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Die Zukunft, 10. September, Bd. 48.

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Academic year: 2022

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«LETT- Fcke st-

Berlin, den 10.September 1904(.

V C sls If

Was lehrt Listp

enn esrichtig ist waswirnamentlich durchdie ArbeitendesPro- fessorsFranzvonLiszt gelernthaben—, daßdiemeistenVerbrechen alsReflexerscheinungenderjeweiligensozialenVerhältnissezubetrachtensind, danngewinntdieKriminalpolitik solcheBedeutung,daß auchdieNational- ökonomen Grundhaben, sichmitihrzubeschäftigen.Denn nach dieserEr- kenntnißkannsichsnichtnur darumhandeln,demeinzelnenVerbrecherim Sinn desgeltenden RechteseinewesentlichandereBehandlung angedeihen unddieunschuldig Verurtheilten nicht länger ohneEntschädigungzulassen, nein: das Problemdersozialen Entwickelungselbst zeigt sichuns nun in neuem Licht.EineStrafrechtstheorie,dieweiß, daßdenbessergeordneten sozialenVerhältnisseneinekleinereZahlvonVerbrechenundVerbrechernent- spricht, muß logischerWeiseeinen wesentlichen Theil ihrer Rechtsmittelin denDienstdersozialen Entwickelungstellen.

DieGeschichteallerZeiten lehrtuns, daßdie im Staat herrschende KlassesichgünstigenFalls darauf beschränkt,dieGeschäftenachalterWeise weiterzuführen.Dieauchim VolkslebenunvermeidlichenVeränderungenund UmbildungenbewirkendannganzbestimmteStauungen imJKörperderunver- ändertenRechtsordnung. Begabte Individuen,dieauf ihrem besonderenEnt- wickelungsgange tieferindiese Mißverhältnissehineinblickenkonnten,sinden, zuerstinderJbee,denWegzusozialerErneuerung.DieherrschendeKlasse aberverschließtsichnur zu gerndieserbesserenErkenntniß,weilesbequemer ist,dieGeschäfteweiterzuführen,alsneueGedankenin diePraxisdesLebens zuübertragen.DieStauungenund Mißstände mehren sich:deshalb,die ZahlderVerbrecherwächstrasch,eskommtzursozialenRevolution,manch-

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mal zumUntergangdes Staates undseinerKultur. Nur inwenigen,besonders günstigenFällen hatdieherrschendeKlasseunter demDruckderrevolutio- nären Bewegung, eheeszuspätwar, sichdieneuen Gedankenangeeignet unddamit einegesundeEntwickelungermöglicht. Diesesalte, ewigneue

Schauspiel lehrtuns erkennen,bis zuwelchemGradeuntersolchenUmständen dieherrschendeKlassedieZunahmederVerbrechendirektveranlaßtundwie wenigesunseren Vorstellungenvonder»Gerechtigkeit«entspricht,wenn jetzt dieherrschendeKlassemitallerHärte längstveralteteGesetzegegendasun-

glücklicheVolkanwendet. WirmüssendiewissenschaftlicheKritikmitaller Kraft popularistren,umendlicheinmaldieEinführungeines modernenStraf- gesetzbucheszuerwirken. Nur scheint unsere Strafrechtstheorie nochkeine Antwort aufdieFragegesuchtzuhaben,wieesdenPfadsindernergeht, die oftunter Opfernund EntbehrungendenFortschritt erst möglichmachten- Faust hatteeineAntwort;dieWenigen, spracher,»diewas davonerkannt, die,thörichtgenug, ihrvollesHerz nicht wahrten,demPöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten, hatman von je gekreuzigtundverbrannt.« Unddiese furchtbareAnklageistnichtetwanur inüberhitzterPoetenphantasiebegründet, gehörtauch durchaus nichtin die Trödelkammer desMenschengeistes,sondern hat heute noch allzurealeBedeutung.DenZweiflernwillich,als einklassi- schesBeispiel,Etwas ausderGeschichtedesSchwaben Friedrich List erzählen.

