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Geisteskultur und Volksbildung. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, 1922, 31. Band, Heft 4-5

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Geisteskultur und Volksbildung

M onatshefte d e r C om enius- Gesellschaft

H e r a u s g e b e r u n d S c h r i f t l e i t e r : Dr. A rtur Buchenau u. Dr. Georg Heinz

P

S tein m a n n , Die geistesgeschichtliche Sonderart der

INHALT:

Brüdergemeine

K ekule von S tr a d o n itz , Albrecht von Haller und die Akademie der Arkadier zu Rom

H o rn effer, Ludwig Kellers Kulturphilosophie G oldb eck, Begabungsirrtümer und Berufsberatung S ch n e id er reit, Goethes Stellung innerhalb der

Philosophie

Streiflichter Rundschau Bücherschau Gesellschaftsnachrichten

31. Jahrgang

V ie rte s bis

sechstes Heft April/Juni 1922

Verlag von ALFRED UNGER in Berlin C2

(2)

COM E N I U S - G E S E L L S C H A F T

fttr GeUteskulhir und Volksbildung. Begründet von Oeh. Archivrat Dr. Ludw ig K a lle r

Vorsitzender: Schriftleiter: Schatzmeister:

Stadtschulrat D r. B u ch e n a u D r. G e o rg H e in z A lfre d U n c e r

Charlottenburg 5 Berlin 0 3 4 Verlagsbuchhändler

Schloßstr. 46 Warschauer Str. 63 Berlin C 2, Spandauer Str. 22

J ^ i e Mitgliedschaft wird für die Mitglieder innerhalb Deutschlands, der Freien Stadt Danzig, für das Memelgebiet und für Westpolen durch Einzahlung des Mindest­

beitrages von M. 100.— erworben. Die Beitragszahlung kann erfolgen:

1. auf das Konto der Comenius-Gesellschaft

a) bei der Mitteldeutschen Creditbank, Depositenkasse K in Berlin C 2 Königstr. 25-26 — (nicht mehr Deutsche Bank),

b) bei dem Postscheckamt Berlin auf das Konto Nr. 21295,

2. durch direkte Einzahlung bei der Geschäftsstelle der Comenius-Gesellschaft in Berlin C 2, Spandauer Str. 22,

3. bei jeder Buchhandlung.

Für das Ausland ist der Mitgliedsbeitrag wie folgt festgesetzt:

Belgien u. Luxemburg . 12 Fr.

D änem ark... 6 Kr.

E ngland ... 6 Sh.

Frankreich ...12 Fr.

H o lla n d ... 3 Fl.

I ta lie n ... 15 Lire J a p a n ... 2,40 Yen N o rw e g e n ...7,20 Kr.

S ch w ed en ... 6 Kr.

S ch w eiz... 6 Fr.

S p a n ie n ... 6 Pes.

Verein. Staaten u. Mexiko 3 Doll.

Für Bulgarien, Deutsch-Österreich, Finnland, Polen, Rumänien, Rußland, Süd- slavische Staaten, Tschechoslowakei, Türkei u. Ungarn beträgt der Jahresbeitrag M. 100.—.

Die Mitglieder erhalten die Zeitschrift k o ste n lo s. Sie erscheint jährlich etwa in 6 Heften im Umfange von je 3 Bogen. Die Hefte sind auch einzeln zum Preise von M. 20.— käuflich.

Bei Zahlungen von Behörden oder V ereinigungen ist zur Vermeidung von Miß­

verständnissen und kostspieligen Rückfragen die Angabe, für w elch e Empfänger der Zeitschrift die Beträge gelten, dringend erforderlich.

Die Zeitschrift wird in Deutschland durch die Post überwiesen. Außerhalb Deutschlands unter Kreuzband. G e n a u e Anschriftsangaben unbedingt nötig!

D ringende Bitte; U nentw egt neue Freunde für die C.-Q. werben!

W er die gute Sache der C.-G. fördern und verhüten w ill, daß sie nach 30 Jahren fruchtbarer Arbeit in der Not dieser Zeit untergeht, der fiberw eise uns über den M indestbeitrag hinaus ein Notopfer. Die Kosten der Zeitschrift sind auf das Zwanzigfache gestiegen, der M itgliedsbeitrag aber nur auf das Dreifache und deckt die Kosten bei weitem nicht. W ir kranken daher an einem gew altigen Fehlbetrag. Postscheckvordruck für Ihre Spende, die wir recht bald erbitten, anbei!

P r e i s ä n d e r u n g e n V o r b e h a l t e n .

IN HALT

(Fortsetzung)

S tr e if lic h t e r ...Seite 85 R u n d s c h a u ... » 92 B ü ch ersch au ... » 97

Religionskunde — Unterricht und Erziehung — Erdkunde — Geschichte

Gesellschaftsnachrichten . ...> 1 1 1 V e r la g v o n A L F R E D U N O E R , B E R L IN C2, S p a n d a u e r S t r a ß e 22

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Geisteskultur und Volksbildung

Mo n a t s h e f t e der C o m e n i u s - G e s e l l s c h a f t

V e r la g vo n

A lf r e d U n g e r , B e r li n C 2

S p a n d a u e r S tra ß e 22 Jährlich 12 H e fte P reis für d e n lah rg a n g M. 50. —

E in zelh efte M. 10.—

B ezu g sp reise f ü r d as A u slan d a u f d e r 2. U in sch la g se ite

Jahrgang Viertes bis sechstes Heft April/Juni 1922

Unsere Zeitschrift in N ot!

Schwerer, als bei Beginn des Jahres zu übersehen war, lastet die Teuerung auf der Tätigkeit der Comenius-Gesellschaft; unser wirksamstes Arbeits- und Werbemittel,

unsere Zeitschrift droht zu erliegen!

Wir kranken an einem gewaltigen Fehlbeträge. Die Kosten der Zeitschrift sind auf das Hundertfache gestiegen, der Mitgliedsbeitrag aber nur au f das Fünf f ache! Nur mit Darangabe der letzten Mittel ist die vorliegende Nummer möglich gewesen.

Daher richten wir an unsere Freunde und Leser

die dringende und herzliche Bitte:

Wer verhüten will, daß die gute Sache der Comenius-Gesellschaft nach 30 Jahren treuer fruchtbarer Arbeit in der Not dieser Zeit untergeht, der überweise uns

ein Notopfer,

damit die Comenius-Gesellschaft ihre Stimme nicht verliere und auch fernerhin im Vaterlande fü r G e i s t e s k u l t u r u n d V o l k s b i l d u n g wirken und arbeiten kann.

Auslande aber soll sie, wie bisher, für deutsche Geisteskultur Zeugnis ablegen und an dem Brückenschlag zwischen den Kulturnationen mithelfen.

Deshalb helft, helft nach Kräften, damit wir die Zeitschrift, wenn auch in be­

scheidenem Umfange, über die Not der Zeit hinwegbringen.

Gebt selbst bald und reichlich!

s° wie Ihr es vermögt. Aber auch die kleinste Gabe ist willkommen, sie lindert, löstet und stärkt.

Werbt bei Freunden und Gönnern!

auch außerhalb der Reichsgrenzen, besonders in den währungsstarken Ländern! Fördert mit allen Kräften die gute Sache der Comenius-Gesellschaft! Bewahrt sie vor dem Untergange!

Der Vorstand der Comenius-Gesellschaft.

j^gstsehfck-Konto: Nr. 21295.

^25^check anbei!

S chriftleitung:

Schulrat D r. A. B uchenau

B e rlin -C h a rlo tte n b u rg Scliloßstraßc 46

Dr. G e o r g H einz

B erlin 0 3 4 W arschauer Straße 63

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Die geistesgeschichtliche Sonderart der Brüdergemeine

Z u m G e d ä c h t n i s i h r e s z w e i h u n d e r t j ä h r i g e n B e s t e h e n s Von D. Th. S t e i n m a n n

17. Juni d ieses J a h re s feie rt die B rü d e rg e m e in e die E r- VA V j r in n e ru n g an den B eginn des A n b au s vo n H e rrn h u t v o r zw ei-

'Awk h u n d e rt J a h re n . In d ie se r G em ein sch aft v e rle b te n S chleier-

^SlEX % m a c h e r un d F rie s b e d e u tsa m e un d e n tsc h e id e n d e J a h re ih re r Ju g e n d e n tw ic k e lu n g ; u n d g e ra d e diese b eid en D en k er h a b e n u n te r den V e rtre te rn d e r P h ilo so p h ie d e s n a c h k a n tisc h e n d e u tsc h e n Idealism us in d e r R eligionsphilosophie am m e iste n G ru n d le g en d es g e ­ leistet. D as ist gew iß n ich t zufällig; sie h a tte n w irk lich R eligion k en n en g e le rn t. U nd so m ag es auch fü r w e ite re K reise vo n In te re sse sein, e tw a s von d e r relig iö sen G em ein sch aft zu h ö re n , au s d e r jen e b eid en M ä n n e r h e rv o rg e g a n g e n sind.

