• Nie Znaleziono Wyników

Die Zukunft, 17. Januar, Jahrg. XXVIII, Bd. 108, Nr 16.

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Share "Die Zukunft, 17. Januar, Jahrg. XXVIII, Bd. 108, Nr 16."

Copied!
44
0
0

Pełen tekst

(1)

X X V III. Jahrg. Berlin, den 17. Januar 1920 Nr. 16

Herausgeber

Maximilian Harden

'Seite

61

Mk.

B E R L IN

Verlag der Zukunft

Großbeeren straße 67

INHALT

Das sechste Siegel . . . . . ...

Nachdruck ^verboten

E r s c h e i n t j e d e n S o n n a b e n d

Preis vierteljährlich 10,— Mk., das einzelne Heft 1 —

(2)

C -D

“ , CO

£Ä 3 ~ CM CO-

S r a ! B 5; C cf g - S Ä s * Sn « e3

^ ■ rt j3

8 s«B i 1

■ « . * £ ,2

» i j E 01 ä SL Q • cß Ql SS > d ^ 6h .5.2 .e ü s ~

< *

CM

u>

CT)

I ■ J N

I £ e CO

03

2 - o O

b b ca

. M « CS

£fc ^ c ©^ ” e 2 ® * ; 3 n> ®)01 w

« o © - ' S c ©

0 £ * % S .r « «; csss s

. Ä c

1 ^ cd ^

*- - « SS 2 “ £ *

M

t: »

® £

^ “

= sca fl

0 = ( "O « t 5 e

C ^

2 ®E £

« 3 e o S s

O E I H - n o s E i i - l l l i n i

B E R L I N W

48 hoetakünsüerlscbe Frei-

Ifchtaufaahmen. Brom-

sllberorlginalfolos, seltene Wahl weiblicher Schönheit

eiusuhließJ. ges. gesell. Stereo -Ap pa rat , h er ­ vorragend. Optik u. Plas tik , mir 15,— Mk.

franko Nachnahme. Tlhistr. Pr os pe k t frei!

Fotobaas R. Nolte, Ibt. 1, Berlin S 14

S t e p e n X a t a v ih e

mAM,

lO m A j& i

BERNHARD KÖNZEL

B a n k g e s c h ä f t B E R L I N W 8

A n - u nd V e r k a u f von W e rtp a p ie re n

K ostenlose A usku nftserteilu ng

Geheimschränke

zum Einm auern ab Lager sofort lieferbar

H . A r n h e i m

Geldschrank* u. Tresorbau

= Berlin S W 11 = =

Bestes

zur Pflege derZähne.

Dr. H offb au er's g e s . g e s c h . Kräfti

Yohimbin -Tabletten "

Gegen Schwächezustände beiderlei Geschlechts..Originalpackung 25 Stck.

M. 7,50, 50 Stck. M. 14,50, 100 Stck. M. 28,— , ,200 Stck. M. 55,— . Literatur vers. gratis E lefan ten -A p o th ek e, B erlin 414, Leipziger Str. 74 (Dönhofpl.)

Privat-u.Spezial-AusRünfte

Ub. Raf, Vorleben, V erm ög.- u. Fam ilienverbältnisse etc., streng vertraulich, a. all.

Orten, In - u. Ausland. Erledig, v. Vertrauensangelegenheit Jed. Art. Ermlttel. ete.

. f f

Auskunf t s - S ch ü tz“

3. lang. Ja h re n d. l a Ref., Inanspruchnahine von Behörden anerkannt unbedingt zuverl&ssig, bestinform ierte, d. eig. direkte V ertretungen orgaois. Spez.-Auskunftei 1. R ? s ., Berlin W, Tauentzlenstr. 3 (a. W ittenbergplatz). Teleph. Steinpl. 9468.

(3)

Berlin, den 17. Januar *1920

Das sechste Siegel

A d v e n t u s A u g u s t i

T A as von Agrippina dem Dom itius geborene Knäblein wurde vom Frührothstrahl der Sonne gestreichelt, ehe sein Leib die Erde berührt hatte, von der ihn der Vater aufheben mußte, um durch diese Geberde die eheliche G eburt anzuerkennen.

H at Diesen, wispert ringsum die W undergier, der Himmel selbst uns gesan d t? Die H ölle, brummt (nicht, freilich, in so christianisch gefärbtem W o rt) der breitstämmige Kraftprotz D om itius; wartet: was in Agrippinas Schoß aus meinem Sa?

men werden mußte, sieht entsetzt bald Euer Auge. Ein Tänzer und ein Barbier werden des Jungen erste Erzieher. Den Elf*

jährigen, der schon im Circus Beifall geerntet hat, nimmtClau*

dius Caesar, der Oheim, an Kindes Statt an und bestellt ihm als Lehrer den Philosophen und Senator Seneca. Diesem weisen Lucius Annaeus wird am H of nachgerühmt, daß er durch Vorbild und Lehre den Sinn des Prinzen zum Guten wende. Ob ers glau b t? D er Bengel ist so eitel, wie man einen aus gutem H aus nie zuvor sah. Als er die Manns*

toga tragen darf, paradirt er sofort vor dem Volk als Truppen*

befehlshaber, Redner (in Römer* und G riechensprache) und Rechtsanwalt. Seit ihn die Sänfte zur H uldigung ins Lager der Prätorianer trug und er Im perator heißt, zeigt er sich vor Aller Blicken um die V ergottung des Oheims, des Vaters

(4)

62 D ie Z u k u n ft

bem üht; hält an der Bahre des Claudius eine von Schluch*

zen kunstvoll durchkrampfte Trauerrede und läßt noch ein*

mal den Lorber auf blühen, den D om itius im Feldzuge ge*

gen die Germanen errang. Ich, spricht er, werde stets nach den erhabenen Grundsätzen des großen A ugustus regiren.

Einstweilen vergnügt er sich und füttert die Eitelkeit. Ver*

kündet eine neue Trachtenordnung, wird der Regisseur von Seegefechten, der D resseur „m itwirkender M eerungeheuer“, tritt im Circus als Spieler, Sänger, Tänzer, Fechter, Rezitator auf, setzt listig durch* daß die von ihm deklamirten G edichte in goldener Schrift dem Jupiter Capitolinus geweiht werden, und mimt dann den von solcher Ehre schämig Ueberraschten.

