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Geisteskultur und Volksbildung. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, 1921, 30. Band, Heft 5/6

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Academic year: 2022

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Geisteskultur

und Volksbildung

Monatshefte der Comenius~ Gesellschaft

H erau sgeb er und S ch riftle ite r:

Ferd. Jak. Schmidt und Georg Heinz

s

S c h u l t e , Vom Wesen der KulturINHALT:

Z e i ß i g , Goethes höchstes Menschheits- und Erziehungsziel

K r u e g e r , Der erste weibliche Dr. med. in Deutschland (Fortsetzung)

Streiflichter — Rundschau Bücherschau Gesellschaftsnachrichten

Fünftes und

30. Jahrgang sechstes Heft Mai/Juni 1921

Verlag von ALFRED UNGER in Berlin C2

(2)

COM E N I U S - G E S E L L S C H A F T

für Geisteskulhir und Volksbildung. Begründet von G eh. Archivrat Dr. Ludwig K e lle r V orsitzender: Sch riftleiter: G eneralsekretär: Ehrenam tlicher G eschäftsführer:

Prof. Dr. F e r d . Ja k . Sch m id t D r. G eo rg H ein z D r. P a u l F e ld k e lle r A lfred U n s e r Berlin - Orunewald Berlin 0 3 4 Schönwalde (Mark) Verlagsbuchhändler Hohenzollerndamm 55 W arschauer Str. 63 bei Berlin Berlin C 2 , Spandauer Str. 22

^ i e Mitgliedschaft wird für die Mitglieder innerhalb Deutschlands und der Freien Stadt Danzig durch Einzahlung des Jahresbeitrages von M. 3 0 .— erworben.

Die Beitragszahlung kann erfolgen:

1. auf das Konto der Comenius-Gesellschaft

a) bei der Mitteldeutschen Creditbank, Depositenkasse K in Berlin C 2, Königstr. 25-26 — nicht mehr Deutsche Bank,

b) bei dem Postscheckamt Berlin auf das Konto Nr. 21295,

2. durch direkte Einzahlung bei der Geschäftsstelle der Comenius-Gesellschaft in Berlin C 2, Spandauer Str. 22,

3. bei jeder Buchhandlung.

Für das Ausland ist der Jahresbeitrag wie folgt festgesetzt:

Belgien u. Luxemburg . 20 F r.

D ä n e m a rk ... 8 Kr.

E n g la n d ... 7 Sh.

Frankreich ...20 F r.

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Ita lie n ...28 Lire J a p a n ... 3 Yen N o rw eg en ... 8 Kr.

S c h w e d e n ... 7 Kr.

S c h w e iz ... 8 Fr.

S p a n ie n ... 9 Pes.

Verein. Staaten u. Mexiko 1,50 D oll.

Für Bulgarien, Deutsch-Österreich, Finnland, Polen, Rumänien, Rußland, Süd- slavische Staaten, Tschechoslowakei, Türkei u. Ungarn beträgt derJahresbeitragM.40.—.

Die Mitglieder erhalten die Zeitschrift der Gesellschaft kostenlos. Diese erscheint jährlich in 12 Heften im Umfange von je 2 bis 3 Bogen. Die Hefte sind auch einzeln zum Preise von M. 4.— käuflich (Doppelhefte M. 6.—).

Bei Zahlungen von Behörden oder Vereinigungen ist zur Vermeidung von Miß­

verständnissen die Angabe, für w elche Empfänger der Zeitschrift die Beträge gellen, dringend erforderlich.

Die Versendung der Zeitschrift erfolgt in Deutschland durch Postüberweisung.

Nach Gebieten außerhalb Deutschlands Versand unter Kreuzband. Ge n a u e Anschriftsangaben sind unbedingt nötig!

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Wer die gute Sache der C.-G. fördern und verhüten will, daß sie nach 30 Jahren fruchtbarer Arbeit in der Not dieser Zeit untergeht, der überweise uns über den Mindestbeitrag hinaus ein Notopfer. Die Kosten der Zeitschrift sind auf das Zwanzigfache gestiegen, der Mitgliedsbeitrag aber nur auf das Dreifache! Wir kranken daher an einem gewaltigen Fehlbetrag. Postscheck für Ihre Spende, die wir recht bald erbitten, anbei!

1N H A LT (Fortsetzung)

S tr e iflic h te r... Seite 113 R u n d s c h a u ... » 1 1 9 B öch erschau ... » , 1 2 4

Philosophie — Religionskunde — Pädagogik — Volksbildung — Geschichte

Gesellschaftsnachrichten... » 1 4 2 V e r la g v o n A L F R E D U N G E R , B E R L I N C 2 , S p a n d a u e r S t r a ß e 22

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Geisteskultur

und

Volksbildung

M o n a t s h e f t e d e r C o m e n i u s - G e s e l l s c h a f t

Sch riftleitu n g:' Prof. Dr. Ferd . Jak. Schmidt

B erlin - G ru n ew ald , Hohenzollemdamm 55

Dr. G eorg Heinz

B erlin 0 3 4 Warschauer Straße 63

V e rla g von

A lfre d U n g e r , B e rlin C 2

Spandauer Straße 2 2 Jährlich 12 Hefte Preis für den Jahrgang M. 30. —

Einzelhefte H . 4.—

Bezugspreise für das Ausland auf der 2. Umschlagseite

30. Jahrgang Fünftes und sechstes Heft Mai/Juni 1921

V O M W E S E N D E R K U L T U R

E in Versuch

von D r. R o b . W e r n e r S c h u l t e , C h arlo lten b u rg

n den A nfangsw orten seines in m ancher Beziehung lesen s­

w erten Büchleins über „E rfind er und E n td e ck er“ definiert W ilh. O stw ald die Kultur als „die V erbesserun g des ö k o ­ nom ischen K oeffizienten der um gew andelten E n erg ie“ . Da jedoch alle Kultur letzten E nd es auf sehr kom plizierten,- ochst selten durch M aß und Zahl erfaß b aren psychischen P ro zessen eruht, scheint jen e B eg riffssetzu n g allzu sehr dem Standpunkte des reinen N a t u r w i s s e n s c h a f t l e r s zu entsprech en, der in einem energetisch en W eltbild alle E rscheinu ngen, auch die des G eisteslebens, restlos zu erklären versucht. U nserer A nsicht nach bed arf der richtige, w enn auch h ö ch st einseitige K ern jen er Anschauung unbedingt einer rgänzung nach der S e ite der allgem einen G e i s t e s w i s s e n ­ s c h a f t e n hin. Denn ohne eine d erartige Grundlegung verm ag man w eder die E ntstehu ngsg esetze der Kultur zu deuten noch der M annig-

a ^S^eit ihrer Schöpfungen g ere ch t zu w erden.

A nd ererseits ab er ist auch die überaus geläufige G egenüberstellung Matur- und Kulturzustand nur teilw eise berechtigt, und zw ar in D., , rn’ a*s m an dem W erd en und W ese n der nach unabänderlichen als UIl®s®e se*zen sich g estaltenden N a t u r die kulturelle E ntw icklung , Was v°n i M en sch en g eist in bew u ßter A bsicht E rru ngenes, E r- a enes kontrastieren d zur Seite stellen könnte. M an darf b ei d ieser c ei ung jedoch niem als übersehen, daß w ahre K u l t u r sich stets auf den Naturzustand aufbauen und im m er w ieder den W eg zu ihm zurückfinden wird, w ährend die Entw icklungsprinzipien der Kultur scheinbar doch von denen der Natur w esentlich verschieden sind. W en n

Monatshefte der C. G . 1921. 7

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w ir ab er als Endziel die D urchdringung der Natur mit Kultur, die h arm onisch e Einfügung kultureller Gebilde in den R ahm en der W e lt b etrachten , dann w ird m an auch in der Kultur nicht m ehr einen G egensatz zur Natur, sondern deren w ertvolle Ergänzung sehen. W ie w undervoll verm ag sich z. B. ein griech isch er, von edlem K ü nstlergeist g esch affen er Tem pel in seiner vollendeten A rchitektonik in die n atü r­

lichen landschaftlichen und klim atischen V erhältnisse des südlichen Himmels einzupassen! Die Kultur soll eine V eredelung der Natur d a r­

stellen, nicht im Sinne einer „Treibh au sku ltur“ mit traurigen, blassen, duftlosen Blüten, sondern sie h at die A ufgabe, die Lebensbed ingungen der freien, schönen, großen W e lt in liebevoller, natu rgem äßer P fleg e nachzuahm en, allerdings unter Betonung des ihr eigentüm lichen, Kunst und Leben, Idee und S to ff verbindenden C harakters.

