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Unterrichtsblätter für Mathematik und Naturwissenschaften, Jg. 11, No. 4

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Academic year: 2022

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J a h r g a n g X I .

U ntemchtsblätter

1905. N o. 4.

für

Mathematik und Naturwissenschaften.

O rg an des V e re in s z u r F ö rd e ru n g

des U n te rric h ts in d er M a th e m a tik un d den N a tu rw isse n sc h a fte n .

B egründet u nter M itw irkung von B e r n h a r d S c h w a lb e ,

herausgegeben von

F. P i e t z k e r ,

P r o f e s s o r am G y m n a s iu m z u N o r d h a u s e n .

V e r l a g v o n O t t o S a l l e i n B e r l i n W. 3 0 .

R e d a k t io n : A lle fü r d ie R e d a k t io n b e s t im m t e n M it t e ilu n g e n und S e n d u n g e n w e r d e n n u r a n d ie A d r e s se d e s P r o f . P i e t z k e r in N o r d h a u s e n e r b e te n .

V e r e in : A n m e l d u n g e n u n d B e i t r a g s z a h l u n g e n f ü r d e n V e r e in (3 M k . J a h r e s b e i t r a g o d e r e i n m a l i g e r B e i t r a g v o n 45 M k .) s in d a n d e n S c h a t z m e i s t e r , P r o f e s s o r P r e s l c r in H a n n o v e r , L i n d e n e r s t r a s s e 47, z u r i c h t e n .

V e r la g : D e r B e z u g s p r e i s f ü r d e n J a h r g a n g v o n 6 N u m m e r n i s t 3 M a r k , f ü r e i n z e l n e N u m m e r n 60 P f . D ie V e r e i n s m i t ­ g l i e d e r e r h a l t e n d i e Z e i t s c h r i f t u n e n t g e l t l i c h ; f r ü h e r e J a h r ­ g ä n g e s i n d d u r c h d e n V o r l a g b e z . e i n e B u c h h d l g . z u b e z ie h e n . A n z e i g e n k o s t e n 2 5 P f . f ü r d i o 3 - g e s p . N o n p a r . - Z e i l e ; b e i A u f g a b e h a l b e r o d . g a n z e r S e i t e n , s o w i e b e i W i e d e r h o l u n g e n E r m ä s s i g u n g . — B e i l a g c g e b ü h r e n n a c h U e b e r e i n k u n f t .

N a c h d r u c k d e r e i n z e l n e n A r t i k e l i s t , w e n n Ü b e r h a u p t n i c h t b e s o n d e r s a u s g e n o m m e n , n u r m i t g e n a u e r A n g a b e d e r Q u e lle u n d m i t d e r V e r p f l i c h t u n g d e r E i n s e n d u n g e i n e s B e l e g e x e m p l a r s a n d e n V e r l a g g e s t a t t e t .

I n h a l t : V ereins-A ngelegenheiten (S. 73). — N aturw issenschaften und philosophische P ro p äd eu tik . V o rtra g auf der H auptversam m lung in Je n a . Von B a s t i a n S c h m i d (Zw ickau i. S.). ( S .74). — B em erkungen üb er Cfeometrographie. Von G. H o J z m ü l 1 e r in H agen. (S. 79). — Z u r E ntw ickelungsgeschichte einer angew andten G leichungsaufgabe. V on S em in aro b erleh rer H . D r e s s i e r in D resden-Plauen (S. 82).

— K leinere M itteilungen (S. 83). — B ericht üb er den S tan d der A rbeiten d er von d er B reslauer N atu r- forseherversnm m lung eingesetzten S clm lkom m ission, der H auptversam m lung zu J e n a e rs ta tte t von F. P i e t z k e r (S. 8 4 ) . — B ericht üb er die vierzehnte H auptversam m lung des V ereius zur F ö rd eru n g des U n terrich ts in der M athem atik und den N aturw issenschaften zu J e n a in der Pfm gstw oehe 1905.

Im A u fträg e des V orstandes. (S. 80). — V ereine und V ersam m lungen [77. V ersam m lung deutscher N atu rfo rsch er un d A erzte in M e ra n ; 48. V ersam m lung deutscher Philologen und S chulm änner; O rts­

g ru p p e Berlin und V ororte des V ereins zur F ö rd eru n g des U n terrich ts in der M athem atik und den N aturw issenschaften; N aturw issenschaftlicher V erein zu .H amburg] (S. 90). — Bücher-Besprecliungen (S. 92). — Z u r B esprechung eingetr. B ücher (S. 92). — Anzeigen.

V e r e in s - A n g e le g e n h e it e n .

Die vorliegende Nummer bringt den B ericht über den allgemeinen Verlauf der während der Pfingstw oche zu J e n a abgehaltenen vierzehnten H auptversam m lung des Vereins. Ueber die Vorträge und die wissenschaftlichen Diskussionen auf dieser Versammlung werden in der bisher üblich gewesenen A rt Einzelberichte erscheinen, m it denen in dieser Nummer der Anfang g e­

m acht wird.

W ie aus dem Versam m lungsbericht ersichtlich, ist für den au f seinen Wunsch aus­

scheidenden H errn Professor H a n s e n (Giessen) der ordentliche Professor an der U niversität Erlangen, H err Dr. L e n k neu in den Vorstand eingetreten, während die anderen satzungsgemäss aus dem Vorstand ausscheidenden H erren wiedergewählt worden sind. Danach besteht der Vor­

stand für die Z eit bis zur nächsten Versammlung aus den Herren L e n k (Erlangen), P i e t z k e r (Nordhausen), P r e s l e r (Hannover), B a s t i a n S c h m i d (Zwickau), S c h o t t e n (Halle ä. S.), T h a e r (Hamburg).. Das Amt des Schatzmeisters wird auch weiterhin H err P r e s le r verw alten (siehe die Notiz am Kopfe des B lattes unter der Rubrik „V erein“).

Die nächste Hauptversam m lung wird in der Pfingstwoche 190G in E r l a n g e n abge­

halten werden. Zuschriften, die sich auf diese Versammlung beziehen, wolle man an den H au pt­

vorstand zu Händen des P rof P i e t z k e r (Nordhausen) oder an den Ortsausschuss in Erlangen richten, dessen Vorsitz der D irektor des physikalischen In stitu ts der U niversität, H err Prof.

Dr. E. W i e d e m a n n daselbst g ü tig st übernommen hat.

D er V e r e in s -V o r s ta n d .

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S. 74. U

n t e r r ic h t s b l ä t t e r

,. Jahrg. XI. No. 4.

N a t u r w is s e n s c h a ft e n u n d p h ilo s o p h is c h e P r o p ä d e u tik .

V o rtrag gehalten a u f der H auptversam m lung zu J e n a *).

Von B a s t i a n S c l i m i d (Zw ickau i. S.)

In dem Gewirr von Ström ungen und Gegen­

sätzen, die das ausgehende 19. und das junge 20. Jah rhund ert auf unterrichtlichem Gebiete charakterisieren, sind es gewisse Fragen, die immer w ieder auf der Oberfläche erscheinen und immer stürm ischer nach ihrer Lösung ver­

langen. Zu diesen gehört auch die F rage der philosophischen Propädeutik. Gerade in letzter Zeit ist dieses Thema wieder Gegenstand leb­

haftester E rö rteru n g geworden, so dass sich eine umfassende, in Programm en, Zeitschriften, Broschüren und Büchern niedergelegte L iteratu r herausgebildet hat.

U eber die W ichtigkeit des Faches herrscht bei den Autoren kein Zweifel mehr, Uber das W ie der D urchführung jedoch sind die Mei­

nungen noch sehr geteilt. F ü r den einen bietet die Geschichte der Philosophie die geeignete Einführung, einem anderen g ilt die Psychologie und Logik als die beste Grundlage, ein d ritte r glaubt, irgend einen philosophischen Schrift­

steller in den M ittelpunkt des philosophischen U nterrichts stellen zu müssen.

Auch darüber ist man verschiedener Ansicht, ob man für das Each eigene Stunden ansetzen soll, wie das in Oesterreich und W ürttem berg der Fall ist und in Preussen der Fall war, oder ob der Unterricht, in den einzelnen Fächern auf philosophische Ziele hinauslaufen soll, so dass jede Disziplin ihren B eitrag' zu leisten hat.

Selbst an eine Kombination von beiden Möglich­

keiten — ich erinnere an R. L e h m a n n — h at man schon gedacht. A ndererseits verhehlt man sieh auch nicht, dass die Zahl der für den philosophischen U nterricht vorgebildeten L ehrer keine grosse ist und die E rteilung des Faches für die nächste Zukunft eine Personenfrage bleiben wird.

Gehen wir zunächst solchen Erörterungen aus dem W ege — sie werden uns voraussicht­

lich in der Diskussion beschäftigen — und fragen w ir uns, welcher A nteil an der philoso­

phischen P ropädeutik kom m t den N aturw issen­

schaftlern zu? In welcher W eise können wil­

den naturw issenschaftlichen U nterrichtsstoff philosophisch gestalten, auf letzte Fragen hin­

lenken, auf das W irken der N atu r im ganzen, auf das Verhältnis der N aturw issenschaften zu den Geisteswissenschaften hinweisen ?

