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Die Zukunft, 25. Februar, Jahrg. XXX, Bd. 116, Nr 22.

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(1)

XXX. Jahrg. B e rlin , den 25. Februar 1922 N r. 22

Die Zukunft

Herausgeber

Maximilian Harden

IN H A L T

Seite

A us Schlamm blüht Frühling . 207

Bilanz von W ashington . . . 207

Ein R ückflug nach A ltspanien 220

Sechstagerennen . . . 233

Nachdruck verboten

Erscheint jeden Sonnabend

Preis vierteljährlich 35 Mk. / Einzelheft 3,50 Mk.

BERLIN

ERICH REISS VERLAG

(Verlag der Zukunft)

1922

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B o n n s K r o n e n h o t e l

Haus 1. Ranges, 110 Betten

W i n t e r u n d S o m m e r z u K u r z w e c k e n g e ö f f n e t

** * ** * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * ** * * *

Regina - Palast am Zoo Reeg‘T bAmoid

(Kaiser- Wilhelm-Gedachtnis-Kirche) Telephon: Steinplatz 9955

Kurfürstendamm 10 und Kantstraße 167-169

~^unü abends: Erstes Intern. Kammer-Orchester.

Dirigent: O tto H a r tm a n n . Konzertmeister: C. B a r th o ld y . Am Flügel: W. L a u t e n s c h l ä g e r

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JUGEND U KRAFT

GOLD FÜRMANNER*5ILBER FÜR FRAUEN AKT-GES. HOKMONA' DÜSSELDORF- GRAFEN BE RG E R H Ä L T L IC H l>4 A P O T H E K E N

Bei Schwäche, Neurasthenie

b e i d e r l e i G e s c h l e c h t s D r.H o ffb a u c rs ges. g e sc h .

Y o h i m b i n - L e c i t h i n ■ P r ä p a r a t e

Aub r e in s te m Y o h im b in u n d d e m H ü h n e r e i e n tz o g e n e m N e rv sto ff o d e r L e c ith in b e ste h e n d , d a h e r e in e v o llw e rtig e E r g ä n z u n g d e s im K ö rp e r v e r­

b r a u c h te n N e rv sto ffe s. A u sfü h r]. B ro s c h ü r e (o d .L ite r a tu r ) g eg. 1,— M. P o r to E l e f a n l e n ■ A p o t h e k e , B e rlin SW , L e ip z ig e r S t 74, a m D ö n h o ffp la tz

F e r n s p r . : Z e n tru m 71921

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DIE ZUKUNFT

Herausgeber: M a x im ilia n Harden

ie nächste A uflage der Schulgeschichtbücher wird mel»

den, am sechsten Februar 1922 sei in Rom Kardinal Ratti zum Papst gewählt, in W ashington die west-östliche Kon«

ferenz geschlossen worden; U m das Bäumchen des neuen Pontifikates rankt sich ein ganzes G ewinde blühender Hoff­

nungen. D ie Konferenz w ird in Frankreich leis bespöttelt, in Deutschland kaum erwähnt und, wo ihr flüchtige Beacht»

ung zufiel, enttäuschender Fehlschlag („ein jlatter Versager“) genannt. Schon daraus ist zu schließen, daß sie das A ntlitz der Erde gewandelt hat und lange nachwirken w ird; länger, nach M enschenvoraussicht, als der W iener und der Berliner Kongreß. Im vorigen Frühling, nach dem D u o der H erren Lloyd George und Harvey (des Amerikanischen Botschafters am H ofe von Saint«James) auf dem Festmahl der londoner

„Pilger“, warnte ich hier vor dem G lauben an die Haltbar*

keit des in Boulogne, Paris, Angora in Erztafeln Geätzten.

„A ll Dies und anderes überlaut H örbare ist Zwischenakts«

Zerstreuung. Erst aus der panbritischen Reichskonferenz, dem in W ashington Beschlossenen, im Kreml als unvermeidlich Erschauten wird Schicksalsbereitung. G elingt der Giganten*

trust, den Botschafter H arvey ankündete, den der amerika»

nische und der australische H ughes, Lloyd George undSm uts, G rey und H enderson wollen, dann m uß neben den Riesen»

pool British Empire»United States, dem Südamerika nicht lange fern bleiben kann, ein mongolischer, China»Japan, und

XXX. Jahrg. 25. Februar 1922 N r. 22

Aus Schlamm blüht Frühling

B ila n z v o n W a s h in g t o n

IB

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2 0 8 Die Z ukunft

ein eurasisch*russischer sich ballen. In diesenB und der Rassen, der dieErde entwaffnen, entseuchen, von Basaltschutt säubern, O rient und Occident, endlich, versöhnen könnte, fände nur ein geeintes Europa Einlaß, nicht der Knirps, der ein Bündel geflickter Vaterländer und den mageren Ertrag sonnenloser, zerklüfteter W irthschaft mitbrächte. M orgen N othw endiges heute erkennen un d dazu in Bereitschaft sein: D as nur ist Politik.“ D as in Boulogne und Paris Beschlossene ist längst vergessen, der A ngoravertrag ein Lappen, der auf den breiten Riß im Kleid franko»britischer Entente geflickt werden soll, der G igantentrust Ereigniß. In W ashington w urde auf alle Inszenirerkünste verzichtet; w urde die V erhandlung im nüch*

ternen Kaufmannston der Office, ohne A uslugen nach derWir*

kung ins W eite, geführt. I^ie große Stimme, der H all aus eines Sehers Seele fehlte; und die duftlose Baptistenfrommheit, deren thaukühler H auch durch die Reden der H erren Har*

ding und H ughes w ehte, b o t dafür nur dürftigen Ersatz.

A m letzten Tag, nach dem G ebet eines Predigers und der U nterzeichnung der Verträge, schien Präsident H arding be*

m üht, wilsonisch zu sprechen. „V or drei M onaten war mir vergönnt, Sie hier zu begrüßen und anzudeuten, aus welchem G eist die Einladung ergangen war, in welcher Atmosphäre die V erhandlung ablaufen solle. H eute ist die Verzeichnung der beträchtlichen Ergebnisse mein schönes, beglückendes Vorrecht. D ie Konferenz war ein großer Erfolg. Ich zaudere nicht, auszusprechen, daß die in denV erträgen vorgeschriebe*

nen Pflichten den Beginn einer neuen, helleren Aera mensch«

liehen Fortschrittes ankünden. N eu n N ationen haben an diesem Tisch G egenstände von großer W ichtigkeit für alle erörtert und jeder denkbaren Störung ihres friedlichen Ver*

kehrs vorzubeugen versucht. Im Licht Oeffentlicher Mein*

ung ist hier, vor der W elt, ohne O pferung der Souverainetät und des N ationalstolzes, allen Fragen einm üthig die Ant*

w ort gefunden w orden; und die Freude an so großem Ge*

winn giebt unserer Schlußfeier die Farbe. Voll D ankbarkeit blickt das Volk der Vereinigten Staaten hierher. N u r wenigen M enschen war zuvor ganz bew ußt, daß hier sou veraine Mächte verhandelten, deren Beschlüsse nur einstimmig gefaßt, unter

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Aus Schlamm b lü h t Frühling 2 0 9

denen weder Sieger noch Besiegte Zurückbleiben durften, die in Gemeinschaft unserer Civilisation eine besser handliche Form, dem W illen der W elt klaren A usdruck geben sollten u nd woll*

ten. W iew ar es früher? Die W irkung des im H aag Vereinbarten ist durch denW iderstand einer einzelnen G roßm acht vereitelt worden, deren W eigerung, mit den anderen M ächten zusam*

menzuwirken, uns in dieEndtragoedie gerissen hat. Die Kon«

gresse von W ien und Berlin haben aus Kriegsunrecht Frieden zu schaffen versucht und dadurch neuen Konfliktsstoff gesät.