Kultur ist der Inbegriff alles dessen, w as den M enschen über den bloßen Kam pf ums D asein hinaus zu befriedigen verm ag, psychologisch die Sum m e all der Gefühle, die über die rein anim alischen T rieb e hinaus sich auf eine v ertiefte geistig e A nschauung vom S i n n und W e r t d e s L e b e n s gründen; sie ist die P fleg e des Bedü rfnisses, sich in einer selbsterträum ten und s e l b s t e r s c h a f f e n e n W e l t , die mit dem N aturzustande allein nicht zufrieden ist, heim isch zu fühlen.

Als H errsch erin über alles m enschliche L eb en erschließt uns die Kultur in viel h öherem M aße und in viel rein erer B etrach tu ng als die uns nur zu o ft so unverständliche Natur die S tu fen leiter der G enüsse. W ir haben uns daran gew öhnt, von den niedrigsten G enüssen, die zur Befriedigung des N aturhaften dienen, bis zu den feinsten und subli­

m iertesten eine unendlich reich e und m annigfaltige R eihenfolge anzu- nehm en. Z eitström ungen, die sich der W irklich keit entfrem det hatten, haben m erkw ürdigerw eise m anchm al versucht, m it dem Sch lag w o rte des Eudäm onism us und U tilitarism us das psychische Bedürfnis des M enschen nach Befriedigung seiner kulturellen Seh n su ch t zu v e r­

dammen, bis dann das E insetzen des Positivism us w enigstens die eine gute B egleiterscheinung gezeitigt hat, daß man besond ers auch in der E th ik sich w ieder m ehr den V erhältnissen, wie sie nun einm al w irklich und erfahrungsgem äß vorliegen, zuwandte. E s muß unent­

schieden bleiben, ob der B eg riff der Kultur dem M enschen als dem Herrn der Schöpfung V orbehalten sei; is t es doch nicht u nw ahr­

scheinlich, daß auch die T ie re so etw as w ie Kultur besitzen, wenn es auch durchaus m öglich ist, daß ihre W elt einfach auf naturgesetzlich g eregelten Instinkten beruht und der selbstsch öp ferisch en K raft entbehrt.

In dem W o rte „Kultur“ liegt der Gedanke beschlossen, daß diese selb stg esch affen e W elt der P fleg e bedarf, daß sie nicht plötzlich da ist, sondern m it dem Prinzip der E n t w i c k l u n g verknüpft ist.

Kultur ist nie Stillstand, sondern F o rtsch ritt, nie Lösung, sondern Problem , nie etw as F ertig es, sondern stets etw as W erdend es, kein

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1921 Voni Wesen der Kultur 99

Erg ebn is, sondern eine A ufgabe. Auch die Natur k en nt ein e ähnliche Entw icklungstendenz, und w ir g ew ah ren das in teressan te Schauspiel, daß Natur und Kultur sich in einem W ettk am p f zu befinden scheinen.

E s ist nicht zu leugnen, daß die Natur von vornh erein einen riesigen V orsprung hatte, daß ab er der Gang der Entw icklung auf Seiten der Kultur ein viel schnellerer, w enn auch von häufigen R ückschlägen und Störungen durchbrochener gew esen ist.

In beiden F ällen ab er streb t alles G eschehen hin zu einem Ziel, einem Z w e c k : in der Natur zu der Herausbildung einer im m er voll­

kom m eneren und im mer fäh ig eren Spezies, m an könnte sagen zu dem vorw iegend im m anenten Ziel, sich den nun einmal bestehenden L e b e n s­

bedingungen b esser anzupassen. B ei der Kultur hingegen scheint dem Z w eck beg riff das Prinzip der Im m anenz auf die D auer nicht m ehr zu genügen, er wird tran szend ent: e r ü bersch reitet das N ächstfolgende und läßt die M enschheit mit ihren höheren Z w ecken w achsen. E in e erartig e „Erziehung des M ensch en g esch lech ts“ muß notgedrungen über ie B eschrän ktheit der sinnlichen Anschauungsw elt hinausw achsen zu einei E rfassung auch m etaphysischer und ideeller Größen. B ei alle- em wird sich aber die Kultur stets ihres Z w eckes bew ußt bleiben müssen, denn höch ste Zw eckerfüllung w ird auch stets höchste Kultur sein. Das sei nur erläu tert an dem Beispiel einer vollendet zw eckvollen technischen Konstruktion, etw a einer E isen b ah n b rü ck e: w enn die g e o ­ m etrischen und m ech anisch-statischen G esetze ihres A ufbaues restlos durchgearbeitet und harm onisch abgerundet sind, dann w ird auch die öchste k ünstlerische und kulturelle W irku ng zu erzielen sein. Je d e s uviel würde lediglich einen unnützen B allast, einen Sch ad en für die inheitlichkeit der G esam tw irkung bedeuten. W o rin m an den letzten m E n d z w e c k “ aller Kultur und dam it alles m enschlichen D aseins erblicken soll, das ist die w ichtigste F ra g e des L eben s überhaupt, das ist b ereits P hilosoph ie; und die B eantw ortung dieses P roblem s ängt durchaus von persönlichen M om enten ab. Son st aber, glaube lc.h> kann man an dem G rundsätze festhalten, daß alles Kulturelle zu­

nächst Selbstzw eck, also im m anent zweckvoll sein soll, in zw eiter unc* vornehm lich dann aber auch einen transzendenten Z w eck e n alten muß, der die Entw icklung auf ein endgültiges Ziel, einen

soluten W e rt hin, „sub specie aetern itatis“ betrachtet.

^em G esichtspunkte der Entw icklung und des Z w eckes hängt zusammen, daß m an letzten E nd es die Kultur nicht als etw as G e-

ef*eS ein*ack übernehm en kann. Z w ar wird der jungen G eneration s e s as kulturelle Gut der V orfah ren ü berm ittelt; aber die Erziehung es jugendlichen G eistes sollte doch m ehr auf einer produktiven tätigen neignung der Kultur als auf einer bloß rezeptiven Aufnahme des S to ffes beruhen. Um! die w ahre Kultur kann man auch nicht kaufen, w ie Kriegsgewinnlers m einen, denen Besitztum und A nw artsch aft auf

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Kultur zw ei selbstverständliche, identische B eg riffe sind. M an soll die Kultur nicht w ie eine re ife F ru ch t vom Baum e des L eb en s pflücken, sond ern m an soll sie w ie ein liebevoller G ärtner in rastlosem S treb en und ehrlicher A rbeit „kultivieren“ .

