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Geisteskultur. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft für Kultur und Geistesleben, 1927, 36. Band, Heft 10-11

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Gei teskultur

MonatsheftederComeniusgefellfchaft für Geisteskulturund Volksbildung

Gegründetvon Ludwig Keller Herausgegebenvon Nrtur Buchenau

86. Jahrgang - sehntesJleteS Heft

Oktober-November 1927

Berlin und Leipzig1927 Verlag von Walter de Gruhter 82 Co.

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Comenius-Gesellschaftsiir Geisteskulturund Volksbildung

Gegründet1892von»Geh.Rtchiorai Dr.Ludwig Keller Vorsitzenden OberstudiendirektorDr.Buchenau,Charlottenburg s, Schlossstkasie46.

DieMitgliedschaftwirddurch Einzahlung fvon20Goldmark erworben. (Jn-und Ausland.) DieBeitragszahlung kannerfolgen:

1.auf das KontoderComenius-GesellschaftbeidemPostscheckamtBerlin Nr.21295 2.direkt andieGeschäftsstellederC.-G.inBerlin W10,GenthinerStr.38i.H.

Walter de GruyterFrCo.

DieMitglieder erhalten dieZeitschrift kostenlos. Sie erscheint jährlichetwain 12Hesten. DieHestesind auch einzelnläuflichund inBuchhandlungeninForm des Zeitschrift-Abonuementszubeziehen.

Zö.Jahrgang Inhalt: Heft10J11

Seite

A. St.Mägr, Chelöickyund dertschechischeGeist......................·..·.... 329

Joh.Meyer, Japanische Jugend-undVolkserziehung......................... 344

N.v.Arseniew, JwanBunin,derMeister derrussischenLiteratur der Gegenwart356 R.H.Grützmacher, ThomasMann unddas Freimaurertum............·..... 360

W.v.Hausf, Das Deutschtum in derTschechoslowakei.·.....·................. 365

Mitteilung ................................................................. 372

Bücherbesprechungen ......................·..........................·. 373

l

Religionswissenschaft:

G.Psannm üller: Altorientalische TexteundBilder zumAltenTestament, herausg.

v.H. Greßmanu. S.373

G.Pfannmüller: Bilderatlas zurReligionggeschichte,herausg·v.H. Hans. S.374 Liter atur:

Piechowskit H. Lipp,Einer isteuer Vater. S.375 Piechowski: H. Lipp, FehdeundFeier. S.375 P.Mellmann: H. Koenig, ÜberSee. S.376

j-

Manuskripte werden erbeten andie Redaktiom E.Wernick,Berlin W10, Genthiner Straße38.

DieManuskriptesollen paginiert,nureinseitig beschrieben sein und einen Randfreilassein Rückporto ist beizufügen.NachdruckganzerAufs ätzeistohnebesondere Erlaubnis nicht gestattet.

EinzelneAbschnitte können bei genauer Quellenangabe wörtlich übernommenwerden.

Jährlich erscheinen10bis 12Hefte. Preis des Jahrgangs M.20.—.

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Ghelöickyund der tschechischeGeist

VonA. St. Mägr(Prag).

om äußerenDasein Peter Chelcickhsweißman wenig mehr,alsdaßer

V ungefähr zwischen1390 und1460 wohlzumeistinseinem Heimats- dorf Chelcice, abgesehenvon einemAufenthaltinPrag, gelebt hat.

Umso schärferhebt sichinseinen Schriftenseine geistige Persönlichkeitgegen denHintergrundseiner Zeitab.Die,,Sitviry« (,,DasNetzdesGlaubens«

1441—43),neben der,,Postille«das umfänglichste,ist sein reifstesWerk.

