und Volksbildung
Monatshefte der Comenius-Gesellschaft
H e ra u s g e b e r und S c h r if tle ite r : Ferd. Jak. Schmidt und Georg Heinz
Weisheitssprüche aus den Weltreligionen P a n n wi t z , Weltreligion
Streiflichter — Rundschau — Bücherschau
Siebentes u.
30. Jahrgang achtes Heft Juli/August 1921
Verlag von ALFRED UN GER in Berlin C Z
COM E N I U S - G E S E L L S C H A F T
für Gcisteskuliur und Volksbildung. Begründet von Oeh. Archivrat Dr. Ludwig Kallar Vorsitzender: Schriftleiter; Generalsekretär: Ehrenamtlicher Geschäftsführer:
Prof. Dr. Ferd. Jak. Schmidt Dr. Georg Heinz Dr. Paul Feldlceller Alfred Unser Berlin - Grunevald Berlin 0 3 4 Schönwalde (Mark) Verlagsbuchhändler Hohenzollemdamra 55 Warschauer Str. 63 bei Berlin Berlin C 2, Spandaner Str. 22
[ ) i e Mitgliedschaft wird für die Mitglieder innerhalb Deutschlands und der Freien Stadt Danzig durch Einzahlung des Jahresbeitrages von M. 30.— erworben.
Die Beitragszahlung kann erfolgen:
1. auf das Konto der Comenius-Gesellschaft
a) bei der Mitteldeutschen Creditbank, Depositenkasse K in Berlin C 2, Königstr. 25-26 — nicht mehr Deutsche Bank/,
b) bei dem Postscheckamt Berlin auf das Konto Nr. 21295/
2. durch direkte Einzahlung bei der Geschäftsstelle der Comenius-Gesellschaft in Berlin C 2, Spandauer Str. 22,
3. bei jeder Buchhandlung.
Für das Ausland ist der Jahresbeitrag wie folgt festgesetzt:
Belgien u. Luxemburg . 20 Fr.
D änem ark... 8 Kr.
England... 7 Sh.
Frankreich ... 20 Fr.
H ollan d ... 4 Fl.
Italien ...28 Lire J a p a n ... 3 Yen N orw egen... 8 Kr.
Schw ed en... 7 Kr.
S ch w eiz... 8 Fr.
S p a n ien ... 9 Pes.
Verein. Staaten u. Mexiko 1,50 Doll.
Für Bulgarien, Deutsch-Österreich, Finnland, Polen, Rumänien, Rußland, Süd- slavische Staaten, Tschechoslowakei, Türkei u. Ungarn beträgt der Jahresbeitrag M. 40.—.
Die Mitglieder erhalten die Zeitschrift der Gesellschaft kosten lo s. Diese erscheint jährlich in 12 Heften im Umfange von je 2 bis 3 Bogen. Die Hefte sind auch einzeln zum Preise von M. 4.— käuflich (Doppelhefte M. 6.—).
Bei Zahlungen von Behörden oder Vereinigungen ist zur Vermeidung von Miß
verständnissen die Angabe, für welche Empfänger der Zeitschrift die Beträge gelten, dringend erforderlich.
Die Versendung der Zeitschrift erfolgt in Deutschland durch Postüberweisung.
Nach Gebieten außerhalb Deutschlands Versand unter Kreuzband. G en au e Anschriftsangaben sind unbedingt nötig!
Dringende Bittet Unentwegt neue Freunde für die C.-G. werben!
Wer die gute Sache der C.-G. fördern und verhüten will, daß sie nach 30 Jahren fruchtbarer Arbeit in der Not dieser Zeit untergeht, der überweise uns über den Mindestbeitrag hinaus ein Notopfer. Die Kosten der Zeitschrift sind auf das Zwanzigfache gestiegen, der Mitgliedsbeitrag aber nur auf das Dreifache! Wir kranken daher an einem gewaltigen Fehlbetrag. Postscheck für Ihre Spende, die wir recht bald erbitten, anbei!
IN HALT (Fortsetzung)
S tr e iflic h te r... Seite 157 R u n d s c h a u ... ... » 1 6 0 Bü cherschau ... » 166
Religionskunde — Philosophie — Freimaurerei und Gehelmwissenschaften — Pädagogik — Geschichte Kunst — Literaturgesch. — Sagenkunde — Schöne Literatur — Erdkunde — Naturwissensch.— Jugendbücher
Gesellschaftsnachrichten... Seite 190 V e rla g vo n A LFR ED U N O E R , B E R L IN C 2, S p a n d a u e r S tra fie 22
Geisteskultur
undVolksbildung
M o n a t s h e f t e d e r C o m e n i u s - G e s e l l s c h a f t
Schriftleitung:
P rof. D r. F e r d . Jak . Schm idt
D r. G e o rg H einz Berlin 0 3 4 Warschauer Straße 63
B erlin - G ru n ew ald ,
Hohenzollerndamm 55 Jährlich 12 Hefte
Preis für den lahrgang M. 30. — Einzelhefte M. 4.—
Bezugspreise für das Ausland auf der 2..Uimchlagseite
V erlag von A l f r e d U n g e r , B e r l i n C 2
Spandauer Straße 22
30. Jahrgang Siebentes und achtes Heft Ju li/A u gu st 1921
WEISHEITSSPRÜCHE AUS DEN WELTRELIOIONEN.
b rin g t, w ie G e w is se n h a ftig k e it. W e r n äm lich g e w is s e n h a ft ist, in dem e n ts te h t G u tes und d as S c h le c h te sch w in d et.
N ichts k e n n e ich, w a s in d em M a ß e S c h le c h te s e rz eu g t und d as G u te zum S ch w in d e n b rin g t, w ie T rä g h e it, U n m äß ig k eit, U n zu fried en h eit, u n w e is e s G rü beln , V e rw o rr e n h e it, F re u n d s c h a ft m it B ö s e n , N eigung zum B ö s e n und A b n eig u n g v o r d em G u ten.
N ich ts k e n n e ich, w a s in d em M a ß e G u tes e rz e u g t und d as S c h le c h te zum S ch w in d e n b rin g t, w ie T a tk r a ft, G e n ü g sa m k e it, Z u frie d en h eit, w e ise s E rw ä g e n , k la re s B ew u ß tse in , ed le F re u n d s c h a ft, N eigu ng zum G u ten und A b n eig u n g v o r dem B ö s e n .
Aus den Reden Buddhas.
T u g e n d e n u n d L a s t e r .
J M a ß e G u tes e rz e u g t und d as S c h le c h te zum S ch w in d e n ich ts k e n n e ich, m e in e B hikkh u , *) w a s in d em M aß e S c h le c h te s
e rz eu g t und d as G u te zum S ch w in d e n b rin g t, w ie d er L e ic h t
sinn. W e r n äm lich le ich tsin n ig ist, in d em e n ts te h t S c h le c h te s und d as G u te sch w in d et. N ich ts k e n n e ich, w a s in dem
Haß wird nie durch Haß bezwungen.
Ewige Wahrheit laß mich lehren:
Nicht-Haß nur bezwingt das Hassen, Haßlos kannst dem Haß du wehren.
’) Buddhistischer Mönch.
Monatshefte der C. 0 . 1921. 10
146 Buddha Heft 7/8
D i e H e r z e r l ö s e n d e G ü t e .
S o sp ra ch d er E rh a b e n e , d er H eilige, so h a b e ich b e ric h te n h ö r e n :
„A lles, m e in e B h ikkh u , w a s w ir h ien ie d e n tun k ö n n en , um u n se r k ü n ftig e s L o s zu b e s s e r n , v e rs ch w in d e t an W e r t n e b e n d er G ü te, d e r h e rz e rlö se n d e n .
W e r v o llb e w u ß t u n e rm e ß lich e G üte p fle g t, e in g e d en k d er H in fällig - . k e it a lle s S te rb lic h e n , d em lö se n sich d ie ird isch e n F e s s e ln .
