja auf die jeweilig erreichte Vollkommenheit, aus den sittlichen E rw ägungen au s­

scheidet. Das Erkenntnisproblem läßt sich zw ar durch die Rücksicht auf die E rfahrung gliedern, aber diese Einteilung führt uns niem als auf Urteile, deren Gültigkeit ausschließlich an die Inhalte und die Ergebnisse der E rfahrung geknüpft ist.

Die e rste Klasse der Urteile, die die Kritik begründet, w ird nämlich nicht aus der s i n n l i c h e n E r f a h r u n g abgeleitet, sondern aus der e x a k t e n E r f a h r u n g s e r k e n n t n i s der m athem atischen N atur­

lehre. So enthält sie die Form des w issenschaftlichen Denkens ü b er­

h aupt und entw ickelt die Urteilsform en, die zw ar die Bedingungen der gegenständlichen E rkenntnis bezeichnen, denen ab er nach H e r t z * ) die E rfahrung (im Sinne der B eobachtung und des Experim ents) noch völlig frem d bleibt. Die Form des w issenschaftlichen Urteils muß erm ittelt sein, bevor w ir an die Aufgabe gehen, in diese rein und selbständig zu entw ickelnde G rundgestalt die em pirischen absoluten K onstanten wie etw a die M asse des bew egten K örpers einzubeziehen. Die E rfah ru ng aber läßt sich in noch um fassenderen Sinne verstehen und üb er den Kreis der N aturbetrachtung zur E rfahrung der Geschichte und der Geistes­

w issenschaften erw eitern. Im Unterschiede von derjenigen der m athem a­

tischen T heorie der E rfahrung w ird sich hier eine neue Form des Urteils und der Gesetzm äßigkeit herausstellen; denn nunm ehr ist es die n i c h t - s i n n l i c h e E r f a h r u n g , die zu einem b e s o n d e r e n P r o b l e m e w urde.

*) Vgl. Hertz, Die Prinzipien der Mechanik, Leipzig, 1894, S. 53.

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12 Cassirer

III.

D i e K r i t i k d e s V ö l k e r b u n d e s

W ie es objektiv gültige Urteile der M athem atik ünd d e r Physik gibt, so fo rd ert dieses neue System d er nichtsinnlichen E rfahrung, sofern es einen eigentüm lichen E rken ntnisw ert begründen soll, objektiv gültige U rteile von M oral und Recht. Auf sie stützt sich die kritische B etrachtung d e r W eltgeschichte. Die ew igen W ahrheiten der Sittlichkeit und des Rechts haben eine objektive Bedeutung für den handelnden M enschen. Die äußeren V erhältnisse und die w irklichen R echtsinstitutionen können an der Geltung dieser W ahrheiten nichts ändern; denn sie gehören m ethodisch einer ändern Dimension der B etrachtung an. Die em pirische völkerrechtliche Stellung eines S taates w ird durch Sieg und N ieder­

lage bestim m t; sein re in e r R echtsanspruch bleibt von diesen zufälligen Reglungen unberührt. Der W affengang entscheidet wohl über die politische M acht, aber nicht üb er Recht und Unrecht. Die G rundsätze des V ölkerrechts können sich nicht gut nach der W e tterfah n e des K riegs­

glücks richten. In Versailles w urde ein V ölkerbundsvertrag entw orfen, in den die besiegten M ächte M itteleuropas nicht m iteinbezogen sind.

Das v erstö ß t nun nicht etw a bloß gegen die H um anität und ein gew isses subjektives Rechtsgefühl, sondern jener Völkerbund ist, an den G rund­

sätzen des reinen Rechtes gem essen, überhaupt keine w ahre rechtliche Institution. Er schm ückt sich fälschlich m it diesen* Ehrentitel. Der Völker­

bund ist, wie er nunm ehr in die Erscheinung getreten ist, ein Sonderbund der ersten M ilitärstaaten der Wjelt, in den pro form a oder bestenfalls tatsächlich die kleineren Staaten m iteinbezogen sind. Es ist bezeichnend, daß man, hierm it noch nicht zufrieden, einen ausdrücklichen S chutzver­

band gegen Deutschland zu schließen bem üht ist, der vorläufig n ur an den divergierenden K ontinentalinteressen der bisher alliierten S taaten gescheitert ist. Das B estreben nach einer solchen Bündnispolitik allein b e ­ zeichnet schon eine D iskreditierung der Idee des Völkerbundes, dessen Sinn doch offenbar nicht die Sicherung einzelner Staaten, sondern aller S taaten vor der Nichtachtung d er Axiome des V ölkerrechts ist. In dieser G eistesverfassung läßt sich keine neue Ära des Rechts erschaffen; denn sie führt offenbar zum Rückfall in die dem W orte nach von den jetzigen H erren der W elt befehdete traditionelle Politik, die in Schutz- und T ru tz­