Das ,,NetzdesGlaubens« istdasNetz,mitdemPetrus einegroßeMenge Fischefing.DasGefetzChristi,daseinemNetzegleichdieMenschenausdem MeerederWeltzieht.DieApostelsind Menschenfischergewesen;dieVonihnen gegründeteKirchewar vollkommen,einVorbild,dasdieChristen heuteund immerdar verwirklichen sollen,eineGemeinschaftvon inChristo erneuerten,in Liebeverbundenen,einander gleichgestelltenBrüdern. Dieheutige Kirche ist verderbt: durchPapstundKaiser sind weltliche Gesetzeinsieeingedrungen,die GläubigensindinHerrenundKnechte geteilt.DieMachtderWeltist völlig unterschiedenvon derLehre Christi,dievon Gottausgehtund dieMenschen zumgeistigen Daseinführt.DieweltlicheGewalt übtZwang,der Glaube läßt sichabernichterzwingen.DieKönigeunddie Beamten herrschen,der Christdient.An die Stelle derLiebeistdasRecht getreten. FürdieOrdnung derzeitlichenDingemagdieweltlicheMachtihre Geltung haben:derChrist nimmt nichtTeilan ihr.Die WeltgehörtdenHeiden,dieChristenwerden immerfortdieWenigensein.

DerzweiteTeilisteineKritik derchristlichenGesellschaftundihrer »Not- ten«: desAdels,derdie Bauern verachtetundausbeutet,derBürgerin den Städten,derPriesterundMönche,die die reineLehredesHerrn verleugnet- haben.AmSchlußstehtein Bekenntnis zu einerGemeinschaftderHeiligen, dievom Beginnbis zum Ende der Welt ineinem geistigenLeibChristi vereinigt sind,in demjedesGliedseineFreudeam Gutenhat,dasvon einemanderen bewirktwirdundselbstallenanderen GliedernzurFreudegereicht. Teilhaben andieserGemeinschaftaber werdennur die,die dasgöttlicheGebotderNäch- stenliebeerfüllen.

AusderdeutschenLiteratur konnteman überChelcickybisvor kurzem wenigerhme In seinemgrundlegendenBuch»Die Soziallehrenderchrist- lichenKirchenundGruppen«schriebErnst Troeltsch(im Jahre 1912)»Der Hussitismus dessenKenntnis übrigensin derdeutschenForschungnoch sehr 23

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zuwünschenübrig läßt,unddietfchechifcheist füruns unzugänglich—— ist freilichzunächsteine lokaleAngelegenheit,aberVonstärksterhistorischerFern- wirkung «. Was deninParenthese gefetztenSatz angeht, so hatTroeltfch selbstdenBeweis für feine Richtigkeit geliefert; seine Darstellung, aufBear- beitungenaus zweiterunddritterHand fußend,istin vielerHinsicht frag- würdig. Bezolds bekanntes Buchüber das Hussitentumwar ihm,wieer schreibt, nicht zugänglich.Chelcicky(er heißtbeiihm Petervon Chelzic)tuter miteinigen Zeilen ab, obwohleraus Golls deutschgeschriebenerAbhandlung ,,Peter ChelcickyundseineLehre« (Prag 1882) immerhin sehr wesentliches hätte erfah können. DieübrigeFachliteratur versagt durchweg. Erst J.

Th.Müller gibtimerstenBande seiner »GeschichtederBöhmischenBrüder«

(1922)eineknappe,auf eigenerKenntnis beruhendeCharakteristikChelcickys.

ZweiJahre später veröffentlichteDr. CarlVogleineunwesentlich gekürzte, recht gut gelungeneÜbersetzungder,,sit viry«,über dieNathanSöderblom geschriebenhat:»Mitsteigender VerwunderungundBewunderung habe ich dasBuch gelesen. Chelcickyist fürdieabendländischeKulturwelt kaum mehr alseinName,unddoch ist sein Buch derart, jain vielenHinsichten nichtnur reformatorischundungemein aufklärend,sondern auch somodern undpackend, daßeszumgeistigen Eigentumderevangelischen Christenheitund unsererge- samtenKulturwelt gehörensollte. Freilich habendieNeformatorendieFrage von derStellungdesChristentumszu derGesetzesverordnungundzumGe- sellschaftslebenanders beurteilt. Aber esistnotwendig, daß dieseFrageimmer undimmerweiter dem GedankenunddemGewissenderChristenheitinscharfer Fassungvorgebrachtwird.-« Aus derfortgesetztenBeschäftigungmitChelcicky istdemÜbersetzereinzweitesWerkerwachsen,das 1926 unter demTitel:

,,PeterCheltschizki.EinProphetan derWende derZeiten« erschienenist 1).

