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Die Zukunft, 23. September, Bd. 28.

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Berlin, den 25. September 1899.

f Z ,:’, A

Der Dreyqu-Tärm.

Ida· hatvordergesitteten,fürWahrheit, Gerechtigkeit,Reinheitbegeister- tenMenschheit,andie er, in demdazubesonders geeignetenBlattedes Herrn Clemenceau,jetztmitunter Offene Vriefe richtet, neulich festgestellt, daßdasjerusalemitischeVerfahrengegendenGaliläer,den wirJesusvon Nazarethnennen, einenichtannäherndsoschändlicheThatwarwie dasVer- fahrendesKriegsgerichtesvonRennesgegen denfrüherenArtilleriehaupt- mann Alfred Dreyfus. Denn, sagtderPatriarch vonMedan, Jesuswurde nureinmalverurtheilt, Dreyfusaberzweimal.DieEinfaltkönnte zwar beimHörendiesesWeisheitspruchesbemerken,daßeinezweiteVerurtheilung desGaliläersnichtgutmöglichwar,weilergleichnachderersten gekreuzigt undsoderJurisdiktiondeshochwürdigenHerrn Kaiphasund der anderen Vertreter deszwischenSäbelund KuttegeknüpftenBundesentzogenwurde.

DochmitsonüchternrationalistischenEinwändendarfmannichtin das glitzerndePhrasengespinnstdesgroßenKapitalsepikers tölpeln,dersachtin dieHohepriesterrolledeseinstvonihm so grausam gelästertenVictorHugo hineinwächst.DermächtigePoet,derfrüherGambetta,denmuthigstenPo- litiker derdritten Republik, schmähteundfür seinVaterland allesUnheil ausdemproteftantischenGeist erwachsensah, hat sichumöffentlicheAnge- legenheitenvorherkaumje gekümmertundstehtnun entsetzt,wievordem erstenSündenfall,voreinemRichterspruch,derihm ungerechtscheint.Er hat offengesagt,erkenne dieGesetzeseinesLandesnicht,wollesie auch nicht kennen,undstütztsichauf sein gutes Dichterrecht,dasihm jedenrhetorischen Ueberschwang,jedenphantastischen,übergeschriebene,rechtlichgeltendeSatz-

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ungenhinwegführendenFlugerlaubt. Jst solchesVermessen strafbar,dann ist fürZoladieStrafe hartgenug,täglichhörenzumüssen,seineManifeste undProklamationenwürdenseineprachtvollen epischenSchöpfungenim GedächtnißderMenschenüberdauern...Aberesscheint,daßauchin Deutsch- land,allwoman heute fürZola,den»geschäftssinnigenPornographen«von vorgestern, schwärmt,die Stunde noch nichtgekommenist,inruhigemTon über denDreyfushandelzusprechen.Dassollenvier documents hum ains beweisen,dieichindeutschenLetterngedrucktenZeitungenentnommen habe.

1.»Das Interesse sämmtlicherPlätzewarheuteausschließlichdurchdieFrage beherrscht,welchen AusgangderProzeß Dreyfus nehmenwerde. Jn Berlin hatte dieamtliche ErklärungdesReichsanzeigerseinengünstigenEindruck hervorgerufen unddieBörseinfeste Stimmungversetzt.Ander wienerBörse lagen zahlreiche Verkaufsordresvor. DasangeboteneMaterial wurdejedochnochanderVorbörse ruhig aufgenommenunddieMittagsbörfe eröffneteinfester Tendenz.Gegen halb zwei Uhr empfingeinhiesiges BankinstitutausBerlin eineDepefchedesInhalts, daßFrankfurtviaBrüsseldenFreispruch Dreyfus’melde. Kurz vorherwaren be- reitsGerüchteüber einfreisprechendesUrtheil verbreitet, welcheeinelebhafte Be- wegungund eineCoursfteigerungdermaßgebendenSpekulationpapiere hervorriefen.

AlsgleichzeitiganverschiedeneInstituteundPrivathäusertelephonischeGerüchteüber einfreisprechendesUrtheil anlangten,entwickelte sichneuerlicheinreges Geschäft.«

NeueFreie Presse-

11. Drenys-Büste,

35cm hoch,5MarkgegenEinsendungdesBetrages.

Timborn jun» Köln,Rothgerberbach46.

KölnifcheZeitung.

