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Die Naturwissenschaften. Wochenschrift..., 11. Jg. 1923, 11. Mai, Heft 19.

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DIE NATURWISSENSCHAFTEN

E lfter Jahrgang. 11. Mai 1923. H e ft 19.

Über den Bienenstich.

Von Ferdinand F lu ry , W ürzburg.

Die Bienenkunde gehört zu den interessante­

sten Kapiteln der Biologie. Unübersehbar ist die Literatur über die Anatomie und Physiologie der Biene, über die Bienenzucht und die damit zu­

sammenhängenden Gebiete wissenschaftlicher F o r­

schung und praktischer Betätigung. Nur eine Seite der Bienenkunde wurde bisher vom wissen­

schaftlichen Standpunkt stiefm ütterlich behan­

delt, nämlich der nicht unbeträchtliche Komplex von Fragen, der die medizinische Bedeutung der Biene und ihrer Produkte umfaßt. So wäre eine systematische Untersuchung über den W ert des H onigs -als H eilm ittel eine interessante und loh­

nende Aufgabe. Auch das Wachs bietet noch eine Reihe von Problemen, die zum T eil auf medizi­

nischem Gebiet liegen. Besonders gilt dies aber vom Bienengift, das bisher nur von wenigen Wissenschaftlern zum Gegenstand eingehenderer Untersuchungen gemacht worden ist.

Im folgenden soll der Versuch gemacht werden, die zahlreichen naturwissenschaftlichen und medizinischen Probleme darzulegen, die sich an den Stich der Bienen knüpfen. Im Anschlüsse an eigene Untersuchungen über das Bienengift, seine chemische Natur, seine (Stellung unter den tierischen Giften und über seine W irku ng auf Menschen und Tiere wurden -mit Unterstützung hervorragender Fachleute auf dem Gebiete der Bienenkunde, besonders der Herren Enoch Zander (Erlangen), Ludwig Arm bruster (Berlin-Dahlem ), Manger (Ingolstadt), ausgedehnte Umfragen in deutschen und amerikanischen Imkerkreisen veranstaltet, deren reichhaltige Ergebnisse man­

cherlei Unsicherheiten beseitigt und unsere Kenntnisse wesentlich erweitert und gefestigt haben. Unser Wissen von den Bienen und ihrem Löben setzt sich zusammen aus einem bunten Ge­

misch von wissenschaftlicher auf Grund exakter Untersuchung gewonnener Erkenntnis, von phan­

tastischen Vorstellungen und mancherlei I r r ­ lehren, die jedoch durch eine zähe Anhängerschaft gestützt werden. Man muß deshalb bei der V e r ­ wertung von Auskünften aus Laienkreisen vor­

sichtig verfahren. Immerhin ergibt sich bei k ri­

tischer Prüfun g eine solche Fülle von anregenden Fingerzeigen, deren V erfolgu n g fast unerschöpf­

lichen (Stoff für wissenschaftliche Forschungen liefe rn könnte.

G reifen wir zunächst die Frage heraus: Was ist das B ien en g ift?

Bis vor nicht allzu langer Zeit herrschte all­

gemein die Anschauung, die wirksame Substanz

des durch saure Reaktion ausgezeichneten Bienen­

giftes sei die Ameisensäure. In zahlreichen natur­

wissenschaftlichen Werken finden w ir noch heute diese Angabe. In der T at lassen sich beim D estil­

lieren des Giftes auch geringe Mengen von flüch­

tigen Säuren nachweisen. Durch die bekannten Untersuchungen von, Langer ist aber längst nach- gewiesen, daß das G ift weder beim Erhitzen oder Eintrocknen, noch beim Neutralisieren seine ent­

zündungserregende W irku ng verliert. Selbst zwei­

stündiges Erhitzen zerstört die G iftw irkung nicht. D ie im Jahre 1896 angestellten U nter­

suchungen von Langer bestätigten die Beobach­

tungen, die bereits ein Jahrhundert vorher der Leibarzt des Großherzogs von Toskana, F e lix Fontana, der Verfasser der bekannten Abhand­

lung „Über das V ip ern g ift“ , gemacht hatte. D er­

selbe betont ausdrücklich bei einem Vergleich verschiedener G ifte tierischen Ursprungs, daß das Bienengift sowohl bei Entnahme aus dem Stachel als auch aus der Giftblase die gleiche W irkung zeige und denselben Schmerz verursache, sowie daß es noch seine Stärke und Schärfe behalte, nachdem es getrocknet und mehrere Tage aufbe­

wahrt sei. Er erwähnt in einem besonderen K a ­ pitel „V on den Bienen, Hummeln1 und Wespen“ , daß seines Wissens noch kein Naturforscher die Feuchtigkeit dieser T iere gehörig untersucht habe. „D ie Bienenfeuchtigkeit zerspringt, wenn sie trocken wird, ebenso wie das V ip ern gift. Wenn man ein Stück davon zwischen die Zähne nimmt und fest darauf beißt, so fühlt man sie wie fest zusammengeklebt, ebenso w ie es sich mit dem V ip ern g ift und allen trockenen gummigten Sub­

stanzen verhält.“ Auch das bittere und beißend schmeckende Giftsekret bei Hummeln, Wespen und anderen fliegenden und stechenden Insekten sei „gum m iartig“ . Fontana schließt wohl auf die Gegenwart eines sauren Stoffes, weil die genann­

ten (Sekrete zum Unterschied vom V ip ern g ift den Tournesol oder den Rübensaft rot färben. M it aller Schärfe vertritt er aber die Ansicht, daß die Säure im G ifte der Bienen und verwandter Tiere nicht fü r den Schmerz oder die Entzündung und Schwellung verantwortlich gemacht werden dürfe und wendet sich gegen die Meinung anderer N a ­ turforscher, daß diese „Feuchtigkeit die Teile geschwollen mache, w eil sie sauer ist“ . Auch in diesem Punkt müssen wir, wie bei vielen anderen seiner Versuche, die Schärfe der Beobachtungen und ihre kritische Verwertung bewundern. F o n ­ tana, der vor 150 Jahren liebte, kann uns heute noch als klassisches V orbild eines naturwissen­

schaftlichen Forschers gelten. Es ist geradezu erstaunlich zu lesen, wie er alle M ittel der dama­

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ligen Zeit in den Dienst seiner Untersuchungen zu stellen wußte.

Seitdem sind diese Versuche wiederholt nach­

geprüft worden, und wir wissen heute, daß die u mm i ähnliche Substanz Fontanas das im Bienen­

g ift enthaltene Eiweiß ist. Das Märchen von der Ameisensäure ilebt 'aber in den Kreisen der Imker und auch in den Köpfen vieler Naturwissenschaft­

ler fort, trotzdem m it aller Sicherheit feststeht, daß der Gehalt au1 Säure bei der W irkung des Bienengiftes keine oder doch, nur eine ganz unter­

geordnete Rolle spielt. In allerjüngster Zeit sind sogar Zw eifel aufgetaucht, ob die flüchtige Säure im B ienengift überhaupt Ameisensäure sei. Th.

Merl, der sich eingehend mit den Methoden zum Nachweis dieser Säure befaßt hat, berichtet, dal]

er im Körper der Bienen bei Verwendung der Vacuumdestillatian auch nicht in Spuren eine Säure isolieren konnte, welche die für Ameisen­

säure typischen Reaktionen zeigte. Dieser auf­

fallende Befund dürfte ein gewisses Aufsehen er­

regen, nachdem schon so viele Untersucher vor M erl Ameisensäure aufgefunden haben.