Inderersten Hälftedesneunzehnten Jahrhundertshattediedeutsche Volkswirthschaftunter dem DruckeinerverständnißlosenBureoukratie zu leiden.

List,derdieMißständeseiner Zeit tief empfand,wolltesie nacheinemfesten Programm reformiren. Erforderte Selbstverwaltungin Stadt undLand, BeseitigungderkleinstaatlichenZollfchranken durcheineeinheitlichereVer- fassungdesdeutschenReichesmitgenügendemZollschuyandennationalen Grenzen, UebergangzurindustriellenEntwickelung,EmanzipationvonEngland, Bau einerdeutschenFlotte,Gründungeiner nationalen Exportgesellschaft undeinesdeutschenKolonialbesitzes,StaatseisenbahncnundDampffchiffahrt, Reichsbank, Industrie-undKunstausftellungen, deutscheKonfulate fürsAus- land undAehnliches.DieGeschichtehat gelehrt,wierichtigdiesesProgramm gedachtundinallen Theilenentwickeltwar. WelchenDank, welcheAn- erkennunghat Listnun von derNation geerntet?

DiewürttembergifcheStaatsgewalt hat ihn,unter Androhungvon Stockprügeln,zuzehnmonatigerFestunghaftmitZwangsarbeitundzu einer für feine Verhältnisseso schwerenGeldstrafe verurtheilt, daß feine Bibliothec undderHausrath seinerkrankenFraugepfändetundverkauftwurde. Der württembergischeLandtag hatdanndiesen »Staatsverbrecher«aus dem Land gejagt. NachVerbüßungder Festunghaftmußteerals»höchstgefährlicherDema- goge«und»Jakobiner«Deutschlandverlassenund wandertenachAmerikaaus.

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WaslehrtList? 399

Schon vorher,am achzehntenApril1819,hatte ListinFrankfurtam Mainals«Kerneinerdeutsch-einheitlichenKonstitution«denDeutschenHandels- vereininsLebengkrufen,der 1834dannzurGründungdesDeutschenZoll- vereins sührtezundohne diesenZollverein hättenwirheutekeinReich.Kaum hattederneue Handelsverein sichmitdenGedankenListserfüllt,als dem Vater dieserGedankenauch schon empfohlenwurde,denVereinsversamm- lungen dochlieberfernzubleiben;der,,unpraktischeTheoretiker«und»höchst bedenklicheProjektenmacher«schadederBewegungdurchseinen Feuergeistmehr, alserihrnütze. AnListsStelle wurdeeinKaufmannmitderVertretung desVereins beauftragt.Bald hatten auchganzanderePersonendenVer- eingegründet.DiefrantfurterZeitungen verfolgten seitdem Listmitden niederträchtigstenSchmähungen.DieReichsbureaukratiewollte denHandels- verein nichtalseineVertretungderKaufleuteundFabrikantenanerkennen.

DieGroßhändlerkonntensichvoneinerIndustrie-undKunstausstellungkeinen Nutzen versprechen.DerVorschlag,einedeutscheExportgesellschaftmit einem KapitalvonzwanzigtausendGuldenzugründen,seivonListnur gemacht worden,um einmaleinesogroßeSumme verwalten zu können. Obendrein kamList durch seine nationale Thätigkeitum dietübingischeProfessur für Nationalökonomie,dieihm wenige Jahre vorherdereinsichtigewürttem- bergischeMinisterWangenheimübertragenhatte.

