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Die Zukunft, 21. Januar, Jahrg. XXX, Bd. 116, Nr 17.

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(1)

XXX. Jahrg. B e r l in , den 21. Januar 1922 N r. 17

Die Zukunft

Herausgeber

Maximilian Harden

IN H A L T

Seile

Der Erdgeist Python . 57

Kiviera?Delphinion . . . 57

Poincare Pythios . . . 6 0

Das Erdorakel . . 77

Nachdruck verboten

Erscheint jeden Sonnabend

Preis vierteljährlich 35 Mk. / Einzelheft 3,50 Mk.

BERLIN

ERICH REISS VERLAG

(Verlag der Zukunft)

1922

(2)

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deämijcfieOVGQe vom 5- bis l^ M a rz 1922

Dcr^itralmarkt jurVn, mtemationalen.

WarenaustauJci'L

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BEQINN D IR tfERBSTklESSE AM 27. ÄUQUST'iQ22;

/ ^Auskunjt erteilt und Anmeldungen m m m tenttm en A t E S S A M T ' F Ü R D I E X f U S T Ü R M E S S E N

£ lIP 2 I( ^

■i Korpulenz h

F e t t l e i b i g k e i t beseitigen P r . H o f f h a n e r ’s ges.gesch.

E n t f et t a n g s l a b l e t t e n

V o llk o m m en n n s c liä d l. u n d e r f o l g r e i c h s t e s M ittel g eg e n F e t t s a c h t u n d ü b e r ­ m ä ß ig e K o r p u le n z , au c h o h n e E in h a lte n e in e r b e stim m te n D iä t. K eine S c h ild d rü se .

L e ic h t b e k ö m m lic h . G r a tl s - B r o s c h n r e a u f W o n a c h . E l e f a n t c n - A p o t h e k e , B erlin S W 414, L e ip z ig e r S tr .74 (D ö n h o ffp l.) AmtZmfr.7192

(3)

DIE ZUKUNFT

H erausgeber: M a x i m il i a n H a rd e n

XXX. Jahrg. 21. Januar 1922 N r. 17

D er Erdgeist Python

R iv ie ra » D e l p h i n i o n

M

orgen schon, schrieb ich ins vorige H eft, könne vom

„Bloc“, übermorgen von dem „£cho N ational“ (der neuen Zeitung des Zw eibundes Clemenceau»Tardieu) H err Briand zerschmettert werden. Er hats nicht abgewartet. Zwar hätte der musisch feine Verstand seines H irnes und dasViolon»

•cello seiner Kehle die Kammer wohl wieder bezaubert. Aber Präsident M illerand, der den Defensifvertrag mit England

„vorberathen und ratifiziren“ (A rtikel Acht der Verfassung) m üßte, hatte ihm nach Cannes den A usdruck quälender Be»

■sorgniß telegraphirt, im Kabinetsrath dem Heimgekehrten die in weiter Kurve abweichende M einung nicht gehehlt und mancher liebe Kollege schien zu Alexandros mehr als zu Ari»

steides hinzuneigen. D er wußte, nach seiner Rückfahrt an die A zurküste werde aus allerlei Schneegeschlüpf und Schmutz»

geklump im pariser D unkel sich eine Schlaglawine ballen: und b o g ihr, wie fast jeder, die ihn bedroht hat, geschmeidig aus.

D ie nüchternste Rede seines Lebens, eine mit Bewußtsein allem Pomp und Glanz fern gehaltene, schloß er mit dem Satz:

„A ndere werdens besser machen“ (D ’autres feront mieux);

und schritt, den Kabinetsgefährten voran, durch dichte Hecken Beifall rufender und klatschender A bgeordneten aus dem Saal. Ich glaube, der Schlußsatz kam nicht aus m üder Selbst»

Gefälligkeit, sondern aus wacher Selbsterkenntniß. D er Mi»

nisterpräsident hatte Fehler gemacht und fühlte, daß einem nicht dafür Haftbaren die nächste, steile W egstrecke leichter als ihm werden müsse. W elcher Fehler ist er, als Franzos von

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Franzosen, mit Fug denn zu zeihen? Er hat die weltgeschicht*

liehe Bedeutung der Konferenz von W ashington, des Vorbe*

dinges von Cannes, nicht erkannt; wähnte, ihr mit einer klug vorgetragenenBarytonarie zu genügen; forderte die Erhaltung eines Landheeres von achthunderttausend M ann, die, auch durch Kleinerung des zum N ordaufbau nöthigen Arbeiter*

Volkes, mehr kosten, als sie aus schlauster Pressung Deutsch»

lands einbringen können, und für die M arine neunzigtausend Tonnen U nterseeboote, deren Verwendung gegen Handels«

schiffe (die einzige, deren G efahr England in W illfährigkeit kirren könnte) die Resolution Root schnell verboten hat. Er ließ den anglo»französischen Pakt, gegen dessen vom MinisterWin*

ston Churchill 1920 verfaßten Entwurf H err Lloyd George sich über ein Jahr lang gesträubt hatte, die Form einer Schutzver*

heißung, fast eines Patronatsvertrages annehmen, ohne dem reizbaren Franzosenstolz wenigstens den Schein einer Mutual*

Versicherung, eines auch den Briten lohnenden Hilfever*

sprechens zu gewähren. Er vergaß, von den Deutschen, die sich am achten Januar, auf Verlangen des berliner Comite des Ga*

ranties, verpflichtet hatten, an jedem zehntenT ag einunddreißig M illionenG oldm ark zu zahlen, die schriftliche U nterzeichnung dieser Abzahlpflicht zu fordern, ehe er ihre Sachverständigen nach Cannes ein lu d : und erlebte, daß die Hoffnung, derO berste Rath werde sich mit fünfhundert M illionen, kaum der Hälfte, fürs ganze Jahr begnügen, sie zu Aufschub der U nterschrift ermuthigte. U nd er unterschätzte die optische und akustische W irkung, die der alltägliche Bericht von Lunch* und Diner»

Verhandlung, von Golfspiel, Autoausflügen, Blumengepräng, Jazz Band und Tanz in der allzu sichtbare Feste noch immer ver*

pönenden Heimath wecken mußte. Schon hatte der stets feier*

lieh ehrbare Herr Poincare mit bitterem H ohn die „Kino* Diplo*

matie“ der Reisekonferenzen gerügt. N u n schienen unter den Palmen von Cannes sorgenlos heitere G riechengötter zu tän*

d ein ; hoch über Menschenleid „in ewigen Festen an goldenen Tischen“. D er W unsch, sich der Frohnatur und gesunden Le­

bensart des Britenpremiers anzupassen,hatte H errn Briand, der nicht viel gelernt hat, aber viel kann, mehr Phantasiemensch und Kammer künstler alsRechnerundGeschäftsmann der Politik ist*

in den Irrwahn verleitet, der bunte Fernschimmer und Wider««

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D er Erdgeist Python 59 hall solcher Rivieralust könne unschädlich bleiben. Pariser«

Stimmung: „Er und der Erzmillionär Loucheur, der Frau und Tochter bei sich hat, schwelgen in den W onnen der Alpes Ma*

ritimes, erliegen dem Persönlichkeitzauber Davids aus W ales, opfern die Tauchboot waffe, den Angora»Vertrag, morgen, vielleicht, das Recht auf die Rheinbesetzung und künftige Sanctions, plaudern mit Deutschen, winken die Bolschewiken herbei: und bieten als einzigen Ersatz uns einen kurz befriste«

ten, nicht militärisch unterkellerten Pakt, nach dem England, nur, wenn deutscher Einbruch in Frankreich seinem U rtheil grundlos scheint, uns, wie einem armen Schächer, gnädig H ilfe gewähren wird. Britanien ist gerade jetzt, nach der Versöhnung Irlands, der Köderung Italiens, als intimer Freund Amerikas, Protektor der in W ien, Belgrad, Bukarest, sogar Budapest ge«

stärkten Kleinen Entente, als H offnungpfeiler Rußlands, so übermächtig, daß nur ein Berauschter die Zeit franko»briti«

schem Vertragsschluß günstig finden kann. Lassen wir an der süß duftenden Rosenkette uns nach G enua schleifen, dann erwacht Frankreich als willenlose A ppendix des Britenimpe«

iiums, dessen G unst oder U ngunst ihm fortan Schicksal wird.“

In Genua, schrieb der W arner Poincare, „können wir nichts gewinnen und Alles verlieren, die Deutschen nichts ver«

lieren und Alles gewinnen.“ H inzu kam, als das Schlimmste, die durch das Reisegetos und Reklamegedampf des Reichs«

schicksalwalters Rathenau erwirkte M ißtrauensbäum ung vor der zwinkernden A ndeutung anglo*deutscher Geheimbün«

delei. „D er plum pe Fehler, die Bank von England zu Z eugniß gegen die Erfüllbarkeit unserer Schuldnerspflicht aufzurufen, hilft den Franzosen in die dankbare Rolle des vom treulosen A lbion halb schon Verrathenen. D as m uß sich nun los«

kaufen. Vor den Kinofahrten (nach London) stands besser um Deutschlands Sache. W er sich, nicht sie, in Glanz haben will, webt ihr nur neue N ebel.“ Im letzten Dezemberheft sagte ichs. Diese N ebel haben Herrn Briand die Athemfreiheit ver«