VogllöstdieAufgabe,denLesermitChelcickybekanntzumachen,dadurch, daßerihn selbstzu Wortekommen läßt.Das ganzeBuchbildetsoeinesyste- matisch geordnete Auswahlvon charakteristischenAbschnittenaus denSchriften Chelcickysmit verbindendem Text.VorangehteineWürdigungChelcickyssund seinerFortwirkung,Vogl siehtinChelcicky,unbekümmertum dieSkrupel derGeschichtsschreibung,vorallemeinenMitkämpfergegendie NötederGe- genwart, wobeieraufdemBodeneinesunbedingten unkirchlichenChristentnms steht;TolstoiundLandauer haben ihnzuChelcickygeführt.Vogl hat wesent- licheZügederErscheinungChelcitkysbegriffen,undman darf ihm für seineaus inneremBedürfnis geleisteteArbeitdankbar sein; sievermag es, demdeutschen LesereineVorstellungvondemWesendestschechischenReformatorszugeben, diedurchdieVergleichemitLutherunddiebeigefügtePredigtdesdeutschenRe- formatorsanPlastikgewinnt.Es wirdauch Leser geben,bei denenesmit einer VorstellungnichtseinBewenden habenwird. DaßdieGedankenChelcickhs

l) INdenletztenJahren«find aucheineBreslauer undeine Prager Differtationaus- zugsweife gedrucktworden. DieerstebeschäftigtsichmitderSprache,diezweitemitden sozialen Lehren Cheleiekys.

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ChelöickjunddertschechischeGeist 331 abereine weitergreifendeWirkungausübenkonnten,wirdman nichterwarten dürfen. SelbstdieReminiszenzenan dendeutschenBauernkrieg,dasWieder- auflebenvon Hauptmanns ,,FlorianGeher«aufderBühne,dieApotheose Thomas Münzers,des»TheologenderRevolution«,in dendunklen Nach- kriegsjahrenwaren nur SymptomeundOberflächenerscheinungen,aberkeine tragenden,gestaltenden Kräfte. Ehermag man dieFrage nachdemLeben derGedanken Chelcikysinseiner Heimat stellen.

Inseiner Schrift »DietschechischeBildung«(1924)sprichtF.V.Krejci dieMeinungaus,daßdieTschechenvonihrerälteren Literatur nur noch »Ko- menskhlesenundüberChelcickhnachsinnenkönnen.Zudemgle««.1Urteilwar schon F. SchulzinseinemBuchüberCheleickh(1882) gelangt, ihmschien ausden Schriften ChelcickhsdieKraftund Frischemoderner Gedankenzu atmen, währenddiesonstigeLiteratur desMittelalters,insbesondere auchdie religiöse,niemehreine Lektüre weitererVolkskreisewerden könne.I. Holecek hat behauptet, daßdieBedeutungChelcickhsinunserenTagen ständigim Wachsenbegriffensei.EinAußenstehender,FranzWerfel, nennt inseiner gedankenreichenVorredezu derdeutschenÜbersetzungder»SchlesischenLieder«

Bezrucs (1918)denHussitismusdieunauslöschliche,wenn auch für Jahr- hunderte zerstörte,schöpferischeTradition destschechischenVolkesundsiehtden Beweis dafürin dermerkwürdigenrhhthmischenÜbereinstimmungzeitlich so auseinanderliegender GeisterwieChelcickh, KomenskhundOtokar Brezina.

EsistdieFrage,ob undinwelchemSinne diese Behauptungen richtig sind. Gewiß ist zunächstsoviel, daßderName Chelcickhsin derGegenwart häufiggenanntworden istund wird. Das geschieht nicht ohne Grund, auch wenn man weiß,daß seinName ungezählteMaleVonMenschenunnützin den Mund genommenwird,die zwarseinenNamen,nie aber eineZeilevonihmge- lesenundseinesGeisteskeinenHauchverspürthaben,was übrigensgelegent- lichzu einerReaktion geführt hat,diejeglicheBedeutungChelcickhsfürdie Gegenwart rundweg bestreitet.

