M. Jahrg. «« Berlin,denZ.März1906. Alt-.22.
Herausgehen
Maximilian Larven.
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Keickngmanxreform. Von sichert giesst-any ...·..........328
Dielekkikktxr Psychvle. VonRekupard von Fische-g ..........336
ZünfBrief- ..............................342
Theater. VojjY.H............·..............346
Nachdruck verboten.
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Erscheint jedenSonnabend.
Preisvierteljährlkch5Mark,dieeinzeer Nummer 50Pf.
lBkIliUo Verlag der Zukunft.
Friedrichstraße10.
1906.
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Berlin, den März 1906.
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BchgingdurchdenHofnachdemwohlgebautenHause;unddaichdievor-—-
» ITliegendeTreppehinaufgestiegenwar undindieThiirtrat,fielmir das reizendsteSchauspielindieAugen,dasichjegesehenhabe. JndemVorsaal wimmeltensechsKindervon elfzuzweiJahrenumeinMädchenvonschöner Gestalt,mittlererGröße,dieeinsimplesweißesKleidmitblaßrothenSchleifen anArmundBrustanhatte.SiehielteinschwarzesBrotundschnittihren Kleinenrings herum jedemseinStücknachProportion ihresAlters undAppe- titsab,gabsjedemmitsolcherFreundlichkeitundjedesrufte soungekünstelt sein,Danke!cindemesmit den kleinenHändchenlangeindieHöhegereicht hatte, eheesnoch abgeschnittenwar, undnun mitseinemAbendbrotvergniigt entwederwegsprangoder,nachseinemstillerenCharakter,gelassendavonging, nachdemHofthorzu,umdieFremdenunddieKutschezusehen,darinnen ihre Lottewegfahrensollte.JchbitteumVergebung,sagtesie,daßichSieherein- bemiiheund dieFrauenzimmerwartenlasse.Ueber demAnziehenundaller- leiBestellungenfürsHausinmeinerAbwesenheithabe ichvergessen,meinen Kindern ihrVesperstiickzugeben,undsiewollenvonNiemandem ihrBrot geschnittenhabenalsvonmir.«DieseSätzeschrieb,amsechzehntenJunius 1771,derjunge WertheranseinenFreund Wilhelm. HundeitJahre danach schlossendiedeutschenFürsten »einenewigenBundzumSchutzdesBundes- gebietesunddesinnerhalb diesesGebietesgiltigenRechtes,sowiezurPflege derWohlfahrtdesdeutschenVolkes«·DerBund erhieltdenNamenDeutsches Reich;undin der Urkunde seiner Verfassung,andie Volk undFürstenge- bundenwurden,liestman nochheute:»DieReichsgesetzgebungwirdausge- übtdurchdenBundesrathunddenReichstag.DieUebereinstimmungder
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MehrheitbeschlüssebeiderVersammlungenistzu einemReichsgesetzerforder- lichundausreichend.DerReichstaggehtausallgemeinenunddirektenWah- lenmitgeheimerAbstimmunghervor.«Jedemmündigen,nichtdurchGerichts- spruchbescholtenenDeutschenwarddamals alsodasRechtzuerkannt,ander Reichsgesetzgebungmitzuwirken;und diesoentstandenenGesetzehatder Bun- despräsident,der denTitelDeutscher Kaiserträgt,auszusertigenund zuver- künden. NunsindwiederfünfunddreißigJahre verstrichen:undjetzthatder KanzlerdesDeutschenReichesinöffentlicherRedesichLottenverglichen,dem MädchenvonschönerGestalt,dasdiehungerndenKinderumdrängen,und diesenKindern dieSchaardeutscherBürger.NurvonihmwollensieBrot;und kein Andererdarf ihnendasVesperstückvomschwarzenRoggenlaibschneiden.