Ill. ,,EinesonderbareSpeisenkarte besitztdasRestaurant Kurgartenin derKommandantenstraße7—9. Dasindenwirverzeichnet,FiletalaDreyfusf ,Dreyfus-Brötchen«,,Schnitzel’a laLabori«. Für1M.25Pf. erhältman eine ,Dreyfus-Assaire«,fürdenselben Preiswirdein,RennaiserReinfalk servirt.

Eine Erklärung für diese seltsamen Speisenbietetfolgender aufdenSpeisen- karten enthaltenerVermerk: ,MitRücksicht aufdasheldenhafte Auftretendes edlenHauptmannesDreyfusvor derganzenWelt habe ich mich entschlossen, sämmtlichebisherunterderBezeichnung,Kurgarten«ausgeführtenSpeisen fortan mitdemNamen desobengenanntenHelden Dreyfuszubenennen.««

Staatsbürger-Zeitung- IV.,,Dreyfusimberliner Thiergartenzufinden, so schreibtunseinMit- arbeiter,Das hatteich nichterwartet. Unddochfandich ihngelegentlicheiner kleinenSzene,dieichbeimSpazirengehenbelauschte.Dahatte sich aufeiner BankamGoldfischteicheineGesellschaftberlinerJungenzusammengefunden, die, wieichvoneinemNachbarplatz raschmitErgötzen feststellte,,Kriegsgerichtin Rennes« spielte. AufderBanksaßendieRichter; zwarwaren esnurDreiander Zahl,abersie hatten WürdefürSieben.Vorihnen,inmitten einesViereckes,dasmit demLineal in denKiesweg gezeichnetwar,stand,vondem,Gendartnerie-Ossizier«’

mitgezogenem RegenschirmbewachtskderunglücklicheAngeklagte.Rechtsvonihm

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hattendieVertheidigerAufstellunggenommen, vondenen derEinemitseinem gut- müthigenPausbackengesichtwirklicheinWenigandenwackerenDemange erinnerte, währendderfeurigeberliner LaborisichvonseinemfranzösischenNamensgenossen außer durch einigeandereAeußerlichkeitenauchdadurch unterschied, daßerhart- näckigLabori (mitdem Ton aufderzweiten Silbe)angesprochenwurde. Rings- herumtummelten sichnoch einigeanderejugendlicheMitbürger,dieoffenbar noch keine Rollen erhalten hatten.Schon hattederPräsident sicherhoben,daentstand unterdemversammelten VolkeinefürchterlicheKeilerei;einhübscherKrauskopf wehrte sichverzweifeltgegeneineMenge,schlagender«Gründe,die vondenGenossen mitgroßerGelenkigkeit geltend gemachtwurden,und dieWürdedesKriegsgerichtes

war erstwiederhergestellt,alsderEmpörermiteinemtrotzigen,Jch spiel’nicht mit!« dasWeitegesuchthatte. Jetzt standerin meinerNäheundsah,mitverächt- lichem Ausdruck,vonfernzu,wasdieAnderenmachten. ,Weshalb haben sieDich dennso verhauen ?« fragte ich ihn theilnehmend. Er sahmichvonder Seiteanund dieThränen kamen ihmwiederin dieAugen.,Jckhab’Mereierseinsollen«,sagteer

schluchzend. ,UndDaswar mirzugemein.Jetzt paßtmirderganzeKrempel nichtl« Sprachsnndschlug sichseitwärtsin dieBüsche.« BossischeZeitung.

Das istderStil andereProbenwurden hier schon früherge- geben—, in demdeutscheZeitungen diesenfranzösischenRechtsfall behan- deln.Außerdemwirduns erzählt,wieskandalösderrussischeOberkurator Pobjedonoszew,derdeutschenLesernsonstnur inderSchreckgestalteiner menschlichenBestie vorgeführtwerden durfte,denSpruchdesKriegs- gerichtes findeundwiegewaltig besondersinEngland, Italien, Oester- reich-Ungarnundder Türkeidiesittliche Entrüstungüber diegallischen Gräuelsei. Jm Ernst: auchin der Türkei. EinealteenglischeRechts- maximelautet: The law will allow alt-individual to beinjured rather thanthe State should Sufkerhurt; unddie Welt weiß,was bisinunser Jahrhunderthineingegenbritische Bürger, nichtnur gegen Hindus, NiggerundBuren,anschmählicherUnbillvonEngland geleistet wordenist. Zwar istdieErinnerungandieruchlosen Rechtsbrüchenochle- bendig,derenOpferunterdenCrispi, PellonundBanfsh sozialistischer lehrteundAgitatoren wurden,undin einerösterreichischenStadtisteben ersteinJude,gegendennichtdasgeringsteBeweismaterial vorlag,zum Todeverurtheilt worden,weil derStaatsanwalt, dieGeschworenenunddie Richterdenarbeitlosen TagediebeinesRitualmordes für fähighielten. Eng- länder,Italiener, MagharenundOesterreichcr find trotzdem nichtmitKol- lektivbeschimpfungenüberhäuftworden. UnddieTürkei,wonochjetzt ohne AnklageundSpruch Menschen ersäuft, erwürgtundvergiftet werden,die Türkei,derenBoden mit dem Blut der inHekatombenhingemetzeltenChristen gedüngtist,wirddennoch würdigbefunden,unterdenFreunden Deutsch-