bündnissen ständig von neuem den N ährboden fü r Kriege schuf. Das' T reuversprechen bindet eben die S taaten untereinander nur wenig, so lange nicht das Recht, sondern d er Eigennutz der S elbsterhaltung die Grundlage des Bundes bildet. Der Sophistik der S taatsw eisheit fehlt es niem als an fadenscheinigen Gründen, die den Bruch des Bundes im günstigen M om ent rechtfertigen. Es geht eben nicht an, Gesetz und Recht auf subjektive V erträge zu gründen, die nur so lange gelten, w ie

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Der wahre Friede 13 sie den Zw ecken entsprechen, die den V ertragschließern bei ihrer Stiftung vorschw ebten. Zudem sollte jedem kritischen B eobachter klar gew orden sein, w ie die Anarchie in den außenpolitischen R echtsbindungen zur G esetzlosigkeit in der inneren Politik und zur Lockerung der traditionellen R echtsauffassungen und zur Skepsis am Recht überhaupt führt.

Auch der m odernen Auffassung des V ölkerbundvertrages liegt der Irrtum zugrunde, als handle es sich hierbei um Aufstellung von M aximen, die dem subjektiven D afürhalten überlassen und nach Zw eckm äßigkeits­

g rü n d e n zu m odeln sind. Die kritische Überzeugung von dem w issen ­ schaftlichen C harakter der R echtsgrundsätze verm ag sich noch im m er nicht als Allgemeingut des Kulturbew ußtseins durchzusetzen. W e r m öchte ein Haus oder eine M aschine bauen und dabei die m athem atischen Gesetze der S tatik und d er Dynamik vernachlässigen? Und doch will m an dem S taateng ebäude der E rde eine V erfassung geben, ohne die Axiome des V ölkerrechts als bindend anzuerkennen. Dieses R echtsgebäude, das ohne Kenntnis oder ohne Beobachtung d er Verbindlichkeit der reinen R echts­

g ru n d sä tz e errich tet w urde, w ird ebenso unfehlbar einstürzen wie das Haus, dessen Baum eister in seinem Bauplan gegen die Regeln der Statik verstieß. Das System des Rechts h at denselben W ah rh eitsw ert und ist daher in dem selben Sinne objektiv, wie es die Relationen d er M athem atik und die in ihnen begründeten N aturgesetze sind. W as diesen Gedanken absurd erscheinen läßt, ist n u r die Eigentüm lichkeit des E rk en n tn is­

gebietes, dem es angehört, und das ein Objekt betrifft, w elches sich nicht auf die Bedingungen der Raum -Zeitanschauung, sondern auf eine E r­

fahrung bezieht, die, ebenso objektiv w ie die m athem atische, dennoch von jenen nur dem theoretischen W issen eignen Bedingungen absieht.

Indes die Urteile des Rechts sind nichtsdestow eniger reine E rkenntnisse und erschließen in einem bew eisbaren V erfahren fortschreitend den G egenstand der Rechtsw issenschaft. Nur die Begründung dieses Gegen­

standes abstrahiert von den Raum- und Zeitbedingungen, w ährend offen­

b ar die Ideen des Guten und G erechten ohne den Gedanken der A nw end­

barkeit auf die hier und jetzt gegebenen Umstände in nichts zu zerfallen drohen. Sie bezeichnen die Richtungslinien, in denen d er Endzw eck liegt, dem der tatsächliche Gang d er Geschichte zustrebt o der doch zustreben sollte.

Der Begriff des Rechtes fordert die Beziehung auf eine G esellschaft:

Familie, Gemeinde, S taat und Staatenbund. Es kann kein Recht geben, d as nicht für alle Glieder des Ganzen definiert w äre, dem das einzelne R echtssubjekt angehört. Denn das Recht ist seiner philosophischen Be­

deutung nach nichts anderes als das Gesetz, das die V erträglichkeit der Interessen aller Einzelnen mit dem Gesamtwohl ausspricht. W er an den B estand eines solchen R echtsgesetzes nicht glaubt und diese Überein­

stim m ung für unerreichbar hält, bestreitet dam it zugleich das Recht

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14 Cassirer

überhaupt. Recht heißt G leichberechtigung aller derjenigen, die in einem bürgerlich oder staatlich geordneten V erhältnis zueinander stehen. *)