WennderBerichtüberdieseRedeausRuszlandgekommenwäre,hätte einHohngelächtergeantwortet.So weithabendieMoskowiteresmitihrer glorreichenRevolution «nungebracht.Dafür hatman gekämpft,sind unzähl- bareMenschenopfergefallen.EinMinistersteht aufundvergleichtdie Bür- ger, dienächstenszurDumawahlschreitensollen,elf-biszweijährigenKin- dern,deren ,,Rotznäschen«denjungen Werther nichtvomKußabschrecktzver-—- gleichtsichselbstderErnährerindiesesGewimmels, ohnederensorgliches WaltenderSchwarmverhungernwürde·Nett, daßGrafWitte(oderDur- nowo)unserenGoethekennt. Wer aberistin demniedlichenVergleichdenn derPapa,dernachLottensAbfahrterstvomSpazirrittnachHauskommt und dessenArbeitdochwohldas BrotinsHausgeschaffthat?EtwaNikolaiAlex- androwitsch,derunsichtbareZar?Der,dünktuns,hatverdammt wenigzur MehrungdesVolkswohlstandesgethan.Demkönnteman nachrechnen,wie ofterdierussischeMenschheitauf ihrem Gangegehemmt,inihremStreben geschädigthat.Undhätteerhundertmal besserregirt: darf irgendeinHerr- schendersichheute nochdenErnährerdesVolkes nennen? Darfsgar ein Mi- nister,derimVolksdienststehtundseinLospreisenmag,wenn ihm vergönnt ist,der E« onentwichtigerVolkswünschezu werden? Drüben,hättemange- sagt, giltnochimmeralso dasGlaubensbekenntnißdesAbsolutismus. Hätte gegen dasGoethecitatvielleichtSchillerangerufen:»Fürdespotischregirte Staaten istkeineRettungals in demUntergang.«OderMontesquieu:ll n’ya pointdepluscruelle tyrannieque celloque l’0nexerceå Pom- bredesloisetavec lescouleurs de la«justice.OderJunius: »DerKönig undseineLordssindnichtdieBesitzer,sonderndieBevollmächtigtendes Staates. DasErbgut gehörtunsundsiedürfeneswederveräußernnochver- geuden.«OderMacaulay: ,,KlugeTyrannen haben sichstetsbemüht,ihrem gewaltthätigetiHandeln populäreFormenzugeben.«OderEinenvon48.
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DochdieRedeistinBerlin gehaltenwordenundderDeutschehatkaum nochLust,andie KritiklandsmännischerMinisterreden seineZeitzuver- schwenden.DasUnwahrscheinlichsteistdalängstjaEreignißgeworden.Wir stehenvorderGefahreinesWirthschaftkriegesmit denVereinigtenStaaten, derenStolz deutscheSchmeichelredennochüber dieKrafthinaus gesteigert haben.DerpreußischeHandelsministererhebtsichundspricht:Wirsind auf dieamerikanischeUnionangewiesen,dennwir könnenohneihreBaumwolle undihrKupfer nichtleben. Die Rede wird imReichstag»höchstunpassend«
genannt,wirdvonein paarAufrechtenhartgetadelt.Niemand aberfordert, daßeinMinister sofortentamtet werde,dernichteinAedercheneinesPoli- tikershatundnichteinzusehenvermag,welchesUnheilerstiftet,wenn erüber denOzean schreit:WirsindmachtlosgegenEuch,sindohneEureProdukte verlorenunthr könnt unsnachWillkürdeshalbdieBedingungenkünftigen Wirthschaftverkehresvorschreiben!Niemand. Wozu auch? Daß dieserMi- nisterdemPflichtenkreisseinesAmtessofremd istwieeinHusarenlieutenant derAufgabe,dieEffektenabtheilungeinerGroßbankzuleiten, weißJeder, wußtederUnseligeselbst,alsersichgezwungenwähnte,dasAbenteuersolcher Ministerschaftzuwagen. Wir könnenihn nichtwegbringen(wirklichnicht?), also dürfenwirihn auchnicht ärgern,sondernmüssenversuchen,ihnfürun- serInteressezuködern,undhoffen,daßersichnachundnacheinarbeitenwird.
Und derKanzler?Woistdenneinbesserer,einer,der mit demKaiserbehag- licherauskäme?DerVergleichmitLotte war ja nicht klug. Schließlichwars abernur eineRede;undbei unswirdheutzutagesovielgeredet,daß verstän- digeLeutesichschonlangeabgewöhnthaben,darauf nochzuhören.