W e r k la re n S in n e s au ch n u r fü r ein leb en d e s W e s e n G üte h e g t, d er is t sch o n d ad u rch ein G e r e c h te r . D e r E d le aber,, d er s ic h a lle r W e s e n in sein e m H erzen e rb a r m t, ist re ic h an V e rd ie n s t. Je n e w e is e n H e rrs c h e r, die sich d en E r d k r e is m it ih re n z a h llo se n W e s e n u n te r
w o rfe n h a tte n und d ann, O p fe r d a rb rin g e n d , v o n L a n d zu L a n d z o g e n , w a re n a rm se lig , v e rg lic h e n m it ein em G em üt, d as v o n G ü te g e g e n alle W e s e n e rfü llt ist. W e r n ich t tö te t n o ch tö ten läß t, n ic h t G e w a it tut n o ch G e w a lt tun läß t, w e r g e g e n alle W e s e n gü tig g e sin n t ist, h at k e in e r lei F e in d s c h a ft zu fü r c h te n .“
A uch d ies h a t d e r E r h a b e n e g e sa g t, so h ab e ich b e ric h te n h ö ren .
*
G ü t e a u c h g e g e n F e i n d e .
. . . S e lb s t w en n , m e in e B h ikk h u , R ä u b e r und M ö rd e r m it e in e r d o p p e lg ez ä h n ten S ä g e eu ch e in G lied n a c h dem an d e ren a b tre n n te n und ih r e rg rim m te t d a ro b in eu re m G em ü te, so w ü rd e t ih r n ich t m ein e W e i sung erfü llen .
A uch in d ie sem F a lle , m ein e B h ik k h u , m ü ßt ihr e u ch also üben.:.
„N icht soll u n se r G em ü t v o ll U n m ut w e rd e n , k e in b ö s e s W o r t w o lle n w ir au ssto ß en , freu n d lich und m itleid ig w o llen w ir b le ib en , gü tig g e sin n t, o h n e h e im lich en H aß, und d ie sen M e n sch e n w o llen w ir m it g ü tig e r G esin n u n g d u rch d rin g e n und v o n ihm au sg e h e n d w o llen w ir die g a n z e W e lt m it g ü tig e r G esin n u n g d u rch d rin g en , m it u m fa ssen d e r, g ro ß e r, u n e rm e ß lic h e r, frie d fe r tig e r, fre u n d lich e r G e sin n u n g .“ S o m ein e B h ik k h u , m üßt ih r eu ch üben.
*
Z e h n L e b e n s r e g e l n f ü r d e n B h i k k h u .
*
Z e r s tö r e k e in L e b e n !
N imm n ich ts, w a s d ir n ich t g e g e b e n w a rd ! E n th a lte d ich d er U n k e u sch h e it!
L ü g e n ich t!
M eid e b e ra u s c h e n d e g e is tig e G e trä n k e ! Iß n ich t zu u n g e h ö rig e r Z e it!
M e id e T a n z , G e sa n g , M u sik und S c h a u s p ie le !
1921 W eish eitssprü che aus den W eltrelig ion en 147
S c h m ü c k e d ich n ich t m it K rä n z en , W o h lg e rü c h e n und S a lb e n ! S c h la fe n ich t auf ü p pigem L a g e r !
Nimm w e d e r G old n o ch S ilb e r a n ! * )
Aus den Sprüchen des Konfuzius.
W ä r e d er W ille nur (w irk lich ) a u f H u m anität g e ric h te t, e s g ä b ’ fü r
w a h r! k e in B ö s e s.
*
B e d a c h t sein au f d en (re c h te n ) W e g , fe s th a lte n an d er g u ten N atu r
v e ran lag u n g , h an d eln g e m ä ß d er H u m anität, E rh o lu n g und V erg n ü g e n finden in d er K u n st!
*
Ist denn H u m an ität ein (g a r so ) F e r n e s ? D a rf e s m ir d och n u r (e rn s th a ft) zu tun sein um H u m an ität, und d ie H u m anität ist auch sch o n da.
♦
F a n Ch’ih fr a g te : „ W a s ist H u m a n itä t?“ D er M e is te r s p ra c h : „D ie M e n sch e n lie b e n .“
♦
F a n Ch’ih fra g te n a ch d er H u m anität. D e r M e is te r s p ra c h : „ B ist du fü r d ich : e r n s t! b is t du in A u sübung v o n G e s c h ä fte n : p ein lich s o rg fä ltig ! im V e rk e h r m it a n d e re n : g e w is s e n h a ft! D avo n d a rfs t du nicht a b g e h e n , b e g ä b s t du d ich s e lb st zu B a r b a r e n .“
*
Ist d as V o lk d och v o r d er H u m an ität m e h r a u f s e in e r Hut als v o r W a s s e r und F e u e r ! D aß in W a s s e r und F e u e r L e u te g e tre te n und d arin u m g ek o m m en sind, d as h a b e ich sch o n e rle b t. W a s ich a b e r n o ch nicht g e se h e n h a b e , d as ist, daß e in e r in die H u m an ität g e tre te n und d arin u m g ek o m m en w ä re .
*
T sz e k u n g fra g te n a ch d em E d le n . D er M e is te r s p ra c h : „ E r s etz t sein e W o r te z u v ö rd e rst e in m al in die T a t um und lä ß t sie se lb st h e r n ach e rs t fo lg en .
*
M a ch e d ir d ie H um anen u n ter d en G e b ild eten zu F re u n d e n !
4 *
E s g ib t d rei A rten F re u n d s c h a ft, w e lch e fö rd ersa m , und d rei A rten F re u n d s ch a ft, w e lch e a b trä g lich sind. F re u n d s c h a ft m it G e rad en , F re u n d s c h a ft m it A u frich tig e n , F re u n d s c h a ft m it E rfa h ru n g s re ic h e n , d iese sind fö rd ersa m . F re u n d s c h a ft m it H in te rlistig en , F re u n d s c h a ft m it S c h m e ic h lern, F re u n d s c h a ft m it S c h w a d ro n e u re n , d iese sind a b trä g lich .
*) Diese Sprüche sind dem von Kurt Schmidt herausgegebenen Bändchen:
Buddha: Die Erlösung vom Leiden. Bd. 2: Der W eg zur Erlösung (München 1921, Beck) entnommen. (Vgl. die Anzeige S. 168.)
10*
148 Pannwitz Heft 7/8
W eisheitsw orte des L ao-tsze.
H ö ch stes G u tsein , e s ist w ie d as W a s s e r : d as W a s s e r is t gut, allen W e s e n zu n ü tzen , und s tr e ite t m it k e in e m ;
e s w o h n e t a n O rten , die v e rs c h m ä h e n d ie M e n sch e n . D a h e r 's au ch n a h e k o m m t d em T a o .
* P fle g t’s e in e r fü r sich s e lb e r re c h t, so w ird d e s s e lb ’g e n T u g en d e c h t;
p fle g t e in e r es in sein e m H aus, so flie ß t d ie T u g en d re ic h lic h au s.
P fle g t e in e r e s in sein e m O rt, so w ä c h st d ie T u g en d w e ith in d o rt;
P fle g t e in e r e s in sein em L a n d , so n im m t die T u g en d ü b e rh a n d ; p fle g t’s e in e r d u rch die g a n z e W e lt, a lsd an n ist a lle s w o h lb e ste llt.
* Ich nun, d re i S c h ä tz e h a b e ich ; d ie h ü te ich und s c h ä tz ’ ich h o ch .
D e r e rs te is t: Ich h a b ’ ein H erz fü r a n d re ; d e r z w e ite is t: Ich w eiß m ich e in z u sch rä n k e n ;
d e r d ritte is t: Ich h e g e S c h e u , v o rn a n zu ste h e n in d er W e lt.
W e r m e n sch e n lie b , d er k a n n ru h ig m u tig v o rg e h ’n ;
w e r s e lb s t sich e in s c h rä n k t, k an n le ic h t re ic h lic h sp e n d e n ; w e r in d er W e lt v o rn a n zu s te h ’n sich sch e u t,
d e r tau g t d er T ü c h t’g e n O b e rh a u p t zu w erd e n . D o ch w ie m a n h e u t’ v o n L ie b e n im m e r w eiß, n u r m e h r v o n fo rs c h e m D ra u fg e h ’n ;
v o n S p a rs in n n im m e r w eiß , nur m e h r v o n S p rin g e n la s s e n ; v o n D em u t n ich ts m e h r w eiß
und n u r v o rn a n w ill s te h ’n ; d a s is t d er T o d .
W e r M e n s c h e n lie b e h a t, w ird S ie g e r sein b eim A n g riff und fe s te s te h ’n, fin d ’ t e r sich in d er W e h r .
D er H im m el, w ill e r e in e n re tte n ,
so b eu t e r S c h u tz ihm d u rch d e s s e lb ’g e n L ie b e n .