Die Liebe zumdeutschenVaterland ließ List,trotz gutenökonomischen Erfolgen, nichtinNordamerika weilen. ImDezember1830 kehrtderVer- banntealsnordamerikanischerKonsul nach Deutschland zurück,ummitdem drübensauererworbenen Vermögenundmitseinen ErfahrungenimBahn- baufürdensystematischenBaudeutscherEisenbahnenzu wirken. Nachun- säglichenMühen gelangderersteBahnbau,dieStreckevon Leipzig nach Dresden. Aber»derpolitisch anrüchigeHerumtreiber List« durftebeider Ausführungseines Planesin keinerWeise »hervortreten«.Durcheinhinter- listigesSpiel betrogman ihndannumdenihmzustehendenAntheilanden Bahnaktien. EinefrankfurterZeitung brachtewiederverleumderischeArtikel, worineshieß: »GanzLeipzigverurtheiltdasAuftretendesbekanntenHerrn List«.Man beschuldigteihn,zuseinem eigenenNutzendieBdrsenjobberei inBahnaktien entfesseltzuhaben· Schließlichfertigte ihndieneue Bahn- gesellschaftmitlumpigen viertausendThalernab.

Als ersein Staatsbahnensystemdann indeutschenLandenweiter- empfahl,wurde ihmvompreußischenGeneralpostmeisterNaglergeantwortet- ,,Jn Preußen dürfenkeineEisenbahnen gebaut werden.«Auchdiestreite- gischeWichtigkeitdesBahnbaueswurdevon demMinisterium geleugnet.

Einleidernichtgenannter,damalsberühmterdeutscherNationalökonomund Universitätprofessorhatin einemGutachtengegenListerklärt:»daßalleso-

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lidenLeute indemvorgeschlagenenBahnbaueinengefährlichenundverderb- lichen Schwindel sehen.« Jn OesterreichwurdedieVerbreitungvonLisis

»Eisenbahnjournal«amtlichverboten. Die münchenerJahresversammlung derdeutschenLand-undForstwirthe fand1844 Lists VortragüberIndu- strieundLandwirthschastlangweiligund wollteihn nichtbis zu Endehören.

NeueVerleumdungenkamenauf,abermals unter Führung frankfurter Zei- tungen. List solltedasbezahlteWerkzeugeiner kleinenFabrikantengesellschaft, einverkappter süddeutscherUltramontaner undProtestantenfeind sein,den die englischeRegirung füreinButterbrot gekauft habe. Jm Jahr1841 war derersteBand vonLists »Nationalem SystemderpolitischenOekonomie«

von deutschenProfessoren geradezu standalös behandelt,derVerfasservon denZunftmännernalsJgnorantundPlagiator gebrandmarktworden. Ueber- arbeitet,verarmt, bisin dietiefsteSeele verärgertundangeekelt,suchteList imNovember 1846 indenAlpen Erholung.DieFurcht,denVer-standzu verlieren, triebihnzumAeußersten·,vielleichtnoch richtiger hatdernord- amerikanischeNationalökonom Carey gesagt: »List machtevon derPistole Gebrauch,dieihmdasdankbare Vaterland indieHand gedrückthatte.«Sein groß angelegtes SystemderpolitischenOekonomie istzumüberwiegenden Theil ungeschriebengeblieben.Niemand kannheutemitannähernderSicher- heit einschätzen,was Deutschlanddamit verloren hat-

Dasist,inknappen Zügen,dieLebensgeschichteunseresFriedrichList, denProfessor Eugen DühringdengrößtendeutschenNationalökonomennennt.