engt. H err Alexander M illerand, ihm längst nicht mehr hold, nun beinah wieder ganz clemencistisch, der Tiger selbst noch sprungbereit, rechts der wölfisch wilde Royalist D audet, links der kalte H aß des in großem Stil ehrgeizig klugen Abge«

ordneten Tardieu hart an der Flanke des Conseilchefs, der 6*

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gewaltig erstarkte Senator Poincare, dem Aristeides auf den höchsten Sitz der R epublik geholfen und in jeder N o th bei*

gestanden hatte, ein herber Tadler und Spender bitterer Tränke (des deux m ondes), der „M atin“ abtrünnig; das Bauervolk, das überall, mag danach die W elt untergehen, „bezahlt sein w ill“, in die Furcht vor Schrumpfung der Reparirmilliarden und Schwerung der Steuerlast aufgeputscht, der Senat höchst unsicher, aus der heftigen Kammerdünung auch im feinsten Redenetz morgen nicht mehr, wie im Januar 21, sieben Achtel der Stimmen zu fischen: nach dem Kabinetsrath im Elysion ent»

schloß, beim Frühstück m it Stimmungerspähern, H errB riand sich stumm in unerzwungen würdigen Rücktritt. Ju st vor einem Jah r war er M inisterpräsident geworden, weil H err Poincare nicht in einem K abinet Peret (das wieder n u r, wie zuvor das des H errn Leygues, ein Kabinet M illerand gewesen wäre) Finanzminister sein wollte und, nach grimmig ausfallenden A rtikeln gegen Englands Politik, als M inisterpräsident und A uswärtiger M inister noch nicht möglich schien. Am fünf*

zehnten Januar 22 erschien der Artikel, worin er warnt, Frank»

areichs Souverainetät von England gefährden zu lassen. U nd dieser Tag sah ihn als regirendcs H aup t der Republik.

P o in c a r e P y th io s

„R ouget de Lisle, dessen Erdenrest der W ille des Prä»

sidenten Poincare in das Pantheon, in die G ruft der größten (o der von einer Zeitstimmung in G röße gereckten) Fran­

zosen, bettete, bot, in seinem Erlebniß und in dem seines Liedes, der (zuerst unter dem Namen ,C hant de guerre pour l ’armee du Rhin* veröffentlichten) Marseillaise, dem Nach»

redner den brauchbarsten Stoff. Straßburg die Krippe, die zur M assenwehr gewaffnete H auptstadt die Pathin des Frei*

heitsanges. Alle Knebelgewalten wider ihn verschworen. Alle überlebt er im Herzen der Volkheit: und ist auf ihrer Lippe nach h undert Jahren so jun g wie am ersten Tag. Jedes H aupt, eines Selbstherrschers gar, b lö ßt sich vor seinem Klang. In ihm glüht, aus ihm w irbt noch Frankreichs unauslöschliche Flamme, die in U nfreiheit ersticken müßte. In das Ton»

gewand unserer Volkshymne kleidet A udorf das Marschlied, das deutsche Arbeiter die .Achtung des Rechtes und der

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D er Erdgeist Python 61 Wahrheit* lehren soll. A uch der vergessene, verschüttete Sänger ist auferstanden. D urch die Reihen unserer Haarigen schreitet er; aus allen G räben winken die poilus ihm dank«

bare H uldigung. Im Invalidendom grüßt den kleinen Pionier«

hauptm ann der Kleine Korporal. D er A delsbrief schändet ihn nicht mehr: denn unter unserem Himm el sind nur noch Franzosen; ist ein Blutschlag in Aller Herzen. ,Dem Un«

sterblichen, dessen Sang M enschheitgebet w urde, öffnet das Pantheon sich; und wir ahnen den Tag, der das Lied in seine G eburtstatt, an den Rhein, zurückführt/ N icht ein«

mal diese A ndeutung hätten Gescheite Ihnen verdacht. U n d leicht war Ihrer Rede der würdigste Schluß zu finden. Rougets G edicht ,M ein letzter Wunsch* m ahnt die H eim ath, auch mit der Palme, nicht mit dem Lorber nur, sich zu krönen.

,Blühe, geliebtes Frankreich, und gedeihe inEw igkeitl W ahre Deine Freiheit, gieb der Erde den Frieden, sei den Schwachen, G eknechteten ein starker H ort, achte das U nglück, den Glau«

ben, die Pflicht der Freundschaft un d rufe D eine Söhne nur auf, wenn der Fremdling Deine Grenze bedroht. D ann darfst D u auf sie zählen. Triomphe, o chere France, et prospere toujoursl* M it solchem W ortpfund ließ sich wuchern. D ie M enge hätte geschluchzt. D er Festredner wollte, daß sie in Z orn knirsche. Er erzählte die Genesis des G roßen Krieges;

und stieg aus ihr in warnende H auptsätze empor. ,D er Feind hüte sich vor Selbsttäuschung! Ein erwinseiter, undichter Friede, der ruhlos zu durchfiebernde W affenstillstand zwi«

sehen einem abgekürzten und einem noch gräßlicheren Krieg ist nicht unseres W unsches Ziel. N icht, um in Schmach zu leben und, bald, in Reue zu sterben, hat Frankreichs Volk dem Ansturm der D eutschen getrotzt, den linken Flügel des gebändigten Feindesheeres von der M arne bis an den Yser zurückgeworfen und, nun ein Jahr schon, W u nd er an G röße und Schönheit gewirkt. N icht oft genug aber können wir wiederholen: N u r sittliche Kraft und A usdauer sichert den endgiltigen Sieg. Alle Gew alt unseres W illens und Ver«

mögens müssen wir, Staat und Einzelne, in den einen Ge«

danken, den einen Entschluß ballen: den Krieg, mag er noch so lang werden, zu führen, bis der Feind völlig geschlagen, der A lb deutscher W eltherrschsucht von Europa gewichen

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ist. Schon röthet der Ruhmestag, von dem unsere Volks*

hymne singt, den Himmel. In A ndacht stehen wir vor der T hat der N ation. Ihr heiliges W erk m uß sich, wird sich vollenden. Dem Sieg und der Gerechtigkeit bahnt es den Weg.* D ie Ehrengäste geleiten Rougets G ebein von Choisy*

le»Roi, dessen Veteranen und nächster Rekrutenjahrgang den Sarg mit ihrenFahnen geschmückt haben,durch denTriumph*

bogen (wo, vor Rüdes Marseillaise»Relief, eine Landwehr*

kapelle und zwei Opernstim men dem Sänger huldigen), unter dum pf schwirrenden, die Trikolore flaggenden Flugzeugen, über die A lexanderbrücke in den Lichthof des Invaliden*

domes: M inister, Diplom aten, Senatoren, Abgeordnete, Wür*

deninhaber aus den Bezirken der W issenschaft und Verwal*

tung, des Gewerbes und H andels, G roß kreuzträger und Groß*

Offiziere der Ehrenlegion. Fast Aller O h r fängt nur einzelne Fäden des W ortgesträhnes auf. D ie Straße war stumm:

schien, zum ersten M al an einem N ationalfesttag der Re*

publik, stim m los; nicht aus einer von hunderttausend Kinder*

kehlen stieg der Lerchenruf, nirgends aus einer Frauenbrust jauchzende Hoffnung. Im D om befiehlt die Amtspflicht Bei*

fall. ,Schlechte A kustik. U n d Präsident Poincare scheint entsetzlich nervös. D ie anm uthige R undung der Geste, die seinen C ylindergruß berühm t machte, ist dahin. Er zappelt u nd sieht vergrämt aus. V ernünftig ist, daß er unser Freiheit*

bedürfniß so laut betont. G erade er hats nöthig.* Getuschel.

W ieder Rougets Marseillerhymne. Von der H öhe her stimmt der C hor der Komischen O per ein. Lothringermarsch.

Sambre-et*Meuse. Schluß des .erhebenden Freiheitfestes*.

D aß Frankreichs Elysion weder ein vom Blitzstrahl ge*

weihter O rt heiliger Stille noch ein vom Zephyr umfächeltes Gefilde der Seligen ist, hat das Schicksal der Grevy.Casimir*

Perier, Faure erkennen gelehrt. D er im Elysee gebietet, ist aber auch keine Festpuppe, kein Staatsornament; brauchts nicht zu sein. Kommt Einer, der nicht nur behaglich leben, sondern sein Recht an wenden will: er kanns. D er wollten Sie sein. N icht Perier, Faure, Fallieres: mürrischer Schwäch*

ling, Machtscheingenießer, H olzbüste am Staatsbug. Sondern:

Schicksalsgestalter; Einer, von dessen T hat die Geschichte widerhallt. Von der T hat eines Rächers un d Rückeroberers?

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Der Erdgeist Python 63 D er Justizrath reicher Leute konnte nur in trunkener Stunde sich in den Schatten eines feldherrlichen Siegers wünschen.

N ach Allem, was Ihnen Ergebene ausplauderten und an*

deuteten, vermuthete ich, daß Sie dem Deutschen Reich, wenn es, als Pflaster auf die Ruhmeswunde von 1870, das winzigste Grenzstücken des Französisch sprechenden Lothrin*

gens herausgab, Ihr Vaterland, endlich, versöhnen wollten. So spreche ich nicht erst heute. D er Sünde .alldeutschen4 Fran*

zosenhasses, der Ihre Zeitungen mich tausendmal ziehen, war ich nie schuldig. H aben Sie ein paar M inuten G eduld?