Bei der Destillation unter vermindertem Druck, die ein schonenderes" Verfahren als die bisher übliche Methode darstellt, wird vermieden, daß sich durch Zersetzungsvorgänge Fettsäuren neu bilden, die ursprünglich nicht vorhanden waren. Im übrigen wäre das Vorkommen von Ameisensäure, die in der N a t u r überaus häufig, als Oxydationsprodukt organischer Stoffe, bei zahlreichen fermentativen Prozessen, vor allem beim Abbau von Eiweiß, Fetten1 und Kohlehydra­

ten, entsteht, gar nichts Merkwürdiges. Sollte sich die neue Feststellung über die Abwesenheit von Ameisensäure als unanfechtbar erweisen, so würde sich die alte in Imkerkreisen viel um strit­

tene Frage nach der Bedeutung der Ameisensäure als Konservierungsmittel des Honigs von selbst erledigen. Bekanntlich glauben die meisten B ie­

nenzüchter, daß die Bienen diese Säure dem H on ig zur R eifu n g und Haltbarmachung zu­

setzen. Schließlich ist aber die Frage, welche Säure im B ien en gift vorhanden ist, vom toxiko­

logischen Standpunkt nur von untergeordneter Bedeutung. Beim Bienenstich spielt jedenfalls die G iftw irkung der Ameisensäure oder anderer g iftig e r Säuren kaum eine Rolle. Der früher herrschende Grundsatz: „B ien en gift ist Ameisen­

säure“ ist also falsch. Was für die Bienen gilt, gilt auch fü r Wespen, Hummeln, Hornissen und andere stechende Insekten, ebenso w ie fü r die Raupen, Seenesseln, Quallen und auch unsere Brennesseln. D ie Reizw irkung ist in keinem Falle durch Ameisensäure bedingt. Langer hat im Hofimeisterschen Institut in P ra g aus 25 000 Bienenstacheln eine eiweißfreie Substanz isoliert, die alle W irkungen des Bienengiftes zeigt. Er bezeichnet sie als eine Base und1 berichtet, daß dieselbe verschiedene Alkaloidreaktionen zeige.

Aus diesen M itteilungen ist nun durch eine falsche Deutung in weiten Kreisen die irrtüm-

liehe Meinung entstanden, das B ienengift sei ein Alkaloid. W ir finden diese Behauptung heute in der Literatu r w eit verbreitet. Neuere U nter­

suchungen, die an einem w eit größeren Material (mehr als 200 000 Bienen) angestellt wurden, haben nun ergeben, daß sich die von Langer iso­

lierte Substanz noch weiter zerlegen läßt. Sie stellt einen verwickelt gebauten Komplex ver­

schiedenartiger ‘Substanzen1 dar, aus dem sich Lecithin, Tryptophan und ein sticlcstoffreier g if ­ tiger K örper isolieren ließ, der als die eigentlich wirksame Substanz des Giftsekretes aufzufassen ist. Über seine chemische Natur lassen sich heute nur Vermutungen äußern. Er scheint zwischen den wirksamen Substanzen des Schlangengiftes und dem Cantharidin der spanischen Fliege zu stehen. D ie weitere wissenschaftliche E r fo r­

schung des Bienengiftes besitzt hohe wissenschaft­

liche Bedeutung. Durch Versuche mit der eiweiß­

freien wirksamen Substanz erschien die M öglich ­ keit gegeben zur Lösunig der fundamental w ich­

tigen Frage, ob die Im m unisierung des Organis­

mus auch durch Substanzen von nicht eiweißarti­

ger N a tu r möglich sei. Daß gegen das Bienengift eine gewisse Im munität erzeugt werden kann, ist ja aus tausendfältigen Erfahrungen der Imker bekannt. Auch Tierversuche liegen vor. Durch lanigdauernde, zum T e il gemeinsam mit Miroslaw M icu licic ausgeführten Untersuchungen ist es uns gelungen, eine Immunisierung- gegen hohe Dosen, richtiger eine Gewöhnung an das Mehrfache der tödlichen Giftmenge, zu erzielen. Ein brauch­

bares „ Anti-Bienenserum“ , das nach Einspritzung gegen das B ienen gift Schutz verleiht, wurde aber bei diesen Versuchen an Kaninchen bis jetzt noch nicht erhaiten.

M it diesen negativen Ergebnissen stehen auch die Erfahrungen von1 Dold in Einklang. Der­

selbe versuchte am Kaninchenauge durch wieder­

holte Vorbehandlung mit B ienengift eine lokale Im munität gegen die entzündungserregende W ir­

kung zu erzielen. Im Blute der Tiere konnten bei diesen Versuchen keine Antitoxine nachgewiesen werden. Nach den derzeitigen Kenntnissen ist das B ienen gift den von Bakterien gebildeten Toxinen doch nicht ohne weiteres an die Seite zu stellen.

W ie bei anderen G iften tierischen Ursprungs, z. B. den (Schlangengiften (Faust), so zeigt sich auch nach unseren Beobachtungen am Bienengift, daß mit der fortschreitenden Reinigung von den nicht giftig en Begleitstoffen, vor allem vom E i­

weiß, auch die W irkung eine zunehmende Einbuße erleidet. Ähnliche Verhältnisse liegen, wie es scheint, auch bei der Immunisierung gegen das B ienen gift vor. M it der Verkleinerung des Mole­

küls vermindert sich die Fähigkeit zur A ntitoxin­

bildung. H ie r dü rfte dem Eiweiß vielleicht auch den stets gleichzeitig damit vorkommenden Lipo­

iden, Lecith in usw., eine besondere Rolle zu­

fallen. Durch die Kombination der wirksamen Substanzen mit derartigen an sieh ungiftigen

| D ie Natur- [wissensohaften

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11. 5. 1923J Flury: U ber den Bienenstich. 343

Verbindungen steigt die kolloide Natur und die G iftw irku n g der Komplexe, die uns in den na­

tiven G iften entgegentreten. Dadurch wird die weitere V erfolgu n g der Fragen auf kolloidchem i­

sches Gebiet veflegt und eine Brücke zwischen dem alten viel bearbeiteten aber w enig E rtrag mehr liefernden Boden zu einem vielleicht aus­

sichtsreicheren Neuland geschlagen. W ie auf so vielen Gebieten beobachten w ir eine sich langsam vollziehende Umstellung unserer Anschauungen von den ursprünglich herrschenden „rein chemi­

schen“ Ideen zu der physikalisch-chemischen bzw.

kolloid-chemischen Auffassung. Damit hängt auch die Frage .zusammen, ob ähnlich wirkende Gifte tierischen Ursprungs auch einen verwandten chemischen Aufbau zeigen oder nur ähnliche phy­

sikalische Eigenschaften.

Die W irkung des Bienengiftes erinnert v ie l­

fach an die W irkung gewisser Schlangengifte.

Auch das Giftsekret der Skorpione scheint in naher Beziehung zu diesen G iften zu stehen. D ie weitere Aufklärung der Analogien, die zwischen den verschiedenen G iften tierischer H erku nft be­

stehen1, wäre von größter Bedeutung auch fü r die vergleichende chemische Physiologie und fü r die Immunitätslehre. W ie es scheint, bilden die tie ­ rischen G ifte Übergänge zwischen den sogenann­

ten Toxinen der Bakterien und anderen M ikro­

organismen und den chemisch genauer bekannten G iften , mit denen sich die Pharmakologie haupt­

sächlich beschäftigt. Eine tiefere Erkenntnis der Zusammenhänge wird vielleicht schließlich den Nachweis erbringen, daß es prinzipielle U nter­

schiede unter den genannten S toffen gar nicht gilbt, und daß die scharfe Trennung in einzelne Disziplinen, die sich mit der Erforschung der­

artiger pharmakologisch wirksamer Substanzen befassen, keine innere Berechtigung hat.