W ir h atten g esehen, daß zw ischen Natur und Kultur nur ein relativ er U nterschied besteht. W ich tig e r und entscheid end er ist in n er­

halb des G ebietes der Kultur selbst der zw ischen m a t e r i e l l e r u n d g e i s t i g e r K u l t u r . Und auf diesem Schlach tfeld e bekäm pfen sich die P arte ie n aller R ichtungen. E s ist schw er auszum achen, w elche Kultur zu erst dagew esen ist. Zunächst vielleicht die m aterielle; aber sie w urde nur g esch affen auf Grund einer geistigen D enktätigkeit, und je w eiter die Zeit fo rtsch ritt, um so höher w urde auch die Kultur der ideellen G üter. Häufig, ab er nicht etw a dauernd, geht diesem U nterschied ein G egensatz in der A rt der Beurteilung parallel, den m an m it D iesseitigkeitspflege und Jen seitigk eitsh o ffn u n g bezeichnen könnte. Und hier kom m en w ir nun zu einer zentralen F ra g e unseres P roblem s. Sinnen- und farb en fro h e Zeiten schw elgten in der bunten W elt irdischer G enüsse, w ährend die E p o ch en g ro ß er geistig er E r ­ neuerung nicht selten sich der m ateriellen S e ite des L eb en s g e g e n ­ über skeptisch und ablehnend verhielten. Auf w elchen Standpunkt w erden w ir m odernen M enschen uns da zu stellen h ab en ?

Gew iß sind viele großen F o rtsch ritte auf dem G ebiete der m ensch ­ lichen Kultur durch streng einseitige B esch ränku ng auf das betreffen d e Sp ezialgebiet erzielt w orden, und das W ese n des forschend en M en ­ schen scheint auch w irklich in einer K onzentration und g ew issen b e ­ w ußten B eschränku ng zu liegen. Vom Standpunkte des Philosophen, des „W eltw eisen “ , und des m itten im G ew oge und G etriebe des L eben s käm pfenden M enschen w ird sich ab er notgedrungen das Bild viel reicher, farb en fro h er, lebhafter, m annigfaltiger g estalten . Und in diesem Sinn e fassen w ir denn auch Kultur auf als den Zustand in der Entw icklung der M enschheit, der die restlo se h a r m o n i s c h e E i n h e i t v o n ä u ß e r e r u n d i n n e r e r G e s t a l t u n g d e s L e b e n s in sich birgt. Die w ah rh aft großen D enker aller Zeiten (w ie A ristoteles, Leibniz, W undt) w ie auch u nsere g ottbegnadeten D ichter (Goethe) w etteiferten in dem B estreb en , die gesam te W elt in ein er gew altigen Sy n th ese zusam m enzufassen; und in der M oderne reg t sich b ei allen, die über die G renzen ih rer F ach w issen sch aft h inau s­

strebten, das Bedürfnis, bei der kühnen Schöpfung eines m onistischen W eltbild es m itzuw irken, an dessen Aufbau N atur- und G eistesw issenschaft in gleichem M aße beteiligt sind.

D iese Forderung einer o r g a n i s c h e n , w eil auf das Prinzip des L eb en s gegründeten E i n h e i t l i c h k e i t , einer h a r m o n i s c h e n U n i v e r s a l i t ä t v o n G e i s t i g k e i t u n d K ö r p e r l i c h k e i t dürfte w ohl am m eisten u nserer Anschauung von der w irklichen Struktu r

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1921 Vom Wesen der Kultur 101 der kulturellen E rscheinu ngen entsprechen. U ber die Zeiten w elten t­

rü ckter Ideale, die ihre ganze Befriedigung nur in übersinnlichen Sp eku ­ lationen sahen, sind w ir h inw eg; w ir h aben uns heute daran gew öhnt, von W ohnungs- und K örperkultur, von w irtsch aftlich er und tech n isch er Kultur zu reden, w obei w ir doch stets die m ehr geistig begründeten Kulturproblem e, w ie sie uns in W issen sch aft, Kunst und L iteratu r, E r ­ ziehung, Politik en tgegentreten , nicht v ern ach lässig en w erden. Und w ie das Ideal des kulturellen M enschen sich vom antiken eleganten Jü n g ling über das R enaissancep roblem des C ortegiano und über den m ehr b ü rg er­

lichen K avalier hinw eg zum m odernen Gentlem an stets in bew ußter V er­

schm elzung von m aterieller und g eistig er L eben serfassu n g und -durch- dringung entw ickelte, so dürfte überhaupt als ech te Kultur die T o talität aller w irklich w ertvollen äußeren und inneren L eben sform en anzu­

sprechen sein. W ir fühlen, daß w ir über alle Son d erbestrebu ngen, die mit Sch lag w o rten die M assen blenden, hinaus ein er schöpferischen, verbindenden Synthese bed ü rfen; daher w ird die Kultur, wie w ir sie uns in ihrer Vollendung vo rstellen, einfache, große g esch lo ssen e Linien aufw eisen, sie w ird dabei jed och unauffällig, unaufdringlich, vornehm zurückhaltend sein und sich ihres inneren W e rte s stets bew ußt bleiben.

Sie wird infolge ihres B estreben s, die richtige M itte zu halten zw ischen bloßer D iesseitigkeitstendenz und höherem S treb e n nach rein er G eistig­

keit, berufen sein, sow ohl den L eben sin teressen der M enschheit in Bezug auf die m ateriellen Lebensbedingungen dienen, aber sie wird auch nie die O rientierung an den großen E w ig keitsw ert besitzenden, unvergäng­

lichen F ra g e n verlieren . Aus diesem Grunde soll die Kultur bis in ihre W urzeln hinein gesund, üppig, blühend sein, ihr L eben sn erv d arf nicht angekränkelt sein von einer H ypersensibilität des G efühls; der w ahrhaft zur Kultur berufene M ensch muß sich allzeit einen o ffen en und em pfänglichen Sinn bew ah ren für die P roblem e von Zeit und Zu­

kunft. W o ran der m oderne M ensch der G roßstadt heutzutage k ran kt, das ist die T atsach e, daß er den Ausgleich zw ischen der beruflichen Arbeit und ihrem Äquivalent an kulturellen G enüssen nicht zu finden verm ag. Der A rbeitsm ensch, der nur im m er w ieder ans Geldverdienen denkt und die seltenen, köstlichen Stunden der Ruhe, die eigentlich der geistigen und künstlerischen Erholung gew idm et sein sollten, m it F a ch a rb e it ausfüllt, entsp richt nicht m ehr ganz unserem Ideal. Und an d ererseits w ollen w ir auch nicht beg reifen, wie der D urchschnitts­

m ensch von heutzutage m it dem im Frond ien ste des L e b e n s mühsam erw orbenen Geld So n n tag s zw eifelhafte und schädliche G enüsse erkauft.

Und auch die einseitig b etrieben e Körperkultur, w ie sie in den A usw üchsen der im Grunde so w ertvollen sportlichen Bew egung rasch zum Ausdruck kam , dürfte nicht ganz dem Prinzip rein ster Zw eckm äßigkeit entsprechen.

W en n w ir höchste Kultur als Anpassung der gesam ten L ebensform en an einen selbstgesetzten L ebensinhalt, als die tätige Teilnahm e

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an allen P roblem en des D aseins bezeichneten und dabei vor allem auf das P ostulat einer universellen und harm onischen Kultur hinw iesen, so dürfen w ir dabei doch nicht außer ach t lassen, daß die Kultur ebenso b erech tig terw eise einen Zug zum D ifferenzierten, zur I n d i ­ v i d u a t i o n besitzen kann und soll. E ben so w ie der ech te Sozialism us stets auf dem G edanken der G leichw ertigkeit, nicht der G leichheit au f­

gebau t sein sollte, und ebenso wie jed es Volk seine spezifische indi­

viduelle Kultur hat, w ie man von nationaler Kultur reden und historische, d ifferenzierte K ulturepochen u nterscheiden kann, ebenso soll auch die kulturelle A ufgabe des einzelnen M enschen nicht in einer schem atischen Befolgung frem d er V o rsch riften bestehen, sondern sie soll von w arm em , lebendigem P e r s ö n l i c h k e i t s w e r t erfüllt sein. Z w ar ist jede allzu besch rän k te E inseitig keit vom Ü bel; aber nicht m inder verfehlt w äre es, an allem und jedem zu naschen. Und auch der universell G ebildete w ird g ern sein stilles G ärtlein haben, wo er seine eigenen lichtfrohen oder absond erlichen Blum en m it zärtlicher L iebe und heim ­ licher Freu de pflegt. E r w ird sich gelegentlich seine Freu n de ein- laden zu einem Besu ch in sein klein es P arad ies. Aber er muß doch auch dann und w ann einen Blick w erfen können in die schöne, reiche, wilde W elt mit ifrrer grenzenlosen G röße und der ew igen U nrast ihres W erd en s und V ergehens. Und auch an dem Elend und der N iedrigkeit des L eben s darf er nicht teilnahm slos od er v erach tend vorü bergehen, so n ­ dern er muß ein verständ nisvolles Gemüt und ein verzeihendes Herz dafür haben.