D en allzu hoch Ueberschätzten, da ihm, nach einem W ettstreit, die Richter und M itkämpfer zu den Kränzen des Siegers im Rin*

gen um Dichters* und Rednersruhm aueh die Krone des Cither*

spielers anbieten. Von kurulischem Sitz sieht er den Einzug fremder Fürsten und prunkt, zwischen Feldzeichen und Stan*

darten, die nicht er zu Siegen geführt hat, im Gewände des Trium phators. Ej: verbaut Unsummen, putzt und firnißt m it unermüdlichem Eifer seinen H o f; und mahnt in strengen Er*

lassen zugleich dieM enge zu Sparsamkeit. Als Friedensfürst, den der Gedanke an Reichsdehnung durch Krieg nicht locke und der früh und spät nur das W oh l der Aermsten besinne, will er gefeiert sein. Daneben als des Römerimperiums meister­

lichster Sänger. Terpnus, der C aruso des alten Rom, muß ihn die Künste der Tonbildung, Athem sparung, Stimmpflege leh­

ren : und mit einer fünftausendköpfigen Claque zieht der kleine, fette, strohblonde N ero Claudius C aesar mit den blauen, kurz*

sichtig blinzelnden Augen und der dumpfen, künstlich ge*

kräftigten, geölten Stimme als Sänger durch die Länder der Italer und G riechen (die, schreit er, allein würdig seien, in ihr schon von A pollons Saitenspiel geschultes O hr die T onkunst des Im perators zu schlürfen). A uch den Orestes, O edipus, Herakles hat er gespielt; nie gezaudert, sich selbst als Sieger jm Künstlerwettkampf auszurufen; und als D ank für seine Leistung in den von Krokuswein durchdurfteten Schauspiel*

häusern Kränze, Bänder, Singvögel, M ünzen, Leckereien ge*

heimst. In der Sänfte saß neben ihm der Eunuche Sporus,

(5)

D as sech ste Siegel 63 den er ins Gew and der Kaiserin gekleidet, feierlich, nach der Cerem onialordnung, seiner M ajestät vermählt hatte und vor tausend Gaffern mit brünstigen Küssen anfiel. Später ließ er, dessen Buhlschaft mit der eigenen M utter als erwiesen galt^

sichinRaubthierfelle einnähen, schändete in dieser M ißgestalt die an Pfähle gebundenen Jungfrauen, M änner, Knaben, gab sich in der Arena dem Freigelassenen D oryphorus hin und kürte ihn sich dann mit dem selben G epräng zum Gatten, das bei der H ochzeit mit Sporus sichtbar geworden war.

M it diesem, mit jenem Buhlen thronte er im Goldenen Haus, zwischen Perlmutter und Edelgestein, unter hochgewölbten, mit Elphenbein getäfelten, rotirenden Saaldecken, aus deren blinkendem Gefüge köstliche Blumen blühten und wohlrie*

chendes N aß niedersickerte. Endlich, grinste er, als diese Pomp«

pfalz fertig war, werde ich wohnen, wie einem Menschen ziemt.

W eil die alte Stadt mit ihren engen und krummen Gassen ihn zu häßlich dünkte und er zu W eitu n g seines neuen Hauses noch Grundstücke brauchte, auf denen Kornspeicher standen, zündete er selbst das Rom derCaesaren mit Fackeln und Pech«

kränzen an, ließ es sechs Tage, sechs N ächte brennen, sah, in seinem kleidsamsten Theaterkostüm , vom Thurm des Mae«

cenas aus dem Flammenspiel zu und rezitirte dabei den Sang von Trojas Vernichtung. P olitik ? E r log Jedem , schmeichelte allen M ächtigen, zerstichelte mit niederträchtigerZunge jeden Unbequem en und entledigte sich mit tückischer List Derer, die er nicht einfach mit G ift oder D olch aus seinem W e g räu*

men, erwürgen, verbrennen, ersäufen konnte. D ie Christianer (so , im Gegensätze zu den Kaiserianern, hießen die Vaterland^

losen Gesellen, die, nach dem unverjährbaren W o rt Suetons,

„neuen Aberglauben verbreiteten“) schickte er sämmtlich, Frauen undM änner, ohne Erbarmensregung in qualvollenTod.

Vierzehn Jahre lang, spricht dieser G aius SuetoniusTranquil«

lus, hat der Erdkreis einen H errscher solchen Schlages gedul*

dig ertragen. D ann standen wider ihn die Gallier auf, Spanien fiel von ihm ab und der Schwächling m ußte sich zu Ab«

wehrversuch entschließen. „Bei der V orbereitung des Feld«

zuges sorgte er zuerst für W a g e n , in die sein Theaterge«

räth vefpackt werden konnte.“ D ie Papiere, die ihpi Un«

6*

(6)

heilsposten brachten, riß er in kleine Fetzen, stieß den Tisch um, zerschmetterte kostbare Tafelgefäße, erwog alle Flucht*

möglichkeiten, wollte, im düsteren Trauerkleid, auf dem Forum vom Volk Verzeihung erflehen, sich in Egyptens D unkel ber*

gen; und entschlüpfte, halb nackt, mit Sporus und anderen Kai*

serlieblingen für kurze Stunden noch der Lebensgefahr. A u f dem Landgütchen des Freigelassenen Phaon liest er, daß der Senat ihn geächtet, zu Auspeitschung und zum T o d in der Halseisengabel verurtheilt habe; setzt aber die D olche, die ihn töten sollten, feig wieder ab, heult und beschw ört den noch immer geliebten Sporus, zuvor dieTotenklage anzustim*

m en; stöhnt: „W elch ein Künstler stirbt in m ir“ ; rezitirt, da er die Häscher nahen hört, den homerischen V ers: „Don*

nernd schallt mir ins O hr der H ufschlag eilender R osse“ ; und muß, endlich, dulden, daß die H and seines Kabinets*

sekretärs ihm den scharfen D olch in die Kehle drückt. Zu*

vor hatte er, nicht etwa der Alltagsstim m ung weit entrückt, das Gelübde geleistet, wenn er des Aufstandes H err werde, Leben und Allgew alt bewahre, dem Volk dadurch zu dan*

ken, daß er sich ihm in einem pompösen Ballet zeige und als Flöten*, Dudelsack»-, W asserorgelspieler auftrete. A n dem Ka*

lendertag, an dem er einst O ctavia, seine erste Frau, gem ordet hatte, ist der Zweiunddreißigjährige schmählich verreckt.

Ein Scheusal? Jah re lang hat nachtrauernde Liebe sein G rab mit Blumen geschmückt, seine Bildnisse geehrt, seine Erlasse als A usfluß göttlicher W eisheit gepriesen. A u f einer M arm orplatte am M aeander feiert eine W eihinschrift ihn als

„den Sohn des G rößten unter den G öttern, des Claudius Ti*

berius“ . Denn er war Im perator, Caesar A ugustus, Kyrios, im Orientalensinn der H err, dem Alles in blinder Sklavendemuth gehorchen m üsse, und blieb, was er auch thun, wie tief er sich erniedern mochte, den in Gehorsam spflicht Gepferchten das irdische A bbild der G ottheit, die ihn vor Anderen be*

günstigt, durch ihre Gnade zu höchstem Berufeswalten ge*

weiht habe. W ir sind auf dem steilsten G rat des Kaiser*

kultes, der die Epiphaneia, die Parusia, den Adventus des Erdherrschers wie eines Himmelssohnes Erscheinung mit lech*

zenden Fibern herbeisehnt. Schon aber scheiden von den

6 4 D ie Z u k u n ft

(7)

D as sech ste Siegel 65 Kaiserianern sich die Christianer; schon erschallt auf das prä*

torische G eheiß, beim Genius „unseres H errn, des Kaisers“ , zu schwören, aus Christenm und die stolz fromme A n tw ort:

„Ich kenne kein Imperium in der W e lt des Vergänglichen, kenne nur einen H errn, den König der Könige und Herr?

scher über alle Völker der E rd e.“ D ie erste Internationale w ird; noch in Finsterniß. Paulus schreibt seine Episteln und zeichnet tastend den W e g , den, im W eltreich des Christos, die nach G ottes G nade Langenden wandern müssen.