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landszuparadiren;undwenn türkischeBlätterZornartikelgegen dieRich- tervonRennes bringen,wenn Frankreichs BotschafteramGoldenenHorn, HerrConstans,derinGemeinschaftmitQuesnaydeBeaurepaireim Ver- fahrengegenBoulangerdasRecht frechbeugteundbrach, sichvondem ge- genDreyfus gefälltenUrtheil »tieferschüttert«-zeigt, dannwerdenauch diese,,erfreulichenZeichenmenschlicherSolidaritätimKampfumdasRecht«

miternsthaftesterPünktlichkeitunsübermittelt. Dennüberall,so scheintes, throntin reinerWürde, unangetastet,dasRechtundnur Frankreich istdie vom Unrecht verseuchteStätte. Deshalb mußFrankreichausderReiheder Kulturstaaten gestrichen,mitSchimpfundSchandeaus derMenschen- gemeinschaftgestoßenwerden...Werdiesem Geheullauscht,wirdschon eineernste Erklärungfürden Lärmfinden,dersichseitJahrenandenNamen desfranzösischenArtilleriehauptmannesheftet.DiePharisäerderganzen ErdeschlagenandieBrustundjubeln, daßsie nicht sündigsindwieJene.

Frankreichs kräftigsterDichter hat vorJahrhunderten schondarobgeseufzt, daßvonallen Lasternnur dieHeucheleiimmer straflosbleibe.DieFremden, die imnächstenSommer zurpariserWeltmesse pilgern, sollten nichtver- säumen,Molieres festin depierreanzusehenundaufdasWortzuhor- chen:Tous lesautres viees deshommes sontexposeså lacensure etehacun alaliberte de lesattaquerhautementzmais Phypocrisie estunvjee privilegiequidesamain,ferme labouche it toutle monde etjouiten repos d’une impunitesouveraine. DerMann, derdiesenSatz spricht, istkeinfleckenlosesTugendmuster,abereinsehrklu- gerMenschenkenner.

" .

DaabertäglichanirgendeinemOrtEuropaseinUnschuldigerver- urtheiltwird unddieseThatsacheso unbestritten ist, daß für solcheUnglück- lichesogar gesetzlicheEntschädigungenverlangtwerden: wie kam es,daßge- radedieAkfaire denPharisäerndasStichwort lieferte?An demTage,wo in Rennes dasUrtheil gesprochenwurde,landeteinMarsaille Benjamin Reynier, der,weilereinkleinesMädchengemordet haben sollte,1881 zu lebenslänglicherZwangsarbeit verurtheiltworden war. Erhat achtzehn JahreimBagno zugebracht;dannwurdeseineUnschuldbewiesenundder PräsidentLoubetbegnadigteihn.Warum hatman vonihm nichts gehört, warum giltnur AlfredDreyfusals dasbejammernswertheOpfer schlechter Justiz, dessenUnschuld dochnicht bewiesen istundder,wenn erunschuldig ist, dochnurvierJahreimFieberkerkergeschmachtethat?Die Antwort ist schnellgefunden.Reynier isteinarmer TeufelundDrehfus hatte,alser