Im gew issen Sin ne ist das G ebiet des Kulturellen natürlich stets von den R egeln und G esetzen der G esellsch aft und der ganzen M en sch ­ heit abh ängig; sie w ird w ie beson d ers ihre T o ch ter, die Sitte, einen stark n o r m a t i v e n C h a r a k t e r tragen und besond ers auf den G ebieten der E thik, der Ästhetik, der W issen sch a ft mit der gebietend en F orderung den' Befolgung ih rer V o rsch riften au ftreten. Und darin liegt ja auch eine B eschränku ng allzu g ro ßer W illkürlichkeit in der A usge­

staltung des Individuellen und zugleich eine soziale Anpassung an den M itm enschen und das G esellschaftsganze. Das g egenseitige V erständnis w ird dadurch zw eifelsohne geförd ert, die Kluft zw ischen M ensch und M ensch w ird ü berbrü ck t durch das allen M enschen G em einsam e. S e lb st­

verständlich darf diese nivellierende und ausgleichende Tendenz niem als zur bloßen U niform ierung herabsinken und der reichen M annigfaltigkeit der g egenseitigen Beziehungen A bbruch tun. Je d e kulturelle Norm soll stets zugleich der F r e i h e i t des einzelnen Spielraum lassen und je d ­ w ede schablonenhafte Beeinflussung der kulturellen E n tw ic k lu n g , von vornh erein zu verhindern suchen. Nur so w ird sich der alte K onflikt zw ischen Sozialism us und Individualismus, zw ischen G esetz und Freih eit in w ah rh aft edler und au sgeglichener W eise aufheben in einer w under­

voll fördernden, lebensfrohen und zukunftssicheren E ntw icklung.

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1921 Vom Wesen der Kultur 103 E inen relativ w ertlosen Ausw uchs der Kultur, der allzu häufig mit dem W esen des Kulturellen selbst verw ech selt wird, bezeich net man herköm m licherw eise als L u x u s . Das jed erzeit um einen tiefen und w ahrhaft ew igen Inhalt ringende L eb en ist darin zur bloßen, v eräu ß er­

lichten F orm erstarrt, w ährend doch in der Kultur F o r m u n d I n h a l t stets eine unauflösliche Verbindung m iteinander eingehen sollen. Ohne den erzieherischen W e r t der höchsten gesetzgebenden Form prinzipien verkennen zu wollen, muß doch g esag t w erden, daß w ir das inhaltliche M om ent der Kultur nicht vern achlässig en dürfen, und eine rein form ale Kultur wird zw ar zu hohen äußerlichen Leistungen gelangen lassen, sie wird jedoch stets des sinnvollen K erns entbehren. Auf der anderen Seite m üssen w ir uns aber auch v ergegenw ärtigen , daß die gestaltende, Form gebung der Kultur, ihr „ S til“ , dem Inhalt erst seine letzte, sc h a rf­

geschliffene oder harm onisch abgerundete G estalt zu geben verm ag.

Das Ideal w ird auch hier sein: ein leuchtender Inhalt in einem k ö st­

lichen G efäß, davon beides um seiner selbst und zugleich um des anderen W illen g esch affen w urde.

Einem jeden von uns erw äch st in der rauschenden, dahingleitenden W echselfü lle des kulturellen L eb en s tagtäglich die reizvolle, lohnende A ufgabe, m itzuw irken an der Em porentw icklung der M enschheit. D er W eg dazu führt über die E rken ntn is und die Einfühlung in die P roblem e der G egenw art zum tatbereiten, zukunftsgläubigen, edlen und stolzen W o llen ! W er, mit S ch leierm ach er zu reden, sich selbst gefunden und außerdem die W elt erfaß t hat, der ist berufen, m itzuarbeiten an diesem W e rk !

G O E T H E S H Ö C H S T E S M E N S C H H E I T S ­ UND E R Z I E H U N G S Z I E L

Von Emi l Zei ßi g, Oschatz i. Sa.

(Fortsetzung)

Alles zu sam m engefaßt: E i n e c h a r a k t e r f e s t e , s i t t l i c h e u n d e d l e , e i n e b e d e u t e n d e P e r s ö n l i c h k e i t ist nach G oethe der erh ab en e L eb en s- und Streben szw eck der M enschen und darum auch das höchste, u nverrü ckbare Ziel aller M enschenerziehung.

Die Erziehung in Haus und Schule bem üht sich, „das edle Gefühl, das in jed es gute Herz von der Natur g ele g t ist, daß es für sich allein nicht glücklich sein kann, daß es sein Glück in dem W o h l des ändern suchen muß, zu erreg en , zu stärken, zu b eleb en “ 1). E ltern und L e h re r geben den jungen Erd enbü rgern die „Hoffnung, daß die Hindernisse, die dem sittlichen M enschen entgegenstehen, nicht unüberwindlich seien, daß es m öglich sei, sich nicht allein zu kennen, sondern sich auch zu

*) Der Groß-Cophta. 18. Band, S. 107.

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b essern ; daß es m öglich sei, die R echte der M enschen nicht nur ein- zusehen, sondern auch geltend zu m achen, und, indem m an für andere arb eitet, zugleich den einzigen schönen Lohn für sich zu gew in nen“ ').

„Ein edler M ensch kann einem engen K reise Nicht seine Bildung verdanken. V aterland Und W elt rr.uß auf ihn w irk en “ -).

D iesen W o rte n A l p h o n s fügt L e o n o r e im „ T a sso “ hinzu:

„Ein C harakter bildet sich in dem Stro m der W e lt“ 3).

W a s die Fam ilien - und Schulerziehung begonnen, muß die S e l b s t ­ e r z i e h u n g fortsetzen, w o der „L eh rm eister S ch ick sal“ 4) ein g ew ichti­

g e s W o rt zu sprechen h at und der M/ensch als E rw ach sen er w ie F a u st durch eigene V ernunft und K raft „im m er strebend sich bem üht“ 5), zu einer P ersö n lich k eit sich zu bilden, heranzureifen, die den bereits e r ­ w ogenen Ford eru ngen G oethes entspricht. „Die G eschichte des M enschen ist sein C harak ter“ 6). E rs t m it dem letzten Atem zuge endet das m ensch­

liche Ringen „nach d er Vollendung reiner H öhe“ 7). Doch selbst im g ünstigsten F a lle steh t unter den irdisch-unvollkom m enen V erhältnissen das E rre ich te w eit ab von der Sonnenhöhe der Idealpersönlichkeit.

Nach G oethe h at sich die E rziehung noch ein z w e i t e s Ziel zu stecken. Nur kurz davon.