DasistdieAnsichtdesruhigenBürgers,d»erseinemGewerbenachgeht undjedenMorgenGottdankt, daßernichtfürsReichzusorgenbraucht.Einiges aberließesichvielleichtdochdagegensagen.Wenn dasVolknichtdieKraft hat,sichtüchtigeMinisterzuschaffenunduntüchtigezubeseitigen,dann ist Alles,wasinParlamentenundPressegetriebenwird,unersprießlichesGecken- spiel.WennunterdeutschenStaatsmännern undDiplomatenkeinstärkerer zufinden istals derfürdasdeutsch-amerikanischeHandelsprovisoriumund dieKonferenzoperetteverantwortliche,dannmögenBalkankönigeüberunsere Armsäligkeitlächeln.WenndieserMann aber,in einernichtimprovisirten, sondernbeiderLampe vorbereitetenRede,behauptet,erund die mit undunter ihmRegirendenschafftendemVolkeBrot,erwerdevon dennachNahrung gierigenKlassenumdrä"ngt,dienur von seiner Hand ihren Hungergestillt wünschen,dannmuß ihm lautgeantwortetwerdenObersichnichtüberseinen Liebreiztäuscht,obAlle,obauchnur Vieleihnim BildedesMädchensvon
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schönerGestaltwiedererkennen würden,magzweifelhaftbleiben.Dochganz sichertäuschtersichüberUmsangundBegrenzungder«ihm zugewiesenenAuf- gaben.Erhat nicht mitKindernzu thun, sondernmiterwachsenenMenschen, miteinemVolk,dassichdieVolljährigengebührendenRechteinschweren Kämpfenerstritten hat.NichtvonihmundnichtvonseinenLeuten erwartet die NationBrot;auchnicht,daßdiesedurchlauchtigenundexcellentenHerren jenachAlter undAppetit dieSchnitten abmessenundvertheilen.Sieistschon sehrzufrieden,wenn dieRegirsendensienicht hindern, sichselbstihrBrot zu erwerben. Dasgilt sogarvondenZeiten starkernndklugerRegirung.Bis- marcksGeniehätteeinem mindertüchtigenVolknichtvielzu wirkenvermocht; daßes gegen eine WeltvonWiderständensein Planen so schnelldurchsetzen konnte,dankte es dernationalen Leistung,derGemüthskraft,demtrotzigen Muth,derzähenBeharrlichkeitdesIndustriellenundHändlers,desGelehrten undArbeiters. Dankteesihraufrichtig. HateinRegirenderinRheinland, Westsalen, SchlesiendieBodenschätzegehoben,dieDeutschlandreichgemacht haben,denBundzwischenLaboratorium undFabrikgeschlossen,durchden dieMachtstellungdeutscherIndustriemöglichwurde,dieHandelsstädtezur BlüthegebrachtunddieWegeausgekundschastet,aufdenendasProduktdeut- schenFleißesin derFremdeAbsatzsuchenkonnte? SeinhöchsterRuhmes- titelwar erreicht,wenn man ihm nachsagte,erhabe fürdieBorbedingungen solchenWagnissesgesorgt.Undheute? Hörtman nichtvonallenSeiten,von ernsten,derRegirungnur allzu willfährigergebenenMännern überdieHin- dernisseklagen,die dasunsteteSchaltender,,Maßgebenden«ihnenbereitet?
Gewißwar esnöthig,dieLandwirthschaft(die nicht,wie derKanzler meint, das»Sorgenkind«,sonderndie AmmedesStaates ist)dasLeben zuerleich- tern.Alsman sichaber in denneunzigerJahrenskrupelloszu derFirthschafb
politikdesCaprivismusentschloß,nährteman Exporthoffnungen«,die nun, da dieRichtungdesWegesgeändertwird,schlimmenttäuschtwerden können.Hat derKanzler,derdieKonsequenzenzwölfjährigerWirthschaftgestaltungnicht sah,etwaDenendasVesperstückgeschnitten,dieschonjetztnichtmehrwissen, wosieimnächstenJahr ihreWaarelohnendverwerthensollen?JsterDenen VorsehungundNothhelfer,dieseitbald einemJahrallihre Berechnungen vereiteltsehen,weilerin der internationalen Politikso unglücklichwar,daß zumerstenMalwiederdieFurchtvoreinemeuropäischenKriegauskam,zum erstenMal dieFrageerörtertwurde,ob einer Koalition einstgelingenkönne, DeutschlandeinenbeträchtlichenTheilderWeltmärkte zusperren?Jn diesem Jahr ist,nur durchdieAngstvorpolitischenKonflikten,mehrdeutschesKa- pitalverlorenworden,als derHandelmit MarokkoinMenschenalternein-
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bringenkönnte;derHandelalso,zudessenSchutzderHader,wiemanunssagt,be- gonnen wurde. Und insolcherZeit stelltderKanzlersichhinundsprichtlächelnd:
Jch weißja, Jhr Kindlein, daßJhrvonmir EureBrotschnitteerwartet,die Elf-unddieZweijährigensienurausmeinerHandnehmenwollen;undEuer Erwarten wird nichtgetäuscht.Nach ProportiondesAltersundAppetitsbe'- kommtjedesWürmchenundjederSchlingelseinStück.GanzwiebeiGoethe.
