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Die Zukunft, 28. Januar, Jahrg. XXX, Bd. 116, Nr 18.

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XXX. Jahrg. B e r lin , den 28. Januar 1922 N r. 18

Die Zukunft

Herausgeber

Maximilian Harden

IN H A L T

Pastorale . . . . DieJ^Wahl des Hirten . . . . D e u s d e d it ...

Schweigt die Flöte?

Nachdruck verboten

Erscheint jeden Sonnabend

Preis vierteljährlich 35 Mk. / Einzelheft 3,50 Mk.

BERLIN

ERICH REISS VERLAG

(Verlag der Zukunft)

1922

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c Brillantenr er|en-Smara^e-per|scf,nüpß

kauft zu hohen Preisen

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P 1 1 4 , zw isch . M itte l u. D o ro theunstr.

Schiffährts-Aktien

üoMlnnte, Stfldte- und Staatsanleihen, aBsMulu Runs

E. C A L M A N N , HAMBURG

SATYRIN

SCHAFFT

JUGEND U.KR\FT

GOLD F Ü R MÄNNER ¥ SILBER FÜR. FRAUEN

AKT OES HORMONA D ÜSSELDO RF,GRAFENBERG

E R H Ä L T L I C H IXI A P O T H E K E N

Bei Schwäche, Neurasthenie

b e i d e r l e i G e s c h l e c h t s D r. H o fT b a u e rs g e s . g e s c h .

Yohimbin - Lecithin ■ Pr*parate

A u s r e i n s t e m Y o h i m b i n u n d d e m H ü h n e r e i e n t z o g e n e m N e r v s to f f o d e r L e c i t h i n b e s t e h e n d , d a h e r e i n e v o l l w e r t i g e E r g ä n z u n g d e s im K ö r p e r v e r ­ b r a u c h t e n N e r v s to f f e s . Q V A u s f ü h r l i c h e L i t e r a t u r k o s t e n f r e i ! " V S C l e f a n l e n • A p o t h e k e , B e r l i n S W , L e ip z i g e r S t. 74, a m D ö n h o f f p la t z

F e r n s p r . : Z e n t r u m 71921

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DIE ZUKUNFT

H erausgeber: M a x i m i l i a n H a r d e n

uf dem Paradebett liegt der Papst. In der Pracht seiner

^Ceremoniengewänder; die M itra auf dem H aupt, das Kissen aus G oldtuch stützen, mit rothen H andschuhen und rothen Pantoffeln,die derG Iäubigenlnbrunst zu küssen drängt.

Einmal noch hat, wie neunzehn Jahre zuvor der dreizehnte Leo, ein letztes M al vom Fenster aus, mit schon erlöschen*

der Sehkraft, der von Krankheit Gemarterte, nicht schnell Hingemähte, den Platz von Sankt Peter umfaßt. D o rt unten, auf der Stätte des Circus, wo der abwärts gebeugte D aum en des launischen Caligula dem übeiw undenen G ladiator den T o d gab, loderten einst auch, auf N eros W ink, Menschen*

leiber, beseelte Fackeln, himmelan. D o rt hatte, an einem Hoch«

sommertag des Jahres 64, Petrus in M artyrqual am Kreuz;

gestöhnt. Jesu A postel? Ein Sektenheiliger nur: und der Fels doch, auf den die Papstkirche gebaut ward. Seit seinem Hin»

gang schwanden achtzehnhundertsechzig Jahre. D raußen däm»

mert nun W internacht. Petri Schlüsselgewalt aber hat sich, über die W eltmeere, bis in die Erdmitte, bis in das dun*

kelste Afrika gestreckt u nd in gelben, braunen, schwarzen Lei«

bern bindet und löst heute der Spruch des Bischofs von Rom;

die Seelen. Chlodowechs Frankreich, der Liebling und allzu lange der Verlorene Sohn, ist in Ehrerbietung vor der Kirche heimgekehrt. England selbst, dessen achter Heinrich, um sich;

der schönen A nna Boleyn vermählen zu können, vom Ketzer*

Verfolger und Defensor fidei, trotz Luthers Schmähschrift ge­

gen sein Königthum, sich in den Erzfeind des Papstes ver».

XXX. Jahrg. 28. Januar 1922 Nr. 18

Pastorale

D ie W a h l d e s H i r t e n

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8 8 D ie Zukunft

w andelt und den frechen Titel des Protektors der Anglikan i»

sehen Kirche anzunehmen gewagt hatte, das vier Saeklen lang in Rom nicht vertretene England hat, endlich, wieder einen G esandten beim Vatikan beglaubigt. U nd Irland, da? in den Staub getretene Kleinod, funkelt im Sonnenlicht, ist ein freier Staat und wird nicht säumen, die Faden seiner Diplom atie fest an den Päpstlichen Stuhl zu knüpfen. M it T ro ;tesbalsam salbt des Gedächtnisses Fittich das Innenauge des Sterben»

den. Starr ruht er von langer Verröchelnsqual nun im Pomp.

Dreimal hat der silberne H immer des O berstkäm m erers sacht die Schläfe des toten Papstes berührt; dreim il ist, ohne Ant»

w ort zu wecken, die Frage verhallt: „Schläfst Du, G iacom o dellaC biesa? 4 S:hlaf,aus dem niemals Erwachen wird. Rings*

um schwillt das Gewisper. „Lumen in coelo“, wie der feinste Leo, war dieser fünfzehnte Benedikt nicht; in keiner Lebens»

stunde das Himmelslicht, dessen Strahl die W elt darchflim m t und die Köpfe der Menschen in A ndacht emporreckt. W eil im September 1914 der starke Rampolla, der M eister vati»

kanischer Staatskunst, schon kränkelte u n d , als der Fran­

zosenfreundschaft Verdächtigter, nach Leos T o i von dem aus Berlin geforderten Veto Franz Josephs Zurückgedräng»

ter, selbst bat, nicht, am M orgen des G roßen Krieges, seine W ah l im Konklave auch nur zu erwägen, hatte die Mehr»

heit der Kardinalstimmen sich auf den Sechzigjährigen ge»

eint, der erst ein Vierteljahr zuvor von der G nade des zehn»

ten Pius, des hirtenhaft einfältigen Eiferers, den Purpur der Kirchenfürsten empfing. C onte dellaChiesa, G raf zur Kirche:

schon der Name empfahl ihn. A uch die leise Klugheit, die er als Erzbischof von Bologna walten ließ. G enuese: nach den Päpsten aus Carpineto (in der Provinz Rom) und Venezien eine andere, drum willkommene Regionalfarbe. N och lauter sprach für ihn, daß Rampolla ihn zum Sekretär erwählt hatte.

