DIE NATURWISSENSCHAFTEN
Zw ö lfter Jahrgang. A pril 1924.
Theorie der Meristembildung.
Von F rie d l Weber, Graz.
Der Organismus der höheren Pflanze ist aus
gezeichnet durch den dauernden Besitz embryo
naler Gewebe; manche von ihnen sind ständig in T ä t ig k e it und gestalten so das Individuum zu einem nie ausgewachsenen, offenen System. Am Scheitel jedes Sprosses, an der Spitze jeder Wurzel befinden sieh solche embryonale H erde;
im Stamm sind Zellzüge in zwei Hohlzylindern angeordnet, die im Querschnitt als Verdickungs
ring und Korkkambiumring erscheinen; ihre Funk
tion besteht darin, fo r tw ä h r e n d neue Zellen zu bilden.- A lle diese Gewebe, deren Elemente immer wieder in Teilu ng angetroffen werden, bezeichnet die Pflanzenanatomie als Teilungs
gewebe oder Meristeme.
D ie Tä tigk eit solcher meristematiseher Zonen birgt vor allem dasi bisher w enig beachtete eine Rätsel in sich: Warum hören diese „Bildungs
gewebe“ nie auf, neue Gewebe zu bilden, warum verlassen sie selbst nie den embryonalen Zustand?
Das ist die eine Seite des Problems, die an
dere liegt noch offener zutage. Im Aufbau der Pflanze und seinen Veränderungen kommt es nicht selten vor, daß typische Meristeme sekun
där entstehen, sich neubilden aus bereits vö llig differenziertem Dauergewebe. Im normalen E n t
wicklungsverlaufe entsteht ein solches F o lge
meristem z. B. bei der Bildung des oben genann
ten Korkkambiums; im abnormen Entwicklungs
geschehen w ird Meristemneubildung ausgelöst bei Verletzungen, wo es zur Erzeugung von Wundkork kommt, oder bei regenerativen P ro zessen1). Auch das Problem der Ä tiologie der Tumoren, überhaupt alle Fälle der Erregung von Zellteilungen und des durch. Zellproliferation be
dingten Wachstums sind dem hier sich auf rollen
den Fragenkomplex zuzurechnen. A lle diese E r
scheinungen kausal befriedigend zu erklären, ist bisher nicht gelungen.
Pearsall und Priestley (1928) haben in einer jüngst erschienenen A rbeit eine für obige F ra gen bedeutsame Hypothese entwickelt; bevor wir darauf eingehen, ist zunächst über bisherige E r
klärungsversuche zu berichten.
Der kausalen Erklärung am ehesten zugäng
lich schien von jeher das Phänomen der Wund- korTcbildung zu sein. Wiesner (1892) dürfte der
*) W ie bei dem o ft erwähnten F alle des abge
schnittenen Begoniablattes, wo aus vollkommen aus
gebildeten Epiderm iszellen durch „Furchungsteilung ein embryonaler Herd sich entw ickelt oder bei dem analogen F alle der B lattstecklinge von Forenia asiatica ( W in h le r 1903, Ber. D. botan. Ges. 21).
erste .gewesen sein, der klar die Frage aufw arf:
„W elche Umstände bewirken die Umwandlung der Vegetationszellen in Vermehrungszellen?“
„Durchschneidet man ein Organ, so sieht man nach einiger Zeit die angeschnittenen Zellen ver
schwinden, noch bevor die Neubildung begonnen h a t . . . Es tritt eine Resorption der verletzten Zellen ein, und es kann keinem Zw eifel unter
liegen, daß die Produkte dieser Zellen in den Stoffwechsel der überlebenden Gewebe ein- treten . . . Diese Tatsache erweckt den Gedan
ken, die aus den verletzten Zellen hervorgehen
den, in die benachbarten überlebenden Gewebe übertretenden S to ffe als die Ursache der Um wandlung der Dauerzellen in die Folgemeristem
zellen zu betrachten.“ Erst nach fast 30 Jahren ist es Haberlandt geglückt, dafür den experimen
tellen Nachweis zu erbringen.
Haberlandt (1922) gin g bei seinen E xperi
menten von folgender Voraussetzung aus: „W enn auf Wundflächen gewisse Zersetzungsprodukte der getöteten und verletzten Zellen alsi teilungs- auslösende „W undhorm one“ fungieren, so muß es gelingen, durch ausgiebiges Abspülen frisch herigestellter Schnittflächen die Plasmareste der verletzten Zellen mehr oder minder vollständig zu entfernen und so durch Einschränkung oder Verhinderung der Hormonbildung die Z elltei
lungen unter der Wundfläche der Zahl nach zu verringern.“ Versuche mit Scheiben von K o h l
rabiknollen haben diese Annahme bestätigt.
„U nter den abgespülten Wundflächen traten die Zellteilungen bedeutend spärlicher auf als unter den nicht abgespülten. Wurden aber die abgespül
ten Wundflächen mit einer dünnen Schicht von Gewebebrei überzogen, so fanden darunter meist ebenso zahlreiche, zuweilen sogar noch reich
lichere Zellteilungen statt als unter den nicht abgespülten Flächen.“
Haberlandts Lehre von den Wundhormonen als Erreger von Zellteilungen hat besonders des
halb ziemlich allgemein Anerkennung gefunden, w eil sie es ermöglicht, ganz heterogene F älle von Entwicklungsanregung von einem gemeinsamen Gesichtspunkte aus kausalem Verständnis zuzu
führen. Haberlandt selbst (1921/22) hat B ei
spiele für die Reichweite seiner Hypothese zu
sammengestellt. E r w ill außer der Wundkork
bildung als Wund- bzw. Nekrohormonwirkung u. a. verstanden wissen; künstliche und natür
liche Parthenogenese, Nucellarembryonie, ja, die normale Befruchtung selbst, und glaubt, daß auch
N w . 1924 39
290 W e b e r : Theorie der M eristem bildung.
das Problem der Geschwulstbildung und der Gallenbildung durch seine Theorie gefördert werden wird. A u f ein anderes mögliches W irk samkeitsfeld der Wundhormone hat Weber { 1922) hingewiesen; er nimmt an, die Abkürzung der Ruheperiode der Winterknospen beruhe darauf, daß durch viele der m annigfaltigen Frü htreib
methoden, w ie Anstechen, Quetschen, Warmbad, chemische Bäder, Röntgenbestrahlung usw., innerhalb der Knospen (physiologische) Wunden entstehen und so auf dem W ege der daraufhin erfolgenden Wundhormonbildung die Entw ick
lung angeregt werde2). Auch das enorme Wachs
tum pflanzlicher „C r oiwn - ga 11“ - Tu m o r e n nach In-1 feiktion m it Bacterium tumefaciens läßt sich v ie l
leicht als Nekrohormonwirkung verstehen, da S m ith (1922, Journ. Cancer Res. 7) auf die M ög
lichkeit hinweist, „that the 'bacteria act only after they are dead“ . Selbst Tierphysiologen und Chi
rurgen stehen der Lehre von den Wundhormonen vielfach sympathisch gegenüber, doch warnt B ier
(1923), dem neuen Prinzip allzu weite Berechti
gung zuzuschreiben, und ebenso weist Weber (1924) darauf hin, daß die Wachstumsanregung nicht aller Frühtreibmethoden in diesem Sinne verstanden werden kann.