Wenden w ir uns nun zur Frage nach der W ir ­ kung des Bienenstiches. Das B ienen gift äußert seine Wirksamkeit an den Vertretern der ganzen Tierreihe. Wenngleich die W irkung auf niedere Tiere kein praktisches Interesse besitzt, so war doch vom Standpunkte der vergleichenden T o x i­

kologie und zum Zwecke eines systematischen Studiums über die Angriffspunkte des Giftes eine Prüfung erwünscht. Eigene Versuche, die von meinem M itarbeiter Siegfried Cohn ergänzt und erweitert wurden, zeigten, d;aß auch E in ­ zeller, wie z. B. Paramaecien, durch das G ift schnell zugrunde gehen. Regenwürmer sind außer­

ordentlich empfindlich. Schon 1/2o mg bezweckt tödliche Schädigungen. Läßt man Bienen einen Regenwurm stechen, so kommt es nach heftigen Reizerscheinungen, krampfhaften Abwehrbewe- gnngen und starker Schleimsekretion bald zu a ll­

gemeiner Lähmung und zum Tod. Das G ift ist auch stark wirksam, wenn es ohne Verletzung durch Stiche äußerlich aufgetragen wird. Am isolierten Wurmmuskel wirkt es direkt lähmend.

Auch an Mollusken ist das G ift stark wirksam.

Es erweist sich hier als H erzg ift. D ie Frequenz des embryonalen Schneckenherzens (Lim naea) wird nach kurzer anfänglicher Steigerung bald erheblich verlangsamt. Daß die Bienen gegen ihr eigenes G ift nicht immun sind, weiß man aus den Erfahrungen der Im ker über die Drohnenschlacht, die Tötung der überzähligen Königinnen und die schweren Käm pfe zwischen einzelnen Tieren und ganzen Bienenvölkern. Naeh eigenen Versuchen handelt es sich hier nicht lediglich um die Folgen der Stichverletzuug an sich, sondern auch um eine W irkung des Giftes. Bei der geringen Körpergröße der Bienen und der einverleibten relativ hohen Giftmenge ist der tödliche Ausgang leicht verständlich. Man kann beobachten, daß bei den Kämpfen einzelner Bienen die tödlichen Stiche meist in eine ganz bestimmte Körper­

gegend, und zwar in die Verbindung von Brust and H interleib treffen ; hierbei werden die Nervenganglien des Bauchmarkes verletzt, und das gestochene T ier geht schnell zugrunde. Daß der Bienenstich auch andere hierhergehörige Tiere tötet, wurde durch zahlreiche Versuche an Fliegen, Spinnen, Wasserwanzen, Käferlarven usw. festgestellt. Auch kleine Fische (Leuciscus.

Per ca, Gobio, Phoxinus) sterben unter Atemnot und Koordinationsstörungon, wenn man ihnen Spuren von B ienengift unter die H aut spritzt oder dem Wasser etwas G ift zufügt. Frösche sind wenig em pfindlich gegen Bienenstiche, sie vertragen 20— 30 Bienenstiche ohne merkliche Folgen. Am ausgeschnittenen Froschherzen be­

w irkt aber schon 1/10o mg des Giftes schwere V er­

giftu n g und Herzstillstand. Ebenso sollen Kröten und andere Amphibien nach G. PhisaUx gegen Bienen gift sehr resistent sein.

Auch Versuche -an Vögeln liegen vor. G. P h i- salix berichtet, daß ein Sperling -den Stichen von zwei Bienen erliege. Nach meinen Versuchen sind V ögel ziemlich widerstandsfähig. Eine Taube vertrug 25 Bienenstiche ohne erkennbare W ir ­ kung, bei einem jungen Hahn traten V ergiftu n gs­

erscheinungen erst nach Einverleibung des Giftes aus 150 Bienenstacheln auf. Daß Gänse und Hühner durch Bienenstiche zugrunde gehen können, ist -den Landwirten wohl bekannt.

Schadenersatzklagen, die solche Fälle betreffen, gehören nicht zu den Seltenheiten.

A n Nagetieren sind zahlreiche Versuche an­

gestellt worden. Mäuse, Ratten Meerschweinchen, Kaninchen scheinen relativ mehr G ift zu v e r­

tragen als Hunde. B ei Hunden sind tödliche Vergiftu ngen wiederholt beobachtet. Ebenso kommt es vor, daß Bienenschwärme Ziegen und Schafe überfallen und töten. Die veterinärmedi­

zinische Literatur (Fröhner u. a.) ist reich an M itteilungen über Todesfälle und schwere E r ­ krankungen von Pferden-, die w ie gegen manche andere G ifte auch gegen das B ien en gift besonders empfindlich zu sein scheinen.

Die Wirkung eines Bienenstiches auf einen normalen gesunden Menschen ist wohl -allgemein

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344 Flury: U ber den Bienenstich. I D ie Natur- l Wissenschaften

bekannt. Es kommt zu einer intensiven Schmerz­

empfindung, zur Bildung einer Quaddel, zu einer begrenzten Hautrötung und einer von der Ivörper- stelle abhängigen mehr oder weniger starken Schwellung. Werden gesunde Menschen von einer größeren Anzahl von Bienen gestochen, so treten zu diesen lokalen W irkungen häufig auch erhebliche Störungen des Allgemeinbefindens.

H ie r zeigt sich aber bereits der Einfluß der in d i­

viduellen Verschiedenheit. Manche Menschen er­

tragen eine große Anzahl von Stichen ohne be­

sondere Folgen, während empfindliche Personen schon nach 3— 5 Stichen mit Temperaturanstieg und Frostgefühl, Kopfschmerzen, Übelkeit, E r ­ brechen und Durchfällen, Schwäche oder A u f­

regungszuständen reagieren. M ir ist ein Fall be­

kannt, wo ein 2%jähriges K in d von etwa 50 B ie­

nen überfallen wurde, als es am Flugloch eines Bienenstandes spielte, ohne daß sich nachteilige Folgen erkennen ließen. In einem zweiten Falle erkrankte ein erwachsener Mann nach 30— 40 Stichen erheblich an (Schwindel, Herzklopfen mit gesteigerter Pulsfrequenz, Cyanose der Gesichts­

haut und einem bald vorübergehenden Schwäche­

anfall. 60 Stiche 'führten bei einem 50 Jahre alten Mann zu M üdigkeit und großer Erschöpfung, zu Blutdrucksenkung und Erniedrigung der Tem ­ peratur. 3— 400 Stiche auf einmal richten er­

wachsene Männer schon ziemlich übel zu, so daß sie zu mehrtägiger Bettruhe gezwungen werden;

bei etwa 500 Stichen dürfte die Grenze der töd­

lichen Dosis fü r erwachsene Männer liegen. Mehr als 500, bis zu 1000 Stichen sind bei Überfällen von Bienenschwärmen auf einzelne Personen wiederholt gezählt worden. Der Ausgang war in der Regel tödlich. A n Bienenstich gewöhnte Im ker sind aber darunter nicht ;zu verstehen. Es sind mehrere F älle bekannt, bei denen eine der­

artige Anzahl bei Imkern ohne verhängnisvolle Folgen geblieben ist.

Daß die Zahl der Stiche nicht allein '.ausschlag­

gebend ist fü r die Folgen, ist selbstverständlich.

Unter ungünstigen Umständen kann der Stich, nicht wie gewöhnlich, in das Unterhautzellgewebe, sondern direkt in Hautgefäße und damit in das System der Blutgefäße erfolgen, wodurch ein T eil des G iftes in höherer Konzentration an die be­

sonders empfindlichen Erfolgsorgane der W ir ­ kung, wie das Herz, dias Zentralnervensystem, speziell das Atemzentrum, gelangt. Dadurch wird der V erlau f natürlich viel gefährlicher.

D ie Menge des Bienengiftes ist bei gleicher Anzahl von Stichen übrigens nicht immer gleich.

Jedem Bienenzüchter ist bekannt, daß die Stech- ilust der Bienen außerordentlich wechselt und von mannigfachen Umständen abhängt. Während einzelne auf dem Sammelflug befindliche Bienen kaum stechen, wenn sie nicht dazu gereizt werden, ist es sehr gefährlich, die Bienen am Stock, be­

sonders am Flugloch durch schnelle Bewegungen, durch Erschütterung oder sonstige Störungen ihrer Arbeit zu beunruhigen1. Ausziehende Bienen­

schwärme gelten bei sachkundiger Behandlung als durchaus harmlos. Zum Stechen reizen weiter starke Gerüche, Schweiß, die Atem luft nach A l ­ koholgenaß usw. Damit hängt es zusammen, daß schwitzende P ferd e so häufig die Opfer der B ie­

nen werden. Daß auch das W etter eine Iiolle spielt, und besonders gewitterschwüles W etter die Bienen sehr erregbar macht, weiß jeder Imker.