GoethesLottehat sichzumTanzvergnügengeputztundmußsichmit derFütterungbeeilen;dennvor demHauswartet schondieKutsche,diesie zumFestbringensoll.Dawäre einVergleichalsomöglich;nur da.Von dem KanzlerdesDeutschenReicheswird wederverlangt, daßerdenBürgernBrot schaffe,nochauchnur,daßersnachseinemErmessenuntersievertheile.Mitsol- chen Sorgen brauchtersichdenKopfnichtzubelasten.DringendereArbeitruft ihn.Erhatdafüreinzustehen,daßseineGehilsennichtohneseinenRathund seineZustimmungausgewähltwerdenundderrechteMann an dierechte Stellekommt Daß über,neben oder unterihm nichteinePolitik getrieben wird,dieerseufzendhinnimmtundoffiziellvertritt,weilernurdurchsolche ResignationseinAmtbewahrenkann·Daß nichtdurchgutgemeinte,aber unvorsichtigeReden derVerdachtbewirktwird,Deutschlandstrebenachder denNachbarnunerträglichenWeltrichterrolle. Daß nichtsgeschieht,wasdie emsigeArbeitdesdeutschenVolkeserschweren,undAlles,wassieerleichtern, ihrdieErtragsknöglichkeitmehrenkann.WennerdiesePflichten erfüllt,hat ergenuggethan undjederbilligDenkendewirdihnloben.DieLeistungeines PädagogenundFuttermeisterswirdvonihm nicht gefordert.DerDeutsche hatselbst,wiesein Dichter sang,sichdenWerthgeschaffenundmußnunbit- ten, auch inZierreden ihn nichtalseinZipfelkindzubehandeln,dem dasRotz- nåschengesäubertundmit einerBrotschnittedasMäulchengestopftwird.
Jn Oesterreich,inRußlandsogarmußtendieVormünder sichentschließen, ihrePsleglingefürgroßjährigzu erklären undihneneinenTheildesRechtes zufreierSelbstbestimmungeinzuräumenUndwirsollten,imJahrhundert- schattendesTagesvonJena,unskindischnacheiner Lottesehnen?
Lotte,schriebmir einWinzer,nenntunsereWeinbauersprachedenLang- trieb,der in denBlattachsendieGeizenerzeugt, die,weilsiedemHaupt- stammdieNahrung entziehen,ohneselbstFrüchtezutragen, entfernt werden;
wirsagendann: DerWeinstockwirdgegeizt.Undwir,dievonGoetheund Werther nichtsehrvielwissen,sind schonrechtfroh,wenn dieRegirunguns nichtansolcheLotteerinnert,die unter ihrenRankenundzweizeiligenLaub- blätternrechtstattlichaussieht,abernochkeinesMenschenArbeitgeförderthat.
