J a h r g a n g V I.
U nterrichtsblätter
1900. N r. 4.
fü r
Mathematik und Naturwissenschaften.
Organ des Vereins zur Förderung
des Unterrichts in der Mathematik und den Naturwissenschaften.
P ro f. D r. B. S c h w a lb e ,
Direktor des Dorotheenstädt. Realgymnasiums zu Berlin.
H erausgegeben von und
V e r l a g v o n O t t o S a l l e i n B e r l i n W. 30.
P ro f. F r. P ie tz k e r ,
Oberlehrer am König], Gymnasium au Nordhausen.
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In h a lt: Wissenschaft lind Schule. Von Dr. He i n r i c h S c h o t t e n (Schluss), (S. 61). — Die Geometrie der Lage in der Schule. Von R u d o l f B ö g o r (S. 66). — Uelier lieronische Dreiecke mit ganzzahliger Transversale.
Von Prof. Dr. H. S c h u b e r t (S. 70). — Ueber die Seckadetten-Eintrittspriifung. Von H. Z ü g e (S. 71).
— Schul- und Universitäts-Nachrichten [Prakt. Kurse in Berlin; Vorträge für Schüler in Berlin 1900;
Veranstaltungen für die Förderung des naturw. Unterrichts in Berlin Sommer 1900; Ferienkursus zu Frankfurt a. M. 1900; Studienplan für das mathem.-physik. Studium an der Universität Jena] (S. 72). — Vereine und VcrsammliiTigen[72.VersammIungI)eutscherNaturforscher und Aerzte zu Aachen 1900] (S. 74).
Lehrmittel-Besprechungen (S. 74). — Bücher-ßesprechungen (S. 70). — Zur Besprechung eingetr. Bücher (S. 77). — Anzeigen.
W is s e n s c h a f t u n d S c h u le .
Vortrag, gehalten in der Hauptversammlung dos Vereins zur Förderung des Unterrichts in der Mathematik und den Naturwissenschaften zu Hamburg (Pfingsten 1900).
Von Dr. H e i n r i c h S c h o t t e n ,
Direktor der städtischen Ober-Realschule zu Halle a. S.
(Schluss).
In keinem S taatsexam en irg en d einer anderen F a k u ltä t w ird der N achw eis d e r sogen, allge
m einen B ildung v erlangt, n u r die L eh ram ts
p rü fu n g s ie h t einen solchen vor. Blan könnte im Z w eifel sein, ob m an das n ic h t als einen V orzug em pfinden soll; a b e r ich glaube, der N a ch teile sind doch zu viele, die aus dieser F o rd e ru n g en tsp rin g en , als dass m an sich w irk lich d a rü b e r freuen sollte. Viel sch w ierig er ist.
die F ra g e zu lösen, w elchen w issenschaftlichen A nsprüchen d e r K a n d id a t in seinem H auptfache zu genügen h a b e ; ab e r diese S ch w ie rig k eit te ilt un sere F a k u ltä t m it den übrigen, w enn auch die z u k ü n ftig en A ufgaben in den verschiedenen F a k u ltä te n se h r verschieden sind, die unsrige in e rs te r L in ie dahin g eh t, n ic h t die K enntnisse p ra k tisc h zu v erw erten , sie um zusetzen in kurs- m ässige M ü n z e, sondern die K enntnisse, das W issen anderen zu v erm itteln.
W e sen tlic h anders lie g t die Sache au f dem G eb iete d er L ehrpläne. Ic h habe schon erw äh n t,
dass u n te r V erkennung des eigentlichen W esens der höheren Schulen in den L eh rp län en im m er m ehr ein p ra k tis c h e r G e sich tsp u n k t m assgebend gew orden ist, dass kein vornehm er, kein w issen
sch aftlich e r G eist sie durchw ehe, vielm ehr ein su b a lte rn e r Z ug d urch sie h indurchgehe. Schon das schöne W o rt von d er abgeschlossenen B ildung z eig t das seh r deutlich. D ie in diesem G ru n d g edanken zum A u sd ru ck kom m ende R ü c k sic h t au f eine M in o rität h a t a u f die G esta ltu n g eines e i n h e i t l i c h e n w irk lich w issenschaftlichen L eh rp lan s keinen v o rte ilh afte n E influss ausge
ü b t. D ie Schule h ä tte einem solchen D rängen n ic h t nachgeben m üssen, sie d u rfte n ich t sich a u f den S ta n d p u n k t stellen, dass in e rs te r L inie diejenigen zu b erü ck sich tig en seien, die — ohne die Schule durchm achen zu w ollen — doch etw as nach m ancher S eite hin A bgeschlossenes m itneh
m en sollten ; sondern die L eh rp län e m ussten u nbe
ir r t durch solche F o rd eru n g en die Schule als ein Ganzes und U n teilb ares h in s te lle n ; das w äre w a h rh a ft w issenschaftlich und w ü rd ig gew esen.
Ic h h a lte g erade das N achgeben in dieser F ra g e fü r einen d er w undesten P u n k te d er L ehrpläne, fü r das Moment,, das am alle ru n g ü n stig ste n a u f den w issenschaftlichen G eist an den höheren Schulen e in g e w irk t h a t. D u rch diese üb er
trie b en e R ücksichtnahm e au f d e n T eil d er
U N T E R R I C H T S B L Ä T T E R .
J a h rg . VI. No. 4.
Schüler, d e r n u r die höhere S chule b esu ch t, um eine B ere c h tig u n g zu erla n g e n : durch die F a ssu n g d er L e h rp lä n e , die dies M om ent in e rs te r R eihe b erü c k sic h tig t, is t eine S p a ltu n g in den einheitlichen L eh rp lan h in e in g etrag en , die sich nach m ehr als ein er Seite hin als h ö ch st v erd erb lich und unw issenschaftlich erw iesen h at, D adurch is t es gekom m en, dass m an abgerissene S tü ck e einzelner F ä c h e r in K lassen hineinge
p re s s t h a t, wo sie g a rn ic h t h in g eh ö re n : und dass m an eine O berflächlichkeit erzeu g t, die sich b itte r rä c h t, n ic h t n u r bei denen, die die höhere Schule w e ite r besuchen, sondern in ihrem m oralischen E influss viel b ed eu tsam er bei denen, die nun m it dieser angeblich abgeschlossenen B ild u n g h in a u stre te n in das L eben und d o rt erfah ren , dass ih re B ildung n ich ts w en ig er als abgeschlossen ist. U eb er diese E rfa h ru n g w ird auch n ic h t h in w eg täu sch en , w enn m an das K önnen g eg en ü b er dem W issen in einer W eise b e to n t, die e c h te r w issen sch aftlich er D u rch b ild u n g , g e istig e r Z u c h t, w irklichem w ahren W issen geradezu feindlich g eg en ü b erstellt.
D ie A u sb re itu n g d er F äch er, die B eto n u n g d e r W ic h tig k e it je d es einzelnen fü r die A us
b ild u n g d er Schüler, w ie fü r die allgem eine B ildung ü b e rh a u p t w uchs n atu rg em äss m it der E in fü h ru n g des F a c h le h rertu m s, das vom w issen
sch aftlich en S ta n d p u n k te aus das einzig b erec h tig te ist. D ennoch d a rf n ic h t v e rk a n n t w erden,“
dass d am it ein g rö sser Z erfall d er E in h e itlic h k e it im w issen sch aftlich en B etrieb e d er höheren S chulen H a n d in H an d ging. An sich is t es j a rein m enschlich seh r w ohl zu verstehen, dass je d e r g erade sein F ach h o c h sc h ätz t und es zur A n erk en n u n g zu b rin g e n su ch t. A b er w as haben sich infolgedessen fü r eine grosse A nzahl sch w er
w iegender S chäden h era u sg e ste llt. W en n die K lagen ü b e r die U eb erb iird u n g d e r S chüler irg en d w elch e B ere c h tig u n g h aben, so is t das die F o lg e d av o n , dass gew isserm assen h eu tzu tag e keine N eb enfächer m ehr existieren. N ich t n u r im U n te rric h t se lb st w ird d ad u rch eine viel g rö ssere In an sp ru ch n ah m e d er g eistig en K ra ft und d e r A u fm erk sam k eit g efo rd e rt, auch fü r die häusliche A rb e it kom m t dies in b etrach t.
L assen Sie mich ein B eispiel an führen. E in b e g a b te r S chüler, d e r in fa s t allen F ä c h e rn g u te Z ensuren h a tte , e rh ie lt in N a tu rw issen sc h aft ein U ngenügend. Und b e g rü n d e t w urde dies von dem F a c h le h re r m it den W o rte n : „ J a d er Ju n g e h a t j a ein R iesen in teresse, er w ill sich fast zerreissen vor A u fm erk sam k eit u n d T eilnahm e, ab er seine p o sitiv en K en n tn isse sin d eben gleich N u ll“. J a , m eine H erren , so etw as w äre frü h e r einfach unm öglich g ew esen ; solche V orkom m nisse sin d erst m öglich g ew orden d urch das E m porkom m en des F ac h leh re rtu m s. U nd Sie w erden m ir gew iss alle zugeben, dass h ie r ein v erd erb lich er M issstand v o r lie g t: selb stv e rstä n d -
lich w ü rd e ich einen solchen E in zelfall n ic h t h ervorheben, w enn n ic h t die A nnahm e b e re c h tig t w äre, dass e r durchaus kein A usnahm efall ist.