Endlich ist auch die Bienenrasse von Einfluß auf die Stechlust. Jeder Bienenzüchter unterscheidet zwischen gutartigen und bösartigen Völkern.

D ie Folgen des Bienenstiches hängen noch mehr von der Em pfindlichkeit der gestochenen Person ab als von den Bienen. .Die bei Bienen­

züchtern gelegentlich auftretende Sensibilisie­

rung, das „Em pfindlicherwerden“ gegen Bienen­

stiche, müssen w ir der großen Gruppe voin Id io ­ synkrasien anreihen. D ie Neigung, mit der ein normaler Organismus auf eine (Schädigung hin reagiert, ist abhängig von dem Zustande oder der Beschaffenheit seiner Organe. W ir sprechen von der Konstitution des Organismus als einer Summe vieler Eigenschaften, die ausschlaggebend fü r die Reaktion au f normale Reize und ungewöhnliche Schädigungen ist. D ie verschiedenartige Disposi­

tion der Menschen erkennen w ir auch in der m annigfaltigen W irkung des Bienengiftes. Aus den zahlreichen Erfahrungen der Bienenzüchter ergibt sich tauch hier die hohe Bedeutung der in der Konstitution begründeten Empfänglichkeit des einzelnen Individuums.

Bei den gegen Bienenstiche hochempfindlichen Personen besteht zweifellos eine abnorme Be­

schaffenheit von Organen und Geweben, in erster

•Linie wohl eine M inderwertigkeit des Herzens und das Blutgefäßsystems. Vielleicht hängt die Em pfindlichkeit des höheren Alters mit den Folgen der Arteriosklerose, der wichtigsten Ver- brauchskrankheit des Menschen, zusammen.

D ie ungewöhnlich starke W irkung des Bienen­

giftes auf weibliche Personen springt bei Sichtung des Materials ganz besonders in die Augen. H ier kann es wohl keinem Zw eifel unterliegen, daß die Ursachen in einer besonderen funktioneilen Be­

schaffenheit des Nervensystems, etwa einer er­

höhten Reizbarkeit des vegetativen Systems, die leichter zu Gleichgewichtsstörungen führt, zu suchen sind. Auch psychische Faktoren sind neben der neuropathisc'hen Disposition in Rech­

nung zu setzen. V ielfach handelt es sich hier um Fälle, die nach ihrer Konstitution an der Grenze von Gesundheit oder Krankheit stehen, wo eine besondere Bereitschaft zur Äußerung von Krank- beitsersoheinungen besteht. Besonders bei den Kindern, die ungewöhnlich stark auf Bienen­

stiche reagieren, zeigen sich in der Regel die mannigfachen Krankheitsbilder, die der Mediziner unter dem B e g r iff der „Diathesen“ zusammen­

faßt. Solche K in der neigen auch häufig zu katarrhalischen Erkrankungen, Drüsenschwellun­

gen u. dgl. D ie vermehrte Bereitschaft zu Ent­

zündungen überhaupt und im besonderen die

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F lu ry: U ber den Bienenstich. 345 schweren Erscheinungen nach einem Bienenstich

stehen sicherlich mit einer angeborenen mangel­

haften Beschaffenheit der Körpergewebe, z. B. der Lymphdrüsen und der Gefäße, in Zusammenhang.

Bei der schweren Schädigung des vegetativen Nervensystems durch das B ienengift erfährt das fein abgestufte Wechselspiel der Drüsen mit innerer Sekretion eine schwere Störung.

Zum Kapitel der abnormen Reaktion gehören die relativ häufigen F älle von U rtikaria (Nessel­

sucht). die als lästige, aber ungefährliche F o lge­

erscheinung nach Bienenstichen besonders häufig bei Frauen und Kindern beobachtet wird. Sie kommt aber auch gelegentlich beim männlichen Geschlecht vor. Unmittelbar mach dem Stiche, nach wenigen Minuten bis zu einer halben Stunde, ist gewöhnlich der ganze K örper scharlachrot ge­

färbt und es zeigen sich allenthalben rote Flecken und die h eftig juckenden Urtikariaquaddeln.

Außer dem regelmäßig auftretenden Brennen und Hautjucken klagen die Kranken meist über M ü­

digkeit, Durst, häufig gesellen sich dazu Fieber und Schwächezustände. Gewöhnlich sind alle E r­

scheinungen und Beschwerden nach 1— 2 Tagen wieder verschwunden. D ie Fälle von Nesselsucht hänigen ebenfalls mit einer erhöhten Reizbarkeit des Organismus, im besonderen der Haut, zu­

sammen und dürfen in erster Lin ie auf eine W irkung, welche die Gefäße der H aut betrifft, zu­

rückgeführt werden. Es handelt sich hierbei um eine Steigerung der dem B ienen gift normalerweise zukoanmenden G efäßgiftw irkung infolge beson­

derer Umstände. Bei allen Vergiftungen durch große Giftmengen, wie bei Todesfällen von Men­

schen und bei Tierexperimenten, begegnen uns überall schwere Schädigungen der Gefäße, die besonders im Kapillargebiet deutlich in die Augen fallen. H ä u fig sehen w ir eine Erweiterung aller Gefäße der zugänglichen Schleimhäute. Die Augenbindehaut ist in solchen Fällen o ft „blu t­

unterlaufen“ . Die inneren Organe, das Herz, die Lunge, die großen Drüsen zeigen vielfach B lu t­

austritte.

M it der W irkung auf die Blutgefäße stehen auch die Veränderungen an den weiblichen Ge­

nitalorganen in engem Zusammenhang. Nach zahlreichen Erfahrungen in Bienenzüchter kreisen sind Frauen zur Z eit der Menstruation ganz be­

sonders empfindlich gegen Bienenstiche. A u f meine Um frage wurde vielfach berichtet, daß die Menstruation infolge von Bienenstichen bereits frühzeitiger und in verstärktem Maße auftritt.

Nach den Mitteilungen von Dr. K e ite r traten bei Bienenstichkuren bei manchen Patientinnen die Menses früher als zur gewohnten Zeit ein. Auch sollen sich während der Zwischenzeit kleine Blu­

tungen eingestellt haben. B ei Schwangeren ist es zu vorzeitigem Abgang der Leibesfrucht durch die W irkung des Bienengiftes gekommen. Der Herausgeber der Märkischen Bienenzeitung, P fa rrer Aisch, teilte mir hierzu mit, daß die Frau eines Lehrers in V. (W .-P r.) sogar zweimal nach

H e ft 19. 1 13. 5. 1928J

Bienenstich abortiert haben soll. Im Zusammen­

hang mit der Gefäßwirkung stehen weiter die Fälle, bei denen Darmblutungen als F o lge von Bienenstichen beobachtet wurden. Daß sich bei experimentellen V ergiftu ngen von Tieren in allen Organen Blutungen finden können, wurde bereits erwähnt.

Hohes Interesse beanspruchen die Todesfälle durch Bienenstiche. Es ist auffallend, mit wel­

cher Hartnäckigkeit viele Bienenzüchter die M ög­

lichkeit abstreiten, daß Todesfälle beim Menschen scho.n durch den Stich einer einzigen Biene V o r ­ kommen können. M eist w ird eingewendet, daß es sich um zufällige andere Todesarten, etwa Schlag­

anfälle und dergleichen, handelt.

