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Die Zukunft, 25. März, Jahrg. XXX, Bd. 116, Nr 26.

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XXX. Jahrg. B e r lin , den 25. M ärz 1922 Nr. 26

Die Zukunft

Herausgeber

Maximilian Harden

IN H A L T

Seite

D er Berg des Ruhm es ... 327

W ehen im S c h o ß ... . . . . . . 327

V on der Maus und den Fröschen . . . ...331

U m die G letsch erzu n g e... 348

Nachdruck verboten

Erscheint jeden Sonnabend

Preis vierteljährlich 35v Mk. / Einzelheft 3,50 Mk.

BERLIN

ERICH REISS VERLAG

(Verlag der Zukunft) 1922

(2)

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Herders Konver- Lexikon

. s a tio n s -

( e r g ä n z t b is z u r n e u e s te n Z e it) n e n n t g u t , w a s g u t , u n d b ö s, w a s b ö s e i s t ; p f le g t a ls S itte n h o r t e in e u n b r ü c h ig e , e c h t c h r is tlic h e W e lta n s c h a u u n g u n d h ä lt im P r o f a n w is s e n je d e n V erg le ich m i t ä h n lic h e n W e r k e n a u s .

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A u s r e in s te m Y o h im b in u n d d e m H ü h n e r e i e n t z o g e n e m N e rv sto ff o d e r L e c ith in b e ste h e n d , d a h e r e in e v o llw e rtig e E r g ä n z u n g d e s im K ö rp e r v e r­

b ra u c h te n N e rv sto ffe s. A u sftlh rl. B ro s c h ü re (od. L ite r a tu r ) geg. 1,— M. P o r to Elefanten - Apolheke, B e rlin SW , L e ip z ig e r S t 74, a m D ö n h o ffp latz

F e rn s p r.: Z entrum 7192

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DIE ZUKUNFT

Herausgeber: M axim ilia n Harden XXX. Jahrg. 25. März 1922 Nr. 26

Der Berg des Ruhmes

W e h e n im S c h o ß

T ^ \ie Linie, die vor vierzehn Tagen hier den U m riß franko«

**** britischen Zwistes um Egypten nachzuzeichnen versuchte, hat auch ein Ereigniß gestreift, dessen Folge tief in die Nieder«

gangsgeschichte unserer Kaiserzeit ein wirkte. Im A pril 1898 hatte ein neues Gesetz die deutsche Kriegsflotte beträchtlich gestärkt. Zum ersten M al huschte ein Frösteln durch Englands Glieder. Schon war die U eber macht seines Handels bedroht.

U nser Reich, hatte Joseph Cham berlain gesagt, „ist der Han»

del; zwei W örter, doch nur ein Sinn“. U n d die Frage,ob diesem Reich von D eutschland her G efahr drohe („A re we ruined by the G erm ans?“)» wurde von der Volksmehrheit bejaht. In Köln; vor dem enthüllten Denkmal des bescheidenen Groß«

vaters, hatte W ilhelm den Dreizack Poseidons für sich ge*

fordert. D ie bittere N othw endigkeit, die Britentnarine so zu mehren, daß ihre U eberlegenheit unter allen U m ständen sicher blieb, düngte die Keime des Kaufaaannsgrolles. In Frankreich ließ die tückische W ildheit des Kampfes um Schuld oderUn*

schuld des Hauptm annes Dreyfus die Furcht erkennen, durch Beschmutzung und Zerrüttung des Heereskörpers den Groß*

machtrang zu verlieren, der schon dem Lande der Panama#

schmach und der schwindenden G eburtenzahl kaum noch zu retten schien. D er Deutsche Kaiser, der die H and nach Kiaut»

schau gestreckt, seinem nach Ostasien ausreisenden Bruder be»

fohlen hatte, „m it gepanzerter Faust dreinzufahren“ und nie zu vergessen, daß „Reichsgewalt Seegewalt bedeute“, hetzte mit

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unermüdlichem Eifer den jungen Zar N ikolai Alexandro*

witsch gegen beide W estreiche. Er behauptete, zwei englische Bündnißangebote (Tastversuche Chamberlains, der, als Ko»

lonialminister, gar nicht berechtigt gewesen wäre, das Kabinet Salisbury zu binden) abgelehnt zu haben und nun vor dem dritten zu stehen, einem „ungeheuren, das meinem Land eine so weite und große Z ukunft eröffnet, daß ich es für meine Pflicht gegen D eutschland halte, gehörig zu überlegen, bevor ich antworte. W as die Tendenz dieses Bündnisses ist, wirst D u gut verstehen, da ich weiß, daß es sich um ein B ündniß mit dem D reibund und m it Einschluß von Japan und Amerika handelt, mit denen schon V orverhandlungen begonnen wor»

den sind! N u n bitte ich Dich, als meinen alten und ver«

trauten Freund, mir zu sagen, was D u mir bieten kannst und thun willst, wenn ich ablehne.“ Er bittet auch den alten Freund, dem das W ahngebild eines W eltbundes gegen Ruß*

land u nd Frankreich, höchst freundschaftlich, M ehrleistung erpressen soll, um „D iskretion gegen Jederm ann.“ G laubt er, N ikolai berge den Inhalt so gewichtiger Briefe seiner Frau Alix und seiner M utter, die den britischen Verwandten nichts hehlen? W ilhelm s Brief ist vom letzten M aitag. Am neun«

zehnten Ju n i bietet Fürst M ünster der pariser Regirung einen Pakt gegen England an; zunächst nur zu A bschreckung von dem Plan, das Recht zum Marsch durch Portugals afrikanische Kolonie zu erlangen. H err G abriel H anotaux hatte schon, mit dem ganzen Kabinet M&line, den Präsidenten Faure um Enthebung vom A m t ersucht, führte nur noch das laufende Geschäft weiter und überließ die A ntw ort auf die deutsche Verbalnote seinem Nachfolger. Diese A ntw ort kam niemals.

H err Theophile Delcasse, der in Gambettas „Republique Frar^aise“ das H andw erk des Zeitungmachers gelernt hatte, 1893 Kolonialminister geworden war und nun, im Radikalen»

kabinet Brisson, das A usw ärtige übernahm , fand die Zu«

m uthung, mit Berlin sich gegen London zu wenden, so „takt«

los und plum p“, daß er ihr gar nicht antwortete. D as war unhöflich; und galt dem mißtrauischen, fast krankhaft emp*

findlichen G eheim rath Von H olstein als bündiger Beweis des verbissenen Deutschenhasses, den er seitdem, ohne an«

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Der Berg des Ruhmes 329 deren G ru nd und m it U nrecht, dem M inister D elcasst zu»

schrieb. D er ist am ersten Marz siebenzig Jahre alt geworden;

und bei dieser G elegenheit wurde wieder von dem deutschen Eingriff gesprochen, der am sechsten Ju n i 1905, nach sieben»

jähriger Amtszeit, seine A usstoßung aus dem Kabinet Rouvier erwirkte. D ie Franzosen wissen noch heute nicht, daß der G ru n d zu dem berliner M ißtrauen im Ju n i 1898 gelegt wor*

den war. Ihr londoner Botschafter Courcel, damals durch Englands egyptische Politik verärgert, hatte zu dem ihm be»

freundeten H olstein gesagt, der neue M inister sei schuld daran, daß der deutsch»französische Pakt nicht geworden sei.