InChelcicky,soistesformuliert worden,gipfelteinewesentlicheSehn- suchtdestschechischenGeistes.DertschechischeGeist hat sichVonjeher danach gesehnt,daßdasLebendurchdasGesetzGottes geeint,dasReich Christiin WahrheitaufderErdeverwirklicht würde,daßderChristenmenschauch christ- lich lebe, entgegenderKonvention,die dasLeben desdurchschnittlichenmittel- alterlichen Christen bestimmte,der zwar alsChrist starb,aber alsHeidelebte.

Istder,,tschechischeGeist«derInbegriffdereigentümlichtschechischen Formen,desgeistigenLebens inseiner kollektiven Gestaltungundsetztman eine zeitlicheKontinuität desgeistigenLebensdestschechischenVolkes voraus, so müssen sichimLaufederEntwicklungÄußerungendergleichen Sehnsucht- FortwirkungenderIdeenChelcickhsfinden,diesichin denZeugnissendertsche- chischenGeistesgeschichtealsAnknüpfungenanseine GedankenoderderenlFort- bildung erweisenwerden. DabeibliebefreilichderjeweiligeGrad derpraktischen Bewährungim Leben derIndividuenundsomitderGesamtheitaußeracht.

DieseGeschichtedesgeistigenErbesChelciekysinihrenam deutlichstener-

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kennbarenPunkten dawo sicheinzelneDenkerunmittelbar odermittelbar damitauseinandergesetzthaben,oderwoes anonym fortgelebt hat,in den Um- rissenzuskizzieren,soll hier versuchtwerden.

Ehelcickh,derunerbittliche Richter feinerZeit,derlange Jahre fastganz einsaminWiderspruchgegendieihn umgebendeWeltgestanden hatte, erfuhr dieGenugtuung, daß sichum dieNeige seines Lebens,alsdiehussitifcheRe- volution weitvorihren Zielen zusammengebrochenwar, J.S.Machar hat denAugenblickdieser NiederlageundEhelcickysHaltung dazuinseinemGe- dicht,,EhelcickynachderSchlachtbeiLipanh«(1434) geschildert—Anhänger um ihn scharten.Eswaren die,,EhelcicerBrüder« und Schüler Rokhcanas, denandern voran Bruder Rehor,eineGemeinschaftreligiösbewegterMenschen, ausdersichdanndie Unität derBöhmischenBrüder entwickelthat. DieseEnt- wicklung stelltsichabernichtalswiderspruchsloseÜbernahmederursprüng- lichen IdeendesLehrersdar. Ihr Verlaufläßtsichetwaanderinneren Ge- schichtedeshöherenBildungswesensderBöhmischenBrüderablesen,dieein Vondramatischen SpannungenundPeripetien erfülltes Paradigmadergrund- sätzlichenZwiespältigkeitdesBildung-und Kulturproblemsüberhauptdar- stellt.

Aufdereinen Seitestehtdertypifch religiöseMenschinseinenvielfältigen- nichtimmer scharfvoneinander unterschiedenenSpielartemdergottestrunkene Schwärmer,derAsket undPuritanervonAnlage,hart aufsUnbedingtegehend oderausSchwächedieVersuchungendesDaseins ängstlichfliehend,derQuie- tist,dervon denHändelndieserWeltnichts wissen will,derleidenschaiftliche Gottsucher,derEinfältige,dessenLebenvon einemeindeutigen, verstandesmä- ßigenundgefühlsmäßigenVerhältniszuGott,demsichvonselbstallesunter- ordnet, erfülltist. Aufder andern SeitederMensch,indessen Lebensformdas Religiösezwareinenwesentlichen,vielleichtdenherrschendenBestandteilbildet, deraberElementen anderer Lebensformem ästhetischen,sozialen,erkenntnis- mäßigen,einen breiterenRaum inseinem Dasein gewährt,fürdendieReligion einKulturgut,daswichtigstezwar,neben andern ist,einederformendenKräfte dergeistigen Existenz bildet,die inirgendeinempositivenZusammenhangmit denanderen steht.