A b er abgesehen von den M issgriffen, die im einzelnen m öglich sin d bei d er a llzu stark en B eto n u n g d e r einzelnen F äch er, m öge uns zu
n ä c h st die F ra g e b esc h ä ftig e n , in w iew eit die W issen sch aften ü b e rh a u p t in das G eb iet d er höheren S chulen einzudringen haben. E s is t schon von m ir hervorgehoben w o rd e n , dass je d e n fa lls von den höh eren S chulen alles fern b leiben m uss, w as noch im W e rd en ist, w as noch n ic h t als sich erer fe ste r B esitz d er W issen sc h a ft se lb st angesehen w erden darf. A ber se lb st das, w as nun w issen sch aftlich u n an fech t
b a r ist, g e h ö rt doch bei w eitem n ic h t alles a u f die höhere Schule. W en n w ir die verschiedenen F ä c h e r d ara u fh in ansehen, w ird uns diese F o rd e ru n g k la re r w erden. So k ö n n en z u n äch st eine ganze R eihe von F a k u ltä te n g e n a n n t w erden, in denen zum te il die in die A ugen sp rin g en d en oder folgenschw eren F o rts c h ritte n ic h t seh r g rosse gew esen sind, teils die w irk lich en F o r t
s c h ritte fü r die Schule fa st ohne B edeutung g eb lieb en sind. Von den S chulfächern, die — m an k ö n n te fa s t sagen — u n b e rü h rt geblieben sind von den F o rts c h ritte n in den betreffenden W issen sch a ften , d ü rfte das ganze G ebiet d er R eligionslehre, d e r klassisch en S prachen, und in v ie r H au p tsach e auch d e r G eschichte zu erw äh
nen sein. In d e r T h a t dürfen w ed er in d er R eligionslehre, noch in den k lassischen S p rach en od er in d e r G eschichte die g rossen S tröm ungen, die sich in den eig en tlich en w issen sch aftlich en K reisen entgegenfliessen, irg en d w ie in die höheren S chulen h in e in g e tra g e n w erden. D as, w as zu leh ren ist, s te h t h ie r f e s t : und w enn sich etw as g eg en ü b er frü h ere n Z u stän d en g e ä n d e rt h a t, so is t es die M ethode d e r U eb erm ittlu n g , n ic h t o d er in verschw indendem Blasse d e r In h a lt. U nd is t es dieser, so is t d am it fa st d u rch w e g n ich ts fü r die höheren Schulen Blissliches verbunden.
G anz anders v e rh ä lt es sich m it den m eisten anderen F äch ern . Ob freilich a u f dem G eb iete d e r neueren S p rach en die E rg eb n isse w issen sc h a ftlic h e r F o rsch u n g en eine A en d eru n g b e w irk t h aben in deren B e trie b e a u f den S chulen, d ü rfte b illig zu bezw eifeln sein, n a tü rlic h abgesehen von d e r P h o n e tik : auch h ie r h a n d e lt es sich bei den A en d eru n g en gegen frü h e r w esen tlich um m ethodische U m w älzungen. A b er das B ild ä n d e rt sich, w enn w ir G eographie und N a tu r
w issenschaften in den K reis u n serer B e tra c h tu n g e n ziehen. Die w issen sch aftlich e B eh an d lu n g d er G eographie h a t eine U m w älzung er
fa h re n , w ie sie g rö sser kaum g e d a c h t w erden kann. H ie r k o n n te die Schule n ich t u n b eein flusst bleiben von dem F o rtg a n g od er vielm ehr d e r U m w älzung d e r geo g rap h isch en W issen sch aft.
A b e r dass diese U m w älzung n u n au ch d ire k t
1 9 0 0 . N o . 4 . W i s s e n s c h a f t u n d S c h u l e . S . 6 3 .
a u f d ie S c h u le ü b e r t r a g e n w u r d e , d a s s m a n d ie w is s e n s c h a f t l ic h e B e h a n d l u n g u n d M e t h o d e e in f a c h h in ü b e r n a h m , d a s w a r e n t s c h ie d e n ein F e h l e r : m a n ü b e r s a h d a b e i d ie V e r s c h ie d e n h e it in d e m g e i s t i g e n A u f f a s s u n g s v e r m ö g e n ; w a s f ü r E r w a c h s e n e t a u g t , i s t n ic h t o h n e w e i t e r e s a u c h f ü r d ie J u g e n d b r a u c h b a r . H i e r w ä r e w e n i g e r W i s s e n s c h a f t li c h k e i t u n d g r ö s s e r e A n p a s s u n g a n d ie F o r d e r u n g e n d e r S c h u le , g r ö s s e r e R ü c k s ic h t n a h m e a u f d ie V e r h ä lt n i s s e a n i h r m e h r g e w e s e n . D ie S c h ü l e r d e r h ö h e r e n S c h u le n s in d
— w e n n s i e e s s e l b s t a u c h n i c h t z u g e b e n w o lle n u n d w e r d e n — d o c h b is w e i t h in e in in d ie o b e r e n K l a s s e n K i n d e r : e in e u n a u s b le i b lic h e F o l g e d e r g a n z e n S c h u l v e r h ä l t n is s e . U n d K i n d e r m ü s s e n a n d e r s u n t e r r i c h t e t w e r d e n , ih n e n m u s s d a s W is s e n a n d e r s g e b o t e n w e r d e n , a ls E r w a c h s e n e n ; a l s d e n e n , d ie s e lb s t v e r a n t w o r t lic h u n d f r e i w i l l i g s ic h d e m S t u d iu m e in e r S a c h e w id m e n .
S o s e h r ic h a u f d e r e in e n S e i t e d a f ü r ein - t r e t e , d a s s w ir a u f d e r h ö h e r e n S c h u le m e h r G e d a n k e n , w e n ig e r E i n z e l k e n n t n i s s e ; m e h r v e r s t ä n d n is v o l l e s W is s e n , a ls g e d ä c h t n i s m ä s s i g e s A n e ig n e n v o n E i n z e l d a t e n ; m e h r in n e r e s Z u s a m m e n f a s s e n , a ls lo s e a n e in a n d e r g e k e t t e t e D in g e b ie t e n m ü s s e n ; s o s e h r m u s s ic h a u f d e r a n d e r e n S e i t e h e r v o r h e b e n , d a s s d ie R ü c k s i c h t a u f d ie g e i s t i g e u n d m o r a lis c h e R e i f e r e s p . U n r e if e d e r S c h ü le r u n s z w i n g t , m e th o d is c h s e h r o f t v o n d e m G a n g e d e r W i s s e n s c h a f t ä b - z u w e ic h e n . G e r a d e d e r g e o g r a p h i s c h e U n t e r r i c h t b i e t e t u n s h ie r f ü r e in b e m e r k e n s w e r t e s B e i s p i e l , e b e n w e il d a s K i n d f ü r d ie f r e ie r e w i s s e n s c h a f t l ic h e H a n d h a b u n g u n d B e t r a c h t u n g n o c h n ic h t r e i f i s t . D ie s i s t ein P u n k t , d e n m a n b e i d e r B e u r t e i l u n g d e s V e r h ä lt n i s s e s v o n W i s s e n s c h a f t u n d S c h u le u n t e r k e in e n U m s t ä n d e n ü b e r s e h e n d a r f . D a s K i n d v e r l a n g t D r e s s u r , e s i s t n o c h g a r n i c h t im s t a n d e , in d e r W e i s e zu a r b e it e n u n d g e i s t i g z u v e r d a u e n , w ie e s d ie w is s e n s c h a f t l ic h e B e h a n d l u n g ih r e m W e s e n n a c h e r f o r d e r t .
U n d h ie r m ö c h t e ic h d ie G e le g e n h e i t b e n u t z e n , u m e in e m G e d a n k e n A u s d r u c k z u g e b e n , d e r a u c h f ü r d i e s e B e t r a c h t u n g e n a u f a lle n F ä c h e r n v o n d e r g r ö s s t e n B e d e u t u n g i s t .
E in e F o r d e r u n g , d ie v o n E in z e ln e n a u f g e s t e l l t , v o n V ie le n , z u m t e il b e g e i s t e r t , n a c h g e b e t e t w o r d e n i s t , i s t d ie , d a s s d e r U n t e r r i c h t m e h r in d iv id u e ll s e in m ü s s e , d ie I n d i v i d u a l i t ä t d e r e in z e ln e n K i n d e r m e h r b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n m ü s s e . M e in e r f e s t e n U e b e r z e u g u n g n a c h k a n n e in e d e r a r t i g e F o r d e r u n g n u r a u f g e s t e l l t w e r d e n u n t e r v ö l l i g e r V e r k e n n u n g d e r v e r s c h ie d e n e n F a k t o r e n , d ie b e im S c h u l b e t r i e b e m itw ir k e n . A l l e r d i n g s n a c h e in e r S e i t e h in i s t d ie s e F o r d e r u n g s e h r b e r e c h t i g t : u n s e r g e s a m t e r U n t e r r i c h t m u s s s ic h d e r k in d lic h e n A u ft’a s s u n g s f ä h i g - k e i t , d e r ju g e n d lic h e n I n d i v i d u a l i t ä t a l s s o lc h e r
— im G e g e n s a t z z u d e r d e s g e r e if t e n I n d iv i d u u m s — m e h r a ls b i s h e r a n p a s s e n . U n s e r g a n z e r U n t e r r ic h t m u s s k o n k r e t e r w e r d e n , w ir s in d im a llg e m e in e n v ie l z u a b s t r a k t , e in e B e h a n d l u n g s w e is e , d ie d e m ju g e n d li c h e n G e i s t e v ie l z u fr e m d i s t , a ls d a s s w ir w ir k lic h a u f in n e r lic h e u n d d a u e r n d e E r f o l g e d a b e i r e c h n e n k ö n n te n .