H err Delcasse hatte gethan, als sei mit dem Kabinet M&ljne*

H anotaux die deutsche Verbalnote verschwunden; dem Bot»

schafter nie eine A ntw ort gegeben, den Engländern aber, mit denen er wieder in „bonne entente“ kommen wollte, den Inhalt des Antrages nicht verschwiegen. D em urpreußischenStarrkopf Holsteins, zu dem der erst im O ktober 97 ins Staatssekretariat gelangte H err von Bülow aufblickte, blieb er der Erzfeind.

Dem Kaiser war er noch nicht angeschwärzt. D er (merkets) hatte unter einem M ond mit zwei Bündnissen gegaukelt, aus dtinen nichts, gar nichts als Verstimmung in O st und W est geworden w ar; und bereitete nun die Reise nach Konstanti*

nopel und Jerusalem. Um sich im Islam noch höhere G unst zu erwerben, „fleht“ er, N ikolai möge gegen die „Spitzbuben von Kretern“ und für die T ürkei seine M acht einsetzen. „Er»

innere D ich, wie wir in Peterhof darüber einig waren, nie zu vergessen, daß die M ohamm edaner ein gewaltiger T rum pf in unserer H and sind, wenn D u oder ich plötzlich vor einem Krieg mit der einmischunglüsternen M acht (England) stehen sollten. Alle A ugen sind hoffnung voll auf den großen Kaiser des O stens gerichtet.“ A us Damaskus schreibt er, nie sei ein christlicher M onarch im Heiligen Land „so gefeiert, mit so schrankenloser Begeisterung empfangen worden“ wie er. Eng«

land sei dort verhaßt und Frankreich verachtet. „D as ist die unvermeidliche Folge des gräßlichen Sumpfes, in dem die Franzosen jetzt mit ihren inneren Angelegenheiten herum»

tappen, wobei sie den Schmutz nach rechts und links spritzen, bis ganz Europa von dem Q ualm stinkt. W ie weit hat Kor»

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ruption, Lüge, Ehrlosigkeit schon im Volk und besonders im H eer um sich gegriffen 1 Die Muslim nennen Faschoda Frank«

reichs zweites Sedan. D ie Türkei ist durchaus lebendig und nicht ein sterbender M ann. H üte D ich vor den Moslemin, wenn D u ihre nationale Ehre oder ihren Khalif antastest 1“

D as schreibt er dem Verbündeten Frankreichs, dem H aupt des seit Jahrhunderten dem Türkensultan verfeindeten Reiches;

und weckt zugleich durch die Rede am G rab Saladins, die ihn den M usulm anen als Schutzherrn und M achtbürgen em«

pfiehlt, in jedem Briten den Verdacht, der Zweck der Reise sei, durch G epräng und Versprechen im Islam England zu überbie*

ten. H andel,Flotte,Dreizack, Seegewalt, Kiautschau, Depesche an Krüger, Doppelversuch, R ußland und Frankreich in anti«

britischesB ündnißzu ködern,hitzigeW erbungum dieMoham*

medaner, an deren Treue die britische Herrschaft über Indien hängt: ists nicht genug? U nd dürfte ins Angesicht solcherThat*

sachen eine in Ullsteins Verlag, der W ilhelms Briefe an N ikolai herausgab, erscheinende Z eitung die Beschwerde schleudern, Englands Politik sei damals dem Deutschen Reich feindlirh ge«

wesen? D reiM onate nach dem Tag von Damaskus w urde der erste franko* britische Kolonial vertrag unterschrieben. D ie Brief hetze w ährt fo rt; noch bei winzigstem A nlaß wird Albions Bosheit vor N ikolais Auge gemalt. Ziel ist jetzt die Umfassung Frankreichs.„W ennD uundichSchulteranSchulterzusam m en*

stehen, so m uß Frankreich sich uns Beiden offen und in aller Form anschließen und dam it endlich seineVertragspflicht gegen R ußland erfüllen, was für uns von größtem W eith ist, beson«

ders im H inblickauf seine schönen Häfen und seine gute Flotte, die dann auch zu unserer Verfügung stehen w ürden.“ Von Lüge und Ehrlosigkeit, Sumpf und Stank ist nicht mehr die Rede. A uf die Vormänner der Politik hagelt, freilich, noch Schimpf. „Clemenceau un d das übrige Lumpengesindel.“ D er A ußenm inister kommt aber leidlich davon; er ist „der de«

mokratische Civilist un d Freim aurer“. Im Dezember 1904, acht M onate nach dem A bschluß des M arokko Vertrages, heißt es sogar: „Loubet und Delcasse sind gewiß erfahrene Staats­

männer; aber da sie nicht Fürsten, nicht Kaiser sin d / ist mir unmöglich, da, wo sichs um eine Vertrauensfrage handelt,'m it

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Der Berg des Ruhmes 331 ihnen mich auf den selben Fuß zu stellen wie mit Dir, meinem ebenbürtigen Vetter und Freund.“

Vollen Vertrauens sind nur die im E h tb ett echter Fürsten Geborenen würdig: merket auch Dieses. N och aber ist das Bild der irrlichtelirenden Politik Berlins nicht vollendet. In den letzten O ktobertagen des Jahres 99, als Englands Krieg gegen die Transvaalrepubliken begonnen hatte, war Frank»

reich zuVerständigung mit D eutschland aufgefordert worden.

H err D elcasst bat um Einzelangabe der Punkte, die das ge«

wünschte A bkom m en decken solle: und diesmal blieb Berlin die A ntw ort schuldig. H olsteins erste Rache? O der Folge des Besuches, den W ilhelm in London machte un d in dessen Verlauf G raf Bülow ein von der Legende dicht umsponnenes Gespräch mit Cham berlain hatte? D er verkündete drei Tage danach in Leicester als sein Ideal den D reibund Großbrita«

niens, der Vereinigten Staaten und des D eutschen Reiches.

W eil er den deutschen Fühl versuch in Paris kannte und durch A usw erfung neuen, stärkeren Koders hemmen w ollte? O der nur, weil er, auf dem Feld internationaler Politik ein Fremd*

ling, sich wieder dem W irbel seines heftigen, drum unklaren W ollensdranges überließ? U eberall recken sich Fragen auf.

G ew iß ist, daß Chamberlains R uf in Amerika und Deutsch*

land kein Echo, in England selbst nur ein mattes weckte. Lord Rosebery nannte die Rede von Leicester „ungeschickt“ und Präsident M acK inley hehlte in der nächsten Botschaft an den Kongreß weder die M ißbilligung des Burenkrieges noch den W illen Amerikas, allen europäischen H ändeln fern zu bleiben.

In London und Paris aber festete neunjährige Erfahrung das G efühl, daß mit D eutschland nicht als m it einem sicheren N enner zu rechnen und deshalb der alte G edanke des West«

mächtebundes jetzt, in der Zeit franko «russischer Freund»

schaft, zu A uferstehung in fruchtreichen Sommer berufen sei.

V on d e r M a u s u n d d e n F r ö s c h e n

So sah die Bühne aus, auf der die in Frankreich jetz wieder viel besprochene Staatsaktion sich abgespielt h a t Konnte irgendein aus klarem A uge vorschauender Politiker zweifeln, daß dieses Stück inT ragoedie m ünden müsse? W ars möglich, das junge, auf Kosten alter Staaten schnell in Groß«

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macht gelangte Deutsche Reich mit solcher U n wahrhaftigkeit, mit so wirrem Flackerkopf zu regiren, ohne allmählich ihm ringsum M ißtrauen und H aß zu säen, dessen Ernte in G e­

w itterstunde Lebensgefahr werden m ußte? Im Sommer 1905 kam von der W etterw arte die erste W arnung.