„D as B eh arren eines tüchtigen C harakters aber w ird um desto w ürdiger, w enn es sich durch das W e lt- und G esch äftsleben durcherhält, und w enn eine B ehandlu ngsart des V orköm m lichen, w elche m anchem sch roff, ja g ew altsam ersch ein en m öchte, zur rech ten Zeit angew andt, am sich ersten zum Ziele fü h rt“ 8). Darum heißt „Erziehung, an die Bedingungen gew öhnen, zu den Bedingungen bilden, unter denen m an in der W e lt überhaupt, sodann aber in besond eren K reisen existieren k a n n “ 9). „Der M ensch ist m it allen seinem Sinnen und T rach ten a u f s Äußere angew iesen, auf die W elt um ihn her, und e r h at zu tun, diese insow eit zu kennen und dienstbar zu m achen, als er es zu seinen Z w ecken b ed a rf“ 10). „D er lebendig begabte Geist, sich in p r a k t i s c h e r A bsicht an’s A llernächste haltend, ist das V orzüglichste auf E rd en “ 11j. „Unglückselig ist d e r M ann, der unterläßt das, w as e r kann, und u nterfän gt sich, w as er n ich t v erste h t: kein W under,

x) Der Groß-Cophta. 18. Band, S. 107.

2) Torquato Tasso (Alphons). 6. Band, S. 95.

:i) Torquato Tasso (Alphons) 5. Band, S. 95.

4) Wilhelm Meisters Lehrjahre. Zweites Buch. 8. Band, S. 113.

5) Faust, II. Teil. 5. Band, S. 458.

6) Wilhelm Meisters Lehrjahre. Siebentes Buch. 9. Band, S . 163.

7) Gedicht: Natur und Kunst. 2. Band, S. 210.

8) Dichtung und Wahrheit. Vierzehntes Buch. 12. Band, S. 157.

9) Deutsohe Literatur. 28. Band, S. 218.

10) Gespräch mit Eckermann am 10. April 1829.

n) Sprüche in Prosa. 13. Band, S. 222.

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daß er zugrunde g eh t“ 1). „Nur klu gtätige M enschen, die ihre K räfte kennen und sie m it M aß und G esch eitigkeit benutzen, w erden es im W eltw esen w eit bringen“ 2) „im tätigen und k räftig en , m itunter un­

erfreulichem Leben, w o w ir uns alle, w ie w ir sind, als abhängig von einem großen G anzen em pfinden“ 3). In der Rede, die G oethe bei Eröffnung des B erg b au es zu Ilmenau g ehalten hat, heißt es an ein er S te lle : „Ein jed er Ilm enauer B ü rger und U ntertan kann dem aufzu­

nehm enden B ergbau nutzen und schaden. Je d e neue A nstalt ist ein Kind, dem m an mit einer geringen W o h ltat forthilft, für die ein E r ­ w achsener nicht danken w ürde, und so w ünsche ich, daß ein jed er die unsrige ansehen m öge. E s tue ein jeder, a u c h d e r G e r i n g s t e , , dasjenige, w as er in seinem K reise zu deren B eförderu ng tun kann, und so w ird es gut gehen. G leich zu A nfang, jetzt, m eine H erren, ist es Zeit, dem W e r k aufzuhelfen, e s zu schützen, H indernisse aus dem W eg e zu räum en, M ißverständnisse aufzuklären, w idrige L eid en sch aften zu unterdrücken und dadurch zu dem gem einen B esten m itzuw irken“ 4).

G oethe b at in einem Gesuch an den M ag istrat sein er V aterstad t zu F ran kfu rt (am 28. August 1771) um die licentia advocandi: „da mich näm lich, nach vollbrach ten akadem ischen Ja h re n , die ich mit m ög­

lichstem Fleiß der R ech tsgeleh rsam k eit gew idm et, ein e ansehnliche Ju risten - F aku ltät zu Straßbu rg . . . des Gradus eines L icen tiati Ju ris gew ürdigt, so kann m ir nunmehr nichts angelegen er und erw ü n sch ter sein, als die bisher erw o rb en en K enntnisse und W issen sch aften meinem V aterlande brau chbar zu m achen, und zw ar v o rerst als A nw alt m einen M itbürgern in ihren rechtlich en A ngelegenheiten anhanden zu gehen, um mich dadurch zu denen w ich tigem G eschäften vorzubereiten, die einer hochgebietenden und verehrungsw ürdigen O brigkeit m ir dereinst hochgew illet aufzutragen, gefällig sein k ön n te.“ Nach einem „P ro lo g “ (vom 6. O ktober 1794) der „T h eaterred en “ ist das „vielgeliebte W e i­

m ar“ 5) „die Stad t, die alles Gute pflegt, die alles nützt, w o sicher und vergnügt sich das G ew erbe an W issen sch a ft und Kunst schließt, wo der G eschm ack die dumpfe Dummheit längst vertrieb, w o alles Gute w irk t6). Und dazu trug durch sein W esen uhd W irk en auch G o e t h e bei, der von sich sag en k o n n te: „Ich h abe alles, w as ein M ensch verlangen kann, ein L eben , in dem ich m ich täglich übe und täglich w a ch se“ 7). „Kein T a g w ird müßig zu geb rach t“ 8). „T ätig zu sein, ist des M enschen erste Bestim m ung, und alle Zw ischenzeiten, in denen 1921 Goethes höchstes Menschheits- und Erziehungsziel 105

*) Sprüche in Prosa. 13. Band, S. 16.

2) Sprüche in Prosa. 13. Band, S. 143.

3) Deutsche Literatur 28. Band. S. 338.

4) 23. Band, S. 331.

5) 15. Band, S. 359.

6) 15. Band, S. 359.

7) Brief an seine Mutter vom 9. August 1779.

8) Annalen (1799.) 23. Band, S. 58.

(12)

er auszuruhen g enötigt ist, sollte er anw enden, eine deutliche E r ­ kenntnis der äu ßerlichen Dinge zu erlangen, die ihm in der F o lg e a b e r­

m als seine T ätig k eit e rle ich te rt“ 1). „W ir m üssen nichts s e i n , so n ­ dern alles w e r d e n w ollen und beson d ers nicht ö fter stille stehen und ruhen, als die Notdurft eines müden G eistes und K örp ers e r ­ fo rd e rt“ 2). „M an w endet seine Z eit im m er gut auf eine A rbeit, die uns täglich einen F o rtsch ritt in der Ausbildung abriötigt“ 8). Am 9. Ju li 1823 schrieb der rü stige G reis an Sch u ltz: „In m einen Ja h re n muß m an v o rw ärts gehen, au fw ärts bau en.“ Und am 17. M ärz 1832 — also fünf T a g e vor seinem Tod e — rich tete er an W ilhelm von Humboldt einen B rief, in dem die Zeilen steh en : „Ich h abe nichts an g eleg en t­

lich eres zu tun, als dasjenige, w as an m ir ist und geblieben ist, w o ­ m öglich noch zu steigern und m eine E igentüm lichkeiten zu co h o b ieren 114).

G oethes Lebensführung verd ient im eigentlichen Sin ne eine Kunst von hoher erziehlicher Bedeutung genannt zu w erden. Nicht m it U nrecht hat m an in der In sch rift: „ G e d e n k e z u l e b e n ! “ ") (die W ilhelm im S a a le der V erg angen heit erblickt) nicht bloß den K ern des ganzen E rzieh u ngsrom an s: „W ilhelm M eisters L e h rja h re “ , sondern auch den Hauptgrundsatz des ganzen G oetheschen D ichtens und T rach ten s e r ­ kannt.

Schon aus diesen w enigen Z itaten erh ellt: D e r M e n s c h s o l l z u r B e t r e i b u n g e i n e s b e s t i m m t e n B e r u f e s o d e r F a c h e s g e s c h i c k t s e i n , so daß er nicht bloß sein F ortkom m en findet, sondern auch seine P flich ten als Glied eines „großen, schönen, w ürdi­

gen und w erten G an zen“ 6) zu erfüllen verm ag. Und die Erziehung in Haus und Schulen muß es sich darum an gelegen sein lassen, das junge (m ännliche und w eibliche) G eschlecht für das vielgestaltige „W elt- und G esch äftsleben “ 7) vorzu bereiten.