Manche Autoren lehnen die B eteiligu ng der Wundhormone bei Entwidklungsanregung und Auslösung von Zellteilu ng und Restitution über
haupt mehr oder weniger schroff ab. H ie r wäre vor allem Alex. Gurwitsch (1923) zu nennen. In seiner das „kapitale Problem spezifischer biolo
gischer Strahlungen zum erstenmal berührenden A rb eit“ sucht er den Nachweis zu erbringen, daß Induktion von Mitosen durch die Ausstrah
lung eines Teilungsfaktors möglich ist. Es würde z. B. von der Spitze einer Zwiebelwurzel ein Strahlenbündel ausgehen, das dort, wo es auf einen anderen, in unmittelbarer Nähe heran
gebrachten Wurzelkörper t r ifft , Mitosen indu
ziert. Tatsächlich ist der Versuch, Mitosen in einer Wurzelzone durch Ausstrahlung von einer anderen Wurzelspitze aus zu induzieren, im posi
tiven Sinne ausgefallen. D ie induzierende Spitze war der zu induzier enden W urzel auf 1,5 bis 2 mm genähert. D ie Versuchsreihen haben überzeugenden Charakter; doch ist das Ergebnis so absolut neuartig, daß es sich in den Rahmein unserer bisherigen Erlkenntnis heute noch kaum einfügen läßt. Auch bliebe ja weiter zu erklären, warum einzelne Zellen auf diesen „oseillatori- schen“ Teilungsreiz ansprechen, andere aber nicht.
Voß (1923) sieht in der Tatsache, daß sich die E ier des Frosches (Rana fusca) nicht nur durch Einstich (traumatische Parthenogenese B a taillon s), sondern ebenso ohne irgendeine V e r
letzung lediglich durch mechanische Einwirkung 2) R ic h te r (1922, Ber. D. botan. Ges. 40) hat sich auf Grund eigener Friihtreibversuche dieser Ansicht angeschlossen.
(Schläge) zur Entwicklung (anregen lassen, einen Beweis gegen die Häberlandtsohe Auffassung, denn von einem Trauma mit Entstehung von Wundhormonen könne hier nicht die Rede sein.
(V g l. die Diskussion: Haberlandt, Levy, Voß in dieser Frage. Klinische Wochenschrift 1923, 2, 547.)
Zim m erm ann (1923) weist darauf hin, daß bei der Meeresalge Sphacelaria fusca nach V e r
wundung zunächst eine Verzögerung der K ern teilung — ganz entgegen der Haberlandtschen Vorstellung — sich einstellt und meint, eine Stö
rung des Stofftransportes von Zelle zu Zelle löse den Restitutionsprozeß aus. Zu ähnlicher A u f
fassung ist S ch illin g (1923) gekommen. Er expe
rim entierte m it Linum- und Cannabis-Pflanzen.
Stengel derselben wurden m it der Hand um'ge- kniekt, so daß der obere T e il erdwärts herunter- hängt. Darauf reagieren die Pflanzen damit, daß an den Knickstellen starke Verdickungen auftreten, die den Stengeldurchmesser au f das Doppelte anschwellen lassen. Diese Gewebe
wucherungen sind zum T eil hyperplastischer A rt, entstanden durch neu sich einstellende Z elltei
lung; sel/bst verholzte, also hochgradig d ifferen zierte Zellen gehen neue Teilungen ein, nach
dem sie zunächst einen „Entholzungsprozeß“
durchmachen. Welche Faktoren lösen hier die Zellteilung aus? S ch illin g ist der Ansicht, daß Wundhormone keine wesentliche R olle spielen.
Dazu fü hrt er u. a. a n : Bei Flachsstengeln, die geknickt und dann -sofort künstlich wieder in Norm allage zurückgebracht werden, treten nur schwache oder gar keine Wucherungen auf; und doch müssen hier dieselben mechanischen V e r
letzungen erfo lg t und W undstoffe in gleicher W eise gebildet worden sein. Auch konnte S ch il
lin g früher zeigen, daß einfaches Bestreichen oder Überziehen von Stengeln m it P a ra ffin , ohne Zellen zu verletzen, genügt, um sehr lebhaftes Wachstum und Zellteilungen hervorzurufen.
S c h illin g hat sich folgende Vorstellung gebildet:
D ie Verwundung ist von gesteigerter Atmung gefolg-t, die vielleich t auch in abnormer Weise, intramolekular verläu ft und zur Bildung und H äufung von organischen Säuren führt. Gleich
zeitig wird in folge der Stengelknickung der Zu
fluß der Mineralsalze gehemmt, deren basische Bestandteile sonst die freien Säuren binden. Es ließe sich also leicht vorstellen, daß eine durch Korrelationsstörung erfolgende, lediglich quanti
tativ veränderte Bildung eines an sich normalen Stoffwechselproduktes als Wachstums- und T e i
lungsreiz wirken könnte.
Auch auf die mögliche W irksam keit anomaler Nährstoffcm häufung wurde verwiesen. Dagegen vertritt B ie r (1923) folgende Auffassung: „ Z e l
len, Gewebe, Organe fressen nicht, wenn sie nicht fressen wollen.“ Fü r die Ernährung ist genü
gendes Angebot von Nährstoffen nicht aus
reichend; das W ichtigste ist deT Anstoß zum Wachstum, der „n u tritive R eiz“ . Natürlich ist
I" D ie Natur- LWissenschaften
W e b e r: Theorie der Meristembildung. 291
erhöhte Energie- und Nahrungszufuhr ein un
erläßlicher „ Unterhaltungsfaktor“ fü r gestei
gerte Wachstumstätigkeit; nach Untersuchungen von Sim on (1920) über die Beziehungen zwischen Stoffstauung und Neubildungsvorgängen scheint jedoch die Erreichung einer bestimmten Zucker
konzentration direkt als Auslösungsfaktor die ab
norme Zellteilungstätigkeit einzuleiten. Dazu ist aber zu bemerken, daß hier eben der Zucker v ie l
leicht nicht nur als N ä h rstoff wir'kt, sondern gleichzeitig auch als Faktor, der im Sinne von llandowsky (1922, Kolloidzeitsohr. 30) den Zu
stand des Plasmas ändert; auch Giersberg (1922) findet eine stark Protoplasma entquellende W ir kung des Zuckers.