Jetzt (D as darf G erechtigkeit nicht verschweigen) hat die Entwickelung des Menschengeschlechtes, der durch Technik und zunehmendes Vertrauen erleichterte W eltverkehr und der D rang der Oeffentlichen M einung uns die Schichtung einer festeren G rundm auer ermöglicht. Das Sehnen nach Friedensfestigung und s chmalerem Umfang der Völkerrüstung ist zwar nicht neu, auch für die Rechtsschranken der Kriegs»

führung hier keine neue Formel gefunden w orden: aber der Ertrag unserer A rbeit ist schon deshalb groß, weil sie nirgends den Keim neuer Konflikte hinterläßt. M öglich ist ja, daß die zehnjährige Schiffbaupause den Vertrag nicht überdauert.

Ich glaube es nicht. A uch die später Lebenden, sie erst recht, werden G ottes hohen W illen auszuführen streben, statt eine Politik kriegerischer Zerstörung zu treiben. D ie W ehklage der W elt und das trübsinnige Geseufz der nach furchtbarer M arter sich wieder aufrichtenden M enschheit w ird von tröst»

lichem Klang und von freudigem Summen aus allen Herzen der Erde übertönt.“ Predigerssegen. Schluß.

O b das O h r des Präsidenten nicht irrte, da es tröstlich belebenden Klang zu hören w ähnte? D ie W elt ist, minde»

stens die nicht englisch sprechende, stumm und kalt geblieben.

W eil keine mächtige, weither widerhallende Stimme ihr den Sinn des Geschehens deutete ? (Schleudert, W ackere, Schimpf«

lawinen auf den überw undenen M ann W o odrow W ilson:

ihm gab ein G ott, zu sagen, was M illionen litten. Als erstes Staatshaupt hat er ausgesprochen, was jedes w eltfrom meHerz ersehnte. U n d blieb er auch, kleiner als sein Schicksal, in der N ebelschlucht Problematischer N aturen, so haftet sein W o rt doch, wie Marc Aurels, an der Schwelle neuer Zeit.) Staats«

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210 Die Z ukunft

sekretär H ughes peilte kundig die Sonne, des Stromes Tiefe, setzte m it fester und flinker H and die Segel. Com m odore der Konferenz aber war Mr. A rthur James Balfour. A lte Leser der „Z uk u n ft“ erinnern sich wohl noch der feinen Aufsätze des Skeptikers. D er seit 1911 in ihm entstandene, in den Kriegsjahren kalt und starr gewordene H aß deutschen Offi*

zialwesens ist aus dem Geist des Mannes weggethaut, der das innige V erhältniß zu D eutschlands M usik und Philoso*

phie niemals gelockert hat, und des Alters Edelrost gab seinem W esen einen Auge und O h r zugleich bezaubernden Tönung»»

reiz. N ie war auf einem Kongreß ein Staat klüger, kaum je einer mit so anm uthig männlicher W ürde vertreten. In W ien hat Talleyrand viel erlangt, doch nirgends Vertrauen. In Berlin stand D ’Israeli in Bismarcks, eines Riesen, undG ortschakow s, des schlausten Slawenzwerges, Schatten. In Paris w urde H err Lloyd G eorge als Hexenmeister bestaunt; nur w ußte Nie»

mand, „woran D er glaubt.“ In W ashington ward Synthese:

der Cecilsproß Balfour, W eltmann, Golfspieler, Gelehrter, Kunstkenner, D ilettant im italischen W ortsinn, nahm von W ilsons kosmischer Betrachter würde so viel (nicht mehr) in sich auf, daß eine M ischung gelang, die im Konferenzsaal, D rawingroom , Klubzimmer ringsum Alles entzückte. D er Skeptiker wurde nicht etwa priesterlich, gar predigerhaft;

hobelte aber die scharfen Spitzen und harten Kanten ab, mit denen er, Englands in den neunzigerJahrenamMeistengefürch»

teter und geliebter Debatter, die G ladstonianer geärgert hatte und die sich nun nicht mehr ins Fleisch anderen Geistes (ver*

zeihet das W o rt) drücken sollten. N ie wurde er breiweich;

war, wie Jeder, dem der G roße Krieg Erlebniß geworden ist, in jeder Stunde aber der Pflicht zu Verantw ortung vor dem Richtstuhl der M enschheit bew ußt und hat in drei M onaten nichts U nkluges, nichts unklug gefordert noch zu erlisten ge*

sucht. Seine Aufgabe war nicht leicht. Er m ußte den Pakt mit Japan lösen, ohne es zu kränken, von ihm sich zu scheiden;

m ußte den noch fester, durch Blutopfersgemeinschaft, dem Britenreich verbündeten Franzosen vor sieben aufhorchenden N ationen, vor dem O h r zweier W elten sagen: „Ih r baut Eure Tauchbootflotte nur gegen uns un d dürft Euch nicht in den

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Aus Schlamm b lü h t Frühling 211

G lauben lullen, wir Briten würden, weil Ihrs seid, nicht alles zu A bw ehr Erdenkliche vorbereiten.“ D aß nach Erfüllung so klippiger Pflicht gerade Japaner und Franzosen im C hor seiner Lober die Stimmführung begehrten, bis heute behielten, zeugt von der firnen W eisheit, dem wachsamen T akt des Mannes, der vor jeder W endung des langwierigen Dialoges auch die Sonderwünsche der D om inions und das derb deutliche W ollen Amerikas abwägen, bedenken m ußte. D ie erste (im höchsten Sinn des W ortes) diplomatische Sendung hat das an Erfolg überreiche Leben Eines, der nie D iplom at war, eines „Staatsmannes aus Züchtung des inneren Dienstes1' (wie Bismarck zu sagen pflegte) mit spät blühendem Lorber gekrönt. Als den Ersten Gentleman der W eltpolitik geleitete ihn, der doch auch in dem drüben verhaßten Völkerbund vornan .sitzt und die Geister mild beherrscht, Amerikas zärt­

liche Ehrfurcht an Bord der „A quitania“. In London em­

pfing ihn schon auf dem Bahnhof das ganze Kabinet; feierte ihn dann, wider Englands geräuschlos vornehmen Brauch, auf einem Festmahl. W enn nach der nächsten Europäerkon#

ferenz, der, glaube ich, dreizehnten seit Paris-Versailles, H err Lloyd George, um auszuruhen, die in letzter Zeit nicht immer gehorsamen N erven aus U eberreiztheit zu trainiren, die Rück#

bildung des Jahrzehnte lang von der Irenfrage bestimmten Parteiwesens, die A uferstehung einer zu starker A ktion fähigen Liberalenpartei und (last, not least) die Entwickelung oder den Sturz des seinen Künsten unzugänglichen H errn Poin#

care abzuwarten, vom Am t des Prime M inister zurücktritt, kann H err Balfour noch einmal, als Führer der Tories, auf den Regentensitz steigen, den der bisher dazu ausersehene, doch nicht im Innersten prädestinirte H err Chamberlain ihm gern gönnen wird, und mit H errn W inston Churchill, dem wohl die Interim sführung der alt- und neuliberalen W higs zufallen würde, als frischer Siebenziger die Klinge kreuzen.

H ie CeciloBalfour, hie M arlborough-C hurchill: die Bleibsel des fröhlichen Tudor*England sähens aus hellem Auge.

