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Die Zukunft, 28. September, Bd. 36.

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Academic year: 2022

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Berlin, den 28. September 1901.

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Moritzund- Rina.

Kressin,ameinundzwanzigstenSeptember.

Monsieur mon frei-ei .

Wang,lang ists her.DaerzähltestDuder damalsnochnicht verstoßenen F- Schwester,einRusfenkaiser,derNikolaus hieß,habedemHerrnLouis Napoleon,zweifelhaftenUrsprunges,die Anredeverweigert,mit derichEuer HochgeborennacheinerAnstandspause soebenbegrüßte;unddaraus seiein ziemlichbösartigerKrieg entstanden.Lang ists her.Unddie Weltist seit- demnur noch verdrehtergeworden.OderwiedenkstDuüber dieJntimität desneustenNikolaus mitHerrnLoubetnebst FrauGemahlin (so schreiben dieBürgerlichen,wenn sie furchtbar vornehm sein wollen)? Docheinfach, umaufdieAkazienzu klettern. Dabeikannman nichtmalsagen, daßdiese Leutesichtaktlos benehmenz Adolf,derdieletzte Scham abgelegt hat undseitJulidasröthesteallerrothenBlätterhält(zumGlückläßters wenigstensim Couvert schicken),empfiehlt sie natürlichallenGekrönten alsMuster klugerBescheidenheit.Auf dieseLästerbrückekriegtermichnicht;

wenn dieBeschreibungaberrichtigwar, müssendie Toiletten derMa- damePräsidentin wirklich geschmackvollgewesensein. Früher hättestDu«

mirbeisolchemAnlaß sowas wie denFigaro geschickt. Jetzt hastDu für michaltesMöbel keineZeit. Schön. Jch habemirfestvorgenom- men,mich nicht mehrzuAnklagenherabzulassen.UnddabeiwarstDu in Danzigundhast,alsLandwehrkavallerist,Herrenhäusler,Exdiplomatund

Ritterp. p.,sicherAllerleigesehen,gehört, gerochen. Leugae nicht:Du 37

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506 DieZukunft.

warstdort!Kuno,dernur nochin Marineausdrückenredet,sah Dich auf demzoppoter SeesteganderSteuerbordseite vorüberschlingern;konnte in der Eilenicht feststellen,ob Du einercitronengelbenPolackinnachstiegstoderauf andereKüstenjagdgingst. Einerlei; ich gönne jedemThierchen sein Plaifir- chenundwünschtenur, LotteachteteaufEureGeschichtenso wenigwieich.

AberdaßDu dreiSchrittvom Pommerland warstund nichtzuuns kamst, isteineLeistung. Schriebst auch nichteineSterbenssilbe.Keine Zeit; selbstverständlich;hattest wohlmitdemChinesenprinzenSechsund- sechzigzuspielen. Was liegt daran, obichmir denKopfzerbreche?

Zwölf aufs Dutzend, sagstDuund hüllst DichinSchweigen. Mein altesPreußenherz(lächlenicht, Weltmann;dieDoppelplonibeobenlinks ist nichtkleidsam!)warso froh,alsich las,dasVerhältnißzuRußland sei

«jetztherzlicheralsseitJahren.Daskonntedochnicht erlogen sein«Na,nun

«

habenwirdieBescherung.Beiunswirdimmerzu von FreundundFreund- schaft geredet; unddrüben...EssiehtschonwieAbsichtaus. Unsden Pflichttheil,denFranzoseneineRiesenbonbonniierevollSüßigkeit.sKund war ja entzückt.ErhatteamTagderFlottenparadedie beidenKaiser auf der Kommandobrücke der,,Hohenzollern«inlebhaftem Gesprächgesehen, ganznah, geradein demAugenblick,woderRusse unseremHerrneine Ci- garetteanbot. Aber Kund kannichalsPolitikernicht so ernst nehmenwie alsBowlenmacher. Vielleicht wüßteich,was losist,wenn ich selbstden KatzensprungüberPasewalk gemachthätte.Docherstens istMarine nicht meinfaiblezzukomplizirterKramund dasTorpcdogetute fälltmiraufdie Nerven.UndzweitenswäreAdolf bestimmtanmeinerSeitealsAnarchist verhaftetworden. Duahnst nicht, welcheRedensarten DerjetztimMunde führt. DiesenüberausvortrefflichenGattendankeichDeinemgütigenRath.