·MitRecht.Denn bisheutehatkeindeutscherNationalökonomseinemVater- landsovieleneue, praktischeundfruchtbareGedankengeschenktwieFriedrich List.Wennman diesem Mann,statt ihnmitallenFoltermittelnderNeu- zeitlangsam,dochsicherzu Todezuquälen,sofortandergrößtendeutschen HochschuleeinenLehrstuhlanvertraut, ihm schonvon ungefähr1819 andie Möglichkeitgegebenhätte,aufdieheranwachsendeakademischeJugendzu wirken undseine SchülerzuLehrernheranzubilden:wieunermeßlichwärederNutzen fürDeutschland gewesen! Lists Geist hättedann sicherbinnenzehn Jahren sdiedeutscheVildungschichtso befruchtend durchdrungen, daßdieReformen, dieuns erstdieZeit nachdemFranzosenkriegbrachte, schonindendreißiger Jahren möglichgewordenwären. VierJahrzehnte VorsprungimWettlauf mitdenanderen Völkern: dieser SegenwärefürdiedeutscheVolkswirth- schaftmitMilliarden nichtzuhoch eingefchätzt.Der beträchtlichsteTheil derVerbrechen,dieunserRückblick indenJahrenderleisenund lauten Revolution sieht,wäreeinfach auszustreichen.Undwervermag zusagen,ob dasgegenListverübte Attentat nichteinesTagesanderEntscheidungüber Sein undNichtseinderdeutschenNation mitwirken wird?

Diekausale Vetkettungzeigtuns,daß hier Hochverrathvorliegt, daß

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WaslehrtList? 401

nichteinstarkerEinzelnernur, sonderndie ganzesozialeEntwickelungvon demgegenList begangenenVerbrechen getroffenwurde. UnddiesesVer- brechengegendiesozialeEntwickelungmußbestraftwerden. DaunserStaat jakeinKlassenstaat seinwill,giebterunshoffentlichrechtbald ein»modernes Strafgesetzbuchundversäumt nicht, diesen fürdieSicherung gesunderEnt- wickelungund damit fürdieAbnahmeder Verbrecherzahlso ungemein wichtigenStrafrechtsbegriff mitaufzunehrnen.

UnseremoderneJndustriezeit hateinbesonderes Patentrecht geschaffen.

Das Eigenthumsrechtan neuen Ideenwirdauf technischemGebietdurch Eintragung gesichertundbringtoftgoldenen Lohn. Wäre eineähnliche Einrichtung nicht auch fürneue wirthschaftpolitischeGedanken zuschaffen?

SeitJahrzehntenleidetunsere Gesetzgebungunter demMangelaneinfachen

neuen Ideen. Der Fall Listkanndavon abschrecken,sichmitallerKraft

demselbständigenStudium wirthschaftpolitischerFragenzu widmen. Warum sollen sozialeErfindungen nichtdenselbenRechtsschutzgenießenwietechnische?

DengoldenenLohn hätte natürlichderStaat zuzahlen,dersichinTheorie oderPraxisdenneuen Gedankennutzbar macht. Vielleichtwürde eine Geld- prämiemanchen erfinderischenKopf reizen.DieHauptsacheaberwäre,daß der Finderseineneuen Jdeen selbstinsOhrundHirnderJugend bringen kann. Das zugewähren,liegt besonders auchimInteressedesStaates.

WasListdieStudenten gelehrt hätte,könnensievonKeinemlernen, der über Listredet. WerselbstNeuesgedachthat,kannauchdentüchtigenSchülerselb- ständigdenkenlehren.DenFindernneuer GedankenpfadegebührendieLehr- stnhledergrößtendeutschenUniversitäten. Diese Forderung ist wichtigerals das VorschlagsrechtderFakultäten. Im FalleList hatdiesesVorschlag-rechtdieso- zialen InteressendesdeutschenVolkesschwergenuggeschädigt.Und derStaatist geistigsoverarmt, daßerdringendenGrund hat,neuen Gedanken dieThore weitzuöffnenund deren Väter alsseine besten, nützlichstenBürgerzuehren.

ProfessorDr.Gustav Ruhland.

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402 DieZukunft.

Panik.

Hie

gingen ihrer Dreißigaus derOrtschaftMotiee heraus,demBahnhof

-

zu. Boran die Männer mitdemVincenz ZastoupilalsFührer. Hinter ihnen,inregellosen Reihen,dieWeiber,vondeneneinigedasBrustkindinden Armen trugen. Dann kamendiejungen Mädel,inihre Liebsten eingehängt.

