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8 , 1925 D I E
NATURWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON
A R N O L D B E R L I N E R
U N T E R B E S O N D E R E R M I T W I R K U N G V O N
HANS SPEMANN
I N F R E I B U R G I. B R .ORGAN D E R GESELLSCHAFT DEUTSCHER NATURFORSCHER U ND ÄRZTE
UND
ORGAN D E R KAISER W ILHELM-GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG D E R WISSENSCHAFTEN
V E R L A G V O N J U L I U S S P R I N G E R I N B E R L I N W gHEFT
35 (S E IT E 7 3 3 -7 4 8 ) 28.A U G U ST 1925_______________ DREIZEHNTER JAHRGANG I N H A L T :
Schizophrenie. Zur Geschichte des W ortes und zur Psychologie seines Einbruchs in das Zeitbew ußt
sein. Von Ha n s Pr i n z h o r n, Frankfurt a. M. . 733 D as Bewegungsbild der Ostalpen. Von No r b e r t
Li c h t e n e c k e r, Wien. (Mit 1 F i g u r ) ... 739
Zu s c h r i f t e n u n d v o r l ä u f i g e Mi t t e i l u n g e n: C. F. Gauss und der euklidische Raum . Von
Ed m. Ho p p e, G ö t t i n g e n ...743 Festigkeitseigenschaften metallischer Misch-
krystalle. Von G. Sa c h s und F. Sa e f t e l, Berlin-Dahlem . , . . ... 744
Fortsetzung siehe II. Umschlagseite
Einführung
in die
Geophysik
A bb. 8. D ie G lutw elle beim A usbrudi des Mt. Pelee am 16. D ezem ber 1902 bei ihrer A nkunft an der Küste. H öh e 4000 m. <Nach A . Lacroix>.
Professor Dr. A . P rey
Prag
Professor Dr. C . M ain k a
G öttingen
Professor Dr. E . Tams
Hamburg
348 Seiten mit 82 Textabbildungen 1922
12 Go!dmark gebunden 13 Goldmark
<Band 4 der
Naturwissenschaftlichen M onographien und Lehrbücher. Herausgegeben von der Schriftleitung der Naturwissenschaften)
D er Postvertrieb der „ Naturwissenschaften“ erfolgt von Leipzig aus 1
II D I E N A T U R W I S S E N S C H A F T E N . 1925. H eft 35. 28. August 1925 Fortsetzung des Inhaltsverzeichnisses!
Beeinflussung der Reaktionsgeschwindigkeit von Gasen durch ein Magnetfeld. Von Ge r t r u d Ko r n f e l d, B e r l i n ...744 Photolum inescenz des Benzols und seiner Deri
vate. Von A . L . Re i m a n n, B e r l i n ...744 Über die Herstellung von goldfreiem Quecksilber.
Von E. H . Ri e s e n f e l d und W. Ha a s e, Berlin 745
Zur Frage der Bildung von Gold aus Quecksilber.
Von Er ic h Ti e d e, Ar t h u r Sc h l e e d e und Fr i e d a Go l d s c h m i d t, Berlin . ...745 Zur Frage der Heliumbeschaffung in Deutsch
land. Von Ku r t Pe t e r s, B e r l i n ...746 As t r o n o m i s c h e Mi t t e i l u n g e n: Die relativisti
sche Rotverschiebung im Spektrum des Sirius
begleiters. The Cluster Messier II. Fünf Sterne m it merkwürdigen S p e k t r e n ... 747
M V E R L A G V O N J U L I U S S P R I N G E R I N B E R L I N W 9
i
Dynamische Meteorologie. Von Felix M. Exner, o. ö. Pro
fessor der Physik der Erde an der Universität Wien und Direktor der Zentral- anstalt für Meteorologie und Geodynamik. Z w e i t e , stark erweiterte Auflage.
421 Seiten mit 104 Figuren im Text. 1925.
s = In Ganzleinen gebunden 24 Goldmark
Isostasie und Schweremessung. Ihre Bedeutung für geologische
= = Vorgänge. Von Dr. A . B orn , a. o. Professor der Geologie an der Universität ü ü Frankfurt a. M. 164 Seiten mit 31 Abbildungen. 1923. 9 Goldmark
Tafeln und Formeln aus Astronomie und Geodäsie.
== Für die H and des Forschungsreisenden, Geographen, Astronomen und Geodäten.
V on D r. C arl W irtz, Universitätsprofessor in Straßburg i. E. 246 Seiten.
== 1918. Gebunden 15.50 Goldmark
Das Problem der Entwicklung unseres Planeten-*
S y s t e m s . Eine kritische Studie. Von Dr. Friedrich N ölke. Z w e i t e , völlig umgearbeitete Auflage. Mit einem Geleitwort von Dr. H . J u n g ,
= = o. Professor der Mathematik an der Universität Kiel. 401 Seiten mit 16 Text-
|H figuren. 1919. 16.80 Goldmark
Astronomische Miniaturen. Von Elis Sfröm gren. Aus dem Schwedischen übersetzt von K. F. B oitlinger. 96 Seiten mit 14 Abbildungen.
= i 1922. 2.50 Goldmark = §
Die mechanischen Beweise für die B ew egung der Erde. Von R. G ram m el, Professor an der Technischen Hochschule Stutt
gart. 76 Seiten mit 25 Textabbildungen. 1922. 2 Goldmark
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DIE NATURWISSENSCHAFTEN
D reizehnter J a h rga n g 28. A u gu st 1925 H eft 35
Schizophrenie.
Z u r G eschichte des W ortes und zur P sych ologie seines E inbruchs in das Zeitbew ußtsein.
V o n Ha n s Pr i n z h o r n, F ra n k fu rt a. M.
V o n Z e it zu Z e it d ringen F a c h w orte aus w issen sc h a ftlic h en S on d ergeb ieten in die Ö ffe n tlic h k e it un d setzen sich d o rt zä h fest, ohne eig en tlich v e r stan d en zu w erd en und ohne fü r b e stim m te so n st n ic h t a u sd rü ck b a re T a tsa c h e n e tw a die erlösende F o rm u lie ru n g zu b iete n . G esch ie h t dies a u f dem G eb ie te der T ech n ik , so k a n n n ic h t v ie l S ch ad en en tsteh en , denn die neue M aschine oder R a d io - V erb esseru n g is t eben da, sich tb a r, m a teriell b e
n u tzb a r. O b d a rü b er m it ein em m iß v ersta n d en en F a c h w o r t v o rü b ergeh en d falsch e V o rstellu n g en sich a u sb reiten , is t ziem lich gle ich g ü ltig .
A n d e rs a u f seelischem G eb iete. S ch on b ei dem N am en vo n sek te n a rtig en G em ein sch aften , w en n diese über den K reis der n äh eren A n h än g e r h in au s irgen d eine w erb en d e K r a f t b e sitzen — w eil sie e tw a in einer so n st s ta r k zersp litte rte n Z e it n och am m eisten seelische H e im a t b ieten . Im m erh in a b er is t w en igsten s der gem ein te G egen stan d n och a u ffin d b a r, sei es T h eo - oder A n th ro p o so p h ie, M a zd a zn a n oder Y o g a -T e c h n ik . M an ka n n die S ach e kenn enlern en , anw en d en, erproben . U n d d a m it sin k t die S u g g e stio n sk ra ft des rä tse lh a fte n F re m d w o rtes g leich h erab . M an w eiß nun, w as d a m it g em ein t ist, m a g die S ach e selb st au ch ein w en ig r ä ts e lh a ft b leib en .
H in gegen tre n n t den g e b ild ete n M enschen im F a lle „ S c h iz o p h re n ie “ v o n W o r t und S ach e eine W e lt. W e n d e t er sich d an n v e rtra u e n sv o ll an sei
nen A r z t und e rw a rte t vo n ih m eine E rk lä r u n g zu b ekom m en , die ih m w en igsten s einen S ch a tte n vo n V erstän d n is b rin g t, so w ird er ziem lich sich er e n t
tä u sc h t. Jener v e rw e ist ihn n äm lich u n ter a u s
w eich en d en G eb ärd en d ara u f, d a ß selb st im en g sten F a c h g e b ie t der P s y c h ia trie nur w en ige gen au und v e rlä ß lic h sagen können, w as es eig en tlich d a m it a u f sich h ab e. J ed en falls sei d a m it die v e rb re ite ts te und sch w erste G eistesk ra n k h eit g em ein t.