Benedictum nennt er sich? Kühn, an den Vierzehnten dieses Pontifikalnamens zu erinnern, den von Voltaire bewunder»

ten Skeptiker, der, während er von der Loggia der Peters»

kirche dem Schwarm den Segen spendete, einem Vertrauten zugeraunt haben soll: „In dieser frommen Schaar betrügt Jeder irgendeinen A nderen und ich betrüge sie Alle.“ D as funkelnde H irn und die signoriale H altung dieses Lamber»

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Pastorale 89

tini bat unser Giacomo nicht. D och ist er geschmeidig; und der Anblick der silbernen Kirche auf seinem W appenschild wird ihn gewiß hindern, von dessen schwarzem, von G old und Blau durchschrägtem A dler sich für das Kriegerland dieses finsteren Raubvogels stimmen zu lassen. U nnöthige Sorge. Benedikt der Fünfzehnte wahrte das Antlitz der Neu«

tralität. Sein Italerverstand warnte ihn, je zu thun, was ihm den G roll des Siegers, des West* oder O stbundes, eintragen könnte; und sein Erbstiickchen aus der Römermasse des

„genie de la juxtaposition“ war immerhin groß genug, um, wenns sein mußte, auch mit dem H aufen der Lutherischen»

Calviner, griechischen Schismatiker und M ohammedaner Ver«

ständigung zu erlauben. A ber N eutralität war nur das Pflicht«

kleid des Heiligen Vaters. Im Herzensschrein glühte stets das Sehnen nach raschem, vollen Sieg Belgiens, Frankreichs, Ita«

liens und ihrer Gefährten, die er in der günstigen Stunde des Trium phes dann in milde Schonung Oesterreichs zu überreden hoffte. Da ihm berichtet wurde, mit welchem berlinisch wüsten Anschnauzer W ilhelm, vor dem O h r des ins H auptquartier geladenen N untius, seinen „alten H errgott“ den König Victor Emanuel Striemen ließ („A uf den W illen Deines Volkes berufst D u,m eineidigerSchurke,Dich? Nee M änneken.sokom m stD u mir nicht wegl H ast Du Deine Krone von Deinem Volk oder von mir, eidbrüchiger H alu n k e?“), erfror dem Priesterfürsten das Lächeln; hob er die Augen, die H ände und beseufzte das U eberm aß der V erblendung und Schmähsucht. Spürte auch, nicht zum ersten M al, wie jämmerlich schlecht der N achrichtendienst dieser in D ünkel aufgeblähten Berliner sein müsse, die von der zwischen Vatikan und Q uirinal längst schwebenden Friedensverhandlung gar nichts w ußten und deren protziges O berhaupt wähnte, rohe Beschimpfung des Savoyerkönigs werdeBenedikts Gaumen wie N ektar schlürfen.

Deila Chiesa fühlte sich berufen, das G espinnst Giovannis M astai’Ferretti (des neunten Pius) aufzufädeln: nach einem H albjahrhundert den fruchtlosen Streit der Kurie gegen den Italerstaat zu enden und auf den einengenden, bis in die dunkelste Thaltrift der Kirchenheerde entkräfteten Spuk«

glauben zu verzichten, der Papst schmachte in Rom als Ge«

fangener und dürfe den Vatikan, der, all in seiner Pracht,

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90 Die Zukunft

ihm nur Kerker sei, niemals verlassen. Solcher Friede aber, der Kurie w ürdig nützlicher, war nur nach dem Sieg der West«

machte m it Italien zu schließen; das geschlagene, von Oester«

reichs H o h n u n d Herrschgier zerpeitschte wäre, fürs Erste wenigstens, die Beute gottlos Rother un d kirchenfeindlicher Fascisten geworden. Benedikt wollte den Sieg, der 1918 wurde, schüttelte sich bei der Vorstellung, die M acht der Ketzer un d des islamischen Christenhasses könne noch wachsen, der berliner Khalifat in W eltregentschaft aufwuchern; und hat, erst im Sommer 17, sich in lauen Versuch der Friedens«

bereitung nur entschlossen, weil für die Kleeblattsache Wil«

heims, Ferdinands, Envers, der triplice mignonne, Abschluß«

gewinn nicht mehr zu hoffen war. W as dem Papstthum in den Kriegsjahren zuwuchs, ward nicht von ihm erw irkt; hätte der schwächlichste Träger der Tiara, ein Schattenpappas noch, m it m üder H and geerntet. Zwei W orte werden von ihm bleiben.

D er aus Ehrfurcht heraufzürnenden Frage, warum er nicht gegen die Schändung der belgischen N eutralität un d gegen alles dem edlen Kardinal Mercier nach dem Einbruch An«

gethane die G ew alt seiner Stimme erhoben habe, hat der am vierten September 14 ins höchste H irtenam t Erkürte geant«

w ortet: „D as war ja nicht unter meinem Pontifikat.'1 Schlaue A usflucht eines kaum M ittel wüchsigen. U n d seit dem H erbst 18 hat er oft, nicht nur vor seiner Kirche Verlobten, den Ju belru f w iederholt: „D er H auptbesiegte ist und bleibt Luther 1 D er hat den Krieg verloren.“ Kein Staatsmann. D och weder so thöricht noch so ruhlos heftig, daß er die ungeheure Macht, auf deren Zinne er stand, in Lähmung gefährden, die päpst- liehe W eltkathedrale, „ecclesiarum omnium mater et caput“, aus ihren G rundfesten lockern konnte. Bettet, Kämmerlinge, den Leib des Frommen, der uns ein H eiliger Vater war, be«

hutsam in den Sarg, der ihn mit dreifacher Decke, Tannen­

holz, Blei, Ulmenholz, um hüllt und den sechs Siegel des Kämmererpetschaftes dicht verschließen. D ann zerbrechet den Fischerring, den der Lebende trug, und gewähret ein Bruch­

stückchen daraus, als ehrwürdiges Gedenkzeichen, jedem Wür«

denträger des Papsthofes, auch jedem Elektor. Für eines Theiles Theilchen noch haftet Ihr. D enn Reliquie wird Euch anvertraut. A uf der Schildplatte des Ringes ist Sanctus Petrus

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Pastorale

selbst abgebildet; sitzt in seinem Kahn u n d hält in der Rechten die Schlüssel zum Himmelreich. Bald w eht seines Geistes Athem uns an. W enn in der Kapelle des vierten Sixtus die Messe De spiritu sancto gelesen wird.

Vom G e wölb der Sistina blicken Propheten, Sibyllen, Heilige H elden herab. Alle W under derSchöpfungsgeschichte, alle Aengste des Sündenfalles leuchten, lieblich und furcht?

bar, dem scheu bew undernden Auge. Gott* Vater thront, mit der frohen Zuversicht des Weiterweckers und, ein unerbitt«

licher Rächer, in zorniger M ajestät. Von der A ltarw and her dräut das Jüngste Gericht. M it der G eberde des in Straf«

pflicht Entschlossenen hebt sich der H eiland vom Richter«

stuhl und sondert von den G erechten die Sünder. Bebend irrt das Auge über das verblaßte G eknäuel hin und durch«

lebt in Sekunden die vieltausendjährige Geschichte ewig er«

neuten W ahnes; irrt von dem Christengotte, der das Seelen«

gehäus entriegelt, zu Charon, dem heidnischen Fergen, der seinen Kahn vom Gewimmel Verdammter so gleichmüthig leert, als schüttle er lästige M äuse aus einem Sack. Alles wird von der Posaune dieses W eltgerichtes überdröhnt. Ghir«

landajo, Perugino, Signorelli, Botticelli verstummen; nur der ins Kirchenjoch gezwungene D äm on Michelangelos Buona«

rotti spricht. D en geschäftig huschenden Greisen im Veilchen«

gewand ists Heiligenmalerei wie andere; sie ahnen nicht, daß hier Einer vom Stamm der Prometheus Phosphoros, Luzifer, Erderleuchter dem Traum seiner frommen H ybris den Körper zu schaffen gewagt hat. Sie lesen die Messe und lösen Bittende aus Sünderbann : so wills alte O rdnung von der Stunde an, die einen Pontifex im Pallium auf dem G oldtuch des letzten Prunkbettes sieht. A uch die Kardinale des Heiligen Kollegs achten längst nicht mehr des Bildschmuckes in der Sixti«

nischen Kapelle. Z u V orbereitung neuer Papst wähl sind siege«

rufen. Horchen der W eihrede ProPontifice Eligendo; schwören den von zwei Gregors für den G ang solcher W ahl veikün«

deten Gesetzen dem üthigen G ehorsam ; und bitten knieend dann den H errn, mit der Kerze väterlicher W eisheit den W eg ihres W illens zu erhellen. D er Pfad ihres Leibes führt nun in Zellengefangenschaft. Bis zwei D rittel der Stimmen auf einen N am en vereint sind, dessen Träger das heiligste Amt