Dass der naturw issenschaftliche U nterricht in erster Linie berufen ist, das philosophische Denken zu beeinflussen, eine W eltanschauung anzubahnen, dürfte angesichts der Beziehungen

*) S. diese Nummer S. 88.

zwischen N atur- und Geisteswissenschaften k ei­

nem Zweifel unterliegen.

W ir alle wissen, dass die Naturwissenschaften das ganze Denken und Gefühlsleben, die gesamte Lebens- und W eltanschauung m ächtig beein­

flusst haben. Jahrtausend alte Gedanken mussten fallen, tiefeingew urzelte Vorstellungen über die Stellung des Menschen im All und liebgewordene Bilder wurden zerstört. Das musste zunächst das IG. Jah rhu nd ert erfahren. Die E rde ist nicht m ehr der M ittelpunkt der W elt, sie w ird nicht m ehr von Planeten umschwärmt, sie dreht sich gleich anderen um die Sonne. Der Gedanke w ar kühn — er w ar eine Revolution. Und sp äter zerbrach die Himmelswölbung m it ihren Sternen, es gab überhaupt kein Gewölbe mehr, das W eltall wurde grösser, w underbarer, unend­

lich fremd und eisig für das G e m ü t; denn der Mensch wurde klein und seine Erde entw ertet.

E r war nicht mehr der M ittelpunkt des W e lt­

geschehens — und sie wurde eine von den vielen Kugeln da draussen in der Unendlichkeit.

An Stelle der begrenzten W elt treten unbe­

grenzte W elten und Räume, der Gegensatz Himmel und Erde w ar gefallen. Unsicher tastend bew egte sich der Geist in dem neuen Bilde.

W ie passte dieses zu seinen religiösen Anschau­

u n g en ? — Eine neue Periode in der Geschichte der M enschheit brach an.

Die Gefühle hinken neuen W ahrheiten nach und müssen sich erst dem fremden G edanken­

inhalt anpassen. Dem G eistesleben, das in einem engen Raum gefesselt war, öffnet sich je tz t die Unendlichkeit. Auch hier spriessen neue Id e e n ; es w urde befruchtet von der T at des W e ltb e freie rs; gew altig, m it dem F euer der Begeisterung lodert es auf in der B rust eines unglücklichen Mönches -— in Giordano Bruno. Die grandiose E ntdeckung w ird m eta­

physisch ausgebaut, die grossen W ahrheiten im Universum münden in einen geist- und gem üt­

befruchtenden Pantheism us.

Grösser und entscheidender wurde der Ein­

fluss der N aturw issenschaften auf die Philosophie, als sie ihre eigene Selbständigkeit erlangte.

Der W eg zwischen K eppler und Galilei bis Newton bed eu tet die E ntw ickelung der n atu r­

wissenschaftlichen Methode, und von da ab wurde das philosophische Denken nach Form und In halt beeinflusst. H andelt es sich doch um nichts Geringeres als um die E rkenntnis strenger Gesetzm ässigkeit in der K örperw elt und die s trik te Anwendung der M athematik auf die N atu r der Erscheinungen. D am it herrscht das Gesetz, und für W illkür, F reiheit und Zu­

fälligkeit ist im Reiche der N atu r kein Raum mehr vorhanden. So gew innt der innere Bau der N atur, v erk ettet durch die Kausalzusammen­

hänge, eine imponierende Einfachheit. Draussen

die entseelte W elt der Bewegungen — drinnen

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1905. No. 4. N

a t u r w is s e n s c h a f t e n u n d p h il o s o p h is c h e

P

r o p ä d e u t ik

. S. 75.

die W elt des Geistes. D ort Mechanismus — hier F reiheit.

Von grossem, freilich lange unterschätztem Gewinne wurden die Naturwissenschaften für die Erkenntnistheorie. Das zeigte sich in der schärferen Fassung des Begriffes Materie, der objektiven W elt und der Lehre von der Sub­

jek tiv itä t der Sinnesqualitäten. Schon Galilei weiss die wesentlichen Eigenschaften der Körper, Grösse, Ort, Zeit, Bewegung und Ruhe von den unw esentlichen, nur für unsere Sinnesorgane gültigen zu unterscheiden.

N icht w eniger gross und dem altherge­

brachten Denken nicht m inder schwierig als die Lehre des Kopernikus, w ar der im 19. J a h r­

hundert auftauchende Entw icklungsgedanke der L ebew elt, dem als grandioses Vorspiel die Theorie der Entw icklung der Gestirne voraus­

ging. Galilei meinte einmal, tausend Gründe reichen nicht aus, um eine w irkliche Erfahrung als falsch zu erweisen. W elch hohe Bedeutung hat man schon damals dem Experim ent und der E rfahrung z u e rk a n n t! N icht immer hat man für die Em pirie soviel H ochachtung gehabt;

denn wir wissen, dass die Naturphilosophie eines H e g e l und S e h e H i n g die E rfahrung igno­

rierte, dass für beide, um das Entw icklungsgebiet zu streifen, die N atur ein System von Stufen ist, deren eine aus der anderen hervorgeht, aber nicht im Sinne einer natürlichen Erzeugung, sondern der Idee nach. W ie in verschiedenen P unkten,so stim m t auch hier S c h o p e n h a u e r mit seinen grossen Gegnern Hegel und Schelling über­

ein ; auch für ihn muss sieh „die denkende B e­

trachtung solcher sinnloser Vorstellungen, wie das H ervorgehen der entw ickelten Tierorgani­

sation aus den niedrigen entschlagen“. (Man vergleiche seiue K ritik über Lam arck und die einschlägigen K apitel in „Die W elt als W ille i und V orstellung“, sowie die „Vergleichende ; A natom ie“). Auch er ist Schüler P latos und ! sieht die Offenbarungen des W illens (dort bei Hegel das Absolute) zeitlos und plötzlich.

D ieser Platonism us konnte der auf realen T a t­

sachen gewachsenen Entw icklungslehre Darwins nicht standhalten und musste in sich zusammen­

fallen.

W as Lamarck, Geoffroy de Saint Hilaire, Oken, Goethe m ehr oder minder deutlich aus- sprachen, das hat sicli unter der W ucht des ungeheuren, von D arw in gesammelten M aterials Bahn gebrochen.

Solche Anschauungen konnten nicht in dem engen Kreise der Naturwissenschaften, wo sie in fruchtbarster W eise anregten, gebannt bleiben, sie drangen fast in alle Gebiete des G eistes­

lebens hinein.

D arwins Entw ickelungstheorie w ar für die organische W elt, was die Kopernikanischen Lehren für die anorganische bedeuteten. W ieder­

um mussten die stolzen Ansprüche des Menschen einer bescheidenen Auffassung Platz machen, die ihm einen Rückblick bis zu den U rtieren gebot.

D am it nun, dass der Entw icklungsgedanke auch auf das Geistige angewendet wurde, er­

gaben sich für Psychologie, E thik, Soziologie und andere W issenschaften ganz neue G esichts­

punkte. Und heute bietet uns durch das an­

nexionskräftige Vorw ärtsschreiten der N atu r­

wissenschaften die zweite H älfte des 19. Ja h r­

hunderts ein wesentlich anderes Bild als die erste.

A uf Grund des gew altigen Einflusses n atu r­

wissenschaftlicher Erkenntnis auf die W eltan­

schauung sowohl als auch auf die einzelnen philosophischen Disziplinen erheben sich F orde­

rungen, welche für die L ehrer der Naturwissen­

schaften unabw eisbar sein dürften. Allerdings ist der liier sich aufdrängende Stolf ein so gew altiger und vielseitiger, dass von vornherein weise B eschränkung geboten erscheint. Eine B ehandlung der naturw issenschaftlichen Fächer nach ihren philosophischen Zielen setzt unver­

meidlich einige V orarbeiten voraus, die, wie der gesamte philosophische U nterricht, durch das entwickelnde U nterrichtsverfahren — nicht durch den V ortrag — zu gewinnen sind. Hierzu rechne ich Begriffe wie Hypothese, Theorie, Gesetz — dieses im Gegensatz zur gram m a­

tischen Regel. An Beispielen Uber die E n t­

stehung von Hypothesen und Theorien fehlt es uns bekanntlich nicht. E rinnern w ir uns nur, um gleich klassische Typen herauszugreifen, an die optischen Theorien, die Atomtheorie, an die K atastrophentheorie und die E ntw ick ­ lungslehre. Ich nenne die A rbeit eine Vor­

arbeit. D am it will ich nicht sagen, dass sich dieselbe ohne Uebergriffe auf entferntere Gebiete, ohne grössere historische Rückblicke erledigen lässt, das wird Sache der Praxis des Einzelnen bleiben. H eute gehört z. B. die Bewegung der Erde um die Sonne leider zur Sextanerw eisheit;

das Kopernikanische Z eitalter mehr zu ver­

innerlichen, dem Gemiite näher zu bringen, das wäre eine Aufgabe für die Oberprima.

Gewöhnlich geschieht das nicht, und so fällt nichts weiteres ab als die dürre Erkenntnis.

