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Die Zukunft, 14. Januar, Jahrg. XXX, Bd. 116, Nr 16.

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XXX. Jahrg. B e r l i n , den 14. Januar 1922 N r. 16

Die Zukunft

Herausgeber

Maximilian Harden

IN H A L T

Seite D ichtung und Wahrheit ... . . 31 M oliire M a r t y r ... ...31 <

W ilhelm warnt W i l h e l m ... . . . 45

Vereinigte Staaten von Europa 51

Nachdruck verboten

Erscheint jeden Sonnabend

Preis vierteljährlich 35 Mk. / Einzelheft 3,50 Mk.

BERLIN

ERICH REISS VERLAG

(Verlag der Zukunft) 1922

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E l e f a n t e n - A p o l h e k r , B erlin SW, L eipziger S t 74, am D önhoffplatz W irn sp r.: Z en tru m 7192 I

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DIE ZUKUNFT

H erausgeber: M a x im ilia n H arden

XXX. Jahrg. 14. Januar 1922 Nr. 16

Dichtung und Wahrheit

M o lie r e M a r ty r

eihnacht unverwelklicher Kunst dämmert dem Gedacht»

niß. Vor dreihundert Jahren ist M oliere den Menschen geboren worden. In dem ersten Artikel, der an würdiger Stätte über den D ichter und Spieler veröffentlicht wurde (1695, zehn Jahre vor Grimarests Lebensbeschreibung, in Bayles unverjährbar herrlichem Dictionnaire historique et critique), sagt, ohne seine scheue Fremdheit in der Bretterwelt feig zu hehlen, der tapfere Pierre Bayle, niemals werde sein W örter­

buch so viele Leser finden, wie Molieres W erk schon gefun­

den habe. D och ist er dem Schöpfer dieses W erkes nicht etwa von Herzen freundlich; erwähnt sogar das G erücht, der Hofdienerssohn sei nur, um irgendeiner hübschen Spielerin fester anzuhangen, unter dieKom oedianten gelaufen und habe schließlich seine eigene Tochter geheirathet; ob er, wie Manche behaupten, die Komoedienschöpfung der Griechen und Römer übertroffen habe, müsse ein anderes G ericht entscheiden. Aus dem M und Goethes, des Letzten, der in Deutschland Betracht«

liches über den D ichter sprach, hat das G ericht die Frage bejaht. „Von M enander nur geben die wenigen Bruchstücke, die ich von ihm kenne, mir eine so hohe Idee, daß ich diesen großen Griechen für den einzigen Menschen halte, der mit M oliere zu vergleichen gewesen wäre. D er ist ein M ann für sich. Seine Stücke grenzen an das Tragische, sie sind appre*

hensiv und N iem and hat den M uth, es ihm nachzuthun. Er ist ein reiner M ensch: Das ist das eigentliche W ort, das man von ihm sagen kann. An ihm ist nichts verbogen und ver«

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bildet. U n d nun diese G roßheitl Ich lese alle Jahre einige seiner Stücke, wie ich auch von Zeit zu Zeit die Kupfer nach den großen italienischen Meistern betrachte. D enn wir kleinen M enschen sind nicht fähig, die G röße solcher D inge in uns zu bewahren, und müssen deshalb immer wieder dahin zu*

zückkehren, um solche Eindrücke in uns aufzufrischen. Mo*

liere züchtigte die Menschen, indem er sie in ihrer W ahrheit zeichnete. Ich kenne und liebe ihn seit meiner Jugend und habe während meines ganzen Lebens von ihm gelernt. M ich entzückt an ihm nicht nur das vollendete künstlerische Ver*

fahren, sondern vorzüglich auch das liebenswürdige Naturell»

das hochgebildete Innere des Dichters. In ihm ist eine Grazie, ein T akt für das Schickliche un d ein T on des feinen Umganges, wie es seine angeborene schöne N atu r nur im täglichen Ver*

kehr mit den vorzüglichsten Menschen seines Jahrhunderts er*

reichen konnte“. Dem Sohn der Frau Rath, der in Hoch#

kultur, als in das einzige Vaterland, das edle Seelen zu suchen haben, strebt, in jeder Stunde dankbar sich als den Schuldner des Franzosengeistes empfindet (u nd heute fast noch so ein«

sam wäre wie 1806 und 13, von W u th und Jubel noch viel ferner), ist M olieres anm uthiger Takt, der auch sch weigen kann, im H erzensgrund (jeder T on erwähnender Sätze verräths) näher als Shakespeares oft tamerlanisch wilder Genius, der den grassesten Schmerzenslaut, das schrillste Brunstgejauchz nicht, im Bann des H ofanstandes, sittigt, sondern Entsetzen und W onne, Z orn und Rausch, das wüsteste W ollen un d das herrlichste G lückserlebniß austobt, ausrast, in Himmel auf*

trotzt und in H öllen niederkichert. Goethe, der nur einmal promethidisch, auch nicht lange urfaustisch gestimmt war,, weilte in der freundlichen Sonne, den umsponnenen Schatten«

nestern und zu inniger Zwiesprache ladenden M ulden kräftig, aber auch zierlich gezackten M ittelgebirges lieber als in der Ueberw elt kalt blinkender Gletscher, steiler Grate, blutig aus A bendgrau drohender Firne; fand sich im siebenzehnten Jahr*

hundert, beim Sonnenlouis, leichter zurechtals im sechzehnten, bei der allzu englischen Brünnhilde Elisabeth. In die Stim*

mung sturmlosen Kleinfürstenthumes un d m it'B ew ußtsein auf fester Lebensstufe bleibender Selbstsucht, der Lord Byron, aus Eden»Hall u n d der schwarzgelb raunzende Bürger Grill*

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D ichtung un d W ahrheit 3 5

parzer mehr gelten als Lenz, Kleist und ähnliche j,Gefühlsver*

wirrer“, können wir heute nicht folgen. U n d hören lächelnd die Pariser, die erst in der Kriegszeit, der Entente Cordiale zu neuer Ehre, mit lauer Seele eine Shakespeare»Gesellschaft gegründet und in Gemiers reinhardtischer Inszenirung den Rechtstreit Scheilocks wider A ntonio beklatscht haben, dem Briten den Pompsessel zwischen Corneille und M oliere an«

bieten. M it G öttern soll sich nicht messen der Mensch: un d in ihren Rang, dessen M erkmal U nerm eßlichkeit ist, gehört Shakespeare. D och weil ein Stamm alle, die vor ihm waren und nach ihm wurden, überwuchs, darf Ehrfurcht sich nicht von schön gewölbten W ipfeln wie von Halbwüchsigem ab*

wenden. Als solcher W ipfel, der an Saft und D uft reichste»

ragt, unverwittert, M oliere nun ins vierte Jahrhundert.