„U n ter den Aposteln bin ich der geringste; bin eigent*

lieh, weil ich die Gemeine G ottes verfolget habe, unwür»

dig, ein A postel zu heißen. A ber von G ottes Gnade bin ich, was ich bin. U n d seine Gnade an mir ist nicht ver*

geblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet denn sie A lle; doch nicht ich that so, sondern G ottes Gnade, die mit mir ist.“ Diese Sätze schrieb Paulus an die Kok rinther. A ls Saulus hatte er mit D rohen und M orden lange wider die Jü n ger des H errn geschnaubet. W a r auf dem W e g nach Damaskus dann vom Lichte des Himmels umloht und zum Glauben an den Christus bekehrt worden. U n d ge*

stand in Demuth drum den Korinthern, daß er geirrt und erst durch den gnädigen W illen des höchsten H errn den Pfad ins Land der W ahrheit gefunden habe. Vierhundert Jahre später, als N estorius von Konstantinopel das Mensch**

liehe vom G öttlichen des Christus trennen wollte, als Cy*

rillus von Alexandria ihm entgegentrat und, um die irdische A bkunft des Galiläers zu heiligen, die Anbetung der jung*

fräulichen M utter als neuen Kult heischte, ward nach Ephesus ein Konzil einberufen und in dieser im Erleben des Paulus wichligen Stadt das alte paulinische W o rt zu neuer Geltung gebracht. Cyrillus siegt über die N estorianer; und die ver*

sammelten Bischöfe setzen die W o rte : „D ei gratia“ vor ihren T ite l: werfen sich als demüthige Knechte unter die Gnade des H errn. Die neue Form el (die, seit der übermächtig ge«

wordene Bischof von Rom das A m t des Statthalters Christi an sich gerissen hatte, erweitert ward und nun lautete: „D ei et Apostolicae Sedis gratia“ ) blieb lange den Trägern geist*

licher W ü rd e Vorbehalten. Ins W eltliche sollen die Karlinger,

(8)

66 D ie Z u kunft

die sich der A bstam m ung vom metzer Bischof A rnulf rüh*

men durften, sie eingeführt haben. Vom fünfzehnten Jahr*

hundert an ist der H errscher, der unumschränkt über das Leben und die H abe der ihm .Unterthanen gebietet, „von G ottes G naden“ . N och nicht jeder darf sich „M ajestät“

nennen. D ie M ajestas rei publicae und populi romani war auf die Im peratoren, die des Staates erhabene H oheit ver*

körperten, war später auf die Kaiser im Römischen Reich D eutscher N ation übergegangen; wurde den Königen aber bis ins sechzehnte Jahrhundert bestritten. N och im Friedens*

vertrag von Cam brai heißt nur Karl der Fünfte M ajestät.

Heinrich der Zw eite von Frankreich, der M ann Katharinens von M edici, ließ sich bald danach von M ontm orency und dessen H ofklüngel so nennen; offiziell wurde erst Franz dem Ersten (im Frieden von Crepy) der Titel „Königliche M ajestät“ zuerkannt. Europa sieht allerchristlichste (Frank»»

reich), allergnädigste (m ost gracious: England), katholische (Spanien), allergetreuste (P o rtu g al), apostolische (U n g arn ) M ajestäten; und alle stützen den Rechtsanspruch ihrer Er*

habenheit auf G ottes Gnade. N u r dem H immelsherrn,sprechen sie, sind wir, die von ihm die Krone empfingen, verant*

wörtlich und nirgends durch M enschensatzung in unserem Handeln gehemmt. A us dem W o rte der D em uth ward ein hochmüthiges W o r t; aus dem Bewußtsein der Abhängigkeit von dem umwölkten W illen ward der W ah n , mit dem Gold*

reif göttliche A ll Weisheit erhalten zu haben, die den Ge*

krönten über den T roß gemeiner Sterblichen hoch hinauf«

hebt. D ie Völker nahmen das neue W esen geduldig hin.

H atte nicht Rom s stolze Bürgerschaft selbst die G ewalt und die W ü rd e des Staates einem Einzelnen, dem Augustus, über­

wiesen? Kindervolkheiten wollen nicht nach dem Rath kühler Vernunft einen höchsten Vertreter ihrer Interessen küren;

wollen nur Einem huldigen, den G ottes Odem gnädig um*

haucht. D er übersinnliche U rsprung des Königsberufes wird nicht bestritten. Das W o rt aus dem Korintherbrief hat nun anderen Sinn. In williger G eduld beugen die Völker sich unter die sanfte, fast lieber noch, nicht nur im Erdosten, unter die harte H and der M ajestät von G ottes G naden.

(9)

D as sech ste Sieg el 67 W ie solche M ajestät aussah, lehrt die Geschichte auf hundert Blättern. W ie sie aussehen sollte, lehrt, besonders eindringlich, Bossuets „Politique tiree des propres paroles de l’ficriture Sainte“ . W ir sind weit von der dumpfen W e lt Samuels, des Furchtsamen, der Israels von G o tt abtrünniges Volk vor dem K önig warnte. „Eure Söhne wird er nehmen zu seinen W agen und zu Reitern, die vor seinen W agen hertraben; sie werden seine Kriege führen, seine A ecker be*

stellen, ihm W affen und Rüstzeug schmieden und Geräth fertigen müssen. Eure T öch ter wird er zu Köchinnen, Bäcke*

rinnen, Heilgehilfinnen machen. E u re besten Aecker, W ein«

berge und O elgärten wird er Seinen Knechten geben, Eure feinsten Jünglinge aber, Eure Knechte, M ägde und Esel für sein G eschäft verwenden. Von Allem , was er Euch läßt, von d erErnte und von den H eerden, wird er noch ein Zehntel nehmen. Ihr werdet seine Knechte werden. Solches Recht habt Ihr von dem König zu erw arten.“ Bossuet denkt nicht an einen König, der den H errn des Himmels auf der Erde entthront hat („Sie haben mich verw orfen, daß ich nicht mehr König über sie sei“ , spricht Jahw e zu Sam uel), son*

dern an die allerchristlichste M ajestät, die unter dem W in k und unter der H u t des dreieinigen G ottes steht. „D enn die Könige handeln als Diener G ottes, von dem alle M acht kommt, und sind hienieden seine Statthalter. D er Königs*

thron ist der Thron G ottes, nicht eines M enschen. Deshalb ist die Person des Königs heilig, und w er sie mit frevler H and antastet, lästert G ott. Sie sind vom höchsten H errn gesalbt und auserwählt, den W illen der göttlichsten M ajestät auf der Erde zu vollstrecken. In der Ehrfurcht, die man den K önigen zollt, ist ein religiöses Elem ent; schon Ter*

tullian hat g esagt, daß wir in ihnen die W ah l und das U rtheil G ottes ehren, der ihnen die H errschgew alt über die Völker gegeben hat. W eil diese G ew alt ihnen aber von oben kommt, dürfen die Könige sie nicht nach willkürlicher Laune anwenden, sondern m it Gewissenhaftigkeit und Zu*

rückhaltung; «sie schulden ö o t t ja von der Anwendung Rechenschaft. Zitternd müssen sie ihres Amtes walten und stets bedenken, wie grausig das Verbrechen wäre, wenn sie

(10)

68 D ie Z u k u n ft

die von G o tt ihnen verliehene M acht zum Bösen gebrauchten.