Gegenüber den Zeitungsmeldungen über Todesfälle durch Bienenstiche em pfiehlt sich nach meinen Erfahrungen aber in der T at V o r­

sicht und Mißtrauen. Erkundigt man sich an Ort und Stelle näher über den Hergang, so stellt sich oft heraus, daß Falschmeldungen oder gänz­

lich ungenaue und unzuverlässige Nachrichten vorliegen. Todesfälle durch einen einzigen Bienen­

stich gehören in der Tat zu der größten Selten­

heit. W eit häufiger sind Todesfälle infolge von massenhaften Stichen.

Ein sehr genau beschriebener Todesfall dieser A r t b etrifft den Lehrer R. in Fl. in Bayern (Juni 1885). Der 84jährige Mann hatte, durch einen Stich gereizt, nach einer Biene geschlagen und dabei m it dem Stock einen vor dem Bienen­

stand liegenden Schwarm getroffen . Durch etwa 1200 Stacheln im Gesicht, Hals, Brust, und Beinen getroffen, wurde er ohnmächtig und lag regungs­

los am Boden, bis ihm H ilfe gebracht wurde.

Durch ärztliche H ilfe und kalte Umschläge kam er wieder zum Bewußtsein und konnte den H e r­

gang erzählen, später aber wurde er wieder be­

wußtlos, er schwoll außerordentlich stark an und starb am gleichen Tage, 14 Stunden nach dem Überfall. E r soll an einer Herzkrankheit gelitten haiben. R. war keim Imker.

Solche Unglücksfälle bieten nach unserer Kenntnis über die Wirkung des Giftes nichts Auffallendes. Dagegen sind die Todesfälle durch einen oder wenige Stiche meist nicht so leicht zu erklären. Es wäre von Interesse, bei derartigen seltenen Todesfällen durch die Obduktiom zu prüfen, ob die ungewöhnliche W irkung des Bienengiftes auf Störungen des lymphatischen Apparates, insbesondere der schwersten Form der exsudativen Diathese, dem status thymolymphati- cus, beruht. Es ist eine altbekannte Erfahrung, daß bei Personen, die an einer derartigen allge­

meinen Konstitutionsschwäche leiden, eine v e r­

hängnisvolle Widerstandslosigkeit gegen Schädi­

gungen vorhanden ist. Es handelt sich manchmal um blasse Kinder mit pastösem Habitus. Fast regelmäßig finden sich abnorme Verhältnisse im Bau und der Funktion des Herzens, der Gefäße und der Drüsen. Auch bei Erwachsenen, die an solchen Störungen des lymphatischen Systems

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346 F lurv: U ber den Bienenstich. C D ie Natu r- L W issenschaften

leiden, w ird beobachtet, daß sie an Infektions­

krankheiten sehr leicht zugrunde gehen oder bei ärztlichen E in g riffe n (Narkose, Einspritzungen) unerwartet und scheinbar aus unerklärlichen Gründen plötzlich sterben. Der Zusammenhang m it solchen Zuständen könnte auch bei den 'beob­

achteten Todesfällen durch Bienenstiche sicher­

lich o ft aufgefunden werden. Daß es bisher zu keiner K lärung dieser Frage gekommen ist, be­

ruht auf dem Umstand, daß die Mehrzahl solcher Ungfiücksfälle sich auf dem Lande ereignet, wo Leichenöffnungen selten ,stattfinden und die A u f klärung durch den* A rzt oft unmöglich ist. Ich habe mich seit Jahren e ifr ig bemüht, durch E r­

kundigungen näheren Aufschluß über die Einzel­

heiten besonders nach der medizinischen Seite zu erhalten. Das Ergebnis war nicht überraschend.

Ein T e il der Nachrichten war überhaupt erfu n ­ den, so z. B. Meldungen über Todesfälle in den Wintermonaten; bei einem anderen T e il handelte es .sich um Erstickungsfälle in folge von Stichen in der Mundhöhle durch unvorsichtigen Genuß von Wabenhonig, Süßigkeiten, Bier usw., also nicht um eigentliche Giftwirkungen, sondern um Todes­

fälle, bei denen die Atemwege durch die starke Schwellung verlegt wurden. In einigen wenigen Fällen kam es infolge von nachträglichen In ­ fektionen zu tödlicher Blutvergiftung. In einem anderen Falle trat der Tod ein, nicht, wie ge­

meldet, durch wenige Bienen, sondern durch einen ganzen Bienenschwarm. D ie noch verbleibenden wenigen Todesfälle -durch einen einzigen oder durch wenige Bienenstiche betreffen fast durch­

weg Personen m it bestehenden Erkrankungen.

Herz/leiden, vorgeschrittene Arterienverkalkun g und hochgradige Blutarmut. Im übrigen scheint 'aber durchaus nicht jede Erkrankung des Herzens verhängnisvoll zu sein; denn bei den weiter unten besprochenen Bienenstichkuren werden bestimmte Herzleiden, die mit Gicht und Rheumatismus im Zusammenhang stehen, angeblich überraschend gebessert. Ebenso liegen Erfahrungen vor, nach denen Bienenstiche als kräftiges Reizm ittel anämische Personen in überraschender Weise ge­

heilt haben. E ine erhöhte Empfindlichkeit gegen Bienenstiche weisen auch Zuckerkranke und Tuberkulöse auf. Besonders bei der Knochen­

tuberkulose kann es nach Bienenstichen zu h efti­

gen Herdreaktionen und Verschlimmerung des Allgem einbefindens kommen.

Von Interesse -ist auch die Durchprüfung des umfangreichen Materials über die Frage der Ge­

wöhnung an das Bienengift, also der bei den meisten Bienenzüchtern zustande kommenden er­

worbenen Immunität. Imker, die häu fig durch Bienen gestochen wurden, reagieren nach einiger Zeit auf die Stiche nicht mehr mit Anschwellun­

gen an den betroffenen Körperstellen, sondern meist nur mit einer schwachen Rötung. Eine Immunisierung gegen den iSchmerz scheint im allgemeinen kaum vorzukommen. Manche Imker, die immun sind, schwellen nur noch >an bestimm­

ten Körperstellen, meist an den Augen oder an

den Lippen, an. Eine Um frage von Langer hatte ergeben, daß von 164 Imkern 7 % eine angeborene Immunität aufwiesen, und daß 82 % der anfangs empfindlichen Personen später immun wurden.

Ähnliche Zahlen wurden bei einer neuerdings von mir angeregten U m frage erhalten. So wurden 83 % der anfangs empfindlichen1 Imker immun.

13 % der gesamten Im ker blieben gegen die Stiche gleich empfindlich. Übereinstimmend wird noch angegeben, die Immunität sei nur von kurzer Dauer und verliere sich im W inter allmählich wieder. D ie absolute angeborene Immunität gegen den Bienenstich 'beträgt nach meinen Erkundigun­

gen bei etwa 2000 Imkern gegen 10 %. Dagegen scheint die angeborene und die erworbene Über­

em pfindlichkeit gegen Bienenstiche sehr selten zu sein. D ie angeborene Überempfindlichkeit kann erblich sein1. So wurde berichtet, daß die Eltern von überempfindlichen Kindern ebenfalls unge­

wöhnlich h eftig reagieren. Diese abnorme Em pfindlichkeit vereinzelter Personen hängt mit der Frage der Anaphylaxie, die in der Immunität eine w ichtige R olle spielt, eng zusammen.

