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Die Zukunft, 11. Februar, Jahrg. XXX, Bd. 116, Nr 20.

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(1)

XXX. Jahrg. B e r l i n , den 11. Februar 1922 Nr. 20

Die Zukunft

Herausgeber

Maximilian Harden

IN H A L T

Seite

Lüge in Schneew eiß . . . 145

V or c k n S taatsg erich tsh o f . 145

D as V erb rech en . . 1 4 9

W as w ird w e rd e n ? 156

F eb ru u m 174

Nachdruck verboten

Erscheint jeden Sonnabend

Preis vierteljährlich 35 Mk. / Einzelheft 3,50 Mk.

BERLIN

ERICH REISS VERLAG

(Verlag der Zukunft) 1922

(2)

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rosig«*, ju g e n d fris c h e s A n tlitz u. b le n d e n d s c h ö n e n T e in t A lles d ie s e rz e u g t d ie a ch t«

f b a d t e f t p f e r d »

d ie but« L ilien m ilc h s« ife v o n B ergm ann & Co«, R adebeul.

Schiffahrts-Aktien

Koloiialweite, Stfidte- und Staatsanleihen, aosläodiithe Knuant

B. C A L M A N N , HAMBURG

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B r i l l a n t e n Perlen,Smaraflde.Perlselinlire ■

k a u f t zu h o h e n P r e is e n

M S n i t z Frieflpicnstp. 91-92,1. Eig.

1 z w isch . M itte l- u. D o ro th e e n str.

SA TV RIM

SCHAFFT

JUGEND U KR\FT

GOLD FÜR MÄNNER * 5ILBER FÜRFRMJEN

ÄKT:CES HORMONA DÜSSELDORF,GRAFENBERG

ERHÄLTLICH 'IN APOTHEKEN

Bei Schwäche, Neurasthenie

b e i d e r l e i G e s c h l e c h t s D r . H o f f b a u e r s g e s . g e s c h .

Yohimbin - Lecithin - Praparate

Au b r e i n s t e m Y o h i m b i n u n d d e m H ü h n e r e i e n t z o g e n e m N e r v s t o f f o d e r L e c i t h i n b e s t e h e n d , d a h e r e i n e v o l l w e r t i g e E r g ä n z u n g d e s i m K ö r p e r v e r ­ b r a u c h t e n N e r v s t o f f e s . A u s f ü h r ] . B r o s c h ü r e ( o d . L i t e r a t u r ) g e g . 1,— M . P o r t o E l e f a n t e n ■ A p o t h e k e , B e r l i n S W , L e i p z i g e r S t . 74, a m Dönhoffplatz

F e r n s p r . : Z e n t r u m 7 1 9 2 1

(3)

DIE ZUKUNFT

Herausgeber: M axim ilian Harden

XXX. Jahrg. 11. Februar 1922 Nr. 20

Lüge in Schneeweiß

V o r d e n S ta a ts g e r i c h t s h o f

lomme in dem Reichstag der Deutschen Republik (so nennt sich, auf Papier, das Reich, in dem, auf Papier,

„die Staatsgewalt vom Volk ausgeht“) auch nur ein Fünk*

chen ehrlichen W illens zu Demokratie, ernsten Dranges nach W ahrung der Volksrechte, dann wäre am zweiten Februar der A ntrag gestellt worden, den Reichepräsidenten „durch Volksabstimmung abzusetzen“ (Artikel 43) und diesen Herrn Ebert nebst den M inistern Rathenauwirth, Bauer, Geßler, G roener, Giesberts, Hermes, Köster, Radbruch, Schmidt und Genossen „vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich anzuklagen, daß sie schuldhafter Weise die Reichsverfassung verletzt haben“ (A rtikel 59 dieser Verfassung). D er A ntrag ist leicht zu begründen. Artikel 130 sagt: „Allen Beamten wird die Freiheit ihrer politischen G esinnung und die Ver­

einigungfreiheit gewährleistet.“ (Dieses albenvekle Zeitung«

wort, grammatisch so gerade gewachsen, schlank und schön wie der „gefeuermachte O fen“ un d der „geurtheilsprochene

S t r e it “ ,steht hier für das einfach richtige W o rt „verbürgt“; und kehrt in dem anderen zur Sache gehörigen Artikel wieder.) 159:„D ie Vereinigungfreiheit zur W ahrung und Förderung der Arbeit» und W irthschaftbedirgungen ist für Jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle A breden und Maßnah*

men, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behin*

dem suchen, sind rechtwidrig.“ Jedermann also hat, einerlei-, welchen Berufes, stets das Recht, zu Förderung der Arbeit» und W uthschaftbedinge A nderen sich zu vereinen, das allein taug*

u

(4)

J46 Die Zukunft

liehe N othw ehrm ittel, ohne das die Vereinigungfreiheit ein jMesserstiel ohne Klinge wäre, anzuwenden, die A rbeit nieder«

zulegen; und jeder Hinderungversuch ist wider das Recht.

D ie zu A nw endung dieses N othLehrm ittels unentbehrliche

„Entfernung vom D ienst“ ist nicht eine „unerlaubte“, die das Reichsbeamtengesetz mit V eilust des Diensteinkommens bedroht, sondern von der Reichsverfassung erlaubt, deren Rechtskraft obendrein gewichtiger ist, als aller (veralteten) Beamtengesetze. Artikel 48 2 der Verfassung, deren järomer«

liehe UnWahrhaftigkeit überall Lücken und Au>fluchtmög«

lichkeit läßt, giebt dem Reichspräsidenten das skandalöse Recht (das der Deutsche Kaiser nicht hatte), sieben Grund«

rechte des Bürgers, die wesentlichsten, „außer Kraft zu setzen und erforderlichen Falles mit H ille der bewaffneten M acht einzuschreiten, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und O rdnung erheblich gestört oder gefährdet w ird“. D er am ersten Februarmorgen von der (nicht sozial«

demokratischen, sondern fa-t „gelben“ , aHem Klassenkampf bisher fernen) Reichsgeweik^chaft Deutscher Eisenbahn»Be«

amten und A nw äiter gefaßte Beschluß, neunzehn Stunden danach die Arbeit niederzulegen, hat die ÖffentiicheSicheiheit und O rdnung nicht im Allergeringsten gestört oder gefähr«

det. Störung, auch nur G efährdung konr te noch bis in den achten Februartag von allen Künsten schuftiger Preßlüge und Offiziösengaunerei nicht für eine M inute glaubhaft gemacht werden. U nd die Gewerkschaft hätte den von dei Verfassung erlaubten, w ürdig begründeten Stnkebe^chluß sofort zurück*

genommen, wenn von M orgen bis M itternacht die Regirer zu V erhandlung bereit gewesen wären. Der Ukas („Vtrord*

nun g“ nennt sich dieser alle Rechtsordnung durchbrechende A kt willkürlicher Schreckensankündung) des Reichspräsi*

denten, hinter dessen Namen noch die de; Kanzlers Rathenau«

w irthunddesV erkehrsm inistersG roener tehen.istalsoinzwie«

fachem Sinn verfassungwidrig: Artikel 482, den er als Stütze heranziehen will, kann und darf ihn, weil die das Sonderrecht des Präsidenten bedingenden Thatbe*tandsroerkmale fehlen»

nicht stützen; und was er, wider besseres W issen oder in leicht«

fertiger M ißachtung deutschen G rundrechtes, als „verboten“

pönt, ist von der Reichsverfassung erlaubt. D er Einwand,

(5)

Lüge in Schneeweiß 147 die G rundrechte und deren Folgen seien dem H errn Ebert und seihen Leuten unbekannt, ist nicht haltbar. Erstens saß er vornan in der Nationalversammlung, die den Verfassung«

entw urf \ e ieth und als G rundgesetz des Reiches verkündete^

und unter der D atirung aus Schwarzburg stehen die Namen dieses bewährten Monarchisten, der Stehaufminister Bauer, Giesbeits, Schmidt und des Parteiführers Hermann M üller.