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92 Die Zukunft

annimmt, darf kein H auch der A ußenw elt die W ähler und den T ro ß der Bediener un d O rdner, hoher und niederer, streifen. D er die Konklavisten herbergende Theil des Va»

tikans wird durch M auerschichtung und Drehthürm chen abgeschlossen, jede T h ü r durch ein Doppelschloß gesperrt, das nur der W ille des M agister Camerae öffnen kann, und die W ände der neben einander liegenden Kardinalzellen sind durch Vorhänge aus W ollstoff ersetzt, der schon das halblaut gesprochene W o rt ins O hr des N achbars hallen laßt. Besuch ist verboten. Kein Brief, nicht der winzigste Zettel darf herein und hinaus. An jedem M orgen ruft,gleich nach dem siebenten Glockenschlag, der Kardinal»Kämmerer: „Extra om nesl“ A uf seinen W ink schreitet dann derCererronienm eister die Gänge dreier Stockwerke ab, öffnet die Thürschlösser und bittet die Eminenzen in die Kapelle. A u f leisen Sohlen reihen sie sich; nicht mehr in Trauerfarbe: in glühender Purpurspracht.

W ieder schauen G laubenshelden, Propheten, Sibyllen von W and un d Decke herab. A uf heilige M änner, die den Hei*

ligsten küren. W ährend die Parteien einander maßen, nach dem Gewichte der Stimmzettelhäufchen die möglichen Mehr»

heiten schätzten, lief die Frist für das V eto, die sententia exdusiva Frankreichs, Spaniens und Oesterreichs, als deren Vorrecht galt, einmal die W ahl eines ihnen unbequemen Kar«

dinals zu hindern. D er Betastung und U m gruppirung folgt die H auptw ahl und, wenn kein K andidat zwei Drittel aller Stimmen erhalten hat, die Stichwahl (in der Niem and den zuvor auf dem Zettel G enannten wieder wählen darf). Bringt auch dieser „Accessus*4 nicht die zulängliche M ehrheit, so beginnt ein neuer W ahlgang; und die Zellenklausur währt foit.

W en, Carissimo, man jetzt wählen soll? Einen, der klug genug ist, den klügsten H elfer zu wählen. In die G ruppe, die vor neunzehn Jahren hier für Rampolla zettelte, hat ein aus P urp u r glitzernder Kopf, den nun auch die G ruft birgt, den W itzpfeil der Frage geschnellt: „Rampolla Papst? Der wars ja seit 1891 schonl“ Ein Kernschuß, der die finsterste Greisesstirn entrunzelte. N u r M ariano Rampolla, Marchese delT indaro, selbst verzog nicht um Haares Breite die Lippen.

N och hielt er, an der Sechzigerschwelle, sich straff, war in dem fast immer, freilich, vom Lid verhängten Blick des Hage»

ren das Feuer eines Jünglingsauges; und erst in Athemnähe

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Pastorale 9 3

wurde sichtbar, daß auf den weiten Flächen dieses stillen, in strenger Zucht zu undurchdiingluher Schweigsamkeit ge*

zwungenen Antlitzes spitzkrallige Krähenfüße, bei Tag und bei N acht, gescharrt hatten. Von W eitem einCim abue aus der Z eit, die den H eiland und die Evangelisten von Pisa schuf.

N ah ein Räthselwesen, das, als einG ebild unseres Tages, kein Prim itiver und kein Florentiner der Hochrenaissance schaffen konnte. W eltm ann und Priester, elegant und doch unfrei in derG eberde, fast unirdisch*astral körperlos und offenbar d o c l in allen E idränkrn heimisch; über dem frommen Lächeln friedlicher Putten loht, plötzlich, durch die W im pern eine Flamme, die M annesmuth lähmt. Ist unter ihm, da er noch einem echten Fra Angelico glich, auf steilem Ritt ein Flügel»

roß gestürzt und blieb er seit dieser Stunde de&halb im Thal der geduldigen H eerde? Väter Jesu waren die ersten Lehrer des Knaben aus edlem S'zilianergeschlecht; und Mariano wäre gern deii W eg des Ignatius gegangen. D och für den harten D ienst in Loyolas T ruppe war er zu schwächlich. Im Gew irr weltlicher H ändel wollte die Vorsehung, als deren W erkzeug der Erwachsende sich fühlte, seine junge Inbrunst panzern.

Früh haben zwei im W esensgrund verschiedene Päpste, Pius un d Leo, den ungemeinen W erth des Mannes erkannt. D er D reißiger war Sekretär der Propaganda (der Radek römischer Internationale, der Ersten); noch in dem selben Lebensjahr#

zehnt stieg er in das selbe A m t bei der Kongregation für Ent«

w urf und A bschluß, D eutung und K ündigung der Konkor»

date (super negotiis ecclesiasticis extraordinariis). Als Nun»

tius in Alfonsos M adrid hat er 1885 die Schlichtung des spanisch * deutschen Karolinenstreites durch päpstlichen Schiedspruch angeregt und bis in Bismarcks Zustim m ung die Strecke trassirt. Zwei Jahre danach kleidete Leos Dank»

barkeit ihn in P urpur und gesellte, nach Jacobinis Tod, ihn sich zum Kardinal« Staatssekretär. Erst von diesem T ag an wuchs Pecci in das M aß großer Päpste. Im Herzen, nicht n ur im H irn Rampollas, der die allumgestaltende M acht des In»

dustrialismus und des unbändig in dessen Schöße sich re»

genden Sozialismus ahnte, ist die Maiencyklika von 1891

„U eb er die Bedinge des Arbeiterlebens“ erblüht, die mit den W orten begann: „Rerum novarum sem elexcitatacupidine N euerungsucht, Päpsten bisher stets n ur Aergerniß, rasch aus»

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94 Die Zukunft

znjätendes U nkraut, w ar in der Rechnung des Seelenbeherr­

schers ein N enner geworden. N u r alte M ünze hatte zuvor in Rom gegolten; fortan hatte auch neue d o rt Vollgewicht. D er Hirtenbotschaft, die von der „in fast sklavischer Fron seuf»

zenden Proletarierschaar“ sprach, folgt eine zweite, die, im Februar 92, von der K uppel des Petersdomes die Feuergarbe des Satzes aufsprießen läßt: „ N u r die Kirche Christi hat bis heute ihre alte Herrschaftform zu wahren vermocht und wird niemals, noch bis an das Ende aller Tage nicht, in Aende»

rung genöthigt w erden; auf hundert Blättern aber lehrt die Geschichte, daß die politischen Einrichtungen der Irdischem zugewandten Menschengesellschaft stetem Wechsel unterthan sind, wie die Zeit ihn, die große W andlerin, w irkt.“ O ft schränke dieser W echsel sich in kleine A enderungen giltiger Herrschaftrechte; manchmal aber zeuge er aus fruchtbarer A tm osphäre ganz neues G ebild und hebe die gestern M acht­

losen auf den G ipfel der Staatsgewalt. Rampollas W ille ließ den Kardinal Lavigerie in Algier zu französischer Marine»

mannschaft sprechen, der Katholik könne sich mit jeder Staats­

form abfinden. Schreck riß die W elt der Vorrechtsinhaber aus dem Schlaf; blinzelnd lauschte sie so unerwarteten, vom Gasruch explosiver G edanken u m d u n s te te n Lehren. H atte der Erbe Petri sich der M ahnung erinnert, Tote ihre Toten be­

graben zu lassen? Standen die mit Posaunenwucht ins G e­

wissen der Christenheit dröhnenden Lehrsätze am ersten Pfeiler der Brücke, die Hierarchie der Demokratie verbinden, von den Prächtigen zu den M ühsäligen führen, zwischen dem W eihlande der Bergpredigt und dem bunten Pomp des allen Kaisern und Königen, auch denen des Geldes, befreundeten Papsthofes die Kluft überw ölben soll? U nverw ittert ragt, nicht vom W urm noch vom Rost j e zu fressen, auf heftig bebender Erde das Kreuz. U n d das H aup t der Kirche, die,