U n s e r e S c h ü l e r s in d n o c h n ic h t r e if , s i e s in d n o c h K i n d e r : d e r k in d lic h e I n d i v i d u a lis m u s a b e r i s t d u r c h a u s a u f d a s K o n k r e t e g e r i c h t e t . D a b e i m u s s w e i t e r b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n , d a s s u n s e r U n t e r r i c h t in v ie l h ö h e r e m M a s s e a l s b is h e r S a c h u n t e r r i c h t s e in m u s s : w a s im a llg e m e in e n a l s b e k a n n t v o r a u s g e s e t z t w ir d , in d e r T h a t a b e r u n b e k a n n t , g a n z f r e m d i s t , i s t u n g la u b lic h . A b e r e in s o lc h e r S a c h u n t e r r i c h t i s t n u r b e i in t e n s iv e m B e t r i e b e m ö g l i c h : d ie S c h u le v o n h e u te h a t k a u m Z e i t d a z u .
I n s o f e r n a l s o m u s s d e r U n t e r r i c h t in d i v id u e lle r w e r d e n ; a b e r j a n ic h t d a r f d i e s e r A n s p r u c h d a h in e r w e i t e r t w e r d e n , d a s s d ie I n d i v i d u a l i t ä t e in e s j e d e n e in z e ln e n K i n d e s b e r ü c k s i c h t i g t w e r d e n m ü s s t e . I c h k a n n m ir n ic h t h e lf e n , ic h h a lt e d i e s e F o r d e r u n g f ü r e in e d e r v ie le n U n w a h r h a f t i g k e i t e n , d ie im h ö h e r e n S c h u lw e s e n s i c h b r e i t m a c h e n . I c h b in f a s t g e r a d e d e r e n t g e g e n g e s e t z t e n M e in u n g , d a s s d ie I n d i v i d u a l i t ä t d e r K i n d e r h e u t e v ie l z u s e h r in d e n V o r d e r g r u n d g e s t e l l t w ir d , w ie in d e r S c h u le , s o u n d n o c h m e h r in d e r F a m i l i e : s e h r z u m S c h a d e n d e r K in d e r .
Im L e h r e r u n d S c h ü l e r s t e h e n s i c h z w e i I n d i v id u e n g e g e n ü b e r ; g i l t d e n n d a s I n d iv id u u m L e h r e r g a r n ic h t s m e h r ? U n d w ie la s s e n s i c h d e r a r t i g e F o r d e r u n g e n m it d e n S t r ö m u n g e n d e r m o d e r n e n P h i lo s o p h i e in E i n k l a n g b r i n g e n ? I n d e r T h a t , ic h s e h e e in e v ie l g r ö s s e r e B e r e c h t i g u n g d a fü r , d a s s d e r L e h r e r e in e I n d i v i d u a l i t ä t i s t , e in e k r a f t v o l l e P e r s ö n l ic h k e i t , d e r s e in G e i s t e s s i e g e l d e m w e ic h e n W a c h s d e s zu b ild e n d e n K i n d e s a u f d r ü c k e n m u s s . W o , s . v . A ., h a b e n w ir E r f o l g e im S e h u l l e b e n ? W e lc h e L e h r e r w e r d e n a u c h w e it e r h in g e p r i e s e n ? W e lc h e r W i r k s a m k e i t le u c h t e t u n s v o r a n ? E t w a d e r e r , d ie a u f d ie I n d i v i d u a l i t ä t d e r e in z e ln e n K i n d e r R ü c k s i c h t n a h m e n ? O d e r d e r e r , d ie a l s k r a f t v o l l e I n d i v id u e n i h r e n G e i s t d e r J u g e n d e in h a u c h t e n , ih r e P e r s ö n l ic h k e i t in d e n M i t t e l p u n k t d e s U n t e r r i c h t e s s t e l l t e n ? I c h d e n k e , S i e A lle w e r d e n m it m ir in d e r B e a n t w o r t u n g d ie s e r F r a g e e i n ig s e in . W e r m a c h t S c h u l e ? A u c h d ie s e F r a g e g i e b t z u d e n k e n , o b w o h l d a s W o r t S c h u le h ie r e t w a s a n d e r e s b e d e u t e t . U n d m a n s t e l l e d o c h a u c h e in m a l d i e s e r F o r d e r u n g d ie I n d i v i d u a l i t ä t d e s h e r a n w a c h s e n d e n , e r s t z u b ild e n d e n K i n d e s z u b e r ü c k s i c h t i g e n d ie P r a x i s , d a s t ä g l i c h e L e b e n g e g e n ü b e r , w ie d ie I n d i v i d u a l i t ä t d e s g e r e if t e n M a n n e s — n ic h t n u r in B e a m t e n k r e is e n , o d e r d a v ie lle i c h t — t r o t z P r o b e k a n d i d a t — n o c h a m w e n ig s t e n — a n d ie W a n d
S. 64. Un t e r r i c h t s b l ä t t k r. Jahrg. VI. No. 4.
g e d r ü c k t w ir d . J e d e r V o r g e s e t z t e , j e d e r G e s c h ä f t s m a n n i s t m e h r o d e r w e n i g e r e in F e i n d d e r I n d i v i d u a l i t ä t s e in e r U n t e r g e b e n e n , s e in e r A n g e s t e llt e n . U n d d a s t e l l t d ie m o d e r n e P a e - d a g o g i k d ie u n w a h r h a f t ig e F o r d e r u n g a u f, m a n s o l l e a u f d e r S c h u le d ie I n d i v i d u a l i t ä t e in e s j e d e n e in z e ln e n K i n d e s p f le g e n . G a n z a b g e s e h e n v o n d e r U n m ö g li c h k e i t d e r A u s f ü h r u n g b e i u n s e r e n ü b e r f ü llt e n K l a s s e n w ü r d e ic h in d e r T h a t a u s d e n a n g e g e b e n e n G r ü n d e n e s a u f d a s l e b h a f t e s t e b e d a u e r n , e s f ü r e in e n g r o s s e n p a e d a - g o g i s c h e n F e h l e r h a lt e n , w e n n d i e s e s P r i n z i p z u r H e r r s c h a f t g e l a n g t e .
A b e r w ie k e in e . R e g e l o h n e A u sn a h m e , s o m ö c h te , ic h a u c h f ü r E i n e A u s n a h m e , f ü r d ie s e a b e r u m s o e n t s c h ie d e n e r e i n t r e t e n : a u f e in e m G e b ie t e i s t d ie F o r d e r u n g b e r e c h t i g e — u n d g e r a d e d a w ir d s ie in d e r P r a x i s a m a l l e r w e n i g s t e n b e a c h t e t : d a s i s t d e r d e u t s c h e A u f s a t z .
D o c h la s s e n S i e m ic h v o n d ie s e m E n t r ü s t u n g s f e ld z u g g e g e n e in e d e r v ie le n p a e d a g o g i s c h e n U n w a h r h a f t i g k e i t e n z u r ü c k k e h r e n z u d e r B e t r a c h t u n g d e r e in z e ln e n F ä c h e r .
D ie f o r t s c h r e i t e n d e W i s s e n s c h a f t g i n g ü b e r d a s L i n n é s e h e S y s t e m h in w e g , s i e d e c k t e s e in e K ü n s t l i c h k e i t a u f, s ie s e t z t e a n s e in e S t e l l e d a s n a t ü r li c h e S y s t e m . A b e r m u s s t e d a s n u n a u c h g le i c h in d ie S c h u l e e i n g e f ü h r t w e r d e n ? W a r e s e in r i c h t i g e r S c h r i t t , a u c h h ie r d a s a l t e b e w ä h r t e z u v e r w e r f e n , d a s n e u e a n s e i n e r s t a t t e i n z u s e t z e n ? I c h w e i s s , d a s s ic h im E i n k l a n g b in m it v e r s c h ie d e n e n h e r v o r r a g e n d e n b o t a n i s c h e n G e le h r t e n , w e n n ic h d ie B e h a u p t u n g a u f s t e l l e , e s w a r n i c h t r i c h t i g . F ü r d ie S c h u le e i g n e t s ic h d a s n a t ü r li c h e S y s t e m e n t s c h ie d e n w e n ig e r , a l s d a s L i n n é s c h e . E s w ä r e w o h l z u w ü n s c h e n , d a s s d a s n a t ü r li c h e S y s t e m , w is s e n s c h a f t lic h d a s e i n z ig b e r e c h t i g t e , a b e r f ü r K i n d e r v ie l z u s c h w ie r i g , w ie d e r a u s d e n L e h r p lä n e n d e r h ö h e r e n S c h u le n , w e n i g s t e n s d e r u n t e r e n K l a s s e n , e n t f e r n t w ü r d e ; d a s s d a s le i c h t v e r s t ä n d li c h e u n d f ü r d ie Z w e c k e d e r a llg e m e in e n B i l d u n g v ö l l i g a u s r e ic h e n d e L i n n é s c l i e S y s t e m a l s a l l e i n i g e s w ie d e r e i n g e f ü h r t w ü r d e . F r e il i c h d ie w is s e n s c h a f t lic h e n F o r t s c h r i t t e , d ie im ü b r ig e n d ie B o t a n i k e r f a h r e n , s i e d ü r fe n d e r S c h u le n ic h t f r e m d b l e i b e n : a b e r e s m u s s d a r a n f e s t g e h a l t e n w e r d e n , d a s s n u r d a s v e r m it t e l t w e r d e n d a r f , w a s u n u m s t ö s s lic h a ls W a h r h e i t e r k a n n t i s t : u n d s e l b s t d a s n u r m it A u s w a h l. U n d w e n n a u c h h ie r m e h r G e d a n k e n , I d e e n , G e m e in s a m e s a u s d e r k o n k r e t e n B e t r a c h t u n g g e w o n n e n w ü r d e ; w e n n d ie E in z e lk e n n t n i s s e w e n i g e r g e s c h ä t z t ; d a s E r w e c k e n d e s I n t e r e s s e s f ü r d ie l e b e n d i g e N a t u r , w e n n d a s A n s c h a u e n u n d D e n k e n d ie l e it e n d e n M o tiv e f ü r d e n U n t e r r i c h t w ü r d e n , a u c h e r w ü r d e s e in e r w a h r e n A u f g a b e b e s s e r g e n ü g e n , a l s im a llg e m e in e n j e t z t . A e h n lic h s t e h t e s m it Z o o lo g i e u n d M in e r a lo g ie .