♦ V e r g e lte t Haß m it L ie b e ! * )
*) Die Sprüche des Konfuzius und Lao-tsze sind dem vorzüglichen Buche von Hans Haas entnommen: Das Spruchgut Kung-tszes und Lao-tszes in ge
danklicher Zusammenordnung. (Leipzig 1920; J. C. Hinrichs.) Vgl. die An
zeige S. 168.
1921 W eltreligion 149
W ELTR ELIG IO N
Von R u d o lf Pan n w i t z
s ist s e lte n so v ie l vo n R e lig io n g e re d e t w o rd en und n ie so w en ig R e lig io n v o rh a n d e n g e w e s e n w ie h eu te. M an seh n t sich n a c h d em u n b e k a n n te n G otte* und n im m t das sch o n a ls e in V e rd ie n st. M an v e re in ig t sich m it d em an - s g e b lich e n All und v e r s a g t an d er k lein ste n A u fg ab e. M an s ch w e lg t in M e n s c h h e it-B ru d e rs c h a ft und ist n ich t d er s c h lic h te s te n G e m e in sch a ft, n ic h t d e s b e s c h e id e n s te n O p fe rs fäh ig . M an trä u m t v o n e in e r W e ltr e lig io n , d am it sie ein em g e g e n die M ä ch tig e n h e lfe und den H andel fö rd e re . — G enu g d esse n . Je d e r A n stän d ig e W id erlegt es sich se lb st v o r sein e m e ig n e n G e w isse n , w a s au ch in h u n d ert B än d en fü r den B e tr o g e n e n -B e tr ü g e r n ich t b e s e itig t w e rd en k ön n te.
D er e h rlich S u ch e n d e w ill A u skunft, d er e h rlich S tre b e n d e F ü h ru n g h ab en . D er e h rlic h F ra g e n d e w ill w issen und v e rs te h n : ist e in e W e lt relig io n m ö g lich ? g a b e s je e in e s o lc h e ? w ird e s e in e W e ltr e lig io n g e b e n ? w ie ist ein e so lch e m ö g lich zu m a c h e n ?
Allzu b e k a n n t is t S c h ille r s S p ru c h :
W e lc h e R e lig io n ich b e k e n n e ? K e in e v o n allen , D ie ihr m ir n e n n t. U nd w aru m k e in e ? A us R elig io n .
In d iesem ist k la r d as Id eal d er A u fkläru n g a u sg e sp ro ch e n . D a s selb e ist a b e r nu r a ls V ern ein u n g h a lb rich tig , und als B e ja h u n g g an z falsch . E s is t d a ra n n ich ts m e h r zu re tte n , w en n m an n ich t im H alt
lo sen , ja G ru n d lo sen ste h e n b le ib e n w ill. E s ist n ich t w ah r, d aß S c h ille r re lig iö se r w a r a ls ein B ra h m a n e , ein B ud d hist, ein K o n fu tsia n e r au ch n u r m ittle re r S tu fe , so n d e rn e s ist u n z w e ifelh a ft, daß e r n ich t ein m al e in e e n tfe r n te V o rste llu n g h a tte w e d er v o n d er M ä ch tig k e it und In n ig
k eit n o ch v o n d er u n g e h e u re n F r e ih e it d er R e lig io sitä t d ie ser p o sitiv R e lig iö se n . E b e n s o s te h t es um L e s s in g s „N ath an d en W e is e n “ — w o d urch w e d er S c h ille r s n o ch L e s s in g s W e r t a n g e ta s te t w ird — , so h e rrlich und d au ern d v ie le s in d iesem W e r k e d er G üte und W e is h e it au ch b le ib t. N ath an s G e s ta lt ist u n v e rg eß lich , sie k e h rt in d er W ir k lic h k eit — tro tz a lle r V e rsch ie b u n g e n — in dem g rö ß te n jü d isch e n P o litik e r und v ie lle ich t dem g rö ß te n n e u e re n Ju d e n ü b erh au p t — B e n ja m in D is- ra e li — w ie d e r, w ied eru m in sein em R o m a n e „ T a n c r e d “ in dem g ro ß e n B a n q u ie r S id o n ia . A lso n ich t d er T y p u s ist u n zu län g lich , nur die W e lt an sch au u n g . In d er W e lta n sch a u u n g w ied eru m sin d d ie E le m e n te d es R ein -M en sch lich en und d er E rh e b u n g d es W a n d e ls ü b er die L e h re u n v e r lie r b a r e r G ew in n . A b e r d ie s alle in ist n ich t tra g fä h ig e R elig io n , e s ist nu r B e g le itu n g und E ig e n s c h a ft je d e r p o sitiv e n R e lig io n . D er Irrtum d er A u fkläru n g a lso ist, die p o sitiv e R e lig io n s e i d urch ein e id e ale H u m an ität zu e rs e tz e n . D ies ist kaum b eim ein zeln en m ö g lich ,
150 Pannwitz Heft 7/8
e r w a c h s e denn a ls r e ife r M e n s c h ü b e r e in e p o sitiv e R e lig io n h in au s, e s is t b e i e in e m V o lk e , w o es n ich t se in B e s te s v e rlie re n soll, g a n z u n m ö g lich , und e s ist g e g e n ü b e r d er M e n s c h h e it n ich ts d en n ein e u n v e ra n tw o r tlic h e S p ie le r e i d es E in z e l- o d e r M a s s e n h irn s . E s b e d a rf n ich t d e s g e rin g s te n B e w e is e s : die fu rc h tb a re L o g ik d er G e s c h ic h te h a t so v e rn e h m lich g e sp ro c h e n , d aß a n d en , d er n o ch e in e n Z w e ife l g la u b t n ä h re n zu d ü rfen , n ich t e in e S ilb e au s M en sch e n m u n d zu v e rs c h w e n den ist.
D ie F o lg e ru n g , d ie au s d er T a ts a c h e zu z ieh en ist, ist nun a b e r n ich t e in e H inw end u ng zu irg e n d e in e r R e a k tio n . D as G e g e n te il is t rich tig . Zum m in d este n in E u ro p a — le id e r n ic h t n u r in E u ro p a — h a b en sich d ie R e lig io n e n u n fä h ig e rw ie s e n , d en M e n sch e n zu b ild en und zu h a lte n , sie h a b e n sein e n V e rs ta n d ü b e r ih re G ru n d lag en sich e r h e b e n , se in e S e e le sich v e rlie re n und v e rsu m p fe n la sse n . D ie k a th o lisch e K irc h e ist n ich t ein m al im sta n d e g e w e s e n , die R e fo rm a tio n e n sich e in z u b e g re ife n , und d er P ro te s ta n tis m u s ist te ils d er a llg e m e in e n A u f
k lä ru n g v e rfa lle n , te ils a ls ihr G e g e n sa tz e r s ta r r t. W is s e n s c h a ft und R e lig io n h a b e n sich v o llk o m m en g e sch ie d e n , ja P h ilo so p h ie und R e lig io n b e rü h re n sich n u r in se h r trü b e n M isch u n g e n (n eu erd in g s lie b t e s d ie P h ilo so p h ie , sich an re lig iö se W e r te h e ra n z u sch m e iß e n ), und S ta a t und R e lig io n h a b e n a ls ein zig e B ez ie h u n g die d e r g e g e n s e itig e n A u sbeu tu ng b e h a lte n . D as C h risten tu m und s e in e K irch e n h a b en sich n ich t nur n ich t a ls W e ltr e lig io n e n b e w ie s e n — E r fo lg e vo n M issio n en än d ern n ich ts d a ra n — , so n d e rn n ic h t ein m al in E u ro p a die E n tw ick lu n g e n zu len ken o d e r zu h em m en v e rm o c h t. D aß sie U n g eh e u res g e le is te t h ab en , w ird d am it n ich t a n g e fo c h te n n o ch v e rrin g e rt, d och daß sie d er h e u ti
gen L a g e n ich t m e h r g e w a c h s e n sind, au ch aus d er V e rg a n g e n h e it b e k rä ftig t. Irg e n d ein e d er o r ie n ta lis c h e n g ro ß e n R e lig io n e n k o m m t a b e r fü r uns, die w ir ta u sen d J a h r e m it dem C h risten tu m und v o m C h riste n tum g e le b t h a b e n , n ic h t in B e tr a c h t, n o ch v o r ih re r A n eignu n g w ü rd en w ir an d em in n ern B ru ch zu G ru nd e g e g a n g e n sein . B e s tre b u n g e n und B e w e g u n g en w ie die T h e o s o p h ie — v e rd o r b e n s te s m iß v e rsta n d e n ste s Indien m it sch lim m sten m o d e rn e n In stin k te n v e rm isch t — m ö gen w o h l n o ch v ie l g r o ß e m A n h an g g e w in n e n a ls sie s ch o n h ab en , w e rd e n a b e r n ich t n u r n ic h ts A u fb au en d es le iste n , so n d e rn s o g a r die A u flösun g b e sch le u n i
g e n . W a s b le ib t? Ist in e in e r so lch e n L a g e , w o n ich t e in m a l E u ro p a , w o n ich t e in m a l ein e in z e ln e s V o lk ein e tra g fä h ig e R e lig io n h at, v o n W e ltr e lig io n zu sp re ch e n e rla u b t? D en n o ch .