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Reichsfinanzreform
WieReformderReichsfinanzen istinderwissenschaftlichenLiteratur und inderPresse schon so ofterörtertworden,daßNeueskaummehrdar- über zusagen ist. JnderErkenntnißihrer NothwendigkeitstimmenalleSach- verständigenüberein;kaumzweiaberkönnensichüberdie ArtderDurch- führungeinigen.DieNothwendigkeit ergiebt sich,wennman dieEntwickelung derEinnahmenundAusgabenimDeutschenReich vergleicht. Immer weniger genügtendieordentlichenEinnahmenzurDeckungderAusgaben,immermehr mußtedasReichandereDeckungmittelheranziehen.Alssolchekamenzunächst dieMatrikularbeiträgein Betracht.DieEinzelstaatenhattennach Artikel7() derVerfassung, »so lange Reichssteuern nicht eingeführtsind«, füralleAus- gabenaufzukommen,dienichtaus demErtragderZölle,dergemeinschaft- lichenVerbrauchssteuernundderausdemPost-undTelegraphenwefenfließenden Einnahmen gedecktwerden können. Diese Verhältnissehabenmitdazubei- getragen,dieVerbündetenRegirungenzueinerReformzudrängen.Denn einegeordneteFinanzverwaltungderEinzelstaatenwurde durchdiejährlich stark wechselndenAnforderungendesReiches für Matrikularbeiträgeunddurch dieUnsicherheitdarüber, wiesichBeitragsforderungenundUeberweifungendes Reicheszueinander verhaltenwürden,außerordentlicherschwert.Daswäre noch fühlbarergeworden,wenn wirklichdie ganzeDifferenz zwischenAusgaben und EinnahmendesReichesvon denEinzelstaaten durch Matrikularbeiträge aufzubringen gewesenwäre. ThatsächlichaberpflegtedieReichssinanzverwal- tung seit längerer ZeiteinengroßenTheilderjährlichenAusgabendurch An- leihenzudecken. Siegingdabeinicht seltenüber dasnachdenGrundsätzen gesunder Finanzwirthschafterlaubte Maß hinaus, wonach ordentlichewieder- kehrende Ausgaben auch durch regelmäßigeEinnahmenzu deckensind.Nicht
nur zurDeckungeineseinmaligen außerordentlichenBedarfeswurden An- leihen aufgenommen, sondern vielfach auchzurBestreitungvon Ausgaben,die alsjährlichwiederkehrendangesehenwerdenmußten,wiegewisseAusgabender Heeres-und Marineverwaltung.Durch diese Finanzpolitikwurden zwardie Einzelstaatenvon derMatrikularbeitragspflichtetwas entlastet,dieReichs- schuldstiegaber,namentlich seitEndederneunziger Jahre, ungemeinschnell (fie beträgtheute ungefähr 379Milliarden Mark)und damitnatürlichauch dasZinsenerforderniß,so daß jetztetwa113Millionen Markalleinfür Zinsen alljährlichaufzubringen sind.
DasReichwar,wieschon angedeutet,indiese ungünstigeFinanzlage gekommen,weildergewaltigen Vermehrung seiner Ausgaben, namentlich für Heeres-, Flotten-undKolonialzwecke,nichteineausreichendeVermehrungder Einnahmen entsprach.DieEinnahmequellendesReiches,dieZölle,diegroßen
Reichsfinanzresorm. 329 Verbrauchssteuern auf Salz,Zucker, Tabak,Branntwein undBier,dieEr- werbseinkünfteausPost, Eisenbahnen, Bankwesenu.s.w.sind nämlich so beschaffen,daßman sienichtohne Weiteres erhöhenund demwachsendenBe- darf anpassenkann. DemSteuersystemdesReiches fehlt alsoeinbewegliches Element,eineGruppevon Steuern,diebeiwachsendenAnforderungen erhöht werden können unddann reichereErträge abwerfen.DieindirektenSteuern, zudenen diegroßenVerbrauchssteuernauf wichtigeGenußmittelgehören,sind für diesen Zwecknicht brauchbar,denneinerErhöhungdesSteuersatzes folgt hierunter UmständeneineVerminderungdesKonsums,die derErhöhungder Steuererträgeentgegenwirkt. Auch belasten dieseSteuern stetsdieärmeren, minder leistungfähigenKlassenrelativ stärkerals diereicherenundsteuerkräf- tigeren.sDieZölleaberwaren undsind durch HandelsverträgefestgelegtSie sindüberhauptzueinemgroßen Theil nichtinersterLiniealsEinnahme- quelle gedacht.Das gilt noch mehrvon denerwerbswirthschastlichenEin- künftendesReiches.Schon lange vernehmenwirdeshalbdieForderung, man mögedemEinnahmesystemdesReicheseinbeweglichesElement hinzu- fügen,einSteuer,derenSätzeman beisteigendemBedarf erhöhenkann,ohne daß sichdieerwähntenNachtheilederVerbrauchssteuern ergeben.Einsolches beweglichesElement sindnun diedirekten Steuern, ist namentlich ihre wich-·