Und Duschweigst. Jch nehmeDirs nichtübel;willDich auchgarnicht provoziren. NichtimGeringsten. Muß michebenalleinzurechtfinden.Nj fråreni mal-i.Geht auch so.NurbildeDirnicht ein, daß ichDeinesGe- burtstageswegen wiedersiebenStunden ausderLandstraßeliege. Auch nichtzuWeihnachten.DeinDeputat istDirsicher.UndmeinAnblick wird Dirnicht fehlen. EchauffireDich also nicht.

Sagemal:werist eigentlichder»Kerlmit denHhänenaugen«? Du weißtdoch!Derdenarmen Phili so niederträchtigquälensoll. Muß jaein merkwürdigerKundesein; geheimnißvolleAnspielungenauf Duelle, Spio- nage, ehrgeizigePläne. Auchwas Neues, daßdieschmutzigeWäscheder DiplomatenvorversammeltemKriegsvolkeingeseistwird.DeinSchwager

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MoritzundRina. 507

amusirt sichdarüber wie einSchneekönigundmeint,eswerdebaldnoch vielbesserkommen. JnsolchenMomenten fühleichimmer, daßerkeinAlt- preußeist, trotzRothspohn,SchwarzsauerundGichtknoten.WirBeidesinds, Moritz,undsollten deshalbeigentlichzusammenhaltenDumußtS.M.

doch gesehenhaben; hast wahrscheinlichauch dieRedeandenBürgermeister gehört, der,wie derRodensteiner behauptet, nachBerlin soll,wenn die Anderen erst aufgebraucht sind.UndAugustLentzehat endlichdasOrange- bandundschafftsichvorFreudevielleichtzumJubiläumeinen neuenFeder- buschan,uminkognito reisenzu können.Manöver wohlganzverregnet?

Bei uns schwammAlles;unddieAepfel!Wennwir denRegenimJuni gehabthätten,könnten wiranParisdenken.Jhrgehtdoch hin? Entschließest DuDich, umgehendzuschreiben(nichtnurdreifrostigeArtigkeitenaufeiner Herrenhauskarte),dannwillich sehen, was,zumachen ist.Lottenswegen.

DennDubisteinfremderHerr , Deiner zärtlichenSchwester

Rina.

Berlin, umgehend.

GraueRinette,

Dubehandelstmich immer,als wäreichnocheinJünglingim locki- genHaar.Jmmerz auchwennDuDeinMüthchenanmeinenehrwürdigen Plombenkühlst.Dabeidenkeichnoch nichtmalandieSchnödigkeiten,die DudembiederenKunonachfagst.UebersolcheVerdächtigungbinicher- haben, holde Edelfrau.Seit Jahrzehnten abgerüstetzunddaßCitronen- gelbnie meine Couleur war,daßschnurrbärtigeJagellonenlippenmirselbst inrobusteren Tagen geschaffenschienen,vonSündenzuentwöhnen,kann Lottka Dirbestätigen.KamMitwochzurückundsomatt wie dieletzteder über- lebendenFliegen.Madame aberistempört,weilsienochkeinenausführlichen Bericht hat.Undthut,alshätteicharmer LandwehrkrüppelundPensionär dieGabeempfangen, auf,bei undumHeladasGras wachsenzuhören.