S o w e n ig w ie d ie v o rh a n d e n e n R e lig io n e n die re lig iö s e A u fg ab e e rfü lle n , so w e n ig d ü rfen sie, die Ja h r ta u s e n d e alten , zu g u n sten e in e r
„ m o d e rn e n Id e e “ p re isg e g e b e n w erd en . G la u b e . k e in e r m eh r, a ls e r g la u b en k a n n . A b e r fra g e sich ein je d e r, o b e r ü b erh au p t ein M e n sch ist, d er n o ch g la u b en k an n , fe rn e r, o b n ich t m e h r g la u b e n zu k ö n n en , m e h r G ew in n o d e r m e h r V e rlu s t ist, m e h r K r a ft o d e r m e h r S c h w ä c h e
1921 Weltreligion 151
ist. £ s h a n d e lt sich d ab ei n ich t d arum , das e in e o d e r an d ere, w a s h eu tig en V o ra u sse tz u n g e n w id ersp rich t, fü r w ah r zu h alten , s o n d e rn um d a s g ro ß z ü g ig e V e rtra u e n au f e in e Idee, ein e W e lt, ein e W e lth e r r s c h a ft n icht d er M a te rie und n ic h t m o d e rn e r S p e k u la tio n e n , so n d ern tie fs te r W a h rh e ite n , w a h rs te r W irk lic h k e ite n a lle r m e n sch lich e n Ja h r ta u s e n d e , in w e lc h e r G e s ta lt au ch im m er sie frü h e r e rs c h ie n e n und fo rta n e r sch e in e n m ö g en . „ A u fg e k lä rt“ ist n ich t der, d er ein S y m b o l nu r d irek t nim m t, a lso w o e r s n ich t m a te ria lis ie rt sie h t als A b e rg la u b e n v e ra c h te t, so n d ern der, d er d as G leich n is d es G e iste s und d es G o tte s in j e d e r s e in e r O ffe n b a ru n g e n e m p f a n g e n k an n . M it d iesem S a tz e , w en n e r tie f und v o ll g e fa ß t w ird , is t a b e r d er S in n e in e r zu kü n ftig en W e lt re lig io n sch o n a n g e d e u tet. E r ist die n a tü rlich e F o lg e ru n g u n se re r h is to ris c h e n S ch u lu n g : w en n w ir die G e sch ich te n ich t m e h r g e le h rt, so n d ern leb en d ig a u ffa s s e n , das h eiß t, w e n n w ir alle Z u stän d e d er M e n sch h e it in uns s e lb st a ls S a m e n au fg eh en la ss e n und so uns s e lb st
„ v e rm e n s c h h e ite n “ ; w e n n w ir — fe r n e r — d ie G e sch ich te n ich t m e h r m e ch a n isch , so n d ern g e is tig e rfa s s e n , d as h eißt, w e n n w ir n ich t die S c h a le n in u n s h in ein sch lin g e n , so n d e rn die K e rn e in uns ein p fla n z e n : dann w e rd e n w ir um die Ja h r ta u s e n d e alle, die w ir als R a s s e d u rch lau fen h a b e n , als G e is te r re ic h e r und g e re ift. D ies ist ein e rs c h ü tte rn d e r G e d a n k e: in dem A u g e n b lick e , w o alle T ra d itio n e n uns z e rb r e c h e n und w ir v e re in sa m t a u f den ö d e sten S tra n d als S c h iffb rü c h ig e a u sg e w o rfe n sind, in d em selb en A u g en b lick fä llt uns als u n se r v e rs c h ü tte te s E ig e n tum , a ls u n se r a u s g ra b b a re s T r o ja alle s c h ö p fe r is c h e und blü h en d e V e rg a n g e n h e it der M e n s c h h e it a n h eim und v e rm e h rt die M ö g lich k e it u n se re s zu k ü n ftig en L e b e n s ins fa s t G re n z e n lo se. D enn alle s, d esse n S in n w ir fa s s e n k ö n n en , g e h ö rt uns an, w o fe rn w ir es rich tig uns a n e ig n e n ; n ich ts d avon , a u ß e r dem B e la n g lo s e r e n , ist uns v e rlo re n ; z w a r n ich t flin k und sch lau n a ch a h m en k ö n n en w ir e s, a b er als E r b e in un s fe s tig e n , um p lö tzlich en o b e rflä c h lic h e n V erfü h ru n g e n g e rü s te te r und w e is e r zu w id ersteh n , um au s u n erm eß lich em U r v ä te rs c h a tz e zu s ch ü rfe n und fo rs c h e n , um au s d er e ig n e n T iefen d im erisio n h ierv o n G e w ich te und R ich tu n g v e rn u n ftv o lle r a b zu w äg e n . W ir sind an n ich ts g e b u n d e n , au ch n ic h t m e h r a n d ie ty ra n n is ch e G e g e n w a rt, a b e r h a b e n e in e n u n en d lich en P ro z e ß v o r uns, a ls E rn te n d e d er M e n sch h e it, a lles G e is tig e und G ö ttlich e , d as je g e le b t w o rd en , in uns zu v e rb in d e n , und z u letzt se lb e r, sei es au ch in u n se rn fe rn s te n E n k eln , die e in v e rle ib te E rn te d er M e n sch h e it, d er s y n th e tisch e , k ry s ta llin isch e M e n sch zu w erd e n . D ies ist ein h ö ch ste s, d a b e i g r e ifb a r e s Z iel. D er W e g und d ie W e g e sind fre ilich n ic h t in ein em A u fsatze zu b ez e ich n en , au ch ein M e n sch e n le b e n r e ic h t n ich t, sie n u r e b e n an zu b ah n en . . .
E in e W e ltr e lig io n , w ie die A u fk läru n g sie d ach te, a ls A b stra k tio n d e r e in zeln en R e lig io n en , lieg t a ls Id eal h in te r u n se re r S tu fe . W ir w is s e n , daß s ie als B e s te s und K o n k re te s a lle r R e lig io n en v e r lie r t:
152 Pannwitz Heft 7/8
d a s fe ls e n fe s te V e rtra u e n au f die e ig n e n B ild er und G leich n isse , w e lc h e nu r a ls B ild er und G le ich n isse zu fa s s e n , n ic h t als u n m itte lb a rste , u n b e d in g te s te W irk lic h k e ite n , o h n e d aru m ih re tiefstb ild e n d e K r a ft p re is zu g eb en , k au m d em ü b e rle g e n s te n E in z e ln e n , n ie a b e r e in e r s e lb st h ö ch ste n K la s s e v o n M e n s c h e n m ö g lich se in w ird . A lso fü r d en W eisen , h e u te is t je d e r K a m p f g e g e n irg e n d e in e R e lig io n , je d e S tö ru n g irg e n d e in e s G la u b en s, u n erla u b t, w e il s e e le n fa ls c h . N im m t m an d en M e n s ch e n ih re B ild e r und G le ich n isse , d ie se m ö g en n o ch so a n fe c h tb a r sein , s o n im m t m an ih n en n ich t n u r d as, w a s an ih n en fa ls c h ist, so n d e rn fa s t a lle s m it, w a s d u rch Ja h r h u n d e rte und Ja h r ta u s e n d e in ih n en s ic h g e fa n g e n h a t und w a s , au s s e in e r H ülle, m it d er e s v e rw a c h s e n ist, g e ris s e n , s e lb s t v e rlo re n g e h t: ih re g a n z e S e e le . A lso die p o sitiv e n R e lig io n e n b e k ä m p fe n , d a s b e d e u te t h e u te p ra k tis c h — w a s au ch im m e r m an b e a b s ic h tig e — d ie S e e le d er V ö lk e r um den R e s t ih re s g e sch ü tz te n E ig e n s e in s b rin g e n ; g e n a u d a s G leich e und Ä rg e re s , w a s d as E n tn a tio n a li- s ie re n b ed e u te t. E in a n d e re s ist, w en n Ü b e rg riffe re lig iö s e r G e m e in s c h a fte n au f G e b ie te , die ih n en n ic h t zu stän d ig sind, a b g e w ie s e n w e rd e n , o b w o h l au ch da, w o b eid e P a r te ie n w e ise g en u g sind, s ie lie b e r sich e in ig e n w e rd e n , ein a n d e r so w e n ig a ls m ö g lich zu stö re n , d a n u r e in e a llg e m e in e A n a rch ie d er G e is te r und S e e le n die F o lg e ih re s Z w istest sein k a n n .
