Geifteskultur
MonatsheftederComeniusgefellfchaft für Geisteskulturund Volksbildung
Begründer von Ludwig Keller Herausgegebenvon Nrtur Buchenau
Js. Jahrgang - Siebentes Heft
Iuli 1926
Berlinund Leipzig1926 Verlag von Walter de Gruhter 82 Co.
Comenius-Gesellschaftfür Geisteokulturund Volksbildung
Begründet1892von Geh. Rkchivkat Dr.Ludwig Keller Vorsitzenden OberstudiendirettotDr.Buchenau,Charlottenburg s, Schloffstrasse46 DieMitgliedschastwirddurch Einzahlungvon 20Goldmark erworben. (Jn-und Ausland.) DieBeitragszahlung kannerfolgen:
1.auf dasKontoderComenius-GesellschaftbeidemPostscheckamt Berlin Nr.21295 2.direkt andieGeschäftsstellederC.-G.inBerlin w10,GenthinerStr.38i.H.
Walter deGruytercFrCo. —
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35.Jahrgang Inhalt: Heft7
Seite Albert Görlan d,Kants »Revolution derDenkungsart-«alseineproblemgeschicht-
liche Betrachtungsweise..............·......................·.....·...257
Johannes M.Verweyen, Kultur»undGemeinschaft........................ 272
Hans David, ProblemederFilm-AsthetikIl...........................·..·. 275
Gegenwartsfragen: Hernian George Schesfaner, Derdeutsche Parlamentarismus .............286
Karl Gumpertz, DieBißkysche Diagnoskopie...........·.................288
F. Henning,Eine neue Metaphysik...............................·.....290
Erlesenes: ...............·.....................................·........ 292
Das Nö (SchaubühneinJapan). Aus F.Perzhüski, »Japanische Masken«, 2Bände,Walter deGruhter 85Co.,Berlin 1925. Bücherbesprechungem .................................................. 294
Philosophie: Buchenau: ,,JahrbuchderCharakterologie«Bd.I. S.294. Odebrecht: G.Störring,Was solluns Kant sein? S.294. Odebrecht: E.Utitz,DerKünstler. S.296. Reimsann: K.Breysig,Vorn geschichtlichenWerden,Bd.l. S.296. Kunst und Literatur: Buchenau: O.Kaeniniel,Rom unddieCampagna. S.298. Buchenau: A.Küster,DiegriechischenTerrakotteu. S.298. Buchenanz R.Borchardt,DeutscheDenkreden. S.299. Bucheifatn H.D.Lawrence,Jackimanchland. S.299. Buchenan: WilhelmSchäfer,Neue Anekdoten. S.299. Buchenau: J.Galsworthy,Justice. S.300. Buchenau: J.Galsworthh,Strise. S.300. Buchenan: F..R.Nord, König Psau. S.300. G.T.:Soergel,DichtungundDichterderZeit. S.300. Notizen................................................·.................. 301
Gesellschaftsnachrichten:.....................................................303 AdressenderMitarbeiter diesesHeftes:
UniversitätsprofessorDr·Albert Görland, Hamburg,Kreuzweg12. Universitäts- prosessorDr.Jo hann esM.Verweyen,Bonn,Beringstr.2. Schriftsteller Ha nsDavid, Berlin, Wichntannstr.21. SchriftstellerHe rnianGe o rgeSchessau e r,Grunewald, Cunostr.48.
Dr.med.Ka rlGu nipertz,Wilmersdorf, Kaiser-Allee45a. F. Hennin g,Berlin, Bülowstr.5
Mannskripte werden erbeten andieReduktion: E. Wernick, Berlin W10, Genthiner Straße38.
Die Manuskriptesollenpaginiert, nureinseitigbeschriebenseinundeinenRandfreilassen.
Ruckportoist beizufügen.NachdruckganzerAufs ätzeist ohne besondere Erlaubnis nichtgestattet.
Einzelne Abschnittekönnenbeigenauer Ouellenangabewörtlich übernommenwerden.
—
Jährlicherscheinen 10bis12Hefte. Preis desJahrgangs M.20.-—.