DieseAntinomik istnicht erstvon denBrüdern entdeckt worden. Bereits dieWaldenser,derenEinfluß aufdietschechischeReformationundnamentlich aufden südböhmischenRadikalismus nachgewiesen ist, lehntendiehohen SchulenunddiegelehrteBildungalsZeitvergeudungab.NebendenWalden- iemstandeneineReiheVVUPersönlichkeiten,derenUrteilfürdieBrüdermaß- gebendwar. WyclifhatteKritikanderscholastischenGelehrsamkeit geübt.Von dentfchechischenVotgängemHus’stelltMiliederneugierigenWeltweisheitdie schlichten,einfachunddemütigGlaubenden gegenüber.BeiMathiasvonJanov wird derWiderwillegegen diemenschlichenErfindungenderweltlichenWissen- schaftzumdurchgearbeitetenSystemeinerrücksichtslosen,revolutionärenKritik, die dieirregeleiteteChristenheitzu demeinzigenGesetzderSchriftzurückführen soll. AuchbeiStitny finden sichabfälligeBemerkungengegendiehöhereBil-

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ChelöickzsfunddertschechischeGeist 333

dung,undVonnochgrößererBedeutungwurde seinepositiveTatderAnwen- dungdertschechischenSprache fürdieBehandlungVonStoffen,diebisherder Gelehrtensprache,dem Latein, vorbehaltengewesenwaren. Husselbst gingin seiner gelegentlichenKritikdesTreibens derGelehrten nicht so weit,die Uni- versitätenzu verdammen.

NachseinemTodespaltetesichdiebisherim ganzeneinheitlicheReforma- tionsbewegunginVerschiedeneRichtungen,unter denen die Taboriten diewich- tigsteRollespielten; siewaren auchingewissemSinne dieVorgängerder Brü- derunität. Dienochradikaleren Sekten verwarfenjegliche weltliche Bildung von Grund aus. Nicht soweitgingendieTaboriten,die dieElementarbildung, denUnterrichtin derMuttersprache,als VoraussetzungderBibellektüre -för- derten unddarinbemerkenswerte Erfolge erzielten. InderPraxis ergab sich, daß ihre Theologen ohne historischeundtheologischeSchulung nichtimmer auskamen,imPrinzipaberversöhntensie sich nichtmit derweltlichen Wissen- schaft.DiegemäßigtenhussitischenParteienstandenden traditionellen Autori- täten und derWissenschaftumso wohlwollendergegenüber,je mehr sie sichvom Radikalismus entfernthatten.EinemittlereStellungnehmen Jakoubekze Stribra undsein Schüler Rokycanaein.Ihrenstärkstenundfolgerichtigsten AusdruckhatdieVerneinungderWissenschaftundallerweltlichen Bildungin denSchriften Chelciekys gefunden.

War die Unitätanfangs sowohl infolgederTraditionen,aus denen sie emporgewachsenwar, alsauch durch ihre soziale SchichtungderhöherenBil- dung abgeneigt, sogabesdoch einzelneMitglieder,die einesolche besaßen,und vermöge ihreralsbald Einflußzugewinnen begannen.Undvon daanhebtder WiderstreitimSchoßederBrüderkirchean,dersich verschärfte,alsimLaufe derZeitdieZahlderGebildetenzunahm,so daß nachdemTodeRehorsder Charakterder Unitätals einer gegen dieWelt abgeschlossenengeistigenEinheit zuschwindenbegann.DasniedereSchulwesenhattedieUnität,demVorgang derTaboriten folgend, eifrig gepflegt,undwar darinzurGründungeigent- licherSchulenfortgeschritten.Auchdasaberführte notwendigzu einer Ver- breiterungdes,,schmalenWeges«derGründer. Das grundsätzlichemittlere ProblemwarinzwischendieTeilnahmean derweltlichenMachtinPolitik,Ver- waltungundöffentlichenLebengeworden,zumTeileinAusdruckdersozialen Schichtnngin Stadt- undLandbewohner.Aberparallel,wenn auch mehrper- sönlichbedingt,gingderGegensatzzwischendenGegnernundAnhängernder höheren Bildung,derzunächstdurchdieNiederlageder»kleinenPartei«,der VerfechterderursprünglichenIdeale, entschiedenwurde. Dochzeigte sichzu- nächst nochkeineWandlunginderStellungzurhöherenBildung. Selbst Bruder Lukas,derinItalien mit demHumanismusin engereBerührungge- treten war,bliebseinemGeiste fremd.AndererseitssahendieHumcmistenauf die Brüder verächtlichherabundgriffensiean. Eswaren nnr wenigeAus- nahmen,die dieBrüder mit demHumanismushättenversöhnenkönnen. Es dämmerte aberschließlichdieErkenntnis, daßeinAusbauderBrüderkirche ohnedieMittel,die diehöhereBildung bot,unmöglichsei.UnterdenDrucken