Zweitens hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, ehe ihre Initialen um gedeutet wurden und die S(ozialreformer>) P(artei) D (eutschnationaler Kleinbürger) bezeichneten, Jahr«

zehnte lang mit ungestümer H eftigkeit das Strikerecht der Be«

amten als ein heiliges G u t gefordert. D rittens hat H err Ebert mit sieben Genossen, von denen zwei jetzt wieder im Reichs«

ministerium, zwei auf hohen Beamtenposten sitzen, zwei die einst rothe Fraktion führen, im März 20 alle Beamten, des Reiches, der Einzelstaaten und Gemeinden, öffentlich in Gene«

ralstrike gerufen und beschworen, alles zu „Lahmlegung jeden W irthschaltlebens“ irgend Erdenkliche zu thun. Solchen Ruf, den leisesten, nur in eine Ohrmuschel dringenden noch, be»

droht Seine V erunordnung nun m it Gefängniß und (nicht;

oder) Geldstrafe bis zu fünfzigtausend Mark. W as, da es feig bei N acht und N ebel entflohenen Regirern die Pfründe retten sollte, hehrste Pflicht edler Sittlichkeit hieß, kann nicht heute, weils armen Menschen des Lebens N oth d u rft sichern soll, als gemeines Verbrechen verschrien und bestraft werden.

M it allen vom Reichskabinet darauf gestützten H andlungen ist der Ukas drum als ein rechtwidriger M ißbrauch der Amts«

gewalt zu ahnden; und außer dem doppelten Verfassungbruch die Verletzung des Strafgesetzparagraphen 339 zu sühnen, der sagt: „Ein Beamter, welcher durch M ißbrauch seiner Amtsgewalt oder durch A ndrohung eines bestimmten Miß«

brauches dieser Gewalt Jem and zu einer H andlung, D uldung oder Unteilassung widerrechtlich nöthigt, wird m itG efängnis bestraft. D er Versuch ist strafbar.“ D urch A ndrohung eines bestimmten M ißbrauches ihrer Amtsgewalt haben Präsident und Reichskabinet die Eisenbahner widerrechtlich zu Unter«

lassung erlaubten Handelns („A ufforderung oder A nreizung“

zum Stnke) und zu D uldung ihnen schädlichen Thuns (Strike«

bruches, dessen A bw ehr mit W irthschaftm itteln unter harte

ii*

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1* 8 Die ZuktttA

Strafe gestellt w ird) zu nöthigen versucht. D es Amtsgewalt*

tnißbrauches ist auch der interessante H err Richter, einst Me»

tallarbeiter, jetzt Polizeipräsident von Berlin, anzuklagen, der,

| n w ürdiger Nachfolge des Strauß» Wolff» Genossen Eugenii Ernst, Strikeführer verhaften, Strikegelder und Strikeaufrufe in Beschlag nehmen hieß. D aß in der Sächsischen Straße, r in g s um die drei Futterschüsseln des Schwarzen Katers und am gastlichen Tisch des H errn Barmat die Dienstbetriebsein«

S te llu n g eben so s tr e n g , als „ e in e tief u n s ittlic h e H a n d l u n g “ , verurtheiltw urde wie auf dem Schwanenwerder des aus Zucht«

hausgemeinschaft mit Trotzkij in den Rang der Hundert«

m illionäre und die Pontifikalmacht über die SPD aufgestie«

genen H errn Parvus*Helphand, der jedes die Striker auch nur entschuldigende W örtchen als ein Verbrechen bespie, ist verständlich. G iebt, leider, nur noch immer nicht die Befug«

niß zu dreistem Bruch gütiger G rundrechte und Gesetze. Für den durch Verletzung der Amtspflicht entstandenen Schaden sind die Beamten, vom Reichs*biszum Polizeipräsidenten,haft*

bar und, nach § 839 BGB, zu Ersatz aus Eigenem verpflichtet.

So sehe ich die Rechtslage. Die Angeklagten können ver«

suchen, sich durch den Beweis zu entlasten, daß sie den W o rtlau t der Verfassung „anders ausgelegt“, an Verbot des Beamtenrechtes auf Strike, also an Weimarer N iederlage der Sozialdemokratie in einem Haupttreffen geglaubt haben. Leicht wäre dieser Beweis nicht zu führen. U n d selbst wenn er gelingen könnte: die „V erordnung“ bliebe ein recht widriger A kt. Dämm erte diese E rkenntniß H errn Ebert? Einem, der sich, ihm ins Angesicht, zu Förderung des Ausstandes durch H ingabe gesammelten Beamtengeldes kekannt und ihn auf*

gefordert hatte, den dadurch, nach dem Ukas, schuldig Ge»

w ordenen sofort verhaften zu lassen, hat er geantwortet:

„D en Zeitpunkt der Verhaftung behalte ich mir vor.“ Dieser majestätische Bescheid, dem H andlung nicht gefolgt ist, zeugt wider den G lauben an die rechtliche G iltigkeit der Verord*

nung. Einerlei. O b Verfassung und Gesetz des Reiches in schuldhafter W eise verletzt wurden, ist von den zuständigen Gerichten zu entscheiden. W ird,trotz „dringenden Verdachts«

gründen“, die Anklage nicht gefordert, dann ist dadurch, abermals und deutlicher als je , erwiesen, daß die Grund»

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Lüge in Schneeweiß

rechte deutscher N ation auf dem Papier stehen. D ebet:

Reichspräsident und Reichskabinet sind die anÄ usbruch und D auer der Strikes allein Schuldigen. C redit: N och ist Nie»

mand „auf der Flucht erschossen w orden.“ * D a s V e r b r e c h e n

Dieser Bericht über den Rechtsstand ist weitab von aller Parteiung. Ein Hochkonservativer, der steifste Militärmo«

närchist m üßte ihm.nach gewissenhafter Prüfung, zustimmen ; noch, wenn ihn Beamtenstrike G räuel dünkt. D er ist nicht in Berlin erfunden worden, nicht latest novelty von 22: Frank«

reich und die Schweiz, Festland und Inselreiche haben ihn langst kennen und ohne G ew altanwendung überwinden ge*

lernt. Längst; in nicht so unerschaut abnormer Zeit, wie heute ist. W er den Unterbeam ten jetzt das Strikerecht, ohne das die „Vereinigung zu Förderung der Arbeit» und Wirth«

Schaftbedingungen“ ein Popanz ist, weigert, D er drückt sie unter denaim säligsten Taglöhner hinab; giebt sie, M illionen M ühsäliger, wehrlos instaatliche Zufallsgewalt. Ludert, ehren«

werthe Regirer, noch ein W eilchen so, gewissenlos, gedänkeh«

los, fort: und die Richter, Lehrer, Räthe, Verwaltüngbeamteii aller Mittelrangklassen werden Strikes beginnen; müssen, wenn sie nicht vorziehen, von Bestechung oder Schiebung ihr Leben 2U fristen, dessen N othbedarf einstweilen Frauen* oder Kinder«

arbeit und heimlicher Verschleiß von Mitgi fthabe, ererbten oder erworbenen H ausrathes deckt. U nbestreitbar ist, daß eine oft ünd heftigbetonteH auptforderung der deutschen Sozialdemo*

kratie nach dem Strikerecht der Beamten langt, daß die aus ihrem Willen geborene Reichsverfassung es nicht weigert u'ftd daß H err Ebert, der vor wenigen W ochen sich selbst eine Lohn-*

erhöhurig auf siebenhunderttausend M ark, nebst freier Wohn*

ung, Beleuchtung, H eizung in einem Pälast, mit leiser Rück*

trittsdrohung durchdrückte, in Gemeinschaft mit den Kum*

panen Bauer, David, M üller, N oske, Schlicke, Schmidt,W els iii weiß G ott, nicht hellerer Reichsstunde, weils ihnen „um Alles“, nämlich um Präsidium und M misterposteri, ging, alle Be«

atnten in Strike gepeitscht, sogar des (nicht allzu gefähr*

liehen) „Strike der Staatssekretäre“ sich schnalzend gerühm t ü nd dadurch amtlich das klar aus dem Wortlaut der Ver«