Die Aufgabe selbst ist von em inenter W ichtig-

| keit. Nicht nur, dass sie dem Schüler Gelegen­

heit gibt, in die W erk stätte des Geistes zu

blicken, zu zeigen wie neue Hypothesen,

Theorien und W ahrheiten entstehen, sondern

sie wird auch klarlegen, worin die B erechtigung

gegenw ärtig geltender Theorien liegt. So werden

w ir einerseits finden, dass w ir auf den Schultern

der Vorfahren stehen, andererseits aber auch

erkennen, dass es sich bei Theorien um Bilder

handelt, nicht um letzte W ahrheiten. Das Bild

v e rtritt nun die Stelle einer solchen, aber nur

so lange, als sich die Erklärung m it der be-

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S. 76. U

n t e r r ic h t s b l

I

t t e r

. Jahrg. XI. No. 4.

treffenden Erscheinung deckt, und es bleibt der Z ukunft überlassen, ob durch neue Gesichts­

punkte das Bild erw eiterungsfähig ist, oder ob es überhaupt noch passt. Mit diesen E rö rte ­ rungen können auch Begriffe allgemeiner A rt, wie der K raftbegriff sowie universelle Gesetze (wie das Gesetz von der E rhaltu n g der Energie) eine philosophische V ertiefung erfahren.

Nach solchen Arbeiten ist auch die Zeit gekommen, auf das Kausalgesetz einzugehen.

Oder sollen wir es uns etwa versagen, dem Schüler, der Dutzende von Gesetzen lern t und sie wie G ram matikregeln beherrscht, in das Gesetz der Gesetze blicken zu lassen? N atürlich kann es sich nur um Anfänge handeln, nicht um ein Zuendedenken der bestehenden Probleme.

W er in dieser H insicht Erfahrungen zu ver­

zeichnen hat, der wird m ir zustimmen, dass dieses Denken für den Schüler geradezu eine neue W elt ist (mir haben das Schüler wörtlich versichert), in der sie sich anfänglich unsicher tastend bewegen, aber mit grösstem Interesse vorw ärts schreiten.

W ährend auf dem Gebiet der exakten N atur­

wissenschaften die K ausalität in absoluter Souveränität herrscht, t r itt diese auf biologischem Felde nicht so offen zu Tage, hingegen ist hier der Zweckgedanke zu einem w ichtigen F o r­

schungsprinzip geworden. Ebenso wie w ir den E rörterungen über K ausalität nicht aus dem W ege gehen können, müssen wir auch den Zweckgedanken ins Auge fassen. W ir haben in unserem U nterrich t den Bau des Vogels, des Fisches und anderes als zweckmässig erkannt und haben auch begründet, worin das Zweck­

mässige liegt. Sollten uns solche E rörterungen nicht einmal veranlassen, auf die Beziehungen von K ausalität und Zweck einzugehen, sowie darauf hinzuweisen, wie sehr au f diesem Gebiete durch Vorurteile gefehlt wird, und dass gerade hier besondere Vorsicht geboten ist?

D am it begeben w ir uns bereits in das K apitel „E rkenntnistheorie“ und betreten ein Gebiet, das von manchem als für den Schüler zu fern liegend, aus dem Rahmen der philo­

sophischen Propädeutik verbannt wird. Selbst­

verständlich kann es sich bei unseren Fragen um keine Erschöpfung der Themen handeln.

Das ist weder Zweck der philosophischen P ro ­ pädeutik, noch würden es unsere Z eitverhält­

nisse zulassen. Auch der Oberflächlichkeit soll in keiner W eise Vorschub geleistet werden, denn w ir betreten mit Vorsicht die Richtung, in der die Probleme liegen, und der philoso­

phische U nterricht muss, wie R. E u c k e n * ) sagt, der W eckung geistiger Kraft, der Steigerung intellektuellen Vermögens dienen.

*) R . E u c k e n , G esam m elte A ufsätze zur P h ilo ­ sophie u n d Lebcnsansehauung, S. 234. L eipzig 1903.

Kehren wir zu unserem Stoffgebiet zu rü ck ! Von der P hysik führt uns eine B rücke zu den Problem en der Aussenwelt. N icht irgend­

welche spekulative Erw ägungen, sondern solche physikalischer A rt sollen es zunächst sein, welche auf die S u bjektivität von Licht, Schall, W ärme und dergleichen hinführen. Ich sage zunächst, denn auch hier dürften sich m ehr oder minder weitgehende Illustrationen aus der Geschichte der Philosophie sehr empfehlen. Ich würde in der Praxis erst Galilei, dann Locke sprechen lassen, m it anderen W orten, die aus dem physi­

kalischen U nterricht sich ergebenden erkenntnis­

theoretischen G esichtspunkte sollen den Vorzug haben. W enn man nun dazu einen Abriss über prim äre und sekundäre Q ualitäten nach Locke gibt, so ist das eine schätzenswerte Beigabe. Aehnlich verhält es sich m it dem Kausalprinzip. Auch da bleiben w ir zunächst bei unseren W issenschaften und illustrieren m it irgendwelchen klassischen, leichter zugänglichen Stellen aus den W erken unserer Philosophen.

H ier auf dem Boden der P hysik finden wir, u n terstü tzt von der Physiologie der Sinnes­

organe, den W eg zu dem Problem der P aralle­

litä t des Psychischen und Physischen. Aller­

dings berühre ich m it dem Hinweis auf die Physiologie ein Gebiet, das, wie die Biologie überhaupt, in der Oberstufe unserer neunklassigen Anstalten noch keinen Eingang gefunden hat.

Ich kann wohl vor einem V erein, der den B ildungsw ert der biologischen F ächer aner­

kennt und deren Durchführung durch alle Klassen der R ealanstalten gefordert hat, ver­

zichten, auf diese F rage näher einzugehen.

W ollen w ir nicht zu pessim istisch sein und vielmehr dam it rechnen, dass die einst aus dem U nterricht der oberen Klassen verwiesenen Fächer in nicht allzuferner Z ukunft wieder in ihre R echte kommen werden. Dann werden w ir auch an der Hand der biologischen Tat­

sachen die für eine W eltanschauung nicht unw ichtigen Konsequenzen heranziehen können.

N icht selten begegnet man heutzutage dem Vorwurf, dass die Biologie zu einer m ateria­

listischen W eltanschauung hinführe, und man glaubt dieser Gefahr durch ein Zurückweisen biologischer B estrebungen Vorbeugen zu können.

Meiner Ansicht nach w äre das wohl die ver­

kehrteste P olitik.

Meine Herren, es ist eine betrübende T a t­

sache, dass in unseren Scliülerkreisen m onisti­

sche Ideen verw orrenster A rt und die m ate­

rialistische L itera tu r eine grosse V erbreitung

haben. Ich kann m ir nicht denken, auf welch

andere W eise wir dem Umsichgreifen solcher

Lehren entgegentreten könnten als dadurch,

dass man auf solche Dinge eingeht. Der

Jün glin g bren nt auf diese L iteratur, sie hat

für ihn den Reiz der verbotenen Frucht, für

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1905. No. 4. N a t u r w i s s e n s c h a f t e n u n d r

viele ist sie die reinste W ahrheit, schon des­

halb, weil sie der R eligionslehrer bekämpft.

E r ist also ganz und gar der zweifelhaften und seichtesten L iteratu r überlassen, und der ein­

zige, der ihm beistehen könnte, der L ehrer der N aturw issenschaften, hat keine Gelegenheit.

Leider ist der den modernen N aturforschern geläufige U nterschied von Entw ickelungslehre und Darwinismus noch lange nicht Gemeingut der Gebildeten geworden. F ür den N atur­

forscher ist die E ntw icklung der Organismen ein Faktum , das W ie der Entw icklung jedoch ist eine von den um strittensten Fragen. Gerade die därwinistisohen Prinzipien gehören zu den­

jenigen, die am meisten bekäm pft werden. Da ist es das Zurück zu L am arck, der Neo-La- marckismus, da wird der Allm acht der n atür­

lichen Zuchtw ahl die Ohnmacht derselben gegen­

übergestellt, da ist es die M utationstheorie — kurz und gut, eine Fülle von Hypothesen, die, da das Experim ent auf diesem G ebiete m it ganz anderen Zeitverhältnissen zu rechnen h at als das physikalisch-chem ische, sich erst in ferner Zukunft klären werden. Und so ist D arw in zwar ein Markstein in der Geschichte der W issenschaften, gross in seinen Anregungen, gross vor allem in der Problem stellung — im übrigen ein D urchgangspunkt. Dem U rsprung des Lebens sind w ir durch ihn nicht näher gekommen. Keine Lösung von W elträtseln, sondern neue R ätsel in endloser Reihe zurück

— bis über die U rtiere hinaus. K lingt es nicht seltsam, dass die vornehmste B lüte der N atur, der Heros auf dem Gebiete des Geisteslebens, gänzlich unbekannt ist m it dem W oher seines geistigen Seins?

Ueber solche Lücken hilft uns die mecha­

nische Wclt.auffassung nicht, hinweg, und wir stehen heute noch vor den Rätseln, die Du Bcns-Reymond in seinem glänzenden V ortrag zusamm engefasst hat.