Kants ,,Reuolution der Denkungsart«als eine
problemgeschichtlirheBetrachtung-meist
VonAlbert Görland (.Hamburg).
it denAbstraktionenihresDenkens,die leerscheinenvonderFülledes Lebens,undmit denKonstruktionen ihres Geistes,dienichttragfähig scheinenfürdieWirklichkeiten,leben diePhilosophen gemeinhin für diePhilosophen.Aberauchdieser Zunft beschertdie Laune desGeschicksdas seltene Genie, dessen AbstraktionenundKonstruktionenzu wunderbarer Bedeu- tung fürdasLebengelangen. ZwarbedarfesderZeit,daßsichdieMenschen zudenVorschauungeneinessolchenGeniesentwickeln undan denGrößen- maßstab seiner Konstruktionen gewöhnen.Und es scheint,daßdiezwei Jahrhunderte,dieseitKants Geburt vergangensind,sein WerkimVolke lebendigwerden lassenwollen.UberseheichunsereGegenwartmitihrem drang- vollenWillenzuneuen Gestaltungenundbesinneichmichaufdietragenden IdeendeskantischenWerkes,sodünktmich, daßunsere Zeit näherzu Kant gekommen istals dieZeit,dererentwuchs.
Unsere Zeit ist soinhaltreich,daß sienur mitdenbedeutsamstenWende- punktenderWeltgeschichteverglichenwerden kann. Klarschon zeigt sicheine geistigeUmwälzung»Kein größtenAusmaßes aufdemGebieteexakterWissenschaft.
physikalischerSatzist gegenwärtigvorAnzweiflung sicher,alleundiede physikalischeWahrheit giltalsdiskutabel.« Die-,,Bewegung,welchedietheo- retischePhysik ergriffen hat«, ist»Vonsolchradikaler Art,daß sieihreWellen
weitüber dieeigentlichePhysikhinausin dieNachbargebietederChemie,Astro-
nomie, jabisin dieErkenntnistheorie hinein schlagt,unddaßinihrem,Gefolge sich wissenschaftlicheKämpfeankündigen,denennur nochdie diekoper- nikanischeWeltanschauung geführten vergleichbar seinwerden ,sagt Max
lanck. «
P
AufebendieselberadikaleUmwälzungderWeltanschauung,diedurchKo- pernikus vollzogen wurde, bezieht sichKant in der,VorredezurzweitenAuf- lage seinerKritikderreinenVernunft,um durchdieseAnknüpfungdenCha-
rakter und dieBedeutungzukennzeichnen,dieerseinemWerkebeilegt.» '
KantsuchtenacheinerLösungderSchwierigkeitenundWidersprüche,in
die diePhilosophie seinerZeitverwickeltwar. Erfah,daßesWissenschaftengab,
dieaus demblindenHin-undHertappenaufeinengeradenundsicherenHeeres-
Weggelangtwaren; sodieMathematikunddieNaturwissenschaft.DieseWand-
17
258 AlbertGörland
lungvomunsicherenTasteninbruchstückhaftenEinzelheitenhin aufden»siche- ren WegderWissenschaft-«geschahnun nicht allmählich,sondernwar ganz alleineiner Revolution derDenkart zuzuschreiben,derenGeschichteuns
allerdingsnicht aufbehalten ist. Ganz sowie in derMathematik gingesmit denNaturwissenschaftenzu;auchauf ihremGebietemußtein denKöpfen ihrer großenMänner,wieGalilei, sich»die so vorteilhafteRevolution ihrerDenkart«
vollziehen,um mit einemSchlageaus denZufallsgabeneinesziellosen Pro- bierenszursicheren HerrschaftüberGesetzezugelangen. Nach solchenVor- bildernfragtnun KantinHinsicht aufdiePhilosophie:,,Woranliegtesnun, daß hier nochkeinsichererWegderWissenschafthat gefundenwerden können?
Ichsollte meinen,dieBeispielederMathematikundNaturwissenschaft,diedurch eineaufeinmalzustandegebrachteRevolution dasgeworden sind,was sie jetzt sind,wärenmerkwürdiggenug, umdemwesentlichenStückederUmänderungder -Denkart,dieihnen so vorteilhaft gewordenist,nachzusinnen.«»Es ist hiermit ebenso,als mitdenerstenGedankendesKopernikusbewandt, der, nachdem esmitderErklärungderHimmelsbewegungennicht gut fort wollte,wenn er annahm,dasganzeSternenheer drehe sichum denZuschauer, versuchte,obes nicht bessergelingen möchte,wenn erdenZuschauersichdrehen,unddagegendie Sterne inRuhe ließ.« In solchemVersuche, »dasbisherigeVerfahrenderMe- taphysik (d. h.derPhilosophie) umzuändern,undzwardadurch, daßwirnach dem Beispielder Geometer und NaturforschereinegänzlicheRevolution .-mit derselben vornehmen, bestehtnun dasGeschäft dieserKritikderreinen Ver- nunft.Sie isteinTraktat Von der Methode«: ebendieser,alsRevolu- tion vollzogenen ,,veränderten MethodederDenkart«.