D er vierzehnte Louis von Frankreich hatte, ein immer strahlender Roi’Soleil, die der Heim ath entsprossene K unst zärtlich gehegt und nie ein Pflänzlein, das dürftigste, weil dessen D u ft ihm nicht sogleich schmeckte, zum W elktod verdammt. „N ahet ihm nicht mit W eihrauch und Lobhudelei, mit Geschwätz von W o hlthat und H u ld : ein Lächeln zieht den Schlußstrich unter jeden Versuch, ihm Komplimente zu drechseln.“ Jean Baptiste Poquelin de M oliere hats geschrieben, da der achtundzwanzigjährige König ihn auf die Liste der Literaten gesetzt hatte, die in jedem Jahr tausend Francs, als Unterhaltszuschuß, aus der Schatulle empfingen. N u n ist der Dichter E inundfünfzig; schon aber vom Leben und Lieben, von A rbeit und Komoediantenabenteuer recht morsch. Ein paar D utzend Stücke geschrieben, fast immer die H auptrolle ge*

spielt, mit allem Geschäftskram des Theaters bebürdet und viel Zw ist und Kummer im H aus: D as setzt sich nicht in die Kleider. Rheuma und H usten plagen ihn bös. Putzig, daß er gerade jetzt einen N arren mimt, der sich Krankheit nur einbildet, von geldsüchtigen Aerzten und Pfuschern, A pothekern und D arm spritzem einreden läßt. D as neue D ing, dessen drittes Ballet’Intermezzo die großmächtige Mediziner*

Fakultät w und pritscht, soll zum Totlachen sein. Schade, d aß König Sonne sich noch nicht dran freuen konnte. Nächstens.

W ird heute die vierte A ufführung des „M alade Imaginaire“

möglich w erden? D er D ichter fühlt sich schlechter als je;

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u n d Argan ist eine anstrengende Rolle. Baron, der ihm menschlich liebste Spieler, sitzt an M olieres B ett; dahin wird auch Frau Arm ande (die auf dem Theaterzettel nicht Frau, sondern Fräulein M oliere heißt) gerufen. „So lange in meinem Erlebniß dem Leid sich Lust mischte, hielt ich mich für glück*

lieh. Jetzt? A u f Freude, innere G enugthuung darf ich nicht mehr zählen; keine Stunde ohne Schmerz und kein Ausblick ins Helle. Ich m uß das Spiel aufgeben. W as hat der Mensch auszustehen, ehe er stirbt 1 N a , mit mir gehts zu Ende!“

D ie Frau und der Freund beschwören ihn, die Vorstellung abzusagen un d sich, endlich, die Ruhe zu gönnen, in der er rasch genesen werde. „Ihr habt leicht reden. W ie kann ich denn absagen? Fünfzig arme Teufel kommen, wenn nicht gespielt w ird, um ihren Taglohn und hungern. M üßte ich m ich nicht schämen, sie, ohne unwiderstehlich zwingende N othw endigkeit, ums Brot zu b ring en ?“ Er läßt die T ruppe zusammentrommeln und sagt: „M ir gehts jämmerlich. Seid P unkt Vier zum Anfang bereit; später wärs gar nicht mehr 2 U machen. Kann ich mich nicht hinschleppen, so m üßt Ihr das Eintrittsgeld zurückzahlen.*' U m Vier geht im Palais- Royal der V orhang auf. Prolog. „N ach dem glorreichen K raftaufwand und Sieg unseres erhabenen M onarchen ver*

pflichtet Gerechtigkeit jeden Schreiber zu Verherrlichung oder Erheiterung des Reichshauptes. Diese Pflicht soll hier er»

füllt werden. D er Prolog preist den großen König; die Hypochonder*Presse soll die von edler M ühsal gefurchte Stirn des Fürsten entrunzeln.“ Tanz der Zephyre u nd Schäfer.

Flora und D orilas singen: „Louis ist heimgekehrtl Bis in den Schatten dichtesten Gebüsches töne aus Kehle und Flöte tausendstimm ig der R uf und tausendfach halle Echo ihn wieder: Aller Könige größter ist Louis und W onne, Diesem das Leben zu weihen 1“ (Totfeind scheint Dieser denKompli*

mentedrechslern doch nicht zu sein.) Zw eiter Prolog. Eine H irtin singt W eisheit (die nur W indesfreundschaft ihr zu*

geweht h ab e n k a n n ): „A ll Euer W issen ist, eitle, unvernünftige Aerzte, das erlauchteste noch, leerer W ahn. M it Eurem groß«

brockigen Latein lindert Ihr nicht das H erzweh, das mich in Verzweiflung drängt. Einfalt traut Euch Allmacht über jedes Heilmittel zu; doch keins ist zuverlässig, keins hat mir

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geholfen. Euer Gegacker taugt als Rezept nur Einem, der sich die Krankheit einbildet. Euer erlauchtestes W issen b leibt eben leerer W ahn.“ N u n hockt Argan im Kissengebirg seiner Stube und prüft die neuste Apothekerrechnung. N iem and merkt, daß der Spieler ernstlich leidet. Erst in der Schluß»

ceremonie.als ihn, im Kleide des Baccalaureus, der den Doktor»

eid leisten soll, ein Krampf schüttelt und das ,J u r o “ in der Kehle erstickt, rieselt ein Schreckensruf durch das Parterre.

Fehlt dem Komiker Etwas? U nsinn; er lacht ja laut aufs wollte wohl nur mit einem Rückfall in die Krankenrolle den feierlichen Küchenlateinerspaß würzen. N ach dem Schluß d e r Vorstellung schleicht er, im Schlafrock, in Barons G arderobe.

H ats denn heute gefallen? M ehr als je zuvor; je öfter man»

D eine Stücke sieht und hört, desto bunter wird die Fülle der Schönheit, die sich entdeckt. D u selbst aber, Lieber,, gefällst mir jetzt noch weniger als mittags. „Stimmt, mein»

Ju n g e ;'ic h friere gräßlich.“ D ie eiskalten H ände werden m einen M uff gesteckt und Baron geleitet sorglich die Sänfte, die den Kranken aus dem Palais» Royal nach H aus, in die Richelieu*Straße, trägt. Ein Bischen B ouillon? „U m des Himmels willen nicht 1 H ast D u eine A hnung, welche Z u th at meine Frau (die ihren Körper verhätschelt) zu ihrem Sud m itverkocht? Für mich ist ihre Bouillon das reine Scheide#

wasser. G ieb mir lieber ein Stückchen Parmesankäse.“ Er ißts, ein paar Brotkrum en dazu, kriecht ins Bett und lä ß t Armande bitten, ihm das versprochene Kopfkissen zu schicken,, dessen K unstduft, wie sie sagt, noch den von Schmerz Ge*

peinigten schnell einschläfere. ,.W as man nicht in den Leib zu stopfen braucht, nehme ich gern; nur, was ich schlucken soll, ängstet m ich: weils mich leicht um das Lebensbleibselchen^

das ich noch habe, bringen könnte.“ Abscheulicher Husten*

anfall. „M achet doch Licht 1“ M ensch, in Deinem A usw urf ist ja BlutI“ „W ar schon manchmal. Kein G rund, zu er*

schrecken.“ Zwei Barmherzige Schwestern, die er für die Z eit der Fasten und pariser Almosensuche ins H aus aufgenommen hat, sitzen an seinem Lager und sprechen ihm von dem»

H eiland und dessen jungfräulicher M utter. „Vielleicht, Baron*

ists gut, wenn D u meine Frau heraufholst.“ Er röchelt. Ein Blutbach schwemmt den Athem weg. A rm ande und Baron

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finden in den Armen der Barmherzigen die leblose H ülle.

Zw ei Stunden zuvor hat er auf der Bühne, als Baccalaurens A rgan, das Schlußwort seiner Rolle gesprochen: Amen!