E in e W e ltr e lig io n a ls „su m m a re lig io n u m m u nd i“ k a n n a b e r au ch h e u te sch o n in e in z e ln e n sich v o rb e re ite n , und in ih rem d u ld sam en und leb en d ig en G e iste k an n so g le ich und fo r t und fo r t g e w irk t w e rd e n . E in e so lch e W e ltr e lig io n , a ls G e h e im n is d er W iss e n d e n , gab e s s c h o n in d en u rä lte s te n Z eite n , die w ir ü b erh au p t k e n n e n , u n b e stim m te J a h r tau sen d e v o r C h ristu s. S ie ist n äm lich V o r a u s s e t z u n g d er a lt
o r ie n ta lis c h e n a s tra lk o s m is c h e n R elig io n , die ih re rs e its d en g an ze n O rie n t u m sp an n t, w ie v e rs c h ie d e n a u ch ih re ein ze ln en G o tth e ite n w a re n . O rie n ta le und O rie n ta le k o n n te sich im m er v e r s te h n : so w o h l in d en letz ten L e h re n d er R e lig io n , w ie in den p a ra lle le n E rs c h e in u n g e n ih r e r M a n ife s ta tio n in ih re n v e rs c h ie d e n e n W e ltp ro v in z e n . Z u letzt b lieb n ic h t viel g r ö ß e re r G e g e n sa tz s e lb st z w isch e n C hina und B a b y lo n ie n e tw a , w ie z w isch e n L o k a lk u lte n : o b d er o b e r s te G o tt so o d e r so h eiß e, o b m an d ie T o te n b e g r a b e o d er v e rb re n n e , ob d ie o d e r je n e S p e is e v e r b o te n sei. D a g e g e n w a re n d ie H au p tsach e n a llm e n sch lich (und a lle k ü n ftig en R e lig io n e n leb en v o n ih n e n ): d er K o sm o s re in g ö ttlic h ; W is s e n s c h a ft und G lau b en o h n e G e g e n sa tz ; e in e W is s e n s c h a ft v o m K o s m o s d ie G ru n d lag e d es G lau b en s, dem V o lk e in B ild ern , M ä rch e n , F e s te n , T ä n z e n fa ß lich g e m a c h t; a lle s ird isch e L e b e n u n ter d em G e se tz e und a ls W id e rs p ie l d es g ö ttlic h -k o sm is c h e n ; d ie e in z e ln e R e a litä t S c h e in , w a h r nu r die g ro ß e n K o n ste lla tio n e n , d ie in K re islä u fe n , e n ts p re c h e n d d en en d er G e stirn e , m it u n a u sw e ich lich e r G e se tz lich k e it e w ig g le ich w ie d e rk e h re n . D ie se R e lig io n , d eren F u n d a m e n t e b e n nu r k napp u m
1921 W eltreligion 153
g re n z t h ie r ste h t, w a r d ie ein z ig e v o ll tra g fä h ig e . In ih r w a r es m ö g lich, d aß e in R e ic h w ie C hina o d e r Ind ien o d e r Ä g y p ten w i e d e r H i m m e l r e g ie r t w u rd e, d aß d e r G e i s t h e r r s c h t e , w e n ig s te n s bis zu dem ä u ß e rste n G ra d e m ö g lich e r N ähru ng. E in g ru n d sä tz lich e r G e g en sa tz z w isch e n R e lig io n und W is s e n s c h a ft e in e rs e its , z w isch e n R elig io n und P o litik a n d e rs e its , w a r u n m ög lich , denn d ie se W e lt u m faß te sich selb st. E s g a b n u r ird isch e K äm p fe, d as L e tz te , w a s den M en sch en e w ig h ielt, b lieb u n a n g erü h rt. D ie V e ra n tw o r tlic h k e it k o n n te au f d as h ö ch ste g e sp a n n t w erd e n , je d e r e in z e ln e h a tte je d e n A u g en blick sein e k o sm isch e S te lle (m o ch te sie d u rch n o ch so w u n d erlich e n A b e rg lau b e n ihm b e stim m t w e rd e n ), und so w a r im m er e in e G em ein s ch a ft, im k lein ste n w ie im g rö ß te n , also au ch — d am als — e in e M e n s c h h e i t v o rh a n d e n . D er u n g eh eu re Irrtu m a lle r A u fk läru n g — e in sch lie ß lich S o z ia lism u s, B o lsch e w ism u s, In te rn a tio n a lism u s, V ö lk e r
bund usw . ist, daß sie ein le tz te s Z iel n a iv v e rw irk lich e n w ill, o h n e sich d ie B ed in g u n g en k la rg e m a c h t, o h n e au ch nu r die V o ra u sse tz u n g e n g e se h e n , a lso au ch o h n e die M itte l g e su c h t zu h ab en . S e lb s t v iel tr a g fä h ig e re a lte K u ltu ren h a b e n v e rs a g t. M an w eiß h eu te e b e n so w e n ig w ie a lle g e sc h ic h tlic h e n H a u p t s a c h e n d ie g e w ich tig e T a ts a c h e , d aß alles, w a s w ir als R e lig io n e n k e n n e n , (au ß er je n e r a lto rie n ta iis c h -k o s- m isch en e rs t w e n ig g e k a n n te n ) R e f o r m a t i o n e n sind, also s tu fe n m äß ig se h r ju n g e B ild u n g en , h alb A u flösu n g, h a lb R ü ckb ild u ng, n a ch dem V e rlu s te d er g ro ß e n tra g e n d e n R e lig io n . K u n g fu tse w o llte d as k la ssisch e A ltertu m C hinas und d es ch in e s is c h e n T y p u s w ie d e rh e rs te lle n , e r h a t m e h r e r r e ic h t a ls je ein M e n s ch , e r h a t d as g a n z e ch in e sisch e V olk d urch sein e N ach w irk u n g e in h e itlich zu e rz ie h e n v e rm o ch t, und z w a r g e n a u in d er R ich tu n g se in e s Id eals. B uddha h a t dem Individuum die in n e re M ö g lich k e it g e s c h a ffe n , sich s e lb s t a u s dem K re islä u fe zu b e fr e ie n , d ad u rch , daß e s d ie letzte S e lb s tb e h e rrs c h u n g e rre ic h te , sich s o g a r v o m K o sm o s u n a b h ä n g ig zu m a ch e n . D as is t: N irw an a. Z a r a th u stra h a t A ck e rb au und V ie h z u ch t m it allen zu g e h ö rig e n Id ealen zur g e istig e n N a tu rre lig io n e rh o b en , ein V olk v o n N om adentu m zu S e ß h a ftig k e it e r z o g e n . C h ristu s h a t ein u n m itte lb a re s V erh ä ltn is d e r e in z e ln en S e e le zu G o tt, e in A u fg eh en d er ein zeln en S e e le in G o tt a u s re in e r L ie b e und in re in e r L ie b e g e le b t und g ep red ig t. M o h am m e d h a t e in e S y n th e s e a u s zw e i R e lig io n e n , d er jü d isch e n und ch ristlich e n , in e in e r d ritte n te ils a u s sein e m S ta m m g e sch ö p fte n , teils aus d er Z e it
lag e e rg ä n z te n , fü r n e u e E r o b e r e r -V ö lk e r h e rv o rg e b ra c h t. K e in e d ie s e r R e lig io n en , so tra g fä h ig sie a u ch w u rd en , e rre ic h te e n tfe rn t d ie T r a g fä h ig k e it d er a lto rie n ta lis c h -k o sm isc h e n , u m fin g den M e n sch e n als ein W e lta ll, in d em ihm n ic h ts ab g in g . S ie alle a b e r w a re n m eh r o d e r m in d er d och n o ch G e m e in s ch a ft-R e lig io n e n . S e lb s t C h ristu s le h rte n o ch d a s M y ste riu m d er G e m e in sch a ft, so daß d ie E in z e lse e le nu r, in so fe rn sie in G o tt e in g in g , v o n B e la n g w a r, n ich t a b e r irg en d w ie als E in z e l
154 Pannwitz Heft 7/8
s e e le selb st. D a g e g e n a lle h e u tig en p se u d o re lig iö se n B ew e g u n g e n und B e s tre b u n g e n au s d em M assen in d iv id u alism u s h e rv o rg e h e n : so daß die E in z e ls e e le , s o fe rn s ie in G o tt o d er d as A ll a n g e b lic h e in g e h t, e b e n g e r a d e sich ü b e r a n d e re e rh o b e n und — s ie leu g n e es n o ch s o ab — sich se lb st e r s t d o p p elt fü hlt. D ie ä lte s te , die k la s s is c h e R e lig io n — je n e a lto rie n ta lis c h e — w a r au s ein em le b e n d ig ste n G e m e in s c h a ft- G e fü h le h e r nu r m ö g lich g e w o rd e n und w a r all die Ja h r ta u s e n d e , die sie b e sta n d , in dem ä u ß e rs te n M a ß e g e m e in s ch a ft-e n th a lte n d und -bildend.