»Das nüchterne, arbeitsame, redliche Volk der Deutschen ist in den Ruf gekommen, daß es sein Reichsgeschäft nach dem M uster der Marktschreier und Rummelplatzpächter trei*

ben lasse. N icht völlig schuldlos. Jähe Ueberraschung, coups de theatre, allerlei bunten Bühnentand haben wir mehr ge*

liebt als stille Vorbereitung zu kräftigem H andeln; Wort«

gedröhn war aus unserem Bezirk oft, kaum je noch der Wider*

hall einer T hat zu hören. Schellenbaum, Donnerblech, Kessel*

pauke wurden gerührt und die aufgeschreckten Nachbarn dann mit Flötentönen beschwichtigt. W ir wollen ja nichts;

sind die friedlichsten Leute auf dieser Erde: der Betheuerung antwortet, laut oder leis, ringsum die Frage, warum wir dann so viel Lärm machen und Europens alten Leib in drückende R üstung zwingen. W as sich als Oeffentliche M einung ver*

mummt, ist nicht tauglich, uns irgendwo Freundschaft zu werben; ist nur bestimmt, den Deutschen in den W ahn ein*

zulullen, daß jedes andere Reich in Lebensnoth ächze und er nur, er ganz allein in heller Sonne sitze. Er glaubts nicht.

U n d draußen bringt der kalte Em porkömmlingshochmuth, der leidenschaftlos protzige H o hn unserer Meinungmacher von M ond zu M ond uns in schlimmeren Verruf. Das Ge*

schrei über den Splitter in des N achbars Auge befreit un*

«eres nicht von dem Balken. Frommts, in jeder W oche den Franzosen lehrhaft zu wiederholen, daß sie von N ew a und Themse nichts zu hoffen haben, von den Russen ausgebeutelt, von den Briten als Prügeljungen erkiest worden sind? M üssen wir thun, als seien wir mit R ußland intimer als Frankreich und alles von Sasonow, Iswolskijs gehorsamem Statthalter, d er Republik G espendete werthlos wie eine in Goldschaum

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gewälzte Pfeffernuß? D ie Folge so übler G ew ohnheit ist, daß sich die Bänder festigen, die unser stumpfes Federmeser durchschneiden wollte; daß jeder entrevue der M ajestäten ein höflich erzwungener Verzicht auf Tischreden (die flüchtigen G efühlsausdruck annageln könnten) und ein neuer Treu«

schwur ins O hr des Verbündeten vorangeht, jeder eine sicht«

bare Bekräftigung des B ündnißgedankens nachhinkt. Statt in breiten W aschschüsseln den M oskowitern Schlagsahne vor«

zusetzen, sollten wir bedenken, daß sie j edem möglichen G egner deutscher Z ukunft Hilfe zugesagt haben; und gleich danach, daß wir sie zur Illum inirung dieser Zusage nöthigen, wenn Wir zwinkernd andeuten, ihr H au p t und ihr H erz habe sich von papiernen Verträgen zum warmen O dem des Nachbar«

mundes gekehrt. R ußland und Frankreich sind verbündet, fühlen sich in diesem V erhältniß wohl; un d wir werden ver*

ächtlich, wenn wir uns stellen, als sei in dunkler N acht die Lockerung des Bundes geglückt und der Lose von unserem Liebreiz bezaubert. Unsere A llure ist, leider, schlecht. D raußen und drinnen. W ir scheinen uns in Concerns zu drängen, deren Lebenszweck uns feindsälig ist. W ir erreichen nicht, daß die natürlichen M agnete unserer militärischen und wirthschaftlichen M acht Stammessplitter anziehen und gegen W iderstände festhalten; daß Polen, Elsässer, D änen sich der deutschen Scholle einwurzeln und sich der Zugehörig'*

keit zu solchem Kraftgebild freuen lernen; daß andere Ger*

manenvölker sich in den warmen D unstkreis unserer Schirm*

gewalt sehnen/ D ie von Gänsefüßchen umkrallten Sätze wurden 1912 in d e r ,Z ukunft4 gelesen. Unzweideutiger Sinn:

W ir dürfen fortan keinerlei U ngebühr dulden, öffentlich M einung Aussprechenden aber auch nicht erlauben, das Deutsche Reich tiefer in den Verdacht der LärmSucht, der A bsicht auf A nbiederung oder Geschäftsstörung zu bringen.

Ziel aller W ünsche: der ohne H ochm uth stolze Entschluß zu H altung und Geberde ruhiger Kraft. Das war nachA gadir.

N u n kam die Balkankriegszeit. D ie Botschafterreunion in London. D reibund gegen Bulgarien. Bukarester Friede (d er hinter dem Paragraphengitter noch Streitkeime liegen ließ).

N eue Rüstung der Festlandsmächte. W olkenballung, aus der G ew itter blitzen konnte. Kammerwahl: Frankreichs Ver*

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D er Erdgeist Python 65 hältniß zu D eutschland wurde wieder in den Blickpunkt ge*

rückt. Am vierzehnten M ärz 1914 sagte ich hier: ,Die hellsten Köpfe der Republik hatten die N othw endigkeit muthiger, nicht entehrender Resignation erkannt. Unsere Aufgabe war nur, ihnen und ihren Landsleuten Ruhe zu lassen. So lange, wie W ü rd e und Selbstachtungbedürfniß der N ation es irgend erlaubt, will Frankreich den Krieg ver«

meiden. D er bon sens seines wortkargen, arbeitsamen, nüch«

ternen Landvolkes hat längst erkannt, daß die Republik die verlorenen Provinzen aus eigener Kraft nicht zurückerobern kann und noch im (unwahrscheinlichen) Fall ausreichender fremder H ilfe der ersten A ufbrunst deutschen Zornes allzu nah wäre. D aß ihr Schicksalspfad nicht in die Vogesen*

schlucht zurückbiegen darf, sondern vorwärts führen m uß:

in die W eite des ungeheuren Afrikanerreiches, das jetzt, nach der Einnahme von Tazza, durch den Eisenbahnstrang Tunis«

Oran»Fez zur Einheit zusammengeschmiedet und dessen H auptstadt dann von Paris aus in sechzig Stunden erreicht werden kann. Frankreich will den Frieden, weil es ihn wollen m uß. D as ist der Sinn seiner Parlamentswahl. H eute noch kann es für den ganzen Umfang seines Besitzstandes in drei Erdtheilen die deutsche Bürgschaft erlangen: und brauchte die G ew ißheit solcher Assekuranz nur mit dem stummen Verzicht auf einen Gestus zu bezahlen, der nicht mehr schreckt, doch immer noch ärgert. Jede neue Sonne breitet den Lichtpfad solcher Erkenntniß. Jedes unbesonene Gelärm deutscher M enschheit engt ihn und schieiert den Strahl in die Schatten ehrwürdiger Leidenszeit. Eindringlicher noch als im A ugust des Gedenkjahres 1913 töne drum heute die M ahnung: D a die M ehrheit des deutschen Volkes einen Krieg gegen Frankreich nicht wünscht und auch die Minder«

heit ihn (der an sich keinen von dem nöthigen Kraftauf«

wand entschädigenden Ertrag verheißt) nur als das unver«

meidbare M ittel gegen unerträglichen D rang hinnähme, sollte Jeder, der öffentlich spricht, Jeder, der öffentlichem U rtheil Raum gewährt, sich sorgsamer als bisher vor ungerechtem, das Selbstachtungbedürfniß der Franzosen grob verletzendem M einensausdruck h ü te n .. . “ „D ie W elt wäre ärmer, wenn die Flamme des Galliergenius nur dünn noch aus ihr loderte

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und Frankreichs Stimme in zaghaftes Flüstern verblühte. W em frommt das M ittel, das nu r unwillkommenen Zweck fördern könnte? Eine Probe! H eißet, Germanen, die wilden M änner sechs M onate lang schweigen. Redner und Schreiber. Ver«

gesset, daß gehetzt worden ist. (N u r drüben?) Lasset nicht täglich drucken, daß jeder Deutsche in Frankreich gehaßt und verfolgt, geschmäht oder geknufft wird und daß wir den Franzosen, wir edle Barbaren, dennoch nicht grollen. Eure Väter haben gesiegt, ihre sind geschlagen w orden: und ihr Land hat H underttausenden guter Deutschen O bdach und Einkunft, Behagen und W ohlstand gewährt. Entstellet nicht, was ihre Zeitung meldet; ändert den Sinn und die Farbe des in Frankreich Gesprochenen un d G edruckten niemals auch nur im Allerkleinsten. W eder W eihrauch noch Schimpf.

Kommt U nglim pf über den Rhein: bleibet gelassen; ist er der Rede werth, so mag und m uß die Amtsinstanz für seine A hndung sorgen. Kein hätschelndes, kein hämisches W ort.

Kein Versuch, das Staatsgeschäft der Pariser zu stören. Eine ehrliche Probe. D ie letzte. D ie Französische Republik kann dem D eutschen Reich nicht die schmächtigste Parzelle ent«

reißen und danach sicher sein, daß sie, allen deutschen Ge«

walten zum Trotz, das Errungene sich zu wahren vermag.