Freitag, am siebenzehnten Februar 1673. N icht weit von dem H aus, das ihn verröcheln hört, ist er am fünfzehnten Januartag des Jahres 1622 geboren w orden: an der Ecke der Honore* und der A lten Badstuben»Straße. Frau Marie, die Tochter des Tapezirers Cresse, hat ihn dem Tapezirer Jean Foquelin, Kammerdiener Seiner Allerchristlichsten Majestät, geschenkt. D aß der Junge in die Z unft gehöre, versteht sich.

D er vierzehnjährige Lehrling kann lesen, schreiben, rechnen, kleben und basteln. G roßvater Cresse nimmt sein H ätschelkind manchmal ins Burgunderschlößchen mit, wenn Charakter»

kom oedien und Possen aufgeführt werden. D a ist das Leben, die große und kleine W elt, ist M enschheit mit wirrem G efühl, ins W üst*Ulkige verzerrtem Schmerz un d ins Erhabene lan«

gendem Blödsinn. N ach solchen A benden will die A rbeit m it Leim, Kleister, Scheere, Hammer, Stecknadel gar nicht schmecken. Langes Bitten des Schwiegervaters un d des Sohnes weicht den Sinn Jeans, der die Frau verloren, zum zweiten M al geheirathet hat und den Bengel gern der Stiefmutter aus dem A uge schafft. Fünf Jahre lang geht Jean Baptiste in die Jesuitenschule von Clerm ont (die später, als College Louis le G rand, w eltberühm t w urde) un d sitzt dort zwar nicht, wie mancher Biograph angab, neben dem Prinzen Conti, dessen Bruder der große M arschall Conde, dessen alterndes H irn j ansenistisch und theaterfeindlich wurde, doch neben Chapelle, den N eigung früh in Literatur und Kritik drängt und bei dessen „N atürlichem “ Vater Luillier er den (von Bayle später hoch über jede M öglichkeit des Vergleiches mit Lebenden gehobenen) M athem atiker und Philosophen Gassendi, den Bekämpfer der Aristoteles und Decartes, kennen lernt. W ird D er sein Lehrer? Freundlich klingende Ueberlieferung sagts;

läßt den Bauersohn Petrus Gassendi ein Schwärmchen heller Knaben erziehen, dem, außer dem Tapezirerssohn mit dem Täufernamen, der kecke Chapelle, der trotzige (als Erwachse­

ner nicht einmal vor Colberts Machtschimmer verstum mende) H esnault und, als einziges Adelsreis, Cyrano de Bergerac angehört. (Schulgenossen sind im Geistigen gern Kommu»

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D ichtung und W ahrheit 37

nisten; das von einem Erarbeitete soll aller Besitz sein. Als G rim arest gerügt hatte, daß M oliere Stückchen aus Cyranos

„Le pedant joue" in die „Fourberies de Scapin“ aufnahm, erhielt er die A ntw ort: „W as mein ist, kann ich immer und überall zurücknehmen.“ H atte Cyrano von Foquelin abge»

schrieben?) D er neunzehnjährige Junge des Hofbettmachers kann aber von Lukrez*Uebersetzung un d anderem Getändel mit Literatur nicht das Leben fristen; m uß nachgerade für den Broterwerb sorgen. Er folgt dem nicht mehr rüstigen Vater in den Kammerdienst; begleitet den dreizehnten Louis nach N arbonne; sieht die nicht von Justitia gesegnete Hin«

richtung des ehrgeizigen Marquis de Cinq*Mars, dessen Ver*

hältniß zu Richelieu ungefähr war wie, in der Zeit sanfterer Sitte, das H arrys von Armin zu Bismarck; und hat dann wohl (ganz sicher ists nicht) in Orleans ein Bischen studirt.

Von d ort aus geht er, dessen Theaterleidenschaft sich nicht drosseln läßt, den W eg, den ein Vierteljahrtausend danach H err A ntoine ging, der vor H errn Reinhardt wichtigste M ann der neuen E uropäerbühne: er schaart eine D ilettantentruppe, in die sich sogleich zwei Brüder Bejart un d deren Schwester M adeleine reihen, drillt sie ins Zünftige und gründet auf sie sein „Illustre Theätre“. Ein stolzer Nam e für das beweg*

liehe Bretterhaus eines Trüppchens, das durch alle pariser Stadtviertel w andert und oft auch in die Provinz ausschwärmt.

Sein Leiter hat das dünne Band, das ihn an Bürgerlichkeit knüpfte, zerschnitten, von der Familie sich losgesagt und den N am en M oliere angenommen. 1643. Paris bleibt spröd, auch der zweite Versuch (im Ballspielhaus zum Schwarzen Kreuz) scheitert und der D irektor m uß für ein W eilchen ins Schuld*

gefängniß. Elf Jahre lang werden nun die Provinzen, beson»

ders Südfrankreichs, abgegrast. U eber den Spielplan wissen wir nichts G enaues; nur, daß der Spielleiter und Haupt«

Spieler aus allerlei Stoff der alten und der neuen Römer Schwänke und Im prom ptus gemacht hat. In Lyon fängt er, den das zärtliche V erhältniß zu M adeleine Bejart nicht vor anderem Reiz abkühlt, einer neben ihm um die Bürgergunst werbenden Truppe die Frauen D u Parc und D e Brie ab;

wird von der Ersten verschmäht, von der Zweiten erhört und is t in allzu männischem W andel auch sonst den Korrekten ein

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Aergerniß. Am M orgen des sechszehnten Jahrhunderts hat der von U ngnade und Verdacht um wölkte Staatssekretär Macchiavelli, der D ichter der M eisterkomoedie „Mandra*

gola‘\ mit offenem O hr dem Schwatz florentinischer Hand«

werker und Krämer gelauscht. Eben so that, als das Jahr*

hundert der N acht zuneigte, in Spanien Cervantes, in Eng*

land Shakespeare. D ie sind seit vierzig Jahren tot. Jetzt sitzt Moliere am Zahltisch der Kleinstadtbarbiere und horcht auf das Gespräch der K unden, die struppig kommen und m it glattem Kinn, m it beschnittenem, gesträhltem H aar an der Thürangel sich verplaudern. In den Vieren wirkt der D rang, das Empfinden, die Sprache, den Herzschlag des Volkes zu hören, m it seinem H irn denken, mit seiner Zunge reden zu lernen, nicht in luftloser Literatenwelt Papier zu werden. D ie Bejart, die Brie, im Januar eine Blonde, im Ju li eine Schwarze: allerliebst; doch Theater, erkünstelte, verkünstelte Galanterie. Dem Allumfasser soll die Seele des Metzgergesellen, des M ädels im Bäckerladen klingen. Doch den Franzosen zieht das Schicksal nun aufwärts. Er spielt vor Conti, in M ontpellier, dann in dessen pariser Schloß, wird von M onsieur, dem H erzog von Orleans, beachtet und eingeladen, vor dem König seine Künste zu zeigen. D er sitzt, am vierundzwanzigsten O ktober 1658, im Leibwachensaal des A lten Louvre und sieht, mit dem H ofstaat und den Spielern aus dem Burgunderschloß, Corneilles Tragoedie von dem Bithynerkönig Nikom edes. Als sie ausgespielt ist, tritt der H irt der auf so üppige T rift zugelassenen H eerde vor, beugt den Kopf, duckt die Seele und dankt dem größten aller Könige, der so nachsichtig auf das M ühen kleiner Komoe*

dianten geblickt und wohl bedacht habe, wie sie durch die G egenwart bewährter Hofspieler, ihrer höchsten Vorbilder, eingeschüchtert w orden seien; da Seine M ajestät sich so huld*