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heirathete,einVermögenvon600000Francs, hatte reicheVerwandte und gehörteeinerStammesgemeinschaftan,dieunterseinerVerurtheilunginihrer Gesammtheitlittunddeshalb inlöblicherOpferwilligkeitAllesaufbot,umdie RehabilitirungdesVerbanntenzuerreichen.SieschufdenGlauben,Dreyfus seinur verurtheilt worden,weilerJudeist,—inFrankreich,woschon18 19der jüdischeBaronWolfseine derhöchstenStellenin derArmee einnehmenkonnte undwo,nach eigenem»Zeugniß,wederDreyfus nochsein jüdischerKamerad Weilljemalsunter antisemitischerAnfeindungzu leidenhatte.Siebrachte auchdiefürdenKampf nöthigenMittel auf;undwenn esauch nicht,wie Herrvon Freycinet meinte,fünfunddreißigMillionen waren, so mußdie Campagne dochrechtvielGeldgekostethaben.DashatderSozialdemokrat Millerand,der unter HerrnWaldeck-RousseauheuteHandelsministerist, schonvor,zweiJahrenin derDeputirtenkammer behauptet;undnur die NaiostcnkönnensichdemWahn hingeben,diepariserBlätter,derenSitten derPanamadiebstahl dochhinreichendbeleuchtethat, hätten sich sämmtlich selbstlosin denDienstdesRechtesund derWahrheit gestellt.Damit soll natürlichnicht gesagt sein,alleLeute,diefür Dreyfus eintreten, seienbe- stochenworden—— solcheplumpeLügenbleibendenDemagogen vomSchlage Drumonts überlassen—; aberhättendievielenehrlichenMännerund Frauen,dieseit Jahren nun in der Afkaire leben undweben, überhaupt Etwasdavonerfahren,wenn dieinteressirteGeldmachtnicht für publiciteå inweitestemUmfange gesorgthätte? WürdeninDeutschland Dreyfus-Büsten verkauft undDreyfus-Speisenkarten aufgelegt werden,wenndenDeutschen nicht erzähltworden wäre,der Mann, derin einerKonvenienzehe, demResultateiner bourgeoisen Geldheirath, lebte und, wie andere schwacheMenschen, manchen Schritt vom Wege that, seieinlichter Heros,ein an hoheitvollerReine dem Heiland ähnlicherDulder,und seine Gegner seiennochzuzärtlichbezeichnet,wenn man siedenAbschaum derMenschheitnenne? DerSturm,dereinganzesReichindenAbgrund zureißendrohte,wardnur dadurch möglich,daßderGlaubegeschaffenund genährtwurde,hierseinieGesehenes, nieErhörtesgeschehen.Dasvermochte dasGeld.JneinemLande,dem inzehnJahren vierzehnhundertMillionen FrancsvonBörsendiebengestohlenworden sind,machteman plötzlichdie Entdeckung, daß dieJustiz,die denPanamaräubern dochkaumdieHautge- ritzthatte,manchmalimBannderKlassen- undKastenvorurtheilebefangen sei.Staunen empfing ringsum diesefunkelnagelneueWahrnehmung.Alle guten Bürgerschaarten sichzusammen,RadikaleschlossenmitOpportunisten

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denBundundneben demGeneralGallifet,dem»Communardenmörder«, nahmimMinisterumderSozialdemokratMillerand Platz. DieseEntwicke- lung hatteAnatole Leroy-Beaulieu vorausgeahnt,alserschrieb:Seitder alteGlaubeentschwunden,die alteEhrfurchtvorAutoritäten entwurzelt ist, hatdieGeldmachtkeinGegengewichtmehr.DasCheckbuchvereintanden großenTagenalleParteienundbildetdenMittelpunktderKonzentration allerRepnblikaner.«Diefettigen VogelfängermögensichbeimBetrachten desstattlichenGimpelschwarmes,derihnen aufdenLeimging, oftvor Lachen geschüttelthaben.Undwerwillsichdarüberwundern, daßesLeutegiebt,die sich,trotzdem sieweder denMenschennochdenJuden Dreyfus hassen,über denSpruchdesKriegsgerichtes gefreut haben,weilerdenZweifelndenbe- wies, daßdurchGelddochheutzutage noch nichtAlleszuerreichen ist?