W e r von G o tt die M acht hat, muß wie G o tt herrschen:

edel, uneigennützig, wohlthätig. D ie Könige mögen ihr O hr der W ah rh eit öffnen, daß sie echten Ruhm nur erwerben können, wenn sie nicht für sich selbst und für ihren Vor«»

theil, sondern für das W o h l der Völker leben. Ein König, der nicht nützt, nicht für das W o h l des Volkes sorgt, ist ein schlechter D iener des H errn und w ird eben so bestraft wie einer, der gewaltthätig im Lande haust. A uch U ndank des Volkes darf die G üte des Königs nicht mindern. N och weniger darf er persönlichem Empfinden gehorchen; nie darf ihn Laune, A bneigung von noch H inneigung zu Personen und Dingen beherrschen. N u r die Vernunft soll ihn leiten.

Je nach dem Vortheil des Volkes soll er sein Leben der Gefahr aussetzen oder vor ihr bewahren. Einem verhaßten König droht in der nächsten Stunde der Untergang. W ie der K önig die H and von unschuldigem Blut reinhalten soll, so soll er auch die Zunge hüten, die nicht minder gefähr*

liehe W u n d en schlägt. U eble N achrede und dreiste Spott«*

sucht kleiden den König noch häßlicher als jeden A nderen.

W as ist von einem König zu erwarten, der die Zunge nicht zügeln kann und dessen Rede unaufrichtig ist? D aß die Königsmacht absolut ist, beweist nicht, daß sie willkürlich angewandt werden dürfe. D ie. ganze Staatsgewalt Dem zu übertragen, der an ihrer Erhaltung und W ah ru n g das größte Interesse hat, ist vernünftig. A ber auch die Könige sind dem selben Gesetz unterworfen wie andere M enschen; und sind vor anderen zu höchster G erechtigkeit verpflichtet. D ie Zum uthung ungerechten H andelns müssen sie ablehnen und dieses Eine nur fürchten: U nrecht zu thun. Furchtlos müssen sie sonst sein, von festem Charakter und M uth. G efestet auch gegen den Ansturm der Günstlinge. U nbeirrbar in reiflich erwogenem Entschluß. Meinungwechsel, W eichheit, U nentschlossenheit taugen nicht auf den Thron. W e r sich einschüchtern läßt, ist kein rechter K önig. Die Schwierig*

keit der Geschäftsführung kann nur durch unermüdliche A rbeit überwunden werden. Eigensinn ist nicht Festigkeit.

W e r auf dem Thron um jeden Preis seinen W illen durch*

(11)

D as sech ste Sieg el 6 9

zusetzen trachtet, wird den Völkern zur G ottesgeißel. Starr«

heit kann, wie W eichheit, zum Verhängniß werden. Drehe D ich nicht nach jedem W in d , mahnt der Prediger Salom o;

aber auch: Versuche nicht, den Lauf eines Flusses zur Um*

kehr zu zwingen! W illst D u über ein Volk herrschen, so beherrsche zunächst D ich selbst; dämme Laune und Leiden«

schaft- E in er, der sich große M acht w ünscht, muß sich, nach dem W o rt des A ugustinus, vorher einen unbiegsam graden W illen wünschen. D arf auch den Schein der Schwach«

heit nicht scheuen. Solche Scheu wäre die ärgste Schwäche.

Fester W ille ist die Frucht der W eisheit. W eisheit und rechte Vernunft helfen den Fürsten zu allen G ütern, die sie brauchen.

D en weisen K önig, der sich zurückhält und nur da, wo es nothwendig wird, kraftvoll handelt, ehrt Jeder gern. Dieser König kennt die Gesetze und die G eschäfte; kennt vor Allem aber auch sich selbst. N ich t Alles schickt sich für Alle.

D rum muß man wissen, wozu man sich eignet. M ancher würde für ein bestimmtes Geschäft sehr gut passen und wird dennoch verächtlich, weil er sich einem widmet, für das er nicht paßt. Seine Fehler und M ängel erkennen: wer Dies erreicht, ist wichtiger W issenschaft voll. D ie von Schmeich«

lern umlagerten Könige erreichen dieses Ziel selten. Sie sollten nicht nur auf die alten Propheten hören, sondern in Tedem, der ihnen Fehler und M ängel ihres W esens zeigt, den von G o tt zur Enthüllung der W ahrheit Gesandten sehen.

M ag der M u n d , der unbequeme W ah rh eit spricht, ihnen gefallen oder mißfallen: nur wer Tadel verträgt, darf sich der H errschaft über sich selbst rühmen. D ie K unst der Rede soll dem K önig nicht ein versperrtes G ebiet sein. D och darf er auch nicht zu viel reden. Ein W äscher, heißts im Ekklesiastes, ist nicht besser denn eine Schlange, die unbe«

schworen sticht. W e r zu Unrechter Zeit redet, wird nicht nur lästig, sondern schadet geradezu. Ein N arr, sagt Salomo, macht viele W o rte über Gewesenes und über D as, was nach ihm sein w ird: und von Beidem weiß der M ensch doch nichts. D er K önig muß H err seiner Zunge sein. Schweigen zu können, ist seine wichtigste Pflicht: denn ohne W ah ru n g des Geheimnisses frommt auch; der nützlichste Entschluß

(12)

7 0 D ie Z u kun ft

nicht und ohne Schweigsamkeit ist keine Kraft. W e r viel redet und wenig hält, D er ist wie W olken und W ind ohne Regen. So stehts unter den Sprüchen Salomos. U n d ferner:

W e r seine Zunge nicht im Zaum halten kann, ist wie eine offene, der M auern beraubte St^dt. Viele Könige haben durch verwegene, unbedachte Rede U nruhe gestiftet. D rum rief der weise Priesterkönig: Leget ein Schloß auf meine Lip*

pen und stellet W ächter um meinen M und, auf daß meine Zunge mich nicht verderbe 1 D er K önig soll nicht glauben, daß er Alles sehe, Alles wisse, mit seinen A ugen auskomme und des Rathes nicht bedürfe. E r braucht Berather und m uß dafür sorgen, daß diese Berather in voller Freiheit vor ihn hintreten dürfen. D er beste Berather ist die Z eit: sie entschleiert die Geheimnisse und liefert die Gelegenheiten.