Bald nach dem R egirungantritt des Sultans M uley Hassan war in M arokko die Frage streitig geworden, unter welchen Bedingungen die Konsuln der fremden Mächte M arokkanern (M usulm anen und Juden) Schutz gewähren dürften. Im Ja»

n u arl8 8 0 kams in Fez zum Konflikt, die Mächte konnten sich, in Tagen hitzigen anglo»französischen Zwistes, nicht einigen, Sultan und M aghzen ersannen immer neueOrientalenvor»

wände und Sir D rum m ond Hay, Englands Gesandter, forderte schließlich den Schiedsspruch einer Konferenz. Er war der schroffste G egner des Franzosendranges nach M arokko und mahnte das londoner Auswärtige A m t immer wieder an Nel*

sons Satz, nie dürfe an der nordafrikanischen Küste eine starke Kontinentalmacht gebieten, weil sie von dort aus das Mittel*

meer und den W eg nach Indien sperren könne. Freycinet war in Paris M inister des Auswärtigen und der Mann, der Frank*

reich in M adrid vertrat, hieß Jean Jaures (w ar aber nicht Proletarierführer, sondern nur A dm iral). Bernhard Ernst von Bülow, der Vater des klugen Fürsten von W ilhelm s Gnade, war gestorben un d Chlodw ig H ohenlohe zu Interimsleitung aus Paris ins Auswärtige Amt geholt worden. Ihn schickte, als Jaures der Konferenzforderung D rum m ond Hays zugestimmt hatte, Bismarck zu dem Botschafter Saint*Vallier und ließ ihn b itten, seiner Regirung zu melden, der Vertreter des D eutschen Reiches, das in M arokko keine Interessen habe, sei angewiesen, in M adrid jeden Vorschlag seines französischen Kollegen zu unterstützen. Freycinet dankte sehr artig für die Zusage^ deren W erth die Republik zu schätzen wisse. A uf diesen Vorgang konnte Frankreich sich berufen, als Berlin es auf dem W eg nach M arokko zu hindern begann; konnte sagen: „U nter Eurem Bismarck, der doch wußte, woher für D eutschland Etwas zu holen war, hattet Ihr in M arokko keine Interessen und erbotet Euch freiwillig, uns H ilfe zu leisten:

u nd nun stellet Ihr, dennoch, Euch gekränkt, weil wir in der

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Der Berg des Ruhmes 33 3

Richtung vorwärts gehen,in die Ihr selbst uns gedrängt h ab t?“

W ichtiger als die M illionen, die Deutschlands H andel aus dem Scherifenreich holen konnte, dünkte den ersten Kanzler der franko«»biitische Interessenzwist, den, wenns nach ihm ging, kein D ritter stören sollte. Je fester die Franzosen in N ordafrika und Indochina sitzen, desto ungefährlicher, dachte er, werden sie in Europa, desto weiter schwindet auch die G efahr des W estm ächtebundes. Dieser verschollene Glücks»

günstling mochte nie sich ohne großen Gegenstand regen und wußte, wenn er sich einschiffte, stets, wo er landen werde.

So altmodische Sitte hat das Reich W ilhelm s sich schnell abgewöhnt. D as war schon 1904 hinter der Prunkfassade des D reibundgebäudes fast einsam. R ußland in der Man»

dschur$i geschlagen. G roßbritanien und Frankreich durch die lärmsüchtige T horheit der berliner H ofpolitik, durch W ilhelms laute D rohreden und heimliche Zettelei gekränkt und in Entente Cordiale vereint. Italien, das, mit schutzlosen Küsten, nie der Freund eines Britenfeindes sein kann, den Franzosen verbündet (Delcasse»Prinetti: Marokko»Libyen).

U nd Oesterreich mit Recht bang vor jedem west*östlichen Streit, der es zwingen könne, Deutsche, Czechen, Serben, Kroaten, Italer, Polen, Slowaken, Slowenen, Rumänen, Ru»

thenen in eine Kriegsfront zu reihen. In dieser Stunde, die zu weiser Stille mahnte, stürzte sich Deutschland, ohne bis ans Ende durchdachten Plan, dessen Ziel das M ühen und W agen belohnen konnte, in das A benteuer des M arokkohaders. W as wurde in der „Zukunft* darüber gesagt?

1. „D as franko-russische B ündniß w arnicht von der Laune, sondern von harter N othw endigkeit diktirt, deren Dämmern der erste N ikolai, Tocqueville und der Bismarck des Bundes»

tages schon voraussahen. W as verheißt dieses B ündniß aber, das vielleicht nur in unverbindlichen W orten Alexanders des D ritten zu einem Scheinleben erstand? G anz sicher nicht die Revision des frankfurter Friedensvertrages. U n d seit Ruß*

land in Ostasien festsitzt, wäre auch Geschriebenes und Ge«

stempeltes werthlos. Bleibt Frankreich, das Frankreich der Combes und Clemenceau, allein, dann ists auf den guten W illen des Deutschen Reiches angewiesen. Rasch also einen

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Ersatz. N u r hinter D over ist er zu finden. A uch England ist isolirt und hat, seit es die Japaner auf R ußland gehetzt hat, noch zwei nahe Feinde zu fürchten: D eutschland und Frankreich. W enn es einen davon, den seinem H andel un*

gefährlichen, sich zum Freund machen kann, wird sichs, gegen alle G ew ohnheit, diese W andlung sogar Etwas kosten lassen;

und obendrein bekommt es in Egypten un d N eufundland Ruhe. Das Exempel war von nüchterner Klugheit errechnet.

A uch kein Verbrechen, nur das Versehen eines nicht zünftig erzogenen Zufallsdiplomaten, daß der Aprilvertrag über Egyp*

ten und M arokko der berliner Regirung nicht ,zur Kenntniß»

nähme* vorgelegt wurde. D er Kanzler des Deutschen Reiches kannte ihn ja und hatte vier Tage nach der U nterzeichnung im Reichstag bestritten, daß dieser Vertrag ,die europäische Lage verschiebe*. Am siebenzehnten A pril 1904 w urde der Vertrag dann in London veröffentlicht.

D er Erfolg stieg dem kleinen Delcass6 zu Kopf. Dem großen Bismarck allein war im D rang bisher ein so ver»

schmitztes System doppelter Rückversicherung gelungen. U nd D eutschland, von dem W iderspruch zu fürchten war, hatte durch den beredten M und seines Kanzlers erklärt, es sehe keinen G rund zu Beunruhigung. Jetzt riß der Siegesrausch den Kleinen fort. Sein Vorgänger, der kluge und gebildete H err H anotaux, hat diesen Taum elzustand sehr hübsch mit den W orten bezeichnet: ,O n a voulu faire grand, on a voulu faire vite*. Statt seinen Vertrag in der Tasche zu behalten, schickte Delcass6 einen Tölpel mit barschen Forderungen nach Fez und bedachte nicht, daß Deutschland die Zeit russischer O hnm acht listig nutzen könne, um die alte Rechnung mit Frankreich endlich zu ordnen. W ie ein beim Hausdiebstahl ertappter D ienstbote ist er, mit Schimpf und Schmach, des«

halb schnell weggejagt worden. G lau bt aber irgendwo ein Verständiger, Franzosen und Briten seien nun windelweich und zum O pfer ihrer politischen Pläne bereit? Kann Frank*

reich, dessen wichtigste Z ukunfthoffnung an Afrika hängt, die Frucht siebenzigjähriger A ibeit wehrlos hingeben, sich in M arokko offen verhöhnen, in Algerien und T unis seine M achtbasis lockern lassen? N ein. Kann England, das sich

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Der Berg des Ruhmes 3 3 5

nicht leicht, nur drängender N o th gehorchend, entschlossen hat, trotz N elson und Palmerston, D ’Israeli und Salisbury die A usbreitung der Franzosenherrschaft bis in die Gibraltar*

straße zu dulden, ruhig zusehen, wenn sein gefährlichster Feind erobernd in das Sultanat des W estens vordringt und sich als M ittelmeermacht etablirt? N ein. W as bleibt also übrig, wenn D eutschland Ernst macht? Krieg. N icht der franko»britische Krieg um M arokko, den Bismarck voraussah, sondern der Krieg der beiden größten W estmächte gegen das Deutsche Reich.