tigste Form, dieallgemeine Einkommensteuer.Das Verlangen nacheiner Reichseinkommensteuerist daheralt. DieEinführungdirekterReichssteuern wäreauch nichtnur erwünscht,sondern sogareinGebotgerechterSteuerver- theilung,wenn dasReich dieeinzige SteuerhoheitinderdeutschenVolks- wirthschaftwäre. Aberdasind nochdieEinzelstaaten,die ältereRechtean diedeutschenSteuerzahler haben.Die direktenSteuern bilden die Grund- lageihres Steuersystems;nach undnachwurden in denEinzelstaatendie Er- tragssteuern durchdieallgemeineEinkommensteuerund einedas fundirteEin- kommenstärkerbelastende Vermögenssteuerersetzt
Nunwar derBedarfdesReichesursprünglichgering. Manwolltees auchgarnichtfinanziell selbständigmachen;dieMatrikularbeiträge,die,nach derVerfassung,dieBundesstaatenzuleisten hatten, sollten für sieein Mittel sein,dasReichfinanziellinAbhängigkeitzuhalten. AuchdemReichstagwar dieser Zustand erwünscht,weildieBedeutung seines Einnahmebewilligung- rechtes sich verringert hätte,wenn demReichvonvorn herein bestimmteSteuern zurVerfügunggestanden hätten.Alsdaher1879,nachdemUebergangzum SchutzzollsystemundderErweiterungderallgemeinenVerbrauchssteuern,eine starke VermehrungderEinkünfteaus diesenQuellen zuerwarten war,wurde durch diesogenannte FrankensteinsKlausel(§7desZollgesetzesvom neunten Juli1879) bestimmt, daßvon demErtragderZölleundderTabaksteuern
nur 130Millionen MarkjährlichandasReichfallen, dieUeberschüsse,nebst
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denErträgenderReichsstempelabgabenundderBranntweinsteuer,denEinzel- staaten nach MaßgabederBevölkerung,mitdersieauch zu den Mat.rikular- beiträgenherangezogenwerden,zufließensollten.SosindaufdereinenSeite Ueberweisungenvom ReichandieEinzelstaaten, aufderanderenMatrikular- beiträgederEinzelstaatenandas ReicheineständigeEinrichtunggeworden DieHöhebeiderZuwendungen hat sehr gewechselt.Wieungünstigdieses System aufdieFinanzwirthschastderEinzelstaaten gewirkt hat, ist bekannt;unbe- stritten auchdieThatsache,daßdieVertheilung nachderKopfzahl ungerecht ist.DasSystemderMatrikularbeiträgeundUeberweisungenhatdanndurch dieLegesLieber von 1896und 1900und durchdie »kleineReichsfinanz- reform«desFreiherrnvonStengel1904mehrfacheWandlungenerfahren. Jeder Versuch,dieMatrikularbeiträgeabzuschaffen, istabergescheitertundmußte, aus denangeführtenGründen, scheitern-
DaßdasReich bisherin der direktenBesteuerung nichtnebendieEinzel- staaten getreten ist,sondern sichdarauf beschränkthat,nebendenZöllen wenig- stenseinenTheildergroßenVerbrauchssteuernfür sichinAnspruchzunehmen undeinheitlichzuorganisiren, ist auch finanztheoretischwohlbegründet.Denn fürdiegroßenVerbrauchssteuernwareineeinheitlicheGestaltung fürdasganze Reichsgebiet besonders erwünscht. Auch heute hältdiefinanzwirthschaftliche TheorieimAllgemeinen fürdasbeste Verhältniß eins,dasdemReichdie in- direktenSteuern unddieZölle,denEinzelstaatendiedirekten Steuern als Einnahmequelle zuweist.Dasistin derPraxisabernichtganzzuerreichen, dennauchindenEinzelstaatengelten nochverschiedeneVerbrauchssteuernund bei demwachsendenBedarfdesReiches müßtedieBevölkerungschließlichallzu schwermit indirekten Steuern belastetwerden. Da dieseaber dieärmeren Klassenrelativ stärkertreffen, ergiebtdieBeschränkungdesReiches aufVer- brauchssteuernein inhohemGrade unsoziales Steuersystem.Dieschonin einemEinheitstaat schwierigeAusgabe,direkteund indirekteSteuern somit einander zu verbinden,daßdieGesammtbelastungdereinzelnen Personenden GrundsätzenderGerechtigkeitentspricht,istimDeutschenReich,wozweiknot- dinirte StaatsgewaltensichüberihreSteuerrechtc einigen müssen,natürlich nochweniger leichtzubewältigen.