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334 A. St.Mägr

derBrüdertauchenum dieseZeiteinigeweltlicheBücherauf,undauchandere Zeugnissesprechenfüreinerwachendes InteresseanderweltlichenWissenschaft.

Inzwischenhattesich auch Luther mehrereMaledenBrüdern gegenüberzu- gunstenderhöherenBildung ausgesprochen,aber dieNeigung dafür hatte noch nicht endgültiggesiegt.Es trat wiedereine Reaktionein,einZurückgreifenzu denIdealenderAnfänge.UmdieseZeit beganndieTätigkeitdesMannes,der dieFrageeinerendgültigenLösung zuführen sollte: Blahoslavs. Vonihman fließendie beidengeistigenStröme derZeit:diereligiöseReformationundder Humanismusin derBrüderkirchezusammen.Darin war erderVorläufer Jan AmosKomenskys,in demdieStufenleiterderkulturellen Bestrebungen derBrüder ihrenHöhepunkterreichte.

Damit waren wichtige GrundsätzeChelcickysendgültigpreisgegeben.Das Wissenum dasEine,was nottut,blieb,aber es wurden andereWegegesucht, eszufinden. Währenddieses Suchens verblichderName Chelcickysim Be- wußtseinseiner Nachfolger.DieGegner verunglimpften ihninihrenTrak- taten;seineSchriften gingenin denFlammenderAutodafåsderGegenrefor- mation auf, so daßdieDruckeunauffindbar geworden sind,undschließlichwar seinName aus dem GedächtnisderNation so gutwieausgetilgt.DieSaat seiner Ideenaberist nicht völlig untergegangen,sondern wucherte perdecktunter derUngunstderVerhältnisse,zusammenmitdenIdeendertschechischenRe- formationüberhauptundVermischtmit anderen religiösenVorstellungenweiter in denKreisenderSektierer undreligiösenSchwärmer.NebendemSüden, demHauptherd,war auchderOstenBöhmensanderhussitischenBewegung beteiligtgewesen.DieMehrzahlderStandesherrenundeingroßerTeildes Kleinadels,vom niederen Volkeganzzuschweigen,war entschiedenhussitisch.

Auch nachdemUntergangTäborsändertesichnichtvielhieranzdieBohmischen Brüder fandeninPeriodenderVerfolgung Zufluchtaufden ausgedehnten GüternOstböhmens.Mehralsein OrtistmitihrerGeschichtefürimmerwer-

bunden,undihre Lehre fanddortergiebigenBoden. Seitdem ist dieseGegend dasklassischeLandderaufsässigenBauern undRebellen,der Sektierer und Schwärmer gewesen.Diesozialen VerhältnisseaufdemLandehatten sichin Böhmenin denJahrhunderten nachdenHussitenkämpfenfortschreitendver- schlechtert;dasJochderErbuntertänigkeitwar immer härterunddrückender geworden,undsoverschlingensichreligiöseundsozialeMotiveaufsengstemit- einander: dieSehnsuchtrichtet sich aufeineErlösung schonimDiesseits, auf einReichGottesaufErden. InderSeeledesgeknechtetenundausgesogenen Bauern fanden GleichheitstheorienundchiliastischeProphetienleidenschaftlichen Glauben. NebendersozialenUnterdrückunggehtdiereligiöseher. Zur ntraqui- stsschenKircheUnd UUktätgesellen sich Reminiszenzenan die radikalen Aus- läuferdesHussitentumstdieAdamitemEinflüssedeslutherschenProtestantis- mus, desCalvinismus,derWiedertäuferundandere Sektenkommen hinzu.