A uf dem H olzpapier aber, das ihm die W eltpolitik be*

deutet, liest andächtig morgens der Bürger, ohne O pfer sei ein ungeheurer Erfolg eingeheimst und alles dem Deutschen W ünschensw erthe erreicht. W as den n ? D ie Konferenz; die recht unangenehm werden kann; gewiß ist, daß sie nicht, wie in offiziösen Zeitungen steht, ,die marokkanische Frage aus der W elt schaffen wird*. Laß D ich, frommer Bürger, von der Fülle bunten G lühlichtes nicht blenden. Am Ende bist D u noch froh, wenn dem deutschen H andel das jetzt geltende Recht gew ahrt bleibt. D as wäre aber viel billiger zu haben gewesen. D enn die Zeche wird diesmal theuer. Trotz allen Besch wichtigung versuchen durchlauchtiger Staatsretter fühlen dieFranzosen sich gedem üthigt und werden denTag vonTanger und die W ochen der A ngst nicht vergessen. Jahre lang ward ihnen geschmeichelt; und sie schämen sich jetzt, beinahe zu ,dupe* geworden zu sein. Schon schürt H err Clemenceau selbst, der friedlich humane, den H aß ; und in vierzehnTagen werden sämmtliche patriotards heulen, Rouvier habe nur für seine A ktien, nicht fürs liebe Vaterland gesorgt. W enn man solches Ressentiment nicht scheute, konnte man die Republik auch vor ernstere W ahl stellen, deren Ausgang uns dann wenigstens von dem Vogesenschrecken befreit hätte. D er im Frühling noch recht lose Zw eibund der W estmächte ist durch Gemeinschaft des Hasses für ein W eilchen jetzt fest geknüpft. England hat zum ersten M al wieder an einen europäischen Krieg denken gelernt. Italien ist arg verstimmt, weil es gefürchtet hat, in kritischer Stunde zwischen alten und neuen Freunden optiren zu müssen. So sieht der Erfolg bei Tageslicht aus.“ (8.7.1905.)

2. „Es ist erreicht. Die Franzosen sind gewarnt und werden

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jedes Schutz« un d T ru tzbündniß mit Jubel begrüßen. H err Clemenceau schreibt, D eutschland habe mit dem großen Säbel gedroht und sei dann furchtsam zurückgewichen: und hat den lautesten Erfolg seit den Tagen, da Reinach und H erz ihm gefährlich w urden. D och die Fassade des Deutschen Reiches kann wieder einmal mit Fahnen und Flammen aufgeputzt werden. D enn wir haben glorreich gesiegt.“ (22. 7. 5.)

3. „D er Erdkreis neidet uns diesen Kaiser; in jedem Land w ird er täglich genannt und jedes V olk wäre selig (wenn es (auch die Französische Republik) ihn auf der Staatsspitze sehen dürfte. M illionen Blätter haben diese Behauptung durchs Reich und über die Grenze getragen. D aß sie, dennoch, grundfalsch ist, von unkundigen oder verlogenen Leuten nur aufgestellt, wissen Allle, die Jahre lang fremde Zeitungen gelesen oder gar m it fremden Staatsmännern intim gesprochen haben. W er zweifelt, braucht nur die angeblich ernste und angeblich witzige Presse beider W elten zu studiren und die Postkarten zum ustern, die hinter den deutschen Schlagbäumen in H aufen verkauft werden. Das w ird nur erwähnt, um eine alte, nicht ganz ungefährliche Lüge endlich einmal als Trug«

gespinnst zu enthüllen; denn das U rtheil des A uslandes hat uns weder zum Ju bel noch zum Jamm er zu stimmen. D ie besten Könige waren nie draußen höher geschätzt als in der H eim ath : um den noblen alten W ilhelm hat die Deutschen, so lange er lebte, sicher kein Volk beneidet. D aß über seinen Enkel so viel gesprochen und geschrieben wird, ist nicht gut, sondern schlimm; weil es empfindliche Nerven überreizt und (nicht nur im A usland) majestätische Selbstgefühle ärgert.

Dieses rastlose Gerede, das die Furcht vor einer U biquirät des kaiserlichen W illens aufkommen ließ, hat uns im Reich und draußen das Geschäft erschwert; die Schuld gehört aufs K onto der Ehrenwerthen, die aus privaten Faulheiten öffent*

liehe M einung machen. D raußen wird gefragt, wie oft es im engen, dunklen und winkligen Porzellanladen europäischer Politik wohl Scherben gäbe, wenn jeder Kaiser und König so sichtbar wäre, so viele Reden, Depeschen, Besuche leistete wie W ilhelm der Zweite. N icht ohne G rund. N ikolai könnte an den Dalai Lama, Franz Joseph an italische D ichter telegra*

phiren, Alfonso amerikanische Professoren ins L a n d Sanchos

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Der Berg des Ruhmes 337 rufen, Victor Emanuel den Sultan ans Herz drücken, Eduard diefriedlicheW eltherrschaftdes Hauses H annover verkünden, Leopold über Ozeane allen Geishas zum Bund gegen blonde Barbarei die H and hinstrecken, A bd ul Ham id dasOsmanen*

reich als H o rt der K ultur und der Freiheit preisen. Anästhesie oder H ysterie wäre die nahe Folge. M u ß denn immer ge*

logen w erden? U n d könnten so häßliche Erlebnisse sich wiederholen, wenn der Kaiser erführe, wie sein W ollen w irkt?

W ir müssen annehmen, daß ers nicht erfährt. Sonst hätte er die Flotte gebaut, ohne je die Hoffnung auf Seeherrschaft zu verrathen. (Schiffe zu bauen, war 1890 kein Verdienst mehr;

doch Klugheit empfahl, jeden G edanken an imperialistische Expansion, an einen W ettkam pfm itEngland zu unterdrücken.) Sonst wäre er nicht aus Sansibar, nicht nach Kiautschau ge»

gangen. H ätte nicht an Krüger telegraphirt und dadurch, durch die dröhnenden Stapellaufreden und das W erben um Amerikas Freundschaft den britischen Löwen zu früh aus der Ruhe gescheucht. N icht zum Kreuzzug gegen die gelbe Rasse gerufen, die uns nun, wenn wir uns mit der K ündigung des Pachtvertrages nicht sputen, aus unserer schutzlosen Kolonie Kiautschau und von ihren H auptm ärkten vertreiben kann.

N icht die über alles Erwarten günstigen Gelegenheiten ver#

säumt, die zuerst Englands, dann Rußlands Bedrängniß dem Deutschen Reich schufen. N icht sein Schwert gerade auf den nordwestlichen Küstenstreif afrikanischer M aurenerde gewor*

fen, wo ein uns vortheilhafter Konflikt englischer und franzö»

sischer Interessen früh oder spät unvermeidlich schien. N icht so oft sich ohne großen Gegenstand geregt. So viel eifernder W ille: und in drei Lustren kein irgendwie beträchtlicher Gewinn. W ollen wir weiter lügen? U ns auch ferner noch stellen, als sei die W eltm acht dem Deutschen gewiß und die H and des Kaisers von Fortunen geführt? W ir standen vor Kriegsgefahr. Die Seewartehatunsgewarnt. N ichtzitternsollen wir, nicht schlotternd fragen, ob O nkel Eduard grollt oder lächelt. Furchtlos aber, als M ännersprechen: In siebenzehn un*

ruhvollen und unfruchtbaren Jahren ist der Beweis erbracht, daß kein König heute, kein Kaiser im G rößten und Kleinsten das Schicksal einer N ation zu gestalten vermag.“ (19. 8. 5.)

