Berlin, den 8.September 1900.
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Götter, Helden und Waldersee.
haron: Vielesindesdiesmaleinstweilennoch nicht.Aberwasfür merkwürdigeMünzsortenfindetman zwischendenLippen! Dollars, schäbigeSixpencestücke,Rubel, Franks,Lire undJens.DerPlutosmag wissen,wasdieseObolosernte werth ist!Bin mit denPesetendamalsschön reingefallen. DeutschescheinenunterdenPassagierengarnichtzusein.
Hermes: Diesindzuspät gekommen,zuihremHeil.Wirhaben Leichengenug. Und schon schwingtdiePestüberEuropa ihre schreckende Geißel.Kein Wunder bei demlebhaften VerkehrmitOstasien. Schlechte AussichtenaberfürdenHandel.Spute Dich, SohnderNyxl Ungesundes Klimahier.Undichmuß heute nochdieFrachtenbilanzfertig machen-
Charon: Wasistoben denneigentlichlos? Beimeinemlangwei- ligen Geschäftistman nieaufdemLaufenden.
Hermest DiealteGeschichte:HaderundStreit um Machtund Güter.DieWeißen,denen derRaum zu engwird, sindinsLand der Gel- beneingebrochenunddieGelbensuchen sichihrernun zuerwehren,— auf ihrebekannteWeise natürlich,mitgrausamster,Menschenlebenund Menschenwürdenicht achtenderTücke. DashatderKreislaufderJahre oft schon gesehen. Jetztwar esbesonders schlimm,weildieWeißen mitihren eigenen WaffendieGelbenzuwirksamerKampfkunstgeriistet habenundweil,wieesleiderjaModegeworden ist,allerlei unsinnige NachrichtenmitBlitzesschnelleverbreitetwerden.Denenhaben mancheweiße Machthabergeglaubtundnunzeigtsichs,daßdieDingeganz andersliegen.
UneinigkeitunterdenWeißenmußtedieFolge fein.VondenVölkern,die 28
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ebennochprahlendvongemeinsamenJdealen schwatzten,denktjedesnuran sich,willjedesvonderBeuteeinenmöglichstgroßenTheilansichreißen.Die meistenwitternauchschon,daßallzu scharfesVorgehen ihnendieProfitaus- sichtensperrenkönnte. EssiehtmitdemWeltfriedenböseaus;undwennes soweitergeht, kannstDutüchtigeArbeitbekommen. Abernun flink,Ere- bide!Jch habe mehrzuthun,alsmich hierüberPolitikzuunterhalten!
Bismarck:He!Holüber!
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Cha r on:BistDuauchwirklichtot? Seitichmichverleitenließ,den lebendigenHeraklesin meinenKahnzunehmen,unddafüreinJahrKetten bekam,binicheinBischen ängstlichgeworden.
Bismarck: Der Kerlmacht UmständewiePinnow,wenn ichgegen Schweningers VorschrifteinezweiteHalbeMoätverlangte...LiestDudenn keineZeitungen, EinpeitscherderGöttersraktionPSonst müßtestDudoch längstwissen, daß ich sototwiemöglichbin,ganzüberlebt undüberholt, altesEisen.Tummle Dich:wirAlle,die ’rüberwollen, sindtot!