E in g e h e n d e r m u s s d a s V e r h ä lt n i s z w is c h e n
W i s s e n s c h a f t u n d S c h u le a u f d e m G e b i e t e d e r P h y s i k b e t r a c h t e t w e r d e n . I c h g l a u b e , e s i s t n ic h t ü b e r t r ie b e n , w e n n ic h b e h a u p t e , d a s s h e u te a u f d e n h ö h e r e n S c h u le n m e h r P h y s i k g e ti-ie b e n w ir d , a l s v o r 2 0 J a h r e n a u f d e n U n i v e r s it ä t e n ; d . h . d a s s d ie P h y s i k w i s s e n s c h a f t l i c h e r b e h a n d e lt w ir d , a l s e s v o r n ic h t a l l z u l a n g e r Z e i t a u f d e n U n iv e r s it ä t e n d e r F a l l w a r .
A b e r w ie g r o s s i s t g e r a d e a u f d ie s e m G e b i e t e d ie G e f a h r d e s Z u v ie l, d e s ü b e r d a s Z ie l H i n a u s g e h e n s . B l a s s g e b e n d m u s s a u c h h ie r z w e ie r le i s e in , e r s t e n s d e r G r u n d s a t z , d a s s w ir n i c h t d ie A u f g a b e h a b e n , P h y s i k e r z u b ild e n , f ü r d a s p h y s i k a l i s c h e S t u d i u m im b e s o n d e r e n v o r z u b e r e i t e n : u n d z w e it e n s d ie E r w ä g u n g , d a s s w ir n i c h t s b ie t e n d ü r fe n , w a s n i c h t a l s v ö lli g s i c h e r e r B e s i t z d e r w i s s e n s c h a f t l ic h e n E r k e n n t n is s ic h h e r a u s k r y s t a l l i s i e r t h a t : j a m a n k ö n n t e a l s d r i t t e s v i e l l e i c h t n o c h h in z u fü g e n , d a s s w ir n i c h t s le h r e n d ü r fe n , d e s s e n m e t h o d i s c h e B e h a n d l u n g n ic h t e in e g e w i s s e V o llk o m m e n h e it e r l a n g t h a t .
U m n u r E in B e i s p i e l z u e r w ä h n e n , d ü r f t e e s in d e r T h a t u n z w e c k m ä s s i g e r s c h e in e n , a u f d e n h ö h e r e n S c h u le n d ie B la x w e lls c h e T h e o r ie s c h o n d u r c h w e g a l s l e i t e n d e s P r i n z i p e in z u f ü h r e n . D e r s e lb e H o c h s c h u l p r o f e s s o r , d e s s e n M e in u n g ic h v o r h in a n f ü h r t e , s p r a c h s i c h e b e n f a l l s d u r c h a u s d a g e g e n a u s , d a h e u t z u t a g e n o c h k e i n e s w e g s e in e n t s c h e id e n d e s U r t e i l ü b e r d i e s e F r a g e a b g e g e b e n s e i ; u n d e r s t v o r w e n ig e n T a g e n l a s ic h in d e r P o s k e s c h e n Z e i t s c h r i f t d e n A r t i k e l e in e s a n d e r e n P r o f e s s o r s , d e r d ie s e A n s i c h t g l e i c h f a ll s a u s s p r i c h t . D ie m e t h o d is c h e B e h a n d lu n g a u f d e r S c h u le d a r f s e l b s t v e r s t ä n d l i c h n ic h t im G e g e n s ä t z e s t e h e n z u d e n w i s s e n s c h a f t lic h e n E r g e b n i s s e n u n d T h a t s a c h e n . O b d e r U n t e r r i c h t a b e r h ie r s i c h a u f s c h w e b e n d e w i s s e n s c h a f t l i c h e A n s ic h t e n e i n la s s e n d a r f , i s t d o c h s e h r d ie F r a g e . A u c h h ie r m u s s ic h m ic h g e g e n M i s s v e r s t ä n d n i s s e v e r w a h r e n : I d e e n , G e d a n k e n , H y p o t h e s e n , d ie a u s d e m a llg e m e in b ild e n d e n U n t e r r i c h t h e r a u s w a c h s e n , a u s ih m h e r a u s v e r s t ä n d l i c h , s i n d , s i e m ü s s e n m i t g e t e i l t w e r d e n , s o w e i t s ie e b e n d e m V e r s t ä n d n is d e r S c h ü l e r n a h e z u b r i n g e n s i n d ; a b e r d e n U n t e r r i c h t d a r a u f a u f z u b a u e n , d a s e r s c h e i n t d e n n in d e r T h a t d o c h s e h r b e d e n k lic h . K e i n e s f a l l s d a r f d e r p h y s i k a li s c h e U n t e r r i c h t a n d e n h ö h e r e n S c h u le n , s e l b s t n ic h t a n d e r O b e r r e a ls c h u le in K o n k u r r e n z t r e t e n m i t d e m E x p e r i m e n t a l k o l l e g d e s P h y s i k e r s a n d e r U n iv e r s i t ä t . D a s m ü s s t e g a n z e n t s c h ie d e n a l s e in u n b e r e c h t i g t e r U e b e r g r i f f z u v e r u r t e i le n s e in .
U n d g a n z ä h n lic h l i e g t e s a u f d e m G e b i e t e d e r C h e m ie . N e b e n b e i d a r f a u c h d ie G e f a h r n ic h t v e r k a n n t w e r d e n , d a s s w i r S c h ü l e r z u r H o c h s c h u le e n t l a s s e n w ü r d e n , d ie d a n n n i c h t s N e u e s m e h r g e b o t e n b e k o m m e n u n d i n f o l g e d e s s e n z u r S e l b s t ü b e r h e b u n g f ö r m lic h e r z o g e n
1900. No. 4. Wi s s e n s c h a f t u n d Sc h u l e. S. 65.
w e r d e n : u n d in V e r b in d u n g d a m it z u U n fle is s u n d G l e i c h g ü l t i g k e i t .