AlldieseGründezwangen dieReichsverwaltung, jetzt,wo essichum eineVermehrungderEinnahmen handelt, sich nichtmit einerbloßenErhöhung derschon vorhandenenSteuern zubegnügen, sondern auchneue zusuchen.
Siewählte zunächstdieErbschaftsteuer,derenStellungimSteuersystembe- stritten ist.
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VonManchenwirdsiealseinedirekte Steuer aufgefaßtundder Einkommen- undVermögenssteuerangegliedertz richtiger bezeichnetman sie wohlalsVerkehrssteuer,weilsieimAugenblickdesBesitzübergangeserhoben wird. ImmerhinergiebtsicheinesehrengeBeziehungzurEinkommen- und
Reichsfinanzreform. 331 Vermögenssteuer,dadieallgemeineErbschaftsteuerdasbesteMittel ist,die richtige VersteuerungdesEinkommens undVermögensnachträglichzukon- troliren. DaswirdbeidergeplantenSteuer auchmöglichbleiben;dennden Einzelstaaten,diedieseSteuer erheben, ist nicht verwehrt, Zuschlägezuden SätzendesEntwurfes einzuführenunddie Steuer auch aufAbkömmlingeund Ehegatten,diederEntwurffreiläßt, auszudehnen Ueberhauptwird diese Steuer gewissermaßennur subsidiärfürdasReichinAnspruchgenommen.
Siesolldas beweglicheMoment imSteuersystem schaffenund andasReich sollnur der Theil ihres Ertrages fallen,derzurDeckungdes ordentlichen Ausgabenbedarfes nöthig ist,wenn dieanderen Einnahmequellen nichtaus- reichen.DeneinzelnenBundesstaaten mußabermindestenseinDrittel ihrer RoheinnahmenanErbschaftsteuerbleiben. DasGesetzsoll72Millionen Mark einbringen,wovon dieEinzelstaaten also mindestens24behalten.Durch die HeranziehungderAbkömmlingeundEhegattenwürde derErtragummindestens 30bis40Millionen gesteigertwerden. DaßderReichstag, stattanderer Steuern,diese Heranziehung beschließt,ist noch möglich.DemUmstand,daß dieLandwirthschastdurchErbschaststeuern verhältnißmäßigstärker betroffen wirdalsdermobileKapitalbesitz,mußdannRechnung getragenwerden, wie derEntwurfesauch beimAnsalleinesland-undforstwirthschaftlichenGrund- stückesanEltern undGeschwisterschonthut. Jedenfalls istdieErbschaft- steuer,wenn die indirekten Steuern nichtgenügen,zurVermehrungderReichs- einnahmen besonders geeignet,weilsiebishervon denmeistenEinzelstaaten (undgerade dengrößten)überGebühr vernachlässigtworden ist. Ihram NächstenstehtdieWehrsteuer,dievon derRegirungleidernichtinihr Pro- gramm aufgenommenworden ist.DaßeinesolcheAbgabe ungerecht sei,kann man gewißnicht behaupten;dennsie istnur von Denen zuleisten,dievon denAufwendungen fürdenMilitärdienstbefreit sind.DieRegirung hat wohl dieSchwierigkeitderDurchführunggescheut;diese Schwierigkeit ist,wiedas Beispiel OesterreichsundderSchweiz zeigt,abernichtunüberwindlich.
DieReichsverwaltung hataberauchaufeineErhöhungderschonbe- stehendenindiretten Steuern nichtganzverzichtet.DieBiersteuer soll64Mil- lionenmehralsbisher bringen. JndemSystemderGetränkesteuernkämpfen technischeundpraktischeErwägungenwidereinander. Eigentlichsolltevonden alkoholischenGetränkendasBier,dasanAlkohol ärmste,billigsteundnahr- hasteste,dieniedrigste,der Wein,dermehr Alkohol enthältundsicheherdem Luxusbedarf nähert,einehöhere,derschädlicheBranntwein aberdiehöchste Steuer tragen. Jm InteressederLandwirthschaftwirdbei uns,imVergleich mitvielenanderen Staaten, derBranntwein aber relativ niedrig besteuert DerWein istinPreußen,demHessen,derNothgehorchend,folgen mußte, imInteressedervielen kleinenWinzer überhauptsteuerfrei. Berhältnißmäßig
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