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150 Die Zukunft

fassung hervorgehende Beamtenstrikerecht bestätigt hat. Kein U nbefangener kann, auch kein ehrlicher Kommunist wird leugnen, daß in gährender Nachkriegszeit mancher Strike ein G ebild frevlen Ueberm uthes, blinder V erkennung des M öglichen war. In diese Reihe gehören die Strikes der berliner Kommunalarbeiter und der deutschen Eisenbahner nicht. D aß die G emeindearbeiter M onate lang hingehalten, dann mit unzulänglichem Schiedsspruch abgespeist und brei?

tenSchaaren die mühsam errungenen K !einvortheile (G eltung des Manteltarifes, M inderung der Kurzarbeiterzahl, U rlaub) listig wieder abgejagt wurden, haben am siebenten Februar selbst die Friderico Ebert gehorsam zunickenden Gewerk«

schafthäupter offen eingeräumt. N utzung der dem Planen günstigen Stunde, des Eisenbahnstillstandes, Konjunktur« oder Sym pathiestnke: wer wirft auf die Schmalhälse den ersten Stein? Sie haben nichts Unrechtes verlangt, nichts mit Un*

rechtsmittein zu erlangen getrachtet. U nd hätte persönlicher H a ß und unausrodbare Dummheit der ..Demokraten“ und D om inikaner nicht den klug wendigen H errn W erm uth vom O berbürgerm eisterstuhl gestoßen, auf dem nun ein (minde*

stens)U neifahrener verlegen hin und herrutschtund nie festen Zweibackensitz erreicht, dann wäre auch dieser berliner Strike ganz sicher ohne Trara vermieden und Streitstoffrest, wenn einer blieb, sacht in ruhigere Tage verschleppt worden. An U m fang und G ew icht sehr viel beträchtlicher war der Strike der Streckenwäiter, Heizer, Schaffner, Lokomotiv* und Zug«

Führer; und so „berechtigt“ wie je einer, seit im vierzehnten Jahrhundert die speyrer Weber», die Straßburger Kürschner*

gesellen durch gemeinsame AibeitverWeigerung leidliche Lebensbedinge erstiebten. Das in Deiner Zeitung,Leser, dar*

über Gesagte ist, zu wenigstens elf Zwölfteln, niederträchtige Lüge; insbesondere die Angabe, der Lokomotivführer beziehe ein M onatsgehalt von drei» bis viertausend M ark. Diese „Be*

amten“, die fast sämmtlich im Dienst, vor dem fünfzigsten Lebensjahr, sterben und von deren künftiger „Pension“, bei dem Preisstand von heute, morgen, übermorgen, nur ein aus»

gepichter M enschenschinder sich zu reden erfrecht, können, wenn sie hinter der Sechzigerschwelle noch zu furchtbar ver*

antwortlichem Steurer* un d W ächterdienst im Funkengestiebe

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Lüge in Schneeweiß 151 der heißen, qualmenden Maschine tauglich sind, den Monats«

sold von 2533 Mark erlangen: weniger, als einem aufs Theater gesprungenen Jüngling nach zwei „Saisons“ gewährt werden muß» Bis in die M itte der Vierzig aber, meist also bis an ihr Lebensende, kommen sie, die der B eso'dunggruppe V zu#

gehören, nur höchst selten über Jahreslohn von 19 bis 22 000 M ark hinaus. D avon werden zunäcl^t zehn Prozent a b Steuer abgezogen; und von dem Bleibsel sollen sie sich, die Frau und Kinder nähren, kleiden, für W ohnstatt, Heizung, Licht, Säuberung.Unterricht, Lehrmittel, Geräthsersatz sorgen.

Von, im besten Fall, 1900 M ark M onatssold. A uf einem ihrer im Ton ruhiger W ürde gehaltenen Flugblätter sagt die Reichs«

ge werkschaft: „ln einem einzigen Jahr hat sich das Einkommen unserer M itglieder durch den Betrug der Notenpresse um 45 bis 37 Prozent seiner Kaufkraft vermindert. Unsere Frauen und M ütter wissen nicht mehr, wovon sie den Lebensunter«

halt der Familie bestreiten sollen. A ber die Papiermark sinkt unbarmherzig weiter. D ie Regirung b ot zum ,Ausgleich*

monatlich 166 Mark Theuerungzulage, während sie uns mo«

natlich 1360 bis 1576 M ark Zulage geben m üßte, wenn sie den an uns von der Notenpresse verübten dauernden Taschen«

diebstahl ehrlich ausgleichen wollte. Die Gewerkschaft m ußte käirpfen, um zu erreichen, daß der Staat selbst, endlich, mit der W iederherstellung von Treue und G lauben den Anfang machte. Verlieren wir den Kampf, so trium phiren U ntreue, G eldbetrug, W illkür und Rechtlosigkeit in D eutschland.“

A uch die D ienstdauer war streitig geworden. Offen bekenne ich meinen U nglauben an die H altbarkeit des Achtstunden«

tages in unserer N othzeit; und zweifle nicht, daß der Ar«

beiter, der schon jetzt emsig nach einträglicher Beschäftigung zwischen Sechs und Acht (oder länger) abends auslugt, in gut gelöhnte U eberstunden sich gern bequemen wird. Einstweilen aber schreibt der Friedens vertrag (in dem selben Artikel 427, der, ohne irgendwelche Beamten auszunehmen, allen Ange«

stellten, employed, und Anstellern, employers, das Recht zu jeder nicht gesetzlich verbotenen Koalition zusprichi) allen Signatarmächten den Achtstundentag vor; und denVersuch, ihn durch Einknetung von „D iensibereitschaftstunden" und ähn«

lichemSchundteig zu strecken, m üßte A nstand und Scham ver«

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152 Die Zukunft

hifeten. Ein tüchtiger A rbeiter erhält in großen Industriestädten heute 120 bis 140 Mark, mancher mehr, für den A rbeitstag;

u n d .k a n n , mit Frau und zwei K indern, davon nicht das N öthigste bezahlen. Die U nterbeam ten unserer Eisenbahn und Post sind viel schlechter besoldet als A rbeiter in Privat*

betiieben (die auch höchstens ein Viertel des in Amerika und England gezahlten Lohnes empfangen und dadurch das alltäglich verfluchte D um ping, die Preisunterbietung, ermög*

liehen). N u r für die obersten „G rup pen “ ist halbwegs aus*

kömmlich gesorgt worden. W er vor dem Krieg Postdirektor mit 7200 Mark im Jahr war, hat jetzt, als O berpostdirektor bei einem größeren Amt, 57 000. D er O berpostassistent von 14 hatte 3600, h at, als Sekretär, heute 19 500 M ark im Jahr, Eben so ists im Gleisbereich. A u f den untersten Stufen ist der Sold ums Dreizehnfache, auf den danach folgenden um ) Fünf« bis Zehnfache gestiegen. A ller Lebensbedarf aber um das Vierzig* bis H undertfache oder noch höher. Vor dem Krieg kostete einC entner schmackhafter Kartoffeln drei M ark;

die kaufen, nach langer Suchensmühe, jetzt fünf V iertelpfund, Ton denen mindestens ein D rittel sich nach dem Schälen als ungenießbar zeigt. So stehts um das H auptsättigungm ittel des Armen, dem Butter, Eier, M ilch, Kaffee, guter Fleisch*

aufschnitt lange schon unerschwinglich ist.**Muß ich wieder*

holen, daß H underttausende in lecken Stiefelwräcks (Be*

sohlung, wenn sie noch möglich ist: 120 M ark) durch den Schnee stampfen, kein H em d, Erwachsene und Kinder, auf dem Leib, kein Laken im Bett haben, nicht einmal in d e t W oche sich, weil Kohle und Seife viel zu theuer sind, eio W arm bad bereiten können? D as gilt auch für den größten Theil der Eisenbahner, bis hinauf zu den mit schwerster Ver*

antwortungpflicht bebürdeten Lokom otivführern. U nd den Lohnkam pf solcher Menschen wagt das G esindel in Aemtern u n d Presse „ein infames Verbrechen“ zu schimpfen.

