Postoerlagsort Leipzig
DIE
NATURWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON
ARNOLD BE RL I NER
U N T E R B E S O N D E R E R M IT W IR K U N G V O N HANS SPEMANN IN F R E IB U R G I. BR.
ORGAN DER GESELLSCHAFT DEUTSCHER NATURFORSCHER UND ÄRZTE
U N D
ORGAN DER KAISER WILHELM-GESELLSCHAFT ZUR FÖRDERUNG DER WISSENSCHAFTEN V E R L A G V O N J U L I U S S P R I N G E R I N B E R L I N W 9
HEFT 24 (S E IT E 497— 512) 1 7 . JUNI 1927 FÜNFZEHNTER JAHRGANG
Über das Gesetz der großen Zahlen und die Häufig- keitstheorie der W ahrscheinlichkeit. Von R . v.
M i s e s , B e r l i n ... ... 497 Über die Erzeugung von Kathodenstrahlen großer
Intensität außerhalb der Röhre. (Mit 8 Figuren) 502 Zu s c h r i f t e n :
Eine neue Prüfungsm öglichkeit der R elativitäts
theorie. Von A l e x a n d e r v o n G a a l , Gogan (Siebenbürgen, R u m ä n ie n ) ... 506 On the structure of the hydrogen atom. Von
H . G h o s h , D acca ( I n d i a ) ... 506 Über das Funkenspektrum des Na. Von S .Fr i s c h,
L e n i n g r a d ...507 Zur Psychologie einiger Vogelarten. Von F r a n z
S e i l e r , T r i e r ... 508
Be s p r e c h u n g e n :
W u l f , T h e o d o r , Physik. (R ef.: W . W estphal, B e r l i n ) ... .... ...508 H a u s e n , H e l m u t h , Der Thomson-Joule-Effekt
und die Zustandsgrößen der L u ft bei Drucken bis zu 200 at und Temperaturen zwischen -f-10 und — 1 7 5 0 C. (Ref.: F. Henning, Berlin) . 508 G o e t z , A . Physik und Technik des Hochvakuums.
(Ref.; W . Germershausen, B e r l i n ...509 B i o l o g i s c h e M i t t e i l u n g e n a u s v e r s c h i e d e n e n
G e b i e t e n : Die Entstehung der Arten. Die Um w elt der Vierfüßler im Spätpalaeozoikum. Die Entstehung der Grabanpassungen bei Talpa europaea. Über die Zeckenlähmung in A u stralien. Zur Stechmückenbiologie. Die Schaben als Verbreiter pathogener K e i m e ...509
S r f i l e i f e i f t g a l v a n o m e f e r
für a lle te c h n isc h e n und w isse n sc h a ftlic h e n Z w eck e
Empfindlichkeit: 7 X 1 0 _9Amp. pro Skalenteil Widerstand: etwa 7 Ohm
Einsteilzeit: 0,25 sec.
Aperiodisch von 1— 1000 Ohm
G e e ig n e tfü r P ro je k tio n u. p h o to g r.R e g istrie ru n g G ro ß e T ra n sp o rtsic h e rh e it, da ohne A rre tie ru n g
d e s S tro m le ite rs
A p e r i o d i s c h e un d s c h n e lle E in s t e llu n g
Therm oelem ente und A p p a rate zur Strahlenm essung
Ausführliche 'Druckschrift „Asgalva 62“ kostenfrei durch
CARL ZEISS, JEN A
II D I E N A T U R W I S S E N S C H A F T E N . 1927. H eft 24. 17. Juni 1927.
DIE NATURWISSENSCHAFTEN
erscheinen wöchentlich und können im In- und Auslande durch jede Sortim entsbuchhandlung, jede Postanstalt oder den Unterzeichneten V erlag be
zogen werden. Preis vierteljährlich für das In- und Ausland RM 9.— . H ierzu tritt bei direkter Zustellung durch den V erlag das Porto bzw. beim B ezüge durch die Post die postalische Bestellgebühr. E inzelheft RM 1.— zuzüglich Porto.
M anuskripte, B ücher usw. an
Die Naturwissenschaften, Berlin W 9, Linkstr. 23/24, erbeten.
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V E R L A G V O N J U L I U S S P R I N G E R I N B E R L I N W 9
Gesammelte Werke
von
Carl Friedrich Gauß
Herausgegeben von der
Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen
Band I: D isq u isitio n es arith m eticae. Zweiter Abdruck. 478 Seiten. 1870. Kart. RM 48.—
Band II: H öhere A rithm etik. Zweiter Abdruck. 528 Seiten. 1876. Kart. RM 53.—
Nachtrag zum ersten Abdruck des zweiten Bandes. Seite 495—528. 1876. Kart. RM 3.80 Band III: A n alysis. Zweiter Abdruck. 499 Seiten. 1876. Kart. RM 50.—
Band IV: W ah rsch ein lich k eitsrech n u n g und G eom etrie. Zweiter Abdruck. 492 Seilen. 1880.
Kart. RM 50.—
Band V: M ath em atisch e Physik. Zweiter Abdruck. 642 Seiten. 1877. Kart. RM 64.—
Band VI: A stron om isch e A bhandlungen und A u fsätze. 664 Seiten, 1874. Kart. RM 69.—
Band VII: T h eo r ia M otus und th e o re tisch -a stro n o m isch er N achlaß. (Parabolische Bewegung, Störungen der Ceres und der Pallas, Theorie des Mondes.) 650 'Seiten. 1906.
Kart. RM 65.—
Band VIII: A rithm etik, A n alysis, W ah rsch ein lich k eitsrech n u n g, G eom etrie. [(Nachträge zu
Band I—IV.) 458 Seiten. 1900. {Kart. RM 46.—
Band IX: G eod äsie. (Fortsetzung von Band IV.) 528 Seifen. 1903. Kart. RM 53.—
Band X, Abteilung 1 : Nachlaß 'und B r ie fw e c h se l zur reinen M athem atik. (Nachträge zu Band I—IV und VIII.) T a g e b u ch . 586 Seiten. 1917. Kart. RM 59.—
Abteilung 2: A bhandlungen über Gauß’ w isse n sc h a ftlic h e T ä tig k e it auf den G ebieten d er rein en M athem atik.
Abhandlung I undV: Über Gauß’ z a h le n th e o re tisch e A rbeiten von P a u l B a c h m a n n . — Gauß und die V ariation srech n u n g von O s c a r B’o l z a . 95 Seiten. 1922. RM 17.—
Abhandlung IV: Gauß a ls G eom eter von P a u l S t ä c k e l . 123 Seiten. 1923. RM 12.50 N ach bildu ng d es T a g e b u ch s (Notizenjournals) 1796— 1814. RM 1.20 Band XI, Abteilung 1: Nachlaß und B r ie fw ec h sel zur P h ysik , A stron om ie und C hronologie.