W a s d am als, im J a h re 1722, seinen A n fan g nahm , s ta n d d u rch die m äh risch en E x u lan ten in einem g e w isse n g esch ich tlich en Z u sa m m e n ­ h an g m it d e r alten B rü d e ru n itä t d e s A m os C om enius. W o h l liegen die eigentlichen g eistig en W u rz e ln d e r n e u e n E rsc h e in u n g d u rch Z inzen- d o rf im d e u tsch en P ie tism u s des a c h tz e h n ten J a h r h u n d e rts . H e rrn h u t w ä re a b e r auch n ic h t ohne die M ä h re n g e w o rd e n , w a s e s w a rd . E s ist in d e r T a t n ic h t n u r d u rc h die Ü b e rtra g u n g d e r B isch o fsw eih e des alte n B rü d e rtu m s von C om enius h e r ü b er Ja b lo n sk y , daß sich die H e rrn ­ h u te r B rü d erg em ein e als eine E rn e u e ru n g d e r alten U n itä t w u ß te und fühlte.

W ir w ollen a b e r h ie r d iese g eschichtlichen Z u sam m e n h ä n g e n ich t w e ite r v erfo lg en . E s g e h t uns ü b e rh a u p t n ich t um eine g e n a u e F e s t­

stellung d e r g esch ich tlich en Z u sam m en h än g e u n d A b h än g ig k eiten , in d e n en die B rü d erg em ein e b e i ih rem E n tste h e n u n d im L a u f ih re r G e­

sch ich te d a rin g e s ta n d e n h a t. S o n d e rn d av o n m ö c h te n w ir ein k u rz e s Bild zu g e b en v e rsu c h e n , w o rin die g e istesg esch ich tlich e S o n d e ra rt d e r kleinen k irch lich en G em ein sch aft b e ste h t, die n u n z w e ih u n d e rt J a h re lan g ih r E ig en leb e n g eleb t und in aller Stille ih re W irk u n g g e ta n h at.

E s h a n d e lt sich also im fo lg en d en um den V ersu ch e in e r D a r­

stellung dessen in sein en G rundzügen, w a s m a n als d a s „ W e s e n “ d e r B rü d erg em ein e b ezeic h n en k ö n n te . Die F ra g e n a c h dem W e se n ein er g e istig e n G röße läß t sich a b e r k au m je so b e a n tw o rte n , daß m an d ab e i o hne w e ite re s d e r Z u stim m u n g w e n ig ste n s aller d e re r gew iß sein k ö n n te, die sich gleichfalls b e w u ß t zu ih r b ek en n en . M it d e r F ra g e n a c h dem W e se n d e r B rü d erg e m ein e ist e s h ie rin g en a u so b estellt, w ie m it d e r F ra g e n a c h dem W e se n d es P ro te s ta n tis m u s o d e r des C h risten tu m s ü b e rh a u p t. A lles G eschichtliche b e fin d e t sich im F luß u n d in d e r B e­

w e g u n g ; und, w a s d ab ei dem einen als d a s B leibende u n d G ru n d leg en d e e rsch ein t, eb en d a s w e rte t ein a n d e re r vielleicht lediglich als b e so n d e re

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geschichtliche A u sp räg u n g , die e in er W e ite rfü h ru n g b e d a rf. So w ollen denn auch die folg en d en D arleg u n g en nicht v e rs ta n d e n w e rd e n als ein e M itteilung dessen , w ie die B rü d e rg em e in e als Ganzes sich s e lb st v e r ­ steht, s o n d e rn als ein individueller V ersuch zu ih rem Verständnis.

Und n och ein Z w eites m ö ch te ich vo ra u ssch ick en , die E rin n e ru n g d a ra n , daß d asjen ig e, w a s w ir als W e se n ein e r g e istig en G röße b e ­ zeichnen, d a ru m nicht ohne w e ite re s u n d im m er au ch em p irisch voll in die E rsc h e in u n g tritt. D avon m a c h t die B rü d erg em ein e als em p irisch g eg eb en e G röße k ein e A usnahm e. M an m iß v e rsteh e d aru m d a s F o lg e n d e auch n ich t dahin, als w olle ich id ealisieren, auch w en n ich es in d iesem Z u sam m en h an g n icht für m eine A ufg ab e h alte, den A b sta n d zw isch en idealem W e se n u n d em p irisch er E rsc h e in u n g S tü ck für S tü ck b e s o n d e rs zu u n te rsu c h e n .

B eginnen a b e r m ö ch te ich m it einem m eh r Ä ußerlichen u n d d an n w e ite r den W e g im m er m e h r von außen n ach innen nehm en.

Die B rü d erg em ein e ist z u e rs t einm al w esen tlich relig iö se A rb e its ­ gem einschaft.

W ie zah len m äß ig klein die B rü d erg em ein e ist, d a v o n h a t m an zum eist k e in e re c h te V orstellung. Ihr d e u tsc h e r Z w eig zäh lt n u r e tw a 9000 M itglieder, K inder und E rw a c h se n e z u sa m m e n g e rec h n e t. Diese w enigen T au sen d sind d u rch g a n z D eutsch lan d u n d ü b e r d e sse n G re n zen hinaus z e rs tre u t, dav o n e tw a zw ei D rittel in 25 k leinen m e h r o d er w e n ig er g esch lo ssen en , teils L and-, teils S ta d tg e m e in e n g esam m elt.

F ü n f d ie se r G em einen m it g e g en 900 M itg lied ern liegen ü b erd em a u ß erh a lb D eutschlands. D iese Z ahlen h a b e n sch o n m a n c h e n ü b e rra s c h t; im m er w ie d e r tr a t es m ir en tg eg en , daß m an u n se re Z ahl a u f d a s M ehrfache, ü b e rsc h ä tz te. M an m einte, h in te r d e r A rb eit v o n d e r m an w ußte, sei es nun die M issio n sarb eit, die A rb eit a u f dem G ebiet d e r E rz ie h u n g o d e r in d e r k irchlichen G em ein sch aftsp fleg e *), m ü sse eine b ei w eitem g rö ß e re G em ein sch aft steh e n . Zum Teil ist d as ja au ch d e r F all; b e so n d e rs die M issio n sa rb eit d e r B rü d erg em ein e w ird v on einem w e ite re n F re u n d e sk re ise m it u n te rs tü tz t. U nd au ch in d er E rz ie h u n g sa rb e it reic h en die eig en en K räfte nicht aus. In d e r H a u p tsach e a b e r ist es doch so, daß eine w e itz e rs tre u te kleine G e m ein sch aft die T rä g e rin ein es A rb e itso rg a n ism u s ist, h in te r dem m an unw illkürlich eine w eit g rö ß e re Z ahl v e rm u te t. U nd d a s eben

!st für d ie se k lein e G em ein sch aft c h a ra k te ris tisc h . Als die B rü d erg em ein e

*) Es handelt sich um 13 M issionsgebiete; auf dem Gebiet des Unterrichts und der Erziehung: eine theologische Schule, ein Oberlyzeum, ein Gymnasium, zwei Realanstalten, zehn höhere Mädchenschulen und zwölf Töchterheime, vier Volksschulen mit insgesamt etw a 3500 Zöglingen. Im Dienst der Gemeinschafts- Pflege stehen reichlich 40 Prediger. Dazu kommt noch eine Diakonissenanstalt, die Arbeit an den Aussätzigen in Jerusalem und — sich zu einer selbständigen Kirche herausbildend — die Evangelisationsarbeit in der Heimat der Väter, im Gebiet der jetzigen Tschecho-SIovakei.

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als eine b e so n d e re g eistig e G röße e n tsta n d , g e sc h a h d as von v o rn h e re in u n te r dem Z eichen des W irk e n m ü sse n s. Die in n e re L e b e n d ig k e it k o n n te d a m a ls n ic h t a n d e rs. U nd d e r W e ite u n d M a n n ig fa ltig k e it d e r ü b e r ­ k o m m en en A u fg ab en v e rd a n k t die B rü d e rg e m e in e n ich t n u r, daß dem B esu ch er an ih re n zu m eist d o ch in k le in b ü rg e rlic h en V erh ä ltn isse n leb en d en G em einen im m er w ie d e r eine u n g ew ö h n lich e W e ite des B ild u n g sh o rizo n tes an g e n e h m a u f fällt; diese A rb e it ist e s v o rn eh m lich auch g e w e se n , die sie au ch d u rc h innerlich g e rin g e re Z eiten h in d u rch bei all ih re r K leinheit als ein E ig en g eb ild e leb e n sfä h ig e rh a lte n h at.