E s i s t a b e r f e r n e r im m e r w ie d e r d a r a u f liin - z u w e is e n , d a s s d ie h ö h e r e n S c h u le n k e in e F a c h s c h u le n a u f i r g e n d e in e m G e b i e t e o d e r n a c h i r g e n d e in e r S e i t e h in s e in d ü r fe n , s o lle n s ie a n d e r s a ls a l l g e m e i n e B i l d u n g s s t ä t t e n ih r e r h o h e n A u f g a b e g e r e c h t w e r d e n . D ie G e f a h r a b e r , d a s s a u s d e n a llg e m e in e n V o r b e r e i t u n g s a n s t a l t e n F a c h s c h u l e n w e r d e n , w ä c h s t m it d e r B e t o n u n g d e r e in z e ln e n F ä c h e r a ls s o lc h e r . W i s s e n s c h a f t li c h , r e in w is s e n s c h a f t l ic h m u s s d e r U n t e r r i c h t s e in , d a n e b e n a b e r m u s s d ie F o r d e r u n g a u f r e c h t e r h a lt e n w e r d e n , d a s s d i e s e r U n t e r r i c h t r e in e le m e n t a r se in m u s s . F r e il i c h i s t e s n i c h t le ic h t , b e id e — w ie e s a u f d e n e r s t e n A n b li c k d e n A n s c h e in h a t — d i r e k t e n t g e g e n g e s e t z t e F o r d e r u n g e n m it e in a n d e r in E i n k l a n g z u b r i n g e n : g e r a d e d ie F o r d e r u n g , r e in w is s e n s c h a f t l ic h I d e e n u n d G e d a n k e n z u v e r m it t e ln , u n d a n d e r e r s e i t s d ie , e le m e n t a r zu u n t e r r ic h t e n , s c h e in e n g a n z u n v e r e i n b a r ; a b e r d ie F r a g e w ir d s i c h u m s o le i c h t e r lö s e n l a s s e n , j e w i s s e n s c h a f t l ic h g e b i l d e t e r d ie F a c h l e h r e r s in d u n d j e m e h r s ie s ic h d a b e i in d e n e in h e itlic h e n G e d a n k e n d e s a llg e m e in e n S c h u lo r g a n is m u s h in e i n a r b e it e n . D ie s o g e n a n n t e n S t r a s s b u r g e r E le - m e n t a r b ü c h e r g e b e n e in v o r z ü g lic h e s B e i s p i e l d i e s e r L ö s u n g . J e d e r L e h r e r , d e r n ic h t b e i s e in e m S p e z ia l u n t e r r i c h t d a s a llg e m e in e B i l d u n g s - z ie l d e r h ö h e r e n S c h u le n im A u g e h a t , w ir d v i e l l e i c h t a u f s e in e m e ig e n s t e n G e b i e t e G u t e s s c h a ff e n , a b e r d o c h n ic h t d ie A n s p r ü c h e e i'fü lle n , d ie d a s a llg e m e i n e I n t e r e s s e , d a s a llg e m e in e Z ie l a n ih n z u s t e lle n b e r e c h t i g t i s t . W i r d ü r fe n e b e n h e u t z u t a g e n ic h t v e r g e s s e n , d a s s g e r a d e a u f G r u n d d e r e n t w ic k e lt e n M e t h o d e d ie A n s p r ü c h e a n d ie h ö h e r e S c h u le n i c h t n u r g e w a c h s e n s in d , s o n d e r n d a s s e s a u c h e in m e h r a l s f r ü h e r b e r e c h t i g t e r A n s p r u c h i s t , d a s s in j e d e m e in z e ln e n F a c h e e in e m ö g l i c h s t g l e i c h - m a s s i g e F ö r d e r u n g d e r S c h ü l e r n ic h t n u r a n g e s t r e b t , s o n d e r n e r r e ic h t w e r d e . D ie f r ü h e r e n Z u s t ä n d e , d a s s e in ig e S c h ü l e r e in e r K l a s s e a ls s p r a c h l i c h b e g a b t n u r n a c h d i e s e r e in e n S e i t e h in in A n s p r u c h g e n o m m e n w u r d e n , a n d e r e w e n i g e w ir k li c h m a t h e m a t is c h g e b i l d e t w u r d e n : d i e s e Z u s t ä n d e s in d e b e n h e u t z u t a g e a ls ü b e r w u n d e n z u b e t r a c h t e n . T r o t z d e r F o r d e r u n g d e r I n d i v i d u a l i s i e r u n g w ir d d ie m o d e r n e P ä d a g o g i k d ie s e b e s o n d e r e A r t n ic h t in ih r P r o g r a m m a u fn e h m e n . F r e i l i c h i s t n u n n a c h m e h r a ls e in e r S e i t e h in — w ie d a s in U e b e r g a n g s z e i t e n j a im m e r d e r F a l l i s t — a r g ü b e r t r ie b e n w o r d e n ; d ie F r a g e d e r K o m p e n s a t i o n e n i s t a llz u s c h a b lo n e n h a f t , z u m t e il g e r a d e z u w id e r s in n i g g e r e g e l t w o r d e n . A b e r d a s m u s s d o c h a ls r i c h t i g a n e r k a n n t w e r d e n , d a s s d ie h e u t i g e n L e h r p lä n e g e g e n ü b e r d e n fr ü h e r e n , e b e n in d e m s i e d a s Z ie l d e r g l e i e h m ä s s i g e n D u r c h b i ld u n g a l l e r
S c h ü l e r a l s I d e a l h i n s t e l l t e n , g r o s s e F e h l e r f r ü h e r e r Z e it e n g l ü c k l i c h v e r m ie d e n h a b e n .
U n d d a s s d i e s e F o r d e r u n g d e r g le i e h m ä s s ig e n A u s b i l d u n g k e in e u n b e r e c h t i g t e m e h r i s t , d a s v e r d a n k e n w ir d e r w is s e n s c h a f t lic h e n E n t w i c k l u n g d e r P ä d a g o g i k . N a t ü r li c h d ü r fe n w ir n ic h t s o w e i t g e h e n , d a s s w ir n u n g l e i c l n n ä s s i g v o n a lle n S c h ü le r n a u c h g l e i e h m ä s s i g e F o r t s c h r i t t e a u f a lle n G e b ie t e n v e r la n g e n : h ie r d a r f d ie in d i v i d u e lle B e a n l a g u n g ih r R e c h t g e l t e n d m a c h e n , h ie r m ü s s e n w ir i h r R e c h n u n g t r a g e n .
I c h e r w ä h n t e e b e n d a s v i e l d e u t i g e W o r t I d e a l, u n d m ö c h t e d ie G e le g e n h e i t b e n u tz e n , u m e in e m le i d e r s e h r m is s v e r s t a n d e n e n G e b r a u c h d i e s e s B e g r i f f e s e n t g e g e n z u t r e t e n . S c h o n im A n f a n g m e in e r h e u t ig e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n k o n n t e ic h a n e in e a llg e m e in v e r b r e i t e t e A n s ic h t ü b e r d ie I d e a l e e r in n e r n . J e n e n g e m ä s s v e r s t e h e n w ir u n t e r I d e a l e t w a s U n e r r e i c h b a r e s , e t w a s , d a s u n s e b e n n u r a l s d a s h ö c h s t e Z ie l v o r s c h w e b t , d e m w ir m e h r o d e r w e n i g e r u n s n ä h e r n k ö n n e n , d a s a b e r in d e r T h a t u n e r r e ic h b a r i s t — d e n n s o n s t w ä r e e s e b e n k e in I d e a l m e h r, s o n d e r n e t w a s W i r k l i c h e s , e t w a s R e a l e s . Im m e r h in m ü s s e n d ie s e I d e a l e s o g e s t e l l t w e r d e n , d a s s f ü r e in e A n n ä h e r u n g a n s i e e in e r e a le M ö g lic h k e it v o r h a n d e n i s t : s i e m ü s s e n g e w i s s e r m a s s e n e in e n a u s r e ic h e n d e n P r o z e n t s a t z M ö g li c h k e it , s i e z u r e a lis i e r e n , in s ic h t r a g e n , d . h. n e b e n d e n w i r k lic h e n I d e a l e n , d e n id e e lle n I d e a le n m ü s s e n r e e lle a u f g e s t e l l t w e r d e n . B e i s p i e l e w ir k li c h e r I d e a l e g e b e n u n s d ie 1 0 G e b o t e , j a d a s C h r is t e n tu m a n s ic h , d a s s ic h t r o t z d e m in C h r i s t u s r e a l i s i e r t h a t , o d e r i r g e n d e in e p h i lo s o p h is c h e W e l t a n s c h a u u n g . A b e r a u f d e n G e b i e t e n p r a k t i s c h e r B e t h ä t i g u n g m u s s d ie M ö g li c h k e it d e r A n n ä h e r u n g a n u n s e r e I d e a l e e in e m in d e s t e n s s o g r o s s e s e in , w ie e s b e i d e m V e r s u c h e in d e n r e a le n W i s s e n s c h a f t e n a n d ie T h e o r ie m ö g lic h i s t . D ie F e h le r g r e n z e m u s s m ö g l ic h s t g e r i n g s e in : s i e m u s s e b e n d u r c h d ie p r a k t i s c h e n V e r s u c h e u n d d ie A n p a s s u n g a n d ie W e l t d e r W i r k l i c h k eit, a u f e in m ö g l ic h s t g e r i n g e s B l a s s h e r a b - g e s c l i r a u b t w e r d e n : k u r z — ic h m u s s d e n A u s d r u c k w ie d e r h o le n -— e s m u s s d e r G e s i c h t s p u n k t in s A u g e g e f a s s t w e r d e n , n u r s o lc h e I d e a l e a u f z u s t e lle n , d ie s i c h r e a lis ie r e n l a s s e n : e s i s t u n s e r e A u f g a b e , r e e lle I d e a l e z u b ild e n . D i e s e G e d a n k e n m ö g e n e b e n w e g e n d e s d ir e k t e n G e g e n s a t z e s z w is c h e n r e e ll u n d id e e ll a u f d e n e r s t e n B l i c k p a r a d o x e r s c h e in e n , a b e r w ir w e r d e n ü b e r d ie s e S c h w i e r i g k e i t h in w e g k o m m e n , w e n n w ir d a s e i g e n t lic h e I d e a l n i c h t in d e n t h a t s ä c h lic h v o r g e s t e c k t e n Z ie le n , s o n d e r n in d e n N e b e n w ir k u n g e n s u c h e n : n ic h t a l s I d e a l b e t r a c h t e n , e in F a c h z u le h r e n , s o n d e r n d u r c h d a s F a c h d e n M e n sc h e n z u b ild e n . G e r a d e in d ie s e m S in n e i s t d ie h ö h e r e S c h u le d ie i d e a l s t e von a lle n , i d e a l e r n a c h d i e s e r R ic h t u n g h in a l s d ie U n iv e r s it ä t . U n s e r e Z ie le a u f d e n e in z e ln e n