So w e it w aren w ir v o r v ie r Jah ren . D a m a ls k o n n te der G eb ild e te sich n och m it einer solchen A u s k u n ft b eru h ig en oder e tw a sich vo rn eh m en , bei n äch ster G elegen h eit ein m al eine Irre n a n s ta lt zu b esich tig en , um sich fü r den d u n klen B e g riff eine A n sch a u u n g zu ve rsch affen . S eith er ab er h a t das W o r t Sch izop h ren ie, d as m an als N am en einer b e stim m te n G e istesk ra n k h eit n och g u tw illig h in nehm en ko n n te, sozu sagen F a m ilie b ekom m en . A u c h im T a g e ssc h rifttu m s ch w irrt es h eu te vo n sch izo id en u n d sch izo th y m en P ersö n lich k eiten , v o n sch izo p h ren er K u n s t. U n d je h ä u fig er m an d as d u n k le Z a u b e rw o rt ve rw e n d e t, d esto gefäh rlich ere S c h e in k la rh e it g ew in n t es fü r die M enge, w äh ren d d e r selb stä n d ig d enken d e B eson n en e zunehm end
b eu n ru h ig t w ird d u rch den ra u sch h a fte n K u lt, der d a w ieder ein m al m it einem faszin ieren d k lin genden, aber d u rch kein S p ra ch g efü h l getra g en en unsinnlichen W o rte g etrieb en w ird . E s h a t d esh alb eine tiefe B erech tig u n g , zu dieser M ode v o m B o d e n der F ach w issen sch a ft aus in der Ö ffe n tlic h k e it das W o rt zu ergreifen.
D er V a te r des A u sd ru ck s „S c h iz o p h re n ie “ und der A n reg er einer g an zen F lu t vo n B ü ch ern und A b h an d lu n g en , die e in e n H a u p tte ild e r gan zen p s y c h ia trisch en F o rsch u n g se it 20 Jah ren ausm achen, is t E u g e n B l e u l e r , F o r e l s N a ch fo lge r als L e ite r der a lte n Z ü rich er A n s ta lt B u rg h ö lzli u n d als P r o fessor d er P sy c h ia trie . D ie G esch ich te des B e g riffes is t so tie f in der G esch ich te der gan zen Z e itk u ltu r v e rw u rze lt, d a ß sie m it R e c h t au ß erh alb des F ac h es im m er m eh r In teresse e rre g t: W ir k ö n nen in der E n tw ic k lu n g der P s y c h ia trie als W issen s c h a ft w en ige d e u tlich a b g re n zb a re H a u p tp h a sen u n tersch eid en , in denen jed e sm al eine b estim m te K ra n k h e itsg ru p p e als E in h e it e rfa ß t w u rd e. Z u erst gesch ah das m it der p ro gressiven P a ra ly se, d er „G e h irn e rw e ic h u n g ", die sam t der T ab es, der
„R ü c k e n m a rk s s c h w in d su c h t“ und ein igen se lte neren K ra n k h e itsfo rm en als S p ätfo lge der S y p h i
lis e rk a n n t w u rd e und d a m it aus dem G ew irr der S y m p to m b ild er ausschied . In zw isch en is t es ja a u ch gelun gen, a u f G ru n d der n u n m eh r m öglich en gen au en E rfo rsch u n g des gan zen K ra n k h e its v e r
lau fs, ein H e ilve rfah re n zu finden , d as n ach neuen S ta tis tik e n b ereits in e tw a der H ä lfte der F ä lle w irk sam ist, so d a ß selb st sk ep tisch e F a c h le u te d a m it rechnen, d a ß v ie lle ic h t diese b ru ta ls te F o rm vo n Z erstö ru n g der P e rsö n lich k e it eines T a g es d u rch ä rz tlic h e K u n s t a u s g e tilg t w erd en kö n n te. D e r zw eite gro ß e H a u p ta b s c h n itt is t d a d u rch gek en n zeich n et, d a ß m an eine v ie lg e sta ltig e G ru p p e vo n K ra n k h e ite n aussch ied , die ü b erein stim m en d la n g sam u n en trin n b a r in S ch ü b en fo rts c h ritt und den K ra n k e n bis zu einer gew issen V erb lö d u n g v e r än d erte. D ies gesch ah in der H au p sach e d u rch K r a e p e l i n u n d seine K ra n k h e itsb e z e ic h n u n g : D e m e n tia p ra eco x , d. h. eben frü h ze itig e V e rb lö d u n g. V o n h ier aus gesehen, ergab sich d an n die b ei J a s p e r s am rein lich sten d u rch g efü h rte S ch ei
d u n g a lle r G eistesk ra n k h eite n in drei G ru p p en : Organische Psychosen, Prozesse (deren organ ische, d. h. k ö rp erlich e G ru n d lagen w ir h eu te n ic h t kennen) und degeneratives Irresein (abnorm e P h asen , R e a k tio n e n oder au ch E n tw ic k lu n g e n ohne w irk lich e Ä n d e ru n g der P ersö n lich k eit).
E in d ritte r H a u p ta b s c h n itt b e g in n t m it ein er ga n z anderen E in ste llu n g und w ird d esh alb , o b
Nw. 1925. 93
734 P r i n z h o r n : Schizophrenie.
[
Die Naturwissenschaften w oh l er b ereits seit e tw a 30 Jah ren , den vo rig en
A b sc h n itt ü b erd eck en d , lä u ft, vo n den V e rtre te rn der anderen, älteren E in ste llu n g h eu te n och m ehr oder w en iger ten d en ziö s v e rk a n n t. W a r es jen en b ei aller A u sd eh n u n g der E in ze lk en n tn isse h a u p t
säch lich im m er d a ru m zu tu n , eine g u te s y s te m a tisch e O rd n u n g d a fü r zu find en , so w ird b ei den V e rtre te rn der neuen Ä ra sch on die erste F r a g e s tellu n g anders, und and ers sieh t a u ch n och das le tz te Z iel des F o rsch en s aus. D o r t V e rb re ite ru n g des W issen sto ffs, V a riieren sä m tlich er au sd en k- b a re rF ra g e ste llu n g e n , B e v o rz u g u n g p h y sio lo g isc h er e xp erim en teller, sta tis tis c h e r M eth od en . H ier V e r tie fu n g in die rein p sych o lo g isch en F ra g e n m it Z u sp itz u n g a u f d as W esen , d as e ig en tlich W irk sam e in den z u ta g e tre ten d en seelisch en Ph än om en en . D a m it w a r ohne w eiteres n och eine U m ste llu n g des F o rsch erin teresses v e r b u n d e n : an die S telle der rein en B e sc h re ib u n g vo n S y m p to m en , w ob ei m an g e leg en tlich m it u n verh o h len em E rsta u n e n b e m e rk te u n d zu ga b , d a ß sich diese n ic h t n u r form al, sondern a u ch in h a ltlic h ve rste h en u n d erklären ließ en , rü c k te ga n z ra d ik a l die F ra g e n a ch dem Sinn. E in e solche F ra g e e n tsp rin g t n a tü rlic h der Ü b e rze u g u n g, od er and ers a u sg e d rü c k t der V o r au ssetzu n g , die zu n ä c h st sch ein b a r zu fällig en , z u sam m en h anglosen, u n v e rstä n d lich en S y m p to m e seien d u rch tiefe re M o tiv e verb u n d en , h ä tte n einen Sinn und m an selb st sei im stan d e, diesen Sin n a u f
zu fin d en .
A u s d ieser n eu en E in ste llu n g , dieser Ü b e rz e u g u n g h erau s fo rsch te u n d sch rieb u n ter den P s y c h ia te rn B l e u l e r als einer der ersten u n d je d e n fa lls ein er der b e w e g lich sten und an reg en d sten . E in e o rigin elle P e rsö n lich k e it, ein u n b efan g en er in tu itiv e r B e o b a c h te r, ein selb stän d ig er, w enn au ch a u to d id a k tisc h -e ig e n w illig e r D e n k er — d a b ei in jed e r H in sic h t vo n u n gew ö h n lich er In te n s itä t, L e b e n d ig k e it und U n tern eh m u n g slu st. So k a m es, d a ß er sich, zeitw eise g e fü h rt und g e s tü tz t v o n der w u ch tig e re n , tiefe r b oh ren d en P e rsö n lich k e it seines O b era rztes C. G . J u n g , als ein ziger K lin ik le ite r zu r P s y c h o a n a ly s e F r e u d s b e k a n n te u n d einer m eh rjä h rig en F o rsch u n g sp h ase m it rein a n a ly ti
sch er O rie n tieru n g in seiner A n s ta lt R a u m gab.