reich erwiesen habe, bitte er um die gnädige Erlaubniß, noch ein Stückchen aufzuführen, dem in den Provinzen viel G unst zugefallen sei. Eingeschickter Mensch. Begreiflich, daß er nicht valet*de«chambre*tapissier sein, nicht morgens und abends das Bett des Königs in O rdnung bringen wollte. Vom Scheitel bis zur Zehe Theatertemperam ent; mit einem Lächeln, Augen*

zwinkern, noch mit den w ippenden Beinen sagt er mehr als-

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D ichtung un d W ahrheit 39

d er beste Redner in langen Schachtelsätzen. Ist er dem Ro*

mandichter, dem Kammermusiker oder Tänzer M oliere ver*

w andt? N ein; Theatername. Jedenfalls Einer, der Sonne ver*

dient. W as er zugab, das Possenspielchen vom verliebten Arzt, war von saftiger Frohsinnlichkeit. Z u so netten Sächel*

chen erniedern unsere steifen H erren aus dem Burgunder*

schloß ihre Hoftragoedenwürde nicht mehr. Molieres Bande heiße fortan „La troupe de M onsieur“ und spiele im Petit*

Bourbon. Das eröffnet sie am dritten N ovem ber mit den Ko*

moedien „L’fitourdi“ un d „Le depit am oureux“.

Ein Jahr danach beginnt, mit den „Precieuses ridicules“, dem kecken Sturmlauf gegen die G eistputzsucht in Schnür*

b rust und Kniehose, die Reihe der großen Siege; der W eg in Unsterblichkeit. D er ihn geht, hegt die Grille, in den Kammerdienst seines Königs zurückzukehren. Um der Sonne bei Aufgang und U ntergang nah zu sein? 1661 löst er einen B ruder im A m t des Bettmächers ab. Dem feinen Tressen*

pack ist der Kommoediant als Gefährte gar nicht willkom*

men. Ein Schränzchen weigert sich, mit ihm zugleich das Laken zu glätten, die Kissen zu schichten: und der Dichter Bellocq, auch ein in Bettdienst Verpflichteter, erbittet „die Ehre der Arbeitgemeinschaft mit H errn de M o le re “. Auf*

geblasene Kammerhäuptlinge drücken sich vom Tisch des M ahlzeitaufsehers weg, weil der Schauspieler sich, wie ihm zuköm m t, herangeselzt hat. Das hört der König. Schon hat er Boileau gefragt, von welchem Schriftsteller seine Regirung*

zeit den hellsten Glanz empfange, und, da der große Satiriker und Kritiker M oliere nannte (nicht Corneille, Racine, La Fon*

taine, Bossuet, den Herzog de la Rochefoucauld), gesagt: „D as wußte ich bis heute nicht; aber Sie müssen es besser als ich verstehen.“ U nd solchen Mann soll freches Gesinde kränken?

„M ir scheint, lieber Moliere, daß Sie hier fasten, weil meine Kammertrabanten sich zu gut für die Tafelgenossenschaft mit Ihnen finden. Ich bin mit ziemlicher Eßlust aufgewacht und vielleicht haben auch Sie Hunger. Herein das kalte Ge*

flügel, das nebenan nachts immer bereit stehtl Setzen Sie sich zu mir. Ein Beinchen mir, eins Ihnen. N u n dem engeren Hof*

staat zur M orgenhuldigung die T h ür auf 1 Ihr findet mich bei angemessener Beschäftigung: ich füttere unseren Moliere, der

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meinen D ienstboten zu schlechte Gesellschaft scheint.“ In je d er Fährniß, auch in dem langwierigen Streit um den „Tartuffe“*

bleibt Louis ihm freundlich. Sieht mit ernstem Bedauern, daß der Dichter, der allen anderen überlegene Charakter*

komiker und Spaßmacher so früh altert, am Tag die Stimme ängstlich schonen muß, nur noch Milch, als Nährmittel, ver*

tragen kann; und versucht oft, ihn in E ntbürdung von den>

Lasten des Spieles und der Spielleitung zu ü b em den. D ahin drängt ihn auch Boileau. „D ie Akademie giebt D ir den ersten freien Sitz, wenn D u dem Theater entsagst.“ N e in ; Ehre zwingt*, auf dem PJatz auszuharren. „Ehre! Jeden A bend sich d as G esicht anschmieren und mit dem Buckel Stockprügel auf*

fangen: seltsamer Ehrenkodexl ‘ Rasch gehts bergab. U nd d erT ote ist der unheilbar königlichen Selbstsucht desG önners nur noch ein verwesender Leichnam. Armer Yorick, wo sind nun Deine Schwänke? Ju st so lange, wie D u erlustigen konntest, schien D ir die Sonne; heischst D u als W urm speise noch G u n st? D er Pfarrer von Saint*Eustache weigert dem Komoedianten, der nicht den letzten Segen dör Kirche emp*

fangen habe, christliches Begräbniß. M it dem duldsameren Pfarrer von A uteuil, dem Landsitzsprengel der M o'ieres, eilt die W itwe nach Versailles; und wird von Louis barsch ab*

gewiesen. D er Erzbischof soll einen Ausweg finden. F indet ihn schnell; denn der König befiehlt. Ein Bischen Erde,, doch kein feierliches Geläut. An/i einundzwanzigsten Februar*

abend folgen zw eihundert M enschen mit Fackeln der Bahre in die M ontm artrestraße; vornan zwei stumme Priester. O hne Grabgesang wird der Sarg in die Erde des Josephkirchhofes versenkt. Vor das Trauerhaus hat sich mürrisch dem G aukler feindlicher Pöbel gerottet und ist erst gewichen, als ihm aus den Fenstern Geldm ünzen zugeworfen wurden, ßoileau aber gebiert ,,vor diesem kleinen, durch Flehen erlangten Fleckchen Erde“ W orte von nie zuvor aus ihm geströmter W ucht. U nd La Fontaine ruft: „U n ter diesem G rabstein liegt Moliere, schlummert mit ihm Plautus und Terenz. T rügt meines Geistes Auge nicht, so ist diese D reieinheit unserer K unst für lange gestorben.“ Bis in Beliards Festgedicht, das im H ause M olieres (rostandisirend) den D reihundertjährigea feiert, schwingt dieser T on hymnischer Liebe fort.