D eutschland will Frankreichs M acht nicht m indern, sondern, im ganzen Umfang des Dreifarbenbezirkes, m it seiner Wehr«

kraft verbürgen. H ier keine A bsicht auf G ew inn, dort natio«

nalen D ranges G ebieterruf in höhere, Z ukunft verheißende W irkenspflicht. Zwischen den Völkern Johannens und Bis«

marcks nur eines Schmerzes Schatten. D er weicht, wenn der W u ch t sich die Flamme vermählt. D eshalb: H öhnet nicht den W ahlgang der geschlagenen N ationalisten; grunzet nicht, während Italiens Jugend wider Oesterreich tobt, die Triple«

Entente gleiche der körperlos schillernden Seifenblase, der D reibund dreifach gehärtetem Erz. Zäum et die Zunge 1 In diesem Sommer wird Schicksal/ (D ie letzten Bruchstücke sind aus dem H eft vom sechzehnten M ai 1914.)

Sie, H err Präsident, schelten das deutsche Volk un«

▼ersöhnlich, schmähen seine Seele, bespeien seine Krieger.

Sie sagen, Ihre Republik habe still und harmlos, wie der Teil Schillers, des Ehrenbürgers von Frankreich, gelebt und

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D er Erdgeist Python 67

in jedem N ährer kriegerischer Pläne einen Verbrecher oder N arren gesehen. D eutschlands Jugend die blutdurstige H orde, wider die Rouget sang, der von Gesinnungschnüff*

lern in finsteres Elend gehetzte Barde? Ich m uß an einen anderen D ichter Frankreichs denken. H err Edm ond Rostand giebt in dem etwas langwierigen und künstlich verschnör*

kelten, doch von Geistreichthum funkelnden und durch die Feinheit des Formenspieles liebenswürdigen Thierstück ,Chantecler‘ einen guten G run d riß vom gallischen Wesens*

bau. Sieht Ihr G edächtniß noch den G ipfelpunkt der sanften, in einem durchwärmten Glashaus der douce Fraqce, allzu nah dem H otel Rambouillet, gezüchteten Satire? Zwie*

spräche zwischen dem H aupthahn und der Fasanin. ,W enn ich nicht krähe, wird nicht Tag. Meine Stimme stürzt die Nacht,* wie ein Jericho, in Trümmer. Sie öffnet die Blüthe, das Auge, die Seele, das Fenster. Von ihrem hellen, stolzen Geschmetter zittert der H orizont; rosig überläufts ihn: er m uß gehorchen. In mir ist der M uth zu der Furcht, daß ohne meinen Ruf der Osten in trägem D unkel bliebe.

Singen ist mir Schlacht u nd G laubensbekenntniß. Et si de tous les chants m on chant est le plus fier, c’est que je chante clair, afin qu ’il fasse clair. Stieg die Sonne auf, ehe ich sie rief, dann war in der Luft noch ein N achhall meines Sanges von gestern, der sie weckte. W enn ich schweige, sind alle Eulen froh. U n d ist eine Sonne mir ungehorsam:

ich bin der H ahn fernerer Sonnen und des G laubens voll, daß eines Tages nie wieder N acht werden wird.* Ists nicht, ungefähr, die M einung, die Frankreich von sich hat und, seit Jahrhunderten schon, der M enschheit einreden möchte?

G allus: der phrygische Fluß, aus dessen W asser erregende Kraft in N erven und Sinne w irkt; der keltische Krieger;

der H ahn, den die H äupter der Revolution zum Wappen*

thier wählten. N icht nach N euem nur gierig sind die Gallier; auch überzeugt, daß nur von ihnen wohlthätige N euerung kommen könne. Einst dünkten sie sich das von G o tt auserwählte W erkzeug; dann die Bereiter und Diener einer noch gottlos allerhöchsten Vernunft. ,W enn ich nicht krähe, w ird nicht Tag!* H inaus zu horchen, ins W eite zu spähen, schien ihnen immer unnöthig; thöricht die Hoff*

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nung, da Etwas zu lernen. Ehe eines Zornes Flamme alle Sicherungen un d Hemmungen des Empfindens durchfraß, den Hahnskamm in G luth erbeben ließ und dem W illens­

gefäß den W unsch nach stärkender Genossenschaft ein­

brannte, fand der Franzos fremde Völker selten ernster Be­

achtung, oft n ur unwirscher V erachtung werth. U nbequem e hieß er Barbaren und Strolche; bequemen, zu Schmeichelei entschlossenen stand seine Schule offen. Kein Dämmern einer Vorstellung von der Eigenart deutschen W esens; von seiner Vielfachheit und Farbenfülle, nordischen N aturfrom m ­ heit und unverchristlichten W ucht. D urch jedes Frühgrau kräht (,singt*: sagt Ihr) der H ahn, alle starken Gedanken seien der M enschheit aus Frankreichs Erde geboren worden.

Viele. M anche aber waren schon greis und schwach, als das Vaterland eitel noch ihre zeugungfähige Jugend pries.

W ar auf deutschem Boden nicht eine Kultur, nicht Helden»

leistung, Bildnersinn und Gestalterkraft, ehe Euch die Sonne des vierzehnten Louis aufging, den sogar der Allanzweifler Voltaire als ein Jahrhundertgestirn bestaunte? D avon wollte Frankreich nichts hören; seinem O hr war, freilich, die Sym­

phonie des W iderhalles auch nicht so leicht erlangbar wie seine Stimme dem O hr Deutschlands. , W ir führen im G runde doch, Alle, ein isolirtes, armsäliges Leben! Aus dem eigent­

lichen Volke kommt uns sehr wenig K ultur entgegen; und unsere sämmtlichen Talente und guten Köpfe sind über ganz D eutschland ausgesät. Persönliche Berührung, per­

sönlicher Austausch von G edanken gehört zu den Selten­

heiten. N u n aber denken Sie sich eine Stadt wie Paris, wo die vorzüglichsten Köpfe eines großen Reiches auf einem Fleck beisammen sind und in täglichem Verkehr, Kampf und W etteifer einander belehren und steigern, wo das Beste aus allen Reichen der N atu r und Kunst des ganzen E rd­

bodens der täglichen A nschauung offen steht! W ir Deutsche sind von gestern. W ir haben zwar seit einem Jahrhundert ganz tüchtig kultivirt; aber es können noch ein paar Jah r­

hunderte hingehen, ehe bei unseren Landsleuten so viel G eist und höhere K ultur eindringe und allgemein werde, daß sie, gleich den Griechen, der Schönheit huldigen, daß sie sich für ein hübsches Lied begeistern und man von

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Der Erdgeist Python 6 9

ihnen w ird sagen können, es sei lange her, daß sie Bar«

baren gew esen/ So spricht, noch 1827, nach H erder und Lessing, der vom Besuch des jungen Ampere beglückte G oethe; so bescheiden zwischen zwei Seufzern. Kennen Sie sein T hiergedicht? W issen Sie auch nur, daß er eins schuf (um sich, nach der H inrichtung Ihres sechzehnten Louis, von der Betrachtung widriger W elthandel zu erholen)?

U nwahrscheinlich. U nd doch hat sein Reineke eine be«

häbige Heiterkeit, majestätische Einfalt, einen H ort erlebter W eisheit, einen aus homerischer W ürde, wie aus bedäch«

tig schreitender Heerde ein Böcklein, keck vorspringenden Schalksgeist, die ihm La Fontaine neiden m üßte. Keine K ritik Eures Hahnstückes spricht davon. D er Deutsche kennt Rostand. D er Franzos nicht einmal Goethe.

^ e i l er reicher ist? Sie hatten Pascal und D iderot, M oliere und Rabelais, Corneille und Racine, M ontaigne und Bossuet, Voltaire und Rousseau, Lamartine und Müsset, La Fontaine und Beranger, Buffon und Balzac, Merimee und M aupassant, Stendhal und Flaubert, Taine und Renan, H ugo und Zola, manchen Beträchtlichen noch. Von Poussin bis auf M anet, Renoir, Degas, Denis, von H o u d o n bis zu Rodin und M ayol eine dichte Schaar malender und meißeln«

der Visionäre. Zehntausend Deutsche kennen sie. M u ß ich das Lob ausspreiten, das Frankreichs Schreibern, M alern, Skulptoren hier gespendet w urde? Lassen Sie von Durand«

Ruel die V erkaufsquitturgen ins Elysion bringen: seit der ersten Impressionistenzeit ist nicht wenig ins Land der Boches gewandelt. M anets herrlicher M aximilian ist in M annheim.

In H am burg und Frankfurt fänden Sie feine Renoirs. In Dresden D aum ier und Forain (über den kein Franzos aus anschmiegsamerem Empfinden geschrieben hat als H err Lehrs) so gut vertreten wie kaum in einem Ihrer öffentlichen Kunst«

säle. Das sind nur knappe Beispiele. W as Sie ,Kultur* nennen:

die allgemeine D urchbildung zu gleichmäßig sicherer Beherr«

schung äußerer Form: D as ist bei uns nicht so weithin ver«

breitet wie im alten Frankreich, das vor un d nach den Jako«

binern seine convention nationale hatte. D er Franzose, sagt Bismarck, ,hat einen Fonds von Formalismus in sich, an den wir uns schwer gewöhnen. D ie Furcht, sich irgendeine Blöße

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zu geben, das Bedürfnis, stets, außen und innen, sonntäglich angethan zu erscheinen, la manie de poser: Alles macht den Umgang ungemüthlich. M an wird niemals näher bekannt;

und wenn mans versucht, so glauben die Leute, man wolle sie anpum pen oder heirathen oder den ehelichen Frieden stören. U nglaublich viel Chinesenthum , viel pariser Pro*

vinzialismus steckt in den Leuten/ N och der alte Björnson, der, Nordschleswigs und des M ilitarismus wegen, Deutsch*

land nicht liebte, hat Frankreich das China Europas genannt.