PlancksWorte sagtenuns,daßinunsererGegenwart,vondenexakten Wissenschaften her,inallerweitestem Ausmaßeeine Revolution derDenkart sichvollziehen wolle;Kant sannderMethodeeinersolchenRevolution der Denkart nach.Somit können wir inihmdenLehrmeisterauch unseres eignen- ganz gegenwärtigenDenkens sehen. Wir stellenuns somitalsGegenstand unserer BetrachtungdieMethode, dieKant als die»Revolution der Denkart« bezeichnet.
Kant sucht alsoam erlauchtenBeispielederexaktenWissenschaftennach- zuspüren,wodurch sie ihre großen Fortschritte vollzogen. Solcher großen Fortschritte gibtesnicht viel;essinddieAugenblickeentscheidenderEntdeckun- gen.Solche Entdeckungenbeschaffennicht irgendein neues Gesetzoderirgend einenneuen Gegenstand, sondern sie sind Gesamtumstellungendesgeistigen Blickes,aus denen ganze Systmevon Gesetzenund ganzeReicheneuer Ein- sichten geboren werden,dieaus denBaustückenderbisherangenommenen Wirklichkeiteineneue aufbauen.
Worin siehtnun Kantdie Revolution derDenkart aufdem Gebiete der Mathematiksichbetätigen?Überall,woErkenntnis stattfindet,handeltessich darum, zwischeneinemGegebenen undBestimmten einerseitsundeinem unbestimmten,aberzurBestimmungAufgegebenenandererseitseine Be- Zlthngherzustellen;(wo,,Beziehung« soll hergestelltwerden können,muß
Kants »Revolution der Denkungsart«alseineproblemgeschichtlicheBetrachtungsweise.259
schoneineSpannung vorliegen).DasErstereist das,dessenBestimmtheit inHinsichtaufdasandere geltensoll;dasAndereist das,nach dessenBe- stimmunginHinsichtauf Ersteres gefragt wird.
Wasgalttum-ehedieMathematik aus-deusicherenWegderWissenschaft gelangtwar, inihralsdasGegebeneundBestimmte? Eswar dieFormund GestaltdereinzelnenDinge.ManstellteeineAnzahlvon einzelnenEigenschaf- tenfest,diesichanderGestalt zeigten.NunentdecktedasDenkenaberauch BeziehungenundVerhältnissezwis chendenDingen;hatteman drei Sterne in FormeinesDreiecksaufeinander bezogen,so sagtdasDenken, daßdie Ent- fernungzweier beliebigenSterne voneinander kleinerist,alsdie Summe der Entfernungen jedesderbeidenvom Dritten. Dem wurde entgegnet,daßes etwas Subjektives sei,dasdasWesenunddieGegebenheitderSterne nichts angehe;esberühredie Sterne nicht,obman siezu dreienoderzuirgendeiner anderen Zahlzusammenfaßte.Gegeben seidieGestalt jedes Sternes;das DenkenhabedieAufgabe, diese Gestalteigenschaftenzubeschreiben;durch die Dingehabe also erst Bestimmtheitin dasan sich unbestimmteDenkenzu ge- langen. Aufdiesem-Wegekonnteabernur eineHäufungeinzelner Kenntnisse gewonnen werden,diesolangeBestand hatten,wie dieDinge sichnichtmerk- lichänderten. Trotzdemaberzeigten sichSätzeüberBeziehungen zwischen Dingen,wenn man siewiePunkte verband,wie ebengesagtbei denSternen, oderwenn man Beziehungensolcher räumlichenArtan einem Gegenstande selbstherstellte,welcheSätzegarnichtvondenDingen abgelesenwaren (denn
eswaren SätzeüberBeziehungenundVerhältnissezwischen Dingen),die
gleichwohl geltenund zwar immer geltenwollten. Das war ein Wider- spruch,einunlöslichesRätsel.Waren dieDingedas Gegebeneund Be- stimmte,dasDenkennur dasUnbestimmte,zumBestimmtwerden Aufgege- bene,sokonnte esbezüglichderGegenständekeine in derWirklichkeitbestätigte Aussageenthalten,diesichVon ihnenselbst nicht ablesenließszDalöstemit
einemSchlageeine radikaleUmwälzungderDenkart diesen Widerspruch:das Denken enthieltinsichselbstdieKraftderWirklichkeitresentwarfausjskigw
nem inKonstruktionen dieBeziehungenundVerhältnisse,diees»dieDaum- lichkeit«nannte. DieRäumlichkeit,dasGanzeallerRaumbeziehungenistdas Gegebene.DurchdieKonstruktionen,die dasDenkenvornimmt,bestimmtes
erstallesdas,was im Raum sein kann; erstausdenimDenken
gegebenenBe-
ziehungenundVerhältnissen erhältdaseinenSinn,was,,Gegenstandheißen soll;jene(Beziehungen)geltenvor diesen(Gegenstanden).»Nun wardas Rätselgelöst,wie dasDenken, freivondeneinzelnenGegenständen,gleichwohl übersieallgemein zutreffendeAussagen machenkonnte.