D er Rückblick auf Vergangenes lehrt Künftiges klar erkennen.

G ehet nicht über den von Euren Ahnen gezogenen Grenz*

strich hinaus und wahret die Grundsätze, auf die einst die M onarchie gebaut ward und auf denen sie gut geruht hat:

auch diese W eisheit lehrt Salomo. U n d im Deuteronom ium sind die G roßen vor dem G lauben an Vogelschauer, Zau*

berer,G eisterbeschw örer,Totenbefrager gewarnt. H ü tetE u ch , Ihr Könige der Erde, dieT rüger, die sich A strologen, Zeichen*

deuter, Geisterseher nennen, in Eure N ähe zu lassen! W äh*

net auch nicht, daß Eure M ajestät in dem Pom p, der um Euch ist und dessen Glanz den gemeinen M ann blendet, offenbar wird. Die M ajestät ist das Bild der göttlichen G röße, die in dem König wirkt. D er K önig ist nicht als Privat*

mann anzusehen; er gehört der Oeffentlichkeit. D as ganze Staatswesen ist in ihm lebendig, des ganzen Volkes W ille in seinen einbegriffen. D ie M ajestät hat er von G ott. D er gab sie ihm zum H eil der Völker, die der Führung durch eine höhere M acht bedürfen. G ebraucht drum, Ihr Könige, kühnlich Eure M ach t: denn sie ist göttlichen Ursprunges und dem M enschengeschlecht heilsam; bleibt in ihrem Be«

sitz aber demüthig. Im Innersten läßt sie Euch schwach.

Trotz dieser M acht könnt Ihr sündigen, m üßt Ihr sterben.

U n d vor G ottes Thron bürdet sie Euch nur eine noch schwe­

rere Verantwortung auf.“ Diese Sätze sind aus den zehn

(13)

D as sech ste S ieg el 71

Büchern des W erkes zusammengetragen, das Bossuet, von des Sonnenkönigs G nade Bischof von M eaux, der Krön*

prinzenerzieher, seinem Zögling gewidmet hat. Sie genügen zu dem Beweis, daß auch er, der die christliche M ajestät mit dem A uge des A ugustinus sah, den Kaisern und Königen nicht Allm acht, Allwissenheit, Allgegenwart zuschrieb. D aß ihm die Völker nur noch nicht reif für die Aufgabe schie*

nen, ihres Schicksals Ring selbst zu schmieden.

Die aber fühlten sich, im W esten wenigstens, reif; fan*

den sich mündig und langten aus schwüler M ystik in die kühle Klarheit der Vernunftatmosphäre. D er Brite schritt tapfer voran. W ährend des Kampfes zwischen Sachsen und Franken, zwischen der W eißen und der Rothen Rose hatte in Angelland tyrannische W illkür geherrscht, dem Recht Ge*

walt angethan und das Parlam ent in ein Schattendasein ge*

knebelt. Als nach dem T o d Elisabeths der Schottenkönig Ja k o b , der Sohn M ariens Stuart und ihres D arnley, den Angelnthron bestiegen hatte, sah Britanien einen neuen Mon*

archentypus. D er M ann, den Schmeichler den britischen Salomo nannten, mochte den Satz des Seneca, daß nicht der Staat dem König, sondern der König dem Staat gehöre, nicht anerkennen; er verachtete den weisen Lehrer und eiferte dem tollen Schüler nach: schwelgte beinahe neronisch in üppigen Prunkfesten und im A rm schlanker Jünglinge, haschte nach dem Ruhm des Literaten und des Theologen und tröstete sich im Kreis der Freunde an den Künsten der Zauberer und G eisterbeschwörer. Er war unstet, treulos, geschwätzig, feig, von schwächlichem W illen : der Prototypus des im Ge*

schlechtsempfinden Angekränkelten. W ollte aber denallmäch*

tigen, allwissenden, allgegenwärtigen Vater des Volkes mimen, jede sein Königsrecht hemmende Schranke wegräumen und den ihm Unterthanen sich in der Glanzrolle des Statthalters G ottes zeigen. Seine ,,O pera“ vertheidigen den Absolutis*

mus der K önigsgew alt; die W erk e seiner Regirung haben erreicht (w as die H äuser Y o rk und Plantagenet nicht ver*

m ocht hatten), daß der Brite der Frage nachzudenken be*

gann, ob es vernünftig sei, die ganze Staatsmacht Einem an*

zuvertrauen und in dem fuchtelnden, schwatzenden, schmatz*

(14)

7 2 Di e Zukunft

enden Komoedianten den T räger göttlicher G nade anzu«

staunen. Jak ob selbst kam noch glimpflich davon; hat we«

der die freche A nm aßung seines G ottähnlichkeit wahnes noch die Liebschaften mit den Kerr und Konsorten gebüßt. Als sein Sohn Karl aber (1 6 2 8 ) dem H aus der Lords zurief, er schulde für sein Handeln nur G ott Rechenschaft, als er zwölf Jahre lang ohne Parlament regirte, auch den Privy C ouncil, die Versammlung aller hohen Beamten, nicht berief, sondern mit seiner Kamarilla die Geschäfte bebrütete, brach das Un*

wetter los. Ein Volk ohne König, sprach das U nterhaus, können wir uns vorstellen, nicht aber einen K önig ohne Volk. The king kan do no w rong: D as heißt nicht, Alles, was der K önig thut, sei Recht, sondern, dem König sei ver«

wehrt, U nrecht zu thun, und er müsse deshalb, wenn er sich in den Grenzen seiner M acht halte und nicht, nach Bractons W o rt, aus einem Statthalter G ottes sich in einen Satanspriester wandle, immer und überall das Rechte thun. Die G ew alt hat er vom V olk; hat sie nur so lange, wie er dem Gesetz, das über ihm ist, gehorcht. Diesen Rechtszustand dankt England dem klaren Blick seines A d els; den muthigen, auch zum O pfer muthigen Baronen, denen Pitt später so beredt den D ank des freien Volkes ausgesprochen hat. U nd es war früh entschlossen, diesen Idealbesitz sich nicht verkümmern zu lassen. Karl heischt Vertrauen (confidence) und wüthet, wenn im Parlament A rgw ohn (jealousy) laut wird. E r ver*

sichert das H aus der Gemeinen seiner väterlichen Liebe (Mes«

sages of L ove), beruft sich feierlich aber auf seine Souve«

rainetät und hofft, mit unverbindlichen Redensarten die Hel«

fer zu schwichtigen. Vergebens. Sir Edw ard Coke, der greise Vertreter des britischen Rechtsbewußtseins, ruft ihm zu: „A uf zärtliche Botschaft ist kein Verlaß. A uch nicht auf münd*

liehe Betheuerung des Königs. Ich will Seiner M ajestät nicht mißtrauen. A u f unsere Beschwerde, die bis ins Einzelne be*

gründet ist, hat der König aber nicht mit allgemein gütigen Versicherungen zu antw orten, sondern mit einer U rkunde, die auf jeden Punkt unseres Protestes eingeht. Sou veraine«

tät ist ein schönes W o r t; taugt aber nicht in das Rechtsge«

bäude, das unter M itwirkung des Parlamentes errichtet wor«

(15)

D as sech ste Sieg el

den ist, und kann dessen Grundm auern nach und nach lockern.