Auch hier heisst es für uns, nicht den Dingen aus dem W ege gehen, sondern sieh mit ihnen beschäftigen. Da sind es das Gesetz der E rhaltung des Stoffes und der K raft nicht minder als anatomisch-physiologische Tatsachen, welche von den M aterialisten als Beweisquellen gebraucht werden. Speziell lässt es sich der Materialismus angelegen sein, die Beziehungen des Nervensystems zum Seelenleben zugunsten seiner Theorie zu beleuchten, und tatsächlich sind seine Beweisführungen für den Unbefan­

genen geradezu verblüffend. Ich erinnere nur an die aufsteigende Entw ickelung des Gehirns innerhalb der W irbeltierreihe, speziell innerhalb der Klasse der Säugetiere und die damit Hand in Hand gehende Zunahme der geistigen An­

lagen, an die W achstum sstörungen des mensch­

lichen Gehirns und die dam it verbundene geringe Begabung, an die m it Gehirnverletzungen

verknüpften geistigen Störungen, an das A b­

tragen der G rossgehirnlappen bei Tauben und Kaninchen und das Fortfallen geistiger F u nk ­ tionen. Dem Schüler sind solche Tatsachen bekannt, er h at sie gelesen und ist den daran geknüpften Schlussfolgerungen willig und k ritik ­ los gefolgt.

W iederum ist es zunächst das Gebiet der N aturw issenschaften, das dem Materialismus gegenüber die Gegenbeweise zu liefern imstande ist. Man vergesse nicht, dass der Begriff M aterie nur eine A bstraktion, ein Hilfsbegriff ist, der jeglicher Anschauung entbehrt. Anlass zu solchen Erw ägungen bietet uns die Atom ­ theorie und die Physik.

W enden w ir uns sodann zur Physiologie, von der einer der modernsten V ertreter*) sagt:

„W ir haben, wenn w ir genau die einzelnen Gebiete der Physiologie durchm ustern, bisher eigentlich nichts kennen g elernt als die groben mechanischen und chemischen Leistungen des W irbeltierkörpers. Die U rsachen, auf denen diese Leistungen beruhen, sind uns bisher noch zum grössten Teil völlige R ätsel.“ Greifen wir ferner zu den beredten Ausführungen des N atur­

forschers Du Bois-Reymond, „U eber die Grenzen des N aturerkennens.“ W enn auch die dort niedergelegten Ansichten nicht neu sind , so suchen sie, um das nebenbei zu bemerken, d ar­

stellerisch doch ihresgleichen.

Ganz besonders erwähne ich die A bschnitte, in welchen gezeigt wird, dass die E ntstehung der Empfindung aus der Bewegung durchaus keine selbstverständliche Konsequenz ist. — Vergessen wir nich t, dass eine A bhängigkeit des Psychischen vom Physischen unzweifelhaft, dass aber nur der allgemeine Begriff einer Funktionsbeziehung, nicht aber jener der kau­

salen Verknüpfung anw endbar ist, und vergessen w ir endlich nicht die Gegenüberstellung von subjektiver und objektiver W elt.

Alle diese und noch andere Fragen — ich erinnere dabei nur an Zeit und Raum und betone dabei ganz besonders das Ausgehen von der Erfahrung, den psychologischen T a t­

sachen nicht die metaphysischen Verhältnisse — ergeben sich mühelos aus dem naturw issen­

schaftlichen U nterricht, und welch anderer als der L ehrer der N aturw issenschaften soll sich Uber diese Gebiete verbreiten? Auswahl und Umfang solcher B esprechungen werden sich ganz nach den gegebenen Verhältnissen richten müssen. Vor allem keine H albheiten, kein A burteilen, keine versteckten A bsichten, die darin bestehen könnten, den Schüler auf irgend­

welche religiös- oder naturw issenschaftlich­

dogmatische Systeme hinzuleiten; denn das Motiv kann nur eines sein, die E rkenntnis der

h ilo s o p h is c h e P r o p ä d e u t ik . S. 77.

*) M. V e r w o r n , A llgem . Physiologie, 4 Aufl. S. 29.

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S. 78. U

n t e r r ic h t s b l ä t t e r

. Jahrg. XI. No. 4.

W ahrheit. — Leider verbieten es m ir die Zeit­

verhältnisse, * auf diese und andere Dinge näher einzugehen, ich beabsichtige an anderer Stelle ausführlicher zu werden.

Auch auf die Gebiete, welche bisher h aupt­

sächlich den Kursus der philosophischen P ro­

pädeutik ausfüllten, die Gebiete der Psychologie und Logik h at der. N aturw issenschaftler ein grosses Anrecht. Die Beziehungen der P sy­

chologie zu den N aturw issenschaften sind, wie w ir alle wissen, in der zw eiten H älfte des 19. Jah rh underts ausgeprägt hervorgetreten, ich brauche nur die naturw issenschaftlich vorge­

bildeten Psychologen F e c l i n e r , L o t z e , W u n d t zu nennen. W as liegt uns näher, die w ir in der Anthropologie über R eflexe, Reizerschei­

nungen, in der Zoologie über Triebe und In stin k te sprechen m üssen, als eine Analyse des Seelenlebens vorzunehmen?

Nur wir L ehrer der Naturwissenschaften sind berufen, auf die p h y s i o l o g i s c h e Psy­

chologie — und darüber kommen w ir heutzu­

tage nicht mehr hinweg — einzugehen. Denn nicht nur von Em pfindungen, Vorstellungen und Gefühlen, sondern auch von deren B egleit­

erscheinungen wird die Rede sein müssen.

Selbstverständlich werden w ir bei der Beto­

nung des Physiologischen d i e H a u p t s a c h e , das Reinpsychologische, nicht aus dem Auge verlieren und das Geistige auf Kosten des M ateriellen nicht in den H intergrund drängen dürfen.

F ü r angew andte Logik bieten sieb uns treffliche Beispiele in Biologie sowohl als auch in den exakten N aturwissenschaften. H ier liegt ein grosses noch sehr der B earbeitung bedürf­

tiges Feld vor uns, und wie schon von ver­

schiedenen Seiten, ganz besonders von A. II ö f 1 e r*) betont, werden an Stelle von Jahrhunderte alten Beispielen endlich einmal auch andere, den N aturw issenschaften entnommene, den U nter­

rich t beleben. W ie sich m it Vorteil der che­

mische U nterricht zu solchen Zwecken eignet, hat K r u g in einer Program m arbeit und in einem in „N atur und Schule“ erschienenen Auf­

sätze „die Induktion im Dienste des chemischen U n terrichts“ gezeigt.

Endlich verdient trotz der vielfach h err­

schenden Ansicht, als würde die wissenschaft­

liche B etrachtung der N atur die ästhetische ausschliessen, das Gebiet der A estlietik sorg­

fältige Beachtung. In seinem bedeutsamen W erke über „N aturschilderung“, das er den Lehrern der G eographie, N aturw issenschaften und Geschichte widmet, h at F. R a t z e l eine Fülle von Gedanken niedergelegt. „W issen­

schaft genügt nicht, um die Sprache der N atur

*) A . H ö f

l e r , GrimdleLren

d er L o g ik u nd Psy­

chologie. W ien 1903.

zu verstehen. F ü r viele Menschen sind Poesie und K unst verständlichere D olm etscher der N atur als die W issenschaft. Und der Lehrer, der an das Gefühl appelliert, kann seinen Schülern die grossen Dinge der N atur näher und jene in ein lebendigeres, wachsendes Ver­

hältnis zu denselben b rin gen .“ R a t z e l weiss sich eins m it dem Streben der Erziehung zum K unstverständnis. „Diese E rziehung“, sag t er,

„kann ich allerdings in keinem anderen Sinne auffassen, als in dem: durch K unst zur N atur, vom Lernen zum Sehen, vom Nachschaffen zum M itfühlen, zum Selbsterleben. So verstanden, ist es ein schöner Gedanke, dass den W in ter der rein verstandesm ässigen naturw issenschaft­

lichen A ufklärung ein sonniger F rühling der N aturfreude und N aturbefreundung vertreiben kö nnte, in dem der blütenreiche Kranz von körperlichem und gemütlichem Erleben und von G edanken, die w ir N aturgenuss nennen, von immer mehr Menschen in allen Ländern und zu allen Tagen und immer kundiger gewunden w ürde.“

„W issenschaft genügt nicht, um die Sprache der N atur zu verstehen“ , — ein treffliches W ort, das auf den Makrokosmos wie auf den Mikrokosmos angew endet, in seiner ganzen Tiefe erfasst und auf die Erziehung übertragen sein Will. V erstandeserkenntnis allein ist nicht im stande, die W irk lich keit zu erschöpfen; sie will auch m it dem Gemüte erlebt und durch das Gefühl geschätzt sein. So gehen W ahr­

heiten auf ästhetischem G ebiete nicht aus dem reinen Verstände hervor, sie müssen innerlich erleb t sein, es handelt sich um kein blosses Hinnehmen, sondern um ein Nachschaffen und Nachfühlen.