Ich glaube nicht mehr an das vielbeschwatzte fromme C hristgefuhl des Algebralehrers und Flinkredners W irth, der an der Leine des G ottheitverklärers Rathenau den Reichs*

kanzler markirt. E in wahrhaft Frommer, dem Nächstenliebe

•und M enschenwürde mehr als hohle W orthülsen sind, hätte

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Lüge in S ch n ee w e iß 1 5 3

über das Gewissen gebracht. Der Strike war erlaubt, voll-«

berechtigt; er konnte, wie jede Kraftprobe, mißlingen, durfte aber nicht mitdoppeltem Verfassungbruch, mit rechtwidrigem Schreckensukas, mit einer Schmutzfluth verleumderischer Lügen bekämpft werden. Er wäre nie ausgebrochen, wäre am ersten Tag, an jedem zu enden gewesen, wenn die Regirung der Republik, wie Englands königliche in hundert ähnlichen Fällen, sich zu unm ittelbarer V erhandlung bereit erklärt hätte.

Das allein, gar nichts Anderes zunächst, forderten Eisen«

bahner und Gemeindearbeiter. D ie Regirung antwortete:

„M it Strikenden verhandeln wir nicht.“ Stellte sich also auf die Nebelschanze des brutalsten M achtwahnes, den, wenn er einen Stinnes, Thyssen, D uisberg^K loeckner umqualmte, alle Scheidemänner, Loebes, M üllers, W eisungen als „schand- bar verbrecherische U nternehm erfrechheit“ anprangern w ür­

den. Beide Strikes waren seit W ochen vorauszusehen, beiden war leicht vorzubeugen. A u f festem Rechtsgrund sprachen, in spät erst entflammtem Zorn, die Eisenbahner: „U nset Strike hat mit Politik und Radikalismus nichts zu th u n ; er hat nur zwei Ziele: A u f hören der G ehälterentw erthung un d Siche»

rung des A chtstundentages. Eine Regirung, die, nur um Recht zu behalten, dem ganzen Volk seelenruhig die lawinen­

artig wachsenden Schäden des Eisenbahnerstrike noch weiter auflädt, handelt unverantwortlich. W ir haben die dümmste Regirung, die D eutschland jemals besaß: denn sie kann nicht einmal begreifen, d aß sie ohne eine zufriedene Beam­

tenschaft keinen Boden unter den Füßen hat.“ W ie rath- los diese Zufallsregirung vor allem nicht in ihre Schablone Passenden steht, hat sich wieder herrlich offenbart. Statt den Verfassungartikel 133 anzuwenden, der alle Bürger in persönliche D ienste für Staat u nd Gemeinde verpflichtet, statt alle Besitzer von M otor- und Pferdewagen in D ienst­

leistung zu rufen und in öffentlich wirksamer Rede den be­

haglich G ebetteten das Gewissen zu rütteln, ließ sie den Verkehr dorren und die Bürger, deren Steuerzins sie nährt, mit Bündeln falscher N achrichten narren. W o waren all die W agen der Reichswehr, staatlicher und städtischer Aemter, des Kohlen-, Holz», Gemüse-, M öbelhandels, der Spediteurs und Personenfuhrherren, die bei Eisenbahnruhe unbenutzten

(12)

1 5 4 Die Zukunft

Post-, Fracht«, Futterwagen, Gaul«, Benzin« und Elektro«

droschken? In N othstunde durfte das Vorrecht des Geldes nicht willkürlich schalten. Ists nicht tollste U nvernunft, daß ganze Fahrzeuggeschwader still liegen, während durch W arten und W andern M illionen A rbeitstunden vergeudet w erden?

N och immer ist die Zahl der durch ein N adelohr schlüpfen«

den Kamele größer als der durchs H im m elsthor eingelassenen Reichen. In klirrender M orgenkälte stand ich, von Acht bis N eun, an der halenseer RLngbahnbrücke; harrte, in dichtem Schwarm vergebens, auf einen Platz in dem O m nibus, den, als er noch für eine halbe M ark einen bequemen Sitz und die neustenM einungpapiere bot, Schnodderwitz denPalästina*

Expreß nannte. F ü n f^ g A utos sausten stadtwärts vorüber.

Einer drin, Zwei, manche noch leer, kaum eins ganz gefüllt.

Einsam thronte auch des H errn Außenministers Excellenz;

doch die G üte, von der seine Schriften triefen, war bei elf G rad unter N u ll eingefroren. („Vielleicht haben Sie in mei­

nen Schriften gelesen. D ann wissen Sie, daß ich auf dem Boden der Evangelien stehe.“ W örtlich aus dem netten Feuilleton „Eine Streitschrift vom G lauben“ . Von früh bis spät kann selbst ein G ewaltiger nicht stehen. U nd wenn H err Rathenau, N utznießer und G eißler der „mechanisirten Z eit“, im mechanisirten W agen sitzt, träum t er von dem Evangelienboden als einem trottoir roulant.) D utzende schmächtiger Kontorfräulein, Verkäuferinnen, Schulmädchen, alte M änner un d Frauen prügelten m itFrostfüßen den Schnee.

Gleichgiltig oder grinsend blickten die Auto*Kraten aus dem Sealkragen ins G edräng; nicht einer nahm eins der schlot«

ternden M enschenkinder ein Stückchen mit. D er Verlust dieser W oche m uß, für Fisken und Private, in die Militär«

den steigen. (N u r der U ntergrundbahn brachte jeder Strike«

tag zwei M arkmillionen, das Vierfache alltäglichen Verkehres, lieferte eine Charlottenburger Bahnhofskasse 25 000 M ark als Ertrag der ersten drei M orgenstunden.) Eine M onatsrate der Reparirschuld ward wohl fast ganz in den Schornstein des Vaterlandes, geschrieben. Reichspräsident un d Reichs*

kabinet sind, nur sie, an Entstehung un d D auer der Strikes schuldig; nur sie, mit Vermögen und Einkunft, für den Schaden haftbar. W ar hier Verbrechen, dann walte der Staats«

(13)

Lüge in Schneeweiß 155

gerichtshof, die Strafkammer, das Civilgericht ohne Säumen, ohne Scheu vor hoch Betitelten, des Sühneramtes.

N u r dadurch, schon durch den ernsten Versuch unbe*

fangener Schulderkenntniß un d Sühne, ist, vielleicht, der V olkszom zu sch wichtigen. W eil er noch nicht auf brüllt, h ört Ihr, Taube, von bequemer Selbstsucht G etäubte, ihn nicht? Ehe Flamme wird, schwelt im Brandherd die Masse.