D ie o ffizielle W issen sc h a ft in D e u tsc h la n d und F ra n k re ic h h a t o ft üb er diese Z e it g e sp o ttet, d a ein gan zer K re is vo n A ssisten ten und au slän d isch en G a s tä rz te n sich in einem F o rsch u n g sziel v e r e in ig te : m an a n a ly sie rte ta g a u s ta g e in a lte A n s ta lts in sassen, F risc h e rk ra n k te , A n g e ste llte u n d alle K o l
legen , ü b e rtru m p fte sich gege n se itig im D e u ten v o n T rä u m e n u n d S y m b o lh a n d lu n g en u n d endete b e i V erein sb ild u n g, d an n b ei ein er S p a ltu n g in S e k ten und A b trü n n ig e sch lie ß lich bis zu m A u s ein an d erleb en in m ehr oder w en iger s ta rk e r V e r
e in zelu n g. E in fra n zö sisch er K o lle g e g la u b te die S itu a tio n 1905/10 am B u rg h ö lz li zu tre ffe n d zu sch ild ern , in d em er p aro d ierte, w ie eine V is ite au f d en h in teren gesch lossen en A b te ilu n g e n v e rlie f:
w ieB L E U L E R in eine Z elle g e stü rm t sei,dem K ra n k e n
„ K n o p f “ oder ,,M u tte r“ oder ,,F is c h “ e n tg egen g e
ru fen und aus dessen R e a k tio n die w eitg eh en d sten th eo retisch e n u n d p ra k tisch e n Sch lü sse gezogen h ab e. ,,A u B u rg h ö lzli, ce n ’e st p as une ecole d ’alie- n istes, c ’est une ecole d ’alien es“ sch lo ß er seine E r zäh lu n g .
N u n v e rlä u ft der eig en tlich e L e b e n sv o rg a n g e rfreu lich erw eise w ed er b eim M enschen n och bei soziologisch en E in h eite n (wie e tw a einer W issen sch aft) so, w ie B e a m te und M itläu fe r sich d as v o r stellen : d a ß m an p lan m ä ß ig m it den b e stb e w ä h rte n M eth oden so lange in h erk öm m lich en P rob lem en rü h rt, b is sich irgen d e tw as b a llt, d as m an d an n als ,,neu e E rk e n n tn is “ h e rrich tet u n d a u f den M a rk t der K a rrie re trä g t. Son d ern ech te E rk e n n tn is w ird w o h l m eistens d u rch E n tfa ltu n g einer P e r
sö n lich k eit an einem zu n ä ch st n u r erfü h lte n oder ersch a u ten P ro b lem en tsteh en . D e n Z e ite n ü b er
d au ern d en E rk e n n tn isk e rn w erd en im m er erst sp ätere G en eratio n en h era u ssch ä len kön nen . D ie Zeitg en ossen , die d a fü r kein en Sinn h ab en , reden bis d ah in gern v o n ta u b e n N ü ssen . Bl e u l e r s T a t, h e u te schon w ied er m eist v o m T a g eslä rm der W ic h tig tu e r ü b e rtö n t, w a r die A n w e n d u n g p s y c h o a n a ly tis c h e r G e sic h tsp u n k te a u f P sy ch o se n . A u c h h ierb ei ge b ü h rt Ju n g ein w ic h tig e r R u h m esa n te il.
D en n er g in g a u f diesem W ege m it seiner „ P s y c h o lo gie der D e m e n tia p ra e c o x “ (1907) v o ra u s. U n d m an is t v ie lle ic h t sogar b e re c h tig t, zu sagen, dieser erste S c h ritt sei der w ich tig e re gew esen, Bl e u l e r s
gro ß es W e rk (abgeschlossen 1908, v e rö ffe n tlic h t 19 11) sei m ehr eine A n w en d u n g d a v o n a u f gro ß es k lin isch es M a te ria l und ein sy ste m a tisch e r A u sb au . E r selb st b e k en n t sich im V o rw o rt offen zu Fr e u d
u n d zu Ju n g s an regen d er M itarb eit.
D e r geiste sg e sc h ich tlich w ic h tig e T a tb e s ta n d is t dieser: fü r Bl e u l e r s W e rk „ D e m e n tia p ra eco x oder G ru p p e der S c h iz o p h re n e n '', d as den B e z ie h u n g sm itte lp u n k t der p sy c h ia trisc h en F o rsch u n g fü r a n d e rth a lb D ezen nien g e b ild et h a t, sind re
p rä s e n ta tiv v e ra n tw o rtlic h Fr e u d, Ju n gund Bl e u l e r. D a s m u ß gegen ü b er dem n ivellieren d en In- telle k tu a l-S tu m p fsin n un serer T ag e, d er im m er w ied er glau b en m ach en w ill, m eth o d o lo g isch e K r i
tik sei m ehr als w ild w ü c h sig e E rk en n tn is (M otto:
w er z u le tz t referiert, is t der k lü g ste H ans) n a c h d rü ck lich b e to n t w erd en . U n d h ie rm it sind w ir b ei dem B e g riff der Sch izo p h ren ie w ied er a n g e la n g t, fü r den w ir einen w isse n sch a ftsg esch ich t
lich en H in terg ru n d g la u b ten b a u en zu m üssen.
E s la g Bl e u l e r n ic h t d aran , die Kr a e p e l i n- sche A u ffa ssu n g der D e m e n tia p ra eco x als „ fa ls c h “ zu erw eisen, er b e to n t im G eg en teil im m er w ieder, w ie gern er sie als G esa m tk o n ze p tio n a n erk en n t.
A b er es fin d e t sich k a u m A n la ß , m it Kr a e p e l i n
zu d isk u tieren , w eil fü r diesen die A u fg a b e n d a enden, w o sie fü r jen en erst b egin n en . D e sh a lb h a t d an n a u ch sp äter, als d er d isku ssio n sfreu d ige Bl e u l e r zah lreich e P o lem ik en fü h rte, Kr a e p e l i n fa s t g a n z gesch w ieg en : ih m gin gen die b ren nen d sten F ra g e n Bl e u l e r s ga r n ic h t nah e. W ir ve rste h en das, w en n w ir die G ru n d ta tsa c h e w ü rd i
gen, d a ß sie au s einer anderen W e lt kam en , au s
Heft 35- 1 28. 8. 1925 J
P r i n z h o r n : Schizophrenie. 735
ein er and eren G esam tein stellu n g. D a s Kr a e p e l i n- sche B ild der D e m e n tia p ra eco x w a r fü r Bl e u l e r eben n u r A u sg a n g sp u n k t, fa s t ko n n te m an sagen, m ehr R a h m e n als B ild . E r t r a t heran m it der F ra g e : w a s is t denn ab er eig en tlich diese so b e stim m t u m rissene K r a n k h e it? W a s b ed eu ten die seh r an sch a u lich gesch ild erten S y m p to m e? W a s g e h t n u n in den K ra n k e n vo r, w en n sie diese S y m p to m e h ab en ?
A n d ers g e sag t, Kr a e p e l i n h a tte ein O rd n u n gs
s y ste m fü r zah lreich e v irtu o s besch rieben e S y m p to m e g e b a u t. Bl e u l e r ve rsu c h te nun, m it H ilfe der P s y c h o a n a ly s e tie fe r ein zu d rin gen , S in n zu sam m en h äng e zu find en , d a ra u s eine T h eorie der K r a n k h e it zu g ew in n en u n d das G ese tzm ä ß ig e ih res A u fb a u s p sych o lo g isch n ach H a u p t- und N eb en sach en zu erfassen . D en S tru k tu r b e g r iff v e rw e n d e te m an d a m als in der P s y c h ia trie n och n ich t. So sp ra ch Bl e u l e r v o n G ru n d sy m p to m e n . E r d efin ierte die K r a n k h e it als „ e in e P sy ch o se n gru p p e, die b a ld chronisch , b a ld in S ch ü b en v e r lä u ft, in jed e m S ta d iu m h a lt m ach en oder z u rü c k gehen kan n , ab er w o h l keine v o lle re s titu tio ad in teg ru m e rla u b t. Sie w ird c h a ra k te risiert d u rch eine sp ezifisch g e artete , so n st n irgends vo rk o m m e n de A lte ra tio n des D en k en s und F ü h len s und der B e zie h u n g e n zu r A u ß e n w e lt“ . U n d d an n h e iß t es:
,,D ie G ru n d sy m p to m e w erd en g e b ild et d u rch die sch izoph ren e S tö ru n g der A sso zia tio n e n und der A ffe k t iv it ä t, d u rch eine N eigu n g, die eigene P h a n ta s ie ü b er die W ir k lic h k e it zu stellen u n d sich vo n der le tz te re n ab zu sch ließ e n (A u tism u s).“
W a s m it dem W o rte sch izo p h ren (w ö rtlich see len sp ä ltig oder sp altseelig) alles g em ein t ist, g e h t au s diesem S a tze h e rv o r: ,,In jed em F a lle b e s te h t eine m eh r oder w en iger d e u tlich e S p a ltu n g der p sych isch en F u n k tio n e n : is t die K r a n k h e it au sgesp roch en , so v e rlie rt die P e rsö n lic h k e it ihre E in h e it; b a ld re p rä sen tie rt der, b a ld jen er p s y ch isch e K o m p le x die P erso n . . . . w äh ren d d essen andere V o rstellu n g s- oder S treb u n g sgru p p en ,,a b ge sp a lten “ u n d gan z oder teilw eise u n w irk sa m sind. A u c h die Id een w erd en o ft n u r zu m T e il ge
d a c h t u n d B ru c h stü c k e v o n Id een w erd en in u n ric h tig e r W eise zu einer neuen Id ee zu sam m en g e setzt. S o gar die B e g riffe verlie re n ihre V o ll
stä n d ig k e it, en tb eh ren eine od er m ehrere, o ft w esen tlich e K o m p o n e n te n ; ja sie w erd en in m a n chen F ä lle n n u r d u rch einzelne T eilv o rstellu n g e n re p rä sen tie rt. — D ie A s s o z ia tio n s tä tig k e it w ird also o ft n u r d u rch B r u c k s tü c k e v o n Id een und B e griffe n b e stim m t; schon d a d u rch b e k o m m t sie n eben dem In k o rre k ten e tw as B izarre s, fü r den G e sun den e tw a s U n e rw arte tes . . .“ .