W ie schon mehrmals, so berühren w ir auch hier w ieder die W elt des Geistes. Verhehlen w ir uns n ic h t, dass die einseitige Betonung der N aturphilosophie die andere und höhere W irk lich k e it, die G eistesw elt, unterschätzen würde. Man ist m itunter geneigt, das Geistige als ein Etw as, ein Mehr, das zum N atürlichen hinzugetreten ist, zu betrachten und verkennt dann in ihm die ganz andere A rt der W irk ­ lichkeit in ihrem unermesslichen Reiche, welches die äussere U nendlichkeit der N atur m it seinem inneren' Sein erfasst und sie ausfüllt, wie einst Giordano Bruno die kalten Räume des Koper- nikus m it allen Fasern seiner Seele belebte.

Sie, die Natur, erh ält erst ihre Tiefe durch den Geist, dieser ist es, der die N atur erfasst und innerlich erlebt.

Alles in allem : unseren D arbietungen würde

ein wesentliches Stück fehlen, wenn w ir es an

Ausblicken auf das Geistige mangeln Hessen,

wenn wir nur einer von den W irklichkeiten

unsere W ertschätzung zuw endeten, s ta tt die

N atur einem grösseren Ganzen einzufügen.

(7)

1905. No. 4. N

a t u r w is s e n s c h a f t e n u n d p h il o s o p h is c h e

P

r o p ä d e u t ik

. S. 79.

Meine H e rre n ! Ich habe dem Them a m it A bsicht eine gewisse Abgrenzung gegeben, um zu zeigen, was die einzelnen naturw issenschaft­

lichen Disziplinen an philosophischen Anregun­

gen zu bieten im stande sind, welchen B eitrag zur philosophischen P ropädeutik sie leisten können. W ie schon eingangs erwähnt, ist man über den U nterrichtsstoff noch verschiedener Ansicht. Denjenigen, welche die Geschichte der Philosophie in den M ittelpunkt unseres U nterrichts setzen wollen, ist entgegenzuhalten, dass sie dam it in die Sphäre der Hochschule übergreifen. Ausserdem hat es seine grossen Gefahren, Systeme im Fluge an dem Schüler vorbeiziehen zu lassen , die m it dem ganzen geistigen Sein erfasst sein wollen. Ohne Ober­

flächlichkeit ginge es hier nicht ab. Dazu müssten w ir uns, weil es sich um M itteilungen handelt, dozierend verhalten, und das wäre durchaus nicht dem Zwecke der philosophischen P ropädeutik entsprechend.

Andere wollen einen philosophischen S chrift­

steller in den M ittelpunkt gestellt wissen.

Dieses Verfahren hat auch seine Bedenken.

Selbst wenn w ir einen leichteren Schriftsteller voraussetzen, muss der Zusammenhang der Ideen nach rückw ärts wie nach vorw ärts her­

gestellt werden, wenn man das Ziel einiger- massen erreichen will. D am it will ich gegen die H eranziehung von ausgewählten K apiteln aus verschiedenen philosophischen K lassikern in keiner W eise Einwände gem acht haben. Ich erachte vielm ehr derartige Einlagen für sehr w ichtig, vorausgesetzt, dass sie nicht zu schwer und allgem einer N atur sind.

Psychologie und Logik bildeten von jeher fast ausnahmslos die Grundlage der philoso­

phischen P ropädeutik. W as die Logik anbe­

trifft, so kann man wohl behaupten, dass sie schon manchem Schüler den U nterricht gründlich verleidet hat. Mancher erinnert sich heute noch m it Unwillen an jene Stunden, die ihm das Interesse an Philosophie verdarben. So lange die Logik nicht dem wissenschaftlichen Leben ihre Beispiele entnimmt, wird sie kein grosses Interesse erwecken, aber selbst dann dürfte sie nicht den Raum einnehm en, der ihr früher zugewiesen wurde.

So wie die Dinge gegenw ärtig liegen, werden wir für die nächste Zeit eigene. Stunden für philosophische Propädeutik nicht zu erw arten haben, so dass wir nur den einzigen Ausweg, philosophisch gerichteten U nterricht in den ein­

zelnen Fächern, vor uns haben dürften. — Man bew egt sich heute in einem m erkwürdigen Zirkel und sagt, w ir haben keine philosophische Propädeutik, weil w ir keine L ehrer dafür haben — und wir haben keine Lehrer, weil es keine G elegenheit zum U nterrichten in diesem Fach gibt. Das eine müssen wir sagen, der

einschlägige P aragraph der Prüfungsordnung bedarf einer gründlichen Revision. E r ist zu eng und zu weit und g ib t dem Studenten zu wenig positive Anhaltspunkte.*) W ir können erst dann auf Abhilfe des bestehenden Mangels rechnen, wenn die Prüfungsordnung das Studium der einzelnen Fächer berücksichtigt, an den N aturw issenschaftler z. B. andere Anforderungen stellt als an den Altphilologen. Sicher lässt sich ein Modus finden, welcher bei dieser n o t­

wendigen A rbeitsteilung, ohne in ein Spezialisten­

tum zu verfallen, den Zusammenhang m it dem Ganzen im Auge behalten wird.

Meine H e rre n ! W ir leben in einer Zeit, in welcher das philosophische Interesse im Steigen begriffen ist, in einer Zeit, welche philosophischen Fragen wieder Verständnis en t­

gegenbringt. Von allen S eiten, nicht zum m indesten von naturw issenschaftlicher her, ist ein stark e r philosophischer Zug zu verspüren.

Zweifelsohne w ird sich dieses Interesse auch auf die Schule ausdehnen, und dann w ird die A ntw ort auf die Frage „Philosophisch gerichteter U nterricht in den einzelnen Fächern oder philosophische P ro p äd e u tik ?“ lau ten ; „Philoso­

phisch g erichteter U nterricht und philosophische Propädeutik als eigenes U nterrichtsfach.“

B e m e r k u n g e n ü b er G eo m e tr o g r a p h ie . V on G. H o l z m ü l l e r in H agen.

D ie A rb eiten von E . L e m o i n e , H. B o d e n s t e d t , R. G iii l t s c h e , das neuere W erkehen voii .1. R e u s c h und andere h ierh er g eh ö rig e A rb eiten setze ich als b ek an n t voraus, selbstverständlich auch den schon von S t e i n e r energisch b eto n ten U nterschied zwischen „den K onstruktionen m it dem M und und denen m it der H a n d “. Bei aller A n erkennung d er L eistungen au f dem G ebiete d er G eom etrographie m öchte ich eine sachliche P rü fu n g d er Z ählm ethode dieser W issenschaft anregen. Ich will dabei der Bezeichnungsweise des H e rrn R e u s c h folgen.

R j ist die O peration, ein Lineal an einen gegebenen P u n k t ¡inzulegen, R.2 bedeutet das Ziehen einer Geraden längs des L ineals, Cj das E insetzen einer Zirkelspitze in einen gegebenen P u n k t, C., das B eschreiben eines K reises m it dem Zirkel. I s t lt die A nzahl der O pera­

tionen R x, 12 die der O perationen R„, nq die der O perationen (',, m2 die der O perationen C2, die zu einer K o n stru k tio n nö tig sind, so h a t m an in dem A usdruck

1) h 14] -f- 12 R2 + m, C] -f- m 2 C2

eiu Symbol, welches (abgesehen von d er R eihenfolge) die A nzahl und die A rt d er E inzeloperationen ch arak te­

risiert. U n ter der A nnahm e d er G leichw ertigkeit der letzteren g ib t dann die Sum m e

2) 1] -j- 12 nij -)- m2 = S den G rad der E in fa c h h e it (S im plicité) der gew ählten K onstruktion an, die nun m it anderen L ösungen d e r­

selben A ufgabe verglichen w erden kann. D ie Sum m e

3) li

+ ni] —

E

*) V ergl. h ierü b er R . L e h m a n n , W ege und Ziele der philosophischen P ro p äd eu tik . B erlin 1905.

(8)

S.

8 0 . U n t e r r i c h t s b l ä t t e r .

Jahrg.

A l .

ä o .

4 .

(E xactitude) soll <lon G rad d er G enauigkeit angeben, besser wohl den reziproken G rad d er G enauigkeit, also den U ngenauigkeitsgrad.

Die A n reg u n g des französischen M athem atikers h a tte den E rfo lg , dass sich ein förm licher S p o rt e n t­

w ickelt hat, die K onstruktionen auf m öglichst w enig

„P o in ts“ herabzubringen. J e d e V ereinfachung is t als ein E rfo lg zu begriissen. N u r fra g t es sich, ob das Prinzip der A bzählung ein richtiges ist. J e d e V er­

schärfung d er G enauigkeit einer K o n stru k tio n is t eben­

falls ein E rfolg. E s fr a g t sich aber, ob die vorge­

schlagene B eu rteilu n g eine rich tig e ist.

Ich b efü rch te leider, dass die M ethode, wie sie je tz t vorliegt, der K ritik in m ehrfacher H in sich t nicht S tan d halten kann.

M an untersuche beispielsweise die A ufgabe, durch zwei gegebene P u n k te eine G erade zu legen. D er G rad d e r E in fac h h eit w ird, d a das Symbol 2 R , R., v o r­

liegt, als 2 - f 1 = 3 angegeben, der reziproke der Ge­

n au ig k eit als 2.