S. 66. Un t e r r i c h t s bSa t t e r. Jahrg. VI. No. 4.
G e b ie t e n u n d in d e r P f l e g e d e r G e s a m t h e i t m ü s s e n r e a l d . h. e r r e ic h b a r s e i n : d a s w a s w ir a l s I d e a l n i c h t d i r e k t b e i d e r U n t e r w e i s u n g , b e i d e r A u s b i l d u n g d e r U n t e r r i c h t s m e t h o d e n , b e i d e r A u s d e h n u n g d e s z u L e h r e n d e n in n e r h a lb d e r e in z e ln e n G e b i e t e ; ic h s a g e , w a s w ir a l s I d e a l z u v e r e h r e n h a b e n : d a s i s t d ie a l l g e m e in e B i l d u n g d e s M e n sc h e n , d a s i s t d ie in n e r e E i n w i r k u n g d e r g e i s t i g e n B i l d u n g a u f d ie B i l d u n g d e s H e r z e n s u n d d e r S e e le , a u f d e n M e n s c h e n a l s M e n s c h e n , n ic h t a l s e r w e r b e n d e s I n d i v id u u m in d e r p r a k t i s c h e n W e l t , s o n d e r n a ls R e p r ä s e n t a n t w ir k li c h e r , w a h r h a f t i g e r M e n s c h li c h k e i t . U n d d a z u b e d a r f e s m e h r , a ls in s e in z e ln e g e h e n d e r K e n n t n i s s e , e s b e d a r f e in e r w ir k li c h g e i s t i g e n D u r c h b i ld u n g , d e r E r w e c k u n g ' w is s e n s c h a f t lic h e n , d . h . id e a l e n S i n n e s , d e r F r e u d i g k e i t a m S c h a f f e n u n d A r b e i t e n , d e s S t o l z e s M i t a r b e i t e r z u s e in a n d e r F o r t b i l d u n g d e r M e n s c h h e it.
D a h e r m u s s a u f d e n h ö h e r e n S c h u le n d a s w e s e n t li c h e M o tiv , d ie e i g e n t li c h t r e i b e n d e K r a f t , d ie i d e a l e in n e r e T r i e b f e d e r , e b e n d i e s I d e a l d e r B i l d u n g d e s M e n s c h e n z u m M e n s c h e n s e i n : d ie V o r b e r e i t u n g z u m e r w e r b e n d e n , im K a m p f i u m s D a s e i n w o h lg e r ii s t e t e n I n d iv id u u m w ir d s i c h d a n e b e n d a n n v o n s e l b s t e r g e b e n : d a s ü b r i g e m u s s s c h o n d a s L e b e n s e l b s t b r in g e n .
U n d in d ie s e m S in n e w e r d e n S i e , m e in e v e r e h r t e n A n w e s e n d e n , e s v e r s t e h e n , w e n n ic h m ic h a l s e in e n e n t s c h ie d e n e n G e g n e r b e k e n n e d e r im m e r m e h r b e t o n t e n F o r d e r u n g n a c h d e n p r a k t is c h e n A n w e n d u n g e n , d ev B e t o n u n g d o s p r a k t is c h e n K ö n n e n s g e g e n ü b e r d e m W i s s e n a u f d e n h ö h e r e n S c h u le n : d a s s ic h e i n t r e t e in e r s t e r R e i h e f ü r d ie P f l e g e d e s W i s s e n s , f ü r — u m e in p h y s i k a l i s c h e s B i l d z u b r a u c h e n — f ü r d ie j p o t e n t i e l l e E n e r g i e , n ic h t f ü r d ie a k t u e l l e . U n d a b g e s e h e n d a v o n , d a s s e in t h a t s ä c h l i c l i e r G e g e n s a t z z w is c h e n d e m w i s s e n s c h a f t l ic h e n C h a r a k t e r d e r h ö h e r e n S c h u le n u n d d e r H e r v o r h e b u n g d e r p r a k t i s c h e n A u s b i l d u n g b e s t e h t , H e s s e s ic h a u c h n o c h g a r m a n c h e s a n d e r e g e g e n d ie s e R i c h t u n g in d e m L e b e n d e r h ö h e r e n S c h u le n s a g e n : v o r a lle n D in g e n — u n d d a s d a r f ic h z u m e in e r R e c h t f e r t i g u n g z u s a g e n n i c h t u n t e r l a s s e n — d a s s w ir m it a ll d i e s e n p r a k t i s c h e n A n w e n d u n g e n in d e n m e is t e n F ä l l e n g a r n i c h t p r a k t i s c h s i n d d . h. d e n r e a le n V e r h ä l t n i s s e n d e s L e b e n s d o c h f e r n s t e h e n .
A b e r w ie g e s a g t — d ie s b e is e i t e — s o i s t e s in d e r T h a t d u r c h a u s e in W i d e r s p r u c h m it d e n Z w e c k e n , m it d e m id e a le n Z ie l d e r h ö h e r e n S c h u le n , a u f d ie d i r e k t v e r w e r t b a r e n K e n n t n i s s e u n d ih r e p r a k t i s c h e V e r w e r t b a r k e i t u n s e r H a u p t a u g e n m e r k z u r ic h t e n .
W i r d ü r fe n , w ie ic h s c h o n h e r v o r g e h o b e n , u n t e r k e in e n U m s t ä n d e n v e r g e s s e n , d a s s w ir a llg e m e in e B i l d u n g s s t ä t t e n , k e in e F a c h s c h u l e n s i n d : d a s s u n s e r Z ie l u n d u n s e r Z w e c k d a s
I d e a l i s t , a r b e i t e n u n d d e n k e n u n d a n s c lia u e n z u le h r e n , F r e u d e a n d e r A r b e i t z u z e i t i g e n : d a s s w ir a b e r im H i n b l ic k a u f d i e s e s u n s e r h o h e s i d e a l e s Z ie l n i c h t u n f r u c h t b a r e n I d e a l e n n a c h ja g e n , v ie lm e h r u n s e r e A u f g a b e p r a k t i s c h
— a b e r in a n d e r e m S i n n e : in w e i s e r B e s c h r ä n k u n g u n d in t e n s i v e m B e t r i e b e — a n f a s s e n , in d ie s e m S in n e u n s e r e ä u s s e r e n Z ie le u n d u n s e r e M e t h o d e n s c h a f f e n u n d m o d e ln .
N u r w e n n w ir a u f d e r e in e n S e i t e d e m I d e a l d e r M e n s c h e n b ild u n g n a c h s t r e b e n , a u f d e r a n d e r e n a b e r n i c h t a u s d e n A u g e n v e r lie r e n , d ie ä u s s e r e n Z ie le p r a k t i s c h z u g e s t a l t e n , s o d a s s s ie s ic h t h a t s ä c h l i c h r e a l is i e r e n la s s e n , w e r d e n w ir u n s e r e r h o h e n A u f g a b e g e r e c h t w e r d e n .
I c h m u s s e s m ir v e r s a g e n , n o c h a u f e in z e ln e n G e b i e t e n , b e s o n d e r s a u c h a u f d e m G e b i e t e d e s m a t h e m a t is c h e n U n t e r r i c h t s m e in e G e d a n k e n n ä h e r z u e r l ä u t e r n o d e r a u f d ie M e t h o d e u n d I ih r e n W e c h s e l v o n S e x t a b i s P r i m a n ä h e r e in - j z u g e h e n : ic h h a b e I h r e Z e i t u n d I h r e A u f
m e r k s a m k e i t s c h o n ü b e r G e b ü h r in A n s p r u c h g e n o m m e n .
A b e r d a s e r la u b e n S i e m ir n o c h a u s z u - s p r e c h e n : W e n n ic h s o w o h l i n b e z u g a u f d ie A n z a h l d e r F ä c h e r , w ie in n e r h a lb d e r e in z e ln e n G e b i e t e d u r c h w e g d a s P r i n z i p d e r B e s c h r ä n k u n g I z u g r u n d e g e l e g t , w e n n ic h d u r c h a u s a n s t e ll e i w i s s e n s c h a f t l ic h e r E x t e n s i o n f ü r e in e n in te n -
| s iv e r e n B e t r i e b e i n t r e t e , s o n e h m e ic h d e s h a lb d o c h f ü r m ic h in A n s p r u c h , d e r W i s s e n s c h a f t m i n d e s t e n s k e i n e g e r i n g e r e H o c h a c h t u n g e n t g e g e n z u b r i n g e n : u n d d e r S c h u l e m in d e s t e n s k e in e g e r in g e r e W e r t s c h ä t z u n g — a ls d i e je n i g e n , d ie d ie w is s e n s c h a f t l ic h e n Z ie le a n d e n h ö h e r e n S c h u le n n ic h t h o c h g e n u g s t e c k e n z u k ö n n e n f ü r r i c h t i g h a lt e n .
D ie G e o m e t r ie d e r L a g e in d e r S c h u le . Vortrag in der Hauptversammlung zu Hamburg*)
von
R u d o l f B ö g e r (H am b u rg ).
M . H .! D as T h e m a, fü r d a s ich m ir Ih re A uf- I m erk sam k eit erb itte , ist n ich t neu. “W iederholt schon ' haben sicli Stim m en erhoben, die den M ethoden der ] neuern G eom etrie E in flu ss a u f den Sch ulun terrich t ein- I räum en wollten. .Ta, die E rk en n tn is, d ass die neuere I G eom etrie befruchtend a u f den Sch u lu n terrich t ein-
| w irken könnte, ist so alt w ie die W issen sch aft selbst.