Mag fein, daßtrotz denHerbftstürmenwelchesgewachsenist.Jch habe vonHelanichtsalsdasBlinkfeuer gesehen;also auchdenweltgeschichtlichen Moment versäumt,vondemDein marinirter Vetterschwärmt.Warüber- haupt,mitVerlaub, nichtalsReporter dort, sondernvonZufallswegen ; Jagderöffnungin derGegendderwestpreußifchenSchweiz.Unddabenutzte ichdieGelegenheit,mal wiederdurchDanzigzustromern,demLachskurfüsten anderQuellezuhuldigen,derlangsuhrer Husarenftadt—- sowasgabsin

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508 DieZukunft.

Preußennoch nicht ReverenzzuerweisenunddenolivaerWald,meine alteLiebe,aufzusuchen.DerHungertriebmichdannbis inszoppoterSlaven- reichundichwäre zuEuch gekommen,wenn ichnicht gefürchtethätte,mit meinerbösenVerstimmungdenZornderSchwesterunddieSpottluftdes

Schwagerszureizen. -

Jchwar nämlichfurchtbar verstimmt,binsnochimmerundfühlte, alsichebenDeinenScheltbrief las,dieMachtdes verwandten Blutes.An dieherzlichenBeziehungenzuRußland hatte ichniegeglaubt. Nach Allem, was dieChinesengeschichteuns an Affrontbescherthat,wäredazu mehr Naivetätnöthiggewesen,alsichzurVerfügunghabe; kenneauchzuunzwei- deutige AeußerungenpersönlicherAntipathie. Waldersee hatdenAndreas bekommen,weil er,nach einigemZögern,nichts gethan hat,wasdieRuser auchnur vonfern ärgernkonnte. Und der liebeNachbar, desseneisigeZu- rückhaltungnochin der beimAlexandrinerfeft(oderwars wiedereinan- deres?) verlesenen Depeschefast schonkränkendfühlbarwar,hatuns ein paarfreundlicheBlickegegönnt,weilerdadurchdieHandelsvertragsaus- sichtenzubessernhofft. Einziger ZweckderUebung;dieSache stand für dieMoskowiter gut,wenn wiedereinWortfiel wieanno Caprivi: »Was sollderrussischeKaiservon mirdenken?« SonstwäreNikolaus gar nichtgekommen.Daßernichtgernkommt, haterjadeutlichgezeigt.Berlin hater,seiterKaiser ist, überhauptnoch nicht betreten,denBesuchunseres Herrn also nichterwidert.OderbiftDuetwazufrieden,hältstDueineFort- setzungdesVerkehrs auchnurfür möglich,wenneineNachbarin,derDu den erstenBesuchgemachthast, Dir, statt sich innerhalbderAnstandsfriftin Kresfin einzufinden,vorschlägt,JhrsolltetEuch nächstensmalinderKreis- ftadt treffen?Wirhattenuns damit,wie mitso Vielem, nachgeradeab- gefunden.UnddasGerücht,schon jetzt-seien aufderHöhevonHelain Sachen Kornzoll beruhigendeZusicherungengegebenworden,magnur zur Hälftewahr sein.Diesmal abergingmirdie ganzeGeschichtedochwider denStrich.KeinenFuß hatderReußenherrscheraufs westpreußischeLand ge- setzt.Daswar nicht,wieman unsvorschwindeln wollte, vorhervereinbart.

Jn Neufahrwafserwaren, dichtamBahnhof, zwei Landungbrückengebaut, einefürdenDeutschenKaiser,dieanderefürdenZaren.Der aber wolltenicht landen;undalsman sicherwar,daßernichtindieBucht einfahren würde, mußteman wohloderübel die Leinwand mit denFarbenderrussifchenTri- kolorevon demunnützenBrettergerüstreißen.Das nennt man beiuns heutzutageeinenBesuch. FurchtvorAttentaten? Wersglaubt, zahlt’nen