4. „In London waren die M aßgebenden unruhig ge*

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worden. R ußland gelähmt, eine deutsche Kolonie in A ufruhr, eine zweite in leicht zu beschleunigender G ährung, eine dritte unter Japanerfeuer, der D reibund ein Bonmot von vorgestern, Italien für den Schlachtruf ,In GallosT nicht mehr zu haben:

m uß man die G u n st dieser Stunde nicht nutzen? D ann wäre man vor Geschäftsstörungen sicher un d brauchte nicht mehr zu hören, das Deutsche Reich müsse das W eltarbitrium und die Seegewalt an sich reißen, die es doch nur auf Englands Kosten erobern könnte. D ann brächte der einundzwanzigste O ktober 1905 eine würdige Jahrhundertfeier des Tages von Trafalgar. N och aber w irkt der Burenkrieg nach; das Kapital hat keine «Meinung* für Feldzüge; ohne reorganisirtes Land«

heer wäre der Erfolg des U nternehm ens ja auch nicht sicher.

Also lieber nicht losschlagen; aber für alle Fälle Vorsorgen.

In Asien un d Europa sich starke H elfer miethen. Dieses Ziel hatte Lord Lansdowne schon gesehen, als er den Aprilvertrag schloß; jetzt konnte man sacht weitergehen: vielleicht ließ M arianne sich in den Thalamos locken und stiftete zwischen dem neuen Ehegefährten und dem alten H ausfreund aus Nord»

ost allmählich Frieden. W ollen wir den Kolonialvertrag nicht zu einem Schutzbündniß erweitern, das uns Beiden den Be«

sitzstand gegen Anfechtung v erbürgt? So ungefähr fragt man in Paris; und läßt durchblicken, daß ohne solches Kartell, das dann über Japan verfügt, Indo»China immer ein unsicherer Posten in der Bilanz bleiben würde. A ber der Germanen«

schrecken lebt noch in den G em üthern; man m uß m it den Sozialisten und anderen Antimilitaristen rechnen; und schließ»

lieh sind die H erren Loubet und Delcasse M änner des Friedens, die D eutschland und seinen impulsiven Kaiser nicht muth»

willig herausfordern möchten. D er W erber aus Angelnland wird also dilatorisch beschieden.

M ukden. D ie letzte H offnung auf den Erfolg russischer Offensive geschwunden. Eine vernichtende N iederlage nennts u n se re ,ernsthafte Presse* und ju b elt: W elches G lück für uns, d aß R ußland blutend am Boden liegt 1 (D iese kurzsichtigen Leute, die hundertm al gebrüllt hatten, welchen Segen uns Rußlands Schwächung bringe, m üßten nach der Erfahrung dieses Sommers un d H erbstes eigentlich den M uth verloren

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D er Berg des Ruhmes 3 3 9

haben, in politicis noch länger mitzusprechen.) N eue londoner Anfrage in Paris: N och immer nicht? G anz schön, denkt Del*

casse, ganz verlockend; die Sache hat nu r einen H aken: wenn Deutschland nichts von O sten zu fürchten braucht, kann es seine ganze M acht über die W estgrenze weifen und, auch ohne Italien, mit uns fertig sein, ehe der Leu zum Sprung ausholt.

N eues D ilatorium . Jetzt aber verändert sich in D eutschland das szenische Bild; changement ä vue. Als der Kaiser aus dem M ittelmeer kam, hat er in öffentlichen Reden die M öglichkeit eines Krieges angedeutet. N u n werden die berliner Offiziösen mobil. D er sonst so höfliche Kanzler kleidet sich in ein mit Eisenfarbe bepinseltes Gewand. «Vor einem Jahr sind wir von Frankreich schlecht behandelt worden. Kann nicht geduldet werden. D arf nicht geduldet werden.* KoramirungDelcasses.

D er Kaiser in Tanger. Preßkriegsgetümmel. W as will D as w erden? Theophil sucht die Vorwürfe zu entkräften. Als es sich um Kreta handelte, ist in Berlin erklärt worden, das Deutsche Reich sei keine Mittelmeermacht und werde sich deshalb nicht in den H ader einmischen. W ars danach nöthig, ihm das M arokko«Abkommen offiziell m itzutheilen? Von der A bsicht zu solcher V ereinbarung hat der französische M inister schon im M ärz 1904 den Fürsten R adolin unterrichtet; vier W ochen danach hat im berliner Ausw ärtigen A m t der Bot«

schafter B ihourd m it dem Staatssekretär Freiherrn von Rieht*

hofen darüber gesprochen. In beiden Gesprächen hat kein W örtchen verrathen, daß man das Fehlen einer offiziellen An*

zeige als Inkorrektheit empfinde. N ach den ersten Alarm«

schüssen ist H err B ihourd wieder in die W ilhelm straße ge«

schickt w orden un d h at dort gesagt, der ihm Vorgesetzte M inister habe den W unsch, jedes ,M ißverständniß‘ zu be*

seitigen. D er M inister selbst hat, als D inergast in der Deut*

sehen Botschaft, dem Fürsten Radolin «beruhigende Erklärun«

gen gegeben*. U n d H err B ihourd hat seine mündlichen Ver*

Sicherungen in einem M em orandum wiederholt, das H err von M ühlberg ,zur K enntniß genommen hat*. W er will dem Kleinen vom Q uai d ’O rsay also mit Fug nachsagen, er habe Deutsch*

land absichtlich verletzt? T rotz Alledem geht der Lärm w eiter, die Entschuldigungversuche werden in Berlin ignorirt; und

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G raf Tattenbach reist nach Fez. Kein Zweifel: D eutschland sucht einen Vorwand. W ill entweder, obw ohl G rafB ülow am zwölften April 1904 den G edanken weit von sich gewiesen hat, nun doch ,ein Stück von M arokko fordern* oder unser malheureux pays vor dem Erdkreis dem üthigen; jedenfalls R ußlands O hnm acht nutzen, um sich die W estgrenzengefahr vom Hals zu schaffen. D ann sieht die Sache, freilich, anders aus. D och der Retter w inkt längst ja schon über den Kanal.

.Deutschlands Plan ist unsinnig; wir werden den Ver­

such, Frankreich zu dem üthigen, nicht dulden.* So soll schon im A pril E duard der Siebente gesprochen haben; er wählte die selbe Reiseroute wie W ilhelm un d säte Guinees, w o der Neffe artige W orte gespendet hatte. Am letzten M aitag (in Berlin war man mit den W undern der Kronprinzenhochzeit, mit den Lenzwehen der Kieler W oche vollauf beschäftigt) telegraphirte H errC am bon, Frankreichs schlauer Vertreter am Britenhof, nach Paris: er sei zu der Anzeige ermächtigt, daß die englische Regirung, mit Rücksicht auf die seltsame Hai*

tung D eutschlands, zu V erhandlungen über ein Abkommen bereit sei, das die Interessen beider G roßm ächte gegen jede Bedrohung sichern könne. D ritte W erbung also; diesmal offiziell. D rittes D ilatorium ; höchst höflich. W enn der König von Spanien Paris verlassen habe, werde der M inisterrath den Vorschlag prüfen. Delcasse zeigt Cam bons Depesche den Prä*

sidenten Loubet und Rouvier; und erzählt später, sie sei am nächsten Tag in Berlin bekannt gewesen. (D as ist richtig.) Jetzt mengte sich auch Italien ins Spiel. D ie Pflicht, zwischen D eutschland und Frankreich zu wählen, wäre heute sehr lästig.