D er Versuch, aus der Reihe der Unterzeichneten Ver*

träge die auch für Europa wichtigen zu heben, m uß miß«

lingen. D enn „O rient und Occident sind nicht mehr zu tren«^

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21 2 D ie Z ukunft

nen“ ; und die Sicherung der Flottenrelation für die nächsten zehn Jahre, das Verbot, Tauchboote gegen Handelsschiffe, Stickgas und andere Chemikalien als Kriegsmittel zu ver»

wenden, ist für unseren Erdtheil nicht wichtiger als der Ver*

trag der vier M ächte (Amerika, Britenreich, Frankreich, Japan) über den Pacific, der N eunm ächtepakt über C hina und Japans Rückzug aus Schantung. A u f restlose, dem Menschenblick endgiltig scheinende Lösung der ostasiatischen Probleme hatte nur gerechnet, wer das W esen der in diese Rechnung ge»

stellten H irnkräfte nicht kennt noch weiß, daß China heute ein geographischer Begriff, nicht ein in festem U m riß greif»

barer M achtfaktor, ist. D ie pekinger Regirung, der jetzt Liang«

Shih*Yi, ein verschmitzter M andarin und von Erfolg goldig umstrahlter Finanzschieber aus der Kaiserzeit, vorsitzt, lebt von Japans G nade. Aehnelt, wie ein entfärbter, übel riechender Eidotter dem anderen, der auch von Japan eingesetzten und bezahlten Regirung, die auf dem Pariser Friedenskongreß die H ingabe Schantungs an dieT okioten erzwang, trotzdem Chi»

nas D elegiite diesem Japanersieg die U nterschrift weigerten.

D aß Präsident W ilson, auch hier in der Hoffnung, der Völker»

bund werde, in günstigerer Stunde, das U nrecht tilgen, dieser H ingabe nicht wehrte, war sein ärgster Fehler; und hat, mehr als irgendein anderer, gegen ihn das G efühl des Amerikaner*

volkes ge waffnet, dasStärkungJapans nicht duldet. D ie Wieder*

holung dieses Fehlers hätte auch das Paar Harding» H ughes in Lebensgefahr gerissen. Deshalb m ußtejapan nachgeben. H atte aber in Peking wieder eine Regirung bereit, die seinem Rath williger lauschte als dem der zuvor in W ashington beglaubigten Delegirten. D as Spiel aus dem Frühjahr 19 wiederholte sich.

Verzögerte, angeblich verlorene Depeschen; strenger Befehl aus Peking, die D elegation solle nachgeben; in deren A ntw ort die D rohung m it nahem Volksaufruhr, den sie selbst heimlich zu H aus bestellt hatte; Vorschlag einer japanischen Anleihe, deren Ertrag die Schantung»Eisenbahn den Japanern abkaufen, im G rund also unter ihrer Kontrole lassen sollte; von beiden Seiten, J o c h e n lang, ähnliches Gemächel. W as ein Ameri»

kaner, der in die Karten geguckt hatte, darüber erzählt, klingt in W eißenhirn wie M ärchen von dunkler Hintertreppe. „D ie

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A us Schlamm b lü h t Frühling 2 1 3

Japaner w ußten, daß den Chinesen Nachgiebigkeit befohlen sei, und die Chinesen wußten, daß die Japaner diese Befehle kannten. A ber auch, daß N ippons Söhne nicht wagen durften, diese K enntniß einzugestehen:denn solches G eständniß hätte sie, im grellen Licht eines W eltkongresses, der stets hochmüthig bestrittenen Einmischung in Chinas Innenleben überführt. So konnten die Japaner denn ihre W issenschaft diesmal nur zu schroffer A blehnung aller von Chinas Vertretern ausgesprochen nenW ünsche nutzen. DieFolge war V erschleppung, Vertagung des Zwiegespräches.“ Daraus konnte nur Kompromiß wer«

den. Dessen gewisse und mögliche W irkung wird erst zu ermessen sein, wenn der ganze Konferenzstoff veröffentlicht und das U rtheil des amerikanischen Senates gesprochen ist.

T rotz der lauten M ahnung des politisch bewährten Senators R oot ist China von altem Eingriff nicht erlöst, vor neuem nicht geschützt, nur als Absatzstätte für amerikanisches Eisen und Industriegut gesichert worden. D ie Z ukunft dieses von Parteiung zerklüfteten W underreiches, von dem die Weißen»

weit K ultur der Seele, des Geistes, der Sitte, nicht nur des Bo«

dens, nicht nur den in G ärtnerskunst veredelten Landbau, 1er»

nen kann, bleibt von der Entwickelung Rußlands abhängig, bis Japan einsieht, daß es wiederChinasGehilfe,Gefährte höchstens werden m uß, niemals dessen H err sein kann und deshalb von Schicksalswillen genöthigt wird, da Liebe zu säen, wo jetzt nur, in breiten Stauden, H aß aufwuchert. N och scheint der W eg in das Tipperar y dieser Erkenntniß weit. U nd W ahn die H offnung, Japan werde freiwillig aus Ostsibirien weichen, auf die M achtstellung an der A m urm ündung, in der See«

provinz des zarischen Rußlands und in der Republik des Fernostens verzichten. Am Ende aberhaben die Herren Balfour und H ughes sich wohl in die M einung geeint, härterer D ruck müsse dastapfereV olkdesTenno ingefährlichenZorn erhitzen.

Diesem Volk zerrann in W ashington der Kindstraum, mit Englands H ilfe in W eltherrscherm acht aufsteigen und später, im Bund mit G andhis Indien und anderen rebellirenden Gel«

ben, Braunen, Schwarzen dreier Kontinente, den Helfer über»

winden zu können. D er Flottenpakt ist das Meisterstück der west«östlichen Konferenz; w ürde allein genügen, ihr im Ge«

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2 1 4 Die Z ukunft

dächtniß der M enschheit einen Platz zu wahren. N ie war das Britenreich weiser als an dem Tag, da es die Klangstärke des „Rule Britania, rule the waves“ dämpfte un d dem (nicht mehr haltbaren) Recht entsagte, „das H aus der freien Amphi«

trite wie sein eigenes zu schließen.“ N ach dem neuen Vertrag bleiben nur drei große Seemächte; und die dritte, Japan, ver»

mag (trotz der durchgedrückten Erlaubniß, das Schlachtschiff

„M utsu“ zu behalten: einer auf Zeitungpapier vielfach ge*

tadelten, in gemeiner W irklichkeit aber von politischer Ver»

nunft empfohlenen Konzession) weder in Gemeinschaft mit einem der zwei Vertragspartner noch gar allein einen Kampf zu wagen, der auch nur breite Aussicht auf Sieg böte. M it England gegen Amerika wäre die Relation 8 : 5 ; unzuläng»

lieh. M it Amerika gegen England: noch unwahrscheinlicher;

und halbwegs zulänglich nur, wenn Frankreich und Italien ihre Flottenbaupläne ausführten und sich dem Zw eibund an«

schlössen. A ll Das aber ist Schaumblase aus der Thonpfeife eines Knaben. N ie würde eine der britischen D om inions, denen nun auch Irland zugehört, niemals einer der auf Amerikas Erde Vereinigten Staaten Kampfgemeinschaft mit Japan dul»

den. D ie Flotten des British Empire und der U nited States beherrschen fortan ungehemmt die Meere. Eine davon dürfte, wenn sie allein bliebe, des Sieges sich niemals sicher fühlen.

Dieser klug besonnene M achtstand soll (u n d m uß) auch die zwei Imperien, die heute reichsten und kräftigsten, in die Pflicht gemeinsamer Internationalpolitik zwingen. D am it,m it diesem Angelsachsenwall (so nannte ich im vorigen Frühjahr das erst ahnbare G ebild), m uß jeder Staatsmann nun rechnen lernen.

D as A ntlitz der W elt ist verändert. D aß die A brüstung der Landheere noch nicht erwirkt und, als ein Europäre»

problem, nach kurzem Bemühen von den H ausherren der Konferenz sacht weggeschoben wurde, konnte Scharfsichtige nicht überraschen. Frankreich und seine Satelliten können ihre H eere erst kleinern, wenn die „Reparation“ fest verbürgt, das V erhältniß zu D eutschland und dem russischen Chaos geordnet ist. In W ashington gings um die Meere, um die V erhinderung der Seekriege, die, weil sie ungeheure Ver*

mögensstücke, nicht M enschenleben nur, geschwind zerstören.

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A us Schlamm b lü h t Frühling 215 die dem Hochkapitalism us eigenthümlichste, abet auch ge«

fährlichste Form des Volkerkampfes zeigen. D aß dieser Theil der Konferenzarbeit gelang, bestimmt ihr den Dauerwerth.