Die Teilnahm e der M ittelm ächte als eb enb ürtiger M itglieder am Völkerbunde und d as S elbstbestim m ungsrecht aller großen und kleinen Völker (auch des deutschen Volkes!) sind R echtsansprüche, die e rs t verw irklicht sein m üssen, bev o r an die A nbahnung des „w ahren F ried en s“

gedacht w erden kann. Ebenso ist die A usschaltung der Schuldfrage aus den E rw ägungen über den künftigen Frieden sittlich-rechtlich g e ­ fordert, da d er vom S ieger in der eignen Sache gefällte U rteilsspruch offenbar dazu ausgebeutet w ird, ihm ein V orrecht vor dem Besiegten zu sichern. Die R atifikationsurkunde begründet zw ar de jure den Frieden, aber das reine Recht muß ihn beglaubigen. W ohl ist es richtig, daß d as

„positive“ Recht das „Recht, das m it uns geboren ist“ , vielleicht niem als genau zum Ausdruck bringen wird, ab er d as „reine R echt“ fo rd ert doch, daß d as tatsächliche Recht ergänzt und berichtigt wird. Diese richtung­

gebende B edeutung hat die Idee in allen E rkenntnisfragen und so auch in den Rechtsurteilen. M öge der Idealismus der Völker erw achen und freiwillig vollziehen, w as sonst unausbleiblich u n ter stärkeren Reibungen und größeren E rschütterungen des außen- und innerpolitischen Gleich­

gew ichtes durch den Zw ang d e r Sache und die M acht der Idee frü her oder später W irklichkeit w ird. Das Ideal der W eltgeschichte bleibt d as rei'ne Recht, das im Sittengesetz, dem obersten E rkenntnisgrund des m enschlichen Geistes, seinen U rsprung hat. Es ist u n ser stolzes Recht, das w ir uns durch keine politische Klugheit verküm m ern zu lassen brauchen, uns auf die aus den G rundsätzen d e r M enschheit entspringenden Ansprüche im m er w ieder zu besinnen und sie geltend zu machen. Diese Selbstachtung muß die Richtschnur unseres völkerrechtlichen D enkens nicht m inder sein, w ie die Achtung v or den Rechten an d erer Nationen.

Es w äre kleinm ütiger Pessim ism us, der uns riete, das Ringen um d ieses R echt in A nbetracht der U ngunst der Zeiten für eine Jag d nach einem Phantom o der für kindischen Eigenwillen zu halten. Der Mittel zu sein er V erw irklichung m ag es viele geben; ab er das Ziel ist deutlich d as eine, das auf den Bedingungen rechtsw issenschaftlicher Erkenntnis b eru ht und deshalb zeitlos gilt. Ob w ir uns ihm zunächst durch die auf d er G egen­

seite erw achende Einsicht von dem W e rt einer den S onderinteressen übergeordneten Interessengem einschaft der Völker und ih rer V orzüge nähern w erden o d er durch den Sieg der Überzeugung von der ideellen N otw endigkeit eines die nationalen Schranken überragenden V ölkerrechts, bleibe dahingestellt: F ür uns muß und w ird das S treben nach der V er­

vollkomm nung des geltenden V ölkerrechts Selbstzw eck sein.

*) Für das philosophische Studium der in diesem Aufsatze behandelten grundsätzlichen Fragen verweise ich auf meine Schrift: „Natur- und Völker­

recht im Lichte der Geschichte und der systematischen Philosophie“. Berlin 1919.

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Hinweis auf Rückert

15-

Von Ru d o l f P a n n wi t z

ückert ist vergessen w orden. Auch e r ist etw as and eres als w ofür er genom m en w orden ist. Außerdem m üßte er gesichtet w erden. W eil es schw er ist, sich durch ihm hin­

durch zu finden, findet m an sich g ar nicht e rst in ihn hinein. Dieser Hinweis will aufm erksam m achen und v e r­

anlassen, daß R ückert w ieder gelesen werde. Es w ird dann — aber erst, nachdem m an ihn w irklich kennt und also ein M aßstab des rechten Em pfindens gew onnen ist — eine neue Sam m lung seines W erkes und eilne Ausw ahl geleistet w erden müssen, die wohl ganz andere E in­

stellungen als die heute gew ohnten voraussetzt.