Niemals war so tiefe Erbitterung, sprach aus M illionen so einstimmiger G roll; auch nicht im N ovem ber 18. D ie „Strecke“

des H errn Ebert w ird allzu wildreich. V on Liebknecht bis auf Erzberger, kingmaker und Busenfreund Fritzens, 345 Re«

publikaner gem ordet und nicht einer dieser M orde zuläng«

lieh gesühnt. Standrecht, Verbote,Sondertribunale, Schreckens*

androhung. W ann hat dieser Präsident sich in Schöpfung eines neuen Staatshaupttypus bem üht? W ann, der bei Ge*

neraldirektoren und Kinokönigen schmaust und zu Besichti*

gung ferner Filmaufnahme ganze Vormittage frei hat, das Arbeitervolk, wie selbst W ilhelm zu th un geruhte, in Fabrik und W erkstatt aufgesucht, seiner Beschwerde gelauscht, die W ortführer des darbenden Kleinbeamtenheeres, der versin*

kenden M ittelschicht zu sich geladen? „Sein M ädel jing

•* doch früher auch bei K ahlbaum ; jetzt kann ers studiren lassen. A u f ihrer ersten Stelle sollte die Frau koscher kochen lernen. Von der bremer Schifferkneipe bis nebens Eierhäus*

chen war schon weit; nun aber Palais in der W ilhelm straße, Bügelfalte, drei D oppelkinne auf Zwei vertheilt, neben ’m Schoföhr noch so ’n Langröckiger; un wenn Unsereins, mit spinnedünnem M argarineaufstrich un sonntags ein H albpfund Büchsenfleisch für Viere, ohne Kartoffel im T o p f un Speck auf die Rippen, mehr Lohn fordert, solls .Verbrechen am deutschen Volk* sein? O ft genug hat er Ausstandsparolen weitergegeben, gegen Schufterei der Streikbrecher jed o n n ert;

mit einem M al sinds ,Arbeitw illige‘, M usterknaben, die vor uns beschützt werden müssen! A u f unseren Schultern, aus unseren Zahlabendep sind all diese Leute in die H öhe ge»

klettert. Seit sie an der Krippe sitzen . . . “ Viel Grimmigeres ist, noch im westlichsten W esten, von Hausangestellten, Be*

amten, Uniform irten, nicht nur von A rbeitern, an jeder Ecke zu hören. W üßten die Regirer, aus welchen Kreisen und

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156 Die Zukunft

Beamtengruppen den Strikenden H elferkraft und G eld zu»

rann, bei ihrer G ottähnlichkeit w ürde ihnen bang. Sie ver­

gaßen, daß H andlung, die von einem W ilhelm , Ludendorff, Jagow erwartet wurde, also nicht schmerzhaft überraschte, einem Ebert, Bauer, Richter von der M enge nie verziehen wird. D ie fühlt sich von ihren eigenen Geschöpfen verrathen, um den Ertrag ihrer der Staatsum ordnung gebrachten Opfer geprellt; sagt sich, daß keine Kaiserliche Regirung je, gegen Bebels, auch nur Haases M annschaft, sich in so plum p fuch*

telnden H ochm uth erdreistet hat oder hätte; und fragt, ob sie noch länger die M acht D erer stützen dürfe, die den kleinen M ann roher bütteln als irgendein Breitstreifiger aus dem „fluchwürdigen Regime“. In mancherlei Erlebniß hat sich die Volksmasse gewöhnt. D och ein alter Gewerkschafter und M undrevolutionär, der die aus A rbeitergroschen ge»

sammelten Strikegelder einer Gewerkschaft von der Polizei, noch vor A usstandsbeginn, wegnehmen und die Rufer zum Strike, seine Genossen, in den Käfig sperren läßt: darauf war sie nicht gefaßt. Im G rundgebälk der R epublik schwelt ein Zündstofflager. W achen die W ächter? D er Putsch Lütt*

witzens und Kapps mißlang, weil ein paar Generale die W iederkunft des Tyrannen Ludendorff nicht wollten; nur * deshalb. O b ein klüger bereiteter, dieser Klippe nicht naher Versuch der Remonarchisirung, auch jetzt noch, m ißlänge?

D ie erste Februarwoche hat der M onarchie, die Arbeiter»

morde, Standgerichte in der H eim ath, das Sechsmarkei und den Steuerabzug nicht kannte, in helleren Abglanz geholfen als seit 1888 ein Vorgang. D ie H eerde entläuft den Partei*

hirten, der G ew erkschafthürde; w ohin? N euen Geistes Ton hätte sie, noch in Irrwahnsnacht, die neue Z eit lieben, in*

brünstig vertheidigen gelehrt. W ozu stützen, was fallen m uß?

Die Republik ist in Gefahr.

W a s w ir d w e r d e n ?

„D ie Frage .R epublik‘oder M onarchie4? darf in dieser Zeit schwerster vaterländischer N o th überhaupt keine Rolle spielen. Ich habe stets auf dem Standpunkt gestanden, daß der M onarch des Volkes wegen da ist un d nicht das Volk des M onarchen wegen. N ach dem furchtbaren Zusammen«

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Lüge in Schneeweiß 157

bruch im Jahr 1918 hat sich die vom deutschen Volke ge*

wählte N ationalversam mlung durch M ehrheitbeschluß zur republikanischen Staatsform bekannt. Jede Staatsform kann heute einem Volk nur zum Segen gereichen, wenn sie sich auf eine von der M ehrheit dieses Volkes gebilligte und damit fest verankerte Verfassung stützt. D aß die Leiden und P rü­

fungen, die ein V olk ertragen kann, eine Grenze haben, diese Erkenntniß hat Manchem w ährenddes Krieges, leider, gefehlt.

Sonst hätten die leitenden Staatsmänner auf einen rechtzeitig gen Frieden hinarbeiten müssen. N och im Sommer 1917 bot sich meines Erachtens die M öglichkeit für D eutschland, leid»

lieh aus dem Krieg herauszukommen. N ach dem Fehlschlagen des militärischen Versuches 1918 w urde die Lage allerdings bitter ernst, da jetzt ein schneller Friede herbeigeführt werden mußte. N ich t irgendeine Einzelerscheinung, sondern die Summe Vieler Fehler in V erbindung mit der das deutsche Volk immer mehr zerm ürbenden H ungerblockade u n d unsere operativ äußerst schwierig gewordene Lage führte die Kata»

strophe herbei/* D as sind Sätze aus einem im O ktober 21 geschriebenen, im Januar 22 gedruckten Briefe des Mannes, der K ronprinz von Preußen und des D eutschen Reiches war.

Auch dieses M annes Stimme bestätigt nun also, daß die M är,

„dicht vor dem Endsieg habe ein D olchstoß der H eim ath in den Rücken des Heeres die Niederlage herbeigeführt“, zu den hunderttausend G espinnsten schamloser Verlogenheit zu zählen ist. W er nicht blind un d taub sein wollte, hat dieser Lüge nie geglaubt. U n d wider sie hatte, acht Tage vor der Veröffentlichung des wieringer Briefes, eine in der „D eutschen Allgemeinen Z eitung“ veröffentlichte Erklärung des General*

m ajorsH eye gezeugt. D er hat auf Befehl der O bersten Heeres»

leitung am neunten N ovem ber 18 in Spa je fünf ältere Front*

Offiziere aus jeder der zehn deutschen N ordarm een nach der Stimmung ihrer T ruppen gefragt; und als Ergebniß des Ver»

hörs dem Kaiser (der, jeder Zoll W ilhelm , gefragt hatte, ob das H eer auch ohne ihn, nur unter Führung der Generale, ge*

ordnet nach H aus marschiren“ w erde: also schon an Desertion dachte) gemeldet: „D ie Armee marschirt auch unter den Ge*

neralen allein geordnet nach H aus; sie ist noch fest in der H and der Führer. Aber wenn Euer M ajestät mit ihr marschiren,

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158 Die Zukunft

so ist ihr D as recht und eine Freude. N u r kämpfen will die Armee jetzt nicht mehr, weder nach außen noch nach innen.“