W ir kön nen n atü rlich a u f E in ze lh eite n h ier n ic h t ein geh en. E s seien n u r ein p a a r ergän zen d e A u sd rü ck e a n g ereih t, die sich a u f G ru n d sy m p to m e b e zie h en : V erd ich tu n g en ( z . B . : H err D o k to r, ich kenn e Sie gen au, Sie sind der B rie fträ g er, d er uns im m er die K o h le n b rin g t), V ersch ieb u n gen , z u m al zw isch en sach lich er und sy m b o lisch er B e d e u tu n g (B ed eu tu n gsw ech sel, z. B . „ S t ü t z e “ der
H au sfra u und S to ck ), Z erfa h ren h eit, In k o h ären z, A b le n k b a rk e it, w as Bl e u l e r in sgesam t als A ss o ziatio n ssch w äch e b ezeich n et. D a z u kom m en n o c h : G ed an ken d rän gen , G ed a n k en e n tzu g , P e rs e v e ra tion, Sperru ng, H em m u n g. U n d d an n eine zw eite G ru p p e vo n G ru n d sy m p to m e n aus dem B ereich e der A f f e k t iv it ä t : G leic h g ü ltig k e it, u n terb ro ch en vo n Ü b ere m p fin d lich k eit, a ffe k tiv e S te ifig k e it (m angelnde M o d u la tio n sfäh ig k e it), D e fe k t des gem ü tlich en R a p p o rte s, A m b iv a le n z der A ffe k te , des W illens, des In te lle k ts (zugleich L a ch en und W einen, essen und n ic h t essen w ollen, G o tt und T eu fe l als eins denken).
Ü b e rflie g t m an diese L iste , so b e k o m m t m an w oh l u n gefäh r „ in s G efü h l“ , w as m it „sc h izo p h re n en “ o d e r ,, S p altu n g s' ‘ -S ym p to m en in den seelischen F u n k tio n e n g em ein t ist, au ch w en n m an keinen o ffen sich tlich en K r a n k h e its fa ll der A r t erleb t h a t.
D em , der p sych o lo g isch zu d enken gew o h n t ist, d rä n g t sich aber gew iß d as B e d ü rfn is auf, diese F ü lle der F u n k tio n sstö ru n g e n k la re r zu ordnen.
D e r G en eraln en n er „ S p a lt u n g “ , a u f den Bl e u l e r
zu n ä ch st ein m al alles g e b ra ch t h a t, is t zw eifellos seh r a n sch au lich . E r b e d eu te t a u ch ebenso u n z w e ife lh a ft einen ersten S c h ritt a u f die th eo re
tisch e E rfa ssu n g dieser A b a r t m ensch lich en Seins hin. U n d d arin g eh t er eben w e it und gan z g ru n d s ä tzlic h über Kr a e p e l i n h in au s. F ern er h a t sich, w ie schon geb ü h ren d her v o r gehoben, diese K o n zep tio n als u n gem ein fru c h tb a r erw iesen, unsere V o rstellu n g en v o n d em seelischen G esch ehen im K ra n k e n s ta r k v e rä n d e rt und eine F lu t vo n w issen s ch a ftlich en D isku ssio n en her v o r geru fen . A b er es is t au ch n ich t schw er, die G renzen dieser K o n zep tion zu zeigen. Ja, gen au er gesag t, h a t die’ E n t w ic k lu n g der P s y c h ia trie diese G renzen b ereits in u n ve rk en n b a r ein d rin g lich er W eise ausgem essen u n d h a t d a m it ein besonders g u t ü b ersch au b ares B e isp iel fü r A u fs tie g und V e r fa ll fru c h tb a re r E rk en n tn isse in einer W issen sch a ft geliefert.
W ä h ren d n äm lich die p sych o lo g isch e A u s d e u tu n g , die E n td e c k u n g ü b erzeu gen d er S in n zu sam m en h änge in den frü h er als sinnlos gelten d en S y m p to m en sich s te tig a u sb re ite te und besonders v o n seiten der versch ied en en p sy c h o a n a ly tisc h e n S ch u len dau ern d n och A n reg u n g em pfin g, gesch ah in aller S tille e tw a s U n e rw a rte te s: d as ein h eitlich e K ra n k h e its b ild der Sch izo p h ren ie, vo n Bl e u l e r
a n fan gs sehr n ach d rü c k lich und w irk sa m p ro k la m iert (vgl. die Z ita te oben), verlo r seine festen G renzen , löste sich n ach und n ach au f und zerging sch lie ß lich m ehr oder w en iger zu einem geh eim n isv o llen Z a u b e rw o rt, m it dem m an den b eu n ru higen d en R e iz sch w er v e rstä n d lich er, unbequ em er, m eist b e g a b te r P ersö n lich k eiten b en an n te. D ie sach lich e und b e g rifflich e Seite dieses B e d e u tu n g s
w an d els soll sp ä ter n ach ge p rü ft w erden . H ier sei zu n ä ch st die fü r jed erm an n sich tb a re S eite a u f
g e ro llt: w ie der faszin ieren d e Z a u b er des W o rte s sch izo ph ren e n tstan d und sich v e rb reite te .
Ä u ß e rlic h k n ü p ft sich diese in w en igen Jah ren geschehen e V e rb re itu n g h a u p tsä ch lich an Kr e t s c h
736 P r i n z h o r n ; Schizophrenie.
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Die Naturwissenschaften m e r s B u c h „ K ö r p e r b a u und C h a r a k te r“ , d as fa s t
n och an regen d er a u f d ie p sy ch ia trisch e (aber d a zu a u f die g a n ze m ed izin isch e u n d biologisch e) F o r sch u n g w irk te , w ie i o Jah re z u v o r Bl e u l e r s S ch i- zop h ren ieleh re. A lle rd in g s w u rd e h ier ein P ro b lem - kreis neu b eleb t, d er schon seit ein iger Z e it s o z u sag en u n terird isch sich regte. A b e r es feh lte in der h erk öm m lich en w isse n sch aftlich en B e tr a c h tu n g sw eise d er le tz te n D ezen n ien vo llk o m m en an m eth o d isch en M itteln , m it denen m an dieses seh r h eik le G eb ie t der . B ezieh u n g en zw isch en seelisch er E ig e n a rt und kö rp erlich er E rsch ein u n g sfo rm b eim In d iv id u u m h ä tte in A n g riff n eh m en können.
U n d Lo m b r o s o s allzu d ile ta n tisch e r V ersu ch , einen V e rb re c h e rty p u s als a n th ro p o lo gisch e E in h e it a u f
zu stellen , sta n d n och in e tw a s p ein lich er E rin n eru n g . D e r tiefere G ru n d zu d em u n gew ö h n lich s ta r ken und rasch en E rfo lg Kr e t s c h m e r s lie g t darin , d a ß m it seinen zw ei H a u p tty p e n , dem sch izoid en u n d d em z y k lo id en , n ic h t e in fa c h zw ei k lin isch e K r a n k h e its ty p e n als M odelle a u f d ie g a n ze M ensch h e it an g ew en d et w erd en , sondern d a ß m it diesen zw e i T y p e n w o h l w esen tlich e seelische A n la g e u n tersch ied e in n erh a lb d er G a ttu n g M ensch g e tro ffen sind . D a d u rc h e rle b t d er W issen sch a ftle r w ie d er L a ie die Ü b errasch u n g, d a ß sich ih m die q u älen d e V ie lg e s ta ltig k e it d er M itm en sch en, fü r die er nie eine b efried ig en d e O rd n u n g n a c h W esen s
zü gen g efu n d en h a t, p lö tz lic h w en igsten s in zw ei H a u p tg ru p p e n sch eid et, d eren jed e ü b er ein t ie f
w u rzeln d es seelisches G e s ta ltu n g sp rin zip u n d o b en drein ü b er eine zu m T e il n ach m eß b are E ig e n a r t der kö rp erlich en E rsc h ein u n g v e rfü g t.