N och ist so wichtigen Gelingens Folge nicht allen Beherr#

schern europäischer Staatskanzleien bew ußt geworden. D och ich glaube weder an die A usführung der französischen und ita*

lischen Flottenbaupläne noch an Frankreichs große Untersee*

gesch wader. W ozu der A ufwand, da Amerika und das Briten«

reich in weltpolitische Gemeinschaft entschlossen und stark genug sind, stets, ohne sich anzustrengen, jede Senkung einer M acht wägschale zu hindern? D er „gute Europäer“ (der von Nietzsche, nicht, wie unser lieber M eister Anatole France meint, von Goethe, aus N ationalistenträum en gerufen ward) m uß morgen die Einung seines Erdtheiles besinnen und er*

streben, der, mit seinem Bündel geflickter Vaterländer, als ein Knirps vor dem Angelsachsenwall stünde.

Schmerzhafteren Verlust als den Japanern, denen dieWah*

rung des Gesichtes, der Blinkschein ostasiatischer Vormacht noch gestattet wurde, hat die Konferenz den Franzosen be«

reitet. Die im N ovem ber aus Chita, aus dem Archiv der Re«

publik des Fernostens durch die Beringstraße geschmuggelte M eldung, Frankreich habe sich über die H altung in Washing«

ton insgeheim mit Japan verständigt, w urde zuerst, obw ohl eine U rkunde sie stützte, als Narrenschwatz belächelt; wird längst nun aber von großer Amerikanermehrheit geglaubt und auch in Englands Presse, sogar in dem bedachtsamen

„M anchester G uardian“, als Thatsache bestätigt. Aus dem Rang des zärtlich bew underten M artyrvolkes in den Miß«

ruch des Japanerbegünstigers: selten sah unsere Sonne tie«

feren Sturz. Dessen Ursache war der (schon vor dem Kon*

ferenzbeginn hier erwähnte) Irrthum der Pariser, drüben die Gelegenheit zu Vermittelung in anglo'amerikanischem Zw ist finden und in stiller Sozietät mit N ip p on diese Gelegenheit zu Erlangung höheren Zinses nutzen zu können. Seit H err M illerand, M ann der Akten, wohlgepflegter Schriftsätze und Feind der „Extempores“, die zu den wirksamsten Wortkriegs«

mitteln des britischen Prime M inister zählen, zornig zu seufzen begann, H err Lloyd G eorge habe ihn, nach der Straf besetzung

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216 Die Z ukunft

Frankfurts, „wie einenSchulknaben abgekanzelt“, trübte dieses Z ornes Brille ihm das Bild des in England Geschehenden.

Er verkannte das Ergebniß der britischen Reichskonferenz, merkte nicht, daß die Politik des Empire nun von den Do«

minions mitbestimmt, nicht m ehr von W ill kür des in Downing*

street H errschenden geleitet werde, daß H arveys londoner M ission die Eintracht Britaniens mit Amerika besiegelt habe:

u n d ließ falschen Kurs steuern. H err Briand ging nur zu kurzem Gastspiel nach Amerika, dessen O ptik und A kustik ihm fremd ist; schon dem A pplaus, den seine Rede, d ie Arie des „großen Barytons“, ersang, hallten M ißklänge nach.

D ie Engländer verschwiegen, aber vergaßen nicht, daß er kein W örtchen des G edenkens an den Britenbeistand im Kriege gefunden und französische H äfen als Seebasis gegen England angeboten hatte. Die Amerikaner rechneten aus, was die Erhaltung des größten Landheeres, der beschlossene Bau neuer Schlachtschiffe un d Tauchboote die Französische Republik, ihren säumigen Schuldner, kosten w erde; und fragten, ob diese Republik Rückkehr in Krieg plane, trotz«

dem der im H erbst 18 beendete über M assengräbern nie er«

schauten Umfanges ein ungeheures (nach der Z ählung im Internationalen A rbeitbureau 5917000 Verstümmelte schaa*

rendes) Krüppelheer hinterließ. Die Franzosen selbst murrten, warum ein Seeprogramm, das hoch über die Finanzkraft ihres Landes hinausgehe, in das helle Schaufenster des Kongresses gelegt und dadurch der amerikanischen Presse ermöglicht worden sei, die „kynische Politik“ Frankreichs zu bezetern, das die den Preußen entrungene Pickelhaube aufgestülpt und nach der W ilhelm s welkem H ändchen entsunkenen Dreizack gegriffen habe. D er A bgeordnete Viviani, der vor und nach dem Tag aristeidischen Starglanzes die Delegation geführt hatte, entlief, noch vor dem Aufdämmern der wichtigsten Be*

schlüsse, leis der unbehaglichen Luft des Erdtheiles, in dem er einst, als G roßm eister romanischer R ednerskunst Und als Anw alt eines heldisch leidenden Volkes, gefeiert worden war, un d ließ, in N ebel un d heftiger D ünung, das Steuer der un*

geübten H and des H errn Sarraut, der in solchem D rang nur befehlen konnte, die M aschine schleunig zu stoppen. Erinne»

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Aus Schlamm b lü h t Frühling 2 1 7

rung an diese Fehler warf ihre Schatten nach C an n es; diktirte die ärgerlich w arnenden Depeschen des Präsidenten Mille»

rand an H errn Briand, der wieder den Zauberkünsten des Improvisators D avid Lloyd G eorge zu erliegen schien, und bahnte den W eg zum Aufstieg des Senators Poincare. D er hätte, als behutsamer, in zaudernde Vorsicht m ehr als in Ver«

wegenheit neigender Staatsmann, die Mißgriffe, deren Wir»

kung in W ashington häßlich fühlbar wurde, sicher gemieden und wird als eine H auptaufgabe jetzt die Pflicht erkennen, seinem Lande das Vertrauen Amerikas zurückzugewinnen.

D azu ist der Botschafter Jusserand, der schon in den ersten Kriegsjahren von der kühlen Geschicklichkeit des Grafen Bernstorff gedrückt w urde und später durch Sendlinge der Franzosenpropaganda gestützt werden mußte, nicht das taug«

liehe W erkzeug. D ie große Pflicht fordert ganz anderes Ka*

liber. H err A ndre Tardieu, den Amerika freundlich empfing und ungern scheiden sah, wäre, vielleicht, der rechte M ann, wenn nicht sein Name, hinter Clemenceaus, unter demVersailler Vertrag stünde, den auch die der Japanersorge ledigen Ame«

rikaner nicht lieben lernen. M öglich ist, Baß der Vielmillionär Loucheur sich, trotz der Riesenlast seiner Industriegeschäfte, entschließt, auf ein Jahr nach W ashington zu gehen und mit dem Staatssekretär H o o ver und den H äuptern amerikanischer W irthschaft und Finanz die W ege in N euordnung der Welt»

Ökonomie zu trassiren. Einsam, auch in Empfindensgemein»

schaft mit Belgien, der Kleinen Entente, Polen un d U ngarn, kann, will, wird Frankreich nicht bleiben. U nd wir dürfen seine Vereinsamung nicht wünschen. Tröpfe wähnen, nur au»

der von Streit der W estm ächte aufgelockerten Erde könne D eutschlands W eizen in Blüthe sprießen. W ache V ernunft hat H errn Lloyd G eorge nie herzlicher zugestimmt als an dem M aitag des Jahres 21, der ihn rufen hörte: „W ann w ird die alte Fehde zwischen G alliern un d Teutonen enden? N ach jedem Streich wächst der V ergeltungdrang und die Rachsucht späht nach wuchtigeren Waffen. W enn der hinter unsliegende Krieg nicht der letzte aller Kriege war, wird der nächste von Europa n ur einen Aschenhaufen zurücklassen. Unsere Haupt*

aufgabe war und ist, Europas V ölker aus dem Labyrinth von

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218 D ie Z ukunft

H aß und Rachgier auf den Pfad des Friedens zu führen. D azu krauchen wir vor Allem den Beistand der Vereinigten Staaten.