In den Parken des Geistes sind dort die H ecken zierlich verschnitten, die Rasenflächen von der W alzscheere dem Ideal brüderlicher Gleichheit langenähert, alle W ege von der H arke hübsch sauber gekämmt. N u r: die hohen, breiten, knorrigen Stämme m it der tief gerunten, von Persönlichkeit zeugenden Rinde fehlen. D ie hat Deutschland. N icht das ,N iv eau4, den erschulten Massengeschmack, M assentakt, auf die der Franzose so stolz ist; doch W ipfel, D ünen wüsten, M ondgebirge, die er nicht ahnt. N icht ahnen will. Die N ibelungen und die Lieder von D ietrich und H ildebrand, W olfram und W alther, Luther un d Eckard, Grimmelshausen und Sachs, Scharnhorst und Blücher, Stein und Gneisenau, G rünew ald und D ürer, H olbein und Peter Vischer, Schlüter und Krüger, Goethe, Schiller, H erder, W ieland, Kleist, H ebbel, M örike, Kant, Schopenhauer, Nietzsche, Bismarck, M oltke, Helmholtz, Ranke, Treitschke; D as kann sich sehen lassen. A uch Frau A ja neben der Stael. Friedrich neben Bonaparte. Bach, H aendel, H aydn, Gluck, M ozart, Beet­

hoven, Schubert, Schumann, Marschner, W agner, Brahms, Strauß neben Frankreichs M usikanten von Lully bis auf Adam, A uber, Bizet, Boieldieu, D ebussy, Thomas. W o sind in in Ihrer D ichtung Kerle vom Schlag der G oetz und Lerse, O ranien und Miller, Faust und M ephisto, Herm ann un d Kott- witz, M arbod und Friedrich W ilhem, H agen und H erodes?

Kerle, deren eckiges G ehäus des Traumes und wunderlicher G ottheit so voll ist? Von Alledem weiß Frankreich nichts.

Von deutscher Landschaft, G em üthsdünung, Naturempfin*

dung. ,W enn ich nicht krähe, wird nicht Tag*. N u r die ersten Romantiker haben, ein W eilchen, danach ausgeguckt;

bald aber, weils besser gefiel, sich wieder nach altem Brauch

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Der Erdgeist Python 71

eingerichtet. Ists nicht Schande, daß nicht ein W erk Goethes auf Ihren Schaubühnen heimisch ist, nicht einmal Schillers Jungfrau eingelassen ward, nicht drei D utzend Pariser die Nam en Kleist und H ebbel kennen, im Luxem bourg deut«

sehen M alern kaum eine W and gegönnt w ird? D eutschland hat sich um die Eroberung geistiger, seelischer W erthe, der Kunst und der W issenschaft, mit nicht geringerem Eifer bem üht als um die Breitung seiner M acht auf Festland und M eer. Frankreichs H ochm uth, der, aus Voltaires M und, Shakespeare einen besoffenen Barbaren schalt, wollte sich niemals bewegen und bücken, um aus ferner Quelle zu schöp«

fen. D er H aufe, die H ennen: mehr braucht Chantecler nicht.

N ach allem Ereigniß seit 1871 spricht der Präsident der Französischen R epublik nun: ,D er Aberwitz unversöhnlicher Feinde hat die Vernichtung des Europäerfriedens vorbereitet.

W ir sind die unschuldigen O pfer des rohsten und zugleich mit der schlausten Verschmitztheit bis ins Kleinste vorbe«

dachten Angriffes geworden. Unsere arbeitsame Demokratie wollte mit allen M ächten höflich verkehren und hätte jeden Ersinner und N ährer kriegerischer Pläne als Verbrecher oder als N arren behandelt.* Am vierzehnten Julitag. Eine Stunde zuvor hat H err Barres in die Menge, die dem Sarg Rougets folgte, gerufen: ,Uebers Jahr vor dem Kleber«Denkmal in Straßburg 1‘W eil Krieg ist? So hat, unter wolkenlosem Himmel, D eroulede hundertm al, haben Krieger, Schreiber, Kammer«

Schwätzer aller Seelenhautfarben, D e M un und Rochefort, der Blitzkopf M aurras und der plumpe D audet sehr oft ge«

sprochen. U nd wurden nicht als Verbrecher, nicht als N arren behandelt. D as war Ferrys Schicksal; des Besonnen, der nicht Fanfare blasen wollte. In ruhige H öflichkeit zwang Frank«

reich sich nur so lange, wie es fürchten zu müssen meinte, der N achbar werde schon das schrill kränkende W o rt mit dem Schwert rächen. N u r in dieser Zeit blieb zwischen Rhein und Marne der Friede ungefährdet.

,Die Deutschen*, hieß es, ,haben mehr Kraft, wir haben mehr Temperament und geistige Feinheit. IIs ont la force, nous avons la flamme.* Rieselte aber nicht auch durch Ger«

maniens massigen Leib nun ein feines Feuer? Dieses Land h at nicht nur die W ucht seiner Lanzenreiter; hat auch Stra«

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tegen, Techniker, Industrielle, Kaufleute, die keinen Vergleich zu scheuen brauchen. Schlimm. D och einstweilen nicht zu ändern. Von Marktschreierrezepten ist nichts zu hoffen. W eder die Lilie noch ein Spätling vom Stamm des Korsen kann helfen. Frankreichs Leib ist verstümmelt und darf die ge*

w ohnte Tracht von ernstem Schwarz drum nicht ablegen.

A ber das Leben geht w eiter; in die Trauerchoräle tollt und jauchzt gallische Fröhlichkeit hinein; und übers Meef w inkt m it rosigem Finger eine neue M orgenröthe. D eutschland zeigt sich höflich und thut, was es dem N achbar am A uge ab*

sehen kann; der alte Kaiser, der Kanzler. Ein Kolonialreich?

So groß, wie Ihrs wollt und erlangen könnt. M arokko? W ir geben Euch (1880) Blankovollmacht; sichern jedem Antrag, den Ihr auf der Konferenz von M adrid stellt, unsere Unter*

Stützung. Indochina? Unsere besten W ünsche geleiten Euch.

N icht auf die Schwächung Frankreichs wars abgesehen. Jede Expansion war ihm gegönnt. N u r in Europa sollte es sich in die Grenzen des Frankfurter Friedens bescheiden. D as ver*

mochte der gallische G eist nicht. Rache wollte er; kannte, wie Perkunos, keine andere Freude als die aus dem Blut der Feinde aufdam pfende. D ie Naturgeschichte lehrt, daß ein G eschöpf von sehr centralisirter O rganisation den Verlust eines wich«

tigen Gliedes nicht erträgt; so, sprach Mancher, wirds Frank­

reich ergehen: ohne den Elsaß und Lothringen ist es kein lebensfähiges Reich mehr. M it solchem W ahn m ußte Deutsch*

land rechnen. Für die Isolirung des Nachbars sorgen. D er verschmerzt nicht, wie ein Lateiner, Slawe, Germane, ein ihm angethanes Leid, tröstet sich nicht, wie sie, an dem Gedanken, als ein Tapferer einem Tapferen erlegen zu sein. D er ruht nicht, bis auf seinem Schild die Scharte ausgewetzt ist. So*

bald Frankreich sich stark genug fühlt, will es D eutschland bekriegen. U n d wird, leis oder laut, jeden halbwegs starken Feind Deutschlands unterstützen. Deshalb, meinte Bismarck, m uß es um jeden Preis von Rußland, England, Italien getrennt werden. In denersten Jahren nach dem Krieg brannte die W u n d e heißer, ließen die Beust und G ortschakow, Skobelew und Boulanger, G am betta und Clemenceau sie nicht vernarben:

dennoch w urde der Friede nicht gestört. W eil D eutschland so stark schien, daß den vereinsamten Franzosen nichts zu

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D er Erdgeist Python 7 3

hoffen blieb. Spät erst hofften sie wieder. Hofften, ohne Schwertstreich den frankfurter Vertrag zerreißen und die Fetzen neben die Algesirasakte in den Reliquienschrein legen zu können. W ir liebten redlich das schöne Land und das streitbare Volk, das scharfen Verstand mit Phantasie, Grazie m it Tüchtigkeit, witzige Flinkheit mit lyrischer Kraft paart. W ir gönnten ihm jeden Ruhm, wünschten ihm jede M ehrung seiner überseeischen M acht (der einzigen, die seine Z ukunft zu sichern vermag) und wollten seinem Thatendrang, wenn er nicht unser Haus bedrohte, nie uns entgegenstemmen.

W ir ehrten auch seinen Schmerz, achteten das G efühl, das dem deutschen N achbar die T rübung nationalen Glanzes nicht verzeihen konnte; und sagten, trotz Trafalgar, W aterloo und Fa§choda: Dieses Volk, das auch im Hochsommer der D emokratie sich die gallische W esensart bewahrt hat, ver«

g ißt schwerer als irgendein anderes erlittene D em üthigung.