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MoritzundRina; 509

Thaler.SosicherwieeinefranzösischeistamEndeauch einepreußischeHafen- stadtzundbeideWeichseluferwaren, obwohldieKaiserschiffeanderthalb Stunden weitvomLandentfernt lagen,vonSchutzmannschaftUnd Artille- riestreng abgesperrt.Nein:Batjushka hatteeben keineLust;erwolltenicht mehr leistenalsdas leiderUnvermeidliche.Undgleich danachderUeber- schwangderGefühle,womiterFrankreichbeglückt.Damachterschonden zweiten Besuch;undrichtige Besuche nachallenCeremonialregeln. Dahin nimmterdieFraumit. UndumJedendenUnterschied fühlenzulassen, zeigtdersonst soWortkarge sichdortredseligundwirdnicht müde,infroher RührungdenHerzensbundmit derRepublikzupreisen.

Natürlich heller Blödsinn, sichüberirgendwas nochzu wundern.

Dochdenke malfünfzehnJahre zurück.Thurmhochwar dieFreundschaft mitRußlanddaauch nicht.Wennaberdamals Einergesagt hätte,einZar, derBerlinwieeinenSeuchenherdmeide»und,derRoggenzollnoth, nichtdem eigenenTriebegehorchend,demDeutschenKaiser aufderOstseeeinRendez- vousgiebt,werdezweimalzufamiliäremFreundschaftbesuchnach Frank- reich gehenund mit derRepublikeinBündniszschließen,ihr Heer, ihre Flotte feiernund zumRuhmdesGalliergeniusdiezärtlichstenWortesuchen, dann hättemansolchenProphctenmit derNarrenkappegekrönt.Wirhabens inkurzer Zeit wirklichweitgebracht.Undmeinen,wirbrauchtennur den Kopfin den Sand zustecken,umdie Weltüber dieVeränderung unserer Lagezutäuschen.

So. Nunmach Dich nachHerzenslustüber den blamirten Bruder lustig,der immerdenWeisen,denkühlallen WandeldeserischenBetrach- tendenspielenwollte und überUnabänderlichesjetztganzkindischgreintund tobt. HätteichdieSachenurnichtinderNähe gesehen,nichtmiteigenen OhrenvonRussengehört,ihrGossudarkommenichtanLand,weil ersich nichtwiederfestlegen lassenwolle! ErsparemirWeiteres undlernedas Opfer schätzen,dasichbrachte,alsichmeinenfrischenGram-heimwärtstrug.

MitNeuigkeitenkannichhöchstensimPostkartenstildienen;zumehr langts nicht. Tschun,WandanWandmit mir imDanzigerHof, sehrfidel;

mitHurrabegrüßt;daßernunauchnochdenzweithöchstenpreußischenOrden hat, gehörtzumGanzen.Manöoernur insehr beschränktemUmfang mög- lich; furchtbar schwertrotzdemfürLeute undFührer. Lentze1a, wieimmer;

Kavallerie wurdeallerdingsmitprinzlichemElanindenWurstkesselgeführt.

DerSchwarzeAdlergetheilteFreude,weilihn auchderKönigsberger,bei beträchtlichgeringerem Verdienst, hat.DenEinzug sah ich; ziemlich still.

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510 DieZukunft.

Absperrungen übrigens strengerals inPetersburg;langer Polizeiukas Verbot ungefähr Alles, sogar Fahnenschwenken,und der Anblickdes nur für diesevierTage auf eingezäuntemTerrain gebautenBahnhofes ftimmtenicht gerade heiter. Selbst nachHödelundNobiling nahmmans gelinder.DieReden hastDu gelesen. Allgemein fiel auf, daßnirgends derName desMannes genannt wurde,demdieverarmte Handels- stadt denneuen Nimbus dankt: Goßlers.DerBürgermeister-,ein kalter Freikonservativervon anständigemRednertalent, sollin derAusführ- ungfremder Jdeen geschickt,von derUeberfülleeigenerGedanken aber nicht belastet sein. Sehr wahrscheinlich,daßernachBerlinkommt. Ueber- hauptfürsVürgerlichegünstigeKonjunktur.Sind Dieerstzumruere in servitium (AdolfsollimBüchmannnachschlagen)entschlossen,dannsicher um mindestenseinePferdelängejedem Junkervoraus. Der»Kerlmit den Hyänenaugen«?AngeblichbismärckischesWort,dasmirsehr unechtklingt;