Besonders schwerwiegend ist es, daß auf der Basis der W undhorm ontheorie die im natürlichen Entw icklungsverlaufe der Pflanze erfolgende B il
dung von sekundären Meristemen n icht zu ver
stehen ist.
Eine 'befriedigende Theorie der Entstehung des Phellogens, dem die normale Bildung des Korkmantels mehrjähriger Stämme obliegt, ist bisher überhaupt nicht gegeben. Erst jetzt halben sich Priestley und W offenden (1922) eine durch Experiment und Beobachtung gut gestützte V o r
stellung über die „causal factors in cork forma- tion“ gebildet. Auch die beiden Autoren gehen bei ihren Betrachtungen zunächst aus von der B il
dung des Wundkorkes. Schon K ny, Olufsen, Appel haben beobachtet, w ie an den W und
flächen, z. B. bei angeschnittenen K artoffeln , eine braune lückenlose (Schicht entsteht, indem die obersten, an der -Schnittfläche gelegenen Z el
len „verkorken“ , d. h. in ihre Membran Suberin einlagern. Durch diese fetta rtige Substanz w ird die Oberflächenschicht in hohem Gnade wasser
undurchlässig. W ich tig ist dabei folgendes:
Diese Sutberineinlagerung in die bereits vorhan
denen Zellwände ist bei der K a rto ffe l schon 12 Stunden nach der Verletzung durchgeführt, und erst wesentlich später -stellt sich in Zellagen unter dieser Suberinsohicht die erste Teilung des W undperiderms, also der Beginn der eigentlichen Wundkor'k-Meristembildung, ein. Priestley nimmt nun an: Zwischen dem Abschluß der Schnittfläche nach außen durch die primäre Suberineinlagerung und der darauffolgenden Meristemneubildung in den darunterliegenden Zellschichten besteht ein kausaler Zusammen
hang. „ In every case the essentiel antecedent to meristem formation is the blocking o f the cut surface.“ Was kann zugunsten dieser Ansicht angeführt werden? W ird die primäre Verkor
kung unter Wasser oder auf andere Weise v er
hindert, so unterbleibt auch die Meristembildung und andererseits kann durch tiberziehen der Oberfläche m it P a ra ffin , wodurch man ohne Verkorkung einen Abschluß der Schnittfläche erzielt, Meristembildung ausgelöst werden. Der Verschluß der Oberfläche ist aber nicht der ein
zige kaustale Faktor der Meristembildung; es muß nach Priestley noch ein weiterer hinzukommen:
H eft 16.1 18 4. 1924)
„the accumulation o f sap at the surface thus blocked“ . Erst die Saftanhäufung im Gewebe unter der vor Wasserabgabe geschützten Ober
fläche gibt den Anstoß zum Meristementstehen.
Ist dies richtig, so müßten die Zellteilungen un
terbleiben, wenn eine solche Saftanhäufung ver
hindert ist. Ein derartiger F a ll fin det sich realisiert in Stämmen mit Gefäßbündelscheiden (Endoderm is), deren verkorkte Wände einen Saftdurchtritt aus dem Zentralzylinder heraus unterbinden. A u ffa llen d ist ferner das N ich t
vermögen zur Wundkorktbildung bei den Rinden
zellen an W urzeln; auch ihier ist es naheliegend, anzunehmen, die „endodermal Ibarrier“ verhindere die zur Meristembildung nötige Anhäufung des Saftes. D ie beiden Kausalfaktoren sind nun — und dies ist gerade das W ertvolle dieser Theorie
— Prinzipien, die -sich zur Erklärung heran
ziehen lassen auch der normalen Bildung des Korkmeristems, w ie sie sich im natürlichen Ent- widklungsverlaufe gesetzmäßig einstellt. Im Wurzelkörper entsteht das Phellogen entweder tie f innen innerhalb der Endodermis oder weit außen innerhalb der Exodermis; das ist bei v e r
schiedenen Pflanzen verschieden fü r jede, aber charakteristisch bestimmt. Der erstere F a ll ist nun gerade dann realisiert, wenn die Endodermis durchaus m it Suberinwänden versehen ist und so die D iffu sion des Saftstromes aus dem von ihr umschlossenen Zentralzylinder heraus v e r
sperrt. Der zweite F a ll tritt dann ein, wenn die Endodermis mit sogen. „Durchlaßzellen“ v er
sehen ist, die dem A u stritt des Saftstromes in die Rinde kein H indernis bereiten. Auch die noch viel m annigfaltigeren F ä lle der Phellogenbil- dung im Stamm finden in anscheinend recht un
gezwungener Weise von denselben Gesichtspunk
ten aus ihre Erklärung.
Es fra g t sich nun das: Is t und bleibt diese gut fundierte Theorie eine interne Angelegen
heit eines engumschrieibenen speziellen Kapitels der Pflanzenanatomie oder enthält sie Elemente, die eine weiterreichende G ü ltigkeit verbürgen?
Zunächst ist von Interesse, daß J. Loeb (1923) bei seinen Studien über „RegeneTationserschei- nungen“ an Bryophyllum — also von einem ganz anderen Problem herkommend — über die U r
sachen der Wachstumsanregung zu verwandten Vorstellungen kommt, denen er sogar w ort
gleichen Ausdruck verleih t; die Beschleunigung des Wachstums an den Sproßenden „coincides with a eollection o f sap on the extreme ends of the piece o f sc am“ , die Saftansammlung aber ist „caused by the 'block o f the sap“ an den Enden des Stengelstückes.
Priestley (1923) selbst hat seine Theorie der M eristem bildung auf einer allgemein gültigen Basis aufgebaut: W ie ist die Umwandlung einer starlk vakuolisierten plasmaarmen Dauerzelle in eine nicht oder nur schwach vakuolisierte plasma
reiche Meristemzelle zu verstehen? W ie kommt es, daß dieser eigenartige Meristemzustand in der
292 W e b e r : Theorie der Meristembildung.
Cambiumzone, im Pheilogen dauernd erhalten bleibt, während in unmittelbarer Nachbarschaft der Prozeß der Umwandlung der Meristem- in die Dauerzelle unaufhaltsam fortsohreitet. Das erste Anzeichen meristematischer A k tiv itä t ist Anhäufung von Protoplasma in den vorher plasmaarmen Zellen. Dieses Phänomen erinnert an „th e precipitation o f protein from a sol, or the contraction o f a protein gel w ith loss of water“ , es ist ein Icolloidchemisches Phänomen.