(Nachträge zu Band V—VII.) V aria. In Vorbereitung
Abteilung 2: A bhandlungen über Gauß’ w isse n sc h a ftlic h e T ä tig k e it auf den G ebieten der a n g ew a n d te n M athem atik. (Geodäsie, Physik, Astronomie.)
Abhandlung I: Über d ie g eo d ä tisch en 'A rb eite n von Gauß von A. G a l l e . 165; Seiten.
1924. RM 17.—
Abhandlung II. In Vorbereitung
D ie Bände X2 und X I2 bestehen aus einzelnen Abhandlungen (Essays), die besonders paginiert sind und in der Reihenfolge ihrer Fertigstellung auch gesondert ausgegeben werden. M it der letzten Abhandlung eines jeden Bandes wird Titelblatt und Inhalts
verzeichnis geliefert.
Band XII: B io g ra p h isch es n eb st einem G en era lreg ister. In Vorbereitung
DIE NATURWISSENSCHAFTEN
Fünfzehnter Jahrgang 1 7 . Juni 1927 Heft 24
Uber das Gesetz der großen Zahlen und die H äufigkeitstheorie der W ah rsch ein lich k eit1).
V o n R . v . M i s e s , B erlin . U n ter den vielen sch w ierigen F ra g en , die m it
einer ra tio n ellen G ru n d leg u n g der W ah rsc h ein lich keitsth eo rie v e rk n ü p ft sind, g ib t es keine, in der solche V erw irru n g h errsch te, w ie in der F ra g e n ach dem In h a lt und der B e d e u tu n g des „ G e s e tze s der großen Z a h le n “ und seiner B e zie h u n g zu r sog.
H ä u fig k eitsth eo rie d er W a h rsc h ein lich k eit. D ie m eisten A u to re n pen deln zw ischen den beid en B eh au p tu n g en , die E rk lä r u n g d er W a h rsc h ein lich k e it eines E reign isses als G re n zw ert d er re la tiv e n H ä u fig k e it seines A u ftre te n s 'postuliere das P o i s s o n - sche G esetz o d er sie widerspreche ihm . K e in e s vo n beidem t r ifft zu.
D ie le tz te U rsach e d er V e rw irru n g lie g t bei P o i s s o n selb st, d er an versch ied en en S telle n seiner
>,Recherches sur la p ro b a b ilite des ju g e m e n ts“
(l837) zw ei g a n z versch ied en e A u ssag en m it dem gleichen N am en b e le g t und w o h l a u ch ta ts ä c h lic h fü r gleich b ed eu ten d h ä lt. In d er E in le itu n g des B u ch es sp rich t er sich g a n z d e u tlich a u s : 2) „ E r scheinungen v e rsch ied en ster A r t sind einem a ll
gem einen G esetz u n terw o rfen , d as m an d as ,G esetz der großen Z a h le n ' nen nen k a n n . E s b este h t darin, d aß , w en n m an seh r g ro ß e A n za h len vo n E reign issen d er gleich en A r t b e o b a ch te t, die vo n ko n stan ten U rsach en und vo n solch en ab h än g en , die un regelm äß ig, n ach d er einen und anderen R ic h tu n g v e rä n d erlich sind, ohne d a ß ihre V e r änd eru ng in einem b estim m ten Sinn fo rtsch reitet, m an zw ischen diesen Z ah len V erh ä ltn isse find en w ird, die n ah ezu u n ve rä n d erlich sind. F ü r jed e A r t vo n E rsch ein u n gen h a b en diese V erh ä ltn isse einen speziellen W e rt, dem sie sich u m so m ehr nähern, je g rö ß er die R e ih e d er b e o b a ch te te n E r scheinu ngen ist, u n d den sie in a lle r S tren ge e r
reichen w ü rd en , w en n es m ö g lich w äre, die R eih e der B e o b a ch tu n g en ins U n en d lich e a u szu d eh n e n ."
A u s diesen W o rte n u n d den a n sch ließ en d en A u s führungen, die eine F ü lle v o n E rfa h ru n g sm a te ria l v or dem L eser au sb reiten , g e h t ga n z u n zw e id eu tig h ervor, d a ß h ier m it „ G e s e tz d er groß en Z a h le n “ eine B e o b a ch tu n g s- od er Erfahrungstatsache ge
m eint ist. D ie Z ah len , vo n deren V erh ä ltn issen die R ed e ist, sind o ffe n b a r die W ie d erh o lu n g s
zahlen d er ein zeln en E reign isse od er d er v e r l ) Aus einem demnächst bei Julius Springer, Wien, erscheinenden Buche: „Ü b er Wahrscheinlichkeit, S ta
tistik und W ahrheit.“ Schriften zur wissenschaft- ichen W eltanschauung, herausg. von P h . F r a n k und M. S c h l i c k , Bd. 1 .
Ü b e r s e t z t n a c h d e m f r a n z ö s i s c h e n O r i g i n a l v o n
* 57. S . 7 ; e t w a s a b w e i c h e n d v o n C . H . S c h n u s e , B r a u n s c h w e i g 1 8 4 1 , S . V .
Nw. 1937
schiedenen A u sgan g sm ö glich k eiten eines V e r
such es. W ir nennen, w enn ein E reign is in n V e r
such en m -m al e in tritt, den Q u o tien ten m : n die
„ r e la tiv e H ä u fig k e it“ seines A u ftrete n s. H iern ach lä ß t sich d er In h a lt des vo n P o i s s o n in seiner E in le itu n g d a rg elegten G esetzes au ch so a u s
sp rech en : D ie relative H äufigkeit, m it der ein E r eignis a u f tritt, nähert sich bei andauernder F ort
setzung der Versuche immer mehr einem festen Wert.
N a tü rlic h ist eine u n b eg ren zte A n n äh eru n g an den E n d w e rt n ich t w irk lich b e o b a ch tb a r, w eil eine u n en d lich e V ersu ch sreih e u n au sfü h rb a r ist. A llein , so w e it ü ber d as u n m ittelb a r d u rch B e o b a c h tu n g G egeb ene hin au szu g eh en , d a ß m an vo n einem G re n zw ert in ein er u n en d lich en F o lg e sp rich t, das ersch ein t jedem , der e x a k te N a tu rw isse n sch aft b e tre ib t, ga n z selb stve rstän d lich . W ir d efin ieren au ch die M assend ich te als G re n zw ert des Q u o tien ten M asse d u rch V o lu m en , den m an bei u n b eg ren zt fo rtg e se tzte rV e rk le in e ru n g des b e tra c h te te n R a u m teils e rh ä lt — o b w o h l w ir eine u n b eg ren zte T eilu n g d er M aterie w ed er ausfü h ren kön nen n och fü r m ö g lich h a lten . W ü rd e m an m it „ G e s e tz der groß en Z a h le n “ im m er n u r das m einen, w as P o i s s o n in sein er E in leitu n g so b e ze ich n et h a t, so w äre es ga n z ric h tig , zu sagen, d a ß dieses G esetz die E rfa h ru n g sg ru n d la g e zu m A u sd ru c k b rin g t, a u f die sich die e tw a ig e D e fin itio n d er W a h r
sch e in lich k eit als G re n zw ert der re la tiv e n H ä u fig k e it stü tze n m uß.