E in erlei, ob jed e E in z e lh e it s tic h h a ltig und g ü ltig is t — d ie H a u p tk o n z e p tio n h a t zw eifello s fru c h tb a re r g e w irk t a ls m an ch e m e th o d isc h v o r sich tig e re A rb e it. D ie F a c h W issenschaftler v e r gessen im m er w ieder, d a ß es sich alle zw ei bis drei D ezen n ien ein m a l u m ech te E rk en n tn isse h a n d elt, d. h. E in sich ten , d ie u n ser W e ltb ild än d ern — im ü b rigen ab er u m m ehr oder w en iger u n w ic h tig es E in zelw issen , d as fü r die G e sa m th e it fa s t b e la n g los ist, oder u m einen ge sch ick te n Z u g a u f dem S p ie lb re tt der w isse n sch aftlich en S y s te m a tik , d u rch den die M itsp ieler teils zu G eg en zü gen , teils zu r F lu c h t, teils zu m S tills ta n d v e ru rte ilt sind.
F eh len in d em G leich n is n u r n och die K ie b itz e , die u n erm ü d lich w erw eiß en un d k ritisieren , w ie m an es h ä tte m ach en m üssen, oder w ie sie es m ach en w ü rd en , w en n — — (in der W issen sch a ft w ird das K ie b itz e n le ic h t zu r L eb e n sa u fg a b e, w eil m an d a v o n leb en kan n ).
E in e solche sin g u läre E rk en n tn is is t n a tü rlic h in d er H e ra u sa rb e itu n g des G eg en satzes sch izo id zy k lo id n ich t gegeb en , sondern au ch n u r ein ge
s c h ic k te r Z u g a u f jen em S p ielb rett. A b e r d er h a t n u n ta ts ä c h lic h eine R e ih e v o n Jah ren ü b e ra ll n ach ge w irk t und b le ib t in den A n n alen der N a tu r w isse n sch aft w ah rsch ein lich als Ü b e rsc h rift eines b eson d eren A b sc h n itte s b esteh en . S o fo rt b e m erk t un d a n e rk a n n t h a t das fa s t n u r Bl e u l e r — s a p ie n ti sat.
D e m P s y c h ia te r ärgerlich w a r v o r allem die u n m ittelb a re Ü b e rtra g u n g des B e g riffes „ s c h iz o p h re n “ in der ab g esch w ä ch te n F o rm „ s c h iz o id “ au s d em B ere ic h e d er M edizin und der K lin ik in die p ra k tisc h e P sy ch o lo g ie des A llta g s . D a s ist n a tü rlic h lo g isch -m eth o d isch a n g reifb a r. So w en ig ich sagen k an n , der M ann is t ein T u b erk u lö ser, aber ein gesu n d er, so w en ig d ü rfte ic h gen au genom m en sagen, jen er sei ein S ch izo p h ren er, ab er ein ge
sun der. U n d d o ch g ib t es au ch lo gisch e B rü ck e n zu d iesem M iß b ra u ch : so g u t w ie ich v o n la te n te n tu b e rk u lö se n P ro zessen aus S e k tio n sb e fu n d e n gan z gen au w eiß , so g u t k a n n ich ann eh m en , d a ß sch i
zop h ren e V o rg ä n g e sich ab sp ielen , ohne d a ß je m an d es b e m e rk t (körp erlich b ra u c h t ja nie ein a b w eich en d er B e fu n d vo rh a n d e n zu sein). U n d sch lie ß lich : so g u t ich k ö rp e rlich v o n ein em „p h th i- sischen (sch w in d sü ch tigen ) H a b itu s “ sprechen k an n , der erfah ru n g sg em ä ß zu tu b e rlu k ö se n E r kran k u n g en n e ig t und „ s o a u ssieh t, als o b “ er eine T u b e rk u lo se h ä tte , so g u t k a n n ic h seelisch v o n einem sch izo id en H a b itu s sprech en , der in seinem V e rh a lte n so a u ssieh t w ie ein e ch ter S ch i
zop h ren er in d er K r a n k h e it und a u c h m ehr d azu n e ig t als andere, einen solch en P ro ze ß d u rch zu m ach en. D e r stren g e K lin ik e r u n d a u ssch ließ lich a u f sein F a c h e in g estellte S y s te m a tik e r m a g sich gegen solche B e g riffsü b e rtra g u n g e n s trä u b e n — als p ra k tis c h e r P sy c h o lo g e und M enschen ken n er k a n n er sich der A n e rk en n u n g der d a m it gem ein ten T a tb e s tä n d e n ic h t en tzieh en . U n d d an n b le ib t n u r ein term in o lo gisch es P ro b lem ü brig.
Bl e u l e r w ar selb st a u f diesem W e g e v o ra n g e sch ritte n . E r h a tte v o n A n fa n g an b e to n t, in der F a m ilie eines sch izoph ren E rk ra n k te n fän d e m an h ä u fig ga n z äh n lich e Z ü ge a b g e sc h w ä c h t vo r, w ie sie in dem K ra n k e n so zu sagen w u ch e rte n . E r sp rach v o n la te n te r Sch izo p h ren ie, die so g a r v ie l h ä u fig e r sei als m an ifeste. U n d in K ra n k e n g e sc h ic h ten des „ B u r g h ö lz li“ s tö ß t m an geleg en tlich au f den S a tz, der den K ra n k e n ein liefern d e V e rw a n d te m ach e „ e in e n v ie l sch izo ph ren eren E in d ru c k als der P a tie n t s e lb s t“ . F ü r den lo g isch d enk en d en O rd n u n gsm ensch en is t es qu älen d , d a ß so e tw as zu sagen oder g a r zu sch reib en e rla u b t sein sollte.
D e r w irk lic h p sych o lo g isch B e o b a c h te n d e g ib t sich zu n ä ch st dem leb en d igen E in d ru c k hin, b e s ch reib t ih n u n d s e tz t sich d an n m it logisch en D e n k ford eru n gen au sein an d er. D a ß L eb e n svo rgä n g e die F re ih e it h ab en , logisch en, zu m m in d esten ab er term in o lo g isch en F o rd eru n g en H o h n zu sprech en , w ill den V erw a lte rn a tu re n in der W issen sch a ft im m er n ic h t in den K o p f. D a z u g eh ö rt allerd in gs ein in stin k tsich e re s G efü h l fü r den U n tersch ied zw isch en im m a n en ter G e s e tz lic h k e it in der N a tu r, die m an erken n en und n ach rech n en k a n n u n d den th eoretisch en O rd n u n gsb em ü h u n gen des M enschen, die um so w en iger v e rb in d lic h sind , je tiefe r ihr G eg en sta n d im U m k reis des S eelisch en lieg t. H ier w erd en m eist m it w ech seln d em E rfo lg die eigenen V o ra u ssetzu n g en bew iesen . D e r sp o rtlic h e E h r
geiz ge h t d ah in , diesen T a tb e s ta n d d u rch B e g e iste
H eft 35. 1
28. 8. 1935
J
P r i n z h o r n : Schizophrenie. 737ru ng, su g g estiv e T ech n ik , Z ah len an h äu fu n g , A p p e ll an so ziale In s tin k te und ähn lich es zu verh ü llen . D a h er k o m m t le tz te n E n d es denn d o ch alles au f die T iefe und m e ta p h y sisc h e G ü ltig k e it der V o r au ssetzu n g en an — u n d die sind A u sd ru c k der sch öp ferisch en P o te n z einer P ersö n lich keit. W ir w ollen n ic h t fü r L eser, denen es an ausreich endem A n sc h a u u n g sm a te ria l n a tu rg e m ä ß m angeln m uß, d as k lin isch e B ild sch izo p h ren er K ra n k e r erörtern . E s m a g der H in w eis gen ügen, d a ß diese a u ß erh a lb der ga n z a k u te n P h asen h ä u fig gen u g fü r den flü c h tig e n B e o b a c h te r g a r n ich ts A u ffa llen d e s zeigen, au ß er, d a ß sie e tw a versch lossen , in sich gekeh rt, oder g le ich g ü ltig , stu m p f oder leer-red selig sind.