„patiens, quia aeterna“, immer die Reife oder Fäule jungen Keimes abwarten konnte, streichelt den Trieb zu N euerung und löst die Zunge des Erzbischofs Ireland in Baltimore zu der Verkündung, auf den harten Fels des noch unbew ußten D ranges, der uns „Soziale Frage“ heiß t, habe Jesus sein Heilands walten gegründet und kein C hrist dürfe trag sich auf weichem Pfühl räkeln, ehe der kahle Stein vom G rün der Nächstenliebe, derFernstenhoffnung umsponnen sei. Von

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Pastorale 95

Zins, Lohn, W ucher, Strike, von Bastiats V olksw irtschaft«

plan, nicht nur von den Heiligen A ugustin und Thom as, redeten die Encykliken des Papstes. Eines Achtzigjährigen, der sich zwar schon als Bischof den Schüler der Saint*Simon, LaM ennais und anderer christlichen Sozialisten genannt, doch erst an der H and des jüngeren, geistig freieren Priesters bis au f die Klippe, in den G ischt so kühner, vielen Kräftigen so dysangelisch unhold klingender Losung vorgewagt hat. Ram«

pollas gehorsame W eisheit wägt niemals, welchen Theil von W o rt und W erk er als seinen heischen dürfe. Dieser Staats«

Sekretär war klug genug, nur Leos Diener scheinen zu wollen.

„O s tuum et caro tua sum “: Dein Bein und D ein Fleisch. Alle G lorie dem Heiligen Vater; G roll und H aß auf des Knechtes allzu menschlich fühlbaren Kopf. W üßte ich Einen, dem so gute Helfer wähl zuzutrauen wäre, ich würde nicht zaudern.

W er aber, amice, bürgt für den Bürgen? A uf Sou verain«

posten, die der W ind umheult, taugen überall nur noch Erste W ilhelm s,die einen Bismarck, mindestens M oltkes und Roons w ittern und nach störrigen Stunden immer wieder ertragen.

G ew iß. W eniger, daß heute und hier, in unserem Weihdunst«

kreis, das schärfste Auge, die feinste Nase selbst Helfer solchen Kalibers zu finden vermöchte. N ach Menschenvoraussicht w ohl keinen Rarcpolla. N u r aus Erzählung weiß ich, wie groß, im bleichen Schimmer seiner bezaubernden M orbidezza unbew egt und mit männlich heiterer Seele, er im Konklave von 1903 gegen den krakauer Kardinal stand, der sich in V eikündung der dem alten Franz Joseph abgepreßten sen«

tentia exclusiva erniedert hatte; wie er, in ciceronisch edlem Latein, mit fester Stimme zwar bat, ihn von der Liste der Papa«

bili zu streichen, doch eben so dringlich, das stets bestrittene Veto, den Einspruch weltlicher in den Recht^bezirk geist«

licher Macht niemals fürder zu dulden und hinter den nach neun Jahrhunderten noch ungelockerten Z aun des Wahl«

gesetzes zurückzutreten, in dem der zweite, vom W illensgenie H ildebrands geleitete N ikolaus allen Laien, auch den aller«

höchsten, das M itbestimm ungrecht nahm. Diese Forderung hat Rampolla noch durchgesetzt. M ühsam. Erst im sechsten Jah r seines Pontifikates bequemte Pius sich in den Geheim«

erlaß, der die U ngiltigkeit desExkludiranspruches als Grund*

satz der W ahlordnung festrammte und jeden amtlich ein Veto

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96 D ie Zukunft

überm ittelnden Kirchenfürsten mit dem B ann'bedrohte. N ie wieder hat danach M eister M ariano Entschlüsse erwirkt. D ie Sicherung der W ahlfreiheit, die unserem Kollegium von der Urchristengemeinde und dem Klerus Roms als Erbe zufiel, war, leider, sein letztes W erk. Im Kämmerlein liebreichen Ver»

trauens brauchen wir nicht zu hehlen, daß im H orst der A dler seitdem nu r Schwarmflieger nisten. Mancherlei ward ja er»

rungen; un d daß, zum ersten Mal, gestern, zu Beileidsmel*

dung, der M inister eines Königs von Italien, dessen Haupt»

stadt Rom ist, über die Schwelle der Papstresidenz schritt, w ird in der Geschichte der Kurie, als Ereigniß, fortleben.

(In einer schäkernden Anm erkung, vielleicht, auch, daß der H err Ebert, Schankwirth und gottloser Sozialdemokrat a. D., genau wie sein Vorgänger, der lutherische Kriegsherr, sich durch den D raht als vom H ingang des Heiligen Vaters „tief Erschütterten“ enthüllte. W äre nicht diese Sippe und, manch»

mal, ein Fläschchen .M outon Rothschild von 93: auf den H ügeln stürbe die Fröhlichkeit aus.) D och das Erlangte war immer n ur K onjunkturgew inn, den, in Tempeln des Geistes und des Geldes, jeder T ropf säckeln kann. Brauchte Rom etwa die deutsche „W ohlthätigkeit“, deren allzu irdische Früchte der (dafür mit einem D iam antring und einer abgelegten Tiara vom Benedicto belohnte) treu»pfiffige Erzberger in H aufen herspedirte? N och Aergeres aber, viel tiefer Nachw irkendes entband sich der jetzt rosig illum inirten Zeit dieses Papatus.

D er Begriff der Katholizität, des alle dem Statthalter Jesu Unter»

thanen einenden G laubens, ist seit 1914 zerstäubt, das von Abglanz der G ottheit strahlende A ntlitz unserer Seelengemein»

schaft durch das Erlebniß des letzten Krieges häßliche Fratze geworden. Auch Päpste stattlicheren W uchses konnten (oder wollten) interkatholische Kriege, Kämpfe papsttreuer Staaten gegen einander, nichthindern.A bernochuntei Ge witterhimmel hätten sie nicht, in ängstlicher Verlegenheit, ohne ein klärendes, als M oralgeländer brauchbares W ort, in eine W elt gcblinzelt, deren katholische Söhne und Töchter einander Jahre lang mit Kanibalenwuth, mit raubthierischer M ordlust anfielen;

nicht, als wäre A lltag, über einem Erdtheil gethront, aus dem die Halme der Hassessaat, in fünf Ernten, bis in Lanzen»

höhe aufwucherten. M enschenfressergier löthete, im Kampf gegen Katholiken, den Augapfel katholischer Christen; ein

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Pastorale 9 7

Diözesanhaupt zieh das andere laut der Lüge, feiler Lügen­

begünstigung; Unterseekrieger, als deren Opfer W ehrlose, Sieche, Krüppel in W ellen und Eisschollen trieben, Stick«

gasbläser, Luftbombardiere, Schleuderer von Giftgranaten, die, zwei Christenjahrtausenden zu frechstem H oh n , das Zeichen des Kreuzes trugen: all D as durfte sich kirchen­

fürstlichen Segens rühmen. U n d was that der Papst? Ihm gebührte das Am t des Sühneheischers, das den Amerikaner in N im bus hob; und den in die Mauern des Vatikans Ein«

geschlossenen konnte kein Hauch der Pariserdüfte gefährden.