Undganzzuletzt kam nochdie alteBabi Skoupek,diesich auf Stöckenmüh- sam sortbewegte. Sie gingen durchdiewinterlichenFelder,unter denbeschneiten Bäumen,deren Zweige sichimNachtwind ächzendhinundher bewegtenund ihnen feuchte FlockenindenNackenwarfen. AusdembewölktenHimmel siel keinLichtherab;dasAuge sahdieStraße nicht. Oft versankderFußim Schlamm, stießanSteine, scheuteüberWurzeln. Dann gabeseinenAuf- schrei,einen Flach,einLachen.Doch ohne anzuhalten,wanderten sieweiter.

Jnkurzen Pausen stiegaus jungenKehlen mehrstimmiger Gesang.Die schwermüthigweichenTöneeinesVolksliedes mischten sichindasGesprächder Alten,dieeifrigüberlegten,obsie den Zug auchnochzurZeiterreichenwürden.

UndobdasGerüchtvielleichtdoch falsch sei. Eswarjaauchkaumglaublich:

dieässka spofitelna, diegroße, reicheSparkassederDeutsch-Böhmen,solltezu Grunde gehen!Freilich:derBineenz hatte heute gelesen,wernoch Etwas kriegen wolle,Dermüsselaufen.Undwasgedruckt ist, Schwarz auf Weiß, muß wahr sein.Damals denKrachderWenzelskasse,denhat auchNiemand glaubenwollen.

Und waren dochdanochandereSicherheiten beiderKirche! alsbeidiesen Hunden, denverfluchten Deutschen... BeisolchenReden schoßdieAngstvon Neuem indasBlut derBauern. JhreSchrittewurdenschnellerundihreFinger betastetendenSchatz,densie verstecktam Körper trugen. Das dünneBuch, denAusweis ihrer schwer ersparten Gulden.

DemAnton Zimprichsollten sie ein Schweinverschaffen.DerMarie Lukeschdielangersehnte Kuh.DemJohannundderRosa Dostal gingesum daskleineFeld,dassie bisheralsPächterpflügten.DerKathiJahodaund demJosesKratkyumTischundStuhlundBettundeine Wiege fürdas un- geborene Kind. DieBabiSkoupekwolltesicheinehrlichesBegräbnißsichern undsechsMessen fürdasHeilderSeele. DieNannyZlatka sparte,um ein rothes Kleidzukaufenundzwei seidene Schürzen.DerKarlJakesch,umdurch einenHalsschmuckvon Granaten dieGunstdeseitlenMädels zugewinnen- Für JedenhattedasErsparieeineandere Bedeutung undfürAlledochdie selbe.Eswar dasLichtimDunkel ihres Lebens,dasSandkorn Ueberfluszin derWüsteihrer Noth.

Alsder ZugindenBahnhofeinlief,fandenDieausMotice denAbtheil DritterKlasseangefülltmitLandvolkausdenNachbardörsern.An allenStationen strömtennochLeutehinzu.Allewurden vonderselben NothandasselbeZiel getrieben.UndJeder wußteneueUnglücksbotschaft.EinMann zog einenBrief heraus,deneinGeschwisterkindanihn geschrieben hatte: »Du mußtDichtum- meln,Menschheitrenntnur so auf Kassen, sindschonbeinahleer-« EinAnderer erzählte,einFreundvon ihm seischonzweimalvergeblichumseinGeldge- gangen; immer habeman ihn vertröstet.BieleberichtetenvonderwildenWirth- fchaft,diewirklichauf der Sparkasse gewesenwar. KeineAufsicht.Falsche

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Vanik. 403

Rechnunglegung.AlleKontrolbeamten bestochen.SogarderStatthalter und vielehohe Herren haben Trinkgelderbekommen. Na, undüberhaupttDeutsche Schulen hatman unterstützt;mitdemGeldvonarmen Leuteni Nein: fürden AufstandinMazedonien (Niemand wußte,wer Das war)sindMillionen draufgegangen.