F a ssen w ir alles zusam m en! E s ergibt sich: D e n M e n s c h e n s o l l e i n s i t t l i c h - s t a r k e r , e d l e r C h a r a k t e r u n d l e ­ b e n s p r a k t i s c h e , b e r u f l i c h e T ü c h t i g k e i t z i e r e n . „Alle M enschen guter A rt em pfinden bei zunehm ender Bildung, daß sie auf der W elt eine doppelte R olle zu spielen haben, eine w i r k l i c h e und eine i d e e l l e , und in diesem Gefühl ist der Grund alles Edlen aufzu­

suchen. W a s uns für eine w i r k l i c h e zugeteilt sei, erfah ren w ir nur allzu deutlich; w as die z w e i t e betrifft, d arüber können w ir selten ins K lare kom m en. D er M ensch m ag seine höhere Bestimmung

Lehrjahre. 6. Buch 9. Band, S. 135.

2) A. Schöll. „Briefe und Aufsätze von Goethe“. Weimar. 2. Ausgabe.

1857, S. 39.

3) Brief von Schiller vom 10. Februar 1798.

4) In Rücksicht auf den Raum beschränke ich mich auf diese Aussprüche.

6) Lehrjahre. 8. Buch. 9. Band, S. 259.

•) WiQckelmann. 26. Band, S. 9.

7) Dichtung und Wahrheit. 14. Buch. 12. Band, S. 157.

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auf E rden od er im Himmel, in der G egen w art od er in der Zukunft suchen, so bleibt er deshalb doch innerlich einem ew igen Schw anken, von außen einer im m er störenden Einw irkung ausgesetzt, bis e r ein für allem al den Entschluß faßt, zu erklären , das R ech te sei das, w as ihm gem äß is t“ 1).

D em gem äß ist nach G oethe eine i d e a l e , a l l g e m e i n e und eine r e a l e , b e s o n d e r e M e n s c h e n b i l d u n g zu unterscheiden, zu der E ltern, L eh rer, M eister und and ere Erziehungspflichtige im Z ö g ­ ling guten Grund zu legen haben, auf dem Selbsterziehung und -bildung w eiterbauen.

Nun frag t es sich a b e r: In w elchem V erhältnis m üssen die beiden Aufgaben, die sich die Erziehung (auch die Selbsterziehu ng) eines M enschen stellen, zueinander steh en ? Sollen etw a die W eg e zu den beiden Endzw ecken völlig g etren n t nebeneinander her gehen, od er soll die eine Aufgabe der anderen vorgezogen w erd en ? Auch darüber läßt uns G oethe nicht im unklaren.

In der „G eschichte sein er Ju g en d “ 2) schreibt G oethe: „H errlich ist die M axim e H am anns: Alles, w as der M ensch zu leisten unternim m t, e s w erde nun durch T a t oder W o rt od er sonst hervorgebrach t, muß aus säm tlichen vereinigten K räften entspringen; alles V ereinzelte ist v erw erflich “ 3). Von F ra n z G erhard v. Kügelgen (M aler und P ro fe sso r an der Akadem ie in D resden, f 1820) sagt G oethe aus: „M ensch und M aler w ar eins in ihm “ 4).

E s gibt ja genug M enschen m it einem zw eiteiligen W esen , die in ihrem B eru fe als A rbeiter od er H andw erker, als B eam ter oder K au f­

m ann anders denken und handeln als außerhalb des B eru fs, daheim im F am ilien k reise und im V erkeh r mit Freu nden u. a. Im Sin ne G oethes

dafür ließen sich noch zahlreiche Belege bringen — liegt es, daß die ideale, rein m enschliche Bildung bei jederm ann sozusagen die Grund­

stimmung für die reale, berufliche A rbeit sein soll. Die ideale G edanken- und G efühlsw elt soll die W erk tätig k eit durchdringen und befru chten.

I n a l l e n s e i n e n L e b e n s l a g e n u n d B e r u f s g e s c h ä f t e n , i n H a n d e l u n d W a n d e l s o l l s i c h d i e P e r s ö n l i c h k e i t m i t i h r e m f e s t e n , s i t t l i c h e n u n d e d l e n C h a r a k t e r b e ­ w ä h r e n .

M öchte sich das ganze deutsche Volk von G oethes G eist durch­

dringen lassen ! W en n außerdem G oethes rastlo se und pflichttreue Arbeit an sich selb st und für das Gem einw ohl, w orü ber m an viele B ogen schreiben könnte, allen zum B eispiel dient, w enn jed er einzelne sich als nützliches und unentbehrliches Glied der Nation fühlt und als

*) Dichtung und Wahrheit. 11. Buch. 12. Band, S. 16.

2) Gespräch mit Eckermann am 28. März 1831.

3) Dichtung und Wahrheit. 12. Buch. 12. Band, S. 67.

•*) Annalen (1809.) 23. Band, S. 217.

1921 Goeibes höchstes Menschheits- und Erziehungsziel 107

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so lch es zu gelten strebt, w enn nam entlich alle, die durch Stan d und Bildung, Amt und B esitz h erv orrag en , die ihnen verliehenen V orzüge nicht als P rivilegien des G enusses au ffassen, sondern zum W o h le des G anzen anw enden, dann, ab er auch nur dann kann unser V olk h o ffen , sich w ieder allm ählich em porzuarbeiten. V o r allem ab er m öchte G oethes Sin n und A rt in den E r z i e h e r n der deutschen Jugend fortleben und von diesen ein jed er g elo ben : „ I c h w i l l m e i n e K r ä f t e d e r E r z i e h u n g w i d m e n , d a m i t w i r e i n G e s c h l e c h t e r ­ z i e h e n , d a s s e i n e r A u f g a b e g e w a c h s e n i s t . “

DER ERSTE WEIBLICHE DR. MED. IN DEUTSCHLAND

Von Lic. theol. T h e o d o r K r u e g e r

on geleh rten F rau en weiß die G eschichte aller Zeiten zu erzählen. S o erfreu te sich im Altertum die P y th ag o räerin T heano des Ruhm es gelehrten W issen s, und hohe Bildung im V erein m it E sp rit und G razie tritt uns auf dem G ipfel­

punkt g riech isch er Kultur in A spasia entgegen, der G attin des P erik ies, die ein M ittelpunkt des athenischen G eisteslebens w ar.

W e ite r hören w ir von A rete, der T o ch ter des K y ren aik ers A ristipp, daß sie ihren Sohn, den jüngeren Aristipp, in des G roßvaters h eiter­

besonnene Philosophie einführte. Aus der R öm erzeit w issen w ir, daß Cornelia G racch a, die M utter der sozialreform erischen V olkstribunen, im R ufe einer seltenen Bildung stand. Im bilder- und tem pelstürm erischen Ju g en d alter christlichen Staatsk irch en tu m s stirbt eine edle Philosophin, die A lexandrinerin Hypatia, den M ärty rerto d unter der W u t eines w ahn­

sinnigen P öbels. Auf der Höhe des M ittelalters begegnen w ir B ettin a Andreä ( f 1355 in P adua), der G attin des bolognesischen und paduani- schen Ju riste n Jo h an n e s de S . G regorio, die ihren G em ahl nicht selten in Behinderungsfällen in der Abhaltung ju ristisch er V orlesungen v e r­

trat. D asselbe Padua sah etw a anderthalb Jah rh u n d erte später ein e andere berühm te F rau , C assandra Fidelis, eine V enezianerin, die dort über philosophische T h esen disputierte. J a , selbst die T heologie fand eine g elehrte Jü n g erin in C atharina Ju n ck e r, die um die M itte des 16. Jah rh u n d erts m it Theologen w issen sch aftlich e Käm pfe ausfocht, w ährend ein span isches W underkind, Ju lian a M orella, am 16. F eb ru a r 1606 im A lter von 12 Ja h re n zu L yon öffentlich philosophische T h esen v e r­

teidigte. In S ach sen ab er trug M arg areth a Sibylla von L ö ser ( f 1690) den Ehrenn am en einer „Säch sisch en C ornelia“ oder „M inerva M is- n ica “ , und nicht v erg essen sei ihre Zeitgenossin, die g elehrte L abad istin Anna M aria von Schürm ann.