Es stellt sich dann ein, wenn pflanzliche Proto- plasmaprotei'ne sich dem isoelektrischen Pu n kt nähern oder ihn erreichen. Das Entstehen von Meristemen in bestimmten Zellzügen w ird in B e
ziehung gebracht zum Bestehen eines Gefälles der W asserstoffionenkonzentration in den betref
fenden Gewebepartien. Der H olzteil des Stam
mes reagiert relativ stark sauer, pn — 3,4 bis 5, der Rindenteil ist das am stärksten alkalische Gewebe, p\\ = 7,8; zwischen beiden befindet sich der meristematische Verd icku ngsring. D ie K o rk zellen außerhalb des Phellogens reagieren extrem sauer, p\[ — 3, die Grundgewebszellen innerhalb dieser Meristemzone weisen eine Reaktion von PH = 5,5 bis 6,5 auf. Beide Züge von embryo
nalen sich teilenden Zellen liegen also in der M itte eines nicht unbeträchtlich steilen Gefälles der H-Ionen'konzentration. A u f dem W ege die
ses Gefälles, also wohl in einer ganz bestimmten Zellenzone, muß der isoelektrische Punkt der wichtigsten Eiweißkomponenten des Protoplas
mas realisiert sein; er wurde tatsächlich fü r spe
zielle Eälle mit pjj = ungefähr 4,4 gefunden.
D ie Bedeutung des isoelektrischen Punktes für das Verhalten der K o lloid e ist erst neuestens wieder durch die Arbeiten J. Loebs (1922) in den Vordergrund des Interesses gerückt worden. Im isoelektrischen Punkt sind verschiedene physi
kalische Eigenschaften der Proteine im M in i
mum, andere im Maximum; so ist die Quellbar
keit im Minimum, die Fällbarkeit im Maximum.
„W enn irgendwo längs des Gefälles der isoelek
trische Punkt eines oder der hauptsächlichsten Zellproteine liegt, dann wird ain dieser S telle das Cytoplasma in bestimmtem Maße die Tendenz aufweisen, Wasser abzugeben an benachbarte Zellen zu beiden Seiten, die eine andere Wasser
stoffionenkonzentration und daher größere A f f i nität fü r Wasser besitzen. A u f diese Weise ist die allmähliche Anhäufung einer dichten, nicht vakuolisierten Cytoplasunamasse in diesen Zellen zumindest denkbar. W eiterhin w ird dann eine solche Tendenz zur Wasserabgabe Anstoß geben, eher zu synthetischen als zu hydrolytischen P ro zessen. D ie wichtigsten Stoffwechselvorgänge in den Pflanzen sind in der einen Richtung K o n densationen, die mit Wasserabgabe verknüpft sind, und Hydrolysen in der anderen Richtung unter Wasseraufnahme . . . Von diesem Gesichts
punkte aus erscheint die Ausscheidung von Wasser als wesentliche Bedingung der Synthese in pflanzlichen Meristemen. Das Protoplasma
der Meristeme muß stets relativ wasserarm blei
ben, um dauernd synthetischen Stoffw echsel auf
rechterhalten zu können; das ist möglich, wenn in der Meristemzone der Bestand des isoelektri
schen Punktes gewährleistet bleibt
Diese Hypothese von Pearsall und Priestley ist in ihren Grundgedanken w ertvoll, wenn sie auch in ihren Einzelheiten noch keineswegs gut fundiert erscheint. Es ist beachtenswert, daß in einer eben erschienenen A rb eit Robbins (1923), von ganz anderen Versuchsreihen ausgehend, ebenfalls zu der Überzeugung von der eminenten Bedeutung des isoelektrischen Punktes der pflanzlichen Gewebe fü r Wasseraufnahme und Wachstum gekommen ist. Robbins hat fü r die K artoffelk n olle die Lage des isoelektrischen Punktes in der Nähe von = 6,0 festgestellt und gezeigt, daß tatsächlich die Wasser auf nähme des Kartoffelgew ebes in diesem Bereiche am ge
ringsten ist, dagegen zunimmt, je mehr man sich davon entfernt, sei es gegen die saure, sei es gegen die alkalische Seite.
D ie weitreichende Bedeutung der Hypothese Priestleys wird deutlicher zutage treten, wenn seine Vorstellung eine noch allgemeinere Fassung erhält; sie läßt sich etwa in dieser Weise aus- drüöken: F ü r den meristematischen, teilungsfähi
gen Zustand einer Z elle ist eine bestimmte Wasserstoffionenkonzentration nötig. Ob es sich dabei w irklich um den isoelektr.sehen Punkt eines Zellproteins handelt, und das damit ver
bundene Maximum der Entquellung muß noch als recht fraglich 'bezeichnet werden; möglicher
weise spielt gerade das kom plizierte Zusamm en
spiel der verschiedenen Proteine, von denen jedem ein eigener isoelektrischer P u n k t zukommt, die ausschlaggebende R o lle ; alle Abstufungen des Quellungsgrades und der verschiedenen an
deren physikalischen Eigenschaften können da
durch bei einer einzigen H-Ionenkomzentration an den verschiedenen Zellbausteinen gleichzeitig zur Auswirkung gelangen. Es hat ja insbesondere Mac Dougal (1919, Science J+9) betont, daß die Hauptbestandteile pflanzlichen Protoplasmas, die Eiweiß- und die Kohlehydratkompo'nente „is af- fected in an opposite manner by hydrogen io ns“ . Das aktiv embryonale Stadium einer Zelle ist gewiß an einen bestimmten Protoplasmazustand und dessen gesetzmäßige Veränderungen gebun
den; demnach würden sich Stützen fü r die oben form ulierte Hypothese ergeben, wenn der Nach
weis erbracht ist: 1. daß bei der Z ellte ilu n g kol
loidchemische Zustandsänderungen des P ro to plasmas erfolgen und 2. daß Änderungen in der H -Ionenkonzentration solche Zustandsänderun- c/en bewirken können. Der Kolloidzustand des lebenden Protoplasmas und seine Veränderungen ist heute noch keineswegs restlos faßbar; zahl
reiche physikalische Konstanten sind in vivo noch gar nicht messender Bestimmung zugänglich.