Nach dieser UmwälzungdesVerhältnissesvonGegebenemundAufgegebe-
nemsagteman: dieBehauptung,dieDinge seiendasGegebeneunddasDenken
nur dasUnbestimmte, Leere,deniersteinInhalt gegebenwerdenmusse—
wäreein(metaphysischeroderempiristischer)Anthropomorphismusge-
wesen,dervonderwissenschaftlichenEinsichtabgelostwerdenmußte.
DergeometrischeRaum war alsodasWesentliche,dasGeltende,dasGe- 17«·
260 ArbeitGdkicmd
gebeueundBestimmte geworden,dieDingewurden zumUnbestimmten,zu PunktenX,Y,Z,die erst ihre Beziehungsbestimmtheit,ihren Gehaltzuemp- fangen hätten.DasDenkenistdieGesetzesquelleallerRaumbestimmtheiten, unddieGegenständesind das,was durchdasDenkenerstzu Sinn undBe- deutunggebrachtwerdenmuß.
NachdieserRevolution derDenkungsart gingennun zweiJahrtausende ihrenneuen Wissenschaftsweg.WirwollennichtderEntdeckungderJnsinitesi- malmethodeinihrerrevolutionären Bedeutung nachspüren,sondernzuder- jenigenuns wenden,diezudensogenannten Nichteuklidischen Geome- trien führte. AuchzuihrerEntdeckung veranlaßteeinWiderspruch,ein unlös- baresRätsel, wodurchdiegeometrischeErkenntnis ingroße,innereUnruhever- setztwurde.
Alsdas Gegebeneundalso Bestimmte galtdas Ganzealler Raumbe- ziehungen,wie essichin derTatsächlichkeitdesgeometrischenDenkens dar- stellte.AlleBesonderheitenim Raumewaren nurAuswirkungenderBestimmt- heit dieseseinen Raumes desgeometrischenDenkens. AlleSätze,vondenAxio- menan,mußten,wieunabsehbar großdasFelddersichverästelndenBestimmung war, einheitlich zusammenstehen,weil alleausderbestimmten Einheitdeseinen Raumdenkens hervorwuchsen.WennabersoalleSätze, selbstdieAxiome,aus dergegebenenNatur deseinenDenkraumes sichableiten lassen sollen, durch diesebestimmteNatur »desRaumes« zuihrer Widerspruchslosigkeiterstbe- stimmt werden,dann kannesnicht möglichsein,einesdieserAxiomeheraus- zuheben,esso umzuändern, daßeszumWiderspruchmitseiner früherenForm wird,undnun gleichwohlmit denübrigen,aber unverändert gelassenen Axiomen zusammeneine insich durchaus sinnvolle,d.h.widerspruchsfreieneue Gesamt- heitvon SätzenüberRaumbeziehungenzugewinnen. Gleichwohl geschahes.
Diese Entdeckungennannte man dieNichteuklidischenGeometrien,gegenüber dereinen,,euklidischen«,die uns vonderSchule hergeläufigist,unddiewir alsdiedurchdie Natur desRaumes gegebeneGeometriebisdahin ansahen.