Rückert, zu der Reihe Uhland m eistens zugezählt, obw ohl er M ain­

franke ist, h at nicht das geringste m it d er Rom antik gem einsam . E r steht ihr fast noch fern er als Goethe. E r deutet auf ältere Rasse, er ist wirklich altdeutsch — m an sehe den Kopf — und hat ein unzersetztes Blut. Dieses ist wichtig, nicfrt so die G eharnischten Sonette, deren Richtung in H erw egh und Strachw itz auslief. Es fehlt bei ihm jed er subjektivistischie Zug, w o er doch überall fühlbar persönlich ist. In fast allen Gedichten, auch denen, die etw as Inneres ausdrücken, bildet er A ußenweltliches wie im Holzscjinitzwerk treulich nach. Das Subjekt steht dem Objekt gegenüber, ist ihm überlegen, verm ischt sich nicht m it ihm. Das ist eine Grenze, aber auch eine Größe. Es w ird heute nicht verstanden, da noch im m er zur Kunst die E rschütterung des Subjektes v erlangt w ifd, das Epische als Dichtunggattung, nicht als Dichtungsw eise verstanden wird. Die wirkliche Grenze aber bleibt, daß das Dionysische und das N aturdäm onische, das Chaos der Seele und das aus dem Nichts Allschaffende fehlt. Ein problem loser innerer Friede, ein tiefer S trom gang allgem einer Schicksale, Folge beständigen Volks­

tums und lang gefestigter V erhältnisse stellt auch den M enschen fa st allein u n ter unseren Großen — denen freilich e r unbedingt zugehört — und in die Mitte zw ischen dem großen Künstlertum und dem großen Gelehrtentum , etw a zw ischen das, w as Goethe und das w as Grimm bezeichnen. Hierbei ist nichts von seinem Rang gesagt, der nicht so leicht zu bestim m en ist. Er ist nicht unschöpferisch, e r ist an d ers schöpferisch, m ehr generell wie ein Volk als individual wie ein Fatum , er ist Philosoph, Religiöser, Sprachbildner im orientalischen Sinne. Aber auch das orientalische W esen selbst ist nicht durchaus das, w ofür m an sich heute leichtfertig begeistert. Seine Harm onie und W eisheit ist w e d er Beruhigung noch E rregung, sondern Selbstzucht auf das Äußerste, sie kann nicht von einem Einzelnen übernomm en, sondern nur von J a h r­

hunderten bodenständiger Entw icklung in ungebrochenen Bahnen u n te r eigenen Form en verjüngt w erden. Das begeisterte Individuum scheitert

£

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10 Pannwitz

i^nmer wie ein schlechter P arv en ü am Orient. Am nächsten in seinem Leben und in seinem W erk ist von allen Deutschen ihm R ückert — auch das Unscheinbare, g erade das bestätigt.

Außer der Ü bertragung der Reden Buddhos von Neum ann kommen keine Übersetzungen aus dem Orient neben solchen von R ückert geistig und sprachlich in Betracht. Es bleibe dahin bestehen, w as eine neue und nicht im mer höhere W issenschaft mit Recht o der U nrecht anficht.

Aber selbst das schlechthin u n ü bersetzbare Chinesische des Schi-King- L iederbuches ist doch besser als alles, w as seither von Li-Tai-Pe oder Japanischem uns geboten w orden ist. W elches W under ist d er Koran von R ückert! W elches U ngeheure die Stellen aus dem M ajabharata!

W ie durchaus unvergleichlich Hafis, Saadi, Dschami, Rumi und andere, dazu zahllose Volkslieder aus dem A rabischen und Persischen, epische und dram atische T rüm m er aus dem Sanskrit, sogar die Sakontala. Das M eiste und vielfach das Beste — übrigens auch von R ückerts eignen Gedichten — steht in den beiden großen Nachlaßbänden (herausgegeben von Hirschfeld, W eim ar, Gesellschaft der Bibliophilen, 1910). Allgemeiner bekannt sind nur Nal und Dam ajanti, fern er die M akam en des Hariri

— w elche beiden freilich nicht geringer sind. Aber weiß m an denn, daß von dem Epos des Fijr<dusi drei Bände von R ückert da sind? Auch sie Nachlaß und der letzten Hand entbehrend. M an lese nach, wie das alles bei ihm entstand. Und er h at auch den T heokrit übersetzt, auch einiges von Horaz. — Diese Ü bertragungen sind reiner Spiegel und lautere F reude des Form ens. In ihnen w ebt d er Geist der Gestaltungen, denen liebevoll und kraftvoll tastend sie nachgebildet sind. Sie alle stam m en von einem nicht nur Könnenden, sondern vollkomm en W issenden.