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Dichtung und Wahrheit 41

Molieres W erk wächst dem Auge des fernen Betrach­

ters bis auf die H öhe des von Pascal geschaffenen und wird indem großen (dem einzigen höchster Seelenkraftanstrengung würdigen) Kampf für die Befreiung und Läuterung des M en­

schengeistes eine feste Burg und in alle Ewigkeit uneinnehm­

bar verschanzte Stellung. H at dieser Dichter nur, wie Voltaire rief, die Bourgeois, M arquis, Advokaten, Quacksalber ge­

züchtigt und Menschenwesen so weit zu bessern getrachtet, wie es der Besserung fähig ist? N ein. Den kräftig schönen und liebenswürdigen Mann, dessen Antlitz gar nicht der Vor­

stellung von einem Komiker ähnelt und der deshalb den der W elt entfliehendenW eltmann und Menschen verachter Alceste spitlen konnte, sehen wir mit Sirosonsarmen die zwei Säulen, auf denen derTem pelbau staatsbürgerlicherGesellschaft ruht, packen, beugen, brechen, daß auf die Fürsten und alles Volk das Haus krachend fiel; und hören seine ausThränenström ung jauchzende Stimme: „M eine Seele sterbe mit den Philisternl“

Sainte* Beuve, Frankreichs stäikster (und. weil er H istorie empfand und in tiefem Sinn politisch dachte, nur von Taines hellstem G estirn manchmal überstrahlter) Literaturkritiker, hat erkannt, mit welcher treibenden. Fauliges in Schlünde stoßenden Kraft Moliere bis in die W ehen der Revolution nachgewirkt hat. „Seine H and hat alles Vorurtheil und allen M ißbrauch gezaust; Beaumarchais selbst war kein der Stunde tauglicheres W erkzeug und am Vorabend von 1789 sprach Tartuffe eben so deutlich wie Figaro.“ W ie W indesathmen die Kerzen löscht, doch das Herdfeuer und jegliche Brand- gluth schürt, gerade so erstickt das Schauer windchen, das nach dem Entschwinden einer viel beachteten, von L ebe und Haß eng umlagerten Persönlichkeit die H inteibhebenen anweht, allen kleinen Zank und Neid und nährt mit dem selben Luftwiibel die reine Flamme großer Leidenschaft. S ichte Kränzchenweisheit schwatzt, der Abwesende habe immer Un*

recht; meint damit: weil er sich nicht vertheidigen könne, wenn Alles über ihn herfällt. U nd ahnt nicht, daß ein ver*

lorener M ann ist, wer sich vertheidigen muß, nicht, auf die Länge< durch seine Lebensleistung selbst schweigend für sich zeugt. T o d ist Abwesenheitohne W iederkehr, löscht drum für immer die Flämmchen. schürt zugleich aber die Feuer u n d

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wird der allmächtige Klärer und W erthbestimmer. Erst er hat Dieses für M oliere vermocht. W eil der Dichter noch im Z orn und als Schwinger der Stachelpeitsche liebenswürdig blieb, nie aus dem Taktm aß fiel, nie mit den M uskeln, den Faust«

Schwielen, dem U nflath der Rede prahlte, hatte man seine im edelsten W ortsinn revolutionäre, aufwühlende, umstür«

zende Kraft nicht richtig gewogen. D ennoch war in ihm m ehr davon als in den N eusten, „die sich so fürchterlich erdreusten“, aus jeder K onjunktur aber (K am pf für Geistes«

freiheit, Kunstsouverainetät oder Vaterland, N ationales oder Internationales) N utzen ziehen und zwar die Räder grimmig knarren,die Dampfpfeife übergell kreischen lassen, doch nir«

gends so heftig anstoßen, daß ihrem G üterzug Entgleisung, ihrem Lebensbehagen auch nur Schmälerung droht. In aller Z eit haben so Schlaue einander gefunden, gerochen und in den Rang der Bahnbrecher zu schmuggeln versucht. Moliere war von anderem Schlag. Niem als (leider) bis in Raserei w ild; doch an jedem Tag voll von freiem M uth und festem W illen zu menschenwürdiger Sittlichkeit. Die M arquis, Bour«

geois, Aerzte, Advokaten, Zierbengel, Kupplerinnen, Wissen«

schaftgecken, G eistheuchlerinncn, W üstlinge und Jugend«

knebler, deren Kasten, Gilden, Klüngel er stäupte, fügten sich, wie Ringe verschiedenen Stoffes und Umfanges, zu einer Kette, zu dem „P ublikum “ an dessen G unst er, als Dichter, Spieler, D irektor, hing, dessenU ngunstihn stürzen, den ganzenPlunder aus Leinwand, Oel,billigem Sammet und Flittern zerfetzen, den Q uell der Theaterherrlichkeit, der fünfzig Menschen nährte, verschütten konnte. O hne von solcher Sorge je sich hem«

men zu lassen, schuf er, was ihm der Genius, also Pflicht, gebot; pries den Zw eibund Natur»Vernunft; formte nach w andelnden V orbildern gebrechliche, seelisch fleckige Men«

sehen; strafte und schlug. Lachend? In all seinem unsterb«

liehen Gelächter (u n d das sterbliche klingt uns nicht mehr) h ö rt das wache O hr den M itlaut des Schluchzens. U nter seinenGipfelspäßen sind A bgründe. U nd vor diese Schöpfung hat der H ofbettm acher seinen K önig zu setzen gewagt und hat aus ihr zu ihm gesprochen: „D as ist Deine W eltl Das heißt eine W e ltl“ M enschenwelt (mochte Louis lächelnd seufzen), die selbst ein gottähnlich T hronender nicht, durch

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D ichtung un d W ahrheit 4 3

Stöße von außen, umwandeln, umstülpen könnte. So war, ist und bleibt wohl noch ein W eilchen die W elt mensch»

licher Komoedie. In Molieres, zu deren A ufbau aus Hellas un d Rom, Florenz und Lutetia Paris jeder brauchbare Stein und M örtel benutzt wurde, schlägt ein stärkeres, in Lauter«

keit innigeres H erz als in irgendeiner uns bekannten. Aristo*

phanes, dessen H irn wie kein anderes W itz sprüht, ist Seher, nicht Gestalter. A uf den kahlen H ügeln der klugen, streng nach Gerechtigkeit strebenden Altrömer fröstelt uns. Macchia*

vellis Komik flimmert, wie meist auch Boccaccios, nur von dem einen Brennpunkt, aus dem M ephisto alles W eh und Ach der W eiber kuriren wollte. U nd Shakespeare lebt in eigener Atmosphäre, von eigenem Licht. W as nach Moliece kam (und, alles G ute, von M oliere stammt), hat, vom Tur*

caret des Le Sage über Fielding und Sheridan, Lessing und Kleist, fio lb erg und G ribojedow , Regnard, Marivaux, Beau«

marchais, Labiche un d Meilhac, Raimund und Grillparzer, Ostrowskij und Tschechow, Balzacs Mercadet und Becques Raben und Pariserin bis auf die W edekind, W ilde, Shaw, Steinheim, H auptm ann, Eulenberg, Kaiser, nicht die wär*

mende A nm uth des Ahnen, nicht die W eite des Horizontes, die durch Jahrhunderte prangende Fülle seines Poeten*

gemüthes noch das dünn umflorte Befreierlachen, das aus Höllenschlund in blaue Himm el emporschallt.

Jean Baptiste hieß er nach dem W illen des Vaters: und hatte doch kein A ederchen vom W esen des finsteren Täufers, der, in härenem Rock, die eiserne Schaufel zu Säuberung der Tenne anbot. „M oliere war mittelgroß, weder fett noch mager, hatte die edelste H altung und würdigste Gangart, Nase und M und groß, dicke Lippen, braune H aut, schön geformte Beine. Er sah im Alltagslicht sehr ernst aus, konnte aber durch allerlei Bewegung seiner sehr dichtborstigen, pech*

schwarzen A ugenbrauen höchst komisch wirken. Er war sanft, freundlich, freigiebig, gesprächig. W enn er der Truppe seine Stücke vorlas, m ußten die Kinder dabei sein, an deren natürlichen Regungen er die W irkung des Ganzen erprobte.“

(Z uvor m ußte sie an der Hausmagd, der wackeren Laforet, sich bew ährt haben.) W ie ihn die Frau des Schauspielers Poisson sah, so lebt er auch im Zeugniß anderen Auges.