Eine glückliche Ausnahme bietet die Viskosität dar; verschiedene Methoden sind schon genügend
f D ie Natur- L Wissenschaften
W e b e r: Theorie der Meristembildung. 293
w eit ausgearbeitet, um die Viskosität des leben
den Protoplasma zu schätzen, ja zu messen (W eber, 1921i) ; und gerade die Viskosim etrie ist am besten geeignet, um inneren kolloiden Zu
standsänderungen nachzuspüren. Viskositätsände- rungen sind in den letzten Jahren als stete Be
gleiter der Zell- und K ernteilu n g bekannt ge
worden3) ; verschiedene Forscher haben sie an ganz verschiedenen Objekten und m it verschie
denen Methoden festgestellt, und so ist heute keine andere Erscheinung der Zellteilungsphysik besser erforscht. Viskositätsunterschiede zw i
schen alten, von ihrem letzten Teilungsschritt w eit entfernten Zellen einerseits und jungen, eben erst entstandenen embryonalen Zellen ande
rerseits kommen o ft auch im cytologischen Bilde zum Ausdruck. Es sei z. B. auf ein in dieser Hinsicht instruktives Bild verwiesen, das Haber- landt (1921, S. 35) von einer Pelargonium -Epi- dermis darstellt, in der nach mechanischer R e i
zung einzelne Dauerzellen erneut zur T eilu n g ge
schritten sind. D ie normalen Epidermiszellen be
sitzen spindelförmige Zellkerne, diejenigen Z el
len aber, welche eben erst ihre neue T eilu n g be
endet halben, kugelförm ig abgerundete. Über
haupt besitzen die K ern e in jungen embryonalen Zellen meist Kugelgestalt, in älteren Dauerzellen weichen sie nicht selten davon alb. Nach Schwarz (1892) hat auch Nem ec (1910) die Frage er
örtert, ob die K ern e der meristematischen Zellen deshalb kugelige Gestalt annehmen, w eil sie
„mehr flüssig“ sind und so der Oberflächenspan
nung w enig Widerstand entgegensetzen. Von In teresse ist ferner in diesem Zusammenhang die Abkugelung der Amöben zur Zeit der K ern tei
lung. K ü h n (1920) hat gefunden: Stets dann, wenn der K ern in das Anaphasenstadium tritt, kugelt sich die Zelle ab. Es handelt sich jeden
falls um eine physikochemische W irkung des K e r nes auf dias Plasma im Sinne einer Viäkositäts- verminderung und Erhöhung der Oberflächen
spannung. E rst diese Herabsetzung der inneren Reibung ermöglicht die „iStemmwirkung“ der K ern figu r, die ihrerseits wieder nur durch V e r
steifung, also Viskositätszunahme der Spindel, verständlich w ird ; überhaupt spielen hier, w ie K ü h n fü r Valkam pfia in klassischer Weise ge
zeigt hat, bei der Kern- und Zellteilu ng kom
plizierte Beziehungen zwischen den verschiedenen Zellbestandteilen statt, die in einer wechselnden Quellung und Entquellung, Wasseraufnähme und -abgabe, Volumzunahme und -abnahme cytolo
gischen Ausdruck finden.
Es steht also jedenfalls fest: Viskositätsände- rungen und durch diese verratene intim e Z u standsänderungen der lebenden Substanz sind fü r das aktiv embryonale Stadium der Zelle ganz dll-
3) L itera tu r speziell über die A rbeiten von H e il
brunn, Chambers, S e ifriz bei W e b e r: D ie V isk osität dos Protoplasm as. N atur wissenschaf tl. Wochenschr.
1922, 2 1 ; siehe darüber fern er ödquist 1922, Arch.
Entw. Mech. 51 und H ym an 1923, Biolog. Bull. 45 und Nemec 1889, Bot. Ctrbl. 77.
H eft 16. 1 18- 4. 1924J
gemein charakteristisch. Es handelt sich dabei wohl (keineswegs um zufällige Begleiterscheinun
gen. W ie w ich tig der richtige, im Detail aller
dings noch keineswegs erkannte Viskositätsgrad' u;nd dessen Wechsel fü r Einleitung und normalen A blau f des Teilungsprozesses ist, scheint uns auch daraus hervorzugehen, daß wir heute fast fü r jeden abnormen V erlau f des Teilungsprozes
ses oder dessen Verhinderung Viskositätsstörun
gen zumindest wahrscheinlich machen können.
Abnormer Mitosenverlauf4) w ird z. B. unter dem Einfluß extremer Temperaturen beobachtet; auch die Geschwindigkeit des Ablaufes w ird v«on der Temperatur weitgehend beeinflußt ( S ta lfe lt, 1921).
Teilungsanomalien stellen sich auch ibei narkoti
sierten Zellen ein. Da w ir durch die Arbeiten von H eilbronn, H eilbrunn , Weber (1922) wissen, daß Narkotika die Plasmaviskosität in rever
sibler Weise 'beeinflussen, so lieg t es auch hier wieder nahe, anzunehmen, daß Störungen des normalen Viskositätswechsels durch die Narkose beim Zustandekommen der Anomalien beteiligt sind; in diesem Sinne sprechen besonders V e r suche von Nem ec (1915) m it Pflanzenzellen und von H eilb ru n n mit tierischen Eiern. H eilbrunn zeigte an Seeigeleiern, daß diejenige Anästhetica- konzentrationen, die Zellteilu ng verhindern, gerade die sind, welche eine deutliche Viskositätsernie
drigung des Cytoplasmas bedingen. (V g l. auch Polowzow, 1923.) . Ebenso paßt die Hemmung der Zellteilung durch Röntgenstrahlen, die w enig
stens in vitro auf Eiweißsole viskositätsverän
dernd wirken, gut in den Rahmen dieser Betrach
tung5). H ie r ist von besonderer Bedeutung, daß sogar — nach K oernicke — der embryonale Cha
rakter der Wurzelspitzenmeristeme gänzlich ver
lorengehen kann, indem die Zellen die E igen schaften erwachsener Dauerzellen annehmen.
Eine genaue Analyse dieses ziemlich singulären Falles8) einer künstlichen Umwandlung embryo
naler Zellen in Dauerzellen wäre auch in H in sicht auf das Problem der Tumorenbekämpfung von Bedeutung. Schließlich sei noch die A u f
fassung Levys (1923) erwähnt, der die Entste
hung mehrkerniger Zellen darauf zurückführt, daß die Verflüssigung des Cytoplasmas im V e r hältnis zur durchgeführten K ernteilu n g ver
spätet eintritt.