Diese Entdeckungen enthüllteneinenunlösbarenWiderspruch.Von ihmbe- freitedie radikaleÄnderungderDenkart: NichtderRaum inseinerNatur ist das GegebeneundBestimmte, nochdieMannigfaltigkeit,von denAxiomen herbis zu allenmöglichenBesonderungen,daserstzuSuchendeundzu Be- stimmende, fürdieErkenntnis Aufgegebene.Sondern umgekehrt:derRaum ist dasinsich völlig Unbestimmte, ohneallen bestimmten Charakter;und die Axiome sinddasvorauszusetzendeGegebeneundBestimmte,dasaus sich erst dieunbestimmte Räumlichkeitjezu einemCharakter,zu einerbesonderen Natur bestimmt.WasmitdemRaum gemeint sei, istzurbesonderen lBestimmung aufgegeben,wirdgefragt, istdasProblem; dieAxiomeinihrer Bestimmtheit sinddasGesetzte,dasvoraus Gegebene. Diese RevolutionderDenkart,sdie wiederum unter demSchlagwortdesAnthropomorphismusgeschah,erlebte Kant nicht mehr;abersiewurde aus den gedanklichenZurüstungen,dieer schuf,unmittelbar verständlich.
Ganzausgleichem Geiste,weilnur inFortsetzungdieserMethodik erwach-
Karits,,RevolutionderDenkungsart«alseineproblemgeschichtlicheBetrachtungsweise261
send, sinddieUmwälzungen,dievonderPhysikheutevollzogenwerden,über diewirdie WortePlanckseinführtenWiekönnenhier nichtalleentscheidenden Revolutionm derDenkaktandemGebiete derPhysikdarstellenundmüssen UnsfürdiejüngsteaufAndeUtUUgeUbeschränken,indemwir uns auf Plancks schon zitierten Vortragstützen:diemechanischeNaturauffassung,die bis zur heutezurHerrschaftgelangendenRelativitätstheoriedas physikalischeWelt- bildbestimmt hatte,wollte alle Naturvorgängeals Bewegungen einfacher MasseUPUUktedeuten; NachderHettzfchenTheorie,diediemechanische Auf- fassungzu einergewissenidealenVollendunggebracht hatte, beruhtenalleBe- WegUUgeUletztenEndes ausschließlichaufderTrägheitderMaterie. Diese Theorieführtenun notwendigzurAnnahmedesLichtäthers,derdenganzen Weltraum erfülle.AberalleBestimmungen,dieman diesem»kätseshaften Medium«erteilen mußte,widersprachendensonstigen EigenschaftenderMa- terie. Erwar das,,SchmerzenskinddermechanischenTheorie«,dassiemit immer neuen Schwierigkeiten belastete.Dagriffdieneuere Forschungzur MethodeeinerradikalenUmwälzungderDenkart. SiesetztealsAusgangund Gegebenes, statt eines dieWelt erfüllendenirgendwiemateriellen Licht- äthers,denWiderspruch,dasreine Vakuumundfragtenun,wie untersolchen Voraussetzungendann erstdieBeziehungenzwischendenNaturkräftenzu be- stimmen seien.Damit war dererste SchrittzurEntdeckungdesPrinzipsjder Relativität getan,diejetztzu einerUmwälzunggrößtenAusmaßessichaus-- wächst.
DieUmwälzungderDenkungsart,diesichvonHumezu Kantvollzogen hatte,istmethodischleichteroerständlichzumachen.Humewarvor einenun- lösbarenWiderstreitin derNaturerkenntnis geführtworden. DieVorgängeder Natur,wiesie sichinunserenEmpfindungenanmelden, folgeneinander inun- beherrschterMannigfaltigkeitundstellen sichdemErkennennur in deneinzelnen MomentenderEmpfindungsanmeldungdar. Gleichwohl gibtesetliche Folgen von EmpfindungsaussagenüberNaturvorgänge,diesichals wiederkehrende einprägen,wiedie, daß,wenn man sicheinemFeuer nähert,Wärmeverspiirt wird.Darüber aber weithinaus hatdasDenkendieNeigung,dieseFolgenicht bloßsubjektivalsGewohnheit stehenzulassen,sondern objektiveineVerknüp- fUtigderNaturvorgänge selbst,nämlichalsUrsacheundWirkung,auszusagen;
zusagen:dasFeuer seidieUrsachederWirkungderErwärmung.Damit sucht dasDenkenderNatur einGesetzallgemeingültigerArtzuzuschreiben,während das,was derErkenntnis alleindasGegebeneundBestimmte seinkann,Tdie Empfindungen,nur einesubjektive Aussageüber dieGewohnheiteinesbloß zeitlichenNacheinandergestattet.DasDenken,demalleBestimmtheiterstaus solchemEmpfindungsgeschehenzuwachsen soll, enthältgleichwohldiesenZwang