N ach diesem unerschütterlichen Zeugniß war das deutsche H eer am neunten N ovem berm ittag „noch fest in der H and der Führer“. N ach dem traurigen W älzer, der, gerade weil er alle Schuld auf A ndere abzu wälzen sucht, der Sarg luden«

dorffischen Ruhmes wurde, hatten schon im A ugust „die Offiziere an vielen Stellen keinen Einfluß mehr und ließen sich m itreißen’1; war der Zustand der Front „auf die Zucht»

losigkeit der Leute und auf den G eist zurückzuführen, den unsere Soldaten m itbrachten“; wird jeder Fehlschlag aus „dem schlechten Einfluß derH eim athauf dieM annszucht“erklärt. So sahens die Kriegs Verlierer; und glaubten sich drum berechtigt, dieser elenden Heim ath, der Allzerstörerin, jede erdenkliche Lüge einzulöffeln. Am zwanzigsten September klebten sie an damals fast noch saubere M auern die V erkündung, wie in Ost, so werde auch in W est sicherer Sieg erkämpft; hingen neun Tage danach an dem Fernsprecherdraht u nd erflehten schleu­

nigstes Friedensangebot, das nur in K apitulation m ünden konnte; fackelten am dritten O ktober dann wieder m it dem

„festgefügten deutschen H eer, das siegreich alle Angriffe ab*

w ehrt“ ; und erkühnten sich, um, allerhöchst gerissen, nicht etwa für die K apitulation verantwortlich zu scheinen, am Vier*

undzwanzigsten gar in den Satz: „W enn die Feinde erken­

nen werden, daß die deutsche Front mit allen O pfern nicht zu durchbrechen ist, so werden sie zu einem Frieden bereit sein, der Deutschlands Z ukunft gerade für die breiten Schichten des deutschen Volkes sichett.“ Diese (nur allzu „doofen“) Versuche, den K opf aus der Schlinge zu ziehen, sind am Ende begreiflicher und, wo dieser K opf zuvor was geleistet hat, verzeihlicher als das Geklecker des O perettenpropheten Rathenau, der im Juli, als kein unbefangen Vorausblicken«

der an Sieg auch nur noch zu denken wagte, in die Zeitung setzt, nächstens werde Frankreich, „m it einer Exilregirung in San Sebastian oder in Portsm outh, sich eine Okkupation»

Verwaltung nach belgischem M uster gefallen lassen oder eine provisorische Regirung beauftragen, den deutschen Frieden zu unterzeichnen, und über Britanien sich tiefe Verzweiflung senken“ . W as aber, wenn die geknickten berliner Regirer

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Lüge in Schneeweiß 1 5 9

diesen Ueberpatterjohten, in wirklich reiner Thorheit, ernst genommen un d zu levee en masse aufgerufen hätten, ge­

schehen wäre, lehrt, eindringlicher noch als andere U rkunde, ein kleines Buch, das der englische Captain W right, Sekretär und Dolmetsch im Obersten Kriegsrath der W estmächte, unter dem Titel „W ie es wirklich war“, veröffentlicht hat. Foch, schreibt er, „überschüttete die deutschen Soldaten m it Lob, nannte sie bewundernswerth, sprach auch über die deutsche O rganisation m it uneingeschränkter A nerkennung; hatte aber für die ,Strategie d ’outre«Rhin‘ stets nur H oh n und Spott.

Er nannte sie Büffel»Strategie, sagte jedesmal richtig voraus, was Ludendorff thun werde, und hatte auch im M ärz dessen Plan errathen. D er Büffel rannte in die Falle. W äre der W affenstillstand nicht gekommen, so hätten drei französische Heere unter Castelnaus Führung das Rheinthal überschwemmt, einen Keil zwischen D eutschland und die von den Keulen*

Schlägen an der Maas tief erschöpften deutschen T ruppen ge­

trieben: un d Sedan wäre gerächt w orden.“ Ein V orw ort des Generals Hoffmann beglaubigt diese D arstellung. D er jüngere W ilhelm von Hohenzollern behauptet jetzt, er habe schon seit der ersten Marneschlacht, im September 14, das Spiel für verloren gehalten und deshalb immer frühen Friedensschluß empfohlen. D aß ers glaubt, will ich nicht anzweifeln. D och den Einsamen trügt das G edächtniß. W ar in ihm Etwas be«

ständig, so nur sein Schwanken zwischen trom petender Sieges«

gewißheit und vagem, dünn aus der Furcht vor dem Sturz der D ynastie aufgeblühten Pazifismus. D em in der Allure allzu lange Junglieutenant Gebliebenen wärs durch U rkunden zu beweisen. H eute stachelig aufpeitschende Depeschen an den zu schlappen Kanzler, telegraphische Begrüßung des Staats«

sekretärs Zimmermann als des ersten vernünftigen Menschen an der Spitze des Auswärtigen Amtes; morgen, am Kneip»

tisch von Stenay: „N a, un d wer von Euch komm t schließ«

lieh mit nach Sankt»Helena?“ Er vergißt, wie oft der Einfluß der H erren von O ldenburg, M altzahn und Genossen alle Hemmungen aus seinem H irn spülte; vergißt, daß er, manch«

mal bis inG e witterszenen, Konservative und Alldeutsche gegen

„Papa“, der sie schlichtwegHochverräther schalt, vertheidigte und das Fähnlein Derer, die den armsäligen Bethmann stürz«

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160 Die Zukunft

ten, führte, weil dieser Schächer ihm zu friedselig schien. Einst»

weilen mags hingehen. In den Jahren der Einsamkeit, sagt er, „habe ich G eduld gelernt und weiß jetzt Alles, Ereignisse.

Menschen und D inge, objektiver zu betrachten.“ Er weiß, daß viele Fehler, der Strategie und der Psychologie, den Zu*

sammenbruch unvermeidlich m achten; daß dem kämpfenden und dem m it täglich erneutem W illensaufwand dasW ehrgeräth schaffenden Volk allzu viel Pein aufgebürdet w u rde; und daß die N ation, spätestens doch wohl in dieser Leidenszeit, das Recht erworben hat, die Form des Staates, der ihr Heim , das M ittel zum Zweck schöpferischen Behagens sein soll, selbst, in freier, auch von Tradition freier W ah l, zu bestimmen.

Papa läß t durch die berliner Verlagsfirma Heinrich Schroeder eine Photographie verschleißen, unter die er seinen Namensschnörkel mit angehängtem I.R . und das Lebkuchen*

reimchen gesetzt hat: „D eutschlands Schuld am Kriege ist eine freche Lüge.“ D aß er den Rock des Heeres, das er in der N o th desertirte, zu tragen und, trotz der vollzogenen, von dem in anderen H eroldsdienst erzogenen G rafen Brock*

dorff nach Berlin getragenen A bdankung, sich, wider Recht und besseres W issen, Im perator und Rex zu nennen wagt, wird von der „republikanischen“ Rathenauregirung, die ju st im H aag sich von einem der allerslrammsten M onarchisten und Kaisergünstlinge, dem geschickten G esandten Lucius, vertreten läßt, nicht mit einer Silbe, versteht sich, gerügt. U n d gegen das Reimsätzchen, das manchen aufrecht Deutschen, nicht nur H errn Poincare, in Z orn gehitzt hat, ist eigentlich nichts zu sagen. D er H err, der nie orthographisch noch gar orthogram»

matisch denken lernt, wollte ausdrücken.die Behauptungdeut*

scher Schuld sei Lüge; von Zufalls G nade aber ward er, einmal, bis an den Rand der W ahrheit gestoßen. D ieser: D es deut*

sehen Volkes einzige Schuld am Krieg ist die blinde Be»

reitschaft, der von H o f und Regirung (für den Fall, daß es

„schließlich doch schief gehe“) ausgeheckten frechen Lüge, sein Reich sei von Verschwörertücke überfallen, der Krieg ihm aufgezwungen w orden und A bw ehr feindlichen „Ver*

nichtungwillens“ deshalb drängende, nicht eine Sekunde lang zu erörternde Pflicht. (D ieser frechen Lüge dient, bew ußt oder unbew ußt, Jeder, der, statt sich in den längst geführ*