D e r ä u ß e rlic h ste B e w e is : V ö lk e r ü b er V ö lk e r, D y n a stien ü b e r D y n a stien w e c h s e lte n , L ä n d e r w u rd en z e r s tö r t und neu g e b a u t, a b e r d ie se R elig io n , ih re W e lta n sc h a u u n g und alle aus ihr fo lg e n d en m e n sch lich e n G ru n d v e rh ä ltn is s e b lie b e n u n e rs c h ü tte rt. S e lb s t n o ch b e i d en G rie ch en w a r R e lig io n A n g e le g e n h e it d er G e m e in sch a ft, nu r a ls G e m e in s c h a ft h a tte d er einzielne sein V e rh ä ltn is zu G o tth e it und W e lta ll, e r m a ß te sich n ich t an , p e rs ö n lich , das h e iß t als M assen in d iv id u alist, sich m it e tw a s
„ a u s e in a n d e rz u s e tz e n “ , dem e r v o n E w ig k e it zu E w ig k e it e in b e g riffe n w a r , und d esse n A llh eit und E in h e it ihm nu r im M y ste riu m d er ihm n ä c h s te n A llh eit und E in h e it, s e in e r e ig n e n G e m e in s c h a ft — d er F a m ilie , d es V o lk e s, d es S ta a te s — W irk lic h k e it und z u g än g lich w a r. S o lc h e R e lig io n ist o r g a n i s c h , und d am it t r a g f ä h i g fü r G e m e in sch a fte n , indem sie V e rfa s s u n g e n g le ich t, die den e in ze ln en au ch n ich t als M a s s e n in d iv id u alisten iso lie re n und su m m ieren , so n d e rn in ein e m G e fle ch te n a tü rlic h e r V e rb ä n d e ihn sein e P flic h te n und R e c h te au sü b e n lassen . D ie m o d e rn e R e lig io n slo s ig k e it is t — w ie m an w ill — U rsa ch e od er F o lg e d e s M assen in d iv id u alism u s. In o r g a n is c h e n Z u stän d e n d er G e iste r und S e e le n d er g a n z e n W e lt is t w a h re R e lig io n ü b erh au p t u n m öglich .
S e lb s tv e rs tä n d lic h is t es u n d e n k b ar, daß w ir h e u te su ch en , je n e a lto rie n ta lis c h e k o s m is c h e R e lig io n w ie d e rz u g ew in n en . Ihr W e r t ist, d aß sie au s ih ren B ö d en w u ch s und a lles G e w ä c h s ih rer B ö d en d u rch d ra n g und h im m lisch -ird isch v e re in te in u n en d lich en W e rd e -P ro z e s s e n , d ie u n s b is au f je d e K u nd e le id e r v e rs u n k e n sind. O b h eu te ein O rie n ta le sich e u ro p ä is ie r t o d e r ein E u ro p ä e r sich o r ie n ta lis ie rt, d as is t b e id e s g le ic h w e rtlo s . A b e r A b stan d g e w in n e n und lern en , w o ra u f e s a n k o m m t, d a s so llte n w ir d u rch d en O rien t. D er M a sse n in d iv id u a lis
m u s is t u n se r S c h ic k s a l. W ir v e rm ö g e n ihn w o h l a ls W e lta n sch a u u n g ab zu sch ü tteln , n ic h t a b e r als Z u stan d . A lles N eue b e i uns k an n , da w ir n ich t e in m a l den B e g r iff d e sse n h a b en , w a s e in e w a h re G e m e in s c h a ft ist, n u r im Individuum a n b e g o n n e n und a u s g e tra g e n w e rd e n . N icht daß d e r .e in z e ln e sich a ls tra g fä h ig fü hlen d ü rfte, v ie lm e h r soll e r sich b e la s te t fü h le n : nu r d arum , w e il n ich ts m e h r ü b rig ist als A to m e, fä llt d em A tom die A u fg a b e d es O rg an ism u s zu. A lso k ein s to lz e s V o rre c h t, e in e , fu rc h tb a re T r a g ik ist e s, d aß la u te r e in z e ln e d a s U n e rh ö rte au sd u ld en und a u s s c h a ffe n m ü ssen . A b er w ird e s so v e rs ta n d e n , d an n k a n n e s fru ch tb a r w e rd e n . E s w is s e nur d er
1921 W eltreligion 155
ein z e ln e, daß e in z e ln e r sein n ich t b e d e u te t: Individuum se in ; daß n ich t d ie E in z ig k e it, so n d e rn die a u s o rg a n isie rte T o ta litä t — e tw a s d as u n te r m o d e rn e n M e n s ch e n es g a r n ich t g e b e n k an n — das Individuum a u s m a c h t; daß Individuen n ic h t da sind o d e r die s e lte n s te A u sn ah m e sind.
S o ist denn die A u fg a b e : sa ch lich und individual zu w irk e n , d as h e iß t:
den G e g e n stä n d e n g em äß , o h n e V o ru rte ile und p e rsö n lich e T e n d en z, und a u s p e rs ö n lich e r g e s c h lo s s e n e r K ra ft h e rv o r, m it alle r A n sp annu ng a lle r K rä fte , g e g e n sich so w e n ig e in se itig , so w e n ig z e rs p litte rt w ie n a ch au ßen. D e ra rt w irk e n , d as h e iß t :, d e r a rt w e rd e n ; d e r a rt w e rd en a b e r ist au ch V o r a u s s e t z u n g zu d e ra rtig e m W irk e n , also b eid e s au f k e in e W e is e zu tre n n e n , so n d e rn ein e in zig er L e b e n srin g . D ie Q uellen strö m en ü b e ra ll: u n te rsc h e id e t m a n n u r Q uellen- v o n R ö h r e n w a s s e r, und v e r s te h t m an nu r zu trin k e n und au fzu n eh m en , s ta tt zu sch lü rfen und sch m e ck e n . D u rst h a b en , den e in fa c h s te n und e h rlich ste n , und a lle r L ü s te rn h e ite n led ig sein , ist B ed in g u n g . D ie z w e ite : den h e ilig e n T r a n k n ich t m it dem e ig n e n S p e ic h e l v e rm isch e n . D ie Q uellen strö m en ü b era ll, so s c h le c h t sie au ch g e fa ß t sin d : w e n ig e s v o m O rien t h a t e in e k la ss is c h e Ü b e rtra g u n g (w ie die d er R ed en Bud d has v o n N eu
m ann, d er B ib e l vo n L u th e r und v ie le r D in ge v o n R ü c k e rt). . M an s tre b e d an ach , w e n n m an O rie n ta lisc h e s liest, n ich t m it uns zu v e r g leich e n , so n d ern d as E in z ig e , B e s o n d e re zu e rk en n en , d as so tief, b is m an d as L e tz te , M e n s ch lich e g e fa ß t h at, d as a b e r w ied eru m o h n e e s v o n s e in e r e in z e ln en G e sta ltu n g , d ie a lle in es a u s d r ü c k e n k an n , , lo szu m ach en . D ann fr a g e m an sich n ich t, o b d as fü r e in e n s e lb s t g ilt (m an le se n ie e g o z e n tris c h ), so n d e rn la ss e e s auf sich w irk e n w ie S o n n e , M o n d und G e s tirn e , w ie d ie H e rrlich k e it d er W e lt. M a n su ch e n ich t so g le ich zu v e rs te h n , d a s fü h rt n u r dazu, daß m an fa ls c h v e r steh t, m an b le ib e dum pf, v e r tie fe und v e rs e n k e sich , m an la ss e im m er w ie d e r ein d rin g e n und e in w irk en . M a n la ss e p fla n z e n h a ft in sich w a ch se n , m an la ss e v o n s tillen P r o z e s s e n sich v e rw a n d eln , ü b ereile sich n ich t, v e rs ä u m e sich au ch n ich t, und sch a u e v o r allem n ich t sich s e lb e r zu.