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Goethes reiner Mensch. D er drum Unsägliches litt; leiden m u ßte? Dem Freund Chapelle, der ihm räth, Frau Armande, den mit manchem schmucken Edelherrn buhlenden Racker, wegen Ehebruches einsperren zu lassen, stöhnt er ins O hr:

„M it mir ist ein Drang nach Zärtlichkeit geboren worden, den kein W illensaufwand aus dem Herzen jätet. Zärtlich»

keit, hoffte ich, werde dieses junge W esen gewinnen, dessen häßlicher Trieb noch nicht sichtbar wurde. D och Armande blieb kalt; und erst der Taumel, der sie in die Arme des G rafen Guiche warf, verrieth mir, daß sie erglühen könne.

Ich wollte mich selbst überw inden, friedlich, ohne Ge#

schlechtswallung, neben ihr leben und mich mit der Gewiß#

heit tiösten, daß der Ruf eines redlichen M annes nicht durch den U nfug seiner Frau zu zerstören sei. Vergebens. Sie ist gar nicht schön, das Bischen Geist, das man ihr nachrühmt, habe ich in sie gepflanzt: aber wenn sie vor mir stand und ihre U nschuld betheuerte, m ußte ich ihr glauben und von grund'osem Verdacht von ihr Entschuldigung erbitten. Sie hat sich nicht geändeit, nicht im Allergeringsten. Ich komme von dem G efühl nicht los, das mich an sie schmiedet; darf ich, in solcher Schwachheit, streng tadeln, daß sie von ihrer N eigung in Schlechtes sich nicht zu lösen vermag? W enn ich sie sehe, wird der Verstand entkräftet, der Gefühlsstrom übeifluthet ihn und ich erblicke, ihren Fehlern blind, nur noch, was in ihr liebenswürdig ist.“ Im letzten D rittel des siebenzehnten Jahrhunderts ein Zustand, der uns an Dosto#

jewskij mehr als an den A bbe Prevost, den D ichter der lieben Sünderin M anon Lescaut, und an Rousseaus Empfind#

samkeitsphäre eiinnert. U n d mit der Last dieses Hauskreuzes auf dem Rücken wahrt er seinen H um or, füttert und tränkt Gäste in seinem auteuiler Park und hat gestern noch eine ganze trunkene Kumpanei, die sich, Boileau’D espreaux an der Spitze, unter dunklem Himmel in der Seine ersäufen wollte, dadurch gerettet, daß er, den der Lärm aus dem Kranken#

bett gescheucht hatte, im Schlafrock, auf nackten Sohlen, den Lallenden philosophisch bewies, so hehrer Selbstvernichtung müsse das Auge des Helios leuchten. Solcher G olfstrom unverschlammter G üte entspringt der Seele, die von Liebe nur, niemals von W u th oder Rachsucht, erblindet und, weil

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Dichtung und Wahrheit 45 sie, fühlend, Alles versteht, nichts allzu Menschliches grau**

sam verdammt. N ie war, noch nirgends ein Komiker solchen O em üthes.M olieres Spielertruppe,die aus dem Petit*Bourbon ins Palais»Royal übersiedelt und seit 1665 „La tioupe du R oi“ heißt, wird nach dem T od ihres Schöpfers mit der des JMarais, 1680 mit der des Burgunderschlosses vereint und trägt den Titel „Theätre Fran^ais“. Molieres W erk ist Frank«

reichs kostbarstes Kunstgeschenk an die Menschheit, die ehr#

erbietig, doch ohne Pulsesschleunigung die edlen Schatten Gorneilles und Racines grüßt. U nd dieses W erk blieb neun von zehn Deutschen fast so fremd wie Goethes dem Dutzend«

franzosen. W ann werden, endlich, alle Völker unter gleichem Himm el sich gleicher G abe wohlgem uth erfreuen? A us solchem Pfingstwunder der Kunst, in dessen friedlichem Glanz Völker verschiedenerZungeeinander verstünden, flöge schüch«

lern, auf Taubenfittich, die H offnung himmelwärts, daß droben auch, auf dem T hron ehrwürdiger G ottheit, einst die All*

gewalt Heiligen Geistes sich offenbaren und m t seines Athems feurig reinem W ehen die blutrünstige, von Herrschsucht und Triebes Wildheit, von Schurken, Frömmlern, gierigen N arren geschändete Erde entsündigen werde.

W ilh e lm w a r n t W ilh e lm

Diese Erde ist nicht, wie M ancher wähnt, weil die Post»

karte l 30, ein Paar Stiefelsohlen, nach dem Innungsatz,' 125 M ark kostet) erst durch das Schmutzgerinnsel des Krieges u n d Klassenhaders verpestet worden. Die Kunde vom stillen T o d eines Menschleins, das einem Enkel MoLeres aus dem H irnhautsack gepurzelt sein könnte, weckt eingeschneites Erinnern des unw ürdigen Zustandes, der zuvor schon in Deutschland war. H orchet der nützlichen Lehre.

„Einer, dems an G eld und Bethätigungmöglichkeit fehlt un d der diesen M angel tiefer als Andere empfindet, weil N atur ihn mit reicherer Phantasie und kühnerem W illen be*

gabt hat als H underttausend, die sich behaglich nähren und paaren, langt eines Tages dreist nach Fortunens Mütze. Er zieht den Rock eines H auptm annes aus dem Ersten Garde«*

regiment an, sistirt ein von einem Gefreiten aus der Schwimm»

anstalt heimwärts geführtes Soldatentrüppchen un d sagt, eine

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K abinetsordre des Kaisers befehle ihm, in Köpenick, wo in der Kommunalverwaltung Etwas faul sei, den Bürgermeister und den Kassenrendanten zu verhaften. D ie Leute glauben und folgen ihm ins köpenicker Rathhaus. Die Gendarm en nehmen vor dem H errn H auptm ann die Hacken zusammen, sorgen auf der Straße für O rdnung und Ruhe, halten die Gafferschaar in gehöriger Entfernung. D er Bürgermeister D r. Langerhans, ein freisinniger D em okrat und Neffe des schon durch seine pariser Tante berühmten berliner Stadt«

verordnetenvorstehers, verliert beim Anblick der plötzlich, mit aufgepflanzter Bayonnette, eindringenden Soldaten den Kopf; denkt nicht einmal derPflicht, die Amtsgeschäfte seinem Vertreter zu übergeben; läßt sich, trotzdem ihm kein schrift­

licher Haftbefehl gezeigt worden ist, wie ein Lämmlein ab*

führen. Ungefähr eben so, nur ein Bischen schlauer und würdiger, machts der (w ohl nicht ganz so liberale) Rendant.

Beide werden in bewachten W agen nach Berlin spedirt. D er H auptm ann nimmt die viertausend M ark, die in der Stadt­

kasse sind, stellt eine Q uittung aus und marschirt mit seiner M annschaft ab. Ich will die Einzelheiten nicht wiederholen.