U n ser Recht ruht auf der M agna C h arta; und dieser stramme Bursche duldet keine souveraine Gew alt über sich.“ Diese W o rte wurden bei der Berathung der Petition of Right ge*

sprochen. Die W arnung des ersten Rechtslehrers verhallt un*

gehört. U nd am dreißigsten Januartag des Jah res1649 verblutet, vor dem Schloßthor vonW hitehall, Karl Stuartaufdem Schafot.

Das W etter zieht weiter; zieht, langsam, über den Kanal.

A uch im Land Ludwigs des Heiligen bröckelt der alte Glaube, nagt der H olzw urm im überlieferten Gebälk. A uch hier soll der König fortan nicht nur dem Himmelsherrn, soll er dem vom Volk beschlossenen Gesetz verantwortlich sein. W ie die ersten Stuarts, so haben auch die letzten Louis in ihrem Reich ein Pachtgut gesehen, dessen Einkünfte des Königs Taschen*

geld, dessen sechsundzwanzig M illionen Bewohner dem Kö*

nig hörig sind; einen Jagdgrund, auf dem launische Will*

kür birschen und feistes W ild vor die Schußgabel treiben darf. Die H ofhaltung des Königs und seiner Verwandten, in der fünfzehntausend Personen beschäftigt sind, verschlingt fünfundvierzig M illionen: den zehnten Theil der Staatsein*

nahmen. Von 1775 bis 1789 hat der K önig 1562 Tage auf der Jag d , 370 auf anderen Reisen und Ausflügen verlebt. Am fünften O ktober 1789 schreibt er in sein Tagebuch: „Jagd bei C hatillon; 81 Stück erlegt; durch die Ereignisse unter*

brochen.“ D ie Ereignisse: damit war der Parisermarsch nach Versailles gemeint; das erste unüberhörbare G rollen der Re*

volution. N och am zwölften O ktober hat er in Port*Royal auf Hirsche gejagt. D rei Jahre und drei M onate vergehen:

und Ludwigs H aupt liegt unter dem Fallbeil. Bossuet hat zu innerer Läuterung gemahnt, Robespierre, nach Cromwells Beispiel, des Eisens Schärfe verordnet. A us dem Insularvor*

gang war, spät freilich, ein europäisches D atum geworden.

U nd als Bonaparte, aus einer Korsenfamilie, deren plebeji*

sehen U rsprung jeder Schüler nachweisen konnte, den Thron der Lilienkönige bestiegen hatte, mußte (nach dem Propheten*

w ort Josephs de M aistre) allen Königen ein neuer M orgen dämmern. Kein heller. Die Vernunft saß zu G ericht, grinste höhnisch, wenn von den \ngeschuldigten Einer sich auf G ottes

(16)

7 4 D ie Z u k u n ft

besondere G nade, die in ihm wirke, berief, und wollte nur eine M ajestät noch anerkennen: die vom Volke kommt, für Thun und Lassen, Sieg und N iederlage dem Volk verantw ortlich ist.

Fritz von Preußen hatte, als ihm von Paris und Ver*

sailles erzählt ward, gesagt, wenn er König von Frankreich wäre, würde er zunächst einen anderen König ernennen, der an seiner Stelle den H o f zu halten hätte: denn die zur Hui*

digung bereiten N ichtsthuer brauchen einen Faulpelz, der sich huldigen läßt. D er Sohn des gekrönten Korporals hat die Lehre M assillons besser als Ludw ig der Fünfzehnte ver*

standen. Schon als Jüngling die Fürsten vor dem schwächen»

den W ah n gew arnt, die Völker seien für sie, nicht sie für die Völker geschaffen. U n d bis an seines Lebens Ende die W arnung oft wiederholt. „D ie Könige haben auf dieser W e lt nur die Aufgabe, die M enschen glücklich zu machen, und müssen mit dem B lut des Volkes, als des K örpers, dessen Seele sie sind, mit dem Blut der Bürger geizen, in denen sie ihr Ebenbild sehen. D ie gute M einung, die ich von den heute regirenden Königen habe, läßt mich hoffen, daß sie verdienen, die W ahrheit zu hören. D as beste Lob spendet D er ihnen, der vor ihrem O hr offen alle das Königthum er*

niedernde,alle M enschlichkeit und Gerechtigkeit schändende Laster eines Königs zu tadeln w agt.“ M it diesen Sätzen schließt der „Antim acchiavell“ . „G laube nicht, daß Dein Land für D ich geschaffen ward, sondern sei gewiß, daß die Vorsehung D ich auf die W e lt kommen ließ, um diesem Volk das Glück zu bringen. Denke an seinen W ohlstand stets eher als an Dein Vergnügen. D er Erdkreis wird D ich be*

wundern, wenn D u dem N utzen des Volkes Deine W ünsche zu opfern w eißt.4* („Fürstenspiegel“ ; Lehrbrief an den jungen H erzog Karl Eugen von W ü rttem b erg.) „D er K önig m uß sich oft an die Stelle des armen Mannes versetzen und sich fragen, was er, unter solchen Lebensbedingungen, vom Mon*

archen wünschen würde. W en n der König seine Pflicht er*

füllen w ill, darf er nie vergessen, daß er ein M ensch ist, wie der Geringste der ihm U nterthanen, und als erster Die*

ner des Staates so redlich, klug und uneigennützig zu han*

dein hat, als müsse er in der nächsten Stunde den M itbür*

(17)

D as sech ste Siegel 7 5

gern von seiner Verwaltung Rechenschaft geben.“ („U eb er die Form en der Regirung und die Pflichten der K önige.“ ) Den U rsprung der Souverainetät findet er in dem mensch«

liehen Streben nach festem , für A lle gleichen Gesetz. E r rühmt den englischen Parlamentarismus, der dem König alle Kraft zum G uten, doch keine zum Schlechten lasse, als das M uster verständiger Regirung. Aendert im Kirchengebet die W o rte „Ihro M ajestät unserm theuersten K önig“ in „Deinem Knecht, unseren K ö n ig .“ U n d schreibt m it bescheidenem Stolz in sein Testam ent: „D ie Staatseinkünfte habe ich wie die Bundeslade betrachtet, die keine profane H and be*

rühren darf. W as ich für mich brauchte, war in keinem Jah r mehr als zweihundertzwanzigtausend Thaler. Von den öffentlichen Einnahmen habe ich niemals meinem Privatge­

brauch Etw as zugewendet.“ M it H obbes spricht er: ,,Salus populi suprema lex esto !“ Schreibt an D ’A lem bert: „D ie Hauptpflicht des Fürsten ist, taugliche Geschäftsleiter zu wählen.“ Kennt kein Vorurtheil. „Könige sind Menschen wie andere; haben nur W ichtigeres zu thun. W e r sich für besonders m erkwürdig hält, meint in seiner Eitelkeit, die W e lt wolle jede Kleinigkeit erfahren, die ihn angeht. W e r immer regirt hat, ist, wie ein G ott, an ewigen W eihrauch ge­

wöhnt und müßte verschmachten, wenn ihm das Lob ver- sagt bliebe. D er K önig nennt sich zwar ,W ir‘, ist aber nicht etwa vielfach da. W ie der H errgott während der Messe, so dürfte auch der K önig sich stets nur in seiner H errlich­

keit zeigen.“ So spricht er. N och als grämlicher Greis. U nd wirkt so stark auf die Feinde selbst, daß Leopold der Zweite an M arie Christine schreibt: „A uch der Erbkönig ist nur ein Beamter seines Volkes.“ D a ist die Ernte aus fritzischer Saat.