W ic h tig e r a ls die A n eig n u n g d es O rien ts is t a b e r die u n s e re r G rö ß te n : G o e th e s und N ietzsch e s — daß s ie en d lich ein m al r e c h t v e r stan d en und w irk lich fru c h tb a r w e rd e n . In b eid e n lie g t e in e u n se re m V o lk e n ä c h s te R e lig io n , sie b eid e sin d, w e n n sie n ich t m o d e rn m iß - k a n n t w e rd e n , e in a n d e r v ie l n ä h e r als alle an d e ren s o n s t b e i uns.
A b e r m an g e h e a lle in au f die Q uellen, m a n le s e und le se , b is m an v e rs te h t, m an re d e n ich t, h ö re n ich t, m a n le se h e i m l i c h , h eim lich fa s t v o r sich se lb st. M a n h a lte sich an d as, w a s m an u n m itte lb a r e m p fä n g t, la ss e v o n da sich w e ite r fü h re n , la s s e d u rch n ich ts, w e d e r U n fa ß lich e s n o ch S tö re n d e s sich b e irre n , g e h e im m er a u fs G an ze, v e r s te h e d as e in z e ln e z u letzt a u s e in e m S ch on v e rs ta n d e n e n G an zen . — W e lc h e s G e h e im n is lie g t nun, g an z u n e rfo rs c h t, in G o e th e und N ietz sch e ?
156 Pannwitz Heft 7/8 D e r g a n z e W e g d es M e n sch e n a u s d ie se r Irrs a l h e ra u s. M an g e h e a u s v o n G o e th e s d re i g ro ß e n R o m a n e n . S o w ie d e re n F ü h re n d e g e sin n t sin d und h an d e ln , g e n a u so ist, au ch h e u te n o ch , d er in n ere und ä u ß e re B e g in n e in e r W e ltr e lig io n m ö g lich . G ew in n en e in zeln e d ie se H öhe d er s ittlich e n K u ltu r, d ie se R e ife d er W e lta n s ic h t (w ie e tw a L o - th a rio , J a r n o , d er A b b e), w irk e n sie je d e r an s e in e r S te lle , v o n F a ll zu F a lle v erb u n d en m ite in a n d e r, so g ro ß a rtig , so g ro ß z ü g ig ,, so e in h e itlich , so v ie lfä ltig , so w e rd e n n ic h t n u r w ie d e r Individuen e n ts te h e n , s o n d e rn au ch in G e m e in s c h a ft m ite in a n d e r zu le tzt e in e K la s se a u s b ild en , w e lc h e d ie se g a n z e W e lt g e is tig d u rch d rin g e n und e m p o rh e b e n und z u letzt g e is tig b e h e rrs c h e n und g e s ta lte n w ird . Je d e r , d er irg e n d - e in m a l L e h re n d e r w e rd e n w ill, m uß a b e r se h r la n g e L e r n e n d e r sein, und d a s s o g a r so la n g e , w ie e in e r , d er ihn le h re n k an n , v o rh a n d e n ist. F e r n e r : a u ch d as le tz te Z iel is t: e w ig w e ite r zu le rn e n und an sich zu bilden, n u r a u s d ie s e r b e s c h e id e n s te n e ifrig s te n T ä tig k e it k a n n d ie F ä h ig k e it, a n d e re w e ite r zu fü h ren , e rw a c h s e n . G o e th e fü h lte so a u f d ie D a u e r s e in e s L e b e n s — w e r also ist h e u te w o h l zu ü b e rle g e n d a fü r ? ! F re ilic h , w e r ist h e u te a u ch n u r um s o v ie l s ich s e lb s t ü b e r leg e n , d aß e r g a n z e h rlich S c h ü le r sein k ö n n t e ?
In N ietzsch e lie g t e in e k ü n ftig e R e lig io n fü r den, d er s e h e n k a n n , s o g a r v o llk o m m en a b g e s c h lo s s e n . E s ist die d er a lto rie n ta lis c h e n R e li
g io n e n ts p re c h e n d e : w ied eru m e in e d es g a n z e n K o sm o s. S e in e L e h re v o n d e r e w ig e n W ie d e rk u n ft d es G leich en , sein e G e s ta lt d es D io n y so s und sein le tz te s Z iel d es M e n s c h e n : d er Ü b e rm e n sch , dazu sein N atu r
g e se tz v o m W ille n zu r M a c h t u m sp a n n e n d ie ko m m en d e W e lt. All d a s is t n o ch k au m s p ru ch re if. D och se ie n die u n g e fä h re n Z u sa m m en h ä n g e a u fg e d e ck t. D ie e w ig e W ie d e rk u n ft d es G leich en , id en tisch fa s t m it d er a lto rie n ta lis c h e n W e lta n sc h a u u n g , ist die K o n se q u e n z d er m o d e rn e n P h y sik . S e tz t m an e in e K o n sta n te an, so ll d iese n o tw e n d ig sein , so k a n n s ie nu r d e r g a n z e K o sm o s s e in ; soll d ie s e r w ie d e ru m leb en d ig sein , so k a n n e r nu r s ic h d reh n . A lle Id een v o n Z eit, R a u m , K a u sa litä t sind u n zu län g lich e L ü c k e n b ü ß e r und H ilfsk o n stru k tio n en , in e in e m ru n d en , fre ie n D en k en n ich t e rträ g lic h . D io n y so s is t d er G o tt d ie s e s K o sm o s, d as h e iß t: sein e V e rm e n sch lic h u n g d er h ö ch ste n P o te n z . E r e n ts p ric h t d em o r ie n ta lis c h -a n tik e n N atu rd äm on , d er alle K re islä u fe d e s L e b e n s au sd u ld et und j u b e l n d e r t r ä g t , dem d as L e id e n k e in E in w a n d g e g e n d a s L e b e n , so n d e rn d ie B ed in g u n g d es L e b e n s ist, e b e n s o K am p f, T o d , W e c h s e l. E r ist d ritte n s g e is tig e P o te n z , P s y c h e , w e lch e N atu rlau f und -p ro zeß g e is tig w id erb ild e t und in s e in e r E r k e n n t
n is ü b er s e in e r E rk e n n tn is stehit: d ie E rk e n n tn is Sin n b ild , n ic h t G e s e tz d e s L e b e n s , a lso d u rch V ie lfa lt, U n zu län g lich k eit, W id e rsp ru ch , W e c h s e l n ich t v e r r in g e r t und a n g e fo c h te n , s o n d e rn b e r e ic h e r t und e rfü llt; d ie E rk e n n tn is d e s L e b e n s , n ich t ü b e r d as L e b e n . D er Ü b e rm e n sch is t d e r h ö c h ste T y p u s d es M e n sch e n , die le tz te S y n th e s e a lle r m e n s c h
1921 W eltreligion 157
liehen M ö g lic h k e ite n ; d a h e r fäh ig , d as L e b e n , ja den g a n z e n K o sm o s m i t allen F u r c h tb a rk e ite n re s tlo s zu e rtra g e n und zu b e ja h e n ; in s o fe rn d e r k o sm isch e , und in s o fe rn d er fr e ie s te M e n sch . Zu ihm hin, s o ll die E n tw ick lu n g ein Z ie l g e w in n e n , d as h eiß t, ih re g rö ß te M a n n ig fa ltig k e it soll w e d e r je d e s in s ic h s e lb s t n o ch a lle s im Je n s e its sich z u sa m m e n fa sse n , so n d e rn zu ein em h ie s ig e n h ö c h ste n T y p u s s tre b e n
— n ich ts a n d e re s , a ls w a s je d e r K ü n stle r in ein e m H au p tw erk e w ill.