DerSpruchmagungerecht sein.Man hatte ihn,alsderProzeßbe- gann, schonzu diskreditiren gesucht.DieRichterwurden alsvoreinge- nommen, gehässig,beschränktgeschildert; ihre rohen Kommißgesichter,so hießes, verriethen schon,wasvonihnenzu erwarten sei.Derals Staats- anwalt fungirende Offizier,einrecht unfähiger,aberoffenbar gutmüthiger unddemAngeklagtenungefährlicheralterHerr,wurdein denDarstellungen zumsenilenSatan,zumtückischenMikrokephalen,dernur vondemWunsch erfüllt sei,daseinmal umklammerte Opfer nicht mehraus denFängen zulassen.DieVorbereitungenwaren, wieman sieht, rechtumsichtigge- troffen:wurdeDreyfus verurtheilt,dann hatteman vorausgesagt, daß solcheHallunkendasRecht beugen würden;wurdeerfreigesprochen,dann war dieMachtderWahrheitebenso groß, daß selbst solcheBlutrichter ihr nichtWiderstandleistenkonnten.Damitwar aberdieSache noch nicht abge- than.DerProzeßwurdenichtnurimLyceumderbretonischenStadt, sondern auchin derpariferPresse geführt.JederdemAngeklagtenungünstigeZeuge wurdeöffentlichentkleidet, seinLebenswandel durchwühlt,jeder Fleckim hohen Stoß seinerPersonalakten durchstöbert,jedesWort seiner Aussage gedrehtundgewendet,bissichdieMöglichkeiteinesZweifels,eines Wider- spruchesmitanderenAussagen ergab.Jn Berlin lebenungefähracht- hundertRechtsanwälte.GlaubtirgendEinervonihnen, daßsolchemSystem auchnnr einevonhundertAnklagen widerstehenkönnte,dievordeutschen Gerichtenvertreten undim Sinn derStaatsanwaltschaft erfolgreichdurch-

«

geführtwerden?In DeutschlandwäreDreyfusunter AusschlußderOeffent- lichkeitabgeurtheiltworden;keinMenschhättevomVerlaufderBeweisauf- nahmeunddesBerfahrens auchnur eineSterbenssilbe gehört;undwerdie

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UnbefangenheitderRichteranzugreisengewagt hätte,Derwäre,ohneeinen Wahrheitbeweisversuchenzudürfen,insGefängnißgekommen.Keinbürger- lichesGerichthatbei uns dasRecht, militärischeUrtheilssprüchezu revi- diren;unddaßesauchvorunserenKriegsgerichtennicht ohne Jrrthum, StandesvorurtheilundpsychologischeFehlerabgeht,wüßteman,auchwenn verständigeOffiziere nichtganzoffendarübersprächen.Freilich herrschtin unserer Militärverwaltungeinebessergeordnete und,wiewirhofsenwollen, auch sauberereWirthschaftalsin demdemokratischerenGemeinwesen jen- seitsderVogesen.Aberwirhabenesnichtmit einerUntersuchung franzö- sischer Armeeverhältnisse,sondernmitdemangeblichdemHauptmann Dreysus zugesügten Unrechtzu thun. Und da lauten dieVor- würfe:imersten Verfahrenseienden Richtern belastende Papiere vorgelegtworden,diedem Angeklagtenund dem Vertheidigerver- borgen blieben;undimzweiten Verfahren seiesdieunabweisbare Pflicht der Richter gewesen,den Angellagtenfreizusprechen,weil

erdurchdieVeweisaufnahme nicht überführtworden sei.UeberbeideVe- schuldigungen hat hier schoneinMann gesprochen,der alsStaatsanwalt undRichterimdeutschenNordenhohe Stellungen eingenommen hat.Der frühereReichsgerichtsrathOttoMittelstaedt hatamneunzehntenMärz1898 in der»Zukunft«gesagt: »Das gehörtnuneinmalzudem System heutigen militärischenKundschasterwesens, daßdarin Dinge vorkommen,die im InteressedereigenenLandessicherheitesnichtvertragen, aktenkundiggemacht, damit unzuverlässigenUnterbeamten undunverantwortlichenAdvokaten preisgegebenzuwerden,und denenman docheinegewisseEinwirkung aufdie Urtheilsfindung ermöglichenwill... Wenn dreimitdenpersönlichen,ört- lichen,sachlichenVerhältnissendesGeneralstabesgenauvertraute Offiziere inverantwortlicher Stellung aufihrenEidversicheru,die imBorderau genanntengeheimen Papiere seien thatsächlichihrenVureaux entfremdet wordenundAlfred Drehfus seivonalleninFragekommendenPersonen derEinzige,der in derLage gewesensei, dieseFeloniezubegehen,so weiß ich nicht,obmir alsRichtereinsolches Zeugniß fürsichallein nicht schongenügthätte,einSchuldig auszusprechen.«JnRenneshaben fünf Kriegsminister nebstdenhöchstenChefsdesGeneralstabesund derArtillerie aus ihrenEidversichert,nur Dreyfuskönne denVerrath begangen haben, und esseialsvöllig ausgeschlossenzubetrachten, daßderehemaligeFrom- offizierWalsin-Esterhazh,den dieDreyfusparteialsdenSchuldigenbe- zeichnet,in denBesitzderverrathenen Geheimnissegelangt seinkönne. Das