W ir denken nicht daran, sie in den Europäerstreit hineinzu«

ziehen (der dadurch ja nur noch gefährlicher w ürde); n ein : sie sollen uns,sollen dem europäischen Kontinent aus diesem Streit heraushelfen.“ D arein werden sie sich gewiß nicht bequemen, wenn auch gallo>britische Fehde noch, die nicht viel jünger als die gallo»teutonische ist, die Atmosphäre vernebelt. Ein Gemeinschaftziel panbritischer(nichtm ehr auf maritimeUeber«

macht gestützter, also auch nicht vom „Gleichgewicht der Festlandskräfte“ befriedigter) und amerikanischer Politik m uß die Sicherung des „Europäischen Konzertes“ sein. Alles wieder»

h o lt sich nu r im Leben. W er denkt noch des Vertrages von C haum ont, der 1814 diese Formel in U m lauf brachte, des Aachener Kongresses, der sie, unter Assistenz von Castle«

reagh undW ellington.N esselrodeundPozzo di Borgo,Metter*

nich, Kapodistrias, Richelieu,H ardenberg und Christan Bern«

storff (der Dänemarks G esandter in Berlin gewesen, Preu*

ßens A ußenm inister geworden war) im N ovem ber 1818, in dem von G entz geffihrten Protokol heiligte? Verklungener W ortschall; nach der W iederholung im Pariser V ertrag von 1856 bald in ärgstem Verruf. U n d doch w urde schon in A achen versucht, was jetzt wieder erstrebt w ird: der Ab«

Schluß eines „Garantievertrages“, der, nach Ancillons W ort,

„die eben so einfache wie erhabene Idee der europäischen Familiengesellschaft“ verwirklichen könne. Treitsche poltert:

„So sollte denn jenes T raum bild des ewigen Friedens, das die ermattete W elt beherrschte, durch das gemeinsame Pro«

tektorat der G roßm ächte ins Leben eingeführt werden und die europäische U nion in den regelmäßig wiederkehrenden Zusam m enkünften der fünf M onarchen eine ständige Cen«

tralgewalt erhalten“ ; und posaunt, wie ein zorniger Engel des Offenbarers Johannes, gegen die Schlaffheit der „frie*

densseligen W e lt“. D er von dem ersten Zar A lexander eifrig gehegte Plan zerbröckelte an dem W iderspruch des englischen M inisters Castlereagh, der, nach Trafalgar und W aterloo, die

„balance o f powers“ dem „K onzert“ vorzog und die Hau«

fung von Konferenzen „allzu kontinental“ un d unbequem

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A us Schlamm b lü h t Frühling 219 fand. Alle von 1818 bis 56, zwischen Aachen und Paris,

„endgiltig geordneten Angelegenheiten“, Italiens, des O rients, Schleswig«Holsteins, des Deutschen Bundes, sind denn auch später durch Kriegsglück entschieden worden. Ein böses O m en: murmelt manches Volk, da nach einem Jahrhundert in Englands und Amerikas liberaler Presse wieder Garantie«

vertrag und Europäisches Konzert gefordert wird. Ist aber nicht auch die D eutscheneinung erst nach manchem Miß#

lingen Ereigniß gew orden? Lernet, Schläfer und Schlemmer, Friedensselige und nach Krieg Lüsterne, erkennen, daß die W ashingtoner Konferenz zwar nicht jede grünende Hoff#

nung in Frucht gereift, doch das A ntlitz der W elt verän#

dect, in freundlicher blickende Form gewandelt hat.

Sie hat England von der Inselkrankheit erlöst, die ihm immer die Pflicht auflud, den kräftigsten oder in den hoch#

sten M achtgipfel em porstrebenden Festlandsstaat niederzu«

zwingen. „W enn wir auf den Meeren nicht übermächtig sind, ist die Ehre, die Z ukunft unseres Reiches verloren; sie ists schon, sobald Frankreich einen Bundesgenossen findet, der einer Kriegsflotte gebietet.“ Als Piemonts M inister Cavour das franko «italische B ündniß ermöglicht hatte, schriebs Kö#

nigin Victoria an den Earl of D erby. So dachte schon Pitt;

m ußte noch Lansdowne und Grey denken. O hne gesicherte Weizen# und Rohstoffzufuhr konnte der kleine K opf des ins U ngeheure schwellenden Empire nicht leben. D ie N o th der Inselkrankheit erfand immer neue Schlagwörter, die dem Britenconcern Genossen werben sollten. Das klangvollste und, bis in den T ag des revaler A bwehrpaktes mit Rußland, halt#

barste hieß: „W ahrung des europäischen Gleichgewichtes.“

D ie W orthülse barg, als Kern, den W unsch, daß in Europa keines Staates M acht bis in ernste B edrohung Englands er«

starke noch gar in unseres Erdtheiles M itte eine M achtgruppe entstehe, deren U eberm uth den kräftigen Arm über die Nord«

see hinrecken könnte. Diese Furcht und mit ihr der Zw ang in Heuchelpolitik, die den Briten, trotz ihrem hohem Beitrag zum H o rt der M enschheit, in dichten Schwaden aus O st und W est H aß zutrieb, starb in der Stunde erreichter Eintracht mit Amerika. So lange, wie sie währt, ist das Britenreich

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2 2 0 Die Z ukunft

von außen unverw undbar, n u r, wie in der Zeit W illiams C edi, des ersten Lords Burleigh, von innen, durch unkluges H andeln seines Parlamentes, im Lebenssitz zu treffen. Verlust der U eberm acht auf den M eeren und doch, wider Victoriens Prophetie, feste V erbürgung der Reichszukunft: Balfour, der Enkel des Cecil, der vier Jahrzehnte lang Elisabeths Staats*

Sekretär war und von ihr die Peerswürde empfing, hats er#

kannt und zu D auer gefestet. A us vier Kontinenten würden dem ernstlich gefährdeten England morgen gewaffnete Helfer Zuström en. Seine und Amerikas Flotte hem m en, schon als

„fleets in being“, ohne kriegerischen Zugriff, jeden Versuch, die W asserwege zu sperren. W ard Franzosen und Russen diese W andlung bew ußt? England kann sich fortan mit der Einung Europas nicht nur abfinden: m uß sie wünschen. Zum ersten M al wieder ist das Ziel des Erdtheiles mit dem der ihm vorgelagerten Inseln vereinbar. U nsere „K ontinentalpoli­

tiker*', die eine von Bonapartes G enius versäumte, schon von Bismarcks nie m ehrerträum teG elegenheit zurückhexen möch*

ten, müssen nun absatteln. Gelänge ihnen selbst die Knüp«

fung des D reibundes m it Frankreich und R ußland: schon Japan w iderstünde dem Versucher; und der Angelsachsen wall bräche die anprallende Stürmerwoge. „Jlatter Versager?**

In W ashington begann, wie bei Valmy, neue Z e it E in R ü c k f lu g n a c h A lt s p a n i e n

D en Kampf neuer gegen alte Zeit hat, in allerlei bun t schillernder Mummenschanz, mit ernstester Inbrunst in seinem Carlosdram a, der junge Schiller darzustellen versucht. „In der D arstellung der Inquisition will ich die prostituirte M enschheit rächen und ihre Schandflecke fürchterlich an den Pranger stellen. Es mag zwar ein gotisches A nsehen haben, wenn sich in den G emälden Philipps und seines Sohnes zwei höchst verschiedene Jahrhunderte anstoßen; aber mir lag dar«

an, den M enschen zu rechtfertigen: un d konnte ich D as wohl besser als durch den herrschenden G enius seiner Zeiten?