Ja k o b S te in e r, d er die neuere G eo m etrie, sow eit ich sie im folgenden im A u ge h ab e, geschaffen hat, h ielt sic fü r g e e ig n e t, d er E lem en targeom etrie ein ver
leib t zu w erden, und p re ist in d er V o rred e zu seiner
„Sy stem atisch en E n tw ick lu n g d er A b h än g ig k eit geom e
trisch er G estalten von ein an der“ ihre Sch önheiten in einem dem m ath em atisch en Ohre ungew ohnten Ton m it den b egeisterten W o rten : „G egen w ärtige S c h rift h at es versucht, den O rganism us aufzndecken, durch welchen die versch iedenartigen E rscheinungen in der
*) S. ünt.-Bl. VI, 3; S. 50.
1900. No. 4. Die Ge o m e t r i e d e r La g e in d e r Sc h u l e. S. 67.
R au m w elt m itein an der verbunden sind. E s g ie b t eine I gerin ge Zahl von ganz einfachen Fundainentalbe- z ieh u n gen , worin sieh d er Sch em atism us ausspricht, | nach welchem sich die ü b rige M asse von Sätzen folge- ! rech t und ohne alle S ch w ierig k eit entw ickelt. Durch geh örig e A n eign un g d er w enigen G rundbeziehungen j m ach t m an sich zum H errn des ganzen G egenstandes ; j es tritt O rdnung in das Chaos ein, und m an sieht, wie ; alle T eile n aturgem äss in einander greifen, in schönster O rdnung sich in R eihen stellen und verw andte zu wohl
begrenzten G ruppen sich vereinigen. M an g ela n g t a u f diese W eise gleichsam in den B esitz d er Elem ente, von welchen die N atu r au sg eh t, um m it m öglich ster S p a rsa m k e it und a u f die einfachste W eise den F igu ren unzählig viele E igen sch aften verleihen zu können.“
M . H .! W er das W erk Stein ers n ach gedacht hat, w ird seine B eg eisteru n g teilen und von der U eber- zeugn n g durchdrungen s e in , dass die Steinersclien M ethoden fäh ig sind, dem Sch ulunterricht neues L ehen zuzuführen. T rotzdem sind seit den angeführten W orten 08 Ja h r e v e rg an g en , ohne d ass die neuere G eom etrie eine Sch ulw issensch aft gew orden ist. G egen über d ieser T h atsach e lohnt es sich, nach den Gründen zu fragen , die bish er die neue L e h re verhinderten, a u f dem B oden der Sch ule die F ü lle d er F rü ch te zu zeiti
gen, deren K eim e in ih r liegen. E s gen ü gt nicht, au f den W iderstand hinzuweisen, den die V ertreter des A lten dem V ord rin gen eines neuen G edankens ent
g egen zu stellen pflegen. D ieser äussere W iderstan d w ürde in sieben Jah rzeh n ten gebroch en sein. E s m uss auch ein innerer W iderstan d vorhanden gew esen sein, der die U m setzung der S p an n k raft in leb en dige K ra ft hinderte.
A ls d ieser innere W iderstand erscheint m ir die arith m etische B eg rü n d u n g unsrer W issen sch aft durch S tein er. D iese B eg rü n d u n g d er grundlegenden Sätze durch die L e h re vom D oppelverhältnis lässt sich in w enige Zeilen zusam m endrängen, und diese K ü rze ist so v erfü h rerisch , d ass h ei w eitem die M ehrzahl aller Leh rb ü ch er die neuere G eom etrie a u f arith m etischer G ru n dlage au fh au t. D ie arith m etische B eg rü n d u n g ist ab er nur nach d er Zeilenzahl gem essen ku rz; in W irk
lich k eit ist sie ein U m w eg und zw ar ein U m w eg von b eträch tlich er L ä n g e . D er G edankeninhalt d er neuern G eom etrie ist ein so se lb stän d ig e r, ein so w eit von dem d er A rith m etik und Planim etrie ab liegender, dass m an ihm Z w ang anthun m uss, um ihn in arithm etisch- planim etrische D arstellungsform en zu pressen. Diese D arstellungsform en m üssen doch erst w ieder zerschlagen j und durch rein geom etrische ersetzt werden, b evor der j In h alt in dem L ern en den leb en dig w erden und F rü ch te j tragen kann. Wenn diese U m giessu n g der alten F orm en j in den Leh rbü ch ern auch zw ischen den Z eilen ab gem ach t | w ird und daher nicht nach Seitenzahlen gem essen w erden I kann, so w ird sie doch fü r den L ernenden füh lb ar und m ach t den th atsäch lich zurückzulegenden W eg zu einem j langen.
D ie erste grosse A rb eit, die also nach Stein er ge- tlian w erden m usste, war, einen rein geom etrischen W eg zu linden. S tein er se lb st hat das B ed ü rfn is nach einem solchen W ege em pfunden, vielleich t auch einen solchen W eg gek an n t; w enigstens scheint m ir dies aus einer B e
m erk un g hervorzugehen, die zugleich den geom etrischen W eg für die Sch ule em pfiehlt: „Ich bem erke noch, dass die B etrach tu n g p ro jek tivisclier G eraden und Strahl- biiscliel sich so vereinfachen lässt, d ass sic ohne H ülfe trigon om etrisch er A u sd rü ck e durch gefüh rt werden kann,
w odurch sie geeign et w ird , der E lem en targeom etrie einverleibt zu werden und darin m anche zw eckm ässige V erbesserung zu bew irken, indem zu ihrem trocknen In h alt die belebenden P orism en, die T h eorie d er T ran s
versalen und besonders die vollstän dige L eh re von den K egelsch n itten h in zutritt, dergestalt, dass alle diese G egenstände sich ebenso leicht und einfach behandeln lassen, als nach der bisherigen ."Methode der K r e is “ .
D er G eom eter, d er den inneren W iderstan d über
w and, indem er 1847 die neuere G eom etrie durch Sch äftun g einer rein geom etrischen G rundlage zu einer selbständigen W issensch aft m ach te, die des M essens nicht b ed arf, w ar v. S tau d t. A b e r auch durch von S tau d t w urde die neuere G eom etrie noch nicht zur Schulw issenschaft, v. S ta u d t hatte in seinem W erk
„D ie G eom etrie der L a g e “ zw ar das grösste H indernis h in w e g g eräu m t, zugleich ab er ein neues au fgetürm t.
In dem Streb en nach K ü rze, das in A n o rdn un g und D arstellu n g aus je d e r Z eile seines Buch es bervorleuchtet, h at er den Z u g a n g zu seiner L e h re d e ra rtig verbaut, dass lan g e und an gestren gte A rb eit erforderlich gew esen ist und noch ist, um sie d er A llgem ein h eit zu gän glich zu m achen. Den H au p tteil d ieser A rb e it h at H e rr R e y e ge- than und in seinem 1866 zuerst ersch ienenenLeh rbuch eine m u stergiltige D arstellu n g der G eom etrie der L a g e g e geben. A b e r auch nach dem E rscheinen des R e y e - schon B u ch es b lieb noch ein H in dern is üb rig, das der G eom etrie d er L a g e den E in g a n g in die Sch u le ver
w ehrte: d ie F o rm des von S tau d t gegebenen, von H errn R e y e hcihehaltenen Bew eises des grundlegenden Satzes fü r die projek tiven G ebilde, v. S ta u d t definiert die p rojek tive V erw andtschaft durch die harm onischen E lem e n te : Zwei G ru n d geb ild e heissen p ro jek tiv , wenn sie so au feinander bezogen sind, d ass jed em harm oni
schen G ebilde in dem einen ein harm onisches G ebilde in dem ändern entspricht, und bew eist aus d ieser D e
finition heraus den F u n d am en talsatz: W enn zwei pro
jek tiv e G run dgeb ilde drei E lem ente entsprechend gem ein haben, so haben sie alle ihre E lem en te entsprechend gem ein. G egen den B ew eis des Staudtsch en F u n d a
m entalsatzes nun h at H e rr F e l i x K l e i n E inw en
dungen erhoben, und die A u to rität des H errn K l e i n h at, wie m ir scheint, dem V ordringen der Staudtschen D arstellungsw eise A bb ru ch gethan. H e rr R e y e h at in den neueren Auftagen seines L eh rbu ch es die von H errn K l e i n gefo rd erte E rg ä n zu n g des Staudtsch en B ew eises g e g e b e n ; oh andere ihm g e fo lg t sind, ist m ir nicht bekannt gew orden. Sich er ab er is t, dass der B ew eis in d ieser F o rm fü r die Sch u le ungeeignet ist.
G lücklicherw eise ist ab er ein geeign eter und einwand
freier B ew eis d a ; j a dieser B ew eis w ar bereits da, als die K 1 e i n sehen Einw endungen erhoben wurden. W ill m an diesen Einw endungen gerech t w erden, so b rauch t m an nicht den Staudtsch en Bew eis zu ändern, sondern n ur die D efinition. D iese A en deru n g h at H e rr T h o m a s 1873 in seiner „G eom etrie d er L a g e “ angegeben. E r definiert die p rojek tive V erw andtsch aft nicht durch harm onische Elem ente, sondern durch die Perspektive V e rw an d tsch aft: Ist. ein G ru n dgeb ildc einem zweiten p ersp ektiv, dies einem dritten usw ., so heissen das erste und letzte G eb ild e zu einander projek tiv. D iese T h o m a e sehe Definition ist nun nicht etw a ein E r zeugnis der N o t; sie ist vielm ehr die ursprünglich e, die n atü rlich e; ihre V orzüge sind so offenbar und un
b estreitb ar, dass m an unw illkürlich nach einem G runde fra g t, warum v. S ta u d t diese zunächst liegende Defini
tion verschm äht hat. D ie E rk lä ru n g liegt nach m einer
S. 68. Un t k r r i c h t s b l ä t t e r. Jahrg. VI. No. 4.
M einung in dem bereits erw ähnten Streb en v. S tau d ts nach K ü rze. H a t m an näm lich den F u n dam en talsatz au f grund der T h o m a o schon Definition bew iesen, so h at man sp ä ter an einer Stelle, wo sich die von H errn K l e i n gefo rd erte E rgän zu n g bereits von seih st ergehen hat, den Stau d tsch en B ew eis nachzuholen. F ü r die Sch ule ab er kann die W ahl zw ischen b eid en Definitionen g a r nicht zw eifelhaft sein, da d er Stau d tsch e B ew eis nur fü r G ebiete in betrach t kom m t, a u f deren B eh an d lun g die Sch ule doch verzichten m uss.