Der zweite im obigen geforderte Nachweis, daß nämlich gerade Änderungen der Wasserstoff
4) Botanische L itera tu r darüber bei Tischler 1921/22, S. 254; vgl. auch Hovasse, Influence du froid sur les processus intimes de la Mitose. C. R. Soe.
Biol. 1923, 88.
5) L ite ra tu r bei A lb e r ti und P o litz e r, Über deu Einfluß der Röntgenstrahlen auf die Zellteilung. Arch.
m ikrosk. Anat. u. Entw . 1923, 100, und W eber 1923, Röntgenstrahlenw irkung und Protoplasm aviskosität.
Pflü gers Arch. 198.
0) E ine ähnliche vorzeitige Um wandlung von Zellen der M eristem zone in vakuolenreiche der Streckungs
zone hat E a rtm a n n (1919) durch hohe Temperaturen erzielt, doch können nach Wassermann (1921) M i
tosen auch in „ad maximum vakuolisierten Zellen“
ablaufen.
N w . 1924. 40
294 W e b e r: Theorie der Meristembildung'.
ionenkonzentration des Mediums Änderungen des Kolloidzustandes des Protoplasmas bedingen, kann heute ebenso unschwer erbracht werden.
Von den zahlreichen Arbeiten, die da zu erwähnen wären, sollen nur einige der neuesten angeführt werden. Addoms (1923) hat an einem sehr gün
stigen Objekt, den Wurzelhaaren von W eizen
keimlingen, den Einfluß der Wasserstoffionen auf das Protoplasma verfolgt. D ie Keim linge wurden in verschiedenen Nährlösungen ku ltiviert und das Protoplasmabild der Haare bei Dunkel
fe l dbeleuchtung studiert. In einer Lösung von Pti. — ^»94 ist das Protoplasma gleichmäßig über die Zelle verteilt und weist keinerlei Anzeichen von Gelbildung oder lokalen Zusammenballungen a u f; bei pfj = 3,85 bis 3,68 treten reichlicher Vakuolen auf, aber noch keinerlei Koagulations
erscheinungen sind bemerkbar; in stärker saueren Lösungen stellen sich dann beträchtliche Ä nde
rungen ein ; es beginnt die Gelbildung zunächst lokal, dann aber rasch über die ganze Zelle sich ausbreitend. A n einem ebenfalls sehr günstigen Studienobjekt, an Pollensehläuchen, hatte schon früher Lloyd (1917) gesehen, w ie das P roto plasma von Säuren und Alkalien in derselben W eise beeinflußt w ird wie Gelatine und daß die bei gewissen Konzentrationen erfolgende Quel
lungszunahme offenbar beim Wachstum eine R olle spielt. A n Amöben, PaTam äcien, Colpi- dien, Arbacia-Eiern, Spirogyren hat Jacobs 1922 den Einfluß der Kohlensäure auf die Konsistenz des Cytoplasmas geprüft. K u rze Einw irkung ver
ursacht Abnahme, längere Zunahme der Viskosi
tät; beide Wirkungen sind reversibel. Ebenso fin det Giersberg (1922), daß Säuren und Alkalien vor allem H C l und N a O H auch noch in sehr ge
ringen Mengen außerordentlich stark quellend auf das Plasma von Amöben wirken.
Es erübrigt sich nunmehr nur noch der H in weis, w ie nahe es liegt, auch gerade in Fällen, ico Z e llte ilu n g und A nregung da,zu erfolgt, eine Änderung der W asserstoffionenkonzentration des M ilieus anzunehmen. Beginnen w ir wieder mit der durch Verwundung ausgelösten Meristem bildung. S ch illin g hat an die dabei m odifizierte Atm ung als auslösenden Faktor gedacht, und zwar sollen Säuren das verm ittelnde Agens sein.
Es stellt überhaupt kaum etwas im W ege, in den ,.Wundhormonen“ einfach eine veränderte K o n zentration der W asserstoffionen zu erblicken ; der B rei zerriebener Gewebe, vermischten sauren Zellsaftes mit alkalischem Plasma, den Haber- la,ndt auf die W undfläche aufträgt und der sich als besonders zellteilungsfördernd erweist, stellt gewiß fü r die mit ihm in Berührung kommenden intakten Zellen ein M ilieu m it recht abnormaler pj-j dar. D ie Wundhormone sind im allgemeinen unspezifisch und das einzige Argument, das zu
gunsten ihrer komplexen eventuell enzymatischen N atu r angeführt worden ist, nämlich der Verlust ihrer W irksam keit durch Erhitzen des Gewebe
breies, ist kein Beweis gegen obige Auffassung.
Durch Kochen gehen nicht nur spezifische W ir kungsfähigkeiten von Enzymcharakter verloren,
[ Die Natur
wissenschaften
sondern auch rein physikalische Eigenschaften, w ie Oberflächena'ktivität, und Bauer (1923) ver
spricht den Nachweis, daß die W irkung der Wundhormone tatsächlich auf Oberflächenaktivi
tät beruhe. Haberlandt hat bekanntlich, abge
sehen von den eigentlichen Wundhormonen, auch Teilungshormone angenommen, die vom Rinden
teil (Leptom ) der Gefäßbündel gebildet werden.
Es liegt eigentlich kein Grund vor anzunehmen, daß diese beiden in gleicher W eise wirkenden
„H orm one“ verschiedener Natur seien. Wenn kleine K a rtoffelfra gm en te nur dann Zellteilu n gen aufweisen, wenn sie T eile des Leptoms ent
halten, so kann das im Sinne der Hypothese Priestleys seinen Grund darin haben, daß nur durch das alkalisch reagierende Leptom das nötige G efälle der H-Ionenkonzentration gewähr
leistet wird.