D a es uns aufrichtigen Herzens noch nicht lieben kann, müssen wir ihm Zeit lassen. D ürfen es weder mit D rohung noch mit Zärtlichkeit reizen. D ann findet es eines Tages sich still mit dem historisch G ew ordenen ab und lernt auch im verhaßten Preußen das nützliche G lied der M enschheit­

familie erkennen; selbst in dem Preußen, das nicht wie Hefe in die Teigmasse aufgegangen, nicht wie die U rbs der Römer vom W eltreich aufgezehrt ist.

W er solche H offnung gehegt hatte, w urde arg enttäuscht.

D aß zu der Vereitelung unsere Politik mit wirkte, habe ich nie«

mals geleugnet. Von allen pariser Anklagen ist nur eine fest begründet: Psychologie sei in D eutschland ein Treibhausge*

wachs. Zeichen der Schwachheit? N ein: der Kraft. Starke, zu Zeugung taugliche Menschen (und Völker) haben selten M uße und Trieb, sich in fremdes Seelengehäus einzufühlen. Kali*

dasa, der Prediger Salomo, Cervantes, Dostojewskij sind in Germanenreichen nicht denkbar. D a thront nicht Platons W eisheit, nicht Philons W ort. G ott, nicht die M itleidslust des Buddha oder Heilands. D a ist an jedem Anfang die T hat;

sät der Ahn, daß der Enkel ernte. Von Germanen kam der D rang in, das G efühl für persönliche Freiheit. Euer G uizot selbst hats bekundet; und würde der Fabel lachen, daß zwi*

sehen M aas und Memel nur Knechte fronen. Bis in das

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H erz römischer Christenheit wirkte, aus Luthers stämmigem W illen, dieser D rang. Seelenerkenntniß reifte n u r am Spalier.

Fremde Volksart wurde nicht leicht verstanden und fast im»

mer, wie Unreines, vom Blut abgewehrt. D iplom atie? N och heute ist kaum Einem auch nur der Begriff durchsichtig. In heller Zeit hatte D eutschland nur einen großen D iplom aten;

vor und nach Bismarck keinen. (D em König Fritz schadete der allzu oft auf die Lippe überfließende Spöttergeist. U nd die Robert G oltz, H arry Arnim, Paul Hatzfeld streckt nur blinde Liebe ins M aß der G roßen.) Alle Fehler seien zu*

gestanden. U nbestreitbar bleibt Frankreichs schroffe A bkehr von deutscher W erbung. D ie Verträge mit R ußland (Ribot»

Giers), m it Italien (Delcasse*Prinetti), mit England (Delcasse»

Lansdowne) waren, ehe D eutschland plötzlich der Republik einen W eg , den nach M arokko, sperrte. U nd daß diese Verträge den Rachekrieg ermöglichen sollten, war Spatzen»

geheimniß. England mochte sich durch den schnellen Bau der Kriegsschiffe und der Bagdadbahn in der N ordsee und am Persergolf, in M esopotam ien und Indien gefährdet füh*

len; R ußland fürchten, die Bahnkonzession sei mit der Ver­

bürgung ungeschmälerter Türkenherrschaft erkauft. Frank»

reich hatte nicht den winzigsten G ru n d zu mißtrauischer Sorge. D ie Befestigung Vlissingens, der Scheldemündung konnte es nicht schrecken; wenn, nach Kitcheners zu lautem W o rt, Englands europäische Grenze nicht der Pas de Calais, sondern die M aaslinie ist, durfte ein friedliches Frankreich ja nu r wünschen, den Briten das H afenthor von Antw erpen zu verriegeln. U eber das Erzbecken von Briey, im Grenz»

bezirk M eurthe»et»M oselle, wäre im Lauf stiller Zeit den H äuptern der Industrie und Banken wohl eine dem Bedarf ge»

nügendeVerständigung gelungen. W o, H err Präsident, lag ein nicht wegzuwälzender Stein? D ie Republik wollte Deutsch*

land schlagen; ihm das Reichsland nehmen; der G allierhahn neuen Sonnenaufgang erzwingen. Trotzdem erwiesen war, daß Frankreich ohne den Elsaß und das deutsche Lothringen gedieh, und nur von N arrenkappen der W ah n klingelte, Straßburg sei eine im Kern französische Stadt. Ich w e iß : H err Clemenceau war als freier M ann, blieb als Homme Enchaine Ihr Feind; H errn Delcasse (der uns erst nach

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D er Erdgeist Python 75 1904 hassen lernte) mochten Sie nicht riechen; verkehrten fast innig m it dem Annäherer C aillaux; und gingen als erster Präsident auf deutschen Boden: an den Eßtisch des Frei*

herrn von Schoen. W ie O pfer sollten wir, in dankbarer Ehr*

furcht, bestaunen, daß endlich, nach dreiundvierzig Jahren, ein Elysier ins Botschafterheim des Reiches trat, das in ehr*

lichem Kampf gesiegt, seine Grenze gesichert, altes Erbgut zuryckgerafft hatte. D ie Pariserstimmung klang reiner. Nach dem U m sturz der O rdnung in Persien, China, Südosteuropa wünschten Britanien und R ußland sich Ruhe. D och vom G rundgebälk bis an den Dachfirst Frankreichs war H aß eingespeichert. D as starrte auf ein von Pfuschern ihm zu*

gestecktes Zerrbild. D eutschland: der Erbfeind (weil es den Louis und Bonaparte gierig Franzenland abrang); die finstere H öhle, w orin die H orde roher Knechte haust. W as sie sinnt, ist Frevel, was sie spricht, Lüge; ihre W aare ist Schund (camelote), ihr Gewerbe Trug, ihr Krieg feiges Ge*

metzel; daß sie, der öffentliche Verhöhnung Schwangerer liebe G ew ohnheit ward, von deutscher K ultur zu sprechen wagt, ist unübertreffbare Frechheit. Solche K oprolithen sind nicht von gestern; aus Sauriernacht blieb der versteinte Koth.

,Als ich in Versailles im Q uartier lag, sah ich die Schul*

hefte der Söhne meiner W irthin durch und war erstaunt über die ungeheuerlicheGeschichtlüge.die in französischen Schulen kultivirt wird. D ie Folge ist, daß der junge Franzose früh ein falsches Bild von der Bedeutung seines Volkes, von dessen Berechtigung zu M acht erhält und daß er mit einem Hoch*

m uth in die W elt tritt, von dem das deutsche Sprichwort sagt, daß er vor dem Fall kommt.4 (Bismarck.) Hochm uth, der schwüre, daß ohne sein G ekräh nicht Tag werden kann.

U n d der Sie, H err Präsident, verleitet, jetzt noch die Er*

langung der Rheingrenze, die Vernichtung des Feindes an*

zukünden. Als handelte sichs um Spielgewinn, nicht um Menschheitschicksal. Sie haben nie (wir müssens vermuthen) ernste Deutsche gekannt. D as Land der D ichter und D enker ist noch nicht in Sündenfluth gesunken; lebt nicht nur, wie die W ikingerstadt der Sage, in verwehtem Glockenton.

W arum pfaucht Ihre W u th ? W äre der Krieg nicht durch die Schuld Einzelner, M enschen oder Staaten, son*

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dern durch das grauseste M ißverständniß dicht verschleierter A bsicht, durch A ngstgefuchtel und U nklugheit gew orden:

Frankreich hatte ihn lange erwünscht. Konnte ihn niemals unter günstigerem Stern führen als im Verein mit vier Groß*

machten, zwei kleinen Kriegerstaaten und einem kräftigen Nachbar. D ie D ritte Republik war das aus der Scheide gelockerte, halb schon gezückte Schwert, nach dem jeder dem Deutschen Reich G rollende greifen konnte; und sollte.

Ist der Deutsche ein verruchter Schelm, weil seine Kraft dem N achbarsauge nicht einleuchtete? Ein Franzos, der sie er­

kannte (doch nicht liebte un d von wilder G ier nach Frank­

reichs G eld gelenkt wähnte), H err Delaisi, hat, in der Flug­

schrift ,La guerre qui vien t\ im M ai 1911 ungefähr voraus»*

gesagt, was kommen werde, wenn Frankreich nicht vom alten W ege abbiege. Auch, daß D eutschland, um in der Klammer der Koalition nicht zu ersticken, durch Antwerpen schnell ans M eer vorstoßen und die französische Presse dann aus Riesenlettern heulen werde: ,Belgiens N eutralität besudelt!