M ein Stück fällt zusammen, sobald man in Philipp dem Zweiten das erwartete U ngeheuer findet. U n d doch hoffe ich, der Geschichte (D as heißt: der Kette von Begebenheiten)

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A us Schlämm b lü h t Frühling 221

getreu zu bleiben.“ Das Hoffen des Redlich*Fleißigen, der bald, als „Schulmeister für H istorie“, auf Jenas Katheder klettern wird, keim t aus heute kaum noch begreiflichem W ahn. Dem ist Geschichte „die Kette von Begebenheiten“ ; uns die Summe aller Kräfte, die das W esen einer Zeit bilden und auf deren sausendem W ebstuhl einer V olkheit das lebendige Kleid wir*

ken. K onnte „der Geschichte getreu bleiben“ , wer sich an die

„N ouvelle historique et galante“ des A bbe Saint»Rfcal un d an die Tragoedie „Filippo“, das buckelige und fleckige W erk des Piemontesen V ittorio Alfieri, fester als an das Buch des Histo*

rikers R obert W atson über Philipp den Zw eiten hielt? D as langwierig wirre „Dramatische G edicht“, das ehrfurchtlose Kritik, auch ohne K enntniß des U rsprunges aus dem Mären»

ge webe des Abbe, einen „dram atisirten Roman“ nennen würde („so spannend wie ein verwickelter Roman“ fand es schon U goni: ders mit solchem U rtheil zu loben glaubte), ist in Berlin wieder, jetzt im Staatsschauspielhaus, aufgeführt wor»

den. D a sah ichs noch nicht. Las aber, auch in den paar Zeilchen, die unsere fast nur mit Spiel und Regie beschäf*

tigten Rezensenten für das W erk übrig hatten, so wunderlich Falsches, daß Pflicht befiehlt, ein Fähnlein Gewissenhafter wenigstens an entschleierte W ahrheit zu erinnern.

Dem achtzehnjährigen Infanten Philipp, dem Sohn Karls des Fünften, der in D eutschland die W iederaufnahm e des Kampfes gegen die Protestanten vorbereitet, gebärt Maria von Portugal den Knaben Karl. Am zwölften Ju li 1545, vier Tage nach der G eburt, stirbt die M utter. („M eine erste Hand*

lung, als ich das Licht der W elt erblickte, war ein Mutter*

m ord“ : Schiller.) D er Säugling ist schwächlich und dennoch w ild; beißt seine Amme, die zweite, die dritte mit den Zähn»

chen in die N ährbrust, daß die starken Bauerweiber ernstlich krank, im Leben gefährdet werden. Erst der Fünfjährige lernt sprechen („N ein “, raunt derH ofklatsch, „war das erste W ort, das von seiner Lippe kam“ ) ; er stö ßt mit der Zunge an, deren Bändchen sechzehn Jahre später noch einmal gelöst werden m uß. A us der O b hut einer freundlichen Kindsfrau und zweier Tanten, an die alle Zärtlichkeit des Knaben sich hängt, kommt er in die milde Z ucht des gütig ernsten Hum anisten Hono*

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222 Die Zukunft

ratus de Juan. A ls G roßvater Karl aus der W elt, durch die er getost ist, sich in das H ieronym itenkloster San G eronim o di Y uste zurückzieht, sieht er, in Valladolid, zum ersten M al den Enkel. D er ist elf Jahre alt; ein unzähm bar dreister Bengel, der schon mit Kriegersruhm äugelt, m it der Stammelzunge D rang in H eldenthum andeutet, dem müden Kaiser hartnäckig den aus N iederland mitgebrachten Zimmerofen abbetteln möchte und dem Ahn auch sonst mehr Sorge als Freude bereitet.

Er pflegt weder den Leib noch den Geist, ist nur durch das Versprechen hohen Lohnes zu Pflichterfüllung zu bringen, pfaucht u nd heult täglich hundert unsinnige W ünsche aus und läßt seine Freßgier nicht dämmen. „Im V erhältniß zum Rum pf ist sein K opf zu groß. D unkles Haar. D er Zwölf«

jährige ist schwächlich und dabei höchst grausam. N ach Jagd en , erzählt die Hofgesellschaft, läßt er angeschossene Hasen und anderes W ild p ret lebendig braten un d ergötzt sich an diesem Schauspiel. Einer Riesenschildkröte, die ihm beim Spiel den Finger verletzt hatte, soll er den K opf ab«

gebissen haben. Bis in T ollkühnheit verwegen und schon haltlos hinter den W eibern her. Fehlts ihm an G eld, dann giebt er seine Ketten, Schaumünzen, sogar die Prangkleider hin, die er gern trägt. Furchtbar halsstarrig und jähzornig u n d so in H ochm uth gereckt, daß er kaum erträgt, mit dem H u t in der H and vor dem Vater, dem G roßvater (der ihn nie wieder sehen wollte) zu stehen. Sein Erzieher quält sich, ihn in Ciceros Pflichtbegriff einzugew öhnen; aber der Zog«

ling will nur von Krieg hören un d läßt den H ofherren keine Ruhe, bis sie ihm blinde Gefolgschaft zugeschworen haben.

Für solchen E id, in alle Kriege, die er führen w erde, als Lehnsmann ihm zu folgen, dankt er dann m it Geschenken."

D as steht in einem Bericht, den der G esandte der Republik Venedig 1557 aus M adrid an den Senat seiner Heim ath schickte. D rei Jahre danach beschließt der zum zweiten Mal verwitwete König Philipp, der dem Sohn zugedachten Prin«

zessin Elisabeth von Valois selbst sich zu vermählen („unter dem F uß des Sohnes das Lenzgras zu mähen“). In Toledo empfängt Carlos, Prinz von A sturien, die „neue M utter".

Er ist vierzehn Jahre und sechs M onate alt, ein krankes

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Aus Schlamm b lü h t Frühling 223 Fürstenreis, ein dürftiges BürschUin mit Fieberaugen: und Elisabeth (die als Spaniens Königin Isabella heißt) blickt mitleidig auf den vor der schönen Fremden scheuen Kna«

ben. Diese M itleidsregung hat er ihr, bis an das Ende seines kurzen Lebens, mit zärtlicher Ehrfurcht gedankt. D aß er sie, gar sie ihn geliebt, zwischen ihnen je auch nur der Schatten des Eros geschwebt habe, ist Saint#Reals Erfindung; vergebens wurde seitdem in der Geschichte die winzigste Spur solchen Verhältnisses gesucht: nirgends war eine zu finden.

Fünf W ochen nach der Brauteinholung sollen die Cortes von Kastilien dem Infanten als dem Thronfolger huldigen.

A u f einem reich geschirrten Schimmel naht er, im Pompge#

wand: und sieht neben D on Juan d ’ Austria, dem von Jugend«

kraft leuchtenden Ohm, doch wie ein armer Kümmerling aus.

N ach der Messe, während des H uldigungschw ures und Hand#

kusses, sind Aller A ugen auf ihn gerichtet. Er gestattet der Infantin Juana nicht, dem O nkel und Freund Ju an nur un«

gern, ihm die H and zu küssen, blickt aber in jäher W u th auf, da der H erzog von Alba, der, als O bersthofmeister des Königs, den Ceremonialakt geleitet hat, den H and ku ß vergißt. Ein Kranker, wisperts ringsum ; man m uß ihn nehmen, wie er ist.

Er wird das Wechselfieber nicht los und lebt wohl nicht lange.