A u f die zahlreichen Beobachtungen, die da
fü r sprechen, daß Säuren oder Basen als künst
liche Parthenogenetica eine R o lle spielen, soll nicht näher eingegangen werden. V iele ein
schlägige Literatu r hat Spek (1920) in seinen experimentellen Beiträgen zur Kolloidchem ie der Zellteilu n g verarbeitet. H ier fin d et sich auch die w ichtige Frage erörtert, wieso einerseits jede Zellteilung anscheinend automatisch eine weitere Zellteilung einleitet, andererseits aber doch auch wieder mit der Z eit der embryonale, teilunga- fäh ige Zustand verlorengeht. D ie erstere T a t
sache hat Haberlandt zu der Annahme geführt, alle primären embryonalen Gewebe vermögen die Teilungshormone offenbar selbst zu erzeugen;
Spek deutet sie in folgender W eise: D ie Zell
teilung wird eingeleitet durch eine Verquellung der Plasm akolloide; diese selbst ist wieder ver
ursacht durch eine als Nebenprodukt der N u kleinsynthese entstehende, aus dem K ern in das Plasma übertretende Base; die besonderen dabei sich ereignenden Zustandsänderungen der Zelle steigern aber die Nucleinsynthese immer weiter, so daß die W irkung wieder zur Ursache der ersten ÜTsaohe wird. Diese Darstellung wird durch den experimentellen Nachweis des „allelo- catalytic effect“ bei der K u ltu r von M ikro
organismen nicht unwesentlich gestützt; auch Robertson (1922) nimmt, nämlich an, daß wäh
rend der Zellteilung bei der Auflösung der K e rn membran eine Substanz aus dem Kerne in das umgebende Medium Übertritt, die den Anstoß zur nächsten Zellteilung gibt. D ie andere Tatsache, nämlich daß dann doch einmal die Zellteilungen zum Stillstand kommen, der embryonale Cha
rakter verlorengeht, stellt sich Speck in folgen der Weise vor: die von vielen Autoren fü r die Z eit der Zellteilu n g nachgewiesene Perm eabili
tätssteigerung bringt eine Zunahme des Salzge
haltes der Zelle m it sich; die eindringenden Salze kompensieren die W irku ng der gebildeten Base, eine Erhöhung des Salzgehaltes über einen gewissen Grad sistiert so die Zellteilungen.
Tatsächlich ist die H-Ionenkonzentration fin
den A blau f der Furchungsteilungen tierischer
W e b e r: Theorie der M eristembildung. 295
Eier von besonderer Bedeutung7). Bei pu etwas unter 6 beginnen beim Seeigelei die Teilungen verlangsamt zu werden und ibei weiterem Fallen von p h nimmt die Teilungsgeschwindigkeit rasch ab und steht bei P\\— 4 ganz still. Der Wasser
stoffexponent des Eiinneren dürfte 5 bis 6 be
tragen, und so nehmen Vles und seine M itarbeiter (1923) an, die Teilungen werden immer dann sistiert, wenn die Potentialdifferen z zwischen innerem und äußerem Medium bis zu einem be
stimmten W ert herabgesetzt wird. V ielleich t ist die in der Z elle selbst gebildete Kohlensäure w ichtig fü r das Zustandekommen des fü r den A blauf der Mitose erforderlichen Plasmazustan
des. L yon hat schon 1904 an Eohinodermen- Eiern gezeigt, wie die 0 0 2-Produktion im Ei während der morphologischen Veränderungen der Mitose nicht gleichmäßig erfolgt, sondern ein Maximum erreicht zur Zeit, ■ wenn das Cyto
plasma sich aktiv te ilt; und Jacobs (1. c.) sieht sich versucht, diese „auffallenden Änderungen der C 0 2-Produktion m it den ebenso auffallenden der Plasmaviskosität“ in Beziehung zu setzen.
Auch Clowes (1923, Journ. biol. Chem. 55) fin det die „velocity o f Segmentation is an inverse linear funetion o f the* concentration o f C 0 2“ , gibt aber an, es bestehe dabei keine direkte Abhängigkeit von der Wasserstoffionenkonzentration.
Es spricht manches dafür, daß auch der Rhythmus der Z e llte ilu n g und seine Regelung ( K o rn fe ld 1922) in gewisser Abhängigkeit von der Kohlensäurebildung steht. B ei vielen niederen grünen Pflanzen, z. B. bei Spirogyra, gehen Z e ll
teilungen nur in der Nacht, niemals bei Tages
licht vor sich; man hat sich :bisher eigentlich da
mit begnügt, diese Tatsache fin a l zu erklären.
Nun wurde 1922 von Lapicque berichtet, w ie starke Schwankungen! die Wasserstoffionenkon- zentration des Kulturwassers, in dem sich Spiro- gyren befinden, im Lich t und im Dunkeln auf
weist einfach als Folge des Antagonismus von säurebildender Atm ung und säurebindender A ssi
milation. Solche Schwankungen gehen vor sich
„dans des condition s, qui sont souvent celles de la nature“ .
„Das Vermögen, das Zellwachstum zu kontrol
lieren, beinhaltet das Problem des Krebses“
(S ta rlin g 1923). Man geht in neuester Z e it end
lich daran, auch Entstehung und Geheimnis der Tum orzelle mit physikalisch-chemischen Metho
den zu studieren. Rhoda Erdm ann (1923) ist die w ichtige Feststellung gelungen: die Tumorzelle bleibt Tum orzelle nur, solange sie in Tum or
plasma gezüchtet ist, geschieht dies nicht, so wird sie eine Zelle, die sich der normalen Metazoenzelle nähert. Das 'beweist die Bedeutung des Milieus. Es ist bekannt, daß das B lu t von
H eft 16. 1 18. 4. 19241
7) Auch bei Gewebekulturen spielt die W asserstoff- zahl des Mediums eine nicht zu unterschätzende R olle
( L e v i 1923, R iv. di Biol. 5) und die „Com parsa tu- multuaria di divisioni m itotiche ed arresto delle mede- sirne in coltura di tessuti“ , die L e v i (1922, R. Ae.
Lincei 31) beschreibt, steht vielleich t damit in Zu
sammenhang.
Krebskranken abnormale Wasserstoffionenkon- zentration besitzt. Waterman (1923) hat dies jüngst wieder festgestellt und sich eine V o r
stellung über die Bedeutung der Alkalinitätser- höhung gebildet. Da gerade die Krebszelle durch verschiedene Ionenwirkung in ihrer Konsistenz stark verändert w ird ( Roussy undi W olf 1922), so lieg t es nahe, an abnormale Viskositätsverhält
nisse des Protoplasmas zu denken. Natürlich ändert sich stets in abnormalem Medium neben der Viskosität noch eine ganze R eihe physikali
scher Eigenschaften der Plasmakolloide. Jeder Pjj-Umstellung entspricht ein ibestimmtes Maß des osmotischen Druckes, der Leitfäh igkeit, der Potentialdifferen z, der Quellungsfähigkeit, Visko
sität, Oberflächenspannung. Es ist nicht be
rechtigt, die Abänderung einer Konstante, w ie der Viskosität oder Oberflächenspannung, die w ir gerade in der glücklichen Lage sind zu ver
folgen, als den allein maßgebenden Faktor zu be
trachten. In diesem Sinne sind auch die A n sichten von Bauer (1923) und M ainx (1923) zu verstehen, daß gerade Änderungen der Ober
flächenspannung das wesentliche Agens; bei der Zellteilu ng seien. A lle Faktoren wirken zu
sammen; gerade diese Kom plexität der E r scheinung bedingt es, diaß w ir in der Analyse nur so langsam vorwärts schreiten und vielfach noch auf ganz unsicherem Boden stehen.