Eine besondere Erwähnung verdient noch die Verwendung des Bienengiftes als H eilm itte l. W ie es scheint, geht der Gebrauch des Bienengiftes zu medizinischen Zwecken in die graue Vorzeit zu­

rück. Nach alten Überlieferungen vieler Völker soll der Bienenstich ebenso w ie andere lokale Reizm ittel günstige W irkungen gegen rheuma­

tische Beschwerden entfalten. Es ist (bekannt, daß bei Rheumatismus das Einlegen in Ameisen­

haufen, das Peitschen mit Brennesseln („U rtikati- onen“ ), das A u flegen von Quallen und Seenesseln alte Volksm ittel gegen Rheumatismus, Lähmun­

gen und dergl. sind. Bienenstichkuren gegen Rheumatismus, Podagra und verwandte K ran k­

heiten sind .besonders in Süddeutschland, in Frankreich, in Italien, unter den slavisclien Völkern, und nach meinen Erfahrungen auch in Am erika unter den Bienenzüchtern wohl bekannte Heilverfahren. Die Schulmedizin hat sich erst in neuerer Zeit diesem Gebiet zugewendet. So wird erzählt, daß berühmte M itglieder einer sehr an­

gesehenen medizinischen Fakultät sich ihren Rheumatismus durch einen »Spezialisten in T irol mit E rfolg behandeln ließen.

Eine Zusammenfassung des heutigen Standes der Bienenstichbehandlung des Rheumatismus hat vor einigen Jahren Dr. A. K e ite r in Graz ge­

liefert. Darin finden w ir ausgedehnte ärztliche Erfahrungen an zahlreichen Rheumatismus- kranken (2000 Behandlungsfälle), an denen die M edizin nicht ohne weiteres vorübergehen darf.

D ie systematische Verabreichung von Bienen­

stichen wurde danach zuerst von dem prakt. A rzt Dr. Philipp Terc 1888 in Marburg ausgeführt.

Aus dem vorliegenden M aterial ergibt sich, daß das Wesen der Bienenstichbehandlung nicht ein­

fach als Hautreizung, w ie die W irkung von E in ­ reibungen und dergl., zu erklären ist, die lediglich Rötung der Haut, eine geänderte Blut Verteilung

(7)

F lurv: U ber den Bienenstich. 347 und gewisse reflektorische Wirkungen auslösen,

sondern es kommt hierbei zu schweren A llgem ein ­ erscheinungen. D ie Behandlung besteht darin, daß dem Patienten durch Aufsetzen von lebenden Bienen täglich bis zu 50 oder 100 Stiche in all­

mählicher Steigerung verabreicht werden. In einzelnen allerdings seltenen Fällen muß der Pa tien t sich im Laufe der K u r von Tausenden von Bienen stechen lassen. Je nach der Schwere der Erkrankung ist die Behandlung von verschie­

den langer Dauer. Während der gesunde Mensch nach Bienenstichen anschwillt, verhält sich der echte Rheumatiker anders. Er schwillt im allge­

meinen nicht an, der Stichschmerz ist geringer, und die entstehende. Quaddel und die Rötung verschwinden viel schneller. In der Regel tritt erst nach 100— 200 Stichen die Anschwellung auf, zugleich mit allgemeinen Krankheitserscheinun­

gen, die oft recht bedrohlich aussehen. Sie be­

stehen in Fieber und Schüttelfrost, A tem ­ beschwerden, Herzklopfen und Schwindel, E r­

brechen und Durchfällen. Es kommt auch zu Schweißausbrüchen, verstärkter Harnabsonde­

rung, manchmal auch zu Ohnmachtsanfällen.

Daraus ergibt sich von selbst, daß derartige „R o ß ­ kuren“ unter keinen Umständen von ungeeigneten Heilkünstlern ausgeführt werden dürfen. Nach­

dem diese Phase überstanden ist, beginnt nach den Berichten meist eine auffallende Besserung. D ie Kranken sollen sich, abgesehen von den schweren Hautzerstörungen! (Bildung von Borken, Krusten und Abszessen) wie verjüngt und neugeboren fühlen. Die Ergebnisse sind', soweit sie m itge­

t e ilt werden, ganz überraschend gute. Nach der Anschauung der genannten bienenkundigen M edi­

ziner handelt es sich bei der Bienenstichkur um eine Immunisierung gegen das Bienengift, die wesensgleich sein soll mit einer Immunisierung gegen das hypothetische Rbeuimatismusgift. M it dem Bienengift werden bei solchen Kuren auch erhebliche Mengen von artfremdem Eiweiß dem Körper einverleibt. Daraus ergibt sich die Frage, ob es sich hier wirklich um eine spezifische W ir ­ kung handeilt oder ob dabei auch ebenso wie bei der zurzeit modernen Proteinkörpertherapie andere Faktoren mitwirken. Bekanntlich werden seit einigen Jahren die verschiedenartigsten E r­

krankungen durch Zufuhr von Eiweißstoffen, die parenteral, d. h. unter Umgehung des Darmkanals, zugeführt werden, und als unspezifische R eiz­

stoffe auf die erkrankten Gewebe einwirken sollen, mit mehr oder w eniger E rfolg behandelt. Jeden­

falls darf die wissenschaftliche Untersuchung über die Bedeutung und das Wesen der Bienen­

stichkuren auch diese Seite des Problems nicht unbeachtet lassen.

Unter den zahlreichen Mitteilungen, die mir bei meinen Umfragen aus Bienenzüchterkreisen zugegangen sind, kehren immer wieder Berichte von durchaus zuverlässigen Imkern wieder, denen eigene Beobachtungen und sorgfältige Aufzeich­

nungen über auffallende Heilungen dieser K rank­

H e ft 19.1 11. 5. 19231

heit zugrunde liegen, so daß an der Wahrheit kaum mehr ein Z w eifel möglich ist. Es wird nunmehr die Aufgabe unserer Industrie sein, an Stelle der Behandlung m it lebenden Bienen, ge­

eignete Präparate, die zur allgemeinen Verwen­

dung tauglich sind, den Ärzten zur Verfügung zu stellen.

Im Gegensatz zur Rheumatismusbehandlung, die einer systematischen Prü fu n g von sachver­

ständiger Seite wert zu sein scheint, häit die Be­

handlung sonstiger Krankheiten durch H eilm ittel, die aus Bienen hergestellt sind, keiner ernsthaften W ürdigung stand. Sowohl die homöopathischen M ittel, als auch die Bienentees, Bienensalben, Bienenpflaster sind von fragw ürdiger Beschaffen­

heit und Wirkung.

Der g iftig e H on ig hat m it dem B ienengift nichts zu tun. Bekanntlich haben Xenoplion, P linius, Aristoteles und andere Schriftsteller des Altertums über Krankheitsersoheinungen nach Genuß von H onig berichtet, und noch heute hören w ir von solchen Fällen, die mit nervösen Symp­

tomen, Schwindel, Übelkeit, Blutandrang, Magen- und Da rme rkrankun gen einhergehen. Auch Todesfälle sind beschrieben. Soweit unsere Kenntnisse reichen, stammt der verdächtige H on ig von Bienen, die aus giftig en Pflanzen, wie Aconit, Schierling, Rhododendron, Lorbeer, Jasmin usw. ihren Nektar gesammelt haben. In überseeischen Ländern sollen solche Erkrankun­

gen w eit häufiger sein als bei uns. So sind bei­

spielsweise in den Südstaaten von Nordamerika gewisse Gegenden dafür bekannt, daß ihr H onig häufig Unwohlsein und schwere Störungen der Gesundheit verursache. Nach diesen Erfahrungen erscheinen also die Berichte Xenoplfbons, die in ihren Einzelheiten genau beschrieben werden, durchaus glaubhaft, wenn auch bei den 10 000 Erkrankungen eine Übertreibung vorliegen mag.

Überblicken w ir zum Schluß noch einmal kurz die Geschichte des Bienenstiches, so sehen wir, daß die Menschheit sich seit den ältesten Zeiten mit diesem Gegenstand beschäftigt hat. Anderseits gehören heute die eng damit verknüpften Fragen der Immunisierung, der Reaktion gesunder und

k r a n k e r Menschen auf abnorme Reize, die Ein ­ führung körperfremder Eiw eißstoffe in den Or­

ganismus und die darauf gegründeten Heilm etho­

den zu den aktuellsten Gebieten der Medizin1. Die Erfahrungen über den Stich der Biene können dazu nach dem Gesagten manchen B eitrag liefern.

L ite ra tu r.

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(8)

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W ien 1912.