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Lüge in Schneeweiß 161

ten Beweis zu schränken, daß im Sommer 1914 keine fremde Macht, groß oder klein, den Krieg gewollt, jede, weil keine zu Ueberfall gerüstet war, alles zu V ermeidung des Aus«

bruches Erdenkliche gethan hat, sich in die für alle Praxis unserer Politik heute belanglose Prüfung verleiten läßt, obs nicht, seit Tanger, A gadir, Konstantinopel, auch anderswo nach Krieg lüsterne M achtgruppen gab, un d in die neue Lüge, in dem Versailler Vertrag stehe über die „Schuldfrage“ An*

deres als: D a Deutschland un d seine Verbündeten den Haupt«

machten den Krieg erklärt und den Angriff begonnen haben, sind sie, nach der Niederlage, für Verlust und Schaden haft*

bar.) Papa W illy hat in die Enge eines A cht wörtersätzchens un*

verjährbare W ahrheit gefügt: der G laube an die freche Lüge von U eberfall war D eutschlands Schuld; spottet seiner selbst und w eiß nicht, wie. D er Sohn ist in wichtigen W esenstheilen doch aus'anderem Holz. Dieser W ilhelm hätte nicht, wie Papa (der,eheA rtikeI227desFriedensvertrages„revidirt“,auföffent*

liehe A burtheilung des Kaisers verzichtet war, kaum zu wispern noch etwa, mit voller Hose, die Sieger derLüge zu zeihen wagte), die ganze liebe Familie zu einem Sturm von Gnadengesuchen bestimmt, auch nicht m it Telegrammen über eine Erkran*

kung das M itleid der W elt zu wecken versucht. D as Pech, dann dasU nglück und ein Bischen auch die eigene Schuld dieses Kronprinzen war, daß die W elt von ihm ein völlig falsches Bild hatte u nd noch hat. Er gilt für idiotisch dumm : un d ist über den D urchschnitt intelligent; für entartet: und ist kern*

gesund; für häß lich : und ist, was kleine M ädchen einen hüb*

sehen M ann nennen; für brutal; und ist eher weich, deshalb oft laut; für eine M iniaturausgabe des Vaters: und hat seinen Drang, anders zu scheinen, immer fast zu grell illum inirt.

Kronprinz sein, ist nicht leicht; wers lange sein m uß un d sich nicht nur amusiren will, hat, im Schatten des Thrones, ein freudlos heikles Leben und m uß taktfest bleiben. Jeder Andere, des M illiardärs un d des Bettlers Sohn, kann sich, wenn er stark und fleißig ist, selbst sein Schicksal schmieden.

D er K ronprinz m uß still sitzen, bis zwei A ugen geschlossen sind, denen Sohnesliebe noch lange Sehkraft wünschen müßte. Er darf auch nicht ungeduldig scheinen, nicht, wie zwei Fritze, der Parteiung oder des Hanges in Wider*

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162 Die Z ukunft

spruch verdächtig werden. D er König ist ihm allmäch«

tiger G o tt: denn er weist ihm den A ufenthaltsort an, die enge oder weite Pflichtensphäre, das Einkommen, meistens auch die Braut. W eh dem Thronfolger, wenn er laut zu murren wagte, weil er U nwiederbringliches entgleiten und die Krone, die er einst zu tragen hofft, gefährdet sieht i W ilhelm hat laut gem urrt; und hatte deshalb am Kaiserhof nur in der frommen M utter eine Stütze. Sein W iderspruch, der öfter fühlbar als hörbar wurde, war in allem Politischen zu lange knabenhaft unbedacht. M it einem Schein von Recht w ird ihm noch jetzt drum nachgesagt, er habe den Krieg gewollt. D as W o rt vom „frischen, fröhlichen Krieg“, das die Franzosen ihm zuschrieben, ist ungefähr drei Viertel«

jahrhunderte alt und stammt von H einrich Leo, einem deut»

sehen Professor und Feinde des „skrophulosen G esindels“ . D aß aber ein junger Reiteroffizier manchmal sich in das Erlebniß des Krieges sehnte, ist begreiflich. N iem and konnte ahnen, wie unritterlich, wie tückisch ein m oderner Industrie«

und Material» Krieg ist, der Kavallerist nicht, daß solcher Krieg ihm kaum noch beträchtliche A ufgaben stellt. U nd wer ein Stehendes H eer haben will, darf nicht schelten, wenn in dessen Cadres der W unsch lebt, nicht immer nur for show un d in H erbstm anövern zu fechten. A uch der Schauspieler w ürde sich nicht mit G eneralproben begnügen.

W ilhelm ist in der plöner Kadettenanstalt und in der Potsdamer G arde erzogen, nie in Staatsverwaltung und Politik gründlich eingeweiht, stets nurgedrillt worden, sich als „Ersten Offizier Seiner M ajestät“ zu fühlen. Er war beliebt. W o er auf deutschem Boden sich sehen ließ, umlärmte ihn der Ju b el des regirbarsten aller Völker. W eil er schlank war, kein Loth Fett auf dem langen Rum pf hatte, gut zu Pferd saß, eine charmante Frau u n d hübsche Kinder zeigte, noch nie einen M enschen oder eine Gesellschaftklasse öffentlich kränkte, für m uthig gehalten wurde un d auch sonst „anders als Papa“ war. Er schien sorgenlos glücklich. H undert H ände m ühen sich überall ja, die Carosserie eines T hron­

folgerschicksals zu polstern. A u f weichen Radreifen sausts von W onne zu W'onne. W er sich dam it begnügt, sieht an seinem Himmel kein W ölkchen. W ilhelm ritt, saß im A uto

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Lüge in Schneeweiß 163

oder im Luftschiff, exerzirte sein Husarenregim ent (das er und das ihn ernstlich lieb hatte), freute sich wie ein Fähn*

rieh an Sport, Spiel, Flirt, scheute kein tollkühnes Leibes*

wagniß und war (oder schien) immer „fit“. Seine große Fassion war die Birsch. In allen deutschen W aidbezirken, in Schottland, Italien, Britisch»Indien ist er auf die Birsch>

die Einzeljagd gegangen und in dem „Jagdtagebuch“, das er vor zehn Jahren veröffentlichte, hat er davon erzählt.

D ie Treibjagd liebte er nicht; entzog sich ihr, so oft ers durfte, un d spräche wohl noch härter über ihr W esen, wenn sie nicht ein Lieblingvergnügen seines Vaters wäre. In Eckartsau drei D utzend Hirsche, in D onaueschingen eine Fuchsbrigade; im Lauf eines Jagdtages. Seit der Unheilszeit Ludwig des Sechzehnten hat kein Regirender so viele Thiere zur Strecke gebracht. W er sich das W ild in Rudeln vor die Büchse*, die Standgabel hetzen läß t und allen Komfort eines üppigen H ofes in den W ald mitnimmt, braucht weder Aus*

dauer noch überlegene List. „Schießübung“ : sagt der Krön*

prinz. D er von 1739, der preußische Fritz, hat aber auch die Birsch verdammt. („M an verfolgt mit wildem Eifer ein Thier und hat eine grausame Freude daran, es zu töten.“) D er junge Fritz will dem Vater unähnlich scheinen. D er junge W ilhelm ? Schlicht, schmucklos, bescheiden: solche W o rte scheint seine Feder zu streicheln; er citirt Faust un d räth, fast mit Goethes, fast mit Bismarcks W orten, die W elten bewegende, W elten beseelende M acht nach freiem Belieben zu taufen. D as ver*

dient Anerkennung. W o A ndacht geweckt, das G efühl in W irbel gerissen werden soll, ist, hier und da, dem Leser, als hörte er das Gesumm und Gesaus aus einer Muschel*

w ölbung; als müsse er das O h r reiben, dam it ihm die Wort*

schälle nicht dum pf vorüberrauschen. W eile, sprach Flaubert zu M aupassant, so lange vor einem Baum, einer W iese oder H ütte, bis D u sie sehen lernst, wie nur D ein A uge sie sehen kann; auch Dein A usdruck wird dann persönlich werden. D er des Kronprinzen riecht manchmal nach dem Gemeinplatz, auf dem er wuchs. Manchmal. W as sich tief eingedrückt hat, form t sich zu kräftigem A usdruck. M ittag im indischen Jungle: „Grelle, weiße Sonne, H underte brauner Kerle, ein scharfer, fremder Geruch, wie man ihn nur dort findet, so ein