Rückert hat einen anderen Orient begriffen, als an welchem heutiger Skeptizism us und M ystizism us sich begeistert und üb er den eigenen Schatten zu springen vergeblich versucht. R ückert hat den klassischen O rient o d er — w as fast dasselbe bedeutet — den O rient klassisch gesehen. Darum ist e r abendländisch und grunddeutsch geblieben, hat nur Füllen und Form en herübergenom m en und alle Um welt des M enschen w ie des G elehrten zur Unendlichkeit erw eitet, k e in e . G estalt dabei auf ­ lösend, sondern jede Gestalt vergoldend. Seine W eisheit des B rahm anen

— durchaus das H auptw erk —, seine B rahm anischen Erzählungen, seine M orgenländischen E rzählungen und anderes sonst geben in ganzen Bänden eine Einung m orgenländischer W eisheit und fränkischer Seele, w ie Tag und Stunde e s brachten, jedes Lebendige um rahm end und im Rahm en bedeutungsvoll verew igend. Nur d as Ganze, das Unüberblick- bare, g ibt den M aßstab, das Einzelne, verschiedenen W ertes, enthält des H errlichen viel. Auch unabhängig von d er orientalischen Bindung hat R ückert Schönstes und Vollendetes u nter d er m aßlosen M asse seiner Gedichte, mit denen er sein ganzes Leben begleitete, und in denen das m eiste nicht vollen W ertes, obw ohl W eniges gleichgültig ist. Eine Auswahl

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Hinweis auf Rückert 17 d er äußersten Strenge, w ie G eorges und W olfskehls „ Ja h rh u n d ert G oethes“ w ürde einen unbedingt großen Dichter herausstellen.

R ückert ist Sprachgenius. Dabei von orientalischer Virtuosität, w ie sie bei uns fast nur Juden haben, und von orientalischer — also nicht europäisch-klassischer — Harmonie, die uns sonst frem d ist, die nicht das Kristall fugt, sondern die Kreise ausrollt. Er ist — ganz an ders wie der S eher Hölderlin od er der S p rachhörer Klopstock — geistig. A n­

schauung, Ereignis, selbst Empfindung w ird ihm Gleichnis des Einig- Göttlichen. Ein kultischer Mime spielt ers nach zur E hre der Schöpfung und des Schöpfers. E r ist Auge und Spiegel, die in W elle unendlicher M elodie übergehen. Der Religion des deutsch-klassischen W elthum anis- nius, die von H erder ausging, von F riedrich Schlegel und S chopenhauer rom antisiert w urde, ist Goethe der unverrückbare W estpol, R ückert d er unverrückb are Ostpol. Der beschränkte Kreis des eigenen Lebens, vieles Kleindeutsche in Gewohnheit und Geschmack und die leichte oft flüchtige G ew andung täusche ja nicht. Die Gabe der reinen S prachkunst und unpersönlichen Sprachharm onie, das Handwerklich-Künstlerische, im E xtrem Unpathologische von Rückerts Dichtertum v erfüh rt den kindhaft G roßen zu halbw ertigen, auch unw ertigen Spielereien, sowie er auch noch reichliche Reste des guten alten Klapp- und K lapperverses in sich trägt, desgleichen vom sentim entalen deutschen Lied. M an lasse sich doch ja nicht beirren, sondern nehme als M aßstab n u r d as Unbedingt- Große. — Hier soll nicht vorgegriffen, nicht seine Form dargelegt w erden. Es sei nur noch erinnert, daß die Form seines H auptw erkes auf Angelus Silesius, ohne ihn an U nm ittelbarkeit zu erreichen, zurück­

geht, und daß Platen und auch F. M eyer von ihm kom m en und zu Teilen schon in ihm liegen; dies die eine, doch nicht die einzige Linie seiner F o rt­

w irkung, die im merhin beträchtlicher als E hrung und Dank gew esen.

P laten freilich, ihm persönlich befreundet, w ußte wohl, w as von ihm zu halten ist. Es seien w enige P roben von R ückert beigefügt, nur gan z w enige zur augenblicklichen B ekräftigung des Hinweises.

Em pfänd in Einem M enschen rein und ungestört Sich erst die M enschheit w ieder; F riede w ürde sein In aller Schöpfung und ein P aradies die W elt.

Ich bin geboren schöner als es euch deuchtet;

Ich bin gestorben schöner als ihr es denket.

Der M orgenstern hat m ir ins Leben geleuchtet, Der A bendstern mich ins Grab mit Fackeln gesenket.

Das M orgenrot hat Perlentau m ir gefeuchtet, Das A bendrot m ir eine Träne geschenket.

Ich bin geboren schöner als es euch deuchtet;

Ich bin gestorben schöner als ihr es denket.

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