D er M inister Tittoni fragte H errn Barrere, der in Rom mit skrupellosem Eifer die Geschäfte der Republik besorgt, ob Delcasse wirklich ein U ltim atum nach Fez gesandt und dem M aghzen mit der M obilm achung der algerischen T ruppen gedroht habe; dann w ürde das deutsche H err sofort über die Vogesen vorgehen. Barrere glaubte, die Frage verneinen zu dürfen, erbat aber von Paris Instruktion. Seine Depesche kam do rt am zweiten Juniabend an und w urde während des Zwischenaktes der G alavorstellung in der Comedie*Fran$aise von Rouvier u nd seinem Kollegenklüngel angstvoll erörtert*

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Der Berg des Ruhmes 341 A ntw ort nach R om : N ie ist an ein U ltimatum gedacht, Saint»

Rene*Taillandier ist sogar eben erst ermahnt worden, schon wegen der N ähe Tajtenbachs vorsichtig zu sein und ,zu stoppen*. H err Tittoni, der auch aus Berlin minder bedroh*

liehe N achricht erhalten hatte, beruhigte sich völlig, als er von Englands Bündnißvorschlag hörte; und Barrere konnte bald nach Paris melden, der italienische M inister habe ihm g esag t:,W enn Sie auf England zählen dürfen, haben Sie nichts zu fürchten; dann wird D eutschland nie wagen, Sie anzu»

greifen; un accord franco«anglais est la meilleure garantie de la paix en Europe.4 (V on einer Stütze des D reibundes könnte man noch größere Znverlässigkeit kaum verlangen.)

A ll dieseM eldungen und G erüchte hatten H errn Rouvier nervös gemacht. D em alten Finanzroutier, der sich vom Pa»

namaschlamm nie ganz zu reinigen vermocht hatte, war der selbstbewußte und hochm üthig schweigsameTheophil, schon als Loubets Liebling und ami de la verlu, immer ein G räuel gewesen. Besonders, seit er ihn über die Unvermeidlichkeit des russisch«japanischen Krieges nicht rechtzeitig unterrichtet und, als falschen Propheten, um einen Theil seines Ansehens in der H aute Banque gebracht hatte. W enn man den un»

heimlichen Knirps jetzt ausschiffen könnte? D ann hätte Loubet keinen Spion mehr im M inisterium. Delcasse liefe nicht mehr als unantastbarer Vertrauensmann N ikolais und Eduards um«

her. U nd Rouvier könnte sich als Retter des theuren Vater»

landes entpuppen. W er w ürde dann noch an den Panama»

gerichtstag erinnern, an dem er unter Keulenschlägen im Pa»

lais B ourbon zusammenbrach? D as wäre die Renaissance. Da»

zu ist aber nöthig, daß die Franzosen überzeugt werden, die Republik schwebe in einer Lebensgefahr, die der seit sieben Jahren fast selbstherrisch regirende M inister für internationale Politik verschuldet habe. D as läßt sich durch Jaures mühe«

los machen. D er wollte ja interpelliren. Dem sagt man: N u r Delcasses Schuld; und zeigt ihm entzifferte Diplomaten«

depeschen. D ann wird die Sache bestens besorgt. U nd zu den Kollegen spricht m an: «Kinder, wir überleben die sozialistische Interpellation nicht, wenn wir den Kleinen nicht vorher über Bord werfen*. Alle dünnen und dicken Strippen werden ge«

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zogen; und keine versagt. Kriegsgefahr? D en Schreihälsen stockt der Athem. Jahre lang thaten sie, als lechze ihr wundes H erz nach dem Kampf um die Provinzen: und schlottern nun, da die Schicksalsstunde zu nahen scheint. N atürlich brauchen sie auch den traitre, den M elodramenschuft, der das ganze U nheil angerichtet hat. N ach Trafalgar meinte Na*

poleon, das Richtige wäre, D um anoir köpfen zu lassen, und behandelte Villeneuve so hart, daß der nicht ruhmlos besiegte A dm iral sich ein Messer ins H erz stieß. (D er Kaiser hatte durch Stachelreden und barsche Befehle die Seeschlacht er»

zwungen, wälzte dann alle Schuld auf die Admirale un d er»

wähnte den Tag, der den Briten die G ew alt über das Welt*

meer gab, nur einmal, in dem merkwürdigen Satz: ,D er un»

vorsichtig begonnene Kampf hat uns, weil das W etter stür»

misch w urde, ein paar Schiffe gekostet'.) N ach M etz hieß der Sündenbock Bazaine, nach Langson Ferry. D as ist des Landes der Brauch. Jetzt war Theophil reif gew orden; und am sechsten Junim ittag konnte der Finanzmächler ihn mähen.

M eine H and, schrie (lange vor H errn Scheidemann) M aurice Rouvier in der g u t inszenirten M inisterrathssitzung, meine H an d soll verdorren, ehe sie das von England angebotene B ündniß unterzeichnet. D ann: Später vielleicht; wenn wir die Marokko»Konferenz hinter uns haben, die ich so vorbereiten werde, daß sie nicht uns sehadcn kann; jetzt aber w ürde das B ündniß zum Krieg führen. Er hatte die M ehrheit für sich, T heophil ging (übrigens in guter H altung) u nd M oritz konnte, bevor er sich im Bankdirektorium wärmt, das Vaterland retten.

Delcass6 wollte nicht über D eutschland herfallen, wollte keinen Angriffskrieg, sondern einD efensivbündniß.Er glaubte, M arokko sei nur ein V orw and; da die Verträge, die dem Deut»

sehen Reich im Belad el M aghzen das Recht der meistbe»

günstigten N ation sichern, von keiner Seite angefochten wer*

den, haben Kaiser und Kanzler zur Beschwerde ja keinen G ru nd . W ozu also plötzlich der Lärm ? D ie Fahrt nach Tanger, die M obilm achung der Presse, dieM ission Tattenbachs? Nach»

dem man ein Jahr lang den A prilvertrag kaum der Erwäh»

nung werth gefunden h at? Delcass& undLansdow ne glauben, D eutschland werde, wenn Frankreich nicht endlich aus dem

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Der Berg des Ruhm es 3 4 3

Schmollwinkel rückt, die ultima ratio regum nicht scheuen»

und wollen sich gegen solche N o th durch eine Mutualver*

Sicherung schützen. In Berlin wiederum, wo man weder an zärtliches noch an gewaltsames W erben denkt, glaubt man, Frankreich plane im Bund mit England eine Offensive, und läßt durch T ittoni deshalb das G elände sondiren. Komoedie der Irrungen. H at irgendein Erwachsener, der seine M ei­

nung nicht aus dem liberalen Südwesten Berlins bezieht, je gezweifelt, daß England, wenn wir uns nicht zuvor, viel*

leicht durch Festsetzung einer bestimmten P roportion der Seekriegsrüstung, m it ihm verständigt hätten, heute der von D eutschland bedrohten Französischen R epublik H ilfe leisten w ürde? D asG egrein über den boshaften N achbar, der Einem beim M orgengrau Steine ins stilleGärtchen wirft, ist einer star«

ken N ation unw ürdig; jaget Eure D ienstboten, statt sie mit Be«

nefizien und Leckereien zu mästen, früh aus dem Bett: wenn sie den Störenfried dann nicht bei den O hren kriegen, soll sie der Teufel holen. Vor hundert Jahren schrieb N apoleon an Karl von Spanien: ,Eure M ajestät m üßte alle M inister wegjagen, die immer nur m it W ehklage kommen; H eilm ittel liefern, Schöpfquellen zeigen, den M assenmuth beleben: da ist ihre A u fgabe/ Diese M ahnung ist wieder sehr modern.