D e r v e rb re ite ts te Irrtu m ü ber den Z u sta n d dieser in d rastisch em Sinne „ v e r r ü c k te n “ M enschen is t der, sie seien ve rb lö d e t, w ü ß te n n ich t, w as u m sie vo rgin g e, w er sie seien, k u rzu m , sie seien eine A r t M ensch geh äu se ohne In h a lt. So w e it k o m m t es ab er n u r b ei der P a ra ly se . B e im S ch izo p h ren en lie g t die S ach e v o n G ru n d a u f anders. A b so lu t verlo ren is t ih m n ich ts aus seinem geistig en B e s itz stan d . E r k a n n n u r n ic h t den G eb ra u ch d a vo n m ach en, der den G esun den zu m sozialen W esen m ach t. D e sh a lb g ib t es k a u m einen treffen d eren A u s d ru c k fü r seine S tellu n g in der W e lt als den in t u it iv zu p ack en d en E in fa ll v o n Kl a g e s: der S ch i
zophrene „ p r iv a tis ie r e " w oh l sozu sagen m it seinem W e ltb ild . D a m it is t die G ru n d ein stellu n g u n ü b er
tre fflic h u n d u n m iß v erstä n d lic h g ek en n zeich n et ( B l e u l e r s W o r t d a fü r is t A u tism u s). D e n n im
„ P r iv a tis ie r e n “ lie g t: B e sitz , aso ziale V erw en d u n g , S e lb sth errlich k eit, W illk ü r u. a. m . S agen w ir noch, d a ß der S ch izo p h ren e im allgem ein en , b e sonders in a k u te n P h asen , eine größere F ü lle vo n E rleb n issen und ob en d rein E rleb n isse v o n gan z anderer A r t h a t als der D u rch sch n ittsm en sch , d a ß seine W e lt gegen ü b er der b ü rg erlich en an U m fa n g und In h a lt b ereic h ert ist, w o d u rch denn allerd in gs eine w eitgeh en d e U n sich e rh eit der O rie n tieru n g e n t
steh t, so ist d as fü r den L a ie n leic h t Z u g än g lich e s k izzie rt. U n d zu g le ich is t er fa s t g e d rä n g t zu der F ra g e : w o fä n g t denn ab er d a die K r a n k h e it an ? B e g rifflic h lä ß t sich d a rü b e r h errlich stre ite n . P ra k tisc h g e n ü g t in 9 5 % der F ä lle die so ziale I n d ik a tio n , die den G esetzesfo rm u lieru n gen zu gru n d e lie g t: g e fäh rlich fü r sich und andere, n ic h t im stan d e, seine A n g ele g en h e iten selb stän d ig zu b e sorgen und ähn lich es.
Kr e t s c h m e r m a ch te also E rn s t m it der dem A n s ta lts a rz t geläu fig en B e o b a c h tu n g , d a ß ru h ige S ch izo p h ren e in ih rem V e rh a lte n und, so w e it w ir w issen, in ihren seelischen F u n k tio n e n ein zeln en ga n z versch ro b en en O rigin alen seh r n ah e v e r w a n d t sind, die w ir im freien L eb en tre ffe n . D a ß uns sogar im A llta g w ie in d er G esch ich te z a h l
reich e M enschen b egegnen, die in ih rer seelischen S tru k tu r A n sta ltsp a tie n te n ä h n lich er sind als ihren F reu n d en , N a ch b a rn und vielen anderen Z eitgen ossen . In d em er diese Ä h n lic h k e ite n der seelisch en A n la g e n und F u n k tio n e n s y ste m a tisc h d u rch fo rsch te, g elan g te er zu dem T y p u s des
schizoiden M enschen, den w ir alle in zah lreich en Spielarten ken n en : „ D ie sch izoid en T em p era m en te liegen zw isch en den P o le n re izb a r und stu m p f oder ü berem p fin d lich und k ü h l“ (im G eg en satz zu den z yk lo id en m it den P o le n h e iter und tra u r ig ).
„ D e n Sch lü ssel zu den sch izoid en T em p eram en ten aber h a t der, der k la r e rfa ß t h a t, d a ß die m eisten Sch izoid en n ich t en tw ed er ü b erem p fin d lich oder kü hl, sondern d a ß sie ü b erem p fin d lich und kü h l zu gleich sin d .“ E s is t eine G lassch eib e zw ischen ihnen und den M enschen, im G eg en sätze zu den Z yk lo id en , die im m er leich ten K o n ta k t m it der U m w e lt h aben.
M an sieh t, der A u sd ru c k vo n Kl a g e s, a u f schizoph rene A n sta ltsp sy ch o se n gem ü n zt, tr ifft a u f den schizoiden T y p u s n och sch lagen d er zu : er p riv a tisie rt m it seinem W e ltb ild . E r fin d e t n ich t leich t den W e g zu irgen deiner G em ein sch aft oder sch eitert rasch a u f diesem W ege. F r a g t m an sich, w o rau f nun e ig en tlich die U n tersch eid u n g dieses sch izoid en T y p u s beruh e, w elch e S ch ich t der P e r
sö n lich k eit d as gefü h lsm ä ß ig so ü b erzeu gend e U n tersch eid u n g sm erk m a l liefere, so gru p p ieren sich alle vo n Bl e u l e r b e to n ten S p a ltu n g se ig e n sch a fte n h in ter diese eine G ru n d ersch ein u n g : die e ig en a rtig gesperrte B e zie h u n g zu r realen U m w elt, d. h. zu n ä ch st zu r p ra k tisch e n W irk lic h k e it des A llta g sleb e n s. E in e P a ra llele zu r E rle ich te ru n g des V erstän d n isse s: d as W esen des S o ld a ten lie g t n ich t d arin, d a ß er U n ifo rm trä g t, geh o rch t, m a r
sch iert u n d b e stim m te G ew o h n h eiten an n im m t, sondern darin , d a ß er seine persönliche M einung u n d W u n sch p h a n ta sie, sein G eltu n gsb ed ü rfn is un d seinen L eb en sd ran g einer ü b erpersönlich en In stitu tio n , dem H eere u n d dem S ta a te und V o lk e , in dessen N am en dieses H eer b e ste h t, ein- und u n tero rd n et. N u n , en tsp rech en d lie g t d as W esen d er sch izoid en M ensch en art n ic h t in den zah lreich en S y m p to m en , sondern in der G ru n d ein stellu n g ihrer P riv a tp e rs o n zu anderen M enschen und zu r W e lt.
D iese Z w an gsiso lieru n g, der sie schon d u rch A n la g e ve rfa llen , u n tersch eid et sich vo n der Isolieru n g in d er P sy ch o se e tw a so, w ie der A u fe n th a lt a u f einer h ohen B e rg sp itze v o n dem in einem F reib allo n ohne F ü h rer. W ie äh n lich beid e M ale das „ W e lt b ild “ (hier der festge g rü n d eten E rde) aus einsam er V o g e ls c h a u ! W ie zersch neid en d versch ied en aber d as G esa m tg efü h l des v o g e lh a ft u n d d och gefesselt D a h in treib en d en zu d em des isolierten B e rg ste i
gers, der im m erh in b ek a n n te n B o d en u n ter den F ü ß e n h a t, ins T a l zu rü ck w an d ern kan n , w an n er m a g u n d nur im F lu g e der S eh n su ch t oder so n st eines a u f- und a b k lin g en d en S eelenü bersch w an ges d en v e rtra u te n H eim atb o d en des gem einsam en D a seins v e rlä ß t. W e r w ill es w agen , diesen N u an cen m it sch arfen B e g riffen beizu k om m en ?
W a ru m a b er m ögen d era rtig e U n tersch eid u n gen h eu te so u n gem ein anregend, ja erregend a u f W issen sch a ft und L aie n tu m w irken ? D ie B e a m te n n a tu ren s a g e n : M ode, und v e rw a lte n u n b eirrt w eiter. A n d ere h ab en W itte ru n g fü r das u n ru h ig leb en d ige G esch ehen der Z e it oder sind g a r aus
73» P r i n z h o r n : Schizophrenie. 1" Die N atu r
w issen sch afte n
M angel an V o y e u rb e g a b u n g m itv e ra n tw o rtlic h d a fü r. Ih n en is t d e u tlich , d a ß die le tz te G en eratio n u n ter an d erem ein er W a n d lu n g a u sg e lie fert ist, die tr o tz m ö glich er R ü c k sc h lä g e v o n seiten d er e n g k o n s e r v a tiv e n V e rg a n g en h e itsa p o ste l D a u e r h a b en w ird . (K o n s e rv a tiv is m u s zu g u n sten d er gro ß en D in g e v e r tr ä g t sich besser m it R e b ellio n gegen die s ta a tlic h g e sc h ü tzte M e d io k ritä t als m it den P r o g ram m en h e u tig e r p o litisch e r R e ch tsp a rte ien .) D iese W a n d lu n g , die w ir in versch ied en en A rb e ite n v o n ga n z versch ied en en S e ite n im m er w ied e r u m kreisen, b e tr ifft unsere A u ffa s s u n g v o m M enschen, vo n den k u ltu re lle n W e rte n , v o m Sin n des L eb en s ü b e rh a u p t. Ja s p e r s h a t ein b u n te s B ü n d e l vo n fein en blassen S tu d ie n in sein er „ P s y c h o lo g ie der W e lta n sc h a u u n g e n “ n ied erg eleg t, Sp r a n g e r ein en w o h lg eo rd n eten Ü b e rb lic k ü b er seelische T y p e n in seinen „L e b e n s fo rm e n “ geb o ten . V iele andere h a b en sich rh ap so d isch er zu diesen P r o b lem en g e ä u ß e rt. W ir h a b en w ied erh o lt b e to n t, d a ß der eig en tlich e V o rg a n g v ie l tie fe r v e rw u rze lt ist, eine m in d esten s säk u la re W e n d u n g b e d eu te t, m it der fran zö sisch en R e v o lu tio n b e g in n t, u m die le tz te J ah rh u n d e rtw en d e in Do s t o j e w s k i und Nie t z s c h e g ip fe lt und seith er aus dem U m kreise der P s y c h o a n a ly s e ein erseits, aus der ga n z la n g sam sich e n tfa lte n d e n P h ilo so p h ie v o n Iv l a g e s an d ererseits ih re s tä rk ste, n ich t le ic h te u n d n ic h t g iftfre ie N a h ru n g zieh t.