A rb e itsg e m e in sc h a ft ist die B rü d e rg e m e in e v o n H au se au s a b e r e rs t a b g e le ite te r W eise. D as eig en tlic h V erb in d en d e ist n ich t d e r g e m e in ­ sam e A rb eitszw eck ; sie ist n ic h t lediglich eine A rb e itsz w e c k g em e in sc h a ft, w ie e tw a ein E rz ie h ü n g sv e rein o d e r eine M issio n sg esellsch aft. V ielm ehr ist ihre A rb e itsg e m e in sc h a ft Ä ußerung ein e r tie fe r lieg en d en G em ein ­ sa m k eit; und diese ist d a s eigentlich E n tsc h e id e n d e ih res b e so n d e re n D aseins. Sie ist eb en d asjen ig e, w a s sich jedem b e w u ß te n H e rrn h u te r in dem W o rt „G em ein e“ v e rk ö rp e rt.

D arin liegt zu n ä c h st einm al, daß diese relig iö se G em ein sch aft m e h r u n d in n e rlic h e res sein will, als lediglich B e k e n n tn isg em ein sch aft. Solche B ek e n n tn isg e m e in sc h a ft m uß ja d u rc h a u s n ic h t n u r e tw a s g an z Ä ußerliches sein, w o b ei es w irk lich a u f m e h r n ich t a b g e se h e n ist, als a u f die äu ß erlich u n g e b ro c h e n e G eltung b e stim m te r B e k e n n tn isfo rm eln in ein er em p irisch en G esam th eit. D as ist lediglich äu ß e re E in h eitsfo rm , n ich t w irk lich e G em ein­

sch aft. E s k a n n um ein e ig e n a rtig fo rm u lie rte s b e so n d e re s B ek en n tn is au ch ein w irk lich er Z usam m enschluß stattfin d e n . D as g ib t d ann eine G em ein­

sc h a ft so w irklich B e k en n en d e r au f d iese ih ren E in h e itsp u n k t bildende, ihnen eigentüm liche S o n d erleh re. D as ist die spezifische E in h e itssig n a tu r z a h lre ic h er a n d e re r k le in e re r ch ristlic h en G em ein sch aften . Die B rü d e r­

gem ein e lehnt es g e ra d e ab, ein solches, sie zugleich vo n ä n d e rn u n te r ­ sc h e id en d es u n d z u r E inheit zu sam m e n sc h ließ en d es S o n d e rb e k e n n tn is zu b e sitz e n . U nd es ist d u rc h a u s b ezeichnend, daß m an b eid es zugleich sein k an n , g an z H e rrn h u te r u n d M itglied, ja so g a r P f a r r e r irg e n d e in e r L an d e sk irc h e .

D er geschichtliche U rsp ru n g d e r B rü d erg em ein e lie g t im P ietism u s.

D am als b ild eten sich a u f dem B oden d e r k irch lich en B e k e n n tn isg e m e in ­ sc h aft k le in ere und en g e re G em ein sch aften , die ecclesio lae in ecclesia.

D iese ecclesiolae w a re n zum eist spezifisch e E rb a u u n g sg e m e in sc h afte n , ähnlich dem , w a s je tz t u n te r dem S o n d e rn a m e n „ G e m e in sch aft“ u n d

„ G e m e in sc h a ftsb e w e g u n g “ geht. W e n n die B rü d erg em ein e n icht G em ein­

sc h aft e in es b e so n d e re n B e k en n tn isses ist, ist sie vielleicht — w e n ig ste n s vo n H ause au s — eine solche spezifische E rb a u u n g sg e m e in sc h a ft? W ir m ü sse n auch d a s v e rn ein e n . Gew iß, sie ist auch E rb a u u n g sg e m e in sc h aft.

S o g a r in b e s o n d e rs re ic h e r F ülle e n tfa lte te n sich a u f ihrem B oden m a n n ig ­ faltige F o rm e n d es k u ltisch en L eb en s u n d d e r g e m e in sam en E rb a u u n g .

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D as g esch ah a b e r n u r d aru m , w eil sie m eh r w a r als n u r E rb a u u n g s ­ g em ein sch aft. Z u r spezifischen E rb a u u n g sg e m e in sc h a ft k o m m t m an au f S tunden zu sam m en ; d a n n g e h t m a n w ie d e r in d en A lltag hin ein a u s ­ e in an d er. H ier d ag e g e n lebte m an g ra d e den a lltäg lich en A lltag n ich t n u r neb en - und m ite in an d er, so n d e rn gan z eigentlich z u sam m en als c h ris t­

liche L e b e n sg em ein sc h aft. Daß sie je fü r sich einen ch ristlich en L e b e n s ­ o rg an ism u s d a rste llte n , d as w a r d as B eso n d ere d ie se r k lein en G em ein en ; und daß in ihnen allen d ie ses gleiche G e m ein sch aftsleb en p u lsie rte , schloß sie so s e h r zu ein e r E inheit zusam m en , daß es für d en E in z eln en kaum einen U n tersch ied m ach te, ob e r m d ie se r o d er je n e r Gemeinei w eilte — e r fühlte sich im m er in gleich er W e ise zu H ause.

Ein w e sen tlich es S tück d ie se r relig iö sen L e b e n sg e m e in sc h aft w a r die g em ein sam e S eelso rg e. U n ier diesem Z eichen sta n d b e so n d e rs au ch die E inteilung d es G anzen d e r G em eine in k le in ere G ruppen.

Und es w a r g an z eigentlich ein ch ristlic h e r S o zia lo rg an ism u s, w a s hier in die E rsch ein u n g tra t. A uch alle äu ß erlich e A rb eit im w eltlichen B eruf g e sch ah n ich t n u r im ch ristlich en G eist d e r G esam th eit; sie s ta n d w eith in in d e re n u n m itte lb a re m D ienst u n d g esch ah fü r sie. B e so n d e rs die „ B rü d e r“ - u n d „ S c h w e ste rn h ä u se r“ d e r led ig en L eu te w a re n c h ris t­

liche A rb e itsstä tte n , d e ren E rtra g d e r G esam th eit zu g u te kam . Die M e iste r d ie se r B etriebe w u rd e n zu diesem „D ien st“ in d er G em eine g en au eb e n so b eru fen , w ie ihre „D ien er“ im G eistlichen. Die V erw a ltu n g d es G a s t­

hofs, d e r A potheke w a r ein G em einam t; u n d b e s o n d e rs au ch die Stellung, des A rztes, d e r n ich t n u r die leibliche N ot lindern, s o n d e rn zugleich S e e l­

s o rg e r sein sollte. Daß n ic h t n u r die im g eistlich en D ien st ste h e n d e n B rüder, so n d e rn auch die leiten d en M ä n n e r d e r ä u ß e re n V erw a ltu n g die D iakonenw eihe erh ielten , ist fü r die A rt d ieses ch ristlich en G em ein ­ sc h aftsleb en s in b e so n d e re r W eise bezeich n en d .

Und all d a s w a r nicht von außen au fe rle g t, w ie se in e rz e it die c h ris t­

liche L e b e n so rd n u n g d e r S ta d t G enf zu C alvins Z eite n ; es w a r v o n innen g e w a ch sen . So sta n d h ie r d as G eb ie t d e r R eligion n icht als einet W elt für sich n e b e n dem A lltag des L eb en s, in ih ren feierlichen F o rm e n dem L eb en fre m d un d lediglich ein ihm bei b e stim m te n feierlich en A n­

lässen w ie von außen a n g e ta n e r e h rw ü rd ig e r Schm uck. E s w a r v ie l­

m e h r eine w irkliche D u rch d rin g u n g d es g em ein sam en L e b e n s in allen seinen R ichtungen m it dem G eist d e r R eligion. Im L a u f d e r Z eit is t da m a n c h e s a n d e rs g e w o rd en . Die relig iö se E n e rg ie d es A n fan g s m it ih re r sp ü rb a re n D u rch d rin g u n g d es g e sa m te n Z u sam m en le b en s ist au ch h ie r n ich t d u rch die J a h rh u n d e rte h in d u rch d ieselbe geblieben. Im be- so n d e m auch h a t sich d e r s tra ffe S o z ialo rg an ism u s des g em ein sam en L e b en s u n te r d en E in flü ssen d e r m o d e rn e n in d iv id u alistisch en B e trie b ­ sam keit in A rb eit und E rw e rb u n d d u rch den w a c h se n d e n Z uzug vo n N ichtm itgliedern g elo ck ert. G eblieben a b e r ist als gesch ich tlich es E rb e ein E tw a s, d a s ich b ezeich n en m ö ch te als eine e ig e n a rtig e relig iö se

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K ultur d es Z u sam m en leb en s, die w o h l im m er e rn e u te r V ertiefu n g b e d a rf, d e re n V o rh an d en sein a b e r auch so im m er w ie d e r v o n so lch en em p fu n d en jvird, die au s a n d e rs g e a rte te n V e rh ä ltn isse n d a h in ein k o m m en . U nd w ie alle w irk lich e K ultur tr ä g t au ch diese e tw a s an sich von dem C h a ra k te r e in e r A rt h ö h e re r N a tü rlich k eit; es ist n ic h t lediglich ein dem L e b en w ie von au ß en h e r m ü h sam a n g e ta n e s W e se n .