D ie Friedensstraße, Rue de la Paix, hat ja den Frieden ver­

pestet. A us dem M und Benedicti kam nur mattes W ort. W ie sein Fuß, so lahmte sein W ille. Luther der H auptbesiegte?

D azu war das M illionengem etzel nicht nöthig. D ie auf die Kuppe dürren Verstandes, auf den Kopf gestellte Kirche des W ittenbergers, in deren kaltem Licht Phantasie nicht flügge wird, ist kaum noch mehr als ein Schemen. Protestantismus, der nicht protestirt, mit Aufdrängerbeflissenheit sich uns an­

biedert, ohne äußeren noch gar inneren Grund in Berlin, unter der Herrschaft der wackeren Burschen, denen Religion bisher unbeträchtliche „Privatsache“ war, die erste Nuntiatur einrichtet: für einen Aretiner, sogar für den großen Swift Gullivers wärs Stoff. Aber die Vereinigten Staaten, England, Kanada, Australien, die zwischen Adria und Marmara, Sch war«

zem und W eißem Meer liegenden G ebiete sind weder luthe«

rische noch päpstliche Lander; sind höllisch lebendig. U n d nicht ungeschrumpft wirksam die Ansehenskräfte des H eili­

gen Vaters, dessen Kinder in zoologischem Krieg einander zerfleischen durften. Der deutsche Dichter ließ einen Her­

zog von Ferrara sprechen: „Vom Vatikan herab sieht man die Reiche schon klein genug zu seinen Füßen liegen, ge­

schweige denn die Fürsten und die M enschen.“ Das war durch die angeborene, schwer anerziehbare Kunst bedingt, das G roße groß, das Kleine klein zu sehen. W ohin schwand sie? D ie Versöhnung des Savoyerstaates, der nicht eine Lira dafür zahlt, ist eit* Parergon, dessen G elingen schon Salan»

dra, weil er die Priester zu Volkseinpeitschung in den Krieg brauchte, einem nicht hinkenden Folger Petri verbürgt hätte.

D as G roße wird, dünkt mich, noch nicht einmal erkannt.

W ir werden das Katholikon zurückerlangen und dann, wärs

8*

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9 8 Die Zukunft

um hohen Preis, zwischen W est und O st den Spalt schließen, die römische und die ihr vom Schisma entrückte graeco«

slawische Kirche wieder in Einheit überkuppeln: oder des Fischerringes Glanz wird verblinden und der Khalif nicht länger in dem „Zauberer von Rom“ das ihm ebenbürtige Glaubenshaupt der Christenheit türchten. W üste wird dann, rauh und keimlos wie Esaus Gebirg, der bunt blühende Anger unserer zerklüfteten Gem einde und zu dorniger G eißel der Fluch, den M ahchias in die Frage geknotet hat: „Er«

schuf uns nicht, A lle, ein Vater und müssen wir nicht in jeder Stunde uns als seine Kinder fühlen ? ’* Einerlei, wer morgen gekürt wird. Im besten Fall, nach Ferrieris allzu raschem Ur«

theil über Peccis Zettelsieg, von Blinden der Einäugige. Keiner, der durch N eb el das M orgenroth neuer Internationale er*

schaut, der ältesten, unserer, leicht zu verbündender. Ein Hildebrand, der allerlei M ittelgroße auf die Sella Petri hob, ehe er selbst sich, als siebenten Gregor, krönte, kam in einem M illennium nicht wieder. Ein derber Sprengelbesen, wie der zehnte Pio, oder ein bebrillter Doctor juris, der durch Sanft«

muth, mitezza, bequem scheint: feineres Korn ergiebt der Drusch nicht. Rampollamußte entsagen; Chiesa, fast zwanzig Jahre sein Handlanger, niemals H öheres, gelangte ans Ziel.

Im siebenzehnten W ahlgang erst. O bs diesmal eben so lange dauern, Tage lang ein Fädchen schwarzen Rauches, von den in feuchtem Stroh ungiltig verbrannten Stimmzetteln, sich aus dem Schornstein aufringeln wird, weiß d e r . .A llw issende.

Irgendwann muß die Leerung des Altarkelches in der Wahl«

kapelle eine Mehrheit liefern. Deren Erwerber hört von der Lippe des knieenden Dechanten dann die Formelfrage: ,,Ac«

ceptasne electionem de te canonice factam in Summum Ponti«

ficem ?“ Flink oder nach einem Bedenkensmimus nimmt Jeder die W ahl an. Draußen erspäht, endlich, die Gafferschaar weißen Rauch. D en Erkürten kleiden Diener in W eiß . Aus geweihter Hand empfängt er Inful und Brustkreuz. N ach seines Fingers Umfang fügt der H ofjuwelier schleunig den neuen annulum piscatoris. Auf H ände und Füße, aufdenG e«

wandsaum pressen sich heiße Lippen. Diakone werfen vor ihm Kerzen nieder, daß sie im Fall erlöschen, und rufen: „W ie dieses Licht, also verflackert weltlicher Ruhm l“ N och drei«

mal schallt später, während auf dem Rohrstab des Caeremo»

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Pastorale 9 9 niarius drei W ergbündel in Asche verglühen, vor der Krö#

nung durch den Petersdom der selbe Ruf: „Sic transit gloria m undil“ Zuvor ward dem harrenden Volk, mit den W orten des H im m elsboten an Bethlehems Hirten, das hohe G lück, einem Papst huldigen zu dürfen, angekündet. Hat er selbst in der loggia della benedizione sich der M enge gezeigt. In der Sistina, von deren Altarwand das Bild des Jüngsten Ge«

lichtes dräut, die zweite, im Schiff der Kathedrale die dritte Adoration, auf dem über den Köpfen schwebenden, vom Baldachin geschirmten Thronsessel, empfangen. D ort und von der Loggia aus hat er der Ewigen Stadt, allen Völkern katholischer Cnristenheit den Apostelsegen gespendet. W onne über den Sternen und auf der Erde. N euerung? A lles w ie immer. N u r wird jetzt das Spektakel w ohl gefilmt.

D e u s d e d i t

'VPeil der offenbare Versuch, dem Konklave den zu kü*

renden Papst aufzudiängen, sogar dem spanischen Philipp, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, schmählich miß«

lungen ist, dürfte der D oktor Angelicus Josephus Wirth, als trotz der Algebra blind gehorsamer Sohn der Römerkirche, nicht, selbst wenn die Präsidialhuld des lustigen Heidel*

bergers nachschöbe, wagen, seinen Kandidaten mit derber H and ins Zellengesichtsfeld des Wählersenatus zu rücken.