ichhabsnievomFürsten gehört.GemeintistderWirklicheGeheimeHolstein, derAusternfreunddesKladderadatsch; ließ,alserdieHintermännerdes Witzblattes suchte,erstHerbertBiscnarck,dannGuidoHenckelfordern,der Walderseeals Sekundanten hatte. EineumständlicheGeschichte,deren Ent- wickelungman abwarten muß.GeduldeDich seinundfreue Dichmitmir, daßAusternfreundundTroubadour nun aneinander gerathen sind.Dem Rundreifebotschasterwill aberwohleinHöhereralsderWirklicheGeheime andenrheumatischenLeib.

Daß PreußensKroneundSzepterinKönigsbergamAltarausge- stelltwordensind,damitihnenanheiliger-Stätteneuer Segen werde, weißt Dunatürlich;hast gewißauchmit EuremPfarrerdarübergesprochen,der ja nochzudenAltlutherischenzählt.Neuaberwird Dir sein undna- mentlich Adolf interessiren—, daßhierimWintergarten (wowirdamals denBarrisons entliesen)jetztallabendlichderZugzusehenist,der demLeib derKaiserin FriedrichdasletzteGeleitgab. Nach kinematographischenAuf- nahmen,dieauf AllerhöchstenBefehl gemachtundzuerstimNeuenPalais vorgeführtwurden,verkündet die Direktion.

HierherwillstDunicht kommen,uns aberinParis treffen. Nein, meinHerz.Wirwaren zuletztbeiEuchunderwarten EurenGegenbesuch.

Sonstkönnten guteFreundeundgetreueNachbarn sagen, unser Verhält- niß seiherzlicheralsseitJahren.Daswäremirunangenehm.Dennich bin, quand mSme,

DeinersterAnbeterundältesterDienstmann Moritz.

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Alteund neueTonkunst. 511

Alte und neue Tonkunst-J

WieMusikdesfrühenundhohenMittelalters ist, soweitsienationale

«

undDasheißt:weltliche Kunstwar,im Grundenur Musikder menschlichenStimme gewesen. NatürlichgabesInstrumente;abersiewurden doch vornehmlichnur zuAngabedesRhythmusbeiTanz-und Kampfesgang gebraucht;imVerein mitdermenschlichenStimme dientensieweiterzur TonfüllungdesGefanges,wirktenalsowie dieroheFarbengebung innerhalb desUmrisses unserer ältestenMalerei,gleichsamflächen-undkörperbildend.

WeitereAnwendungenkünstlerischerArtverbotschondieUnvollkommenheit ihresTones Aberselbstwenn dieTongebungreinergewesenwäre,hätten dieInstrumente dennochnicht umfassendbenutztwerdenkönnen;dazu mangelte nochdasGefühlfür TonschattirungundTondynamik

DennDasist vielleichtdasBezeichnendstederVokalmusik,desGesanges dieserZeit, daß sie gänzlichentferntnochwar vonjeder Befeelungzman sanginderWeisederheutigen kirchlichgebundenenLitanei odersoetwa, wieheuteKinder, marschirendeSoldaten, kneipendeStudenten zusingen pflegen: ohneeinPersönlichesmusikalischerStimmung,dembloßenphysi- kalischenTonfolgend, objektivgleichsamundnichtsalsOhr, so daßdas Herz,dasGemüth ohnemerkbarenAntheilim Ausdruckblieb. Undsowenig wieeineDynamik vorhandenwar,kannteman eineSchattirungderMelodie durch Harmonisirung:derGesangwar Einzelgesang, Monodie;man sang

monoton undmonodifch.