A lle in ein g ro ß er T e il des P o isso N sch e n W erk es ist der A b le itu n g und d er B e sp rech u n g eines b e stim m ten m athematischen Theorems gew id m et, fü r das P o i s s o n selb st w ied er die B e ze ich n u n g „ G e s e tz d er großen Z a h le n “ b e n u tzt, und d as h eu te zu m eist u n ter diesem N am en , m a n ch m al a u ch als „ P o is -
s o N s d i e s G e se tz “,, sch lech th in a n g efü h rt w ird . D ieses T h eorem ist eine gew isse V era llg em e in e ru n g eines schon vo n J a c o b B e r n o u l l i (1713) h e r
rü h ren d en S atzes, den w ir in fo lgen d er F o rm a u s
sprechen k ö n n en : W en n m an einen ein fach en A lte rn a tiv v e rs u c h , dessen p o sitiv es E rg eb n is die W ah rsc h ein lich k eit p b esitzt, n -m al w ied e rh o lt und m it * eine b elieb ig klein e p o sitiv e Z a h l b e
zeich n et, so geh t die W a h rsc h ein lich k eit d afü r, d a ß der V ersu ch m in d esten s (p n — sn) m al und h öch stens [p n + e n )m a l p o sitiv a u sfä llt, m it w ach sen d em n gegen E in s. K o n k re te r a u s g e d rü c k t:
W en n m an io o m a l m it ein er M ünze „ K o p f oder A d le r“ w irft, so g ib t es eine gew isse W a h rsc h ein lich k e it d afü r, zw ischen 49 und 51 m al die „ K o p f “ seite zu tre ffe n ; w irft m an 1000m al, so ist die W a h r
sch e in lich k eit 490 bis 5 io m a l „ K o p f “ zu w erfen, 39
498 v. Mi s e s: Das Gesetz der großen Zahlen und die H äufigkeitstheorie der W ahrscheinlichkeit, f D ie N atur
wissenschaften sch on grö ß er; noch n äh er an 1 lie g t d ie W a h r
s c h e in lic h k eit d afü r, u n ter 10000 V ersu ch e n m in d esten s 4900 und h ö ch sten s 5100 „ K o p f 'e r g e b n is s e zu erzielen usf. H ie r is t e rsich tlich p — | und e — 11W g e setzt. D ie P o isso N sclie E rw e ite ru n g des S a tze s g e h t n u r dah in , daf3 d ie V ersu ch sreih e n ic h t m it einer M ün ze u n d auch n ic h t m it la u te r gleichen a u sg e fü h rt w erd en m u ß ; m an d a rf je d e s m a l ein e and ere M ün ze nehm en , n u r m üssen die M ünzen in ih rer G e sa m th e it d ie E ig e n s c h a ft b e sitzen , d a ß d as a rith m e tisc h e M ittel au s den n W a h rsc h ein lich k eiten eines K o p fw u rfe s den W e rt o b e sitz t. E in e n och a llgem ein ere F a ssu n g des S a tze s, die d u rch T s c h e b y s c h e f f in beson ders e in fa c h e r F o rm a b g e le ite t w u rd e, b e zie h t sich a u f den F a ll, d a ß die ein fach e A lte r n a tiv e (,,K o p f oder A d le r“ ) d u rch einen V ersu ch vo n m eh rfa ch er A u sg a n g sm ö g lic h k e it e rse tz t w ird . F ü r unsere g ru n d sä tzlic h e E rö rte ru n g g e n ü g t es d u rch au s, die en g ste F o rm , w ie sie beim gew ö h n lich en S p iel m it ein er M ün ze a u ftr itt, ins A u g e zu fassen. W ir fr a g e n : W ie h ä n g t d er In h a lt des bew iesen en m a th em a tisch en S a tze s, den w ir d er K ü r z e h a lb e r als ,,P o is s o N s c h e s T h e o re m “ b ezeich n en w ollen, m it d er E rfa h ru n g s ta ts a c h e zu sam m en , die P o is - s o n an die S p itze sein er B e tr a c h tu n g e n g e s te llt h a t?
K a n n m an w irk lic h b e h a u p te n , d a ß jen e T a tsa c h e d u rch diesen S a tz w ied erg egeb en w ird oder d a ß ü b e rh a u p t h ier d u rch th eo retisch e Ü b erlegu n g en e tw a s a b g e le ite t w u rd e, w as sich an d er B e o b a c h tu n g p rü fen lä ß t und d u rch sie b e s tä tig t w ird ? U m diese F ra g e zu b e an tw o rte n , m üssen w ir d a v o n au sgeh en , w a s B e r n o u l l i un d seine N a c h fo lg er u n te r W a h rsc h e in lic h k e it versteh en . W enn w ir in d ie A u ssag e des P o is s o N s c h e n T h eorem s fü r d as W o r t „W a h rs c h e in lic h k e it“ d as ein setzen , w o d u rch die W a h rsc h e in lic h k e it b ei P o i s s o n d e fin ie rt w ird , so m üssen w ir den vo llstä n d ig e n In h a lt des S a tze s restlos erfassen . N u n is t die klassisch e W a h rsc h ein lich k eitsd efin itio n d a d u rch g e k e n n zeich n et, d a ß sie k ein erlei B e z u g n im m t a u f d ie H ä u fig k e it d e s A u ftre te n s eines E reign isses, so n dern rein fo rm a l e rk lä rt: W a h rsc h e in lic h k e it ist d er Q u o tie n t au s der A n z a h l d er „ g ü n s tig e n “ F ä lle d u rch d ie G e sa m tza h l a lle r „g le ic h m ö g lic h e n “ F ä lle . B e i ein er n orm alen M ünze is t d as A u ffa lle n a u f die eine o d er an d ere S eite „g le ic h m ö g lic h “ , der eine d ieser F ä lle is t d em E rsch ein en d er K o p f
seite „ g ü n s tig “ , d em n a ch is t die W a h rsc h e in lic h k e it des „ K o p f “ ergebnisses N a c h d ieser E r k lä ru n g , die d e r A b le itu n g des P o is s o N s c h e n T h eorem s au sschließlich zu g ru n d e lieg t, is t d er A u sd ru c k , ein E re ig n is h a b e ein e W a h rsc h e in lic h k e it n ah e 1, g le ich b e d eu te n d m it d er A u ssag e, d a ß fa s t alle u n te r den „ g le ic h m ö g lic h e n “ F ä lle n zu den ih m „ g ü n s tig e n “ geh ören . F ü h r t m an m it ein er M ün ze n W ü rfe aus, so g ib t es b ei g ro ß em n a u ß e ro rd en tlic h v ie le E rg e b n ism ö g lic h k e ite n ; es ka n n d er erste W u rf „ K o p f “ , jed e r an d ere „ A d le r “ erge b en ; d er erste u n d d er zw e ite „ K o p f “ , die n äch sten „ A d le r “ ; es kö n n en die ersten z w a n zig und die le tz te n d re iß ig W ü rfe „ K o p f “ zeigen, die
ü b rigen „ A d le r “ usf., in w a h rh a ft seh r re ich h altig e r A b w e ch slu n g . Jede d ieser E rg eb n isserien m u ß als
„g le ic h m ö g lic h “ gelten , w enn m an fü r die W a h r sch e in lich k eit eines „ K o p f “ w urfes, also fü r die oben m it p b ezeich n ete G röße, setzt. W ä h len w ir w ied er £ — ,,, „ , so b e sa g t das P o is s o N s c h e T h e o rem : U n te r den seh r vielen E rgeb n issen , die bei großem n m ö glich sind, h ab en w eita u s die m eisten die E ig e n sc h a ft, d a ß d ie A n z a h l der in ihnen vo r- kom m enden „ K o p f'e r g e b n is s e um h ö ch sten s —^n
n ach oben od er u n ten von U a b w e ich t.