DumpfeWuth erfülltedieGemüther.Das Gesprächverstummte. Der Qualm derPfeierundderDunstderMenschenleiberverdüstertenochdastrübe Lampenlicht.DurchdiedickeLuft drangen Seufzer und Stoßgebete. Kinder weinten,Männerschnarchten,Müttersangen leise ihre Säuglingei!Schlaf;nur dieJugend;leichtsinnig, verliebt, kicherteundküßtein denEcken.Draußenaber schriedieDampfmaschine,wieumHilfe,gellend durchdieNacht;dieRäder rollten kreischend ihreFrachtvonMenschenangstundMenschenelend.Undder Zug ging langsam, hieltanallenStationen. Unbckümmertum dieUngeduld, dieinihm fieberteundbebte. Biserendlich, endlichin dieHauptstadt einfährt.

Stoßend,fluchendkämpft sichdieMengenachdemAusgangdurch. Jederwill alsErsterdasHaus erreichen,zudemAllehindrängten.

Dieaus Motieehalten sich zusammen. VonderGeldgier angespornt, haften sie durchdiebreiteVorstadtstraße.Sie ist aus-gestorbenJn denein- förmig grbauten,arm undgrämlichblickendenGebäuden sindalleFenster dunkel, wie erblindet. Nurselten isteinErdgeschoßerleuchtetundmitblutrothenGardinen festverhangen.Ausder Tiefe seiner Zimmer dringt GesangvonheiserenFrauen- stimmenundderBrummton schlechtgestimmterWirthshausbässr.

Plötzlichwirdirgendwo ineinerSchänkeeineThür geöffnet;einwirrer Menschenknäuelwindetsichheraus.Manhört Ringen,Rennen, Weiberkreischen undBetrunkene brüllen: ,,Haltetihn!«,,Schlagt ihn tot!« ,,ZuHilfe!«»Pa- trouille,-! Patrouillet« Dann folgtwieder Todes-stille Undin« derLuft,die fahlfarbigwieAsche ist,indemFrösteln dieserDämmerstundehängtbleischwer einehoffnungloseTraurigkeit.

DieBauern traben vorwärts. Jhreschweren Tritte erweckenweithin einendumpfen Widerhall.Es ist,alsstampfteeineHeerdeThieredurchdie Gassen.

Jetzt fiillt ihreLast die Kettenbrücke,diesichschaukelndhinundherbe- wegt. Blasse Nebel steigenausdemFlußbett undverhüllendieUmgebung.

Abereinverworrenes Rauschenkündetden Wandernden vonWeitem: sie sind nichtdieErstenamZiel. Spät kommensie, zuspät vielleicht.

Dalaufen sie,alskönnten sie verlorene Stunden wiederfangen. Sie stürzen vorwärts,bissie,amBrückenendeangelangt,sich jählingsrückwärts werfen.WiedieWogerückschlägt,dieandemStein desSchutzwallsbrandet.

EineMauervonBerittenen sperrtdenWeg. AlsKetteumschließensieden PlatzvordemSparkassengebäude,pferchendieVersammelteneinundwehren den Zuströmendendenungehemmten Einlaß. WiedurcheineschmaleGasse Müssensie sichzwischenPferdeleibern und Pferdehufenin dieGruppenderzuletzt Gekommenen drängen.Dastehen sie, von Nebelneingeschlossen,eingeteiltin einedunkleMenschenmassen,—"fundmüssenwarten.

« ,

"« Nachundnach erhellt sichdieLuftein Wenig.Diefahle Dämmerung

gebiertden grauen,regenschwerenTag. Windschauerkünden seinKommen. Sie

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f404 DieZukunft.

zerren andenfeuchtenKleidern dcrHarrcndcn,diesrierend auf den nassen Steinen hocken, reißendieNebel auseinander undentschleierndieLandschaft.