D abei h an d elt es sich um fo lg e n d e s: Das L ineal w ird an den ersten der gegebenen P u n k te angelegt, dann w ird es um diesen P u n k t g edreht, die D rehung w ird in dem A ugenblicke unterbrochen, in dem es den zw eiten P u n k t b e rü h rt. E n d lich w ird die G erade längs des L ineals gezogen, sei es m it spitzem B leistift, sei es m it der R eissfeder, und zw ar muss d ie B ew egung genau bei dem ersten P u n k te beginnen, genau beim letzten aufh ö ren , u nd die H a ltu n g des S tiftes od er der E eder d a rf n ich t in dem Sinne schw anken, dass die erstreb te G erade eine krum m e L in ie w ird. Ic h w ill annehm en, das L ineal sei absolut genau k onstruiert, d er S tift sei absolut spitz, das R e iss b re tt absolut eben, so dass n u r

„subjektive U n g enauigkeiten“ m öglich sind. Ic h w ill ferner annehm en, das A nlegen des L in eals an den ersten P u n k t könne m it vollendeter G enauigkeit erfolgen, so dass die O peration R , in O rdnung ist.

, J e t z t aber kom m t die D reh u n g des L in eals um den ersten P u n k t. B l e i b t d e n n d a b e i d i e g e ­ w o n n e n e B e r ü h r u n g e r h a l t e n ? In d er Regel ist dies n ic h t d er Fall. T rotz aller U ebung w ird der Z eichner, nachdem die B erü h ru n g des zw eiten P u n k tes e rre ic h t ist, g e n ö tig t sein, die verloren gegangene B e­

rü h ru n g m it dem ersten w ieder herzustellen. Dass trotz d er K lein h eit d e r dazu nötigen D rehung auch die zw eite B e rü h ru n g gefäh rd et w ird, muss zugestanden w erden, ich will jed o c h diese neue G efäh rd u n g als unerheblich b etrach ten . Die erste S tö ru n g ab er kann zu ganz bedenklicher U ngenauigkeit führen, sie muss also der K o n tro lle und einer, wenn auch geringfügigen, K o rre k tu r unterzogen w erden. Ic h selbst habe häufig m ehrere abw echselnde K o rrek tu ren nötig.

E s ist also m eh r als gew agt, das A nlegen des L ineals an zwei P u n k te einfach durch das Sym bol 2 R t zu bezeichnen, das A nlegen an den zw eiten P u n k t also als gleichw ertig m it dem A nlegen an den ersten zu b etrachten, es ist sogar falsch.

D urch das E instechen einer S tecknadel in den ersten P u n k t könnte m an die B erü h ru n g w ährend der D rehung sichern, da eine A rt von „K raftschluss“ vor­

handen wäre. D a jed o ch ein solcher S tü tz p u n k t n ich t vorhanden ist, w ird in d er R egel die B e rü h ru n g auf­

gehoben w erden, und die O peration m ach t eine K o rre k tu r n ö tig . W er, wie ich. G elegenheit hatte, 23 J a h r e lang die Zeichensäle ein er Fachschule zu besuchen und das gebundene Z eichnen zu beobachten, w er noch längere

Z e it das gebundene Zeichnen selbst fast täglich .auszu­

üben hatte, weiss dies zu beurteilen und w ird die M ühe, die das genaue A nlegen an den zw eiten P u n k t m acht, au f das doppelte od er dreifache einschätzen, als die zur ersten O peration 111 nötige.

E benso feh lerh aft ist es, die G enauigkeit der O peration des A nlegens an zwei P u n k te einfach durch die Zahl zwei zu charakterisieren.

A ngenom m en, das A nlegen an die beiden P u n k te sei m it vollkom m ener G enauigkeit erfolgt, so bleibt noch das Z iehen d er G eraden längs des L ineals. Is t denn dieses von selbst so genau, dass H e rr L e r n o i n e es als selbstverständlich bei d er Z ählung vernachlässigt?

W ie lange d a u e rt es au f der M aschinenbauschule oder auf d er K u n st- u nd B augew erkschule, bis d er F ach leh rer in dieser H in sich t b e frie d ig t w ird! M anchem Schüler g elin g t cs nie, dessen Z u fried en h eit zu erw erben. D rei F ehlerquellen liegen dabei vor, u nrichtiges Einsetzen des S tiftes od er d er H an d fed er in den ersten P u n k t, Schw ankungen in der H a ltu n g , u nrichtiges A u fh ö ren im zw eiten P u n k te. D ergleichen d a rf doch b ei der B eu rteilu n g des G enauigkeitsgrades n ic h t unberücksich­

tig t b le ib e n !

A uch au f folgenden P u n k t sei aufm erksam gem acht.

Das eine P o stu lat dos Linealzeichnens, zwei gegebene P u n k te durch eine G erade zu verbinden, scheint viel­

fach als das einzige b e tra c h te t zu w erden. Das reziproke P o stu lat, den D urch sch n ittsp u n k t zw eier G eraden zu bestim m en, w ird fa s t allgem ein vernachlässigt. N icht n u r das A nlegen des L ineals an je d e der beiden G eraden m acht gewisse Schw ierigkeiten, sondern auch die ge­

naue V erlängerung einer jed en . Dass a b er die geuaue B estim m ung des D urchschnittpunktes eine schw ierige A ufgabe fü r sich ist, e rk lä rt sich daraus, dass jed e gezeichnete G erade, um ü b e rh a u p t sic h tb a r zu w erden, eine gewisse B reite haben muss. Z w ar w ird o ft e r­

w ähnt, dass die B estim m ung besonders schw ierig sei, wenn die G eraden nahezu p arallel sin d , a b er ein m öglichst genaues T axieren m ach t auch im günstigsten Falle, dem des rechten W inkels, gewisse S chw ierig­

keiten. Im ü brigen w ird m an zugeben, d a s s b e i d i e s e r A u f g a b e d a s M a s s d e r G e n a u i g k e i t n i c h t e i n e K o n s t a n t e s e i n k a n n , s o n d e r n e i n e F u n k t i o n d e s W i n k e l s i s t . Dass dem nach h ier die M ethode des H e rrn L e m o i a e ganz versagt, ist selbstverständlich.

A uf den Fachschulen kennt m an gewisse K u n st­

griffe. die G enauigkeit zu vergrössern. vor allem w endet m an K ontro llk o n stru k tio n en an. S tim m t bei diesen die Sache nicht, so sucht m an eine A r t von F e h le r­

ausgleichung zu erreichen. D ie A usgleichung geom e­

trisc h e r K o n stru k tio n sfeh ler ist ganz analog d e r rechne­

rischen A usgleichung von B eobachtungsfehlcrn. D i e g r ö s s e r e G e n a u i g k e i t w i r d a l s o n i c h t e r ­ z i e l t d u r c h d i e V e r m i n d e r u n g d e r A n z a h l d e r O p e r a t i o n e n , s o n d e r n d u r c h i h r e V e r ­ m e h r u n g u n t e r A n w e n d u n g v o n K o n t r o l l - k o u s t r u k t i o n c ».*) Das A bzählungsprinzip des

*) D ie s e r in n e r t a n d ie g r o s s e Z a h l v o n B e o b a c h t u n g e n , d ie b e i d e r E x p e r i m e n t a lp r ü f u n g p h y s i k a l is c h e r G e s e t z e n ö t ig i s t . B e i g e o d ä t is c h e n F e h l e r a u s g le i c h u n g e n fin d e t E n t s p r e c h e n ­ d e s s t a t t . I m n e u n t e n B a n d e d e r G a u s s s c h e n W e r k e k a n n m a n l e s e n , m it w e lc h e m K u m m e r s e lb s t e i n G a u s s ü b e r d ie u n v e r m e i d l ic h e n F e h l e r , d ie b e i d e n e i n f a c h s t e n O p e r a tio n e n s ic h e i n s c h lc ic h e n , k la g e n m u ss . B e i d e r P r ü f u n g p h y s i k a ­ li s c h e r G e s e t z e d u r c h B e o b a c h t u n g e n w ir d n ie m a n d s a g e n : . J e w e n i g e r B e o b a c h t u n g e n , d e s to w e n ig e r B e o b a c h t u n g s f e h le r , d e s to g r ö s s e r a ls o d ie G e n a u ig k e i t .“

(9)

1 9 0 5 . N o . 4 .

B

e m e r k u n g e n ü b e r

G

e o m e t r o g r a p h ie

. S. 81.

H e rrn L e m o i n e ist also hinsichtlich der G enauigkeit ein ganz verfehltes.

Die U nterschiede in den A nfangs- und Schluss­

zeichnungen eines Fachschülers, die bei d er Entlassungs- p rü fu n g vorgelegt w erden, pflegen ganz ausserordentlich grosso zu sein. Sie beruhen in d er unausgesetzten Hebung d er G enauigkeitskontrolle. Die U nterschiede, die inan beim V ergleichen besserer und schlechterer Z eichner findet, sind leider noch grösser.

Ich beanstande also zunächst die H auptvoraussetzung d er L e m o i n e sehen M ethode, die G leichw ertigkeit der einzelnen O p e ra tio n e n , sodann die B eu rteilu n g des G enauigkeitsgrades nach d er Form el E = lx -f- n p , b e ­ sonders die V ernachlässigung von h, und m2 und die a n d erer Fehlerquellen, sogar veränderlicher. R ichtig ist n u r die F o rm el 1), sehr bedenklich die Form el 2), falsch die F orm el 11).