Leis nur, auf dem U m w eg über die berliner Nuntiatur oder das Nippesm usenheim des emsigen Republikaners Bergen, könnte er ins Ohr der Purpurnen die Kunde tragen: „H ier ist, auf dem weiten Erdrund hier allein, was Euch frommt und des W eltenbaues Erhaltung, Verwohnlichung sichert.“

Z w eifelt etwa Einer, wen die Volks* W irthe Germaniens, con*

vivii conditor und caupo emeritus, empfehlen, als Retter aus M enschheitnoth anpreisen würden? „D ies Jahrhundert wird Rathenaus so kraftvoller wie gütiger, so einfühlsamer w ie schöpferischer Verkündung folgen oder es wird Unausdenk*

bares erleben. Rathenau ist der führende Sozialist unseres Jahrhunderts, seit Karl Marx der erste Sozialist höchsten Ranges, von dem nicht nur Hunderte im heutigen Deutsch*

land gesellschaftwissenschaftlich denken und planen ge«

lernt haben, sondern dessen schöpferische Kraft auch in die zweite, die verzweifelt aufbauende Periode der russi*

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1 0 0 Die Zukunft

sehen Revolution ihre Strahlen geworfen hat. Eine W elt ruft dum pf nach Licht und Aufstieg; der überlieferte Sozialismus schweigt und irrt: der Sozialist Rathenau antwortet und erlöst.“

D as sind Sätze, nicht die unverschämtesten, aus der Kino*

reklame, die der Zeitkritiker, „Philosoph aus dem Gnaden«

lande der Seher“, Schöpfer, Erlöser seinen Schriften beilegt.

D a ß ihn, den Anreger, Vorläufer, Strahlenwerfer Lenin nie erwähnt, Radek „den besten Literaten unter den Industriellen und den besten Industriellen unter den Literaten“ nennt, ist, natürlich, aus Nachpfuscherneid zu erklären. „W ir haben ein äußerstes, absolut gütiges Kennzeichen dafür, daß ein Zeit«

kritiker von hohem Rang ist: wenn seine Prophezeiungen eintreffen.“ Auch D ies steht in dem sechsseitigen Selbst*

vergottungwisch. D ie Prophezeiungen des Sehers von G ottes G nade treffen ein. Am fünften Juli 18, als Deutschlands Krieg längst verloren ist, sagt Herr Rathenau in der Frankfurter Zeitung: „Frankreich steht vor der Gefahr, mitsammt seinen H äfen und seiner Hauptstadt in unsere Hände zu fallen.

Für England ist es hart, sich und der W elt einzugestehen, daß der Landkrieg verloren und Deutschland militärisch un«

besiegbar ist. Eine tiefe Verzw eiflung wird sich über Bri*

tanien senken; w o nicht Lloyd George, so wird die ungerechte Vertretung des französischen Anspruches ihr zum Opfer fallen.“ Zweimal „wird“, W irth; und zuvor wird Frankreich

„eine provisorische Regirung beauftragen, den deutschenFrie«

den zu unterzeichnen.“ Eingetroffen. D rei M onate später spricht Herr Rathenau im Berliner Tageblatt: „Zerstört ist die H offnung, durch den Besitz von Calais oder Paris den Frieden in diesem Jahr zu erzwingen. (A ber) kein eng*

lischer M inister hätte aus Verzweiflung über Frankreichs Schicksal sich ergeben.“ (In dem soeben noch tiefer ver*

zweifelten England nicht einer von allen, die doch w issen, daß in Calais nicht nur über Frankreichs Schicksal entschie*

den würde.) „Sonst ist nichts geschehen. W ir halten den Krieg beliebig lange aus, an Rohstoff, Nahrung, Menschen*

zahl, Kraft und W illen, mit mehreren, mit wenigen, mit keinem G enossen.“ Schon hat, nur noch nicht ganz laut, der drei Jahre lang vom Dr. phil. Walther Rathenau mit M und und Feder angebetete General Ludendorff das W eh ausgestöhnt, aus M angel an Rohstoff, Nahrung, Menschenzahl, also Kraft

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Pastorale 101 und W illen, den Krieg nicht, auch nur eine W oche lang, weiterführen zu können. Am siebenten O ktober sagt Herr Rathenau, der den Krieg „die härteste Schule der G ew issen“

nennt (und deshalb zu Haus blieb), in der Vossischen Zeit*

ung: „D ie verfrühte Bitte um W affenstillstand war ein Fehler.

D as Land ist ungebrochen, seine Mittel unerschöpft, seine M enschen unermüdet.“ Im Oktober 1918. D en Feinden traut er die Frechheit zu, außer der Räumung des W estens,

„w o nicht gar der Reichslande“, auch die Wiederherstell«»

ung Belgiens und Nordfrankreichs zu fordern, die „auf

«ine verhüllte Kriegsentschädigung von fünfzig M illiarden hinausliefe“. Das darf nicht sein. „D ie nationale Vertheidi*

gung, die Erhebung des Volkes muß eingeleitet, ein Ver*

theidigungamt errichtet werden.“ Unter der Leitung des Civil*Scharnhorst aus dem Gnadenlande der Seher: versteht sich. A lle feldgrauen Urlauber, die der gütig Einfühlsame

„heute in Städten, auf Bahnhöfen und in Eisenbahnen sieht“, müssen „zur Front zurück, im Hinterland alle Waffentragen*

den ausgesiebt“ und die gesunden älteren Männer ermahnt werden, sich für den Felddienst zu melden. D a seit dem A ugust 14 nie Anderes war als nationale Vertheidigung, Volks*

erhebung, levee en masse, lacht jeder Kenner grimmig des Schwatzes; und im G roßen Hauptquartier hört der Kaiser die M eldung: „D as Heer ist müde und gleichgiltig und will nur Ruhe und Frieden.“ Eben so pünktlich treffen zwei D utzend anderer Prophezeiungen des „Zeitkritikers von hohem Rang“ ein. W eil es ihm nicht horchte, ist Deutsch*

lands Schicksal besiegelt. Er wirds, schreibt er selbst, nicht lange überleben. N inives Schicksal; Kyaxares: M onsieur Foch als Gast für die Saison. Bald, spricht Teiresias m b H , werden die Schaufenster W ertheims, Salbachs, Grünfelds, Jordans, Mädlers mit den Brettern, die unsere zu früh ent*

muthigten Generale vor den Köpfen hatten, vernagelt, in der leeren Leipzigerstraße wächst Pralriegras und in der A E G wird die Betriebseinschränkung, die mir bei Kriegs*

ausbruch nothwendig schien, dem Aktiengesellschaftkritiker von hohem Rang härteste Gewissenspflicht. Drei W ochen bleibt der Frosch so krank; dann raucht er wieder: G ott sei D ankl Folgt dem Ruf Landauers, eines seinertausend „lieben Freunde“, nach M ünchen, zu offizieller Berathung der

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102 Die Zukunft

werdenden Rätherepublik; nickt, mit blankem A uge, dem Phantastengalop des in Haases Garde gereihten Hauptmanns V on Beerfelde spornenden Beifall; entwirft denSozialisirung#

plan (den, sagt er, „von allen vorhandenen reifsten“); flitzt hach Weimar, das Wiederaufbauprogramm Matthaeo Erz#

berger vorzulegen, der ihm die Ausführung aber noch nicht zuschanzen kann; nennt den Putsch»Kapp allzu schnell „H err Reichskanzler“, vor viel größerer Hörerzahl aber, in der Vossi«

sehen, Herrn Ebert „klug, gütig, konziliant“. N och immer nicht? D er Rothe Adler Zweiter Klasse war, trotz Vorhaut«

verlust und Dernburgs Lauheit, leichter zu erlangen. Aber:

„W ir sind nicht da um des Besitzes willen, nicht um der Macht willen, auch nicht um des Glückes willen; sondern wir sind da zur Verklärung des G öttlichen aus menschlichem G eiste.“ Letzter Absatz in Rathenaus Buch „V on kommen«

den D ingen“. Der es schrieb, war in dreizehn Aktiengesell«

schäften Vorsitzender, in siebenundzwanzig schlichtes Mit*

glied des Aufsichtrathes; nicht um des Besitzes, G lückes oder der Macht w illen, sondern zu Verklärung des Gött«

liehen aus menschlichem G eist. Amen.