EinbreiterStrom fließt ruhigzwischendenQuadersteinenderQuaiein- fassung.Anseinem linken UferbautsicheinTheilderStadt auf;dasalterthüm- licheAristokratenviertel, dessenKirchenundPalästemitihrenThürmenundFassaden ausdemGewühlderBügerhäuserragen. Ansteilen Höhenzügensteigtesauf- wärts undträgtalsstolze KronediealteKönigsburg,derenMasse sichwuchtig von demDom,mitdemfeinen SpitzenwerkderStrebebogen,abhebt. Ein wundervolles Bild,derSchwereganzentkleidet indemMorgendunst,deresin fließendenLuststoffhüllt-

Nurhundert Schritte weit,nurbiszumRande desQuaiufers,brauchen alldieMenschenhinzutreten,umesinsichauszunehmen.Undden Anblickder vielenkühngeschwungenenBrücken,derInseln, die imFluß gebettet liegen,und derWehren,überdiedasWasser tosend schäumt· Doch hätte selbstderZaun derWachensich aufgethan: dieseMenschenhättendenKopf nicht nachlinks ge- kehrt.IhreAugensind für Natur undSchönheitganzverschlossen.Siesehen nichtsalsdasGebäude,dasihreHoffnungen einschließt,unddieMenge,diesie davontrennt. Siebohren ihre Blickein dieMauern, alskönnten siedurchihre Ritzen dringenundentdecken, welches Schicksal sich für sie dahinter vorbereite.

DieQual istunerträglich.DaistdasHaus;man brauchtnur hinein- zugehen, undmuß warten, alswärs meilenweit entfernt. DreiStunden mußman noch warten, ehedasThorsich öffnet.UndwievieleStunden, ehedieReiheanEinen kommtl SovieleFeindevorsich, sovieleNebenbuhler in demKampfumdasersparteGeld. Jeder haßt grimmig seinen Vordermann undseinen Nachbar. Vielleicht istDergeradederLetzte,demvergönnt ist, seine HabezuerraffenundseinemNachfolgerdasBischen Eigenthumzustehlen.

DerMenschenhanfewächstnoch immer;umritten undgeknusft,getreten undgestoßen.Undausder dunklenMassesteigen aufreizende KlagenundGerüchte.

»Hör’ ich,sind die Kassenleer.« -

,,Wahr istes. DieMillionen,mitdenen diedeutschenZeitungen sich berühmen,stehennur aufdemPapier.«

,,Alles haben sie verspekuliert.«

»Mit den Türkenlosen; die sind so gefallen-«

»Kein Gedanke! Beidem KrachderLeipzigerBanksind dreißigMillionen draufgegangen.«

»WasEuch nichteinfällt! Dendeutschen Fabrikantenhatman ausge- holfen.DeutschenStudenten hatman Geld geschenktundgroße Häuser-«

»MitdemSchweißvon armen Czechenhaben dieseSchweinehunde sich gemästet!«

»Stinkende Gemeinheitl Wo Dasihnengarnichtgehört.WoDasihnen vonKaiser Franz geschenktist, daßesarmem VolkzuGutkommt!«

».EinBrummen,Rollen, Brausen, dassichnachund nach verstärkt,hallt durch dieStraßen.DieStadt ist erwachtundschicktihre Boten. AllerleiVer- täufer drängen sich heran. MitBrezeln,warmen Würsten, Bratkartosseln,Ka- stanien und gebackenenFischen.Unddurchdie KettederBerittenen kriechenselt- same Gestalten.Männer inverschlissenenRöckemunrasirtundungewaschen,