Sind diese gelehrten F rau en im m erhin seltene Blüten im K ranze der W eiblich k eit jen er Z eiten, so ist naturgem äß e rst re ch t nur gering

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1921 Der erste weibliche Dr. med. in Deutschland 109 d ie Zahl d erer, die ihre w issen sch aftliche Ausbildung mit der P rom otion krönten, deren M öglichkeit und V orkom m en bei F rau en ab er im merhin schon für das M ittelalter beleg t w erden kann, also keinesw egs eine E rru n gen sch aft des 20. Jah rh u n d erts ist. Aus allen v ier Faku ltäten lassen sich B eispiele dafür anführen. S o erw arb sich im Ja h re 1535 Bitisia Gozzadina, eine B ologn eserin , in ihrer V aterstad t die W ü rde eines D oktors der R echte, nachdem sie sich zw ei Ja h re früher durch eine lateinische L eichenred e auf den B ologn eser B ischof, Ludovicus T ratta, schon bekannt g em acht hatte! Nach ihrer Prom otion trat sie so gar die akadem ische L eh rtätigk eit an, indem sie über die Institutionen V o r­

lesungen hielt, und bekam 1539 eine Stelle unter den P ro fe sso ren der Rechte. Um dieselbe Z eit etw a beg eg n et uns im Schm uck des D ok to r­

titels Isabella L o sa de Cordova, in Sp rach en w ie in Th eologie g leich er­

m aßen gebildet. Im 17. Jah rh u n d ert prom ovierte L u cretia Helena Cor- naria Piscopia, mit dem B einam en Sch o lastica, zu P adua (25. Ju n i 1678) nicht nur zum D oktor der Philosophie, sondern ihr w urde so g ar von d erselben U niversität die D oktorw ürde der Th eologie angetragen. Im 18. Jah rh u n d ert sah auch die philosophische Faku ltät zu B ologna eine Frau auf dem Lehrstuhl, L au ra M aria K atharina Bassi, eine gebürtige B ologneserin, die im Alter von 21 Ja h re n 1732 die philosophische D ok to r­

w ürde erw arb und auch als G attin und M utter bis in v o rg erü ck tes Alter ihre L eh rtätigk eit fortsetzte. E in W underkind w iederum hat in diesem Jah rh u n d ert Deutschland aufzuw eisen in JDorothea von Schlözer, der T o ch ter des berühm ten G öttinger G esch ich tsforsch ers, die nach denkbar u m fangreichster Vorbildung in den G eistes- wie den N aturw issenschaften im A lter von 17 Ja h re n am 17. Sep tem ber 1787 in Göttingen zum D oktor der Philosophie prom ovierte. A ber auch die m edizinische F aku ltät h at lange vo r unsern T ag en b ereits zw ei w eibliche D oktoren gehabt, M arianne Th eod ore C harlotte Heidenreich, geb. Heiland, genannt von Siebold, sow ie ihre M utter R egina Jo se p h a Heiland, geb. Henning, die seit 1815 D oktorin der G eburtshilfe von G ießen, angestellte G ebu rts­

helferin und öffen tliche Im pfärztin w ar. U nter ihrer Anleitung sow ie der des S tie fv a te rs Jo h an n T heod or D am ian von Siebold, dam aligen P h ysikatsarztes in H eiligenstadt und sp äteren O berm edizinalrates, trieb M arianne von Siebold m edizinische Studien und p rom ovierte 1817 in Gießen zum D oktor der Entbindungskunst. S ie h at in Ausübung ihres ärztlichen B eru fes 1819 die Königin V iktoria von England zur W elt beförd ert. Im m erhih w ar R egina Jo se p h a Heiland k einesw egs die erste Frau in Deutschland, die den m edizinischen D oktortitel trug. D iesen Ruhm hatte ihr bereits 1754 D orothea Christiane E rxleben , geb. Leporin, vorw eggenom m en. Die näheren Lebens'um stände dieser den W is se n ­ schaften ergebenen F rau , das Interesse F ried rich s des G roßen für sie, die T atsach e, daß sie noch als G attin und M utter die D oktorw ürde e r ­ w arb und daß sie als P farrfrau durch ihre ärztliche Kunst die S o rg e

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des G atten für die Gem eindeglieder ins G ebiet der L eiblichkeit zu e r ­ w eitern verm och te, lassen diese erste P rom otion ein er F rau zum m edi­

zinischen D oktor in D eutschland so einzigartig und m erkw ürdig e r ­ scheinen, daß es nicht nur einem kulturgeschichtlichen, sondern auch einem m enschlichen In teresse begegnen dürfte, w enn dies F rau en leb en der V erg essen h eit en trissen wird.

Quedlinburg, die V aterstad t K lopstocks, w ar auch die Heim at der D orothea C hristiane L eporin. Am 13. N ovem ber 1715 wurde sie dort als T o ch ter des p rak tisch en A rztes Dr. med. Christian Polykarp L eporin und Enkelin des H ochfürstlichen K o n sisto rialrats und Sen io rs an der Nikolaikirche A lbert M eineken g ebo ren . Von Ju g en d auf kränklich, sollte sie gerad e in ihrer körperlichen Sch w ächlichk eit den Anlaß finden zu früher W ecku ng w issenschaftlichen Interesses. Denn durch ihre gesundheitliche Behinderung ans Haus g efesselt, w urde sie gew öhnlich Zuhörerin bei dem U nterricht, den ihr jü n g erer B ruder vom V ater sow ie von ändern L eh rern im L atein erhielt. Ihre leichte A uffassungsgabe dafür erreg te des V aters A ufm erksam keit, der auch sie nun teils selb st u nterrichtete, teils durch H auslehrer für ihre g eistig e Förderung sorgte, darin auch u nterstützt durch L e h re r vom fürstlichen Gymnasium zu Quedlinburg. M it beson d erer D an kbarkeit gedenkt die Schülerin in ihrem zur P rom otion v erfaß ten L ebenslau f der beiden L eh re r T o b ias E ckh ard und Prillw itz, von denen der erste re sie besond ers in lateinische Stilistik einführte, vor allem auch auf dem W eg e der Korrespondenz, und ihr hauptsächlich riet, ihre Studien fortzu setzen und w eiter au s­

zubauen. S ie lernte nicht nur L atein und F ran zö sisch bis zu großer F ertig k eit, sondern v ertiefte sich auch unter Anleitung ihres V aters in m edizinische Studien, ja er führte sie in die P ra x is ein und e r ­ gänzte so ihr th eo retisch es Studium aufs trefflichste durch Anschauung und E rfahrung. S ie durfte ihn schließlich sogar, w enn er selbst b e ­ hindert w ar, auf K rankenbesuchen v ertreten. Die G ew issenhaftigkeit, mit der die junge G elehrtin alles, w as sie in A ngriff nahm , auf seine W ohlü berlegtheit und Begründung geprüft haben muß, erhellt aus einer Abhandlung ihrer F ed er bereits aus d ieser Zeit mit dem T itel: „Gründ­

liche Untersuchung der U rsachen, die das w eibliche G eschlecht vom Studiren abhalten, darin deren U nerheblichkeit gezeiget, und w ie m ög­

lich, nöthig und nützlich es sey, daß dieses G eschlecht der G elahrheit sich befleisse, um ständlich d argelegt w ird.“ Berlin, Rüdiger 1742. U r­

sprünglich h atte sie diese A rbeit nur als E la b o ra t für sich selbst gedacht.