2
U m uns die A u ssag e noch a n sch a u lich er zu m ach en, w ollen w ir uns eine E rg eb n isserie des S p ieles m it einer M ün ze so d a rg estellt denken, d a ß w ir fü r die K o p fs e ite jed esm al eine i , ‘ fü r die and ere eine o a n sch reib en . A u f diese W eise e n t
s p ric h t je d e r m öglich en Serie vo n n = 100 W ü rfen eine b e stim m te h u n d e rtstellig e Z ah l, m it N u llen u nd E in sern als ein zigen Z iffern . W enn m an ü b e r
ein k o m m t, e tw a ig e N u llen lin k s v o m ersten E in ser zu streich en , so s te llt au ch jed e solche Z ah l von w en iger als h u n d e rt S tellen eine V ersu ch sserie dar.
M an ka n n im P rin zip alle diese Z ah len, vo n denen jed e ein gleich m ö g lich es E rg eb n is rep räsen tiert, n ach einem e in fach en S ch em a h in terein an d e r a u f
schreiben. D ie ersten, d er G röß e n ach geord n et, s in d :
1, 10, 1 1 , 100, 10 1, 110, I I I , 1000, 1001 usw . D a b e i b e d e u te t z. B . 10 1, d a ß in der V ersu ch sreih e zu erst 97 (näm lich 100 m in us 3) N u llen stehen, d an n eine E in s, h ie ra u f eine N u ll, en d lich w ied er eine E in s fo lg t. D ie Z a h l 1001 b e d eu te t, d a ß erst 96 N u llerg eb n isse kom m en , d an n eine E in s usf.
H ä tte n w ir n = 1000, so w ü rd e die Zahlenreihe, die säm tlich e E rg eb n ism ö glich k eite n liefert, in der g lei
chen W eise b eginn en, n u r seh r v ie l lä n g er w erd en , d a m an je t z t bis zu 1000 S telle n gehen m u ß , und es w ü rd e 101 b ed eu ten , d a ß zu erst 997 N u llen k o m m en, dann d er erste E in se r usf. D e r P o is s o N s c h e S a tz ist nun n ich ts als eine A u ssag e ü b er diese Z ah len, vo n denen die ersten a n gesch rieb en sind.
W en n w ir a lle au s N u llen u n d E in sern geb ild ete Z ah len bis zu den io o s te llig e n nehm en, so w erden die m eisten u n ter ihnen 49 — 51 E in se r au fw eisen ; w enn w ir b is zu den io o o s te llig e n gehen, so finden w ir, d a ß ein n och g rö ß erer P ro ze n ts a tz u n ter ihnen 490 ~ 5 i o E in se r b e sitz t, u n d dieses V e rh a lte n w ird bei w eiterer V e rg rö ß eru n g d er S te lle n z a h l im m er a u sg ep räg ter. D e r vollständige In h a lt des T h eorem s (für p = -<■), w ie es bei B e r n o u l l i und P o i s s o n bew iesen ist, lä ß t sich, w en n w ir s = 0,01 w äh len , w ie fo lg t a u s s p re c h e n : Schreibt m an alle aus N u lle n u n d E in sern bestehende Z a h len bis ein schließ lich der n-stelligen der Größe nach geordnet auf, so bilden diejenigen unter ihnen, bei denen die A n za h l der E in ser m indestens 0,49 n und höchstens 0,51 n be
trägt, eine m it wachsendem n immer stärker werdende M ajorität. D ie A u ssag e ist rein arithmetischer N atur, sie b e zie h t sich a u f gew isse Z ah len , ü b er deren E ig e n sc h a ften e tw a s a u sg e sa g t w ird . M it dem , w as
v. Mi s k s: Das Gesetz der großen Zahlen und die H äufigkeitstheorie der W ahrscheinlichkeit. 499 Heft 24. 1
17. 6. 1927J
bei der ein- od er m eh rm aligen V o rn ah m e vo n 100 W ü rfen w irk lich gesch ieh t, d. h. w elch en Z ah len und in w elch er A n o rd n u n g die w irk lic h ein treten d en
\ ersuchsserien en tsp rech en w erd en , d a m it h a t das G an ze n ich ts zu tu n . E in S ch lu ß a u f den A b la u f einer V ersu ch sreih e is t im R a h m e n dieses G ed a n k en ganges n ich t m öglich , w eil n ach der angen om m en en D efinition d er W a h rsc h e in lic h k e it diese n u r etw as über das V e rh ä ltn is zw isch en der A n z a h l der gü nstigen und u n gü n stig en F ä lle b esa g t, a b er n ich ts über die H ä u fig k e it, m it d er ein E reig n is e in tritt oder a u sb leib t. M an sieh t seh r leic h t ein, d a ß sich unsere B e tra c h tu n g e n g ru n d sä tzlich a u f jed en a n deren F a ll an S telle des „ K o p f - oder A d le r “ spieles übertragen lassen : W en n es sich e tw a um das S p iel m it einem „ r ic h tig e n “ W ü rfe l h a n d elt, so treten nur an S telle der au s N u llen und E in sern b e
stehenden Z ah len alle n -stelligen Z ah len m it den Z iffern 1 — 6 und das T h eorem b e sa g t dann, d a ß
1 • bei großem n d iejen ig en Z ah len, die u n gefäh r n
E in ser en th alten , eine ü b erw ieg en d e M a jo r itä t b il
d e11- — Wi r fassen das b ish er G esa g te zu sam m en : Solange m an m it einem W ahrscheinlichkeitsbegriff arbeitet, der keinen Bezug nim m t a u f die H ä u fig keit des Eintretens des Ereignisses, führt die mathe
matische A bleitung von B ern ou lli-P oisson -T sch eb y - scheff zu keiner wie immer gearteten A ussage über den A b la u f einer Versuchsreihe und läßt sich daher in keinen Zusam m enhang bringen m it der all
gemeinen Erfahrungsgrundlage, von der P o isso n au s- gegangen war.