AufderseelischenGrundlage dieser weltlichenMusik erwuchsauchdie Kirchenmusik.Nur daß hier doch,beimPsalmodirenundsonst,vielfachder Einzelnealleinsangundauchallein singend empfundenward. Dasführte dannbalddazu, daßman dereinfachstendurchgehendenMonodie,demcantus Hrmus, dochmehr persönlicheElementeeinverleibte undnamentlichanhängte, indem man zumBeispieldiejubilirendenKadenzendesHallelujahim Ueber- schwallindividueller Gefühle indieLängezog undsomitabänderte. Auf dieseArtentwickeltesichaus demeantus likmus dieebenfalls nochein- stimmige Sequenzz sehrfrüh,schonimneunten Jahrhundert,hatNotker für diese musikalischeFormberühmteTexte gedichtet.Undzurselben Zeit etwa magman auchbereits aus derMonodie hinausgelangt sein.Aber zunächstnichtimGefang, sondern aufderOrgel,demweitaus amHöchsten entwickelten InstrumentderZeit,dasaufdieseund aufnochvielspätere Jahrhunderte inseinerverhältnißmäßigenFülle und Reinheiteinen fast magischenEindruck gemachthaben muß. Hier hatteman nun zumSpiele V)AuseinemimHerbsterscheinendenneuen BandederDeutschenGeschichte

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512 DieZukunft.

beideHändezurVerfügung:man konnteTöne gegen einander, Note gegen Note, punctum contra punctum marschiren lassenundsoganze Manöver mitTönenausführen.Es istdieEntstehungderpolyphonenMusik und desKontrapunktes,wiesieandenNamendesMönchesHuebaldvonSt.Amand (zweite Hälftedesneunten Jahrhunderts) geknüpftwird.

DerKontrapunkt istinderAusbildung,dieerseitdemdreizehnten JahrhundertzudenkunstvollstenSystemen erfuhr in derkontrapunktischen ,MusikdessechzehntenJahrhunderts marschireubiszudreißigStimmen nebenundgegeneinander —, dievollendetsteMusikformdermittelalterlichen Zeitengeistiger Gebundenheit·Denn auchin ihm hatnoch,wieinder weltlich-nationalenMusik,der Ton zunächstnur physikalischenodernerven- reizenden, dagegenkeinenstimmuugvollenWerth;undeshandeltsichinihm nicht so sehrum densein abgewogenenmusikalischenAusdruckmenschlicher Gefühlewieum Klangexerzitienfür OhrundNervenbahnenDarum ist dieHarmonieeinZufallindieser Musik;dieSatzart ist vielmehr so,daß dieeinzelnenStimmen vollständiggegenundnebeneinanderlaufen, freilich unter immer klarererAusscheidungundVerminderung gewisserMißklänge (Dissonanzen).So war denn indieserZeitMusiker,wer einfeinerBe- rechnerder kontrapunktischenTonbewegungenwar und gleichsam virtuose TänzevonTönenzusammenzustellenverstand:und diemusischeKunstwett- eiferte schließlichingeist-undseelenloserKünstlichkeitwenigstensvorübergehend mitdeninnerlichverwandten AusgängenderScholastikundderabsterbenden ArchitekturgothischenStiles.

Aberschonwartete derErbe. DerUmschwungkamvon derVolks- musik herundauchdiesmal nochwesentlichausdemGesange. Auf diesem Gebietezuerstund vielfrüheralsaufdemhieratischenzeigte sich, daßdie geistigeGrundlagedes mittelalterlichen gebundenenSeelenlebens amZu- sammenbrechenwar;ganzähnlichhat sichdasdeutscheRechtunter denVer- schiebungendeswirthschaftlichenundsozialenLebensinneuzeitlicheVerhält- nissegegenAusgangdesMittelalters undimsechzehntenundsiebenzehnten JahrhundertweitrascherverändertalsdaskanonischeRechtderKirche.