Trotz so unwahrscheinlicher H ypothekarbelastung m it E itelkeit: ein ungemein begabter,gebildeter, geistreicher M ann;

in alle Sättel gerecht wie sein Gönner W ilhelm , dem er sich als den Importeur des Schickler»Pourtales> Hortes ins Deutsche Reich, als den Ueberwinder der „marxischen Absurdität“

und als Rohstofferfasser empfahl, den er an Kenntnissen und Kultur aber hoch überragt. H öchst tauglich zu Wirthschaft«

Verhandlung in von ihm unverrückbaren Grenzen; durchaus unfähig zu nüchterner W ägung des politisch M öglichen und N othw endigen. Drei oder fünf Tage nach seiner Verkündung im Tageblatt, nur bewußte Unehrlichkeit könne die londoner M aiforderung der W estmächte nicht glatt ablehnen, bot ihm Herr W irth das (schon von dessen Creator Erzberger ihm zugedachte) Aufbauministerium an: und der vom Hochge«

fühl der Erreichniß Beseligte nahm die Pflicht auf sich, dem Verlangen, das er zuvor nur Unehrlichen, Verräthern der Reichswohlfahrt, annehmbar fand, bis an den letzten Markstein der M öglichkeit „Erfüllung“ zu wirken. Dar«

aus konnte immerhin N ützliches werden. N ichts unmittel«

bar Schädliches, hofften wir, aus dem blechern diöhnen*

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Pastorale 103 den H ym nus auf den Kanzler, dem ec das späte Haby«

W under dankte und w illig nun jede Ehrerqualität des zu Führung Geborenen, des providentiellen Mannes zusprach.

D as Hoffen trog. Herrn W irth ist Menschliches nicht fremd, auch ein kleineres Thiergartengestirn würde ihn, weil er nie eins sah, mit seinem Strählchen und allem Reiz der N euh eit blenden; und im Kabinet sitzt nicht einmal mehr ein von Routine Gestützter. W ürde Herr Rathenau, obw ohl er als Fünfziger noch wild gegen die „Pfaffen“ war und von dem Halbkultusminister A dolph Hoffmann ihre Ausräucherung erhoffte, von Centrums Gnade für die N achfolge des fünf«

zehnten Benedikt empfohlen, flüsterte er das Loggiawort des vierzehnten einem röthlichen oder pechschwarzen D iakon ins Ohr, wählte er den Nam en des Papstes D eusdedit (T heodoros) aus der Frühe des siebenten Christenjahrhunderts (den des Telesphoros, Vollenders, Erfüllers, der ums Jahr 130 thronte, ließe er gew iß dem lieben Freund Josepho): va bene; die

„dum pf nach Licht und A ufstieg rufende W elt" könnte den Erlöser in der N ähe besehen. H eute aber ist Herr Rathenau Oberkanzler, mehr als jemals der fünfte Karl „A lles in A llem “ ; in jeder Ernennung ist sein W ille spürbar, der des löblichen Kabinets W achs in seiner Hand und er darf, leut*

sälig noch, sagen, daß alle Fäden bei ihm zusammen laufen.

N u r deshalb mußte, muß und wird ausgesprochen werden, was ist. In Geschichte, Staatsverwaltung, Diplom atie, pri«

vatem und öffentlichem, staatlichem und internationalemRecht ist er nicht geschult, hat, weil er nur an sich denkt, kein Aederchen eines Psychologen, nicht einen Tropfen des Blutes, das in dem Staatsmann pulsen muß; das politische Geschäft ist eins der wenigen, für die ihm jedes Talent fehlt. Ein Gymnasiallehrer aus einer M ittelstadt, ein Gewerkschaft«

sekretär, den seidenes Aermelfutter die Piratenflagge schäm«

loser Ausbeutung dünkt, wäre als Gestalter des Reichsschick«

sals nicht so gefährlich wie dieser Vielmillionär in der strotzen*

den Fülle seines geistigen, industrie« und banktechnischen Reichthumes. Um geschwind eine „That“ plakatiren zu kön#

nen, weitet er den Beamtenplan Seydoux in den (das Frank«

reich der Loucheur und Poincai6 entzückenden) wiesbade«

ner Veitrag, der den Partnern die ungeheure Produzir» und Lieferfähigkeit Deutschlands bestätigt: und vergißt, daß in

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104 Die Zukunft

der wichtigsten Stunde, nach der ersten Schwellung des Welt*

Verbrauches, Sachleistung solchen Um fanges noch viel lästi*

ger als Barleistung werden muß (deren schmales Flußbett die W estvölker selbst gerade erkennen lernten). U nd seit*

dem geht kein Tag ohne byzanto^republikanischen Bericht über H andlung und (polychrom verschleierte) W andlung des neuen Heilands. Ertrag? N ach freundlichstem Urtheil Kun*

diger: N u ll. Wäre er nicht nach London (w o er mit Finanz«

leuten die Schuldenfrage besprach, als in einen Klub Zu*

gelassener aber auch eine dem Deutschen Reich günstigere Beantwortung der „Schuldfrage“ erstrebte, die ihm vor dem A ufstieg völlig geklärt schien und von der selbst der ver*

nünftigste Brite nichts hören w ill), nicht nach Paris, nach Cannes gequalmt: Alles wäre genau, wie es heute ist. Nur, vielleicht, Herr Briand noch Frankreichs Ferge. D ie gräß*

lieh theure Salonwagen* Prozession an die Riviera war ganz und gar unnöthig. Deutschland war nicht aufgefordert, De*

legirte, sondern, technisch Sachverständige zu stellen. Herr Rathenau war nicht, wie in Spa und London die Simons und G enossen, vollberechtigtes M itglied der Konferenz. Er wurde, wie inSpa dieAbgeordnetenH ue und Stinnes,über einenPunkt derTagesordnung als Gutachter des Schuldners gehört; doch nicht mit ihm debattirt. D aß er flüssiges Französisch und Eng*

lisch spricht, hübe ihn nicht über die PortiersgroßerHotels und eine Brigade junger Kontorfräulein; vor fremden Staatsmän*

nern.die, fast alle,nur einer Sprache mächtig sind, in dreien zu paradiren,hätte Mancher vermieden: weil betonteUeberlegen*

heit schwindsüchtig wird. D ie Mär vom „tiefen Eindruck“

der langathmigen Rede auf Konferenz und Presse ist als un*

wahr erweislich. Ein Hauptargumnt des Vorträgers bestritten d ie Herren Lloyd George und Loucheur mit dem Zwischen*

ruf: „D a sind wir ja wieder in dem circulus vitiosusl“ D ieses einzige Eindruckssymptom wurde von den berliner Demo*

kratenblättern und gew iß auch von anderen eben so ver*

schwiegen wie die kalten oder spöttischen G lossen der Zeit*

ungen. Ich habe die Furche starker Impression gesucht, aber nirgends gefunden. D ie Dreistundenrede, der die auf den Z w ist Millerand' Briand Hinhorchenden obendrein nur mit halbem Ohr lauschten, zeugte von der gründlichen Bildung, dialektischen Gewandtheit und Bilanzkenntniß des Redners;

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Pastorale 105 ergab aber nicht den dünnsten Zwirnsfaden eines neuen, nicht schon hundertmal gewendeten, dekatirten, appretir«

ten Gedankens; nicht eines Zündhölzchens Leuchten zeigte darin einen W eg aus Deutschlands, aus Europas N oth . Der D octor Mirabilis ließ die ihm wirksam scheinenden Stücke durch W T B verbreiten; berichtete acht Instanzen über den Erfolg seiner M ission: und achtmal stands in jeder Zeitung.