D as Preußenheer auf dem Marsch nach Lille 1* Dieser M arxist war kein Jesaias; nur ein kleiner Prophet. Schliefen die Kämmerlinge der R epublik? O der hofften sie, der .pedan­

tische Barbar' nebenan sei wie ein Simson oder D uncan zu beschleichen? Für ihrer Blindheit Sünde blutet Frank­

reichs tapfere Jugend. M it ihr wäre haltbarer Friede möglich geworden. Ihr war der Jamm er um die verlöre*

nen Provinzen nicht Lebensinhalt. Manchem Jüngling, der die Luft westdeutscher Hochschulen geathmet, in den W issens- und Gewissenschrein deutscher M enschheit ge­

blickt hatte, entrang sich, wie nach A lbendruck, das frohe G eständniß: ,D as ist nicht die Kaserne, m it der man uns von K indheit an schreckte!* A ber die Jugend hatte in die Staatsgeschäftsleitung nicht dreinzureden. D ie blieb den Verärgerten, von M ilzsucht G equälten, die stets an G estern, nie an M orgen dachten. D eren M acht hat auch der Wahl*

sieg Rother und Röthlicher, von dem H offnung schimmerte, nicht gebrochen. D eren V ormann tröstet im Juli noch die zum Volksfest Versammelten mit dem Septembersieg an der M arne, dem einzigen H auptschlag, der dem V ierbund in Europa gegen Einen gelang. Schlauer Verschmitztheit zeiht

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Der Erdgeist Python 77

er den Feind, den, wie in Theben einst Antigones trotzigen Bruder, Sieben belagern. D ie Krieger achten einander.

Schwerverwundete, Deutsche und Franzosen, krochen und ächzten sich in Bern an die W agonfenster, um den Leid#

genossen vom anderen Stamm G ru ß und W unsch ins Krüppel#

antlitz zu winken. H inter der Front w üthet der Präsident der Französischen R epublik und verheißt nahen Trium ph. ,Ist eine Sonne mir ungehorsam: ich bin der H ahn fernererSonnen und des G laubens voll, daß eines Tages nie wieder N acht werden wird.* D och Chantecler gab sich nicht als Staatsmann.**

D a s E r d o r a k e l

Das Bruchstück aus dem achten Kapitel meines (unter der M ilitärcensur erschienenen) Buches „Krieg und Friede“

erweist,*wie weitab ich immer von blinder Bewunderung des Politikers Raymond Poincare war. N u r zwei Stellen hat die Zeit berichtigt. Schon im Frühjahr 16 lehrte die Rede vor Baitholomes Denkmal, das dem G edächtniß der im Kriege gefallenen Schriftsteller und M usiker geweiht ist, daß der Präsident der Französischen Republik nicht nur die altdeut*

sehen H eldenepen und Goethe, auch den Eckermanns, nicht nur die G roßen Germaniens bis auf Nietzsche, den er richtig citirt, sondern sogar Iffland, Kotzebue un d andere Krüppel«

kiefern gut kannte. U nd, zweitens, zeigen die seit dem Ein#

stürz der Kaiserei ans Licht gebrachten U rkunden deutlicher noch, als wir ahnen konnten, wie triftigen G rund seit 1905, gar seit 11 die Franzosen, denen W ilhelm s W ühlarbeit in Petersburg und London nicht unbekannt blieb, hatten, der berliner Regirung zu mißtrauen. Diese Jahre haben das Wol#

len des H errn Poincare gesprenkelt. D er Sohn einer loth#

ringischen, auf manchem Geistesfeld bewährten Familie (sein Vetter H enri, der weltberühmte Mathematiker, hat als Erster öffentlich auf das Genie des jungen schweizer Juden Ein#

stein hingewiesen) hatte als Knabe das W eh der deutschen Invasion von 1870 erlitten; doch bald wieder, auf der Spur der Lamartine und Renan, sich dem Ideal des Weltbürger#

thumes zugewandt. Er galt als der feinste Civiljurist, der Kempner f G ordon von Paris, hatte, mindestens nach dem T ode des Kollegen Waldeck#Rousseau, die ergiebigste An#

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waltskundschaft, m ußte von Krieg den Verlust der erarbel#

teten W ohlstandssicherheit fürchten: und hoffte drum auf mähliches W erden franko«deutscher Verständigung. W as er als A bgeordneter erfuhr, um wölkte die H offnung und drängte in den G lauben, Frankreich solle O pfer oder wenigstens Geisel der „G erm anensucht nach W eltknechtung“ werden und dürfe deshalb Schwächung seiner A bwehrfähigkeit nie*

mals dulden. D ieser G laube war die Keimzelle des Neo*

nationalismus, der die (von dem Barres bessere Tage den Europäern klug belichteten) „W urzellosen (deracines)“ über*

wuchs. D ie V ogüe, Lemaitre, Brunetiere, Lavisse, Ribot, H anotaux, Delcasse, M illerand und Genossen wollten nicht, wie uns noch immer erzählt wird, Krieg gegen D eutschland führen, den Elsaß und Lothringen zurückerobern; wollten nur zulängliche Bürgschaft gegen das Gelingen deut*

sehen Einbruches. Als Finanzminister erwarb H err Poincare ungemeines Ansehen, obw ohl er die N othw endigkeit eines Besitzrechtsopfers laut zu betonen wagte. Im Außenmini*

sterium zeigte er nur den reingläubig irrlichtelirenden W illen eines Dilettanten. Trotzdem Freund Briand ihm ins Präsidium der Republik half, ließen wir uns in den W ahn verleiten, der bis in die letzte M inute hitzige W iderstand des alten Clemenceau gelte dem wilden N ationalism us des K andidaten:

weil wir noch nicht w ußten, daß der jakobinischeTiger wider D anton selbst, den Schöpfer allgemeiner W ehrpflicht, als in Vaterlandliebe zu Lauen, die gelben Zähne gefletscht hätte.

Deutschen Schreibern, denen dieser grimmige Greis ein Priester allumfassender Nächstenliebe und dessen Schützling, der von D eutschenhaß schäumende O berst Picquart, edler M enschheit edelste Blüthe schien, stach M aitre Poincare, weil er nicht früh genug sich ins D reyfusvolk gereiht hatte, dornig ins A uge: das in dem Jus»Politiker fortan die ab*

scheuliche A usgeburt tückischer N iedertracht sah. Unbe*

fangene sehen ihn anders. D er deutschem W esen höchst freundliche Völkerrechtslehrer Sir Thomas Barclay hat in der vorigen W oche über ihn gesagt: „Poincare stammt aus einer sehr begabten Familie, in deren B lut die Präzisionen der M athem atik haften. Ich halte ihn nicht für einen Reaktionär.

Er hat nie rednerische Augenblickserfolge gesucht und sein

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Der Erdgeist Python 7 9

ernsthafter Nationalism us, der nur D auerw irkung erstrebt, schließt die H offnung ein, das franko»deutsche V erhältniß durch ein W irthschaftabkom men zu bessern. A us eigenem Erlebniß kann ich bezeugen, welchen W erth er auf Eng»

lands Freundschaft legt. M it selbst erworbener G ew ißheit aber auch, daß Deutschland, wenn es einen Kanzler von der G ew andtheit Bülows gehabt hätte, zu einer V ereinbarung mit Poincare kommen konnte, durch die ihm wahrscheinlich der G raus des Krieges und des Niederbruches erspart worden wäre.“ Sir Thomas Barclay hat, nach Lord H aldane, im Ein«

vernehmen m itEnglands und Frankreichs Regirern, 1912 über die Basis eines Ausgleiches zwischen D eutschland und den W estmächten mit dem tragisch gewissenlosen Taps Bethmann, natürlich: ertraglos, verhandelt. Zweiter Zeuge. Professor Basch vpn der pariser Sorbonne, der dem Bund zur W ahrung der Menschenrechte vorsitzt, schrieb im Januar21: „H err Poin*

care, dem man m it Recht Selbstbeherrschung, kaltes Blut, inneres Gleichgewicht nachrühmt, ist Lothringer, M ensch des O stens, schwerfällig, ein Bischen schüchtern und lin»

kisch sogar: er kann sein Empfinden nicht zu leicht anklin»

gendem A usdruck bringen, wills auch kaum ; Stolz und Scham hemmen ihn. A us ihm strahlt, in ihm singt und bebt nichts.

Diesem M ann fehlt das Lächeln, fehlt die innere M usik. D as Gerede, in Petersburg habe Präsident Poincare mit dem Zar irgendwelche Kriegsvorbereitung besprochen, ist Märchen.

Als er, mit dem Auswärtigen M inister Viviani, aus R ußland abreiste, kannte ec das wiener U ltim atum noch nicht, das, nach Berchtholds eigenem Bekenntniß, den Krieg entfesseln sollte. Seinen wesentlichen Inhalt erfuhr er an Bord des Heimfahrtschiffes aus einem drahtlosen Telegramm. W äre er der Kriegswütherich, zu dem ihn ein Theil unserer So»

zialisten zu verzerren sucht, dann hätte die mystische Flamme der Begeisterung für den großen Kampf ihn damals durch»

wirbelt. N ichts solcher Regung Aehnliches war in ihm. U nd in Paris wurden dann, unter seiner Leitung, die Verhand»

lungen so geführt, daß unser großer Jaures (dem alle A kten

▼orgelegt worden waren) selbst in Brüssel, vor Tausenden, sagen mußte, seine Partei hätte im Besitz der Regirermacht nicht anders als H err Viviani zu handeln vermocht. D er

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Präsident der Republik hat nur einmal, auch da in Ueber*

einstimmung mit dem Kabinet, eingegriffen: als er, am drei»

ßigsten Ju li 14, an K önig George von England den Brief schrieb, der den Satz enthält: ,W äre D eutschland gewiß, daß die Entente Cordiale im N othfall sich bis auf die Schlacht«

felder bewähren werde, dann dürften wir mit ziemlicher Zu*

versieht auf die Erhaltung des Friedens rechnen.* H eute wissen wir, daß der Erdkonflikt vermieden w orden wäre, wenn König G eorge auf Poincare gehöit und deutlich ausgesprochen hätte, England werde an Frankreichs Seite stehen. Als freier M ann verkünde ich, gegen mir liebe G efährten, mit denen ich für D reyfus, für Caillaux, für viele A ndere gefochten habe, die vollkommene U nschuld des H errn Poincare und, deshalb, die Pflicht, all das elende G eträtsch zu zerstampfen, das wider ihn jetzt bis auf den offenen M arkt geschleppt wird.“

So glaubwürdige Berichte werden verschwiegen. A n alle Zäune und Mauerecken aber Fetzen aus Geheimberichten des Botschafters Iswolskij geklebt, die beweisen sollen, daß der Lothringer zum Kriege gehetzt, den Krieg vorbereitet habe.