D e r W ille zur M a c h t h a t g a r n ich ts m it m e c h a n is tis c h e r M a c h t zu tun, in ihm ist d a s allg ü ltig e N a tu rg e se tz je d e r individ ualen B ild u n g e rk a n n t. S e lb s tv e rs tä n d lic h is t d er W ille zu r M a c h t e in e s h ö ch sten W e r te s e in h ö h e re r W ille zu r M a ch t, e in W ille zu e in e r grö ß ereA M a ch t, a ls e tw a d er W ille n a c h R e ich tu m o d e r G e w a lt, b lo ß e m R e ic h tum, b lo ß e r G e w alt. D ie E r k e n n tn is d ie se s N a tu rg e se tz e s ü b e r und u n te r alle n e s w e g lü g e n d en M o ra lg e s e tz e n m it ein em b a rb a ris c h e n o d e r b a n q u ie rh a fte n „ p e rsö n lich e n M a c h tw ille n “ zu v e rw e ch s e ln , w a r ein e d er u n ste rb lich e n d eu tsch e n E s e le ie n . . .
E in e zu k ü n ftig e W e ltr e lig io n w ird s y n th e tisch en , k ry s ta llin isch e n C h a ra k te r tra g e n , g en au w ie , fa lls e r ü b erh au p t g ed e ih t, d er zu k ü n ftig e M e n sch . S ie k an n , e b e n so w ie er, nur o r g a n is c h in lan g em P r o z e s s e e n ts te h e n , g e n a u so , w ie g ro ß e R a s s e n und g ro ß e K u ltu ren im m er e n t
stan d e n sind. In d em se lb e n G ra d e und in d en se lb e n G re n ze n k an n sie au ch g e fö rd e rt und g e h in d e rt w e rd e n : e s ist s o w o h l m ö g lich , daß e in e in z ig e r M e n s c h in tie fs te r D em u t und re in ste m E if e r d as g an z e W e r k v o r b e r e ite te , w ie d aß e in e s e e llo se g ie rig e G e n e ra tio n es v o ll
k o m m en v e r e ite le . . . D ie Z u k u n ft d es M e n sch e n a b e r b e ru h t au f d ie sem W e r k e , und e s ru h t, uns u n fin d b ar, im S c h ö ß e d es S c h ic k s a ls , w ie la n g e F r is t u n s g e g e b e n ist, es zu b eg in n e n , e s zu vo llen d en . T u e ein je d e r d a s S e in e und s tr e ite n iem an d um d as, w a s letzthin' d o ch d er W ille a lle r sein m uß, s o fe rn s ie e s e rn s t und treu m e in e n : um d as E w ig e und R e in -M e n sch lich e .
STREIFLICHTER
Le b e n s h e i l u n d J e t z t z e i t . Zeiten der Umwälzung sind Zeiten der Formlosigkeit. Schranken der Zucht werden zerbrochen, edle Formen zer- pöbelt. Der Beweis dieser Wahrheit ist unsere Erfahrung. Das Ungebärdige hat sich in erschreckender Weise breit gemacht und wird eine Gefahr für das Leben des Volkes.
Mit Händeringen und Kopfschütteln ist da nichts gebessert, sondern nur mit der Tat! Bei uns selbst anfangen, die schöne, edle Form zwischen uns und den Menschen, vor allem unsern Nächsten, bewußt pflegen!
D e r W i l l e z u r F o r m m u ß u n s b e s e e l e n . Wir müssen gerade in der heutigen wirren Zeit darauf bedacht sein, die Einheitlichkeit des Lebens
stiles in unserm Hause und Leben zu pflegen. Dazu gehören keine silbernen
158 Streiflichter Heft 7/8 Tischgeräte und geschliffenen Gläser, sondern nur wir selbst, nur unsere Seele.
Es gibt Armuthände, in denen ein einfacher Topf sich besser ausnimmt als ein weingefüllter Kristall in einer edelsteinbesetzten Hand. Denn innere und äußere Form bedingen einander. Der Geist baut sich den Körper!
N u r e i n e n w i r k l i c h e n G e h a l t v e r e d e l t d i e F o r m . W o k e i n G e h a l t i s t , i s t d i e F o r m L ü g e u n d A l b e r n h e i t . W a h r h e i t u n d S c h ö n h e i t s t e h e n i n i n n i g s t e r W e c h s e l b e z i e h u n g z u e i n a n d e r .
Form muß der lebendige Ausdruck des Inhaltes sein, ein Stück seines Lebens. W ir haben vielleicht zuviel Parade und zuviel Drill in a l l e m gehabt.
Daran hat unser Leben gekrankt und krankt noch heute daran, wenigstens an der Hohlheit und Phrase; aber es krankt nun noch an der Formlosigkeit. Aus beiden heraus zu kommen, muß unser Sehnen sein!
D e r P r O l e t i s t d e r h e r r s c h e n d e T y p u n s e r e r Z e i t ü b e r - a 11 auf der Gasse und in den Sälen und auch in den Kreisen vieler neuen Reichen. Das ist ein hartes Wort. Aber es muß um der Liebe willen zum deutschen Volke und seiner Kultur ausgesprochen werden! D e n n d e r P r o l e t ( ma n v e r w e c h s l e d a s W o r t n i c h t m i t P r o l e t a r i e r ) i s t d e r s c h l i m m s t e F e i n d a l l e r K u l t u r .
U n s e r V o l k m u ß s e i n e n L e b e n s s t i l e r h a l t e n , w e n n e s s e i n e w i r k l i c h e n e u e K u l t u r e r h a l t e n s o l l . D i e s c h ö n e d e u t s c h e S e e l e m u ß s i c h a u s d r ü c k e n i n d e r e d l e n F o r m . Nur e i n e r d er vielen Wege, dahin zu kommen, sei berührt!
W ir müssen bemüht sein, einander edel zu begegnen. Der Wille macht nicht viel, sondern alles! Vor allem hat der Gebildete die Pflicht, dem ein
fachen Manne so zu begegnen, daß es ihm wohltut. Das ist Erfüllen einer Mission zur Gesundung unseres Volkes! Aber der einfache Mann bemühe sich auch, jedem so zu begegnen, daß es ihm eine Wohltat und eine Freude ist. Dieses edle auf Formhalten hat einen großen Segen. Es veredelt tatsäch
lich. und fördert die Selbstzucht. Ja, die edle Lebensform erhöht die Lebens
freude in einem Maße, wie es viele nicht glauben. In d e m S i c h - g e h e n - l a s s e n l i e g t s o v i e l A n f a n g z u m a n c h e r l e i : Z u r U n f r e u d e u n d V e r d r o s s e n h e i t , z u r H ä ß l i c h k e i t i n W o r t u n d G e b ä r d e , z u r S c h l a f f h e i t , j a , z u r S c h w ä c h e u n d a u c h z u m a n c h e m . S c h m e r z u n d L e i d e , j a , z u m a n c h e m U n g l ü c k .
E m p o r s t r a f f u n g i n e i n n e u e s L e b e n t u t n o t ! Ohne dieses innere Emporstraffen kommen wir nie in die Höhe. Die schöne Lebensform aber ist der Ausdruck der inneren Erstraffung und Vertiefung und zugleich ihr Helfer. E d l e F o r m i s t h e u t e e i n e d e r g r o ß e n H a u p t s ä c h l i c h - k . e i t e n u n s e r e s L e b e n s !
L a s s e t u n s e i n i g s e i n i m W i l l e n z u r s c h ö n e n L e b e n s
f o r m ! Reinhold Braun.
D
ie H u m a n i t ä t s i d e e i n d e r R e l i g i o n . Gelegentlich eines vor kurzem in L e i p z i g veranstalteten akademischen Ferienkurses für Philologen, Historiker und Theologen hielt Prof. D. Hans H a a s , der Vertreter der allgemeinen Religionswissenschaft an der Leipziger Universität, eine Reihe bedeutsamer Vorträge religionsgeschichtlichen Inhalts. Prof. Haas ist unter