Hermes: DerMann lügt nicht. Jchkenneihn.MeineHandels- leuteliebenihn nicht.Aber totisterwirklich. Und-auchdie Anderenleben nicht mehr. SchürzeDeinenSchifferkittelundhole sie über, ehederRiese imschwarzenGewandunangenehmwird. Er kanns werden. Dochdann schnellvorwärts! DieAbendknrsemüssenlängstschongemeldet sein«
Bis-marck: Manmuß sichmalhierunten umsehen. Vielleicht kommtein JnspirirterdesWeges.Von obenistkeinklares Bild zu erken- nen. Schade, daß ichnichtlecoeur löger habe,wie meinebesserin die Zeit passendenKollegen,undimmernochandemoffenbarganz veralteten Glauben hänge,daß Politiktreibenvoraussehn heißt.Mirscheint,was nun geschieht,warleichtvorauszusehn.Ich lesejetztja sehrhäufig,eigentlich hätteichnach70nichts mehr geleistetundobendreinnochdas ganz dummeWort vomsaturirtenStaat gesprochen;erst seitmeinerEntlassung seieinfrischer Zugin dieSachegekommen,dennichseizwanzigJahreebenkeinMehrerdes Reiches gewesen.Magsein;ein Renommirer desReicheswarichjedenfalls nicht. Auchfehltemir immerdie power without responsibility, die mein alterFeind Gladstone so eifrig erstrebteunddieheutewiederrechtbeliebt ge- worden zusein scheint. Jch nahmesmit derVerantwortlichkeit sehr ernst, gabmichnie damitzufrieden, daßichdieUnterschriftdesMonarchenin der Mappe hatte,undmir wurdevor64, 66und70dasLebenrechtsauergemacht, sosauer, daßderEkelvordemHominingeruchmichimmeröfterinmeine Wäl- dertrieb.DieWeltkarte— unter,Welt«thutmans heute nicht— haben
Götter, HeldenundWaldersee. 403 diedreiKriege ja nicht gerade wesentlichverändert,aber denDeutschenhaben sie schließlichdochganzschöneErfolgegebrachtund mirschienDeutschlands Zukunftdamals inEuropaundaufdemLande zuliegen. Jetzt wehtein andererWind. Auf dasquietanonmovere wird keinWerth mehr gelegt- ProbirengehtüberStudiren;und wir werdenja sehn,wasdraus wird.Ganz soschnell,wieungeduldigeNachbarn annehmen,kann dasDeutscheReichnicht ruinirtwerden. AberichhabeeinigeSorge,ob demglorreichenSommer jetzt nichteinharterWinterdesMißvergnügensfolgenwird.DasSchlimmsteist, daßmannicht weiß,anwenman sichhalten soll. UnserestrebsamenHerren rechtsundinderMittehättensichgewißbeeilt,gegenangemesseneEntschädi- gungjedenBedarfanFeigenblätternzubefriedigen,abermanhatsiegarnicht erstbemüht.Krieg ohneKriegserklärung,KriegohneReichstaglWennich,dem in internationaler Politik ErfahrungundeinesichereHanddochselbstvon Richternicht abgesprochenwurde, solcheDingeriskirthätte:die altenFort- schrittsweiberhättenmichmitnassenScheuerlappen totgeschlagen.Heutzu- tagegehts. Vielleichteben,weil keingreifbarerTrägerderVerantwortlich- keit-daistundjededernichtganz radikalenFraktionendenohneministerielle DeckungimVordergrund stehendenMonarcheneinesTages dochnochals Hospitantenbegrüßenzukönnenhofst.Hohenlohe...Ich habeihn niefüreinen starkenPolitiker gehalten,nichtmalmehr für Straßburgstarkgenug, undhabe ihn währendseiner erstenKanzlerzeitdannimmerhin nochüberschätzt.Klar wurdemirseineValeur erst,’alserinFriedrichsruh nichtzustöhnenauf- hören wollte,wiefurchtbar schwerdasLieddochzublasen sei.Mirfielda- beiein,wieichvor48mal in eineLiebhabervorstellunggeschlepptundwie mirvoneinerTante desstotterndenRomeonach jeder Szene zugeflüstert wordenwar, derJunge gebesichalleMühe,aber essei so entsetzlichschwer.
Madame,sagteich endlich,dannhätteerdie Rolle liebernicht übernehmen sollen ...AberichhieltHohenlohestets füreinenGentlemanUndkann mirauf seineEffacirungkeinen andernVersmachenals den:seineTheilnahmlosig- keit,diejavondererstenStunde anunverhülltsichtbarwar, sollpublice zeigen,daßermit der ganzenasiatischenGeschichtenichtszuthun habenwill.
Jch hättees, bei anderer Auffassung politischerPflichten,andersgemacht undindem"Augenblick,woichdieVerantwortung nichtmehrtragenkonnte, meinenAbschiedgenommen. Das istamEndeGeschmackssache.Aberer betrachtetsichwohlkaumnochals imAmt.Daher auchWerki.Und Bülow?
Jchhabe nichtdenEindruck, daßerin derletztenZeiteineglücklicheHand gehabt hat; tropdeZiele und zu vielRednertemperament fürpolitischeGe-
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schäftsführunggroßenStils. Primo locohabe ichnach ihmabernichtzu fragenundregemichdeshalb nichtdarüberauf, daß auchersichwährendder kritischstenTageabsentirt. Staatssekretäreregirenbei uns nachderVer- fassung nichtundesist gleichgiltig,obsiesichwichtig machenodersichals Manager fühlen.Siebleibenerste Vortragende RätheUndsind, auchwo sieimabgegrenztenRessortdenKanzler vertreten,nurdemVorgesetztenver- antwortlich. Staatssekretäresind schließlichnichtmalverpflichtet,Neinzu sagen; sie können,wenn siesmitEhreundReputationvereinbarfinden, einfach aufKommandoOrdre pariren.Nur vondemerstenBeamten des- Reichs verlange ich mehralssolcheTroupiertugend.