Diese Unsicherheit wird ganz besonders grell beleuchtet durch die Tatsache, daß der „K o a gu lationstheorie der Entwicklung“ eine „Quellungs
theorie der Entwicklung“ entgegengestellt w er
den konnte8). SpeJc (1920) hat schon A rg u mente dafür angeführt, daß die Vorstellung falsch wäre, „als schließe eine Theorie die andere aibsolut aus“ . Wenn w ir das spezielle Problem betrachten, von dem w ir ausgegangen sind, das Problem der Meristembildung, so erscheint uns diese Zw eiseitigkeit der Erklärungsrichtungen erst besonders verständlich: Meristemneubildung, E ntdifferenzierung, Rückkehr zum embryonalen Zustand kommt — wenigstens im pflanzlichen Organismus — unbestreitbar vor. A llerdings eine direkte, plötzliche, unmittelbare Rückver
wandlung einer differenzierten Dauerzelle in eine undifferenzierte omnipotente, embryonale Zelle scheint nicht möglich zu sein; immer ist zwischen dem alten differenzierten Ausgangssta- dium und dem verjüngten Endstadium ein reichlicher Zellteilungsprozeß eingeschaltet, der m it W in kler (h c.) als Furchungsprozeß be
zeichnet werden kann; denn so w ie bei der F u r
chung des tierischen Eies fin det in allen solchen Fällen eine rasche Zellvermehrung, Zellfäche
rung ohne wesentliche Volumanizunahme oder er
kennbares Wachstum statt. Linsbauer (1916) sieht das Wesen der regressiven Entw icklung, die zum Wiederembryonalrwerden führt, in zu
nehmender Teilungsfähigkeit und gleichzeitiger Hemmung der Wachstumsprozesse, während
8) In H insicht auf die letztere vgl. neuestens auch Rubner 1923, Sitzb. preuß. Ak. W iss. 24.
296 Schmidt: U ber den Feinbau tierischer Fibrillen. f D ie Natur- Lwissenschaften
progressive Entw icklung, die zur D ifferenzieru ng führt, m it Zunahme des Wachstums, aber A b nahme der Teilungsgeschwindigkeit verknüpft ist. Pf e i f f e r (1923) hat sich dieser Ansicht v o ll
kommen angeschlossen. Z u r Charakteristik des Urmeristem s, des typisch embryonalen Gewebes gehört demnach, daß sich hier Wachstum und T eilu n g das G leichgew icht halten (B o th e r t).
Wachstum und Teilu ng stehen jedenfalls nicht in unmittelbarem Zusammenhange; diesen Schluß hat auch Jollos (1913, Biolog. Ctrbl. 33) gezogen und er meint, daß „W achstumsfaktor“
und „Teilu n gsfak tor“ von der U m w elt in ver
schiedenem Maße beeinflußt werden. Gewiß wird auch der kolloide Zustand des Protoplasmas, der zum Wachstum führt, ein anderer sein als der, bei dem sich die Zellteilung abspielt. Der meriste- matische Zustand, der Zustand des Gleichge
wichtes zwischen beiden Tendenzen w ird nur dann sich einstellen, wenn auch die Außenbedin
gungen, welche diese beiden vielleicht anta
gonistischen Tendenzen begünstigen, sich irgend
w ie entsprechend ineinander arbeiten. U nter
suchungen, w ie diejenige von F reund (1923, Ber. D. botan. Ges.), dem es gelang, die Be
dingungen des embryonalen meristischen und Streckungswachstums zu analysieren, sind für diese F ra ge von großer W ichtigkeit. Bei der Alg-e Oedogonium bringt das Fehlen der Nähr- salze das meristische Wachstum zum Stillstand, eine höhere Konzentration derselben fördert dieses, verhindert dagegen das Streckungswachstum.
W ir haben die Hypothese von Priestley er
örtert, welche annimmt, die Bedingungen fü r den aktiv embryonalen Zustand seien dann gegeben, wenn die Plasmaproteine sich im isoelektrischen Punkt befinden. Diese Hypothese könnte heute schon experimentell geprüft werden. H eilbrunn (1923) hat mit H ilfe der Präzipitationsmethode die elektrische Ladung des Protoplasmas be
stimmt, M eier (1921) m it H ilfe der M igrations
methode. Es hat sich gezeigt, daß die katapho
retische Verlagerung des Cytoplasmas gerade im Urmeristem am geringsten ist; dies würde mit der Hypothese von Priestley in guter Überein
stimmung stehen. E ndler hat bereits 1912 „über eine Methode zur Bestimmung des isoelektrischen Punktes des Protoplasmas auf Grund der Beein
flussung des Durchtrittes von Farbstoffen durch
O H - und H -Ion en “ berichtet. Schließlich hat ltobbins (1923) den isoelektrischen Punkt pflanzlicher Gewebe erm ittelt, einerseits durch Feststellung des Minimumpunktes der Wasser
aufnahme, andererseits durch Färbungsmethoden m it sauren Farbstoffen. Wenn diese Methoden zur P rü fu n g der Hypothese Priestleys über die Ursache der Meristembildung und M eristem tätig
keit herangezogen werden, so darf man hoffen, in diesen wichtigen Problemen bald klarer zu sehen.
Graz, 2. Januar 1924.
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(Schluß.)2)
d ) Optische Unterlagen fü r den Feinbau der F ib rille n .
Bereits die linienartige Form der F ib rille kündet als Ausdruck ihres anisodiametrischen Wachstums Ungleichwertiglkeit ihrer verschiede-
i) Nach einem in der N iederrhein. Ges. f. Natur- und Heilkunde (N aturw . A bt.) Bonn am 12. Dez. 1923 gehaltenen V ortrag.
nen Richtungen — Anisotropie — an; das gleiche bezeugen Spaltbarkeit und Quellung, und ähnliches
2) 1. Allgem eines über den Feinbau des Tierkörpers.
2. Über den Feinbau tierischer F ib rillen im be
sonderen.
a) Vorbemerkungen.
b) Genetische U n terlagen für den Feinbau der Fibrillen.
c) Morphologische U nterlagen für den Feinbau der F ibrillen.