DerMangeleinergeordnetenSeelsorge,dieHeucheleiderScheinbekehrungen, TrotzundVerzweiflungüberleiblicheundgeistigeNotmußtennotwendigzer- setzendwirken. Sokames, daßdasToleranzpatentvon 1782 einseelisches

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ChelöickzlunddertschechischeGeist 335

Trümmerfeldaufdecktezeszeigtesich, daßviele dergeheimenEvangelischen ihreGlaubenssätzewederimLuthertum nochim Ealvinismus fanden, sondern außerhalbdieseranerkannten Bekenntnifse blieben,keineKirchebesuchtenund vonTaufeundEhe nichts wissenwollten. Siebeanspruchtenaberdieaus zdem PatentfließendenRechte auch für fich,woraus sichfortgesetztKonfliktemit der Obrigkeitergaben.DerÜbergangin dieneuen Verhältnissebrachtezwarauch fürdie anerkannten Konfessionen unruhigeZeiten,aberhier bewegtenfich»die Schwierigkeitenschoninlegalem Rahmen; es kam innicht langerZeitzueiner

Konsolidierungder Verhältnisse.DieFragederSchwärmeraberbliebfast dasganze19. Jahrhundert noch ungelöst, undnochjetztkannman in den AnschauungenmancherkonfessionslosenEinwohnerinjener Gegend Grundsätze finden,dieandieAnschauungenderSchwärmererinnern. Es magwahrschein- licher sein, daß hierdie Tradition stärkerwirkt,alsEinflüsseneuerer popular- philosophischerLehren,dieallerdingsinihren Vorläufern auchinOstböhmen nichtunbekannt gebliebensind. Augenscheinlichhatman eshierwie in anderen BereichenderVolkskunde mitverschiedenenSchichten gesunkenenKulturgütes zutun,unter denennebenspäterenElementen AusläuferderIdeendertschechi- schenReformationundalso auchChelcickys,nichtdiegeringsteRollespielen.

DieGefrhichtsschreibunghatdenvielfältigenStoff,dendasSektenwefen desböhmischenOstens darbietet, noch nicht bewältigt.Esliegennur einzelne Beiträge undwertvolle Urkundenpublikationenvor. Dafür isterdichterischin dreibedeutsamenWerkenvon TerezaNoväkovå gestaltet worden,die in die- semZusammenhange Erwähnungverdienen.

Unter denExulanten,dieaufdemKirchhofderBerliner Brüdergemeinde ihreletzte Ruhestatt gefunden haben, ist einer,überdessenLebenNäheresbe- kanntist: Jan Jilek.DieLebensbeschreibung,dieer hinterlassen hat, enthält freilichnicht so sehr tatsächlicheAngaben,als schwärmerischeErgüsse.Die Schicksale dieses Mannes sindderGegenstanddesRomanes ,,Ian Jilek«

(19o4). DieDichterinhatdarin einPorträtdesVifionärs gezeichnet.Sie schildertdieinnerenErlebnissedesKnabenundJünglings, seineSeelenkämpfe unter demEinflußvon Verwandten,dieihnzurkatholischenKirchezurück- führenwollen. Erschwankt,die Lektiire der Bibel und anderer religiöserBücher gewinntihnaberendgültigfürden»GlaubenandasLamm«.Umderdro- hendenVerfolgungzuentgehen,fliehternach Gerlachsheimin derOberlausitz.

In diesenersten Kapitelnist schondie ganzeseelischeAtmosphäre,in derdiese Menschenleben,eingefangen;dieschwärmerifchinbriinstige Weichheitund innigeEmpfindsamkeitdesPietismusatmet daraus, merkwürdiggemischtmit Festigkeitoder,wie es die andern nennen, Verstocktheit.DennächstenKapiteln, dievomLeben derExulanteninihrerneuen Heimat,von derRückkehrundder GefangennahmeJileks berichten, folgtdie breitausgesponnene Geschichtefeiner zweijährigenGefangenschaft,derkörperlichenundseelischenQualenderBe- kehrungsversuche,feinesWiderstandes, seiner VerurteilungundFlucht. Das innereSeindesHelden,desdemütig-scheuenArmenimGeiste, erblühtindieser ZeitdesLeidens zu demgesteigertenReichtumeinesunsäglichreinenHerzens.

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