Caprivi: WennEuerDurchlauchtetwaauf mich zielen... Bismarck: HerrGeneral,Siewissen,daßichseitdemTage,woSie mir dieEhre erwiesen,dasWortanmichzurichten,Sienie in dieVerlegen- heit gebracht habe,mit mirüberPolitik sprechenzumüssen.Auchjetztlag derGedankeanIhre episodischeBeschäftigungmitdieserKunstmirfern.
Eaprivi: Dasfreut michaufrichtig. Jchwäre in derLage,manches Mißverständnißaufzuklärenundzubeweisen, daß ichmirEurerDurch- lauchtUnwillen wiederholtdurchHandlungenzugezogenhabe,andenenich imGrunde ganzschuldloswar. Andereaber,dienichtinsolcherZwangs- lagewaren wieich...Nicht ich habe gesagt: »AuchEurerMajestäterlauch- terAhnherrwärenicht FriedrichderGroße geworden,wenn ernebensich einenallmächtigenMinister geduldet hätte!«sDa saß ich noch stillund ahnunglosinHannover.AberGraf Waldersee...
Moltke:Nicht untüchtig!
Caprivi: Mag sein.DerHerrFeldmarschall hat nichtallen Mit- arbeiternanseinemWerke dasselbenachsichtigeWohlwollen geschenkt.Und auchEuerDurchlaucht haben, trotzdenfrüherenFriktionen,mit dem Kom- mandirenden des neunten Eorpsvon91anjafreundschaftlichverkehrt.
Bismarck: Freundschaftlich?..Mirist,als ob mein alterFreund, derGesichtsschmerz,mich auchhier noch aufsuchenwollte. AlsLesczynski weggeschicktwurde — wieman allgemein glaubte,weilersichzugut mitmir gestellt hatte— undWalderseekam—- «wieich annahm,um michausderNachbarschaftbequemzuüberwachen—,konntenichts mich hin- dern,Höflichkeitenhöflichzu erwidern. Verfeindetwaren wirnicht.Sei- nenVersuch,dendamaligenPrinzen Wilhelm füreinekirchlich-politische RichtungstoeckerscherCouleurinAnspruchzunehmen, hatteichdecidirt,aber ohne persönlicheSpitzezurückgewiesen;außerdemmirverbeten, daßder
Götter, HeldenundWaldersee. 405
Generalstabschefsich ohnemeinWissen diplomatischeBerichteausParis schickenließundso die Möglichkeithatte,meineihm vielleichtzuruhige Po- litik beimKönigzu kontrekarriren. Unsere Ansichtenüber dieNothwendig- keitkriegerischerAuseinandersetzungenmitWestundOstwaren wohlimmer verschieden.Jch habedieZumuthung,der Vorsehungin die Kartenzugucken stets abgelehntundhättenureinen imDrang äußersterNothwehrbegonne- nenKriegvorder Saluspublicaverantworten können.Unsere hitzigeMi- litärparteifandallepaarJahre, jetztseizumLosschlagendergünstigsteMo- ment undden könnenureinalterEselwieich verpassen.Geradefähigen Militärs wirddie,schlaffeFriedenszeit«desenglischenRichard leicht lang undsogaranunserm verehrten Marschallhier-habeich manchmal Spuren einesgewissenBlutdurstes bemerkt. NunerstLeutevon nochganz unge- stillter Applausfehnsucht!Werweiß,obichalsNachfolgerMoltkes, alsoin einerStellung,wojederimFeld UnerprobteeineschlechteFigur macht, mirnicht aucheinenZweifrontenkriegzumGeburtstag gewünschthätte!
Jedenfalls lag nichtsvor,was michveranlassen konnte,demGeneral,der sichalsGastmeldenließ,dieThürmeines Wohnzimmerszuverschließen.