E s ist ab er nicht allein d er Bew eis des Fu n d am en talsatzes, d er einen E in fluss des Staudtsch en W erkes a u f die Sch ule geh indert hat. Sch w erer füllt nach m einer M einung ins G ew icht die Stau d tsch e D arstellun gs
weise des Im agin ären , v. S ta u d t h at in seinem B uehe
„ B e iträ g e zur G eom etrie der L a g e “ dem B e g riff im a
gin ä r einen geom etrischen In h a lt gegeben . S ta tt ab er diesen neuen In h a lt in einer neuen F o rm darzustellen, h at er, w iederum der K ü rze zu L ieh e , die alte A u s
drucksw eise bcibehalten, sodass sich In h alt und A u s
druck nicht m ehr decken und dem L e se r eine schier u n erträglich e A nspannung zu gem utet w ird. F ü r die E lem en targeom etrie aber ist d as W o rt im ag in ä r un
m ög lich ; o s m u s s , w e i l i h m k e i n e V o r s t e l l u n g e n t s p r i c h t , g e t i l g t w e r d e n .
BI. H .! D am it habe ich Ihnen die G ründe an ge
führt, die nach m einer Bleirm ng das V ord rin gen der G eom etrie der L a g e in den Sch ulun terrich t bis je tz t verzögert haben. Z ugleich liegt in dem G esagten ab er au ch die B eg rü n d u n g m einer U eberzeugung, dass nun
m eh r die BVege fü r eine V erw ertu n g der G eom etrie der L a g e in der Sch u le geeb n et sin d ; dass die A rb eit der W issen sch aft gethan ist und dass die noch zu leistende A rb eit den Schulm ännern zu fällt. D iese A rb eit, m it d er die Sch ule, wie ich zuversichtlich hoffe, b ald be
ginnt, ist nicht gerin g . Denn es sind noch viele E in z el
heiten der V ervollkom m nung b ed ü rftig und fäh ig. F ü r die Teilnah m e an dieser E in zelarh eit m öchte ich w erben.
D er von d e r "W issenschaft g elieferte S to ff ist so h err
lich, dass aus ihm trotz E u k lid ein K ö n ig sw eg zur B lath em atik g eb au t w erden könnte. F e r tig ist dieser W eg ab er noch n ich t; noch m ancherlei A enderungcn m üssen die neuen Blethodcn erfahren, b evor sie in ihrem ganzen U m fan ge dem Sch u lu n terrich t dien stbar gem acht sind.
E s w äre desw egen m eines E rach ten s auch heute noch verfrüht, die F r a g e zu r E rö rte ru n g stellen zu wollen : I s t die neuere G eom etrie in den Sch ulunterricht aufzunehm en V D iese F r a g e hat b ereits 1873 d er dritten schlesischen D irektorenkonferenz Vorgelegen und ist von d ieser verneint w orden, m einer M einung nach m it B eeilt. M an kann davon durchdrungen sein, dass die neuere G eom etrie als B ildu n gsm ittel fü r die oberen K lasse n unserer Schulen d er P lan im etrie w eit überlegen ist, und doch zugehen, d ass ihre BIcthoden noch nicht in allen E inzelh eiten sow eit g e k lärt sind, um sie als verbindlichen Leh rgegen stan d in den Sch ulun terrich t aufzunehm en. E tw as anders ab er ist es m it der F r a g e , oh nicht heute schon die neuere G eom etrie in d er Sch ule B erü ck sich tig u n g finden d arf. D am it h atte nach m einer Bleinung je n e D irektorenkonferenz Unrecht, dass sie die T h ese an n ah m : D ie B e rü ck sich tig u n g d er neueren G eom etrie ist nicht zu lässig, weil der darau s entsprin
gende Nutzen bis je tz t erfah ru n gsm ässig nicht kon sta
tiert ist. O ffenbar ist d ieser S a tz unglü cklich re d ig ie r t;
denn w ie soll d er N utzen erfah ru n g sm ässig konstatiert werden, wenn die G elegenheit, E rfah ru n gen zu gew innen,
genom m en w ir d ? N u r im E eu er des U n terrich ts können die Sch lacken vom edlen B lotall geson d ert w erden;
nicht am Sch reibtisch , nur a u f dem K ath ed er kann der b este L e h r g a n g gesch affen , d er K ö n ig sw e g g eb au t w erden. D eshalb m u ss die B ah n frei sein. D ie K ollegen , die N e igu n g und B e g eisteru n g dazu treib t, sollen die neuen G edanken a u f ihren päd ag o gisch en W ert er
proben dürfen, um gem einsam in v o rsich tig er A rb eit die Seh ulm ath em atik von den Fesseln der antiken G eo
m etrie zu befreien, die die "W issenschaft für ih r G eb iet län g st g esp ren g t hat.
T h atsäch lieh h at auch, w ie zahlreiche L eh rb ü ch er beweisen, je n e r B esch lu ss d er D irektorenkonferenz das j w eitere E in d rin gen von E lem enten d er neueren G eom etrie
! in den Sch ulun terrich t nicht u nterdrü ckt. Ü eherall j m erk t m an den E in flu ss der neueren Blethoden, iiber-
| all b egegn et m an ihren Spu ren . A b e r diese Spu ren j sind noch v erw isch t; n ur b eiläu fig oder in einem An- I h ange w agt m an sich m it ihnen hervor. N eues und A ltes w ird m it einander v erq u ick t; das A lte erscheint in u n gü nstiger B eleu ch tu n g und das Neue kom m t nicht zu seinem R ech t. E s ist ein Z ustand d er H alb h eit, der m öglich st b ald überw unden w erden m uss.
Ic h m eine daher, dass m an die neuen Blethoden einer p lan m ässigen P rü fu n g unterw erfen soll. N ich t gelegentlich soll m an einzelne auch m it den alten H ilfs
m itteln schnell zu bew eisende B ru ch stü ck e h erausgreifen und B au stein e form en, fü r die m an keine rech te V e r
w endung h a t ; sondern p lan m ässig soll m an ein zusam m en
h ängendes, wenn auch noch so bescheidenes G ebäude auffuhren, aus dem die Sch ön h eit der neuen Form en hervorleuchtet. A ls selbstän digen B a u m uss m an die neue "W issenschaft neben die alte stellen, d am it m an F eh ler und V o rzü ge beid er gegen einander abw ägen kann. S e lb stän d ig ab er kann m an die neue W issen
sch aft nur darstellen, indem m an v. S ta u d t fo lgt, d. h.
indem m an a u f die B en utzun g arith m etischer H ilfsm ittel verzichtet. U m diese A n sich t b ereits in der A n k ü n di
g u n g m eines V o rtra g es zum A u sd ru ck zu brin gen , h abe ich d as T h em a g e f a s s t : D i e G e o m e t r i e d e r L a g e i n d e r S c h u l e .
N u r in rein geom etrisch er D arstellun g treten die V orzüge d er neuen W issensch aft in ihrem ganzen U m fange k lar h ervor; n ur in rein geom etrisch er D arstellu n g verm ag sie ihre gan ze belebende K r a ft a u f den Sch u l
unterrich t zu äussern. D ie G ru n dlage d er G eom etrie der L ag e ist so einfach , d ie B ezieh un g aller ih rer F olgeru n gen zu w enigen grundlegenden Sätzen so klar und durchsichtig, ih r A u fb a u so ungekünstelt, ih r B e w eisverfahren so lückenlos und einheitlich, d ass ihre Blethode allen anderen D arstcllungsform en w eit ü ber
legen ist. A lle die gerühm ten V orzüge entspringen einem und dem selben G ru n d e: die G eom etrie d er L a g e sch reitet vom A llgem einen zum Besonderen .vor. Sio ist im G egensatz zum Sp rach geb rau ch , d er sie auch synthetische G eom etrie nennt, eine analytisch e W issen
sch aft und zw ar eine analytisch e "W issenschaft in viel höherem B lasse als die analytisch e G eom etrie, w ie sie in den Sch ulen geleh rt w erden kann. Ih rem G an ge w ürde in d er analytischen G eom etrie entsprechen, dass m an von der allgem einen G leichung zw eiten G rad es au sgin ge und aus ih r durch Sp ezialisieren die E ig e n schaften der P a ra b el, E llip se und H y perbel ableitet.
D ieses Schliessen vom allgem einen a u f den besonderen F a ll ist eine T h iitigk eit, die der P rim an er vielfach selb stän d ig auszuüben verm ag, hei d er er so g a r o ft die aufm uuternde F reu d e hat, eine T h atsach e auszusprechen,