U eber die m it dem Zirkelzeichnen zusam m en­

hängenden Fehlerquellen lässt sich E ntsprechendes sagen. M ir a b er kam es zunächst n u r d arau f an, die K ritik d er h e m o i n c s e h e n V oraussetzungen anzuregen.

V ielleicht g elin g t es, a u f diesem W ege eine V erbesse­

ru n g d er A bzählungsm ethode zu erreichen und ihre Z uverlässigkeit zu vergrössern. Die vielgerühm te E in ­ fachheit w ird dabei allerdings verloren gehen, ebenso d er zum T eil nur scheinbare W e rt fü r den S chulunterricht.

In dieser H in sic h t sei noch d a ra u f hingedeutet, dass die Schule doch n ic h t die Z e it d am it verschw enden d arf, abzuzählcu, dass bei B o b i l l i e r s L ösung des A p o 11 o n i sehen B erührungsproblem s 500 E inzel­

operationen, bei d er älteren von V i e t a angegebenen n u r 335 n ö tig sind u nd d am it die letztere als die vor- zuziebende zu em pfehlen. D ie S t e i n e r s e h e n L ösungen schw ieriger A ufgaben haben den V orzug, sich in wenigen W orten form ulieren zu lassen. Ob sie im Sinne des H errn h e m o i n c stets die kürzesten sind und angeb­

lich die grösste G enauigkeit g e b e n , das sei d ahinge­

stellt. D ie H au p tsach e fü r die Schule besteht zunächst darin, „die L ösung m it dem M undo“ zu finden. D aran schliesse sich die einfache A ufgabe, die L ösung m it der H an d n ach K rä fte n einfach zu gestalten. Das anfechtbare Idealziel des H e rrn L e m o i n e zu erreichen, ü bersteigt die K ra ft des Schülers u n d m anches L ehrers. In vielen Fällen w ird die algebraische A nalysis au f Lösungen sehr einfacher A r t führen, die m it den auf rein geom e­

trischem W ege gefundenen g ar nichts zu tun haben.

D am it ist ab er durchaus n ich t gesagt, dass die letzteren vorzuziehen seien. M ir scheint S t e i n e r d er rein geom etrisch gefundenen L ösu n g stets den Vorzug zu geben*). Ich erin n ere dabei an seine L ösu n g der A uf­

gabe, den P u n k t zu bestim m en, fü r den die Sum m e d er E n tfern u n g en von drei gegebenen P un k ten ein M inim um ist. A uch m öchte ich au f die verschiedenen L ösungen d er einfachen A u fgabe h in d eu ten , in ein gegebenes V iereck einen Rhom bus einzuzeichnen, dessen E cken auf den S eiten des ersteren liegen.

Bei d er B eu rteilu n g der Eleganz einer K onstruktion komm en noch ganz andere G esichtspunkte in F rag e, als die des H e rrn L e m o i n e , die B eurteilung der zu erw artenden G enauigkeit is t ab er ein w eit schw ierigeres

*1 I c h e r i n n e r e a u c h a n d a s b e r ü h m t e M o tto d e s j e t z t v e r s t o r b e n e n P r o f e s s o r s S c h e l l : „ G e o m e tr ie n g e o m e t r i c e “ u n d a n d i e W o r t e S t e i n e r s , m i t d e n e n e r d i e K o o r d i n a t e n a l s

„ Z a u n p f & h le “ v e r s p o t t e t u n d s e i n e Z u h ö r e r a u f f o r d e r t e , s t a t t z u r e c h n e n , l i e b e r „ d ie A u g e n a u f z u s p e r r e n . “ D ie g a n z e g r a ­ p h i s c h e S t a t i k b e r u h t a u f e n t s p r e c h e n d e n A n s c h a u u n g e n . „ D ie H e i m a t d e s T e c h n i k e r s s o ll d a s R e i s s b r e t t s e in , n i c h t a b e r d ie L o g a r i t h m e n t a f e l . “

P roblem , dessen L ösung zw ar sehr erw ünscht, ab er leider noch n ich t e rre ic h t ist. M ä s c h e r o n i w urde zu seinen Z irkelkonstruktioncn, die also das L ineal ganz ausschliessen, d u rch die B eobachtung veranlasst, dass Z irkelkonstruktionen stets genauer seien, als L in eal­

k onstruktionen. Ist diese B ehauptung rich tig , was ich n ic h t ohne w eiteres zugeben m öchte, w enigstens nicht fü r den je tz t erreichten S tan d p u n k t d er Präzisions- te c lm ik , so w ürde d er G leichw ertigkeitstheorie des H e rrn L e m o i n e noch ein w eiteres B edenken e n t­

gegenstehen. (Schon die einseitige B eleuchtung des d u rch die Z irkelspitze eingestochenen Loches und die W iedereinsetzung der einseitig beleuchteten S pitze in dieses g ib t infolge der Irra d ia tio n eine n ich t unbe­

denkliche Fehlerquelle ah. D aher ziehen cs m anche Z eichner vor, das L ic h t von vorn einfallen zu lassen, und in vielen Z eichensälen w ird die B eleuchtung durch zerstreutes L ic h t vorgezogen.)

■Jedenfalls ist die G eom etrographie rein theoretisch b e tra c h te t ein äusserst interessantes und lehrreiches W issensgebiet, sic k ra n k t aber vorläufig daran, dass sie der E in fac h h eit w egen a u f einseitigen V oraussetzungen von sehr zw eifelhaftem W erte aufgebaut w ird. Die A bzählungsm ethode h a t dieselben M ä n g e l, wie die bei gewissen (besonders m ilitärischen) P rüfungen übliche B eu rteilu n g d er P rüflinge nach „p o in ts“, die eine ge­

wisse m echanische V ereinfachung b e d e u te t, ab er zu d erartig en U eberraschungen fü h rt, dass die P rüfungs­

kom m ission sieh o ft g en ö tig t sieht, die ganze R echnung irgendw ie zu „verbessern.“ Das rein m echanische V er­

fahren ist eben viel zu einseitig. A uch h ie r g ib t es Im ponderabilien.

S odann m öchte ich b em erken, dass eine grosse Z eitersparnis fü r den S chüler in der B enutzung des R eissbrettes, d er Reissselnene und des W inkelsehcits liegt. Das R eissbrett g ib t eine grössere B ürgschaft fü r G enauigkeit, als das lose P a p ie r eines B uches.

D ie R eissschiene en tsp rich t dem oben angedeuteten V e r­

langen nach „K raftschluss.“ Die beiden A rten von W inkelscheiten*) erleich tern nicht n u r das E rric h te n und Fällen von L oten, das Z eichnen von G eraden, die m it anderen die W inkel 30°, 45°, 6 0 H bilden, sondern vor allem das Zeichnen von P arallelen zu L in ien von beliebiger R ichtung, das korrekte A nlegen von Tangenten usw. M an e rsp a rt dabei n ic h t n u r das überm ässige D urchstechen des P apieres m it d er Z irkelspitze, eine U cberzajd von K reisbogen und sonstigen H ilfslinien, sondern auch den A nlass zu überm ässiger R adierung, die Lei losem P a p ie r auch oft zum Z erknicken führt.

Die übliche M angelhaftigkeit d er K onstruktionen in den S chülerheften b e ru h t zum Teil au f der N ichtbe­

achtung des G esagten.

Dies b a t an sich nichts m it d er M ethode des H e rrn L e m o i n e zu tun, ab er m an bedenke, dass H e rr R e u s e h die B enutzung des W inkelscbeits in seinem B uche geradezu ausschliesst. G erade fü r den p ro ­ pädeutischen A n fan g su n terrich t sind kleineres R eissbrett, Reissselnene u nd W inkelscheit au f das dringendste zu em pfehlen. B enutzen säm tliche S chüler d e r betreffen­

den K lasse R eissb retter u nd Zeichenbogen von der- I selben G rösse, w erden die Z eichnungen nach ih re r

*) A u f e i n d r i t t e s W i n k e l s c h e i t , d e s s e n K a t h e t e n d e m V e r h ä l t n i s l : : t e n t s p r e c h e n , se.i b e i l ä u f i g a u f m e r k s a m g e m a c h t . D ie B e n u t z u n g d e r b e i d e n s p i t z e n W i n k e l i s t b e s o n d e r s f ü r g e w is s e A u f g a b e n d e r d a r s t e l l e n d e n G e o m e t r i e z u e m p f e h l e n . ( A b w i c k e l u n g e n , A u f w i e k e l u n g e n b e i K r e i s z y l i n d e r n , K r e i s ­ k e g e l n , a b w i c k e l b a r e n S c h r a u b e n f l ä c h e n u. d g l . . w o b e i d ie

> K o n s t r u k t i o n v o n r.-r a u s r o d e r v o n r a u s r .7 e i n e R o ll e s p ie l t) .

(10)

S. 82.

ÜNTKR.RICHTSBLÄ.TTER.

Jahrg. XI. No. 4.