W ir sind mit W ehklagen über fremde Tücke nachgerade über»

sättigt un d wollen von Leuten bedient sein, die sich selbst von dem geriebensten Blitzschelm nicht einseifen lassen. W ozu das Geschwätz über Delcasse? Dessen Schuld mögen die Franzosen ermessen. W ir haben zu fragen, was m it dem Auf«

wand nationaler Kräfte und M ühen erreicht w orden ist.

D aß er der Kriegsgefahr entgangen sei u n d eine »Ver­

ständigung* über M arokko erreicht habe, wird dem Fürsten Bülow als ein unermeßliches Verdienst angerechnet. Einer mindestens, so scheint es, m uß in jedem Jahr bei uns um ­ ju b e lt werden. W er gerade sichtbar ist. Im alten Rom be­

gnügte man sich m it einem Pferd. D as wurde zuerst mit Broten gekränzt, dann aber, ,ob frugum eventum*, geopfert;

und der K opf im Kranzschmuck, als Segen spendendes Symbol, an die M auer der Regia genagelt. Immerhin m ußte das Thier einmal im M arsrennen gesiegt haben. W enn der beste Renner

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dem G o tt der Schlachten dargebracht wird, dann, wähnte der Sinn kindhafter Volkheit, schützt der Himmlische uns die neue Aussaat vor V erwüstung un d Krieg. Die Iden des achten M onats, unseres zehnten, brachten den Feiertag. Fürst Bülow hat dicht am Kapitol gewohnt. U n d m üßte seitdem, durch solehe Erinnerung, eigentlich gegen die Lockung gefeit sein, O ktobertrium phe allzu hoch einzuschätzen. D er erste Fürst Reichskanzler hatte die G ew ohnheit, vor großen und kleinen Entschlüssen alle denkbaren Folgen mit peinlichem Kasuisteneifer zu erwägen. Er ging durch den Park des Kanzlerhauses oder durch den Sachsenwald, saß im Lehn­

stuhl oder lag im Bett un d sagte, oft vor einem hereinge*

schneiten H örer: .W enn ichs so mache, kommts so oder s o ; thue ich Dieses, dann geschieht Jen e s/ U nd ruhte nicht, bevor auch die entlegenste M öglichkeit bis ans Ende durch*

gedacht war. H ätte der vierte Kanzler sich in diese freilich mühsame M ethode politischer Ai beit gewöhnt, dann wäre seine Jubiläum sbilanz besser. D ann hätte er sich vor der Reibungfläche zwischen England u nd R ußland gehütet, nach Asien den Kaufmann, nicht den Generalissimus, geschickt, die französische Eitelkeit weder durch Schmeichelrede ge*

steigert noch durch barsche W o rte verletzt, mit den Briten sich in einer Zeit russischer O hnm acht um jeden Preis ver*

tragen, um keinen Preis M arokkos wegen die immer ge*

fürchtete Koalition der W estmächte beschleunigt. D ann gäbe es weniger O ktobertrium phe, aber mehr Ruhe im Reich. U nd wir brauchten nicht in Bekümmerniß jetzt zu fragen, warum ein Volk, das in H aus und H of, Laboratorium und Fabrik, Kaserne und H örsaal Unübertroffenes leistet, seinen natio»

nalen M achtbereich, trotz aller G unst der Zeit u nd des Zufalls, nicht ausdehnen kann.“ (21. 10. 1905.)

W as einem zuvor zweimal wegen M ajestätbeleidigung Eingesperrten zu sagen irgend möglich war, ist auch damals hier gesagt worden (u nd die anm uthige Mär, ich sei „be*

kanntlich ein H aupthetzer zu Krieg gewesen*1, kann nur ge*

deihen, wo all Dies verschwiegen, verlogen w ird). W eil die Leser einer Zeitschrift wissen wollen, ob sie Geschehenes ihnen in klarer H elle oder in trübem Zwielicht des Truges gezeigt

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Der Berg des Ruhmes 3 4 5

hat, m uß nach der Rückschau berichtet werden, daß die neue Erörterung, zu der Rouviers Schwiegersohn, überlebende Mi*

nister seines Kabinets, H err Paleologue, in der Krisenzeit Delcasses nächster Gehilfe,und die kundigsten pariser Zeitung*

schreibet eifernd mitwirkten, der H err Delcasse selbst aber fern blieb, meine D arstellung von 1905 in allem W esentlichen bestätigt hat. D er H istoriker, der die Vorgänge bis ins Ein*

zelne, Kleinste durchleuchten möchte, stünde vor mühsäliger Arbeit. Allzu viele Fäden flössen ungesehen, allzu vieleWeber*

Schiffchen schossen hinüber, herüber. A ußer dem fest an Hol*

steins Instruktion hängenden Botschafter Radolin und seinen Sekretären Flotow und M iquel hatten die H erren G uido Henckel’Donnersmark, Hammann, Rosen, Schwabach und Finanzagenten vom Schlag Betzolds die H and im Spiel. Um das H aupt Delcasses wurde so hitzig gerauft wie von holden und finsteren M ächten einst um die Seele des Theophilos von Adana, der sich, in W u th über den Verlust bischöflichen Ranges, dem Teufel verschrieben hatte, von der Heiligen Jung»

frau die Rückgabe des Paktes erflehte, nach der Erfüllung seines W unsches sterben m ußte und an dessen Schicksal Le*

gende den U rsprung der Faustsage knüpfen wollte. So deut*

lieh war schon im A pril der berliner Z orn über den M ann fühlbar, der seit sieben Jahren am Q uai d ’Orsay thronte, daß Rouvier dem Fürsten Radolin zuraunen ließ, er werde H errn Delcasse „sehr gern fallen lassen“ ; selbst fügte er, als Tisch«

gast des Botschafters, die Betheuerung hinzu, er bewundere W ilhelm , hoffe auf rasche V erständigung über M arokko und dürfe aussprechen, daß Frankreich keinen Gedanken an Rache mehr hege und „um jeden Preis“ den Frieden sichern wolle.

D er Botschafter meldets nach Berlin: und da in jeder dunklen Stunde der deutsche Chiffreschlüssel gerade Dem diente, dem er verborgen sein sollte, las am nächsten A bend Theophilos, was der M inisterpräsident plane. D aß er, statt mit der ent»

zifferten Depesche in der H and Rouvier zu bändigen oder zu stürzen, den Zw ist noch sechs W ochen fortschwelen ließ, war schlechte Taktik. Die seines Gegners kühner und des*

halb wirksamer. Rouvier überredete die M inister in den Glau*

ben, das vom M arquis of Lansdowne angebotene Schutz*

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bündniß solle Angriffskrieg gegen D eutschland leis vorbe*

reiten und schon der U nterzeichnung werde, wie der Weige*

rung franko*deutschen Sondervertrages über M arokko, jäher Heereseinbruch in Frankreich folgen. „In dieser wahrhaft tragischen Stunde**, schrieb noch am sechsten Ju n i der Justiz«

minister Chaum ie in einen Bericht über die Kabinetssitzung,

„traten alle M inister auf Rouviers Seite und Delcasse erklärte nun, daß er ausscheide*1. Ueberall galt er, in H eim ath und Fremde, als O pfer deutschen Eingriffes. Sein Feind Clemen»

ceau hat in der Kammer gesagt, nie sei Frankreich tiefer er«

niedert worden als am Tag dieses M inistersturzes auf frem*

den B efehl; und Rußlands londoner Botschafter fragte laut, ob in aller Geschichte je zuvor solcher Eindrang sein Ziel erreicht habe. A uch in D eutschland zweifelte Niem and, daß hier ein Erfolg der W ilhelm straße zu buchen sei. D ick unter­

strich ihn, nach übler G ewohnheit, der Kaiser: er hob den Grafen Bülow in Fürstenrang und sprach zu dem als sein Hochzeitgast in Berlin weilenden General D e Lacroix: „Er ist weg; jetzt werde ich Euch nicht mehr geniren.“ Er: so ganz erfüllt von dem G lauben an Delcasses grause Teufelei war der Allergroßm ächtigste, daß N am ensnennung ihn un*

nothig dünkte. A ls das echt wilhelmische W o rt durchge«

sickert war, prügelte H olsteins nervöse H and die Stuhllehne:

„D as ist ja ein Freibrief für die Franzosen!** D am it kein A uge die Zündschnur persönlicher Rache erblicke, m ußte der weiche Radolin die Rede in Stahl panzern und dem ver­

blüfften Rouvier melden, D eutschland verzichte nicht auf die Konferenz u n d „stehe m it seiner Gesammtmacht hinter dem Sultan von Marokko**. Betrachtet das G eknäuel der, nur zwischen 1898 un d 1905, gesponnenen, verfitzten oder ver«

fädelten Pläne: un d antw ortet selbst der Frage, ob tollerer W irrniß in dem Geschäft eines großen Reiches vorstellbar ist. U nter sieben Kanzlern ists so gewesen und, bis in die Tage der Flucht und Entthronung, geblieben. Ein Kaiserlicher Botschafter erzählte mir einmal, er habe den G rafen Bülow, nach dessen Ernennung zum Kanzler, gefragt, ob er ihn be*

dauern oder beneiden solle, und die A ntw ort gehört: „D as Schicksal, lieber Graf, hat mir die schwere Aufgabe gestellt, dem deutschen Volk über das U nglück hinw eg zu helfen, daß

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Der Berg des Ruhmes 347 die Erbfolge ihm W ilhelm den Zweiten zum Kaiser gab.*' W enn nicht von „Bearbeitung der Schuldfrage“ noch immer so viele Leute lebten, wäre sie längst in ähnlich klingende A ntw ort verscharrt worden.

Vor zehn Tagen noch w urde im „T em ps“ der Satz ge*

billigt: „Seit H err Delcasse weggejagt wurde, lebte in Deutsch»

land der W ahn, uns Alles zum uthen zu dürfen; und hier ist die eigentliche Kriegsursache zu suchen.“ G anz so einfach u nd summarisch dürfte mans nicht abthun. D aß aber Fran»

zosen, die nach Tanger und Casablanca den Alkoholiker«

taumel von A gadir erlebt und in amtlichen U rkunden ge»

lesen haben, im A ugust 1914 sollten ihnen die Festungen T o ul und V erdun als Pfänder französischer N eutralität ab»

verlangt werden, knirschend des Tages gedenken, an dem ein M inisterpräsident vor dem D eutschen Botschafter sich einen Verehrer W ilhelm s nannte, Friedensw ahrung „um jeden Preis“ erkaufen wollte und als erste Abschlagszahlung den K opf des A ußenm inisters anbot: nur ein selbst dem Vorhof der Völkerpsychologie Ferner darf darüber staunen. A uch im A ugust 14 hat ja ein deutscher G esandter, der Bayer Von Ritter, an seine Regirung berichtet, er habe „bis zum letzten Augenblick, insbesondere in dem letzten politischen Gespräch mit dem M inister Bienvenu»Martin am zweiten A ugustabend, den Eindruck gehabt, daß die französische Regirung den Krieg um jeden Preis vermeiden wolle.“ D en G estus Rouviers konnte sie nicht wiederholen; nicht einmal den des H errn Caillaux aus dem Jahr 1911. Statt uns zu erzählen, die zwei Finanzmänner haben „K ontinentalpolitik“

getrieben, an deren kahlem Steinriff Bonaparte scheiterte, von der W ilhelm oft fabelte und zu der jetzt, ohne ein aktives R ußland, ohne deutschen Küstenschutz und zulängliche H andelstonnage, jeder V orbeding fehlt, m üßten unsere Preß»

Vergile die Republik vor Rückfall in die blinde Thorheit der Kaiserei warnen. Discite, m onitil H err Delcasse, den Fürst Lichnowsky durchaus vernünftig fand, war kein Hasser, keine mit Schwergeschütz zu bekämpfende Reichsgefahr, hat sich nie in den G edanken an Sieg bringende Offensive gegen D eutschland verklettert. M it ihm (zehnmal schrieb ichs) wäre V erständigung leichter als mit den nicht vom R uf unbeug«

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samen N ationalstolzes G ehürnten möglich geworden. Erst der Hagel alltäglicher Schimpfrede fegte ihn in den G lauben, wider jeden m uthig auf rechten Franzosen lockere sichDeutsch*

lands Schwert. Schreckt auch dieses W ahnes Spur nicht?

U m d ie G le t s c h e r z u n g e

„D er jähe A bbruch der Konferenz von Cannes hat die Aufmerksamkeit von der Rede abgelenkt, die H err Rathenau fast beendet hatte, als H errn Loucheur die verhängnißvolle Depesche (die den R ücktritt des Kabinets Briand meldete) überreicht wurde. D en ganzen Tag über schon, ward uns ge*

sagt, hatte man aus Paris mehr Licht erwartet als aus dem (ruhigen und in den Schein von O bjektivität gekleideten) Vortrag, den der Führer der Deutschen Delegation hielt. N u r die verschmitzte Beweisführung, die der W elt plötzlich das bisher ungeahnte Dasein ^unsichtbarer Arbeitlosigkeit* in D eutschland enthüllte, fesselte für eines Augenblickes D auer den mit anderem G egenstand beschäftigten G eist der Hörer.

D as ist zu bedauern; und da Wolffs Telegraphen^Bureau für nöthig hielt, der amtlichen deutschen D arstellung eine ihr von der in Cannes versammelten Presse zweier W elten nicht ge­

währte V erbreitung zu sichern, ists am Ende doch der M ühe werth, einen Blick darauf zu werfen.

Schnell wird offenbar sein, d aß die N eugier ein Bischen enttäuscht wurde. H err Rathenau hatte, freilich, ihm gestellte Fragen zu beantw orten: er sollte die deutsche Bitteum Zahlung*

aufschub begründen, die Regirungpläne vorlegen, die Ord*

nung ins deutsche Finanzwesen bringen können, und die neuen Bürgschaften zeigen, die der Verständigung erstrebende Schuldner seinenG läubigern anbieten wolle. D och von einem so starken und findigen Kopf, einem so schmiegsamen Intel*

lekt hatten wir Besseres erwartet als eine rednerische Gewalt*

leistung. Drei geschlagene Stunden lang las H err Rathenau, ohne zu stocken, französisch und englisch die Rede vor, deren deutscher T ext in seiner H and war. M ußten wir schon auf selbständige D arstellung der W eltwirthschaftlage, auf eigene G edanken darüber verzichten, so hofften wir wenigstens auf die Skizze eines positiven Entschädigungplanes, auf denUm>

riß deutscher Finanzreorganisation. W ir wurden mit Nega»

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