W ie k a m nun a b er P o i s s o n d azu , in seiner m ath em atisch en A b le itu n g eine B e stä tig u n g jen es erfah ru n gsgem äß en V erh a lten s zu sehen, das er in seiner E in le itu n g als „ G e s e tz d er großen Z a h le n "
b ezeich n et h a tte ? D ie A n tw o r t a u f diese F ra g e kan n n iem and em sch w er fallen , d er sie sich einm al stellt. Sie la u te t: P o i s s o n h a t dem W o r t „ W a h r sch e in lich k eit" am E n d e seiner R e ch n u n g eine andere B e d e u tu n g b e ig ele g t als die, die er ih m zu A nfang gegeb en h a tte . D ie W a h rsc h ein lich k eit V eines „ K o p f" w u r fe s , die in die R e ch n u n g ein geh t, soll nur der Q u o tie n t d er „ g ü n s tig e n " d u rch die .> gleich m ö g lich en " F ä lle sein, a b er die W a h r
sch ein lich keit n ah e 1, die aus d er R ech n u n g h e rv o r
g e h t und in seinem S a tze die entsch eid en d e R o lle spielt, die so ll b ed eu ten , d a ß das b etreffen d e E r eignis, n äm lich das A u ftre te n vo n 490 — 510 ,, K o p f "w ü rfe n in einer Serie v o n 1000 V ersu ch en , fa s t im m er, bei fa s t jed em Serienversu ch , b e o b a c h te t w ird ! N iem an d kan n b eh au p ten , d aß eine solche B ed eu tu n g sv ersch ie b u n g zw isch en B e g in n und E n d e einer R e ch n u n g s t a t t h a ft w äre. W e n n m an die klassisch e D e fin itio n d er W a h rsc h ein lich k eit u n b ed in g t a u fre c h t erh alten will* so lä ß t sich die gew ü n sch te B e d e u tu n g des P o isso N sch e n T h eorem s n u r retten , w en n m an — als deus e x m a ch in a — eine H ilfshypothese h in zu n im m t: S o b a ld eine R ech n u n g fü r ein E re ign is einen W a h rsc h ein lich k eitsw ert, der n u r w en ig k lein er als 1 ist, ergeben b at, tr itt dieses E reign is bei fo rtg e setzte n V e r
such en fa s t jed esm al e in 1). W a s is t das aber and eres als eine, w enn au ch e tw as ein gesch rän kte, H ä u fig k e itsd e fin itio n der W ah rsc h ein lich k eit?
W’ enn ein W a h rsc h ein lich k eitsw e rt v o n 0,999 b e d eu ten soll, d aß das E reign is fa s t im m er b e o b a c h te t w ird, w aru m n ic h t gleich zugeben , d a ß 0,50 W a h r
sch e in lich k eit h e iß t: das E reig n is t r if f t in der H ä lfte a lle r F ä lle ein? F re ilich m uß diese F e s t
setzu n g n och p rä zisie rt w erd en und d a m it allein ist es a u ch n och n ich t getan . M an m u ß e rst zeigen, d a ß aus einer entsprech en d p rä zisierten H ä u fig ke itsd efin itio n der W a h rsc h ein lich k eit sich der P o isso N sch e S a tz a b leiten lä ß t; der G ed a n ken g a n g des klassisch en B ew eises w ird sich d a b ei in e n t
sch eiden den P u n k ten ändern . — D a s V erfah ren , nach der A b le itu n g eines S a tze s einem darin v o r k o m m en d en A u sd ru c k eine neue D e u tu n g zu geben, ist sicher n ic h t b efried ig en d . W ir kom m en a u f die F ra g e d er ric h tig e n A b le itu n g des P o isso N sch e n T h eorem s n och zu rü ck und stellen v o re rs t n o c h m a ls fe s t: N u r w en n die W a h rsc h ein lic h k eit in irgen d ein er F o rm als H ä u fig k e it des E reig n is
e in trittes e rk lä rt w ird, lä ß t sich d as E rg eb n is d er P o isso N sch e n R e ch n u n g in B e zie h u n g setzen zu dem , w as P o i s s o n in der E in le itu n g seines B u ch es als „ G e s e tz d er großen Z a h le n " bezeich n et.
N u n w ird m an a b er m it R e c h t fo lgen d en E in w an d m ach en. W en n m an die W a h rsc h ein lich k eit eines „ K o p f" w u r fe s als den G re n zw ert der re la tiv en H ä u fig k e it, m it d er „ K o p f " fä llt, defin ieren w ill, m u ß m an voraussetzen, d a ß es einen solchen G re n z
w ert g ib t, m it an d eren W o rte n , m an m u ß das
„ G e s e tz d er groß en Z a h le n " d er P o isso N sch e n E in le itu n g v o n vo rn h erein als g ü ltig anneh m en.
W elch en Z w ec k k a n n es d an n n och h ab en , d u rch m ü h sam e R e ch n u n g den W e g zu einem T h eorem zu bah n en , d as d o ch n u r d asselb e au ssagt, w as schon als g ü ltig v o ra u sg e se tz t w u rd e ? D a ra u f a n t
w o rten w i r : D e r S a tz, d£r als R e s u lta t d er m a th e m a tisch en D e d u k tio n v o n B e r n o u l l i - P o i s s o n - T s c h e b y s c h e f f ersch ein t, sag t, w en n m an ein m al die H ä u fig k e itsd e fin itio n d er W a h rsc h ein lich k eit an gen om m en h a t, ungleich mehr au s als die blo ß e E x is te n z eines G ren zw ertes, e r is t seh r v ie l inhalts
reicher als d as in d er P o isso N sch e n E in le itu n g a u s
gesproch ene „ G e s e tz der g ro ß en Z a h le n " . Sein w esen tlich er In h a lt is t dann eine b e stim m te A u s sage ü b er die A nordnung, e tw a d er „ K o p f " - und
„ A d le r " w ü r fe , b ei u n b eg re n zt fo rtg e se tzte m S p iel.