Jeder hat sie gelesen, Jeder belacht. Drei Tage lang gabs keinen anderen Gesprächsstoff als diese Geschichte. Sie hats verdient. N eben ihr wirkt G oethes Bürgergeneral wie eine verstaubte W itzblattfigur, wirkt G ogols meisterliche Revisor- kom oedie wie ein schaler Schwank. N och nie vielleicht hat die vox populi, populorum so einstimmig einen Menschen gekrönt, den der Staat von Rechtes wegen vehmt, als Be­

trüger und Räuber verfolgt. D er H auptm ann von Köpenick hat seinen Plan so scharfsinnig, mit so sicherer Psychologen*

kunst erdacht, bei der A usführung sich so ruhig, so ganz als H errn der rasch wechselnden Situation gezeigt, daß nur Tröpfe ihm den Büttel an den Hals wünschen. W as hat er gethan? Einer voll und ganz, einer unentwegt freisinnigen Mannesseele A ngst eingejagt. Einer wohlhabenden Kom*

mune ein paar Tausendmarkscheine entwendet. Ein D utzend Paragraphen verletzt. Dem Land aber unschätzbaren D ienst erwiesen. W ie Fiesko zu dem römischen M aler, könnte der M üggelheld zu den stärksten Satirikern sprechen: ,Ich habe gethan, was Ihr nur maltet I* U n d die diesmal winzige Phi*

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D ichtung un d W ahrheit 47

listerschaar, die em pört fuchtelt und lüstern nach dem Rache»

recht ruft, könnten unsere Röthesten nicht besser abfertigen als mit den W orten des Edelmannes, der in Goethes Lust»

spiel die Sache Schnapsens, des Pfiffikus, führt: ,W ie viel will Das schon heißen, daß wir über diese Kokarde, diese M ütze, diesen Rock, die so viel Uebel in der W elt gestiftet haben, einen Augenblick lachen konnten 1‘ Damals wars die Kokarde, die M ütze, der Rock des bösen N achbars (Schnaps giebt sich für einen W erber des Jakobinerklubs aus), jetzt die Uniform des Prinzenregimentes der preußischen Garde.

H at auch die in unserer W elt so viel U ebel gestiftet? Ja»

pfaucht von bebender Lippe der U nentw egte; und flennt über den M ilitarismus, den M oloch, der alltäglich Menschen verschlingt. W eil ein genialer Schwindler schlau mit der Psyche des Bezirksvereinszöglings gerechnet hat, wird w ider die Bevorzugung des bunten Rockes gezetert; weil eine um«

kettete .tflemme beim A nblick von acht Bayonnettes sich den H osenboden besprenzt hat, m uß das Offiziercorps in den Käfig der Angeklagten. W ollt Ihr Soldaten? D ann m üßt Ihr auch wollen, daß sie gehorchen. Braucht Ihr zum Schutz Eurer Geldschränke tüchtige T ruppenführer? D ann m ü ß t Ihr sie, die sich um jämmerlichen Sold schinden, wenigstens mit gesellschaftlichen Privilegien bezahlen. Ersparet uns also das G eplärr und höret auf den Rath, den G oethe seinen Görge und M ärten geben läßt: ,Bei sich fange ein Jeder an: und er wird viel zu thun finden.* Bei Euch fanget an. Fraget»

wie solche Stadthäupter am Tag eines Staatsstreiches han*

dein würden. U nd sehet zu, ob auch sonst im H aus "Eurer Bürgerfreiheit Alles in O rdnung ist.

O b die Königliche Staatsregirung den Neffen des Onkels nun im Kommunaltyrannenamt lassen, dem W iedergewählten die Bestätigung versagen oder ihn, als einen,Gehorcher* nach dem Sinn Friedrich W ilhelm s des Vierten, für einen Minister*

sitz vorschlagen w ird? W ir müssens abwarten. Nachdem wir uns über den Schelmenromanhumor der Geschichte satt*

gelacht haben, aber auch ihre ernste Seite betrachten. D as A usland schickt ihr bitterböse Glossen nach. Britische Offi*

ziere, die unseren Herbstm anövern zusehen durften, haben die Losung ausgegeben: D as deutsche H eer ist eine vorzüg«

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liehe Maschine, der einzelne deutsche Soldat aber, weil ihm Intelligenz, Entschlußfähigkeit, Instinkt fehlen und die Per»

sönlichkeit ihm ausgedrillt ist, ein im modernen Gefecht nicht sehr gefährlicher Gegner. D as w ird jetzt überall verbreitet and, besonders gern in Frankreich, geglaubt. Das köpenicker Haftkom m ando p aßt in den Kram. M ußten die acht (oder zehn) M ann dem H äuptling, der obendrein noch Vorschrift*

widrig gekleidet war, nicht anmerken, anriechen, daß er nicht von der potsdamer G arde kam ? D urften sie ihm stumpf*

sinnig folgen, unter seinem W ink sich zum G ebrauch der Waffe bereiten? W as ist von solchen Klötzen für den kom*

plizirten Kriegsbetrieb unserer Tage zu hoffen? W enn mans so hört, möchts leidlich scheinen; steht aber doch immer schief darum. Erstens war der U eberw inder Langerhansens kein G auner gewöhnlicher Sorte, sondern (jedes W ort, das er sprach, jeder Schritt, den er that, beweists) ein Trüger*

talent höchsten Ranges. U nd zweitens waren die Leute durch drei unfehlbar wirkende W örter hypnoti^irt: ,Kabinetsordre Seiner MajestätT Sie waren vielleicht nicht dümmer als der D urchschnittskom m iß; am Ende sogar auf der G ipfelhöhe ihrer Zeit. .W ilhelm hat W in d bekommen, daß es an der Dahme nach faulen Fischen stinkt, und schickt der Sipp*

schaft nun den ersten Schloßgardekrüppel, der ihm in den W eg läuft, auf den Hals. Sieht ihm ganz ähnlich. Er ist immer so plötzlich und liebt das lange Gefackel nicht.* W ar nu r in hohlen Schädeln für solchen G lauben Raum ? Alle dachten so, die von der Sache hörten. D er Kommandant von Berlin, der Hohenzollernprinz, der den D ienst du jour versah, köpenicker Stadträthe und berliner G roßindustrielle:

A lle glaubten an den H auptm ann und seine O rdre. Keiner zweifelte, daß der Imperator et Rex wieder mal die Zucht*

iu th e schwang. U nd, H and aufs Herz, hätten wir uns ge*

wundert, wenns so gewesen wäre? W ir haben die Verhaf*

tu n g des Ceremonienmeisters Lebrecht von Kotze noch nicht vergessen; und erst in diesen Tagen gelesen, daß der Kaiser, den ein O bertertianer telephonisch darum gebeten hatte, das städtische Realgymnasium in H onnef schließen ließ. Zu dem D irektor kam ein H err mit der W eisung: ,D a Seine M ajestät morgen die Stadt H onnef zu besuchen geruht, hat der Unter*

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Dichtung und Wahrheit 49 rieht auszufallen/ M einet Ihr, der Scholarch habe den frem*

den H errn nach seiner Legitimation gefragt, eine Verfügung der zuständigen Behörde gefordert oder den sauberen Sup­

plikanten ins Loch zu sperren gew agt? Auch ein Spaßvogel in korrektemGefieder konnte denSchulschluß erreichen, wenn er das Lied richtig pfiff. .Befehl Seiner Majestät*: dieses Zauber*

w ort öffnet und schließt im wilhelmischen Reich deutscher N ation alle Pforten. Lachet nicht allzu laut über die Seid«

wyler vom Müggelsee; nicht allzu lange 1 Viel mehr H altung hättet auch Ihr nicht gezeigt. H ättet gestammelt: ,D er Im*

puls läßt sich mit Zwirnsfäden nicht binden, setzt sich in edlem D rang über formalistische Bedenken hinweg und zer*

schmettert, was ihn zu hemmen trachtet.4 U nd in ähnlichem Zeitunghym nenstil die Schnellkraft so hohen W ollens ge*

priesen. H undertm al thatetlhrs schon; jubeltet, wennWetter*

strahl oder F ußtritt einen Gegner traf, und balltet im Hosen*

sack das Fäustchen, wenn Einer von Euch drankam. So leben wir. D raußen weiß mans leider; und höhnt: ,N u r in diesem Land war der köpenicker Rathhausspuk möglich.*