B e so n d e rs b e z e ich n en d fü r die h ie r e rre ic h te in n e re D u rch d rin g u n g von G em ein sch aftsleb en un d R eligion ist d e r O rt d e r b e s o n d e re n relig iö sen Z u sam m en k ü n fte d e r G em eine. D as ist n ic h t eine K irche, in die m an a u s dem L e b e n d e s g e m ein sa m en A lltags g e ra d e h e r a u s ­ geht. E s ist w e d e r eine P re d ig tk irc h e , n o c h eine K irche d e r S a k ra m e n ts ­ an d a c h t. An S telle d e r K irche ist d e r schlichte V ersam m lu n g srau m g e tre te n , schlechthin „ d e r S a a l“ g e n a n n t, die g ro ß e F am ilie n stu b e d ie se r relig iö sen L eb e n sg e m e in sc h aft. E in er, d e r k ü rzlich in H e rrn h u t w a r, sc h re ib t ü b e r d iesen R aum : „In dem g ro ß e n R a th a u ssa a l, d e r zugleich K irch en rau m ist (o d er w a r ’s u m g e k e h rt: H e rrn h u ts E h rlic h k e it k e n n t die zw ei G esich ter w eltiich u n d g eistlich nicht, d e n n b e id e s fin d e t in der* G em eine seine E inheit) ist alles g an z schlicht u n d sch n eew eiß . W e n n m an zum G o tte sd ie n st h in ein g eh t, so tu t m an n ic h t „ p ro fo rm a “ ein stilles G eb et; o hne H ast se tz t m an sich a u f die B an k .“ In d e r T at, h ie r w o h n t eine vo n allen sinnlichen K rü c k en m ö g lich st b e fre ite A n­

d ach t. D arum is t h ie r au ch kein A lta rra u m ; d e n n d as E w ig e ist hier räch t sinnlich g e g e n w ä rtig im A lta rsa k ra m e n t, s o n d e rn in d e r zu r F e ie r v e rsa m m e lte n G em eine. E s fin d et sich h ie r au ch k ein e K anzel. D enn h ie r v e rsa m m e lt sich n ic h t ein P re d ig tp u b lik u m , so n d e rn eine g ro ß e g eistig e F am ilie. In einem solchen R aum h a t S c h le ie rm a c h er d en c h ris t­

lichen K ultus als ein se lb std a rste lle n d e s H andeln d e r G em eine k e n n e n

g elern t.

W ie sich d a s relig iö se G em ein sc h aftsleb en d e r B rü d e rg e m e in e in m a n c h e rle i eig en en k u ltisch en F o rm e n A u sd ru ck zu g e b e n g e w u ß t h at, k ö n n e n w ir h ie r n ich t ins einzelne v e rfo lg en . E in es d och m ö c h te n w ir w e n ig ste n s k u rz b e rü h re n : d a s b rü d erg em ein lich e A bendm ahl in se in e r b e so n d e re n A rt. H ier ist alles D in g lich -S ak ram en talistisch e ü b e rw u n d e n ; und doch ist d e r F e ie r n ic h t ih re relig iö se T iefe g en o m m en . Die e rlö se n d e G e g e n w a rt C hristi k o m m t voll zum B ew ußtsein. A b er n icht in B ro t und W ein ist e r g e g e n w ä rtig , u n d alle v o n d a h e r sta m m e n d e M ühsal, sich d iese G e g e n w ä rtig k e it v o rzu stellen , k o m m t in W eg fall. S o n d e rn g e g e n ­ w ä rtig ist e r m it all seinen G aben u n m itte lb a r in dem g em ein sam en H andeln se in e r v e rsa m m e lte n G em eine, in ih rem B ro tb re c h e n und ihrem g em ein sam en G enuß des K elches „zu sein em G e d ä c h tn is“ . M an v e r ­ s te h t d iese A b e n d m a h lsfeie r n u r, w e n n m an w eiß, w a s G em eine ist.

N och fehlt u n s a b e r ein k la re s V e rstä n d n is für d as allerin n erlich ste B and d ie se r L eb en s- un d A rb e itsg e m e in sc h a ft, u n d d am it zugleich die letzte A n tw o rt a u f die F r a g e n a c h dem W e s e n d e r B rü d erg em ein e.

(9)

D enn alles b ish e r B eh an d elte w a r d o ch m e h r n u r A u sstra h lu n g d ieses

„ W e s e n s “ als dies „ W e s e n “ selbst.

Blicken w ir d a z u n äch st einm al zu rü c k in die V e rg a n g e n h e it u n d seh en , w ie au s d e n fro m m en L e u te n vo n m an c h e rle i A rt, die sich am F u ß e d e s H u tb e rg s z u sa m m e n g efu n d en h a tte n , ein e w irk lich e B rü d e r­

g em ein e w a rd .

In den e rs te n J a h re n sein es B e steh en s d ro h te H e rrn h u t ein S e k te n ­ n e s t zu w e rd e n . S ta rk e relig iö se Ü b erzeu g u n g en sta n d e n , w ie d a s so leicht u n d d a ru m im m er w ie d e r geschieht, m it u n d u ld sam e r H ä rte g e g e n ­ ein an d er. Im u n fru c h tb a re n relig iö sen M e in u n g sstre it d ro h te sich die h ie r g esam m elte relig iö se K ra ft zu v e rz e h ren . U nd d a n n k a m die g ro ß e W e n d u n g des J a h re s 1727, sich z u sa m m e n fa sse n d in dem E rle b n is d e r g em ein sam en A b en d m ah lsfeier a m 13. A u g u st d ieses Ja h re s . D am als fand m an sich innerlich zu sam m en. D as g e sc h a h a b e r n ich t so, daß die b ish e rig e In to leran z d u rch den G edan k en d e r relig iö sen T o le ra n z ü b e r ­ w u n d en w o rd e n w ä re , daß m a n sich v o n d a an g eg e n se itig g e lte n ließ.

D as h ä tte n u r zu einem friedlichen N e b e n e in a n d e rh e rg e h e n g e fü h rt, n icht zu ein er w irk lich en in n eren E inheit. A uch n icht d as w a r d a m a ls d a s E n t­

scheidende, daß m an sich g eg en seitig v e rs te h e n lern te. E s w a r v ielm eh r ein s ta rk e s g le ic h artig es relig iö ses E rle b e n ; d as schuf au s d e r Z e r ­ sp litte ru n g u n d dem G eg en satz die w irk lich e E inheit.

J e n e s G em einsam e w a r ü b erd em k ein e b la sse a b s tra k te U n b estim m t­

heit. E s w a r ja ein w irk lich es relig iö ses E rle b e n u n d als so lch es vo n d eu tlich er inh altlich er B eso n d erh eit. E s w a r d a s relig iö se G ru n d erleb n is d e r R e fo rm a tio n u n d d e s P au lu s, d a s sich in e ig e n a rtig g e m ü tsin n ig e r F o rm h ie r w ie d e rh o lte : G o tte s G nade im E rlö s e rto d C hristi an solcnen, die sich v o r ihm als V e ru rte ilte w u ß te n , u n d d a s freu d ig e B ew u ß tsein dieses B eg n ad ig tsein s. U nd d a s als g e m e in sam es r e l i g i ö s e s E r ­ l e b e n , n ich t als B ek e n n tn is zu irg e n d e in e r b e stim m te n d o g m atisc h en F orm el.