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164 Die Z ukunft

Duftgemisch von K noblauch, Sandelholz un d H olzkohle.“

Schon dieses hübsche, gerade gewachsene Buch, vornehm, weils nicht m ehr vortäuschen will, als es zu bieten hat, m üßte jeden U nbefangenen lehren, daß der Verfasser weder Cretin noch Barbar, sondern ein gut begabter M ensch mit hellem Auge, frischem Sinn und liebenswürdigem W esenston ist. Jagd und Pferde, Frauenreiz un d Theater: mehr schien er nicht zu brauchen. Dem Volksempfinden war er fern. D aß er einmal hundert Proletarierkinder für die Ferien nach Langfuhr, wo er Regimentskom mandeur war, einlud, war ein freundlicher Einfall; doch nicht mehr. In das Alltagsleben, das mit der Grausam keit ungebändigter N atu r die Brauchbarsten ausliest, tönte nur die A uto»H uppe der voibeisausenden Kaiserlichen und Königlichen H oheit hinein, die schon in Staubgewölk ver*

sch w unden war, als um entblößte H äup ter noch Jubelrufe schallten. Jubel, der noch durchaus unverdient war, der nur eine H offnung g rüßte; der aber, m it solchem D auergedröhn, nur im Innersten ganz Starken ungefährlich ist.

Z u diesen Stärksten durfte man den Kronprinzen nie«

mals zählen. D och ihn auch nicht aus dem A uge von Rae«

maekers und anderen Karikaturisten sehen. D ie nützen das kleine, verkümmert scheinende Kinn zur Zeichnung eines Idioten: und der belustigte Betrachter vergißt,daß dieses Kinn auch Friedrich der G roße, das einzige G enie desH ohenzollern- hauses, hatte, dem der junge K ronprinz äußerlich, leider nur äußerlich, auch sonst ähnelte. D ie machten einen närrischen Gecken aus ihm, weil er die M ütze schief trug, den Taille*

gurt eng schnürte, auch in der U niform das W esen des Sports*

man zu Schau trug. W arum that ers? W eil er sich von dem ewig feierlichen Pom p, der theaterhaften K orrektheit des Va*

ters unterscheiden wollte. D er verachtete den Reitsport, schalt den großen Bonaparte einen Parvenü, hatte für alle moderne Kunst (die er gar nicht kannte) nur grobe Schmährede, gab sich für den H o rt des Fliedens aus. D er Sohn hätte am Lieb­

sten jedes gefährliche Rennen mitgeritten, sammelte Napoleon*

Bilder, sah sich die verwegensten D ram en un d Gemälde an, besuchte den Theaterdirektor R einhardt oft in dessen W oh n­

ung, belauschte diesen Regiemeister auf vielen Proben und pries den „Segen des Krieges“ . W eil er dum pf wohl ahnte,

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Lüge in Schneeweiß 1 6 5

wie schlecht und gefährlich die in Berlin getriebene dekora*

tive Politik, die immer wiederkehrende Folge von schriller H erausforderung und furchtsamem Rückzug sei, aber in den Irrthum verleitet wurde, nicht die H erausforderung, sondern der Rückzug sei zu verdammen. Im Krieg erst hat er den Krieg hassen gelernt. D er Vater, der ihn nie gern in der Sonne sah, m ußte ihm, widerwillig, die Führung einer Armee an*

vertrauen. A nderen Thronfolgern wird in solchem Fall, um ihnen Lorber zu sichern, der fähigste Generalstabschef aus*

gesucht. Diesem wurde der Altadelige gesellt, der den blutigen Fehlschlag von V erdun mit verschuldete. M it militärischen Er*

folgen, an denen im Voraus nicht zu zweifeln war, sollte der Name des Kronprinzen im V olksbew ußtsein nicht verbunden werden. D er jüngere W ilhelm hielt sich niemals für einen Feldherrn, fügte sich bescheiden dem W illen Sachverständi*

ger, zeigte stolz einen Brief, in dem G eneral Ludendorff ihn gelobt hatte,sorgte auf seineW eise für die Soldaten (nur, leider, auch durch reichliche Z ufuhr von A lk o h o l), seufzte laut, weil sein Rath nie gehört, fast jeder W unsch ihm im G roßen H auptquartier abgelehnt wurde, und tröstete sich mit allerlei M ännchensvergnügung, die auch allzu laut, viel zu sichtbar wurde. D er Bewunderer unseres stärksten Szenenkünstlers lernte niemals den W erth der Lebensregie erkennen, die ge*

rade an H öfen doch unentbehrlich ist. D ie schiefeM ütze und das G eschlender hat ihm mehr geschadet als manche Ent«

gleisung in Brüllpolitk. U n d daß er in der Galanterie nicht immer den richtigen T akt hielt, Stunden lang, mitten im Krieg, einer O perettenprobe zusah, die Cigarettenstummel auf den Fußboden warf, w urde ihm (am M eisten, natürlich, von der G roßm acht der H ausm ütter) arg verdacht. Als Kapitalver*

brechen dürfte der Strengste selbst solchen Fehl nicht buchen.

Ein von N atu r schüchterner M ensch, der in die Pose altpreußischer „Schneidigkeit“ gedrängt wurde. Im Kern des W esens anständig, Gentleman, von Lüge, Heuchelei, Prahl«

sucht abgeneigt, physisch tapfer, sehnsüchtig, G utes zu stiften;

aber schlecht erzogen, schlecht umgeben, leicht bestimmbar und ohne V orstellung vom D enken und W ollen der Volks*

masse. Zeigte es ihm Einer, wie es ist, so war er hitzig be*

reit, zu helfen* zu bessern; aber seelisch nicht stark genug,

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wähnen ist noch, daß Herr Sasonow das Geträtsch, er habe die „Briefe Iswolskijs* für echt erklärt und über sie und ihnen Verwandtes je zu Journalisten

Dadurch, die englische Regirung darf es nicht hehlen, würde Britaniens G efühl für Frankreich, gew iß auch Frankreichs für Britanien, arg

Ju st vor einem Jah r war er M inisterpräsident geworden, weil H err Poincare nicht in einem K abinet Peret (das wieder n u r, wie zuvor das des H errn Leygues,

heit tiösten, daß der Ruf eines redlichen M annes nicht durch den U nfug seiner Frau zu zerstören sei. Sie hat sich nicht geändeit, nicht im Allergeringsten. Ich

klärte Iffland sehr nachdrücklich: ,,In dem Handel mit Manuskripten muß die Handelsunbefangenheit mehr als irgendwo S tatt finden.“ E r fühlte sich verantwortlich

lässigen H altung der deutschen Sozialisten, möglich war, einen zu solcher Arbeit brauchbaren Boden zu finden, und meine Freunde in England mögen die Bedenken

Er forderte ihn auf, sein Bündniß buchsstäblich zu erfüllen, und da der Feind sich zu einem Einfall in seine Staaten rüstete, so drängte er Ludwig den Fünfzehnt.en, ihm die für

Wenn derVersuch mißlingt(wassehrmöglichist), kannFrankreich die Rolle, die es ersehnt, übernehmen.« Delcass6, derimWan- delgang des Abgeordnetenhauses über den coup de thdälre