Neuere Beobachtungen

über den Zusammenhang elektrischer und optischer Erscheinungen*).

Von B. Gudden und R. P oh l, Göttingen.

D ie Erkenntnis der engen Verknüpfung optischer und elektrischer Erscheinungen ge­

hört seit Maxwell und H ertz zum klassi­

schen Bestände unseres physikalischen Wissens.

W er etwa um das Jahr 1900 fragte, wie die Dispersion und Absorption des Lichtes zustande kommt, bekam darauf ungefähr folgende A ntw ort: Das Licht besteht aus elektri­

schen Wellen, es ist nichts weiter als ein in Quer­

wellen fortschreitendes elektrisches Feld. In den materiellen Atomen und Molekülen befinden sich Elektronen. Ein T e il von ihnen ist quasielastisch gelbunden, d. h. sie können Eigenschwingungen um eine Ruhelage ausführen. Kommt nun die elektrische W elle .des einfallenden Lichtes, so regt sie die Elektronen zu erzwungenen Schwingungen an. Schwingende Elektronen sind kleine Anten­

nen: Sie strahlen ihrerseits W ellen von der F re­

quenz der ihnen aufgezwungenen Schwingungen aus. Der elektrische Vektor der erregenden und der erregten W elle sind gegeneinander phasenver­

schoben, und zwar um einen Betrag, der vom V e r­

hältnis der Lichtfrequenz zur Elektronenfrequenz abhängt. Beide W ellen addieren sich zu einer resul­

tierenden. Auch diese ist gegen die einfallende W elle pl) äsen verschoben. H in k t sie hinter der ein­

fallenden her, so bedeutet das eine verringerte Ge­

schwindigkeit oder einen Brechungsindex größer als 1. A u f diese W eise läßt sich der experimen­

tell beobachtete V erla u f des Brechungsindex im Spektrum zwanglos wiedergeben.

Das wäre die Dispersion. Und die Absorption ? D ie Umwandlung der Lichtenergie in Wärme?

*) V ortrag, gehalten am 10. November 1922 im Verwaltungsgebäude der Siemens-Schuckert-Werke.

Sehr einfach: die quasielastischen Schwingungen sind gedämpft. Ih re Bewegungen werden durch Reibungskräfte gehemmt. Diese Reibung entneh­

men w ir einfach dem wohlbekannten Mechanis­

mus der elektrischen Leitung, für die das Ohmsche Gesetz gilt.

So etwa hätte man 1900 gesagt. Das Problem der Lichtabsorption und Dispersion galt in seinen wesentlichen Zügen fü r erledigt: Denn über die etwas reichlich form al eingeführte quasielastische Bindung der Elektronen in den Atomen und Mole­

külen konnte man 'billigerweise keine nähere Aus­

kunft verlangen.

Und heute? Heute glauben wir, dank der groß­

artigen E rfolge Bohrs, manches vom Aufbau der Atome und Moleküle zu wissen. Das Bohrsche Modell, das die Atome als Planetensysteme behan­

delt, dürfen w ir hier in großen Zügen als bekannt voraussetzem. Für quasielastisch gebundene Elek­

tronen mit Reibungsdämpfung ist kein Platz in ihnen. Damit ist der klassischen Auffassung der Lichtdispersion und Absorption der Boden ent­

zogen. — Und der Mechanismus des Ohmschen

KZM

Fig. 1. Anordnung zum Nachweis der elektrischen L e itfä h ig k e it von K ristallen während der Phosphores­

zenz. Der K reis besteht aus B atterie, Galvanometer und einem m it phosphoreszierenden K ristallen gefüllten

Kondensator.

Gesetzes, dem w ir ohen das A ttribu t „wohlbe­

kannt“ gaben? W ie soll man im einzelnen die Stromwärme mit den Bohr sehen Planetenbahnen zusammenreimen ? — Es bleibt niöhts als das lehr­

reiche Eingeständnis, daß w ir heute nach 20 Jahren über Dispersion und Absorption des Lich ­ tes und den Mechanismus der Ohmschen Leitung einmal wieder vollkommen im Unklaren sind. D er­

artige Schwierigkeiten sind häufig in der Physik.

Aber ein Ausweg bleibt immer: nach neuen T a t­

sachen suchen, die weiterhelfen. Derartige T a t­

sachen erwarten w ir von Beobachtungen, über die w ir im folgenden berichten dürfen.

Eine der Grundlagen des Bohrschen A tom ­ hildes ist ein von Lenard schon 1910 aufgestellter Satz. Dieser besagt, daß jede Lichtemission er­

folgt, indem ein Elektron von einer neuen in eine alte Lage zurückkehrt, also eine räumliche LTm- lagerung erfährt. Der Versuch schien aussichts­

reich, diese Bewegung der Elektronen für einen besonderen F a ll der Lichtemission auf einem ein­

fachen W ege nachzuweisen. W ir dachten an den Vorgang der Phosphoreszenz. Ein Phosphor wird

(9)

H e ft 19.1

11.5. 1923J Gudden u. Pohl: Zusam m enhang elektrischer und optischer Erscheinungen. 349

durch gewisse Lichtwellen erregt. Nach der E r ­ regung klin gt er allmählich unter Emission seines Phosphoreszenzlichtes ab. Im Lenardsohen Bilde heißt das: D ie Erregung bringt die Elektronen in eine neue Lage oder, wie man heute sagt, Energiestufe. In dieser verweilen sie etliche Zeit, um dann als Ursache der Lichtemission zurückzu­

kehren.

Um den Nachweis dieser Bewegung zu v e r­

suchen, wurden etliche kleine phosphoreszenz- fähige Kristalle in einen aus Batterie und Gal­

vanometer gebildeten elektrischen K reis geschal­

tet (F ig . 1). Unerregt und im Dunklen waren diese Kristalle sehr vollkommene Isolatoren. Auch zuvor erregt und dann mit s c h w a c h e r L ich t­

emission abklingend, zeigen sie während dieser Lichtemission kein galvanometrisch nachweisbares Leitvermögen. Man kann jedoch den Phosphor durch Bestrahlung mit ultrarotem Lich t in kur­

zer Zeit und daher mit großer H elligk eit abklin-

Zeit in Minuten

Fig. 2. D ie Figur zeigt den trägen A n stieg und den trägen A b fa ll des gesamten 1 ich telektrischen Stromes

in Kadmr.iumsulfid (Greenockit).

gen lassen. Dann macht das Galvanometer wäh­

rend dieses hellen Leuchtens1) einen erheblichen Ausschlag, ein Zeichen, daß sich während des Lichtemissionsvorgainges tatsächlich Elektronen in den phosphoreszierenden Kristallen bewegen.

— Der Vorgang läßt sich auch umkehren: Man kann durch Anlegen, vor allem durch plötzliches Anlegen, eines elektrischen Feldes an einen Phos­

phor die H elligk eit seiner Emission erhöhen. Es sieht so aus, als ob das elektrische Feld die Elek­

tronen aus ihrer neuen Lage losreißt und somit die Rückkehr in die ursprüngliche begünstigt.

Derartige Versuche führten nun zu einer weiteren Beobachtung. Es ist bekannt und schon längst technisch ausgenutzt, daß Selen und manche andere S toffe durch Belichtung eine höhere elektrische Leitfäh igkeit bekommen. Aber bisher schien diese, wie main kurz sagt, lichtelek-

J) Sehr rasch und hell abklingende Phosp-hore zeigen -die der Phosphoreszenzhelligkeit parallel gehende L eitfäh ig k eit auch ohne den K u n s tg riff der Bestrahlung m it ultrarotem Licht.

trische Leitfäh igkeit doch als vereinzelte Eigen ­ schaft weniger S to ffe dazustehen. Statt dessen ergab sich nun eine sehr allgemeine V erb reitu n g:

E in St of f , g leich gü ltig ob Elem ent oder V erbin­

dung, braucht nur einen hohen optischen Brechungsindex zu besitzen, um lichtelehtrisch Leitfähigkeit zu zeigen.