D er V o rg an g w a r au ch n ich t so, daß' sie ein er b eim ä n d e rn d u rc h alle G eg en sä tze un d S p a n n u n g e n h in d u rc h d a s als sch o n V o rh an d en es h in d u rc h sp ü re n le rn ten , w ä h re n d d e r Blick b is d ah in an d en allerlei im V ergleich d am it m e h r p e rip h e risc h e n D ifferen zen h ä n g e n blieb. S o n d e rn so w a r es, d aß ih r re lig iö se s E rle b e n d a m als diesen in n e re n G leichklang g ew a n n . E s w u r d e also g a n z eigentlich ein e in n e re relig iö se Gleich- g e stim m th e it. U nd n ic h t n u r g ra d e a n einem P u n k t e k a m es zu einem in n e re n S ichfinden, s o n d e rn m a n b e rü h rte sich v o n d a an in ein er b re ite n F läc h e d e s gleichen E rleb en s. E in h e rrs c h e n d e r F rö m m ig k e its­

ty p u s vo n a u s g e p rä g te r E ig e n a rt v e rb a n d v o n da an in s ta rk e r religiöser/

H o ch sp an n u n g die G em ü ter; die D ifferen zen v e rlo re n v o n diesem n eu en E rle b e n au s für die, w elch e sie bis d ahin b e to n te n , ih re B ed eu tu n g u n d ih r in n e re s G ew icht.

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M it all den b e so n d e re n G e g en sätzen , die in d e r e ig en en M itte leb en d ig g ew e se n w a re n , w a r zugleich d e r g ro ß e H a u p tg e g e n sa tz d e s d am alig en P ro te s ta n tis m u s fü r d as B rü d e rtu m w irklich ü b e rw u n d e n . Die L e h ru n te rsc h ied e z w isch en R e fo rm ie rte n u n d L u th e ra n e rn h a tte n nic h ts zu b ed eu te n , w o d a s g e m ein sam e relig iö se G ru n d erleb n is d er R e fo rm atio n die G em ü ter so g a n z erfüllte.

A lso w o h l n ic h t au f ein a u s g e fü h rte s B ek en n tn is h a tte m a n sich innerlich z u sa m m e n g efu n d en . W ie w ir sch o n o b e n h e rv o rh o b e n : die B rü d erg em ein e ist a u f G ru n d ih re r G eschichte n ic h t B ek e n n tn isg e m e in ­ sch a ft in d iesem sp ezifisch en S inne. U nd au ch je tz t n o ch le h n t sie in d en G ru n d sätzen ih re r K irc h e n o rd n u n g e s ab, ein L e h rsy ste m aufzu stellen . U nd w en n sie sich zu den im a p o sto lisch en G la u b en sb ek en n tn is e n t­

h a lten en H e ilsw a h rh e ite n b e k e n n t so w ie „ a n e rk e n n t, daß in d en 21 L eh r- a rtik e ln d e r A u g sb u rg isch en K onfession, als des e rs te n u n d allg em ein sten B e k en n tn isses d e r ev an g elisch en K irche, die H au p tstü ck e des christlich en G lau b en s k la r u n d ein fa c h a u sg e sp ro c h e n s in d “ , so g e lten ih r d o ch diese B e k en n tn isse n ich t „als d a s .G ew issen d e r E in zeln en in ihrem W o rtla u t b in d en d e L e h rs ä tz e “ . A b er d iese F re ih e it vom e igentlichen K onfessionalism us s te h t a u f dem B oden des „ p ersö n lich en G lau b en s an den um u n s e re r S ü n d e w illen an s K reuz d a h in g e g e b e n en u n d um u n s e re r G e re ch tig k eit w illen a u fe rw e ck te n C h ristu s.“ Die von d e r B rü d e rg e m e in e b e to n te „G em ein sch aft d e r G läubigen u n te re in a n d e r in d e r L ie b e “ g e h t ihr eb en au s d i e s e m G lauben h e rv o r. U nd daß „die P e rs o n des H eilandes d e r M ittelp u n k t d e r H eilsv erk ü n d u n g in d e r B rü d e rg e m e in e is t“ , d as ist im S inne d es „ W o rte s vom K re u z “ zu v e rste h e n .

M it d iesen A u sfü h ru n g en ste llt sich die K irc h en o rd n u n g d e r B rü d e r­

gem eine, alle rd in g s u n te r A bleh n u n g alles D o g m atism u s u n d K o n ­ fessio n alism u s, w ohl n ic h t au f den B oden irg e n d e in e r g enau fo rm u lierten L eh re, a b e r doch m it v o ller B estim m th eit a u f den B oden d e r „ a ltp ro te s ta n ­ tis c h e n “ F rö m m ig k eit. U nd so e n tsp ric h t es dem relig iö sen E in h e its­

e rle b n is ih re r k la ssisch e n Zeit.

U nd d aru m ist die B rü d e rg em ein e d en n auch im L a u f ih re r G eschichte in g en au d ieselb e n S ch w ierig k eiten h in e in g ezo g en w o rd e n w ie die g ro ß e n ev an g elisch en K irchen. Als eine k lein e G em ein sch aft dem g rö ß e re n G anzen e in g e b e tte t und n ic h t h e rm e tisc h a b g e sc h lo sse n g eg e n die u m g eb en d e k irchliche W elt, v ielm eh r b e so n d e rs au ch du rch die in ih re r M itte v o n A n fan g an g e p fle g te th eo lo g isch e A rb e it m it ihr m a n n ig ­ fach v e rb u n d e n , lebte sie m e h r u n d m e h r d e re n L eb en m it. D as altei E in h e itsb a n d des einen alle b e h e rrsc h e n d e n u n m itte lb a r gleichen F rö m m ig ­ k e itsty p u s h a t sich m e h r u n d m e h r g e lo ck ert. W ir finden h e u tz u ta g e a u f ih rem B oden fast dieselbe M a n n ig faltig k e it d es fro m m en E rle b e n s, w ie sie die g ro ß e ev an g elisch e K irche in feindliche L a g e r a u s e in a n d e r­

zu reiß en d ro h t.

(11)

Diese S ac h lag e a b e r ist h ie r n o c h um vieles b e d rü c k e n d e r als d o rt.

Denn für die B rü d erg e m ein e ist d as w irklich relig iö se E in ssein ih re r G lieder g an z a n d e rs eine e le m e n ta re G ru n d v o ra u sse tz u n g ih re r b e so n d e re n E x isten z. E s ist d en n auch, n a m en tlich in den le id e r als

„ L e h rk ä m p fe “ b ezeich n ete n A u se in a n d e rse tz u n g en b e s o n d e rs d er le tz te n Ja h rz e h n te , im m er e rn e u t um die G ew in n u n g d ieser w irk lic h en in n e re n E in h eit g eru n g e n w o rd e n , ein e B ew egung, in d e r w ir n och m itte n d a rin stehen.

D abei liegen die D inge alle rd in g s n icht so einfach, w ie m a n c h e m einen. M it ein e r u n m itte lb a re n B eru fu n g a u f jen en 13. A u g u st d e s J a h re s 1727 sind d iese S ch w ie rig k eiten n ic h t b e h o b en . Die S p a n n u n g e n w a re n d am als doch se h r a n d re w ie h e u te ; u n d sie v e rs c h w a n d e n e in ­ fach v o r dem b re ite n S tro m g em e in sam e n u n d gleichen re lig iö se n E rleb e n s. U nd doch ist e tw a s B e re c h tig te s an d er B eru fu n g au f jenen 13. A u g u st o d e r auch a u f die in in n erem Z u sam m en h an g d am it ste h e n d e T ro p en id ee Z in zen d o rfs. D a ru n te r ist zu v e rste h e n , daß Z in z e n d o rf die d am als sich g e g e n e in a n d e r stellen d en F o rm e n des P ro te sta n tism u s, den re fo rm ie rte n un d lu th e risc h e n „ T ro p u s “ , m it H in zu rech n u n g d es b rü d e risc h e n als %qöj i oi n a i Ö E i a g d. h. als g ö ttlich e E rz ie h u n g sfo rm e n zu im tie fste n G runde d em selb en Ziele a n z u se h en leh rte. D as w a r d och ein A bsehen vo n d en d e rzeit w ic h tig ste n u n d a u f d a s a lle rs tä rk s te em p fu n d en en relig iö sen G eg en sätzen u n d H in d u rch d rin g en d u rch diese G eg en sätze z u r tie fe r lieg en d en E inheit. Die e n tsc h e id e n d e F ra g e ist d aru m die, ob für die n o ch w e ite r g eh e n d en D ifferen zen d e r G e g e n w a rt in g eschichtliche F o rtfü h ru n g d es d am als d u rc h ein b e so n d e re s relig iö ses E rleb n is E rru n g e n e n ein g leichsam n och tie fe r z u rü c k lie g e n d er relig iö se r E in h eitsp u n k t gefunden- w e rd e n k a n n , d e r inhaltlich g ew ich tig genug!