V ollendung längs vorgezeichneter G eraden genau aus­

geschnitten und sorgsam in einer M appe aufbew ahrt, w ird nicht n u r G enauigkeit, sondern auch S au b erk eit g e fo rd e rt, w ird n ic h t n u r R a d ie ru n g , sondern auch überm ässiges D urchstechen des P ap ieres au f ein M ini­

m um beschränkt, so h a t schliesslich der S chüler selbst F re u d e an der eigenen L eistung. D ie d am it ver­

bundene erziehliche W irk u n g w ird auch dem G ym nasi­

asten n ic h t schaden.

Im ü b rig en w ird d er L e h re r auch zur S chonung des K onstruktionsfeldes und zur E rreich u n g leichter Ileb ersieh tlich k eit d er fertig en Z eichnung A nleitung zu geben haben. E s ist bisw eilen vorzuziehen, zwei E inzelkonstruktionen auseinanderzulegen, d am it der U eberbliek erleich tert w erde. S elbst L eh rb ü ch er b rin g en bisweilen ein L iniengew irr, aus dem sieh der S chüler kaum herausfinden kann. U m dies zu ver­

m eiden, h a t m an bisw eilen einige L in ien m eh r nötig, indem m an jen es A useinandcrlegen versucht. Dies ist dem L e m o i n e s e h e n B estreben ganz entgegengesetzt.

So ist z. B. die von m ir in B d. I I I (2. A ufl.) meines m ethodischen L ehrbuchs gegebene K o n stru k tio n des regelm ässigen 17-Eeks keine geom ctrographische, aber, wie m ir scheint, übersichtlicher als die letztere. —

Ich übergebe diese w enigen B em erkungen den F ach leh rern in d er A bsicht, eine P rü fu n g d er G ru n d ­ lagen und des U nterrichtsw ertes d er G eom etrographie anzuregen und gegebenenfalls auf ih re V ervollkom m nung und V erbesserung hinzuw irken. E s kann n u r erw ünscht sein, dass aiieli erfahrene L e h re r des gebundenen Zeichnens sich dabei h ö ren lassen m öchten. D a die A nleitung zur darstellenden G eom etrie au f den höheren Schulen ohnehin b e rü ck sich tig t w erden soll, ist ih r R a t umso­

w eniger zu entbehren. E infache K unstgriffe des tech ­ nischen Z eichnens sind bisw eilen von g eradezu über­

raschender W irkung.

Zur E n t w ic k e lu n g s g e s c h ic h t e ein e r a n g e w a n d te n G le ic h u n g s a u fg a b e .

Von Sem inar-O berlehrer H . D r e s s i e r in D resden-Planen.

Im V orw orte einer A ufgabensam m lung, die je tz t in 4. A uflage erscheint, — P ro f. H ein r. F e e b n e r , B erlin S W 1902, Schultzes V erlag — b e m e rk t d e r V er­

fasser m it vollem R e c h te : „G ern h ä tte ich bei je d e r A ufgabe die Q uelle angegeben, ab er ich m usste auf die A usführung dieses Planes verzichten, da eine M enge von A ufgaben sozusagen G em eingut v ieler Sam m lungen gew orden sin d “ .

Trotzdem ist es gewiss n ich t u ninteressant, nacli- zuforschen, wie eine bestim m te A ufgabe, die durch ih re E ig e n a rt sich aus d er M enge deutlich heraushebt, von E pigonen w iedergegeben w ird. Inw iew eit dies m it einer bekannten A ufgabe aus d e r S am m lung von H ei s der Fall ist, soll im nachstehenden darzutun versucht w erden.

In H e i s , Sam m lung von B eispielen und A ufgaben aus der allgem einen A rith m e tik un d A lgebra, steht

§ 03 als N r. 195 die bekannte A u fg a b e : „Zu einer gem einschaftlichen M ahlzeit g ib t Cajus 7, Sem pronius 8 Schüsseln, jede von gleichem W erte. E he sie die M ahlzeit beginnen, kom m t T itu s hinzu und setzt sich m it zu T ische. N achdem e r gegessen, zah lt er 30 S ilb er­

linge und v erteilt dieselben u n ter Cajus und Sem pronius nach V erh ältn is d er Anzahl d er Schüsseln, w elche je d e r m itb ra c h te ; ersterem zahlt er 14, letzterem 16 S ilb er­

linge. Sem pronius, h ierm it n ich t zufrieden, verlan g t rich terlich en A usspruch. W ie lau tet d erse lb e ? “

U eber den U rsp ru n g der A ufgabe ist n u r zu sagen, dass sie in B a u m e i s t e r s H an d b u ch d er E rziehungs­

und U n terrieh tsleh re für höhere Schulen IV . S. 22, 23 zusam men m it der A ufgabe H e i s § 63 N r. 189 als „die bekannten A ufgaben aus den P a n d e k te n “ bezeichnet w ird. In C a n t o r.s G eschichte der M athem atik haben w ir nichts ü b er sie gefunden. D ie B em erkung (P andekten) entsinnen w ir uns in irg en d einer A ufgabensam m lung u n te r d er A ufgabe gelesen zu h ab e n ; in H e i s steh t der H inw eis nicht.

W ie h a t sich nun diese A u fg ab e im L aufe der Z eit w eiter en tw ick elt?

Z unächst h a t H e i s selbst in der u n m ittelb ar folgenden A ufgabe, also N r. 196, eine N achbildung und d am it zugleich fü r künftige A ufg ab en b ild n er ein V o r­

bild gegeben. D er In h a lt ist kurz fo lg en d er: 3 K naben haben 17, 14 und 11 Pflaum en. E in v ie rte r b rin g t 42 N üsse u n d isst m it. W ie sind die N üsse zu v erteilen ?

Im B a r d e y findet sich die P andekten-A ufgabe n ic h t; ebensow enig bei I l a r m s - K a l l i t i s , H o f f r a a n n - K lein-K lancke, S t e i g e r , M ii 1 l e r-B a ltin -M a i wald, S am m lung von Aul'g. aus d er A r. T rig . u nd S tereom . (T eu b n er 1902), H o l z l ö h n e r , R echenbuch fü r P rii- p aran d en an stalten (B reslau, W oyw od, 1901), B a u r , S am m lung arithm . A ufg. (H orb, P. C hristian, 1899);

auffallenderw eise auch n ic h t bei F e e b n e r , A ufg.

fü r den U n te rric h t in der B uchstabenrechnung (B erlin, Schnitze, 1902) und K r a u s , G rundriss d er A rith m etik (W ien, Pichler, 1903), obwohl beide viel W e rt au f historische A ufgaben legen.

Bei R e i d t , A ufgabensam m lung zur A rith m etik und A lgebra, steht die P andekten-A ufgabe in § 33 V I I u n te r N r. 20, lautet w örtlich wie bei H e i s und trü g t die ausdrückliche Q uellenangabe: „(H eis)“.

In L i c h t b l a u u n d W i e s e s R echenbuch fü r L ehrerb ild u n g san stalten , 1. Teil, 3. H e ft, S. 101 N r. 368, tre te n an Stelle der alten R ö m er drei K naben. A be­

sitz t 5, B 7 A epfel, C g ib t an beide 12 Nüsse, von denen A 5 fo rd ert. Das E rg eb n is b rin g t, wie bei der O riginalaufgabe, ganze Zahlen, A h a t 3, B 9 N üsse zu beanspruchen. D ie Zahl d er T eilnehm er e n tsp ric h t also der O riginalaufgabe, d e r V erteilungsgegenstand erin n e rt an die zw eite H e i s - A ufgabe.

S p ä te r ä n d e rt sieh a b er die E inkleidung und m it den Z ahlen das E rg eb n is in ungünstigem Sinne. So befindet sich in d er A ufgabensam m lung aus d e r elem en­

taren A rith m e tik von P au l W a g n e r (B raunschw eig, G raff, 1902) S. 67 als N r. 24 folgende A u fg a b e : „Zwei A ra b e r h atten zusam m en als einzige N ah ru n g n u r noch 8 Feigen, die sie zu verzehren beschlossen. D er eine h a tte 5, d er an d ere 3. Da gew ahrten sie einen F rem d en , d er sich m ühsam h eranschleppte und um N ah ru n g bat.

Die B itte w urde gew ährt und alle 3 teilten sich „gleich“

in die Feigen. H ie ra u f w anderten sie w eiter, w urden von einer K araw ane e rre ic h t und w aren g e re tte t. Der F rem de, ein re ic h e r M anu, belohnte die beiden S am ariter m it 8 Goldstücken ä 10 M ark. W ie müssen nun die beiden diese 8 G oldstücke teilen ?“ Bei dieser Fassung ist ungeschickt, dass ohne B ruchteile g a r keine V er­

teilung d er F eigen m öglich ist, je d e r bekom m t 22/3 Feigen.

W ie soll eine F eig e g e d ritte lt w erd en ? U eberflüssig ist die A ngabe des W ertes der G oldstücke ü b erh au p t u n d des W ertes derselben in M ark im besondern. Da­

d urch w ird das L o k alk o lo rit w ieder verw ischt.

L i c h t b l a u u n d W i e s e b rin g en fast dieselbe A ufgabe im 2. H eft, S. 157 als N r. 50. W ie bei

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