objektivbindenderGesetzlichkeit,genannt Kausalität,insich.Dasenthullteinen
unlösbarenWiderspruchzu allemGegebenenderbloßenEmpfindungstatsäch- lichkeiteinzelner Absolgen.DalöstKant diesRätsel, (dasHumenichtbe- wältigenkonnte), durchdie radikaleUmdrehungdesBlickes:NichtdieEmp- findungsinhaltesinddasBestimmteundGegebene,währenddiederäußeren
262 AlberiGörland
NaturanalogeZusammenkettungvonEmpfindungsvorgängendasiAufgegebene ist,sondern das,waswir,,Natur«,dasGanzeder,,Erfahrung«nennen, ist einvölligunbestimmtesMannigfaltiges,ein zu einemGanzender,,Erfah- tUUg«,zur»Natur« erstzuBestimmendes,alsein zuBestimmendesledig- lich Aufgegebenes,währenddasGesetzderKausalität,d.h.dieobjektive,ge- setzlicheBeziehungderVorgänge aufeinander,alsUrsacheundWirkung,das schlechthinerste GegebeneundBestimmte ist. Hume sagt: Gegeben istdasVon derNatur in denEmpfindungen sichAnmeldende;und erfragtedann: wie kann denBeziehungenunter denEinzelheitensolcherVorgängeBestimmtheitzu- kommen? DasDenkgesetzderKausalität ließsichaus solcher StellungVonGe- gebenemundAufgegebenemnicht erklären;eswar einWiderspruch,denHume ungelöststehen lassen mußte.KantvollzogdiekopernikanischeUmdrehungdes Blickes ;ersetztealsdasGegebeneundBestimmtedasobjektiv geltensollensde GesetzderKausalität;undfragtenun: wieistalsdann dieMannigfaltigkeit«der Erscheinungenals objektive Einheit der Natur auszudrücken?Es soll alsoaus den an sichunbestimmtenEmpfindungeneinSystem meßbarer Abhängigkeiten,d.h.»Natur«erst erwachsen,indemsieausdenreinenBedin- gungen desDenkens nach Zahl, Maßund Gleichung ihre Darstellung erster- fahren. Waren soKausalgesetzundZahl, MaßundGleichungals seine MittelderDarstellungdasVoraufgegebeneundBestimmte geworden,»Natur«
aberdaszurBestimmung erstAufgegebene,ansich Unbestimmte, sowar Idas Problemund derWiderspruch geschwunden,wieesmöglich sei,inobjektiven Notwendigkeiten Aussagenüberdaszu treffen,was nun alsNatur zugelten habe.DannalleNaturvorgängekonntennun nichtsanderes alsnach Maßund Zahl besondere Bestimmungeneinerallgemeinen Abhängigkeitsformsein.— Gehenwirnach diesenDarstellungenderUmwälzungenimnaturwissen- schaftlichenErkennenüber zudem,was unmittelbar in dieGestaltungunserer Lebensführungeingreift:aufdieUmwälzungen,die das Gebiet dermenschlichen HandlungenvoninnerenWidersprüchenundRätselnbefreiten.— JmNatur- zustandwerden dieMenscheninihrenHandlungendurchdieTriebeundNei- gungen bestimmt,die derMenschmitdenTierengemein hat. DurchdasZu- sammentretenbildetsicheingewisserBestandder Sitte heraus,in derenFor- men derVerkehrderMenschen verläuft,der abernachwievorvontriebhaften Neigungen, obzwaringewissem durchgängigenGleichklangdesAusdrucks ge- lenktwird. DiesemZustandgegenüberbedeutetedieAufstellungvon »Ge- boten«,wie imDekalogdes altenTestamentes,einenFortschrittderGeschichte, den eineradikale Umwälzungder Denkungsartbewirkte. War vordem das Individuum in der WillkürseinerTriebegegeben,sowar dieVerkehrsform derSitte das,was aus denNeigungender einzelnen Individuennachund
—nachsich bestimmtealsdie immer deutlicher sichherausstellendeGesamtheit gleichsinnigerTriebe;war alsoderaus denbestimmten Individuenallmäh- lichherauswachsendeGruppencharakter zusammenlebenderEinzelwesen.Die VerbundenheitdurchSitte war dasansich Unbestimmte,aber dasunausgesetzt zugrößererBestimmtheit gelangende Aufgegebenez dieWillkürderEinzelnen