D er erste Blick in die Berichte zeigt dem Kundigen, welche Fülle wüsten, leicht als Lüge erweislichen Schwatzes das ver*

lüderte Karamasowhirn Iswolskijs ausschwitzte. W enn sein Z eugniß Beweiskrafthätte, m üßte sie ja auch die Berichte über den londoner Geheimvertrag und das buchlauer Gespräch mit A ehrenthal decken. Lichte und finstereDämonen hatten dem ge*

fährlichsten N achpfuscher gortschakowischer Künste manche G abe gespendet; die objektiv ehrlicher Aussage ward ihm versagt. U m dem auch im W illen kränkelnden Sasonow das Rückgrat zu steifen, spritzte er, unermüdlich, ihm die M är von Frankreichs Gelechz nach Kriegsaufbrunst ein. Sagte ihm aber niemals, daß ein pazifistischer Lehrerverein, nicht der einzige solchen Trachtens, fast hunderttausend Köpfe umfasse uhd daß die W ahl von 14 den Franzosenwillen zum Frieden, über jeden Zweifel hinweg, in Klarheit hob. N icht n u r die W u th über seine bosnische Schlappe, die schlimmste, die in Europas Vorkriegszeit ein Staatsmann erlitt, sondern auch private, persönlichste N ö th e heizten in dem Flackerkopf des Botschafters den W unsch nach allumwälzendem Krieg. Als Zeuge wider Deutschenfeindschaft u nd Brandstifterdrang An*

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Der Erdgeist Python

derer ist erG ianettino.derH assansM ordlustin die Lüfte brüllt.

H err Poincare w ußte, wie heftigW ilhelm an dem Knötchen des franko*russischen Bundes zupfte, welche petersburger Palast«

machte ihn zu lockern suchten und wie kräftig, mit Lorber und A lkohol, in Potsdam und Berlin, auf Sasonow, „das kranke H ühnchen“, gewirkt worden war. D eshalb wähnte er, dessen bürgerliche Ehrbarkeit dem windigen Botschafter nie recht traute, sich in stählern klirrende Betonung unwandelbarer Bundestreue verpflichtet. Bis heute wurde nicht der Schatten eines Beweises dafür erbracht, daß er den Krieg gewollt, gar bereitet habe. (W ar Frankreich, ohne Schwergeschütz, ohne D eckung der belgischen Grenze, mit Fußvolk in rothen H osen un d Kappen, denn in Bereitschaft?) A ußer Jaures, Basch, Barclay hat auch G raf Szezsen, Franz Josephs Botschafter, ihm aufrichtig friedliches W ollen bezeugt. G ew iß ist, daß er als M inister, dann in der M aienzeit seines Präsidiums durch H errn Bunau«Varilla, den Besitzer des „M atin“, dessen An*

walt er gewesen war, und durch H errn Jules Cam bon Ver*

ständigung mit D eutschland erstrebt und im Sommer 14 alle zu Friedenswahrung erdenklichen M ittel angewandt hat; nicht:

aus Pazifistengefühl, sondern, weil er Deutschlands Ueber*

macht fürchtete, die Erneuung des Heereseinbruches, dem einst seine Kindsthränen geflossen waren, voraussah und bis in die Stunde des deutschen Einmarsches in Belgien nicht an Englands M itw irkung zum Abwehrkrieg glaubte. Bün*

diger als durch den Brief an König George könnte sein beben*

der W unsch, den Krieg zu vermeiden, nicht bewiesen wer*

den. Dieser Brief (der auch erklärt, warum er jetzt unzwei*' deutig festen Vertrag mit England fordert) ist auf Haupt*

märkten unserer Oeffentlichen M einung nie veröffentlicht, auf anderen seit Jahren nicht erwähnt, doch der Schreiber als Kriegsbereiter, Erzschelm, tobsüchtiger N arr angepran*

gert worden. U n d er war nicht stark genug, nicht so hoch<

in den W ipfel immergrünen H um ors gereckt, um in dem Schimpfgestöber stets gerecht zu bleiben. W arn t nicht, den*

noch, Vernunft, ihn weiter zu schmähen? M it den seit der pariser Konferenz von 21, nach Spa, London, G enf von unseren Schreibern und Rednern H errn Briand zugeschleuderten Flü*

chen undSchandsängen wäre ein H eft zu füllen; der„Subtile“».

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der wider die Kammerstimmung M usik machen m ußte (und sich nun, vor fester Verstrickung in eigenen Fehl, für das Spiel auf einem reiner gestimmten Instrum ent aufspart) hieß Wahn*

sinniger,Tollhäusler,Verbrecher, unwissender Tropf, raubgie*

riger Schurke; und siehe: sein Rücktritt wird wie ein National«

Unglück, ein W eltverhängniß betrauert. Sein Erbe ist ein M ann von feinster G allierkultur, tapferem Gewissen und dem (in der A bwehr des englischen Schutzvertrages wieder bewährten) M u th zu Verantwortlichkeit auch für unpopuläre Beschlüsse;

ist alsjurist, Finanz verständiger,Publizist durchaus ansehnlich, von denbestenKöpfen der französischenBourgeoisie,selbst von dem Pazifisten und Senatspräsidenten Leon Bourgeois, als zu Führung Berufener anerkannt, Royalisten und Clemencisten ein Gräuel. Vor dem M inisterialdirektor Seydoux (dessen Plan Klüngeleifer län g stau f den heiligen N am en Plusquam«

maximi Rathenau umgetauft hat) empfahl der Senator Poin*

care, Deutschland, gegen Pfandhingabe, mit Stoff und W aare zahlen zu lassen und den M itnutzen der dadurch ermög«

lichten Besserung seines Vermögensstandes dem G läubiger zu sichern. Das war weder dumm noch tollw üthig. O ft hat er dem Verdacht widersprochen, er liebe Kraftmeierei („la ma*

niere forte“) und den G estus herrischer Schroffheit. Niemals der Behauptung, daß er dem deutschen Schuldner mißtraue.

„Freundlichkeit vermag noch heute nur im Gewände der M acht auf D eutschland zu wirken. Leichtfertig unsere Waffen«

gewalt anzuwenden, wäre Verbrechen; Thorheit aber, die W affen zu früh abzulegen und den Deutschen uns als ein m üdes, in Verzicht neigendes, keiner A nstrengung mehr fähiges Volk zu zeigen.“ D as hat er ju st vor einem Jahr geschrieben. W ärs nach Alledem nicht vernünftig, also poli«

tisch, in Ruhe abzuwarten, welchen W eg er als Staatshaupt wählen w erde? D aß es der eines in den Porzellanladen stampfenden Stieres sein wird, glaube ich nicht. D er als unbeugsam stark G eltende darf mehr wagen als der vom Verruf weicher Schlaffheit U m drohte. W as H errn Briand gestürzt hätte, ließe den Folger ungefährdet. Eine Verband*

lung Poincaie*Stinnes könnte morgen ergiebig werden.

Das M ißtrauen eines G eschäftskundigen wird nicht durch d ie pfiffige Bilanzrede eines Schlaukopfes, der die Unmög«

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nen werden, daß die deutsche Front mit allen O pfern nicht zu durchbrechen ist, so werden sie zu einem Frieden bereit sein, der Deutschlands Z ukunft gerade für

wähnen ist noch, daß Herr Sasonow das Geträtsch, er habe die „Briefe Iswolskijs* für echt erklärt und über sie und ihnen Verwandtes je zu Journalisten

Dadurch, die englische Regirung darf es nicht hehlen, würde Britaniens G efühl für Frankreich, gew iß auch Frankreichs für Britanien, arg

heit tiösten, daß der Ruf eines redlichen M annes nicht durch den U nfug seiner Frau zu zerstören sei. Sie hat sich nicht geändeit, nicht im Allergeringsten. Ich

klärte Iffland sehr nachdrücklich: ,,In dem Handel mit Manuskripten muß die Handelsunbefangenheit mehr als irgendwo S tatt finden.“ E r fühlte sich verantwortlich

dunkle Schiff, darauf vorn sein Ich, umzuckt vom Ungewitter seines Schmerzes, aber auch an der Brücke wieder er, zwei Telegramme in der Hand, und ohnmächtig

H ier d arf der W unsch nicht un terd rü ck t w erden, die hübschfleischige Frau, die sich neulich fü r ein durch Sinnenbrand flatterndes Seelchen, gestern, hö chst emsig,

Die erste Voraussetzung für eine nur einigermaßen genü- gende Linderung der groß-en Noth ist, daß Alle, die durch ihre frühere berufliche Vorbildung in der Lage sind, sich anderen