A uch, daß ihm zu Ehre der Klug»Gütig* Konziliante ein D iner gab und, im Rund aller deutschen Ministerpräsidenten, den Gunstplatz an seiner Seite dem Missionar vorbehielt.

Herr Bergmann, jetzt Direktor der Deutschen Bank, hat solche M issionen stiller und mit allermindestens gleichem , Erfolg“ bewältigt. W om it hat uns Cannes denn beschenkt?

D ie Com m ission des Reparations hat ihren Spruch noch nicht gefällt. D aß Milliardenpump, Papierinflation, Valuta«

dum ping nicht dauern dürfe, war seit dem Erlebniß des Juliunfugs, der Pleite* Erfüllung, für die Herr Rathenau mit«

verantwortlich ist, sicher. H öchst unsicher ist aber, ob die deutsche Schuldpflicht für das Jahr 22 nicht über die vor der Reiserei verheißene Halbmilliarde Goldmark hinaufge«

trieben wird. Papabile mag der von G ott uns Gesandte sein.

D ie Herkunft aus dem „Gnadenlande der Seher“ hat er zu«

vor nie und niemals danach so bündig wieder erwiesen wie an dem Tag, da er sprach: „D ie einzige Schuld des deut«

sehen Volkes ist, daß es glaubt, was man ihm sagt.“ H eute sagen ihm hundert falsche Mäuler, London sei strategischer, Paris taktischer Sieg und Cannes Triumph geworden.

S c h w e ig t d ie F lö t e ?

Zurück in W irklichkeit. D a ist, drinnen und draußen, Alles in Fluß. Daher übersetze ich heute nur noch die unverjährbar wichtige Denkschrift, die Herr Lloyd George am vierten Ja«

nuar dem Kabinet der Französischen Republik vorlegen ließ.

„D ie englische Regirung wünscht sehnlich, daß die Kon«

ferenz von Cannes greifbare, von der Oeffentlichen M einung Frankreichs, Englands, unseres ganzen Erdtheiles gebilligte Ergebnisse habe, und glaubt, solcher Erfolg sei nur durch eine franko»britische Verständigung zu sichern. D ie Unruhe der Oeffentlichen M einung ist, inGroßbritanien wie in Frank«

reich, unbestreitbar; Jederfühlt eben, daß in beiden Ländern höchst wichtige Fragen zu erörtern und einige Hauptziele des

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106 Die Zukunft

Friedensschlusses noch immer nicht erreicht sind. Ueber alles Erwarten hinaus dehnt sich die für den N eubau Europas berechnete Frist; aus der Enttäuschung der Völker entsteht Reizbarkeit, die wieder M ißverständniß und Hader bewirkt.

D ieser Zustand ist, mit all seinen schlimmen Folgen, in ganz Europa und sogar jenseits davon fühlbar. Bliebe die Kon«*

ferenz von Cannes ertraglos, dann würde der Rückschlag des Höffens auf das Verhältniß unserer Länder übel nach«

wirken. Unklare oder vorläufige Beschlüsse würden als Miß«

lingenszeichen gelten und laut die in letzter Zeit wahrnehm«

bare Verschiedenheit im Empfinden Frankreichs und Englands betonen. Solche Ergebnisse sähe Europa in ernstem Verdruß:

denn die Völker unseres Kontinentes haben die Unentbehr«

lichkeit des festen franko«britischen Einvernehmens erkannt.

D ie englische Regirung w ill in Cannes unzw eideutig zeigen, daß Großbritanien und Frankreich im Frieden eben so eng verbündet sind w ie in der harten Prüfung der Kriegszeit.

D azu scheint ihr nothwendig, das Gesammtproblem (nicht, der Reihe nach, die Einzelfragen, die gerade auf dieser Kon«

ferenz gestellt werden) zu erörtern; und im H inblick auf dieses Ziel w ill sie die Lage der zwei Länder hier so dar«

stellen, wie ihr A uge sie heute sieht. Z w ei Grundursachen erklären, nach unserer Auffassung, Frankreichs unruhvolle Besorgniß. D ie erste ist die Unsicherheit der Entschädigung.

Frankreich m ühtsich um den W iederauf bau seiner verwüsteten G ebiete und m uß deshalb große Summen vorschießen, die ein Riesenloch in sein Budget reißen. D iese Ausgaben müßte und m uß Deutschland tragen; trotz einer ganzen Serie von Abkom m en ist aber der von Deutschland geschuldete zu«

längliche Schadensersatz immer wieder aufgeschoben worden.

H inzu tritt die Sorge um die territoriale Sicherheit. Im Laufe von hundertzwanzig Jahren ist der Feind viermal in Frank«

reich eingebrochen. D essen Volkszahl ist um zwanzig Mil«

lionen kleiner als Deutschlands (trotz Kriegsverlusten und Friedensbedingen), das fünf M illionen ausgebildeter Soldaten und ein stattliches Offizier« und Unteroffiziercorps aus dem Großen Krieg heimgeführt hat. D en D eutschen ist, freilich, fast der ganze Waffenschatz und das Kriegsgeräth genommen worden; doch Frankreich darf nicht vergessen, daß dieser M angel durch irgendein M ittel ausgeglichen werden kann.

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wähnen ist noch, daß Herr Sasonow das Geträtsch, er habe die „Briefe Iswolskijs* für echt erklärt und über sie und ihnen Verwandtes je zu Journalisten

Ju st vor einem Jah r war er M inisterpräsident geworden, weil H err Poincare nicht in einem K abinet Peret (das wieder n u r, wie zuvor das des H errn Leygues,

heit tiösten, daß der Ruf eines redlichen M annes nicht durch den U nfug seiner Frau zu zerstören sei. Sie hat sich nicht geändeit, nicht im Allergeringsten. Ich

klärte Iffland sehr nachdrücklich: ,,In dem Handel mit Manuskripten muß die Handelsunbefangenheit mehr als irgendwo S tatt finden.“ E r fühlte sich verantwortlich

»So,« meinte der Doktor, »jetzt werden wir wohl mehr Glück ha- ben; hier ist Das, was die Menschen Wind nennen· Zwar nicht viel, aber besser als nichjtsg Jetzt werd-et Jhr

Wer über den deutsch-en und den französischen Jnfanterietyp ur- theilen will, blicke rückwärts auf das Jahr 1815. Da standen ziemlich eb enbürtige Feldherren einander

Mit einer gewissen Genugthuung hat man die Thatsache verzeichnet daß der deutsche Kapitalmarkt schon seit drei Jahren nicht mehr direkt an einer russischen Anleiheemission

Nach Absatz, DNafsenabsatz schreit die ganze moderne Technik. Man stelle sich in eine ganz beliebige Werkstätte, etwa in Hamm-Phoenix, wo Stifte, oder Mannstaedst, wo Schrauben