D e r gem ein sam e K e rn a ller d ieser T ie fe n strö m u n gen is t eine e n tla rv e n d e P sy ch o lo g ie, die, e in m a l a n g esetzt, v o r n ich ts, ab er a u ch v o r g a r n ich ts H a lt m ach en k a n n u n d je n se its jed e r F ü h ru n g s m ö g lich k e it, a llen g e istesp o lizeilich en M aßn ah m en h o h n lach en d , als S c h ic k sa l ü b er die M en sch h eit h in b ra u st. E s b e g an n m it einer E p id em ie u n ter den ziv ilisa to risc h e n Id eo lo gen und w ird end en n ach d em A u sste rb e n derer, d ie sich a u f R e ttu n g sg e s e ll
sc h a fte n ve rla ssen a n s ta tt a u f die sch öp ferisch e K r a f t d er a u f kom m en d en ju n gen G en eratio n en , d ie sch on b a u en w erd en , so g u t und so s c h le ch t sie verm ög en . U n sere S ach e is t n ic h t d as E n d zie l, sondern n u r die Sorge, d a ß P o te n ze n im m er w ied er re c h tz e itig d ie S ta c h e ld ra h tv e rh a u e ä n g stlich e r H ü te r v o n A lte rtü m e rn d u rch b rech en . D a s g e fäh rlich e und fü r m an ch en seelisch od er a u ch le ib lic h tö d lich e W e rk ze u g dieser G esch ic h tsp h a se is t die e n tla rv e n d e P sy ch o lo g ie. G an z g le ich fü r diese ih re tie fs te B e d eu tu n g , ob sie in d as C h aos vo n Do s t o j e w s k i s H a u p tg e s ta lte n h in ein leu ch tet, um s c h lie ß lich n u r n och den N o tsch re i n ach dem h eiligen R u ß la n d ü b rig zu b e h alte n , der h eu te w ied eru m in w esteu ro p ä isch en T e c h n ik e n u n d th e o retisch k o n stru ie rten P r a k tik e n e rs tic k t — w er w eiß , zu w elch en W a n d lu n g en und zu w elch er n eu en G e s ta lt. O d er ob der za rte ste, gerad este, a n stä n d ig ste M ensch, der je a ls ein sam er L ite r a t dem D ä m o n eines seh erisch en S ch affen s a u sg e lie fe rt w ar, ob Ni e t z s c h e in fu rc h tb a re r S e lb st
zerf leisch u n g m it den ew igen D in g en ra n g . O der o b ’d as k ü h le n a tu rw issen sch a ftlich e S ektion sm esser eines Fr e u d U n terg rü n d e des Seins b lo ß leg te, a u f
die so n st n u r d ich te risch h in g e d eu te t w u rd e. O der ob ein a b se itiger D e n k er und S eelen k u n d iger w ie Kl a g e sz u g le ich aus ä lte ste m S eelen g u t neu schöpft, fü r d ie E rk e n n u n g der E in ze lp e rsö n lic h k e it das sch ä rfste m eth o d isch e W e rk ze u g sch m ie d et und ob en d rein als v e rh ü llte r W eg w eiser klein erer U n te r
g a n gsk a ssa n d re n d as seelisch e G ep rä ge unserer Z e it sub sp ecie a e te rn ita tis a u f leu ch ten lä ß t. — Im m er is t die G ru n d e in stellu n g : e n tla rv e n d e P s y ch ologie, die S u c h t, d as e ig en tlich W irk sam e zu find en , d as in den E rsch ein u n g e n sich m a n i
festiert.
W a s in d iesen F ü h rern a tu ren n ach A r t eines N a tu rv o rg a n g e s a b ro llt, d u rc h b e b t M enschen vo n k lein erem A u sm aß e h ä u fig in a u ssich tlos q u ä le n d en Z u stä n d en . W e n n e tw a s fü r d ie stärk eren , w ah rsch ein lich sp ä ter ein m a l fü r unsere Z e it re p rä sen ta tiv e n N a tu re n ken n zeich n en d ist, so is t es die v ie lsp a ltig e B e zie h u n g zu r U m w e lt, die zw isch en k ü h ler E n tfre m d u n g , glü h en d em Su ch en , g e w a lt
sam em Z erstö ren h in und h er sc h w a n k t und sich so sch w er zu e in h e itlic h er G e s ta ltu n g oder zum G efü h lsa u sg le ich in s te tig e r W ä rm e ve rd ic h te t.
Irg en d w ie sind w ir w o h l alle im V e rg le ic h m it den M enschen v o r z w e i G en eratio n en „ d e r N a tu r “ n ic h t nur, sondern au ch u n serer m ensch lich en U m w e lt en tfre m d et, so d a ß w ir uns n ic h t m eh r n a iv a u f solche G efü h lsb rü ck en ve rla ssen kön nen . D as lä ß t sich n ic h t m eh r m it dem sch lich te n W o r t „ v o n des G ed a n k en s B lä sse a n g e k rä n k e lt“ a b tu n , das s it z t tie fe r in d er G ru n d ein stellu n g .
U n d n u n erö ffn e t sich jed erm an n s V erstän d n is die rä ts e lh a ft faszin ieren d e W irk u n g des W o rtes
„sc h izo p h re n “ : es rü h rt an diesen sch w er zu sch il
dern den gebroch en en S eelen zu stan d , d u rch den h eu te, als d u rch ein Z e itsch ick sa l, a u c h M enschen h in d u rch m üssen, die sonst a u f der sonn igeren S e ite des D asein s v e rw u rze lt, h ö ch sten s v o n fern und ve rw u n d e rt b em erkten , d a ß es a u c h anders V era n la g te gebe als sie selb st. H e u te h in gegen w irk t sich d as, w as „ü b e re m p fin d lic h u n d k ü h l zu g le ic h “ ist, rin gsu m frei aus, w oh in w ir b licken . U n d es w äre ein leich tes, u n ter d em p sy c h o lo g i
schen B e g riff der sch izoid en S eelen a rt unsere Z eit vo n allen frü h eren E p o ch en ab zu gren zen , M enschen, In stitu tio n en , K u n stw e rk e , P r a k tik e n u n d Id eale.
E s is t ja a u ch w ied er n ic h t M ode u n d Z u fa ll, d a ß sich h eu te d as allgem ein e In teresse diesen seeli
schen G ren zp ro b lem en so d rin g lic h zu w en d et, sondern e in fa c h A u sd ru c k fü r die W a n d lu n g , die sich in sg eh eim vo llzo g e n h a t. M an h a t sch on in ve rsch ied e n a rtig en K reisen eine W itte r u n g d afü r, d a ß die w ich tig e n E reign isse sich im stillen a b sp ielen ; d a ß es eine L ü g e ist, w en n m an die k ü n s t
lich e N e u b ele b u n g einer fein en a lte n K u n step o ch e b e tre ib t, ohne ü ber den in neren G eg en satz der M enschen v o n d a m als u n d h eu te n u r eine andere B rü c k e sch lagen zu kö n n en als die des Sn obism us, m it lite ra te n h a fte r P seu d o seh n su ch t als F ah n e.