In Alkalas reiner Luft soll er sich, mit Juan un d dem Vetter Farnese von Parma, erholen. D er Siebenzehnjährige läuft einer hübschen Pförtnerstochter nach, packt sie auf einer schmalen, dunklen Treppe, stürzt und schlägt sich ein tiefes Loch in den Schädel. Entsetzt hörts der König; befiehlt Massengebete und Bittgänge für die G esundheit des Infanten und eilt selbst, mit den berühmtesten Aerzten, nach Alkala. D er Philipp, der nicht vom Bett des Sohnes weicht, keinem A nderen das Pflegeramt gönnt, den Erdenrest des H eiligen D iego ins Krankenzimmer schleppen läßt: eine uns neue G estalt. Carlos genest und erfüllt das G elübde, Kirchen und Klöstern nach seiner G esundung das Vierfache seines Körpergewichtes in G old, das Siebenfache in Silber zu stiften. D ie von G ram gefurchte Stirn des Vaters entrunzelt sich, das (von Ewigkeit in Ewigkeit leichtgläubig in prinzliche Jugend vergaffte) Volk jauchzt; und durch das Reich, dem die Sonne nicht untergeht,

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224 Die Z ukunft

hüpft und trällert eines Lenzes HofFnung. Schnell aber ist sie verreift. In dem Städtchen M onzon sollen die Cortes von Aragon, Katalonien, Valencia dem Thronfolger huldigen. D er kann nicht kommen. Ist w ieder krank; durch Völlerei und Lüdrianshaushalt so geschwächt, daß er selbst sich dem T ode nah fühlt und, im M ai 1564, sein Testament macht.

In der selben Zeit schreibt der Kaiserliche Gesandte Frei*

herr von Dietrichstein über ih n : „D er neunzehnjährige Prinz ist nicht häßlich, aber krankhaft bleich. Er hat braunes, glattes H aar, graue Augen, eine niedere Stirn, ein längliches Kinn u nd nicht einen Z ug von den H absburgern. Er ist ziemlich klein und dürr, seine Schultern sind in der H öhe nicht gleich, der Brustkasten fällt ein, er hat einen kleinen Buckel, das linke Bein ist viel länger als das rechte u nd die ganze rechte Körperseite scheint ein Bischen gelähmt. D ie Stimme ist dünn«

hat den T on des Leidens, die Zunge stö ß t an un d bringt die Konsonanten 1 und r nie klar heraus. N ach schwerfälligem Redeanfang ist er schließlich aber zu verstehen. Er möchte Alles wissen, stellt h undert Fragen, oft ganz zweck» und sinn»

lose, als kämen sie aus Alltagsgewohnheit, nicht aus Wissens«

drang, und zeigt sich auf manchem G ebiet so unvernünftig wie ein siebenjähriges Kind. Von edler N eigung des Prinzen w eiß hier N iem and G laub w ü rd g es zu melden. M it unbe»

greiflicherG ier verschlingt er ungeheure Speisemengen, fängt, wenn man ihn satt wähnt, von vorn an und macht sich da»

durch noch kränker. Leibesübung, die nützen und den M agen entladen können, langweilt ihn. Sein Eigensinn kennt keine Schranke, will, um jeden Preis, dem tollsten W unsch Erfül*

lung schaffen: und dabei ist so wenig V ernunft in ihm, daß er G utes von Schlechtem, Nützliches von Schädlichem, Schick«

liches von Unschicklichem nicht zu unterscheiden vermag.

Im Allgemeinen glaubt man hier nicht, daß er lange leben werde. A ber es geht ihm jetzt wieder leidlich. O b er für eine Ehe tauglich w äre? D aß er ein kränkelnder Schwächling ist, durfte ich Eurer M ajestät nicht verschweigen; im m erhin bleibt er der Sohn eines mächtigen M onarchen.“ M axim ilian der Zweite, der im Sommer 1564 Kaiser w i r d ,zaudert nach solchem Bericht, den kranken und bösartigen Krüppel zum Eidam zu

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Aus Schlamm b lü h t F rühling 2 2 5

erkiesen, und giebt seine Tochter A nna lieber noch dem Vier»

ziger Philipp, seinem Vetter (der sich ihr aber erst nach dem T ode des Infanten vermählt). Aus der Zeit der Kaiserkrönung stammen zwei andere Berichte, die nicht lieblicher klingen als Dietrichsteins. D er Venezianische Gesandte schreibt: „D on Carlos ist sehr klein, häßlich, immer düster, hat vier Jahre Ung an Q uartanfieber gelitten und scheint vom G roßvater un d von der U rgroßm utter (der Tollen Johanna*Juana von Kastilien, der Tochter Ferdinands des Katholischen, Frau Philipps des Schönen von Burgund, M utter Karls des Fünften) G eisteskrankheit geerbt zu haben. In den Pubeitätjahren machte ihm von Alledem, was andere Jünglinge vornehmen Standes ergötzt, Studium, Waffenspiel, Reiten, nichts irgend*

welche Freude; selig schien er nur, wenn er A nderen Böses anthun konnte. Unansehnliche Leute ließ er gern auspeit*

sehen oder mit Stöcken durchprügeln und neulich noch wollte er durchus, daß ein ihm M ißliebiger kastrirt werde. Er hat für keinen M enschen ein H erz und verfolgt Viele mit M ord sinnendem H aß. Er w irbt eifrig um Geschenke, nimmt alle u nd erwidert keins. N ie denkt er daran, irgendwie nützlich zu sein; Schaden zu stiften, ist seine W onne. M it unbeirr*

barer Zäheit hält er die einmal erworbene M einung fest.

U eber seinen Verstand hört man ganz verschiedene Urtheile.

D er Spanier ist in U ebertreibung gew öhnt und staunt oft an, was uns alltäglich dünkt. D eshalb ist natürlich, daß man hier manchmal W underdinge über die von dem Prinzen ge»

stellten Fragen hört. W er näher zuhorcht, lernt bald erkennen, daß diese Fragerei nur als ein Zeichen von Verstandesschwach«

heit zu deuten ist.“ D er zweite Bericht, eigentlich nur ein A nektodon, aber eins, das den ganzen M enschen, Unmen«

sehen malt, stammt von dem Allentzücker Brantöme, dem die Geschichten aus dem Leben berühm ter, schöner, ehr»

barer, doch galanter Damen U nsterblichkeit errungen haben und der auf dem W eg in den Berberkrieg nach Spanien kam.

D a w ird ihm erzählt, der Infant habe einen Schuster, der ihm zu enge Stiefel geliefert hatte, gezwungen, sie, O berleder un d Sohlen, in der A rt von Rindskaidaunen zubereitet, vor seinem A uge bis aufs letzte Absatzfleckchen aufzuessen. A us

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226 Die Z ukunft

drei Ländern vernhmen w irZeugen: und aller Aussage stimmt überein. W ar Charles de Coster doch im Recht, nicht von eingeborenem Vlamenhaß blind, da er in seinem „Ulen*

Spiegel“ D on Carlos einen grausamen N arren schalt?

D er Prinz gesundet nicht. Ist so schwächlich, daß er bei der Taufe der Infantin Klara Eugenie, der Tochter Elisa«

beths, als Pathe den T äufling nicht halten, nicht trägen kann und Juan, als Ersatzmann, in die Kapelle geholt werden m uß.

„Seine ganze Kraft sitzt in den Zähnen“ : spottet ein Diplom at, der ihn schlingen sah. N ach Gachards, des Belgiers, Darstellung hat auch der A ufruhr der N iederlande ihn nicht ernstlich beschäftigt, das schon in die W iege ihm zugesagte Am t des Statthalters nicht als große Aufgabe gereizt. Er wollte nach Brüssel gehen, um, dem Blick des strengen, von seinem Le«

bensw andel geärgerten Vaters fern, schwelgen, prassen, jeder w üsten Laune sich hingeben zu können. U nter dem Christ»

m ond des Jahres 1566 beschließen die Cortes von Kastilien, wenn der König nach V laanderland gehe, müsse der Krön»

prinz in M adrid dem Staats» und Kriegsrath Vorsitzen. Phi»

lipp betet im Eskorial. Carlos, der gew öhnt ist, dem Hof«

gesinde M aulschellen zu geben, Edelmännern mit der Faust oder dem D olch ins Gesicht zu fahren, soll von den Cortes, dieser lausigen Ständeversammlung, sich den Platz anweisen lassen? Schnell h in ; die Saalthür entriegelt; die Stammei«

zunge gewetzt. „Ich will m it meinem Vater nach Brüssel!