M an k a n n ohne S c h w ie rig k eit E rsch ein u n gsreih en angeben, fü r die d as z u trifft, w as P o i s s o n in seiner E in leitu n g als k en n zeich n en d au ssp rich t, ohne d aß fü r sie das P o isso N sch e Theorem G e ltu n g h ä tte . U m dies einzusehen, w ollen w ir eine g a n z b estim m te V ersu ch sfo lg e b e trach ten , die ta ts ä c h lic h die E ig e n s c h a ft b e sitzt, d a ß die re la tiv e H ä u fig k e it des p o sitiv en E rg eb n isses sich dem W e rt 2 n äh ert, w ie dies beim „ K o p f- oder A d le rsp ie l" d er F a ll ist, fü r die ab er der P o isso N sch e S a tz n ich t zu R e c h t
x) So h ilft sich z. B. H. We y l in „Philosophie der M athem atik und Naturwissenschaften" (S. A . aus H andbuch der Philosophie) München 1927, S. 151.
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500 v. Mi s e s: Das Gesetz der großen Zahlen und die H äufigkeitstheorie der W ahrscheinlichkeit. T Die Natur- [wissenschaften b e ste h t. S e lb stv erstä n d lic h is t d as eine V ersu c h s
reihe, a u f die n iem and , d er ihre E ig e n sch a ften k e n n t, die W a h rsc h ein lich k eitsre ch n u n g anw en d en w ird . A b e r un ser Z iel ist ja nur, zu zeigen, d aß d urch das P o is s o N s c h e T h eorem den B e o b a c h tu n g s
folgen , die in d er W a h rsc h ein lich k eitsre ch n u n g b e
tra c h te t w erd en , eine beson d ere, fü r sie ty p isc h e E ig e n s c h a ft zu g esch rieb en w ird .
W ir nehm en als V e rs u c h s o b je k t eine Quadrat
wurzeltafel, d. i. eine T a b e lle, die zu den au fein an d er fo lgen d en gan zen Z a h len 1,2,3, . . . in in f. die W e rte ih rer Q u a d ra tw u rze ln e tw a a u f fü n f od er m eh r D e zim alstellen gen au a n g ib t. U n sere A u f m e rk sa m k e it len ken w ir au ssch ließ lich a u f die Z iffer, die jed e sm a l an der fü n fte n S telle h in ter dem K o m m a steh t, und w ollen als „ p o s itiv e s ” V e r su ch serg eb n is, das w ir au ch m it ein er , , 1 “ be
zeich n en, den F a ll ansehen, d a ß die fü n fte Z iffer eine 5, 6, 7, 8 oder 9 ist. M it N u ll od er als „ n e g a t iv e s “ V ersu ch serg eb n is sei eine Z a h l b ezeich n et, w en n ihre Q u a d ra tw u rze l an fü n fte r S telle eine o, 1, 2, 3 od er 4 a u fw e ist. A u f diese A r t e rh a lten w ir als E rg eb n is d er gan zen B e o b a ch tu n g sreih e eine F o lg e vo n N u llen u n d E in sern , die in b e s tim m ter W eise ab w ech seln . W e n n au ch jed e rea le T a fe l n a tu rg e m ä ß b ei irg en d ein er Z a h l a b b rech en m u ß , m a c h t es k ein e S ch w ie rig k eit, die F o lg e d er N u lle n u n d E in se r sich u n b esch rä n k t fo rtg e s e tz t zu d en k en . E s is t p lau sib el und lä ß t sich m a th e m a tisc h e x a k t b ew eisen 1), d a ß in dieser F o lg e die re la tiv e H ä u fig k e it sow oh l d er N u llen w ie d er E in se r den G ren zw ert 1 b e sitzt. J a es g ilt d er n och etw a s allg em ein ere S a tz, d a ß an der fü n fte n S telle d er Q u ad ra tw u rze ln jed e d er zehn Z iffern 0 — 9 m it der re la tiv e n H ä u fig k e it TV in d er u n en d lich en R e ih e a u f tr itt. N u n a b er w ollen w ir sehen, o b d as V e rh a lte n u n serer F o lg e vo n N u llen u n d E in sern e tw a a u ch dem e n tsp rich t, w a s d as P o is s o N s c h e T h eo rem fo rd e rt. D a n a ch m ü ß te , w en n m an eine gen ü gen d große Serienlänge n w ä h lt, in d er u n en d lich en F o lg e fa s t jed e Serie v o n n Z iffern u n g e fäh r zu r H ä lfte aus N u llen und u n g e fäh r zu r H ä lfte aus E in sern besteh en . D er A n fa n g d er T a fe l w eist in der T a t ein d era rtig es B ild a u f, w o v o n m an sich le ic h t ü b erzeu gt, w enn m an e tw a die A n z a h l d er a u f je ein er S eite steh e n den Z ah len zu r S erien län g e w ä h lt und d an n fe s t
s tellt, w ie o ft eine Z iffer kle in e r od er gleich 4 an fü n fte r S telle sich fin d e t. A b e r w ie es w e ite r geh t, w e n n m an sich die T a fe l ü b er d as ta ts ä c h lic h G e d ru c k te h in au s fo rtg e s e tzt d e n k t, das m u ß uns ein e k lein e R e c h n u n g leh ren. Wrir b en u tzen d a b ei die le ic h t zu erw eisen d e F o rm el, n ach der die Q u a d ra t
w u rz e l au s dem A u s d ru c k a ä -)• 1, w en n a seh r g ro ß gegen 1 ist, u n g e fä h r a + — ist. S etzen w ir e tw a a gleich ein er M illion, also a 2 gleich einer B illio n , so sehen w ir, d a ß die Q u a d ra tw u rze l,
x) V gl. z. B. G . Pö l y a und G . Sz e g ö, Aufgaben und Lehrsätze aus der Analysis, Bd. I, S. 72 u. 238.
Berlin 1925. Hier wird auch gezeigt, daß für eine Logarithm entafel der entsprechende Satz nicht gilt.
w en n m an in d er T a fe l v o n a2 — i o 12 u m eine Z eile fo rtsch reitet, sich n u r u m i 10 ~6, d. i. um eine h a lb e E in h e it d er sech sten S telle , än d ert.