Diese unerwartete Beziehung zum Brechungs­

index verlangte eine nähere Untersuchung. Zu­

nächst schienen die Aussichten weinig günstig.

Denn alle neu gefundenen 'Substanzen zeigten mehr oder minder starke Trägheitserscheinungen: Der Strom steigt erst langsam nach Einsatz der Be­

lichtung an, bleibt auch nach Schluß der Belich­

tung bestehen und fä llt nur langsam wieder ab.

Fig. 2 gibt als krasses Beispiel einige Messungen am CdS (M ineral Greenockit). W er die riesige Selenliteratur kennt, weiß, daß die Erforschung des Selenproblems seit Jahren durch die T rä g ­ heitserscheinungen au f einem toten Punkte ange­

kommen ist. D ie Trägheitserscheinungen be­

weisen, daß w ir in der liclitele'ktrischen L e it­

fähigkeit eine zusammengesetzte Erscheinung vor uns haben. Es folgen sich in ihr mehrere V o r­

gänge zeitlich und ursächlich aufeinander. Es liegt hier offenbar entsprechend wie im Gebiete

Fig. 3. D ie Figur zeigt schematisch den trägheitslosen Einsatz des lichtelektrischen Stromes m it einem end­

lichen Anfangsw ert.

der Gasentladungen, bevor man die Kathoden­

strahlen als den einfachen primären Vorgang der überaus verwickelten, bunten Erscheinungen er­

kannte. Es kam darauf an, aus den zusammen­

gesetzten 1 ichtel'ektrischen Leitfähigkeitserschei­

nungen ebenfalls einen einfachen, primären V o r­

gang abzutrennen. Für eine solche Trennung schien es von vornherein günstig, daß einige der neu gefundenen stark lichtelektrisch leitenden Kristalle an sich sehr vollkommene Isolatoren waren, z. B. Diamant und ZnS. Bei ihnen fehlte also die ihrem Wesen nach ebenfalls ungeklärte Leitfähigkeit, die dias Selen2) schon im Dunklen besitzt.

A n diesen Isolatoren gelang in der T a t die Abtrennung des primären Vorganges. Wesentlich fü r den E rfolg war die Beschränkung auf winzige

2) Gemeint ist die metallische M odifikation, die bisher allein zur technischen Verwendung) gekommen ist. D ie lichtelektrische L e itfä h ig k e it der isolierenden roten M odifikation ist unseres Wissens bisher unbe­

kannt gewesen.

S w . 1923 46

(10)

350 Gudden u. P o h l: Zusam m enhang elektrischer und optischer Erscheinungen. T Die Natur- Lwissensehaften

räumliche Lichtdichten und ganz kurze Belich­

tungszeiten. U nter diesen Umständen setzt der lichtelektrisehe Strom (im Gegensatz zu F ig. 2) völlig trägheitslos mit einem endlichen, stets re­

produzierbaren Anfangswert ein (vgl. F ig. 3).

W ir nennen diesen endlichen Anfangswert den Primärstrom Jp. Im weiteren V erlau f der Be­

lichtung überlagert sich diesem primären Strom ein sekundärer Strom Js. Erw ächst meist unüber­

sichtlich an, um endlich stationär zu werden.

Er ist die Ursache all der zahlreichen verwickelten Erscheinungen, die man in der bisherigen Selen­

literatur untersucht hiat. W ir lassen hier diesen Sekundärstrom zunächst vö llig beiseite. Am Schluß kommen w ir auf ihn mit einigen Worten zurück.

Lichfenergiedichte

F ig. 4. Die F igu r zeigt für Zinkblende die Propor­

tion alitä t des prim ären lichtelektrischen Stromes zur Lichtenergie. K al heißt liier w ie in allen weiteren

Figuren Grammkalorie.

Fü r den Prim ärstrom lassen sich einfache, klare Aussagen machen. Er zeigt, wenn auch nur formal, eine weitgehende Analogie zur unselbstän­

digen Gasentladung, die w ir bei einer Volumioni- sation eines Gases beobachten.

Der Primärstrom ist der Energie des auf­

fallenden oder, wenn w ir wollen, ionisierenden Lichtes in aller Strenge proportional. Fig. 4 gibt einige Beispiele fü r kristallisiertes Zink­

sulfid.

Der Primärstrom steigt mit wachsender Span­

nung bis zu einem Sättigungswert. D ie Fig. 5 gibt typische Beispiele fü r Zinksulfid und Zinnolber.

Es ist nicht notwendig, den K ristall auf seiner ganzen Länge zwischen den Elektroden zu be­

strahlen. Es genügt (B ig. 6) die Belichtung einer Teilstrecke b. — Es ist gleichgültig, ob sich diese Teilstrecke in der M itte oder in der Nähe einer der Elektroden befindet. W eiter setzt sich der lichtelektrische Prim ärstrom additiv aus den Beiträgen zusammen, die die einzelnen .Streifen b liefern. Es ist daher audh gleichgültig, ob man eine gegebene Lichtenergie gleichmäßig über die ganze Kristallbreite verteilt oder (auf einen oder mehrere schmale Streifen b beschränkt. Die Ähn­

lichkeit zu den klaren einfachen Verhältnissen der unselbständigen Gasentladung mit Volum ioni­

sation geht außerordentlich weit. Doch bleibt eine Abweichung, die auf einen Unterschied im M e­

chanismus beider Vorgänge hinweist: Im licht­

elektrisch leitenden K ristall g ilt die Proportiona­

lität des Primärstromes mit d er wirkenden Licht- energie für alle Spannungen, während sie bei der unselbständigen Gasentladung nur oberhalb der Sättigungsspannung erfü llt ist.

Der Mechanismus des Primärstromes besteht in einer Abspaltung und Abwanderung negativer Träger, und zwar höchstwahrscheinlich voin Elek­

tronen. Das zeigt die Tatsache, daß die belich- ZinnoberJL Basis

/Jbsorbier'e Lichtknergie

=3

= 1

orbierfe Lichm/■nerqie

1000 ZOOO 3000 woo Feld stürke in Volt/cm

Zink.;>u/fid

ltenerq/

0 2000 UOOO 6000 8000 10000 12000 11000 Fe/dstärke in \/o/t/cm

Fig. 5. D ie beiden Schaubilder zeigen fiür Zinnober und Zinkblende d ie P ro p ortion alität zwischen licht- elektrischem Sättigungsstrom und' absorbierter Lich t­

energie. Sie zeigen weiter, w ie d ie Sättigu ng im Zinnober m it hohem optischen Brechungisindex (n ~ 2,9) bei kleineren Feldstärken erreicht w ird als

im Zink m it n ~ 2.3.

teten K ristallteile eine positive Raumladung an­

nehmen. Man beweist das am einfachsten in einer Anordnung, w ie sie F ig . 7 zeigt. D ie positive Raumladung w irkt influenzierend auf eine mit dem Elektrometer verbundene Sonde.

NaCh Klarstellung dieser Tatsachen ergaben sich 2 weitere Fragestellungen: 1. Welche Be­

dingungen bestimmen die Abspaltung der Träger?

2. W ie erfolgt die W eiterleitung der Träger durch den isolierenden K ristall? D ie erste Frage hängt aufs innigste mit dem Problem der Lichtabsorption und Dispersion izusammen, die zweite mit dem der elektrischen Leitung im festem Körper. Die zweite Frage haben w ir bisher vö llig zurück­

gestellt. W ir können noch nicht einmal sicher angeben, ob die den isolierenden K rista ll durch­

wandernden Elektronen an der Grenzfläche in die Anode eiintreten, ob und w ie seitens der Kathode eine Nachlieferung erfolgt, und ähnliches mehr.

W ir haben unser Augenmerk zunächst auf die erste Frage, auf den Vorgang der Abspaltung, gerichtet und deren Zusammenhang mit optischen Daten zu erm itteln versucht.

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