ist, ü b e r ein b loßes e in a n d e r T o le rie re n h in a u s d a s B ew u ß tsein e in e r im L e tz te n tsc h e id en d e n doch v o rh a n d e n e n w irk lich en relig iö sen E in ­ heit h erz u stellen . A llerdings w ä re d a s d a n n w ohl k a u m in d e r b re ite n F läch e gleichen E rle b en s, w ie d am als am 13. A ugust 1727; a b e r vielleicht g rad e, w eil du rch tie fe re S p a n n u n g e n h in d u rc h u n d d a ru m m it einem s tä rk e re n „D en n o ch “ und vielleicht n u r w ie ein H ä n d ed ru ck in n e re r G em einschaft tro tz allem U n te rsc h eid e n d en u n d S ch eid en d en , n och d e u t­

licher ein S ieg d e s E w ig en u n d G öttlichen ü b e r alles Z eitliche u n d M enschliche. U nd es w ä re in d iesem Z u sam m en h an g im m erhin zu b e ­ achten, daß Z in zen d o rf die E rfa h ru n g d e r in n e rste n G em ein sch aft selb st auf S o z in ia n e r a u szu d e h n en b e re it w a r.

V on a n d e re r S eite w ird m a n freilich g e n e ig t sein, einem S te h e n ­ bleiben a u f d e r E in h e itsb a sis jen es 13. A u g u st das W o r t zu re d e n . Ob a b e r solche gesch ich tlich e O rien tieru n g n ich t allzu seh r gesch ich tlich e R ü c k w ä rtso rie n tie ru n g ist? U nd d a ru m v o n d e rse lb e n A rt, w ie d a s a u f dem B oden d e r B rü d e rg em e in e auch m it B erufung a u f ih re V e rg a n g e n ­

(12)

h eit im m er w ie d e r b e m e rk b a re B e stre b e n , sie au s ein er an sich se lb e r arb e ite n d e n G em ein sch aft „ g e m isc h te n “ C h a ra k te rs d u rch W ie d e r­

b e le b u n g ä lte re r F o rm e n b e w u ß te n A n sch lu sses an S telle des n a tü rlic h e n W a c h stu m s in eine em p irisc h g re ifb a re G e m ein sc h aft d er G läubigen w ie d e r zu rü ck zu v erw a n d eln . H ier w ie d o rt d ü rfte es gelten, a n s ta tt n a ch dem A lten zurückzublicken, die d u rc h den g esch ich tlich en F o rtg a n g g este llten n eu en A u fg ab en k la r in s A uge zu fassen .

Albrechtvon Hallerund die Akademie der Arkadier zu Rom

Von Dr. S te p h a n K e k u l e v o n S t r a d o n i t z

n Rom ist E n d e des sie b z e h n te n J a h rh u n d e rts die A k a d e m i e d e r A r k a d i e r („A ccadem ia d egli A rc a d i“ ) b e g rü n d e t w o rd e n , eine G esellsch aft z u r R ein ig u n g d e r S p ra c h e und z u r B efö rd e ru n g d er D ichtkunst, se lb stv e rstä n d lic h d er italien isch en Sprachie u n d d e r italie n isch en D ichtkunst, die au ch in d e r G eschichte des sch ö n en S c h rifttu m s D eu tsch lan d s allgem ein b e k a n n t ist, u n d z w a r d ad u rc h , daß G o e t h e von ih r am 4. J a n u a r 1787 feierlich als M itglied a u fg e n o m m en w o rd e n ist u n d in sein en B riefen un d d e r „Italien isch en R eise “ w ie d e rh o lt und e in g eh en d g e sp ro c h e n hat.

S eine M itg lied sch afts-U rk u n d e b e fin d e t sich n o ch h eu te im G oethe- S chiller-A rchive zu W e im a r.

Die A rk ad ia b e ste h t noch g e g e n w ä rtig , ist a b e r zu ein er allg em ein - w isse n sch aftlic h en G esellsch aft u m g e sta lte t, un d g ib t seit 1819 das

„G io rn ale arc a d ic o di scienze, le tte re ed a r t i “ h e ra u s. Sie ist eine d e r drei g ro ß e n P ä p s t l i c h e n G eleh rten -G esellsch aften („A ccadem ie P o n tific ie “ ) R om s u n d e rfre u t sich se it lan g em w ie d e r b e trä c h tlic h en A nseh en s, n ac h d e m dieses an sc h e in e n d E n d e des a c h tz e h n ten J a h rh u n d e rts erh eb lich g e su n k e n w a r. W e n ig ste n s sc h re ib t d er b e rü h m te fra n zö sisch e H im m elskundige J o se p h Je rö m e L e F ra n g a is, g e n a n n t L a 1 a n d e , in d e r B esch reib u n g se in e r 1765 b is 1766 u n te rn o m m e n e n R eise n ach Italien („V o y ag e d ’Italie“ , 1769; 2. Aufl. 1786), daß m a n d e r A kadem ie d er A rk a d ie r die zu g ro ß e Z ahl' ih re r M itg lied er u n d die zu w en ig so rg sa m e A u sw ah l bei d e re n E rn e n n u n g zum V o rw ü rfe m ache. „M an b e h a u p te t,“

so fü g t e r hinzu, „d a ß d e r le tz te C u s t o d e d e r A kadem ie ein en sc h w u n g ­ haften. H an d el m it E rn e n n u n g su rk u n d e n g e trie b e n h a b e .“

Die d re i e rw ä h n te n g ro ß e n P ä p stlic h e n G eleh rten -G esellsch aften R om s sin d : die A ccad em ia d ’A rch eo lo g ia (für A ltertu m sk u n d e), dei N uovi Lincei (fü r N a tu rw isse n sc h a fte n ) und dell’ A rca d ia (o d er degli A rcadi) (m it den a n g e g e b e n e n Z w ec k en ). E in W ö r t ist h ie r ü b e r die A kadem ie d er

„n e u e n L u c h sä u g ig e n “ (Nuovi L incei) einzufügen, d a e s n äm lich zu Rom au ch eine „ R e a l e A ccad em ia dei L in c e i“ , die italien isch e, sta a tlic h e

HB

(13)

„A kadem ie d e r W is s e n s c h a fte n “ gibt. Diese ist au s ein er 1603 b e g rü n d e te n G eheim gesellschaft v o n N a tu rfo rs c h e rn usw . g an z allm ählich h e r v o r ­ g eg an g e n , w ä h re n d die „N euen L u c h sä u g ig e n “ 1801 g e g rü n d e t w o rd e n sind. (D er N am e „L in cei“ rü h rt d a h er, w eil die e rs te n M itg lied er, d a r u n te r G a l i l e o G a l i l e i , sich b ei ih re n U n te rsu c h u n g e n d e r d u rc h d iesen eb en e rs t erfu n d e n e n V e rg rö ß e ru n g sg lä se r b e d ien ten .)

Als G rü n d u n g sta g d e r A r k a d i a gilt d er 5. O k to b e r 1690. Die G rün d u n g g eh t zu rü ck auf einen K reis v o n M än n ern , d e r sich vom J a n u a r 1656 ab zu Rom um die b e rü h m te K önigin C hristine v o n S ch w ed en , die k a th o lisc h g e w o rd e n e T o c h te r G ustav A dolfs, z u r B e sc h ä ftig u n g m it d en G eiste sw isse n sc h a fte n zu v e rsa m m e ln p fle g te. N ach ih re m T o d e (1689) w u rd e sie v o n ih re n A n h ä n g e rn u n te r d e r E h re n b e z eic h n u n g

„ B a silissa “ (K önigin) z u r S c h u tz h e rrin d e r n e u e n V ersam m lu n g a u s ­ g e ru fen . V ierzehn G rü n d er au s allen T eilen Italien s h a t die A rk a d ia g eh a b t. D er g eistre ic h ste Kopf u n te r d ie se n M ä n n e rn w a r d e r R e c h ts­

g e le h rte G i a n V i n c e n z o G r a v i n a au s R o ggiano in K alab rien (1664 bis 1718), d e r sp ä te re V e rfa sse r d e r „R agion p o e tic a “ (D ichtkunst), d a s o rd n e n d e u n d e in rich ten d e G ehirn a b e r d e r A b ate G i o v a n M a r i o C r e s c i m b e n i au s M a c e ra ta (1663 b is 1728), d e r au ch d e r e rs te