FriedrichderGroße?Du lieberGott! Daß Walderseemirnicht besonders gewogensein konnte, habe ichniebezweifeltundmehralseinmaldasGefühl gehabt,erwollenachfehn,obfüreinenschicklichenKranzdie Stunde noch nicht gekommensei.ErhaXsicheinenstarken Bethätigungdrangerhalten undich glaube, daßerheute nochandenKanzler denkt;alsUebergang hatte erlangedenstraßburgerPosteninsAuge gefaßt.Wirwußten,waswirvon einanderzuhalten hatten,undhaben, ohne jeein intimesWortzuwechseln, aufdemFuß wohlerzogenerMenschenverkehrt. Jchwar auslangeramt- licherThätigkeitdarangewöhnt,beiTisch,wennesfein mußte,Jagd-und BallgeschichtenderinsipidestenArtzuerzählen;außerdemforgtenArmeefragen undgemeinsamehamburgerBekanntedafür,daßderStoffniemalsausging.
Moltke: DerjetzigeFeldmarfchall sprichtgut!
Bismarck: ...Ja;wie einnichtganzausgewachsenerMiquelin Uniform. AufkeinenFallkannman nach seinen letztenLeistungensagen, daßerEuerExcellenzkopirtundnachdemRuhmeinesgroßenSchweigers strebt. Eherkönnteman einegewisseAehnlichkeitmitWrangel finden.Jch habeimPunktederBahnhofsreden ja auch Manches gesündigt,aberdoch erst,als meineDienstenicht mehr beanspruchtwurden.Jetzthabe ichoftden Eindruck, daßdieeloquentenFranzosenunsangesteckthaben.Woistder preußischeGeneral hingekommen,der dieHandandenHelmlegteundhöch-
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stensanKönigs GeburtstagdenMund zu einer Redeöffnete?Undauch danngabsseltenmehralsdreiforscheSätze,dieman nichtgenauansehn durfte.Heutzutagewerdenunsganze Leitartikelvorgetragen.Hoffentlich schadetsderSchlagfertigkeitnicht,wieanno Olivier-Mac Mahon..
C ap rivi: DerHerrOberkommandirende inChina... Bis m a rek:In PetschililDasisteinUnterschied.
Caprivi: ...inPetschili hat seinenStil innahem Verkehrmit Iournalisten geschult.DieHerrenvonHammersteinundNormann-Schu- mann wußten,wassieihm schuldigwaren. Bei dem Einensollens hundert- tausend Mark,bei dem Anderen imLausderJahre nichtvielwenigerge- wesensein. Auchjetzt hater,außerderDienerschastfürdiesiebenZimmer seines AsbesthausesunddemKochmitzwölftausendMarkGehalt, jaein Preßbureaubeisich.AnNachrichtenwirdesalso nicht fehlen. Dieseenge BeziehungvonSoldaten undZeitungschreibernwar mirimmerbedenk- lich.Redenverhallenschnell;wennichauchsagenmuß,daßdieBetheuerung, nie,unterkeinenUmständen,einenBefehlzumRückngzugeben...
Moltke: Sollteniemals gesagtwerden!
Bismarck: Ganzeinverstanden.Aberwarum wollen wiruns bei Kleinigkeitenaushalten? In unsererZeit mußjederEhrgeizigemit derPresse arbeiten;die Artrichtet sichnachdempersönlichenReinlichleitbedürsniß.Un- bedachteWortesind nichtsSeltenesmehr;undden ganzenApparatvonPho- tographen,Kinematographen,InterviewsundRequisitenschilderungwürde ich schließlichmit in denKan nehmen,wenn ichnur wüßte,wohindieReise gehen soll. JedemmeinerLandsleute gönneich, daßergutaufgehobenist, gutzuessenund zu trinkenhat,undmehralsjedemAndereneinemGeneral vonfast siebenzigIahren,der esaus dieserunsauberen chinesischenGaleere aushalten soll.VielFreudewirderdanichterleben undich wünscheihm allengeistlichenundweltlichen Trost. SchonimInteresse unseresAn- sehens. Ich halteessüreinenaußerordentlichenFehler, daßwir den Gene- ralissimus stellen— wirhaben politischda unten wenigzusuchenundhät- tenvonausgiebigenAderlässenderAnderen densicherstenVortheil gehabt—, kann aber nun, daerleider ernannt ist,alsDeutschernicht wünschen,daßer eineschlechteRolle spielt.WirhabenUnannehmlichkeitengenuggehabt.