Dasaber,washiervorsichging,war Folgendes.Es begann sich zunächstneben dem herkömmlichenVolkslied in seinermonodischen,dem

Tonausdruck nach noch völlig gebundenenFormeinweltlicher Kunstgesang füreineStimme zu entwickeln. Wann Dieszuerstder Fallgewesen:wer weißes?Gewißaberist, daß dieserKunstgesangzurZeitderMinnesänger vorhandenwar. Nunhätteman hierzurBeseelungderJndividualstimme gelangenkönnen,sollteman meinen. Doch dazuwardieallgemeineseelische GrundlagederNation noch längstnicht genügendindividualisirungskräftig:

einerderlehrreichstenBeweisefürdieaußerordentliche,fürdenFortschrittdes

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Alteundneue Tonkunst 513

Volkslebens schlechthinansschlaggebendeBedeutungderallgemeinenpsychischen VeränderungenWas eintrat,war vielmehreineleisere Verwandlung noch aufdemBoden einerhalbgelnindenenKultur-: derGesangsvortragbliebnoch ohneDynaniik,abererwurde seelischabschattirtdadurch,daß die Monodie erst zumdreistimmigenGesang, schließlichzum Quartett erweitert ward. Es sind diegroßenEreignissedesfünfzehntenund sechzehutenJahrhunderts;«

nun erscheintdie Stimme, von derdieMelodie getragen wird,s alsTenor undzuihr stellensichingleichemRhythmus allmählichnicht mehrkontra- pnnktisch,sondernharmonischdievox alta und dievox has-sei insVer- l)ältnis:,derAltundderBase,denendann imQuartett nocheineweitere, meist einezweite OberstinunezurSeite tritt.

istein Vorgangvon deranßerordentlichstenBedeutungBis dahinhatte jederTonfür sicheineigenes,abergleichsamnur physikalisches Lebengehabtnnd zunächstnur aufdieNerven gewirkt.Darum war der AufbauderMusikimKontrapunkteinnIathematisch:architektonischergewesen:

gewisseRegeln, nicht Stinnnungelemente, objektiveKunst,nichtEmpfindung- drangwaren maßgebendgewesen für Erfindungund Ausschmücknngder Sllcusik Jetzttrat dereinzelneTonjederMelodie nichtmitgegengestellten Tönen zugleich,sondernfür sich,aber umgebenvon einem harmonischen Mantel anderer Töneauf,derenZusanintensetznng,dieinnerhalb gewisser GrenzenzufreierWahl stand, dazu bestimmtwar, ihnzucharakterisiren«

ihnnichtblosklangschönwirkenzulassen, sondern ihm Stimmungzu.geben.

Erst jetztbeganndamitdasimhöherenSinn SeelischederMusikzuerblühent dieThoreeinesneuen-des individualiftischenZeitaltersderMusik hinaus jiberdieRaume desmittelalterlichgebundenenStiles öffnetensich.

DieErrungenschaftgehtnun alsbald aufdasGebietderKunstnuifik über:diehieratischeMusikverliertdadurchwenigstensda,wosichdie Gemeinde an ihrbetheiligt,imChoral,denKontrapunktundmus: demharmonischen Satz Eintritt gestatten,woraus sichdennganzneue FormenderKirchenmnsik sålliotetteu.s.iw.)entwickeln;dieweltlicheKimstmnsikentfaltetentsprechend demmehrstiminigenBolksgefang,nur kunstvoller, dasMadrigaL

Aberwar damit schondie volleBeseelungderMusikgewonnen?Die AbschattirungderEmpfindungenwar erreicht,nichtaberderenganzeund fessel- loseDynamik. Diese hat erstdiezweiteHälftedessechzehnteuJahrhunderts gebracht,anfangsvorAlleinin Italien: dennseitdemUebergangdergrossen vlämischenTonkunstler nachItalien nndseit Palestrina hatte diesesLand auflange ZeitdieFührungindereuropäischenMusikgeschichteansichge- rissen.Unddie Thuamik wurde erreichtda,wodiestärkstenEmpfindungen musikalischausgedrücktwerden mußten,imdramma per miisieis. »Diese ersteForm derOperbedeutete bekanntlichnach dem EmpfindenderZeit-

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514 DieZukunft.

genossendieWiederbelebungdesantikenDramas, einertheatralischenKunst- formhoherKultur mitsehr ausgesprochenenEharakterenundLeidenschaften.