„C ustode g e n e ra le “ (E rste V o rsitzen d e) d er A rc a d ia g e w o rd e n ist u n d d iesen E h re n p o ste n von d er B e g rü n d u n g bis zu seinem T o d inne g e h a b t h at. Als M u ste r d er D ich tk u n st ersc h ie n e n den e rs te n A rk a d ie rn v o r allem die W e rk e T h e o k rits u n d V ergils, d an n a b e r die „ A r c a d i a “ von J a c o p o S a n n a z a r o (f 1530) u n d die „ R i m e “ von A n g e l o d i C o s t a n z o (f 1591). Die „ A rc a d ia “ des S a n n a z a ro ist eine fü r die G eschichte d es sch ö n en S c h rifttu m s d er g a n z e n W e lt h o c h b e d e u tsa m e D ichtung, d e re n In h alt sich in d e r „G eschichte d e r Italien isch en L ite r a tu r “ v o n W i e s e u n d P e r c o p o (S. 247) w ie folgt k u rz a n g e g e b e n fin d et:

„D er D ichter b e fin d e t sich in A rk a d ie n : ung lü ck lich e L iebe h a t ihn d o rth in g e trie b e n . E r schließt sich den H irte n an u n d fü h rt ih r L e b e n in e in e r R eihe vo n b a ld h e ite re n , b a ld e rn s te n B ildern v o r:

L ie b e sk lag en u n d W e ttg e s ä n g e , Spiele, F e ste , Ja g d e n u n d B e g rä b n isse w e ch seln m ite in a n d e r ab. E ine N ym phe b rin g t d en D ich ter schließlich auf u n te rird isc h e n W e g e n , au f d en en e r m a n ch e W u n d e r sch au t, in sein V a te rla n d zurück. D o rt v e rn im m t e r die K lagen d e r H irten B arcinio u n d S um m onzio ü b e r den T o d der* v o n M eliseo gelieb ten P h y llis u n d schließt m it ein e r w e h m ü tig en A b sch ied sred e an die H irte n flö te .“

E s s p rin g t in die A ugen, daß S c h a u p la tz u n d In h alt d ieser D ichtung d en G rü n d ern d e r R öm ischen „A rc a d ia “ v o n 1690 die G ru n d g e d a n k e n fü r die E in ric h tu n g u n d d en A ufbau ih re r G esellsch aft g eliefert h ab e n , w ie au ch d e r N am e v o n je n e r g en o m m en ist. Z u n ä c h st w u rd e die sieben- rö h rig e H irten flö te (Syrinx) als Sinnbild u n d A bzeichen an g en o m m en , die ein L o rb e e rz w eig u n d ein P in ien zw eig u m g e b e n (so au ch d as S iegel

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d e r A rk ad ia, w ie die G o eth esch e E rn e n n u n g su rk u n d e au sw e ist). Als Z e itre ch n u n g b e d ie n t sich die A rk a d ia d e r „O ly m p iad en “ . J e d e s M it­

glied d er A rk ad ia e rh ielt den D ichter- u n d M itg lie d sc h a ftsn a m e n ein es A rk a d isch en H irten. D as b e rü h m te G esch lech t d er F a rn e s i w ies d e r G esellschaft in seinen b e k a n n te n G ä rte n au f dem P a la tin ein en Sitz an ; d ie se r Sitz w ird „B osco P a r r a s io “ („ P a rrh a s is c h e r H a i n “ ) g e n a n n t (unw eit d es jedem R o m fa h re r b e k a n n te n T itu s-B o g en s!). Die B ü c h e r­

sam m lung d e r G esellschaft w ird „ S e rb a to io “ („ S p e ise k a m m e r“ ) g e n a n n t.

G rav in a selb st h a t ü b rig e n s d a s e rs te G ru n d g e se tz d e r A rk a d ia v e rfa ß t.

C r e s c i m b e n i ist au ch d e r e rste , u n d z w a r s e h r fru c h tb a re G esc h ic h tssc h re ib er d e r A rk a d ia g e w o rd e n . 1708 b e g a n n von ihm d as W e rk „Vite degli A rc ad i illu stri e tc .“ (L e b e n sb e sc h re ib u n g e n d e r b e rü h m te n A rk a d ie r u sw .) zu e rsc h ein en , d as es bis auf fünf B ände g e b ra c h t h a t. D er z w eite (1710), d ritte (1714) u n d d e r v ie rte B and (1727) sind eb en falls von ihm se lb st v e rfa ß t, d e r fünfte (1751), da C rescim beni am 8. M ärz 1728 g e s to rb e n w a r, u n d d e r in fo lg ed essen die L eb e n sb e sc h reib u n g C rescim benis e n th a lte n k an n , v o n M i c h e l G i u s e p p e M o r e r i . E in B ildnis v o n C rescim beni b efin d et sich in d e r S a k riste i d e r K irche S. M aria in C osm edin. F e r n e r sch rieb C rescim beni: „N otizie sto ric h e degli A rcad i m o rti“ (geschichtliche N ach ­ rich ten ü b e r die v e rs to rb e n e n A rk ad ie r) in d re i B än d en (1721 ff.). Endlich, sei h ie r vo n ihm e rw ä h n t d e r frü h e „ T ra tta to della bellezza della v o lg a r p o e s ia “ (A bhandlung ü b e r die S ch ö n h eit d e r italien isch en D ichtung), 1700 e rsch ien en , in d e r e r einfache, e rh a b e n e , g e m ä ß ig te S p ra c h fo rm e n em pfiehlt, u n d n am en tlic h die se c h sb ä n d ig e (V enedig 1730 bis 1731)

„Isto ria e c o m m e n ta ri della v o lg a r p o e s ia “ (G eschichte u n d E rlä u te ru n g e n d e r italien isch e n D ichtung), in d e r e r au ch einen Ü berblick ü b e r die G eschichte d e r A rk a d ia g ib t, so w e it e r sie e rle b t h a t. In B an d 6 ist;

h ie r eine m e rk w ü rd ig e A bbildung d e s „B osco P a r r a s io “ d e r A rk ad ia in K u p ferstich g eg eb en , w ie e r d a m als g e w e se n ist o d e r — C rescim beni ihn sich g e d a c h t h at, ein h ö c h st e ig e n a rtig e r „ P a r n a ß “ , eine bauliche A nlage im G eiste d e r Z eit, v om D ic h te rro sse „ P e g a s u s “ ü b e rh ö h t, b e ­ z e ic h n e n d erw e ise m it dem S itz u n g sra u m e d e r A rk ad ia a u f d e r H öhe d es M usenhügels. E ine v e rk le in e rte W ie d e rg a b e d ieses Bildes b rin g e n W i e s e u n d P e r c o p o i n d e r oben sch o n e rw ä h n te n „G eschichte d e r italien isch en L ite r a tu r “ . (E nde d e r A chtziger J a h re des v o rig e n J a h rh u n d e rts fan d en die F e s t s i t z u n g e n d e r A rk a d ia n o ch a u f dem Ja n ic u lu s im d o rtig e n

„"Bosco P a r r a s io “ s ta tt; w ie es je tz t h ie rm it steh t, w a r tro tz aller M ühe nicht o h n e w e ite re s zu e rg rü n d e n .) S ta d th e im d er G esellsch aft ist je tz t im P a la z z o A ltem ps.

Die v o re rw ä h n te n W e rk e von C rescim beni sind h ie rn a c h au c h vom G e sich tsp u n k te d es B ü c h e rfre u n d es s e h r b e a c h te n sw e rt. N am entlich ist dies b ei den „ L e b e n sb e sc h re ib u n g e n d e r b e rü h m te n A rk a d ie r“

(„Vite e tc .“ ) d e r F all, die bei jedem A b sch n itte au c h d a s B ildnis d e s

(15)

b e tre ffe n d en D ichters o d e r S c h riftste lle rs e n th a lte n , u n d z w a r jed esm al u m ra h m t vo n dem L o rb e e rz w eig u n d dem P in ien zw eig . E s ist w a h rh a ft b e w u n d e ru n g sw ü rd ig , daß die U m rah m u n g u n d d iese b e id e n Z w eige bei jedem einzelnen B ildnisse d u rch die g an z e n fünf B ände h in d u rc h v e r ­

schieden u n d a n d e rs w ie die v o rh e rg e h e n d e n g e s ta lte t w o rd e n sind.