DieInterpellationimenglischenUnterhause,obman nachdemPardon- verbot vonhöchsterStelle nochdaran denke, Ihrer MajestätSoldaten demdeutschenKommando unterzuordnen, Uchtomskijs bösartige Artikel, dieohne besonderenWinkkeinCensor durchgelassenhätte,die wieder-
Götter,HeldenundWaldersee. 407 holten ZurechtweisungenimrussischenReichsanzeiger,derSpottallerWitz- blätter der Erde: in denachtzigerJahren hätteman esfürunmöglichge- halten. UnsereAufgabe war,dieGesandtenzubefreien.Das wurde,weil dieJahreszeiteinemVormarschaufPeking ungünstigsei,garnicht versucht, in demEorps,dasdieEuropäer mühelosentsetzte,war keineinzigerdeut- scherSoldat undunverschämtePariserkönnen mit einemSchein-von Recht ausdemGendarmenchorcitiren:Maisparunmalheureux hasard nous arrivons toujours troptard.Odertrop töt,wasmanchmalnochschlim- merist. InderPolitik darfman wederzuspätnochzufrüh kommen;man mußwarten könnenund,wenn dieStunde schlägt,zurStellesein.Den LuxusderNervositätdarfderpolitischeGeschäftsmannsich höchstensin seinenvier Wändenundallenfalls nochbeiRednerturnieren gestatten.
Moltke: Auchdanicht; sonstwirdergeistreich.
Bis marek: LieberMarschall, ich habenureinmalvonIhneneinen Witz gehört.An demAbend,woichIhnen sagen mußte,daßesgegendie Franzosen losgehe, drehtenSiesichnach unseremkurzen,sehr ernstenGe- sprächnochin derThürumundriefen: »EineRheinbrückesoll übrigens schongesprengtsein.« AufmeinenerstauntenBlicksetztenSiehinzu: »Sie war auch furchtbar staubig«undgingenab.Seitdem habe ichvor Ihren witzigen AnwandlungeneinegewisseScheu.Die jetzigeSituation muß Ihnen sehrbedenklicherscheinen.Undich fürchte,Siesindwieder imRecht.
Derallgemeine Wunsch,sichzurückzuziehnundunsdieSuppealleinaus-«
essenzulassen, ist,trotz deroffiziösenVertuschung, nichtzu verkennen.
DerOberbefehl,gegen denman sichnicht gut sträubenkonnte,wirdthatsäch- lich nichtviel bedeuten unduns früheroderspäterVerlegenheitenbringen, schonweil erinFrankreichundRußlandalsDemüthigungempfundenwird.
EineEntschädigungkönntenur dasvermehrtePrestigebietenzunddasgön- nen dieAnderenuns natürlich nicht,weilsie meinen,in einemauchnur scheinbaralleneuropäischenKontingenten befehlenden deutschenGene- ralissimuswürdendieChinesendenVertreter eines inEuropa "allmächti- genDeutschenKaisers sehn. Deshalb möchtensiedieSacheerledigen, ehe WalderseekommtundseinenPalikaotagerlebt. Außerdemfragen sie sich vergebens,was daunten eigentlichzuholen ist.DieRussengrenzen mitsechstausendKilometern anChina, haben zwölfhundertMillionen chi- nesischerAnleihe garantirtundmüssendrandenken, ihrer transsibirischen Bahn,in der überzweiMilliarden stecken,dasmandschurischeTerrain dau- ernd zusichern.Siehabengar keinInteresse daran,dieChinesenzuärgern,
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müssensichimGegenteilbemühn,siebeiguterLaune zuhalten,undhaben auchwirklichvomPeking-bis zumCassini-VertragmitdieserMethode gute Geschäftegemacht.SiebrauchendieMandschureialsPufferstaatundwer- densie kriegen;vielleichtnicht gleichoffiziellzeinVerhältnißwie zu den Bal- kanstaatenwürdevorläufiggenügen,dadieBahnverbindungnachWladiwo- stokundPort ArthurdieHauptsacheist.Gefährdetkann derrussischeEinfluß nur werden,wenn siein denAugenderChinesendenNimbus derstärksten Machteinbüßen.Daraus ergiebtsich,mitwelchenGefühlensieunterdeutschem Oberbefehl fechtenwürden,— ganzabgesehendavon, daß unser Allerhöch- sterHerrnun auchnochöffentlichgesagthat,erfassedieUebertragungdes OberbefehlsaneinendeutschenGeneral alseineallseitige Anerkennung unserer militärischenLeistungenauf.Seitdemist dieVerschnupfungakutge- worden.FrankreichwillinTongkingRuhe habenundandemrussischenFaden mitspinnenundNordamerika denkt,daßeszumeportund zulohnendenKon- zefsionenderNächsteist. Ueberhauptwill Keiner denwichtigenKundengern kränken und die ebenersteinigermaßeninOrdnung gebrachtenchinesischenFi- nanzen biszurJnsolvenzzerrütten.VonKreuzzugsidealenundähnlichenschö- nenDingenmerkeichnirgends Etwas;derHimmelbewahre auchEuropavor derKonkurrenzvonvierhundertMillionenneuer,moderngedrillterChristen- kulis! Daß EnglanddieGelegenheitfür günstighält,um nachalterGe- wohnheit zwischenDeutschenundRussenwiedereinmal einFeuerchenan- zuzünden,wundertmich nicht; Salisburykönntelachen,wenn erunsin asiatischenFragenmit demZarenbrouillirt hätte...AengstlicheSchüchtern-