E r s t w en n m an u n g e fä h r zehn S c h ritte g e m a ch t h a t, e rh ö h t sich der W u rz e lw e rt u m fü n f E in h eite n d er fü n fte n S telle . D ies b e d eu te t, d a ß in der G eg en d d er T a fe l, in d er a u n g e fäh r eine M illion b e trä g t, unsere F o lg e v o n N u llen und E in sern re g e lm äß ig e Ite ra tio n e n e tw a d er L ä n g e 10, und z w a r ab w ech seln d solch e v o n 10 N u llen u n d vo n 10 E in sern , au fw eisen m u ß . G eh en w ir n och w eiter, z. B . bis a gleich h u n d e rt M illionen, so le h rt die gleich e Ü b erleg u n g , d a ß je t z t Ite ra tio n e n d er u n g efäh ren L ä n g e 1000, u n d z w a r a b w ech seln d solche vo n N u llen und E in sern , a u ftre te n w erd en usf.
D ie S tru k tu r d er au s d er Q u a d ra tw u rze lta fe l h erv o rg eg a n gen en F o lg e vo n N u llen u n d E in sern is t also eine ga n z an d ere als die, die in Ü b e re in stim m u n g m it allen E rfa h ru n g en d as P o isso N sch e T h eo rem fü r eine solche F o lg e fo rd ert, die das E rg eb n iss eines fo rtg e setzte n ,,K o p f- od er A d le r “ - spieles d a rstellt. N u r in ih ren ersten A n fä n g en ze ig t sie eine sch ein b are R e g e llo sig k eit, im w e i
teren V e rla u f b e ste h t sie au s regelm äß igen I t e ra tio n en vo n lan gsam , a b er u n b esc h rä n k t w ach se n der L än ge . D e r W id e rsp ru ch gegen d as P o is s o N sche T h eorem lie g t a u f d er H an d . W ä h le n w ir ein noch so g ro ß es festes n als Serien län g e, so w ird, w en n m an n u r gen ü gen d w e it fo rtsc h reitet, die L ä n g e d er Ite ra tio n e n grö ß er als n. E s w erd en vo n d a an fa s t alle Serien au s la u te r N u llen od er la u te r E in sern b esteh en , w äh ren d n ach dem P o i s s o n - schen T h eo rem fa s t a lle zu r H ä lfte au s N u llen und zu r H ä lfte au s E in sern zu sam m en ge se tzt sein so llten . M an sieh t, d a ß hier, im F a lle d er Q u a d ra t
w u rzeln , d er H ä u fig k e itsg re n zw e rt } n u r d ad u rch zu sta n d e k o m m t, d a ß im m er annähernd gleich viel Serien lauter N u lle n bzw. lauter E in ser e n th a l
ten , w äh ren d im F a lle eines G lü ckssp ieles d er A u s g leich zw isch en N u llen und E in sern schon an nähernd innerhalb jeder oder fast jeder Serie erfo lg t.
M an k ö n n te dieses B e isp iel n eb en b ei d azu b e n u tzen , um zu zeigen, w ie k ritik lo s h e u tig e M a th e m a tik e r F ra g e n d er W ah rsc h ein lich k eitsre ch n u n g b eh an d eln . In fa s t jed em L eh rb u c h fin d en sich als B eisp iele fü r die A n w en d u n g d er L e h rsä tz e der W ah rsc h ein lich k eitsre ch n u n g Z a h len fo lg en der eben b esp roch en en A r t an g efü h rt, die diesen L e h r
sätzen d ire k t w id ersp rech en und den V o ra u s setzu n gen ein er w ah rsch e in lich k eitsth e o retisch e n B e tr a c h tu n g schon ih rer H e rk u n ft n ach n ich t g e n ügen kön nen . G a r n ich t zu reden vo n dem d u rch P o i n c a r e a u fg e b ra ch ten B e isp iel d er L o g a rith m en ta fel, in dem — w en n m an ric h tig rech n et
— sich zeig t, d a ß n ich t ein m a l d er G re n zw ert der re la tiv e n H ä u fig k e it v o rh a n d e n ist. V o n den K la ssik ern d er W a h rsc h ein lich k eitsre ch n u n g B e r - n o u l l i , P o i s s o n , L a p l a c e rü h ren au ch zah lreich e rein a n a ly tisc h e S ä tze aus dem G eb ie t d er R e ih e n lehre, d er In teg ra lre ch n u n g usf. her, deren hohen W e rt im R a h m en d er h istorisch en E n tw ic k lu n g der A n a ly sis n iem an d a n zw eifeln w ird . T ro tzd em
Heft 24. ] v. Mi s e s: Das Gesetz der großen Zahlen und die H äufigkeitstheorie der W ahrscheinlichkeit. 501
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d e n k t kein M a th e m a tik e r d aran , h eu te diese S ä tze in ihrer a lte n F o rm u n v e rä n d e rt a u fre c h t zu e r
h alten . D ies v e rb ie te t sich schon d ad u rch , d aß in d er A n a ly sis alle gru n d leg en d en D efin itio n en , die erst einen sich eren sy ste m a tisch e n A u fb a u e r
m öglich en, in d er Z w isch e n zeit g a n z and ere ge
w orden sind. So s elb stv e rstä n d lic h dieses V e r h alten d er A n a ly tik e r ersch ein t, so e rstau n lich ist es, m it w elch v o lle n d e te r K ritik lo s ig k e it M a th e m a tik er ersten R a n g e s vo n h eu te, w ie E . B o r e l in F ra n k reich , H . We y l in D e u tsch la n d und viele andere, an d er ü b erlieferten F a ssu n g des B e r - N ouLLischen od er P o isso N sch e n T h eorem s ein sch ließ lich ih rer h isto risch en A b leitu n g e n im m er w ieder festzu h a lte n suchen, o b gleich h ier dieselben Zirkelsch lüsse, V erta u sc h u n g e n vo n G re n zü b e r
gängen und äh n lich e F eh ler vo rliegen , w ie sie aus der A n a ly sis lä n g st au sgem erzt w ord en sind.
D as B eisp iel d er a u s d er Q u a d ra tw u rze lta fe l h ervorgegan gen en N u ll- und E in sfo lge leh rt uns, d aß es E rsch ein u n gsreih en gib t, in denen die re la tiv e n H ä u fig k eiten d er ein zeln en E rg eb n is
m ö glich keiten b estim m te G ren zw erte b esitzen , ohne d aß zu gleich au ch d as P o isso N sch e T h eorem g ü ltig w äre. D a m it w ird v o r allem d er o ft w ied e r
h o lte E in w a n d e n tk r ä fte t, w o n a ch m it d er A n nahm e der H ä u fig k eitsd efin itio n d er W a h rsc h ein lich k eit schon d as B e ste h e n dieses T h eorem s p o stu liert w ü rd e 1). N o ch u n b eg rü n d e ter is t es, zu beh au pten, m it d er A n n ah m e, d a ß die re la tiv e H ä u fig k eit einen G re n zw ert b e sitzt, sehe m an das a ls „ sic h e r“ a n , w a s n a c h dem P o isso N sch e n oder BERN ouLLischen S a tz n u r als „ h ö c h s t w ah rsch e in lic h “ gelten k a n n 2). A ls eine S o n d erb a rk e it neueren D atu m s sei a u c h n och d er V ersu ch an g efü h rt, aus d er E x iste n z des G ren zw ertes und dem B esteh en des B E R N o u L L i - P o i s s o N s c h e n S a tze s einen neuen B e g riff des „sto c h a stisc h en G ren zü b erg an ges“ zu sam m en zu b rau en 3). A lle diese V erirru n gen e n t
stehen d arau s, d aß m an v o n d er k lassisch en W a h r
sch ein lich keitsd efin itio n au sgeh t, die nichts m it dem Erscheinungsablauf zu tun hat, und sich nachträg
lich einer A usdrucksw eise bedient, die a u f diesen A b lauf Bezug nim m t (,,es ist m it S ich erh eit zu e r
w arten, d a ß . . .“ ).