D aß über Preußen, während von W est her der Sturm heulte, der Himmel hell blieb, war das Verdienst des Kö*

nigs, der neuen G eist in die alte Form goß, und des Vol*

kes, das noch nicht wollen gelernt hatte. A uch unter dem dicken Lüdrian und W undersucher nicht lernte. N ach dem T ag von Jena noch sich im Pferch der Unterthänigkeit leid, ich wohl fühlte. Einen König nach dem Herzen Bossuets hätte es aneebetet (und vielleicht gar gemerkt,"daß er, trotz

(18)

76 D ie Z u k u n ft

Aufklärung und Vernunftherrschaft, dem M onarchen von Fritzens Gnaden ziemlich nah verwandt ist); Friedrich W il*

heim der D ritte aber war ein allzu reizloser, allzu unkö*

niglich kleinmüthiger H err. Als der hundertste G eburtstag der preußischen Städteordnung gefeiert wurde, sagte im ber»

liner Rathhaus W ilhelm der Zw eite: „M it der G ewährung der Selbstverwaltung hat mein A hn seinem Volk einen Be*

weis seines Vertrauens gegeben und an die geistigen und sittlichen Kräfte des Bürgerthum s appellirt.“ W ars s o ? Fried*

rieh W ilhelm hat sich um die Reform der Stadtverwaltung nicht gekümmert. Erst als Alles fertig war, erfuhr ers aus dem Immediatbericht der M inister Schroetter und Stein;

und dieser Bericht verschwieg, damit der König nicht die U nterschrift weigere, denTheil, den militärische M ißbräuche an dem Verfall der Städte hatten. D em Bürgerthum ver»

traute, an das Bürgerthum appellirte in der Zeit schwerer N oth Freiherr vom Stein (den W ilhelm gar nicht erw ähnte);

nicht der König. D er hatte im Sommer die Vorschläge der Trium virn Stein, Scharnhorst, Gneisenau abgelehnt, den Ge*

danken des Freiherrn, die N ation zum A ufstand zu bewe*

gen, weit von sich gewiesen und vertraute dem Franzosen*

kaiser mehr als dem eigenen Volk. D em im Bürgerthum be*

liebten M inister wich er aus, hörte gern, daß die H öflinge ihn sehalten und höhnten, daß H ardenberg und G oltz gegen ihn wühlten, und entließ ihn fünf Tage nach der Sanktion der Städteordnung aus seinem Dienst. D er undankbare K önig bedachte nicht, ob dieser M ann der N ation nützen könne; war froh, den Unbequem en m it guter M anier los*

zuwerden. Eine winzige M ajestät. Die sich klüglich auch im Schatten hielt. A u f den dritten Friedrich W ilhelm folgte der vierte. „K einer M acht der Erde soll je gelingen, mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch seine in*

nere W ah rh eit so mächtig machende Verhältniß zwischen Fürst und V olk in ein konventionelles, konstitutionelles zu wandeln. Von G ott allein habe ich meine Krone und nur ihm bin ich von jeder Stunde meiner Regirung Rechen*

schaft schuldig.“ So spricht er. M uß unter der schwarzroth*

goldenen Fahne umherreiten, vor den Leichen der Rebellen den H u t ziehen, unter die U rkunde der Verfassung seinen

(19)

D as sech ste Sieg el 77 N am en setzen. Die Bureaukratie hat er sein Leben lang ge*

haßt (vor H erren dieses Schlages dürfen selbst umkettete Byzantiner sie ungefährdet bespötteln); ihre ernste Formen*

strenge nie gewürdigt, ihr stolzes Pflichtbewußtsein als ,,D ieneranm aßung“ getadelt und nicht eingesehen, um wie viel früher er ohne ihre treue A rbeit von der steilen H öhe geglitten wäre. D er Rausch der H uldigungtage war ja kaum ausgeschlafen: da merkten die Berliner schon, mit wem sie jetzt zu thun hatten, und verzerrten des Königs stete Form el ,,D as gelobe und schwöre ich“ in den Schnodderwitz: „D as jlobe ick schw erlich!“ D ie M ajestät war vom Fluch der Lächerlichkeit umkrallt. D er K önig von G ottes Gnaden zur Zielscheibe des Pöbelspottes geworden. U nd just dieser M onarch hatte sich in den M ystikerwahn verlaufen, in einer gewandelten W e lt könne er ein anderes Gottesgnadenthum , als in demüthigem Sinn es Paulus einst, der A postel ge*

ringster, träumte, er allein zu neuem Leben erwecken.

D em vorsichtigen W ilhelm , den das Erlebniß von 1848 die Grenzen deutscher Volksgeduld und die ruhige Sicher*

heit britischer M onarchie erkennen gelehrt hat, folgt, nach dem bangen Geflimmer der neunundneunzig Tage, der Enkel.

U eber den ersten W ilhelm hat Bismarck gesagt: „D er Aus*

druck »königlich vornehm* ist prägnant für seine Erschein*

ung. Die Eitelkeit kann bei M onarchen ein Sporn zu Thaten und zur Arbeit für das Glück ihrer Unterthanen sein. Fried*

rieh der G roße war nicht frei davon; sein erster Thaten*

drang entsprang dem Verlangen nach historischem Ruhm ; ob diese Triebfeder gegen das Ende seiner Regirung, wie mar: sagt, degenerirte, ob er dem W unsch innerlich G ehör gab, daß die N achw elt den Unterschied zwischen seiner und der folgenden Regirung merken möge, lasse ich uner*

örtert. Eine dichterische Ergießung datirte er von dem T ag vor einer Schlacht und theilte sie brieflich mit der Unter*

schrift m it: ,Pas trop mal ä la veille d ’une bataille*. Eine Eitelkeit der A rt war dem ersten Kaiser W ilhelm ganz frem d;

dagegen war ihm die Furcht vor berechtigter Kritik der Mit* und N achw elt in hohem M aß eigen. Niem and hätte gewagt, ihm eine platte Schmeichelei zu sagen. M onarch und Parlament hatten einander in schweren inneren Kämpfen

(20)

7 8 D ie Z u kun ft

kennen und achten gelernt; die Ehrlichkeit der königlichen W ü rd e , die sichere Ruhe des Königs hatten schließlich die A chtung auch seiner G egner erzwungen. Das Gefühl der G erechtigkeit, nicht blos seinen Freunden und Dienern ge#

genüber, sondern auch im Kam pf mit seihen Gegnern, be«

herrschte ihn. E r war ein gentleman ins Königliche über*»

setzt, ein Edelmann im besten Sinn des W o rtes, der sich durch keine Versuchung der ihm zufallenden Machtvoll«

kommenheiten von dem Satz »Noblesse oblige* dispensirt fühlte. E r hielt auf Treue und Ehre nicht nur Fürsten, son«

dern auch seinen Dienern bis zum Kammerdiener gegenüber.