,heit istmir nievorgeworfenworden, aberichhabe michimmergehütet,diesen unausgetragenen weltgeschichtlichenHändelnzunah zukommenundsoneue Reibungflächenzuschaffen. Auch jetztseheichkeinlohnendes Ziel-
Cap,rivi: Darf ich darauf hinweisen,daßin denZeitungen steht,es werdesichwahrscheinlichmehrum einendiplomatischenalsumeinen mili- tärischenOberbefehl handelnunddeshalbseiGraf...
Bis marck: Dasistdummes Zeug.Als ob eineGroßmachtAndere,
vonanderenInteressenGeleitetefür sichverhandeln, sichzuGunsteneines diplomatischenDalailama ausschalten ließe!Sollten solchenapoleonische Jllusionenbei unsmöglichwerden,dannwünschteich, nochlebendigzusein, um,wieichinVersaillesin einerMinute desUnmuths drohte,meinen StuhlmithörbaremRuckaufdie linke Seitestellenzu können.
Charon: Zu Bett,meineHerren!Jch mußdieCharoneia jetzt schließen.Langegenughabe ichIhnen Zeit gelassen.Nunaberweiter!
sso V
AnFriedrich Nietzsches Bahre. 409
An FriedrichNietzschesBahrekH
Immer nochbinichEurerLiebeErbe undErdreich",blühendzuEuremGedächt- nisse,oh IhrGeliebtesten.
Alsosprichtheutezu unsZarathustra.
Man
«« ist geschehen,was wir,dieihnliebten,längst gefürchtethaben.DasSchicksalspieltmituns erischen,wie einRiesenraubthiermit wehrlosen Lämmern;esvermagauchdieGrößtenderMenschenzuzertreten.
Jetzt hatesseinen letztenPrankenschlagnach ihm geschlagen,nach ihm,den eszuvorschon, ach, so oft getroffen hatte.-Wasesheute that,war nicht sein schlimmsterStreich;unddoch hätte Friedrich Nietzsche,derEinzig-Gü- tige, ihn hartgenugempfunden, hätteerihn nochkommen sehenkönnen.
Nichtum seinetwillen,— denndieser ProphetdesJchs besaß wahrlichin allenDingendesLebens, dienicht seinSchaffen angingen,dieSelbstlosig- keit,dieseine Gegner, ihre Prediger, so unendlich oftnur imMunde füh- ren;underhätte wenig gefragtum dasarme UeberbleibseleignenDaseins, dasihm nochalleingebliebenwar. Aber erhätte geklagtumDererwillen, die inWahrheitdasOpfer dieses Schlages ist,der edlenFrauzu Liebe, aus deren SchwesterhändenerdenletztenRestvon Erden-,von Kinder- glückerhalten hat,derfür ihn geringwar unddendochnureinreichesHerz verschenkenkonnte-
Dochwir, die wiran seiner Bahre stehen,würdenweniginseinem Geiste handeln,wolltenwirselbst dieseStunde nur um ihnklagen. Weiter, Leben,weiter, würdeerrufen,wenn seineStimme unsnoch erreichenkönnte;
wandert denWegderMenschheitvorwärts, rastetauch Jhr nicht,dieJhr auf mich sahet,weiletnicht, so langeesTag ist,werdetnichtmüde,Euch
n Größere,Stärkere umzuschaffen.UndDies istdereinzige Trost,den wirderGütigen,vondemLeidedieserStunden ganzZerschmetterten,der heute mehrgenommenistalsAllenunteruns, gebenkönnen.Auch für sie heißtihresBruders Mahnung: Vorwärts, nichtumschauen,wirken und leben, sichleben,sichauswirken. Undihr,derLiebenden, derVerehrenden,kann selbstamTage dieser SchmerzenderGedankeansolche klagloseFeiernicht unheilig scheinen;dennihrSchaffen, ihr Sich-LebenwürdennichtsAnderes seinals: für ihn schaffen, für ihnleben. JnderZeit,daunser großer Toterunter derKrankheit schwachundkleingewordenwar, kamihmvon seiner SchwesterallesGute. Sein Geistwartot, abereslebtedochnicht
««·)Gedenkrede,gehaltenzurTrauerfeierimSterbehausezuWeimar am
siebenundzwanzigstenAugust1900.