D a ß es ein m en sch lich eh ren w erter Irrtu m ist, den Id ea lism u s der rein en W issen sch a ft p ro g ram m a tisch als w ic h tig e n B e sta n d unseres W e lt
H e ft 35- 1
28. 8. 1925
J
Li c h t e n e c k e r: Das Bewegungsbild der Ostalpen. 739b ild es zu verk ü n d en , indes w eit und b re it gerade die fü h ren d e W issen sch a ft das G eg en teil b e tre ib t und vo rw ie g e n d ein ige m ehr oder w en iger b e g a b te A u ß e n se ite r, m eist sch eel angesehen, in O p p o sitio n g egen d as ü b erm äß ige G ew ich t, das der M itte l
m ä ß ig k e it e in g erä u m t w ird , u n b eirrt ihrer inneren S tim m e folgen . U n d im G egen satz d azu b re ite t sich zögernd eine W e rts c h ä tzu n g fü r M enschen aus, die zu k la ren k u ltu re lle n E n tsch eid u n g en ge
langen , ohne sich ä n g stlich en S ch u tzm a ß n ah m en fü r ü b erleb te p rä ten tiö se B ild u n g sid eale eines g ei
stigen M ittelstan d es m ehr a n zu sch ließ en — denen R e v o lu tio n e n gegen B esteh en d es n u r G elegen h eit zu R e v o lu tio n en fü r k u ltu re lle W e rte b ieten , und d ie in diesem Sinne, w en n es zu sagen e rla u b t ist, R e v o lu tio n ä re fü r ew ige D in ge gegen die Ü b e r
sc h ä tzu n g v o n Z e itid ea len s in d ; ra d ik a l im K lein en und gegen die K le in e n , k o n s e rv a tiv e r als irg e n d ein p o litisch K o n se rv a tiv e r im G roßen.
D ieser V ersu ch , e tw a s v o n den tieferen und u n tersch eid en d c h a ra k te ristisc h en U n terströ m en d er Z e itstim m u n g a n k lin g en zu lassen, w eist bei aller M äß ig u n g im A u sd ru c k a u ch a u f d as a p o k a ly p tis c h e S ta m m eln hin, d as den zw ei le tz te n J a h r
zeh n ten eigen ist. D a rin z u c k t n ich t nur u n fru c h t
b are und m it K ra n k h e itsb eg riffe n gen ügend c h a ra k terisierb a re E n ta rtu n g , sondern au ch der P u ls des w esen tlich en Z eitgesch eh en s m it a ll seinen ch a o tisch en W a llu n g en , die n iem als als u n reif ab geta n w erd en dü rfen , d a sie einer äu ß erlich en Sch einreife n ic h t en tsprech en . H ier sp ü rt der F ein fü h lig e w ied eru m , und n u n m ehr ah n en d als n och k la r fo rm u lierb a r, den Z u sam m en h an g m it jen em E r leb n is des S ch izo p h ren en : d a ß alles anders w ird , F estg e g rü n d ete s v e rg eh t, U n geh eu res h e ra u f
k o m m t — m it R e c h t n en n t die K lin ik diese ty p isch e Ü b erg an gsp h ase v o n der G esu n d h eit in die K ra n k h e it das W eltu n terg an gserleb n is. H ü te n w ir uns nur d a vo r, in b illig e r S k ep sis w ied er zu enge V erg leich e zu ziehen, d er Z e it vo n der k ü n st lieh en W a rte eines h yg ien isch -eu gen isch -fo rtsch ritt- liehen G esu n d h eitsid eals aus K r a n k h e it sch le c h t
hin zu zu sch reiben und sie d esh alb ab zu w erten . A u ch die M enschh eit m a c h t W ach stu m sk risen , P u b ertä ten und In v o lu tio n en d u rch .
W enige verm ögen g la u b h a ft zu m achen, d a ß sie a u ß er ihrer Z e it stehen. K e in e sfa lls b e w e ist k ri
tisch e H era b setzu n g ohne E in tre te n fü r irgen d ein schöpferisch es W erd en das gerin gste fü r eine Ü b e r
legen h eit des K rittle rs . U n d w enn schon a llz u große B e w u ß th e it dem L eb en gegenü b er die tie f
ste Q uelle unserer seelischen A u flösu n g, unserer V erein zelu n g, unserer E n tfrem d u n g zu sch izo id em W e ltg efü h l ist, so kan n n u r eines h elfen : ra d ik a le K la rh e it üb er diese D in ge. D a m it am eh esten n och kö n n te der W e g frei w erden fü r k u l
tu relle P o ten zen , die w oh l im m er w ieder sich in die S ch an ze sch lagen w erden, im L eb en w ie in der W issen sch a ft. M it dem B e g riff des S ch izophrenen, des Sch izoiden, des S c h y z o th y m e n h ab en Bl e u l e r, Kr e t s c h m e r und andere e in m a l w ied er vo m F o r sch u ng sb od en aus in d as L eb en h in ein gew irk t.
Ih re E rk en n tn isse und G ed a n k en h elfen d azu , eine E n tw ick lu n g sp h a se unserer K u ltu r tiefe r zu d u rc h sch au en und zw in gen zu neuen T a te n in der P s y c h o p ath o lo g ie w ie im A u fb a u unseres g an zen W e lt
b ild es. D iese W egb ereiter sind an S u b sta n z und a n A u sm a ß d er P e rsö n lic h k e it n ic h t gerade ü b e r
ra gen d e F ü h rern a tu ren , ab er im m er n och gan z andere P o ten zen als ihre K r itik e r .
D as B ew egungsbild der Ostalpen.
V o n No r b e r t Li c h t e n e c k e r, W ien . D ie V o rste llu n g v o n der E n ts te h u n g der
A lp e n h a t seit dem E n d e des ve rg an g e n en J a h r
h u n d erts tiefg reife n d e W a n d lu n g en erfah ren . D a m als b egan n m an — v o re rst fü r d ie W e sta lp e n — die A u ffa ssu n g zu v e rtre te n , d a ß die innere S tr u k tu r des G eb irges g rö ß ten teils d u rch liegen d e, h ä u fig zerrissene F a lte n gegeb en sei: A u s ein zeln en d e c k s ch u p p en a rtig ü b erein an d ergesch o b en en G estein s
m assen b a u e sich d as G eb irg e a u f. F ü r d ie O s t
alp e n k a m m an sp ä ter zu dem g leich en E rg eb n is.
W e n n h e u te a u ch n och üb er d ie M ech a n ik des D e ck en sch u b es und ü b er d as A u sm a ß d er V e r sch ieb u n gen die M einungen d er T e k to n ik e r o ft re c h t w e it au sein an d er gehen, so sind d o ch w ic h tig e E r gebn isse a ls gesich ert anzu seh en . Sie lassen sich in K ü r z e d ah in zu sam m en fassen , d a ß d as G e b ie t der A lp e n im L a u f der geologisch en Z e ite n eine v e r w ic k e lte G esch ich te d u rch g em a ch t h a t, in d em es — d em la b ile n O rogenestreifen d er K e tte n g e b irg e an geh ö ren d — ab w ech seln d S y n k lin o riu in und A n tik lin o riu m w ar. D ie le tz te und u m w ä lzen d ste der m eh rfach en F a ltu n g e n e rfo lg te im T e rtiä r.
N a c h der A u ffa s s u n g He i m s, Ar g a n d s und and erer
G eo lo gen q u o llen d a m als aus der „W u rze lre g io n “ , die im a llgem ein en a ls der h eu tigen Poeben e b e n a c h b a rt an gen om m en w ird , u n geheure G estein s
m assen in fo lge s ta rk en D ru ck es d u rch die D in a- rid en n o rd w ärts, sich fa lte n d und übersch ieb en d .
In den O sta lp e n lä ß t sich ein vo rgo sau isch er u n d ein o lig o zän er D eck e n sch u b au sein an d er
h a lten , in den W e sta lp e n is t die B e w e g u n g jü n ger.
V o r a lle m d ie erk lä ren d e B esc h re ib u n g der L an d fo rm e n , w ie sie d u rch Da v i sb e g rü n d e t w orden ist, h a t d a zu g e fü h rt, d a ß in ein er R e ih e m o rp h o lo gisch er A rb e ite n v e rs u c h t w u rd e, fü r gew isse T e ile der A lp e n d ie v o r e iszeitlich e E n tw ic k lu n g — m it den g la zia le n P ro b lem en h a tte m an sich ja schon frü h er b e sc h ä ftig t — k la rzu le gen . A u f diesem W ege h a t sich die b ed eu ten d ste U m w ä lzu n g in u n serer A n sch a u u n g üb er die E n ts te h u n g der A lp e n v o llzo g e n und es v e rd ie n t b e to n t zu w erd en , d a ß die a u f diese W eise g eze itig ten E rg eb n isse d u rch G eo grap h en gew on n en w u rd en .
Sch on v o r 18 Jah ren b eg an n m an b ei der U n te r su ch u n g des alp in en F o rm en sch atzes jen en G e b ie te n A u fm e rk sa m k e it zu sch en ken , in denen