Sie verdankt ihre V eröffentlichung allein dem W u nsch e des V aters, der in ein er um fangreichen V orrede die A rbeit der T o ch ter ein er Kritik unterzogen und Ergänzungen zu ihr b eig eb rach t hat, die eine für einen Arzt b each ten sw erte Bibelkenntnis und G eschicklichkeit in der Aus­

w ertung von B ibelstellen verraten . V erm ag doch der Haupteinwand gegen das w eibliche Studium, es m angelten der Frau dazu die K räfte,

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1921 Der erste weibliche Dr. med. in Deutschland 111 nach der M einung von V ater und T o ch ter nur durch den Hinweis auf die G ottebenbildlichkeit auch des W eib es w iderlegt zu w erd en! W ie sehr theologisch auch diese Zeit (A ufklärung!) noch denkt, erhellt auch aus der m ehrfachen Betonung, daß das Studium zur G otteserkenntnis führe! M it G eschick und Tem peram ent w erden die V orurteile der Zeit gegen das Frauenstudium en tkräftet, desgleichen die sonstigen U rsachen, die davon abhalten, w ie Geiz mit Geld und Zeit, Bequem lichkeit, H och­

mut, der sich nicht m ehr belehren lassen will, und F u rch t v o r Neid der lieben M itschw estern, aufgedeckt und and erseits die N otw endigkeit und Nützlichkeit des Studium s auch für die F rau dargetan. In teressan t ist besonders die W iderlegung des sich er sehr ern st gem einten E in - w andes gegen das Frauenstudium : das W eib neige stärk er als der M ann zu A ffekten, sei ab er eben dadurch zu der W issen sch a ft untauglich, die Kühle und Ruhe erford ert. D em gegenüber findet die V erfasserin , daß auch beim M ann die A ffekte stark w ären und nur überw unden und diszipliniert würden durch die w issenschaftliche A rbeit! In sehr feinsinniger W eise deutet der V ater in seiner V orred e hin auf die Notwendigkeit w issenschaftlicher Klärung der G edankenw elt zum Zw eck der Kindererziehung und auf das E rford ern is w issen sch aftlich er D enk­

fähigkeit auch der Frau für die Herstellung ein er w ahren G em einschaft der tiefsten In teressen in der E h e ! Nicht ü bergangen sei endlich das recht anspruchsvolle P rogram m , das die V erfasserin schließlich für die w issenschaftliche Ausbildung der Frau entw irft. S ie verlangt von ihr nicht w eniger als K enntnisse in allen vier F aku ltäten, genauer auf folgenden G ebieten : in den Sp rachen , in der T heologie, der Medizin, Jurisprudenz, Ökonom ie und L iterärg esch ich te — , bei Konzentrierung auf ein Fachstudium und bei selbstverstän dlicher voller Aneignung aller hausw irtschaftlichen K enntnisse. Die Zeit dazu könnte sehr wohl ero b e rt w erden durch w eniger S ch laf, w eniger unnütze und inhaltleere Besuche und w eniger Sich -P u tzen!

Doch w enden w ir uns nach W ürdigung dieser für die G eistesart der jungen G elehrtin ch arakteristisch en S ch rift nun w ieder der V e r­

folgung ihres L ebenslau fes zu! E in w ichtiges E reignis brach te ihr das Ja h r 1741. G önner und Freu nde nämlich m achten sie den königlichen Kom m issaren bekannt, die Friedrich der G roße nach seiner T h ro n ­ besteigung zur E ntgegennahm e der Huldigung nach Quedlinburg e n t­

sandt hatte, und diese H erren em pfahlen das g elehrte Fräulein der

^GS der in einem R eskript vom 24. April 1741 ihre Em p- e ung an die m edizinische F aku ltät zu Halle versprach, falls sie die Absicht hätte, zu prom ovieren. Jed o ch eine ganze R eihe von F am ilien ­ ereignissen : ihre V erheiratu ng mit dem Diakonus an der N ikolaikirche zu Quedlinburg, Joh an n Christian E rxleb en , dem W itw er einer Freundin, der ihr fünf noch unerzogene Stiefkind er, v ier M ädchen und einen Knaben, in die E he brachte, die G eburt von vier eigenen Kindern, drei

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Sö h n en und einer T o ch ter, der Tod ih res V aters, eine sch w ere E r ­ krankung ih res G atten, der allein ih rer Um sicht und ärztlichen T ü ch tig ­ k e it die Erhaltung des L eb en s verdankte — , alle diese E reig n isse v e r­

hinderten für m ehr als ein Jah rzeh n t die Ausführung des P lan es zu prom o vierep. D er entscheidende A nstoß dazu sollte erst von außen kom m en. Durch die glückliche Behandlung ihres G em ahls in w eiten K reisen bekannt gew orden, hatte sie sich näm lich bald ein er großen einheim ischen und au sw ärtigen P ra x is zu erfreuen, die ständig w uchs, da ihre K uren seh r glücklich verliefen . D adurch aber w ard der Neid dreier Ä rzte zu Quedlinburg erreg t, die g egen sie bei dem Königlich- prcußischen Stiftshau ptm anns-G erichte zu Quedlinburg w egen unprivi­

leg ierter Ausübung ärztlich er P ra x is k lag bar w urden. D as G ericht, unter dem V orsitz des G eheim rats von Schellersheim , ford erte sie zur R ech t­

fertigung auf. D iese aber w ollte sie leisten in F orm der Ablegung der D oktor-Prüfung b ei der m edizinischen F ak u ltät zu Halle und b a t daher das G ericht, darüber an den König zu b erich ten unter Berufung auf das erw äh n te R eskript. D er König genehm igte ihre Zulassung, und sie ü berreich te nun der H allenser F aku ltät ihre D issertation mit dem T ite l: „Quod nim is cito a c jucunde cu rare saepius fiat causa minus tutae cu rationis.“ Halle 1754. S ie behandelt ihr Them a sehr k lar und übersichtlich, indem sie den Sto ff, unter Ausschluß der chirurgischen und d iätetischen M aßnahm en, nach den verschied enen A rten von Heil­

m itteln gliedert, die zur E rzielung einer vo r allem schnellen und a n g e­

nehm en Linderung von K rankheiten angew andt w erden, und dann noch beson d ere F älle berü cksichtigt, in denen die G ründlichkeit der ärztlichen Behandlung unter der Sch n ellig k eit und dem E ntgegenkom m en g egen die W ü nsche des K ranken leidet. Die Abhandlung zeugt von klarem D enken und ernstem V erantw ortungsgefühl, ja von einem m ännlichen G eist.

Am 6. M ai 1754 fand dann die zw eistündige mündliche Prüfung statt, die sich auf Physiologie, P ath ologie, T h erap ie und A rzneim ittellehre erstre ck te . S ie bestand sie trefflich st, indem sie sich dabei in einem so gew andten L atein auszudrücken w ußte, „ut“ , so v ersich ert der D ekan Jo h a n n e s Ju n ck e r in B eg leitw orten zu der D issertation, „nobis vider- em ur audire ex antiquo L atio m atronam vernacu la loquentem “ . N ach­

dem der König auf den B erich t der F ak u ltät hin sie erm ächtigt hatte, die Kandidatin zu graduieren, erfo lg te unter g roßer Beteiligung der P ro fe sso ren - und Stu d enten sch aft im Hause des D ekans die feierlich^

P rom otion und Verleihung des P riv ilegs zu praktizieren, beschlossen von einer schw ungvollen lateinischen D ankesrede der F rau D oktor.

A cht Ja h re lang h at sie noch ihre ärztlichen K enntnisse zum Heil einer großen P atien ten sch aft, unter der die D echantin des fürstlichen D am enstiftes zu Quedlinburg, eine P rinzessin von H olstein-Plön, m it besonderem R espekt genannt w ird, anw enden können. Nachdem sie

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