410 DieZukunft.
nur seinLeib,sondern auch sein Herz noch;unddemhat diese stetsGe- treue ebenso,vielLiebeerwiesenwiedemarmen ErdenrestdesKörpers.
Das wirdihr unvergessenbleiben;unddasiemitallemNietzsche-Stolz,der ihr innewohnt, ihrWerkniealsherablassendes,thränenseligesMitleid,son- dernalsFreude spendendenDienst ansah, istesihransichselbstLohngenug gewesen.Undheute ist ihr wehester Schmerz, daß ihr jetzt dieses schönste, liebereichsteAmt entzogenist. Abersohartessieankommen mag, davon zuscheiden:ihrbleibtein anderes, zu demsieebensoalsErsteundEin- zige berufen ist.SiesolldasAndenkenihresBruders hütenundmehren, und wiesie seinenkrankenTagen nichteinePflegerindesLeibesnur, son- dernmehr nochdesGemütheswar, so ist sieheute und inZukunftdieGe- schichtschreiberinnichtnur seinesGeistes, sondern mehr noch seinerSeele.
Von derenWerdenundWachsthum,vonderenzartestenundtiefsten Falten weiß sieunsäglichmehr,alsjeeinBiograph unsereroderspäterZeitenwird erkundenkönnen. Undesistgutgethan,wenn aus diesesBruders Grabe nochBlumen schönenSchaffens wachsen.
Nochweniger sollenwirAnderenmüßiggehen.Unswirdvondiesem Trauertagean dergleicheBeruf,aus diesemnun vergangenen Leben,aus diesemnun vollbrachtenWerkfüruns — zuerst füruns, sowollteEres undso istesrecht—, dannauchsiirAndere, all denSaftzusaugen,der uns dienenkann. Undwirhaben auchanseinerBahre nichtsAndereszu schaffen,alsnachdemMaße seiner Größezuforschen-
Sein Werk,seine Lehre,seineWorte, was sprechen siezuuns in dieserFeierstunde? Siewaren dastheureGut,fürdaserdenPreiseines von LeidenumstarrtenLebenszahlte.Undwenn derköniglicheStolz ihrer hohenForderungen auch diesemPathos seines Schicksals zuletztdenUrsprung dankt:niehatderDruck seinesUnglücksauf seinem Schaffen gelastet,nie hatdie Form-oder denInhalt seinesDenkens auchnur einHauchvon Trübheitund niederziehenderSchwermuth angeflogen. Pessimistwar er nur, so langeergesundwar,Das heißt: so langeer demübermächtigen EinflußeinesgroßenVorgängerserlag.UndwieEntgegengesetztes,wie GroßeshatdieNoth seinesLeibesdagewirkt,woauch seine Ueberkraft ihr nichtalleMachtüberdieGestalt seinesDenkens entziehenkonnte! Aus demZwang seiner so oftvonKrankheit durchbrochenenArbeit heraus,aus demMißverhältnißzwischenseinem unbezähmbarenSchaffensdrangundderso immer schwererzumeisterndenSprödigkeitdesStoffes ist ihmdasBruch- stück,derganzkurze, auf wenige Blätter, oftnur inein,zwei Sätzege- bannteGedankengang,dienatürliche,zuletzt nothwendigeFormderAeuße- rung geworden. Gewiß:derEinheit seinesGedankenbauesistdamitviel Eintrag geschehenund dieaugenblicklicheWirkungvielerEinzelerkenntnisse