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Partik. 405 manche nochimSchlafrockmitPantoffeln. Wie Geier,dieBeute wittern,um- kreisen siedieWartenden, schiebensichandieGefolterten, Erschöpftenheran, schürcnihre AufregungundAngst;flüsternihnenzu:daßdieSachenschlecht stehen; daß sogar diedeutschenEinleger schonAlle ihr Vermögen behoben haben, daßsämmtlicheWerthpapiere derSparkasseversetzt sind; daßsichheute Nacht einervondenDirektoren erschossenhat;daß zwei andereinWienvergeblichvon ThürzuThür laufenundumHilfebetteln. SielassensichdieBüchel zeigen, schüttelnbedauernd dieKöpfe, weisen nach, daßkeinKreuzermehrdaraufzu kriegen sei,undsindnurausMitleid undausMenschenliebeerbötig,diewerth- losenDokumente füreinGeringes einzulösen.

HäßlicheWeiber,dieungekämmten Haareunter wollenen Hauben,um die fetten Hängebrüstebuntkarrirte Umschlagtücher,machen sichanjunge Frauen, andiehübschenMädel. Siesuchen sie für Stellungenzuwerben,derenVor- theile sielockendschildern. Wenig Arbeit, hoher Lohn,alleTage Fleisch,Bier undMehlspeise;undabends Freiheit, um zurTanzmusikzugehen undsich zuunterhalten.

Freche rothgeschminkteDirnen gehen ausdemPflaster aufundab,lauern demMannsvolk auf;wenn es,dieTaschenvollGeld,dieGroßstadtsreuden

kennen lernenwill... ,

Ein aufgeregtesMeervonLeidenschaftenundGelüsten umwogtdasGe- bäude,das grauunddüster, mit fest verschlossenenFensterladen, dasteht;ein Fels, denderGischtderBrandungnichterreicht.

DieausMotice waren voneinander losgerissen.Nurdie Paare, die sichganzfest verklammert hatten,waren nicht getrennt. DerKarlJakesch hielt dieNannyZlatkadichtansichgepreßt. Erließ sienichtersrieren und ihm warddieZeit nicht lang. DenBankkrachunddie Kältehätteergesegnet, ohne dieeisersüchtigeWuth aufdieBegehrlichkeitderBurschen,diesichanseine Liebste drängtenundsichmitWorten undGeberden anihrzuschaffenmachten. Nicht weitvondiesen Beiden saßdieKathiJahoda ausderErde. Mitleidige hatten

demarmen Weibaus einpaarBündeln einenSitz«geschaffen. Daraufhockte

sie,lehntesichanihren Josesunderleichterte ihr schweres HerzvonZeitzu ZeitmiteinemThränenstrom. DiealteBabiSkoupekaberhattesich,trotz Fußtritten undRippenstößen,wieeineKatzevorgeschlichen,biszudemPrell- stein dicht beimEingangsthorderKasse. DenRückenan denStein gelehnt, denmüdenKörperschwerausihrenKrücken,murmelte sie einAveumdasan- dere. Siewollteja die Gulden nichtverjuxenundverfressen. Darum mußte dieJungfrauMaria aucheinEinsehen haben undihrzuihremGeldverhelfen, damitsie nicht verdammt sei,imFegefeuergebratenundgespießtzuwerden.

Jetzt gehteinDröhnen durch die Luft.VonallenThürmen schlägtes neunmal. Das langverschlosseneThordreht sichinseinenAngeln-

Wieein reisender Gebirgsstrom stürztsichdie Menge in die Oeffnung.

Sie beachtetdieFäuste nicht,nichtdiePferdehufeunddasKreischenderge- tretenen FrauenundgequetschtenKinder.Esgiebt Wunden,wiein einerSchlacht, alsdiePolizisten,mitderRücksichtlosigkeitderNothwehr,dieschwerenFlügel wiederschließen,unbekümmertumdieMenschenleiber,diesichdazwischenpressen, klammern und stemmen.Einganzer Schwarmist trotzdemschonindasHaus

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