W en n er selbst Proklam ationen redigirte oder eigenhändig Briefe schrieb, so hatten sie, auch wenn sie sprachlich inkor«

rekt waren, doch immer etwas Gewinnendes, oft Begeistern«

des. Sie berührten angenehm durch die W ärm e seines Ge«

fühles und die Sicherheit, die aus ihnen sprach, daß er Treue nicht nur verlangte, sondern auch gewährte. II etait de relation süre; eine von den fürstlichen Gestalten, in Seele und Körper, deren Eigenschaften, mehr des Herzens als des Verstandes, die im germanischen Charakter hin und wieder vorkommende H ingebung ihrer Diener und Anhänger auf T o d und Leben erklären. E r war zu vornehm für das Gefühl eines Edel«

mannes, der keinen reichen und unabhängigen Bauer im D orfe vertragen kann. Solche Beziehungen, wie ich sie zum Kaiser W ilhelm hatte, übertragen sich mehr persönlich als logisch leicht auf eine G eneration; aber ihnen einen dauern«

den und prinzipiellen Charakter beizulegen, entspricht im heutigen politischen Leben nicht mehr den germanischen, sondern eher den romanischen A nschauungen; der portu«

giesische porteur du coton ist in die deutschen Begriffe nicht übertragbar.“ D er Versuch, den Nachtstuhl*Adjutanten und W ischlappenträger in neudeutsches Hof« und Staatsleben einzunisten, ist, dennoch, allzu lange gelungen. „Z u r Er«

innerung an Ihre Silberne H ochzeit wird Ihnen eine Vase übergeben werden, die eine dankbare Borussia darstellt und die, so gebrechlich ihr M aterial auch sein mag, doch selbst in jeder Scherbe dereinst aussprechen soll, was Preußen Ihnen durch die Erhebung auf die H öhe, auf welcher es jetzt steht, verdankt.“ So sprach der erste W ilhelm zu dem M ann, den

(21)

D as sech ste Sieg el 79 der zweite nur als den „H andlanger des erhabenen W illens Kaiser W ilhelm s des G roß en “ gelten ließ. D er (weil die Empfindlichkeit des kranken Vaters geschont werden m ußte) nicht einmal in den äußeren G eschäftsgang Eingeführte räkelt sich neronisch*komoedisch auf dem T h ron , stopft sich in Schlemmerslust mit den Schmeichelreden des Trosses und entzäumt den Dünkel bis in das freche W o r t: „Sechs M onate will ich den A lten noch verschnaufen lassen; dann regire ich selbst.“ Das war der Anfang. E r hat selbst regirt. U nd acht*

undzwanzig Jahre, ums Doppelte länger als Europens Kind«

heit den Sohn des D om itius, ertrug diesen Kaiser der Erdkreis.

Lerntet Ihr nun ihn sehen, lerntet ermessen, daß eines N ero, eines Chilperich, jedes gekrönten Hans Lüderlich Un*

heilswirken neben seinem ein H ügelchen neben H ochgebirg ist? D ie in dem vom Palatin bis in den Park des Maecenas gestreckten Goldkäfig fettgemästete Kaiserpuppe hat schänd*

lieh gem ordet; infam, fast ohne V organg und Folge in aller M enschengeschichte, war sein Regieeinfall, brennende Leiber noch Lebender am Pfahl den N achtfesten des H ofes leuch*

teii zu lassen, Verurtheilte in die Rollen des von Flammen verzehrten Herakles, des von Bärstatzen zerrissenen Orpheus, der von Stiersbrunst besudelten Pasiphae zu zwingen; und begreiflich, daß der Lümmel, der, mit künstlich gelocktem Blondhaar, einen konkaven Smaragd als Sehschärfer im Auge, auf dem Podium , zwischen den höchsten Reichsbeamten und den Vestalinnen, wonnig den M artern, wie einem Schäfer*

spiel, zuschaute und in Pausen das Lob seiner Künste, des Malers, Bildners, D ichters, Rezitators, Sängers, Tänzers, Bau*

meisters, Seestrategen, W agenlenkers, wie Rosenduft in die ge*

blähten N üstern sog, ernsten Geistern vom Z orn enttäuschter G ottheit auf die Erde gespien schien. D och er saß auch im W agen des Trium phators A ugustus, sein H aupt trug die olym pische, seine rechte H and die pythische Krone, aus drei H orden grüßten die H udler ihn als den Nero*

H erakles, N ero»A pollon, rühmten die Seligkeit, seiner in Heiligenreine geklärten Stimme zu lauschen, stapelten die achtzehnhundert Kränze, die er aus H ellas heimbrachte, in das Rund des G roßen Circus und ^raunten ins O hr der M enge: „D ieser liebt E uch, trachtet nur, Euch zu nützen

Cytaty

Powiązane dokumenty

Ich zweifle nicht, daß die Grübchen im Antlitz des Herrn Erzberger, seit er nicht mehr in Flammen werfen, sondern in Völkerbund macht, die Entente rühren, daß sie die

sachen und Wirkungen, aus denen der Krieg in seinem Ge- sammtverlauf zu erklären ist, wird, wie mir scheint, auch von vorurtheillosen und klar denkenden

mit ein darbendes Volk, das für seine Ernährung 300 Prozent mehr aufwenden muß als vor dem Krieg, 10 oder 20 Prozent an der vom Einigungamt errechneten Miethe

politikern oder die Verwaltungassessoren zu Staatstechnikern„j Vor dem Thron der Organik wird nichts mehr nobel, dafür aber nicht einmal mehr die

reichs Riviera. Plötzlich heißts, er sei nun in Konstantinopel seßhaft; studire den W irthschaftstand der Türkei, schreibe Berichte, die sogar im D irektorium der

Ju st vor einem Jah r war er M inisterpräsident geworden, weil H err Poincare nicht in einem K abinet Peret (das wieder n u r, wie zuvor das des H errn Leygues,

H ier d arf der W unsch nicht un terd rü ck t w erden, die hübschfleischige Frau, die sich neulich fü r ein durch Sinnenbrand flatterndes Seelchen, gestern, hö chst emsig,

Die erste Voraussetzung für eine nur einigermaßen genü- gende Linderung der groß-en Noth ist, daß Alle, die durch ihre frühere berufliche Vorbildung in der Lage sind, sich anderen