N eulich habt Ihr Euch in den Rath erfrecht, mich meiner Tante zu vermählen. W as geht Euch an, wen und wann ich heirathel U ntersteht Ihr n uch jetzt, meinen Vater zu bitten, mich nicht m itzunehm en? W er für diesen A ntrag stimmt, hat von der Stunde an in mir seinen Todfeind zu sehen;und ich werde nicht ruhen,bis ich ihn vernichtet habe.“

Ist er schon to ll? In A ranjuez bedroht er A lba, der, vor dem Zug ins N iederland, sich zum A bschied bei ihm meldet, zweimal mit dem blanken Dolch. „Ehe ich Ihnen das Statt«

halteram t lasse, steche ich Sie nieder 1“ W eil aus einem Fenster ihm W asser aufs Barrett getropft ist, heischt er, das H aus in Brand zu stecken und alle Bewohner, ungehört, hinzu«

richten. M it der frommen Lüge, eben sei in dieses H aus,

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A us Schlamm b lü h t Frühling 227 einem Sterbenden zu Labe, das Allerheiligste getragen worden,

wird der Schandplan des süßen Früchtchens vereitelt.

Seit die H offnung auf die Reise nach Brüssel verblüht ist, von der aus leicht über den Kanal, zu Elisabeth, der britischen Schirmerin aller Freiheit, oder nach Frankreich zu entkommen war, bebrütet Carlos unter jedem M ond einen neuen Fluchtplan. Allzu schwer liegt Spaniens Himmel auf ihm. Dem H o f ist der unbändig rohe, rachsüchtige, von Quäl*

sucht besessene K ronprinz G räuel und Gelächter; in der H auptstadt hat er durch wahnwitzige Ausschweifung, näch*

tigen U nfug, Erpressung von W aare und Geld, bei Händlern undB änkern, sich verhaßt, durch täppisches Bemühen, öffent*

lieh das G erücht von seiner U ntauglichkeit zu Ehe und Fort*

pflanzung des Königsstammes zu erweisen, sich lächerlich gem acht Er m uß und will fort; draußen die Fahne des Auf*

ruhrs gegen den Vater hissen, der aus der festen Zw ingburg seiner starren Frommheit u nd Staatsvernunft nur mit zorniger Verachtung auf solchen Sohn blicken kann. N ach dem W illen des Papstes Pius soll 1568 eins der von dem achten Bonifazius, dem von D ante in seine H ölle verdammten Simonisten, ein*

geführten Jubel* und A blaßjahre sein; und dessen Segens Jeder gewiß, der am Tag der Unschuldigen Kindlein, am achtundzwanzigsten Dezember, an heiliger Stätte beichtet und in den sakramentalen Formen das B lut und den Leib des H eilands empfängt. Dieses Tages W eihe will der Infant nutzen. Ein Jah r nach dem Einbruch ins H aus der kastilischen Stände geht er, heimlich, ohne großes Gefolge, ins Geronimo*

Kloster, zu beichten und das Abendm ahl zu nehmen. In einem (nu r durch H irnkrankheit eiklärbaren) Anfall von Auf*

richtigkeit bekennt er dem Priester, daß er einen Menschen m it unausrodbarem H a ß verfolge. N ach diesem Bekenntniß wäre Sündenvergebung Frevel. W eil die Versagung der Ab*

solution aber den Thronfolger träfe, schaaren die weisesten G laubenslehrer in H ast sich zu feierlicher Berathung, deren (uneingestandener) Zweck w ohl ist, durch eine Vorwands*

pforte, eine reservatio mentalis vor Sanchez und Busenbaum, dennoch einen Ausweg zu finden. Vielleicht wärs gelungen, wenn das erlauchte Beichtkind nicht aus der Zange ehrerbietig,

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228 Die Zukunft

doch eng klammernden Verhöres sich jäh in seine H ofart ge#

reckt u n d schließlich gestanden hätte, der ingrimmig G ehaßte sei Philipp der Zweite von Spanien, des A blaß werbers eigener Vater. D as m uß der König wissen. D urch seine Späher (deren Einsetzung als Staatsinstitution, fast dreihundertsechzig Jahre vor unseren sonnenhellen Tagen, den harmlosen Mercier

„eines Fürsten unw ürdig“ dünkte), durch die Schergen der Heiligen Inquisition ist ihm alles Planen des Sohnes, bis ins Einzelne, zugetragen worden. N och hat er gezögert. W eil er, der einer W elt gebietet und an den die G randen selbst nur knieend das W o rt richten dürfen, fürchtet, die Rachsucht des ruchlosen Knaben könne M inen gelegt haben, deren Ent#

zündung das N achtreich der königlichen W eiberw irthschaft erhellen, den Ruf des frommsten M onarchen der Christenheit wegbrennen w erde? O der nur, weil er so lange, wie das Staats#

interesse es ihm gestattet, nicht wider sein Blut w üthen w ill?

Jetzt, nach dem Bekenntniß der Totfeindschaft, ist nicht das einem G roßen klein scheinende G lück der Familiengemein#

schaft un d der Friede des Hofes, jetzt ist der Staat, ist die Krone in Gefahr. D och Philipp war nie der M ann raschen, gar hastigen Entschlusses. Im Eskorial, wo er, nach alter Ge#

wohnheit, W eihnacht und N eujahr in prunkloser Stille feiert, prüft er, Strähne vor Strähne, bedachtsam das ganze Gespinnst, sinnt jeder M öglichkeit bis in den letzten A usläufer nach;

und beruft erst für den zwanzigsten T ag nach Karls Kloster#

geständniß den Staatsrath zu G erichtssitzung ein. A m acht#

zehnten Januar 1568 hört er ihn; un d schreitet, als die N acht sinkt, m it den ihm nächsten Rathen und den zuverlässigsten Leuten der Leibwache in das Zim m er des Infanten.

D er kann vom Bett aus die T h ü r verriegeln, entriegeln;

schon am M ittag aber, w ährend er gierig speiste, ist der dazu dienliche Mechanismus zerstört woiden. Carlos fährt aus dem ersten Schlaf auf: und sieht vor sich den Vater, den König, im Panzer, den Helm auf dem H aupt, im Arm das Schw ert

„Kom m t Eure M ajestät, mich zu tö te n ? “ D ie H and des Buckeligen greift nach dem Dolch, der stets neben seinem Kopfkissen liegt. Er wird beruhigt; sein Leben sei nicht be#

droht. AlleWafifen, alles M etallgeräth, sogar der eiserne Ofen#

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wähnen ist noch, daß Herr Sasonow das Geträtsch, er habe die „Briefe Iswolskijs* für echt erklärt und über sie und ihnen Verwandtes je zu Journalisten

Dadurch, die englische Regirung darf es nicht hehlen, würde Britaniens G efühl für Frankreich, gew iß auch Frankreichs für Britanien, arg

Ju st vor einem Jah r war er M inisterpräsident geworden, weil H err Poincare nicht in einem K abinet Peret (das wieder n u r, wie zuvor das des H errn Leygues,

heit tiösten, daß der Ruf eines redlichen M annes nicht durch den U nfug seiner Frau zu zerstören sei. Sie hat sich nicht geändeit, nicht im Allergeringsten. Ich

klärte Iffland sehr nachdrücklich: ,,In dem Handel mit Manuskripten muß die Handelsunbefangenheit mehr als irgendwo S tatt finden.“ E r fühlte sich verantwortlich

Und so wird auch durch solche vorweggenommene Ablehnung noch nicht aus der Welt geschafft: daß durchaus nicht selten bedeutsame psychische Erlebniß-, Entwickelung-

krankten M usiker eingesprungen, ohne zu wissen, was für eine Feier da sei, hatte von seinem Flügel aus Alles gehört und gesehen; und schüttelte sich,daß

sehen mit Frau und Kindern Stunden lang nicht einschlief (er mußte sich immer- wieder vorstellen, wie sichseine Frau über den Federnhut und den Spitzensächer freuen werde, die er