E s ist je t z t k la rg estellt, d a ß das vo n P o i s s o n im vierten K a p ite l seines B u ch es a b g ele itete T heorem , w en n m an den W a h rsc h ein lich k eits
b egriff als H ä u fig k e itsg re n zw e rt a u ffa ß t, eine w e r t
vo lle A u ssag e e n th ä lt, die ü b er die Anordnung der V ersuchsergebnisse, w ie sie in ein er lan g e fo r t
gesetzten V ersu ch sreih e zu erw arten ist, einigen A u fsch lu ß gib t. D ie F ra g e ist a b er n och offen , und z w a r ist dies die le tz te vo n uns zu erörtern d e, ob
x) G. Pö l y a, Nachr. v. d. Ges. d. W iss., Göttingen, Mathem.-physik. K l. 1921: „A lle Schriftsteller, die die W ahrscheinlichkeit als Grenzwert der H äufigkeit definieren, präsupponieren gewissermaßen . . . nicht nur das Bestehen des B E R N O U L L i s c h e n Gesetzes . . .“
2 ) H . W e y l , a. a. O. S. 152.
) E . Sl u t s k y, Über stochastische Asym ptoten und Grenzwerte. Metron 5, 1. 1925.
m an ü b e rh au p t das P o isso N sch e T h eorem n och m a th em a tisch b ew eisen kan n , w en n m an d ie H ä u fig k e itsd e fin itio n der W a h rsc h ein lich k eit z u gru n d e legt. D a zu ist zu bem erken , d a ß ein S a tz , d er e tw a s ü ber die W ir k lic h k e it au ssagen soll, n u r d an n m a th em a tisch a b le itb a r ist, w enn m an an die S p itze der A b le itu n g b estim m te, d er E r fa h ru n g entn om m en e A u sga n g ssä tze , sog. A x io m e , s tellt. In unserem F a ll b e ste h t das eine d ieser A xio m e , w ie aus allem B ish erigen h e rv o rg e h t, in d er A n n ah m e, d aß in n erh alb d er vo n der W a h r
sch e in lich k eitsre ch n u n g zu beh an d elnd en E r sch einu ngsreih en die re la tiv e n H ä u fig k e ite n d er ein zeln en E reign isse G ren zw erte b esitzen . D ies is t n ich ts and eres als d er a llg em ein e E rfa h ru n g ssa tz, den P o i s s o n in sein er E in le itu n g als „G e s e tz d er g ro ß en Z a h le n “ b ezeich n et und den er — m it U n re c h t — im v ie rte n K a p ite l seines B u c h e s b e
w iesen zu h a b en g la u b t, w äh ren d es sich in d er T a t u m ein u n b ew eisb ares A x io m h a n d elt. A b e r m it diesem einen A x io m allein ist es n ich t g etan . D a , w ie w ir geseh en h ab en , das P o isso N sch e T h eorem e tw a s au ssagt, w as mehr ist als die eine gru n d legen d e E rfa h ru n g sta tsa c h e , so m u ß m an in seine A b le itu n g u n b ed in g t au ch m ehr E rfa h ru n g sm ä ß ig es h in ein steck en als das erste A x io m . W a s dieses M ehr ist, h ab e ich b ei an d erer G eleg en h eit a u sfü h r
lich d a rg e le g t1). M an m u ß die E rsch ein u n gsreih en a u f die sich die w ah rsch e in lich k eitsth e o retisch e B e tra ch tu n g sw eise erstrecken soll, ab gren zen gegen d iejen ig en , die, w ie die frü h er b e h a n d e lte Q u a d ra t
w u rzelta fe l, in fo lg e ein er ih n en in new oh n end en G e se tz m ä ß ig k e it sich d ieser A r t der B e tr a c h tu n g en tzieh en . D a zu d ie n t d as A x io m d er „ R e g e l
lo s ig k e it“ oder, w ie m an es a u ch a n sch a u lich er b e
zeich n en kan n , das „ P r in z ip v o m ausgesch lo ssen en S p ie ls y s te m “ . W ie die m oderne P h y s ik au s den ja h rh u n d e rte la n g m iß g lü c k te n V ersu ch en d er per- p etu u m m o b ile-E rb a u er d as w e rtv o lle E n e rg ie gesetz od er P rin zip des au sgesch lossenen per- p etu u m m o b ile ab gezo gen u n d zu ein er ih rer sich ersten G ru n d la g en g e m a ch t h a t, so m üssen w ir uns die E rfa h ru n g en d er S y stem sp iele r in den S p ielb a n k en zu n u tze m ach en. E s is t in M o n te C arlo n ic h t m öglich , d u rch sy ste m a tisch e A u sw a h l d er Spiele, an denen m an sich b e te ilig t, seine G e w in n sta u ssich ten zu v erä n d ern . W en n m an einen d era rtig en , geh ö rig p rä zisie rten und in F o rm g e b rach ten S a tz vo n der „ R e g e llo s ig k e it“ als zw e ite s A x io m zu dem vo n d er E x is te n z der G re n zw erte h in zu n im m t, g ew in n t m an eine G ru n d la g e, a u f d e r sich w id ersp ru ch slos d ie klassisch en G esetze d e r W a h rsc h ein lich k eitsrech n u n g a b leiten lassen. U n te r an d erem e rh ä lt m an so a u ch das P o isso N sch e T h eorem , und z w a r gleich m it dem Sinn, den P o i s s o n h ab en w o llte (ohne d a ß seine A b le itu n g d a zu fü h rte), n äm lich als ein e A u ssag e üb er d en ta tsä ch lich e n A b la u f d er E rsch ein u n gen . E s er-
x) In populärer Form in Naturwissenschaften 7,.
168, 186, 205. 1919. M athem atische Ausführung:.
Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Mathem..
Zeitschr. 5, 52 — 99. 1919-