V on d ie se r „ S p ra c h g e se llsc h a ft“ , d. h. D ichter- u n d S c h riftste lle r- G esellschaft, ist nun au ch d e r g ro ß e S c h w e iz e r G eleh rte u n d S c h rift­

steller, D ichter, N a tu rfo rsc h e r und D en k er A l b r e c h t v o n H a l l e r , eine e u ro p ä isc h e B erü h m th eit, M itglied g ew e se n . E r w u rd e es im J a h r e 1761. Da A lbrecht v o n H aller siebzehn J a h re (1736 b is 1753) an d e r d eu tsc h en H ochschule G öttingen g ew irk t, d o rt die G ö ttin g er „K ö n ig ­ liche S o z ie tä t d e r W isse n sc h a fte n “ (jetzt „K önigliche G esellsch aft d e r W isse n sc h a fte n “ m it zw ei „K lassen “ ) g e g rü n d e t h a t u n d d e re n e r s te r

^ Im m e rw ä h re n d e r P rä s id e n t“ g e w o rd e n ist, d a rf seine Z u g e h ö rig k e it z u r A rkadia, n eb en d e r G oethes, auch die A u fm erk sam k eit d e u tsc h e r L e se r b ean sp ru c h e n .

Infolge d e r P e rsö n lich k eit, die H allers E rn e n n u n g zum M itgliede d e r A rk ad ia v e ra n la ß t h at, d a rf d iese E rn e n n u n g a b e r au ß e rd e m als eine g esch ich tlich e M erk w ü rd ig k eit e rs te n R a n g es b e z e ic h n et w e rd e n . D as N äh ere e rg ib t sich au s zw ei B riefen, die sich in d er S ta a ts b ü c h e re i zu B e r n b efinden u n d die b ish e r in D eu tsch lan d g a n z u n b e k a n n t g eb lieb en sind. P i e r r e G r e l l e t h a t sie kürzlich in seinem v o rzü g lich en , g rü n d ­ lichen u n d se h r le se n sw e rte n B uche „L es A v e n tu re s de C asan o v a en S u is s e “ (L au san n e o. J. [1920]) an d as L ich t g e b ra c h t. In d e r S ta a ts ­

b ü ch erei zu B ern b efin d en sich näm lich, als V e rm ä c h tn is d e r N ach ­ k o m m en sch aft, die ru n d 14 000 B riefe, die A l b r e c h t v o n H a l l e r w ä h re n d sein es lan g en F o rsc h e rle b e n s (1708 bis 1777) em p fa n g e n h at.

Die b eid en h ie r in R ede steh en d en B riefe *) an ihn sin d v o n L u d w i g v o n M u r a l t , einem S c h w e ize r S c h riftste lle r, d e r eb en falls M itglied d e r A rk ad ia w a r, g e sc h rie b en .

Sie lau ten , h ie r au s d e r fra n z ö sisc h e n U rsp ra c h e in die d e u tsc h e

ü b e rse tz t: „B ern, d en 16. M ärz 1761.

M ein H e rr u n d se h r g e e h rte r G önner,

D er G raf v o n Sein-G alt h a t m ich b e a u ftra g t, Ihnen v o n S eiten d e r A kadem ie d e r A rk ad ie r die b eilieg en d e E rn e n n u n g su rk u n d e z u ­ k o m m en zu lassen , als ein Z eichen ih re r a u sg e z e ic h n ete n H o ch ach tu n g u n d als eine A uszeichnung, die Ih ren W e rk e n g e b ü h rt u n d w ü rd ig ist, Ihnen a n g e b o te n zu w e rd e n , da die e rs te n D ich ter Italiens, w ie M e th a sta sio , G oldoni, Chiari, G a sp a ro Gozzi, L uise B ergali u sw ., sie m it E ifer e r s tr e b t h ab en . H e rr v o n S ein-G alt b ra u c h te Sie n u r v o r ­ zusch lag en , um einen ein stim m ig en Z u ru f d e r g an zen V ersam m lu n g h e rb eiz u fü h ren , die h o fft, daß Sie d e r G esellsch aft g e rn die E h re

*) Staatsbücherei Bern, MSS. Hist. Helv. XVIII, 52, S. 39 und S. 42.

(16)

e rw e ise n w e rd e n , ih r z u zu g eh ö ren . Ich füge m ein e p e rsö n lich e n , n a c h ­ d rü ck lich ste n B itten als M itglied d e r A kadem ie d e r A rk a d ie r h inzu, u n d es w ü rd e fü r m ich eine g ro ß e F re u d e sein, w e n n ich, m ein te u r e r G önner, zu Ihnen als m ein em F re u n d e sp rech e , den N am en ein es A rk a ­ d ischen M itb ru d e rs h in zu fü g en zu d ü rfen .

Ich h a b e die E h re zu sein m it E h re rb ie tu n g u n d A nhänglichkeit, m ein H e rr u n d se h r g e e h rte r G ö n n er so w ie s e h r te u re r M itb ru d e r, Ih r seh r e h re rb ie tig e r und se h r g e h o rs a m e r D iener

L o u is von M u ralt

m it dem A rc ad isch en N am en A lleside P a r io .“

D er zw eite B rief la u te t:

„B ern, den 19. M ärz 1761.

M ein s e h r te u re r u n d se h r v e re h ru n g s w ü rd ig e r F re u n d ,

ich h a tte Ihre E rn e n n u n g su rk u n d e zum M itgliede d er A cad em ie d e r A rcad ier, die m ir seit einem M o n a t a n g e k ü n d ig t w a r, e r s t le tz te n S o n n ta g e rh a lte n , u n d da m ein V a te r m ir g e s a g t h at, daß Sie .ta g sd a ra u f a n k o m m en w ü rd e n , so w a r ich am M o n ta g b ei H e rrn S te ig e r, u m d a s V erg n ü g en zu h a b e n , sie Ihnen au sz u h ä n d ig e n ; d ie se r h a t m ir a b e r m itgeteilt, daß Sie e rk ra n k t seien u n d e r s t n a c h O ste rn k o m m en w ü rd e n , w a s m ich b e stim m t h a t, sie Ih n en so fo rt zu sch ick en , au s B eso rg n is, m ich in d en A ugen je n e r H e rre n , die m ir die u n e rw a rte te u n d k au m v e rd ie n te E h re e rw ie se n h a b e n , m ich v o r ein ig e r Z eit in ih re b e rü h m te K ö rp e rsc h a ft au fzu n eh m en , m a n g e ln d e r S o rg fa lt schuldig zu m ach en . Ich v e rd a n k e d a s m ein em F re u n d e v o n Sein-G alt, d e r in Italien allm äch tig u n d ein B e w u n d e re r vo n Ihnen ist; e r ist es, d e r m ir Ihre E rn e n n u n g s ­ u rk u n d e g e s a n d t h a t.

E r b leib t noch einen M o n a t in T u rin , u n d es w ird ihm s e h r sch m eich elh aft sein, w e n n Sie ihm die E h re e rw eisen , ihm zu sc h re ib e n ; seine A n sch rift la u te t: H e rrn G rafen, v o n Sein-G alt, p o stla g e rn d , T urin.

Ich h a b e die E h re , zu sein m it E h re rb ie tu n g u n d o h n e V o rb eh alt, Ih r se h r e h re rb ie tig e r u n d se h r g e h o rs a m e r D iener

L ouis v o n M u ra lt.“

D er „G raf v o n S ein -G a lt“ , „ H e rr von S ein -G alt“ u n d „ F re u n d vo n Sein- G a lt“ d ie se r b e id e n B riefe ist, w ie a u ß e r jedem Z w eifel steh t, k ein a n d e re r, als d e r w e ltb e k a n n te A b e n teu rer, lie b e sd u rstig e S c h w e re n ö te r, ru h e- lo s-g e sc h ä ftig te W a n d e re r u n d un v erg leich lich e S c h ild e re r d e r Z u stä n d e un d S itte n se in e r Z eit, d e r V e rfa sse r d e r b e rü h m te n „ D e n k w ü rd ig k e ite n “ G i a n G i a c o m o G e r o n i m o C a s a n o v a au s V enedig, d e r M ann d e r F lu c h t a u s den B leikam m ern d es d o rtig e n D o g e n p a la ste s (geb. V enedig, 2. A pril 1725; g e st. Dux, 4. J u n i 1798), in D eu tsch lan d g ew ö h n lich

„ J a k o b C a sa n o v a “ g e n a n n t, d e r sich se it u n g e fä h r 1760 au s N ützlich­

k e itsg rü n d e n d en N am en „C hevalier de S e in g a lt“ o d e r „d e S ain t-G alle“

(von St. G allen) b e ig e le g t h a tte .

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