Bei jedem Schritt schwebt der kaiserliche A dler nah v or uns her. W ir sahen ihn oder hörten aus dem D unkel das Geschwirr. Hic et ubique. Träum en wir D antes Traum von der Universalm onarchie? ,D er Kaiser will nun einmal allein regiren*, hat Bismarck zu H ohenlohe gesagt. Dieses Ziel ward erreicht. W er über deutsche Politik spricht oder schreibt, m uß, wenn er nicht heucheln will, den Kaiser nennen. N u r auf ihn blickt das A usland; das einem Minister des Zaren, einem chinesischen Provinzherrscher mehr Willens*

freiheit zutraut als einem deutschen Kanzler. Von seiner Lippe fällt jede Entscheidung, jede A ntw ort sogar auf Fragen des G laubens und der Sittlichkeit, der K ultur und der Kunst.

Ist dieser Zustand für das Reich und den Kaiser ersprießlich?

W ilhelm hat ihn gewollt. U nd weil er ihn wollte, m ußte der M ann bald lästig werden, der in der U biquität monar*

chischer Gewalt das gefährlichste Reichsveihängniß sah.“

„D er Schuster W ilhelm Voigt ist zu vier Jahren Ge*

fängniß verurtheilt worden. Als er, in der vertrödelten U niform eines H auptm anns, gen Köpenick gezogen war, jauchzte ihm lachend der Erdball zu. Im Käfig der Angeklagten war er

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eine still rührende G estalt, die aus den W elten N ekrassow s oder der Evans zu kommen schien. Ein seltsamer M ensch;

ein genialer? Er hat siebenundzwanzig Jahre lang im Z ucht­

haus gesessen: und w ußte, was im Deutschen Reich W ilhelms des Zweiten ausführbar sei. Er hatte nie den Rock des Königs getragen: und ward von Soldaten, Gendarmen, von einem Reserveoffizier gar für einen preußischen H auptm ann gehalten. Er hat Stiefel geflickt und Kohlen geschaufelt:

un d wendet kein Fremdwort falsch an und citirt Sätze aus Treitschkes D eutscher Geschichte. O hne Pose stand er vor Gericht, ohne Gauklerstolz und Sünderscham; gab sich ganz schlicht. U nd was er sprach, war stärker, war auch feiner nuancirt als ringsum all das strenge oder sanfte G ethu der ,Studirten‘. Psychologeninstinkt, D rang nach reinlicher Wahr»

haftigkeit, H um or von der grimmigen und von der weichen A rt: Alles funkelte durch die Zuchthäuslerkruste. W o ist gleich wieder Einer, der so als D iktator im Rathhaus, so als begaffter D elinquent im Gerichtssaal besteht? D o rt die Karikatur, hier das M elodram a mit sicherem T akt m eidet?

Vier Jahre G efängniß. D er Spruch konnte härter lauten; ist aber noch zu unm ild. W em hat der M eisterstreich des ver*

härmten Satirikers denn geschadet? Dem Ansehen zweier Kommunalbeamten; die auch ohne Voigts Einfall das Schlot*

tern gelernt hätten. D er dem G erichtshof Vorsitzende hat selbst gesagt, das U rtheil, das den Schuster auf fünfzehn Jahre ins Zuchthaus stieß, sei anfechtbar gewesen. D ann hat die Polizei den Armen von O rt zu O rt gescheucht; ihm nicht gestattet, sich redlich zu nähren. Bis der unter Polizei*

aufsicht Stehende listig die Kommandogewalt an sich riß und im N am en des Königs über M ilitär und Civil verfügte.

Kühneres hat Cervantes nicht ersonnen; nicht im edelsten Sinn Frecheres. Ist an diesem W ilhelm Voigt nichts zu sühnen? Erbittet G nade für ihn; zu Zehntausenden, Hundert*

tausenden. D ann wird Euch der Kaiser erhören. Er ist ein Christ. H at den Seufzer vernommen: ,Misereor super turbaml*

Vielleicht, als Schirmherr des Orients, im Koran die Frage ge*

funden: ,W ann naht unserer W elt das E nd e?1 U n d die Ant*

w ort: »Wenn eine Seele nichts mehr für die andere vermag*.“

V or fünfzehn Jahre schrieb ichs. D er dürre W ilhelm

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D ichtung un d W ahrheit 51 m ußte abermals unter vierundzwanzig M onden im Kerker

hocken, ehe die träge G nade des dicken, mundfrommen Wil*

heim ihm den Riegel löste. „D ie Zeitungjuden sollen die Schnauze halten 1 W eil der Kerl M utterwitz hat, darf doch unverschämter M ißbrauch meines kriegsherrlichen Namens nicht straflos bleiben.“ je d e r Zoll ein König; so hat er, von Friedrichskron bis nachSpa.in jed erN o th sich bew ährt.N och heute tröstet mich, daß ich in das Geschrei wider den M i­

litarismus damals nicht einstimmte. D er hatte mit der er«

schütternden Schnurre gar nichts gemein. D er wird erst, wenn das in H eer und Flotte unentbehrliche Empfinden auch das W ollen und Fühlen, D enken und H andeln der Bürger be*

stimmt und seinem Trachten dieCivilgew alt unterwirft. N icht ganz so grundlos war, wie Erfahrung gelehrt hat, die Kritik des überwuchernden Drills, dessen Schlingkraut die Person»

lichkeit'lähm te. Entsetzen aber m üßte der Rückblick auf die U rsache der Groteske von 1906 zeugen. Lachend rief Jeder:

„N u r unter diesem W ilhelm wars möglich.“ D och nirgends waffnete sich, in Parlament, Beamten* und Gewerkschaft, Bürgerthum und Presse, reisig entschlossener W iderstand.

Zw ölf Jahre lang noch durfte unwissender D ünkel sein das Reichsleben täglich gefährdendes Effektspiel weiter treiben;

noch W illkürlaune Deutschlands Panier über Zäune und M auern werfen: und von der N ation dann fordern, daß sie es mit dem A ufgebot aller Kraft zurückhole. M ußte nicht solcher W elt das Ende nahen? U n d durchstrahlt nicht die dunkelste Elendsnacht noch der frohe Stolz, daß diese Schande vom Z orn deutschen Volkes abgeschüttelt w ard?

V e r e in ig te S ta a te n v o n E u r o p a

D ie Elendsnacht lichtet sich. N ie zuvor hat, weder in Krieg noch in Revolution, solche Fülle um wandelnden Er*

eignisses in engen Raum sich gedrängt wie in den der letzten drei Woche*n; und darunter ist keins, dessen nicht alle Men*

sehen guten W illens sich freuen m üßten. A u f dem Kosmo«

globus sind, ohne den Krückstock der Chronologie, die wichtigsten abzutasten. Dem Washingtoner Viermächtepakt, der den anglo»japanischen Bund löst und die mächtigste aller je erschauten Koalitionen, Amerika»British Empire»Rußland*

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