Dabliebdenn nichts übrig,alsdiemonotone, adynamischeMonodie zu verlassen.Gewißwar Das schwer;aberdoch sehenwirallmählichFort- schritte gemachtund wirkönnensieabschätzennachdenFortschritteneiner

neuen TheilnehmerinderGesangeskunst,derJustrumentalnmsit,dieerst jetzt

entscheidendindieEntwickelungderMusik eingreift.

DassechzehntenndsiebenzehnteJahrhundert brachten entschiedeneVer- besserungenwenigstens fürdieSaiteninstrmnente, währenddieBlasinstrn:

mente nochbistiefins ac·htzehnte,jainsneunzehnte Jahrhundert hinein rechtunrein blieben; namentlichdieGeigenbauknnstlieferte seitdemsieben- zehntenJahrhundert vorzüglicheErgebnisseSo brauchtedemdramma per musioa nicht mehreineeingehendereinstrmneutaleBegleitungzufehlenund fehlte ihm auch nicht.Undbaldentwickeltesich,amReichstenzunächstwohl inItalien, auchdieJnstrumentalmusikansich selbständig,undzwar gern auchschon nachdenGrundsätzenderharmonischenSetzart:wiedermensch- licheEinzelgesangdasArioso gefunden hatte, so fanddieInstrumentalmusik dieSymphonie Eineganzneue HöhedermusikalischenAusdrucksmittel war dadurch erreicht;undderneueGeist suchtenun auchneue musikalischeFormen.

DiealteKontrapunktikbegannaußerhalbdeshieratifchenGebrauchsabzusterben; imharmonischenSatze, dessenTheorievornehmlichinderersten Hälftedes achtzehntenJahrhundertsermittelt ward,begannenausneuen Strukturgesetzen

neue GattungendermusikalischenErfindungzuerwachsen:wiebaldver- mehrtensichdieeinfacheKantata unddieeinfacheSonata, dasgesungene unddasgespielteMusikstückharmonischenSatzes, zuden verschiedensten Formen: derArie, demRezitativ,derSnite, demKonzertn. Und nun erstand jene reicheWelt einer neuen Musik,vonSchützundSchein, dengroßendeutschenAnfängerndesNeuen,anbiszuHändel.MitBach feiertezwardie alteKontrapunktik nocheinmal eineAuferstehung: ergiebt siesichindenWerkenfür Orgel,dieBachs ThätigkeiteentralzquAusdruck bringen,alseindiesemInstrumentanscheinendwesenhaftesElement, soüber- trugsie Bach doch auch aufandereGattungenderKompositionAberwie ernebenbeieinMeister volltönigerHarmonik ist, so ist seine Kontrapunktik überhauptnicht mehrdieschematischefrühererZeitundwirdinseinerBe- handlung vielmehreinstarkesAusdrucksmittel derStimmung. Durch Haydu undMozartaberfindendanndieneuen musikalischenFormenihre klassische Ausprägung:sievorAllemhabendie Melodie verinnerlichtund siezum Dol- metschfeiner abgestufterEmpfindungenumgeschaffen.Unddamiterhob sich denneingroßesZeitalterneuer Musik mehralsebenbürtigderBlüthezeit derausgehenden mittelalterlichenMusikeinesDufayund Ockegheui,Jsaae undSequundzugleichum eineEntwickelungstufehöher.

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