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hörtendie imGlaubenanmilitärischeAutoritätenerzogenenOffiziere.Sie hörtenauch, daßderAngeklagteDinge leugnete,die er,nachderAussage einwandfreier Zeugen, nicht leugnen durfte, daßerseineKameradenüber dieintimsten Dienstgeheimnisseausgefragt,.widerSitte undOrdnung se- kretePapieremitinseine Wohnunggenommen, sich häufig ohne Paßim Elsaß aufgehaltenunddemösterreichischenMilitärattachå Schneider,der dochinformirt fein mußte,als derwirkliche,gerechtverurtheilte Schuldige gegolten hatte·Diese Wahrnehmungen«——unddieListederJndizien ist da- mitnochlange nichtbeendet schienenfünfvonsiebenRichtern hinreichend undsie sprachendieVerurtheilungaus. Werwillbehaupten,inirgend einemMilitärstaat hätteeinKriegsgerichtunter denselben Umständen anders gehandelt? Undwerkannbeweisen, daßderSpruchderRichter nichtder Ausdruck ihrerconvietion intime war,die dasGesetzfordert?

Ja, sagen dieDreyfusarden,wenn dieRichtervonseiner Schuldüber- zeugt gewesenwären,dannhättensieDreyfus nichtmilderndeUmständebe- willigt. FüreinenreichenOffizier,derseinLandverrathen hat,kannes keine mildernde Umständegeben.Aber in denuniformirten Schurken regte sichendlich dochdasGewissenundsie scheutenvorderäußerstenKonsequenz ihrer Rechtsbeugung zurück....BeisolchenKindereien brauchtman sich nicht aufzuhalten.Soglaubwürdig,wie dasBildvondenhartgesottenen Sündernmir demängstlichenGewissenwäreamEndeauchdieBehauptung, dieAbstimmung seieineabgekartcteKomoediegewesenundtie beidenfrei- sprechendcnBoten hättennur zeigen sollen, daß nichtdas ganzeOsfizier- corpswie einesestePhalanxgrgenDreysus stand. DieGewährungmildern- derUmstände läßt sichvieleinfachererklären.VordenRichtern standein Mensch,derfurchtbar gelitten,denman ausdemGrabegeholtundmitdem Lichtneuer Hoffnungbelebthatte.ErhatteinkurzerZeitWandlungendes Geschickeserfahren,wie keinesSterblichenKraft siezutragenvermag.Und seitMonatenwurdeerzählt,erseiein totkranker Mann, gebrochen,schwind- füchtig,vomFieber fast aufgezehrt.Eswäre dieäußersteBarbereigewesen,den Siechen,ebennochvonneuer Heils-hoffnungTrunkenen abermals ausdie Galeerezuschicken.DasaberhättedasGesetzverlangt,dasfür Landesverrath keineandercStrafekenntalsTododerDeportation.NurdieBewilligungmil- dernder Umstände dieja nichtnur imThatbestand, sondern auchin den persönlichenVerhältnissendesThäterszufinden seinkönnen botaus dieserBedrängnißeinenAusweg.DieRichter mögensichauchgesagt haben, diegünstigereAuffassung zweierdissentirenden Beisitzerdürfebei derFest-

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setzungdesStrafmaßes nichtganzunberüclsichtigtbleiben.UnserGerichts- verfassungsgesetzbestimmtimdrittenAbsatzdes-Paragraphen198: »Bilden sichin einerStrassache mehralszweiMeinungen,deren keine dieMehrheit für sichhat, sowerdendie demBeschuldigtenIIachtheiligstenStimmen den zunächstmindernachtheiligen so lange hinzugerechnet,bissicheineMehrheit ergiebt.«Und inFrankreichsCodedejusticemilitaire steht dieBestim- mung: La peineest prononceeä lamasoritedecinqvoixcontre deux. siaucune peinenereunit cette majorite, favis leplusfa- vorable sur Papplicationde lapeineestadopte. Jnbeiden Ländern werden verständig berathende Richternur höchstungerndengesetzlichen Nothausweg wählen;sie werdensichbemühen, aufeinerMittellinie eine Einigungzuerreichen,die demAngeklagtennicht dieWirkungderihmvor- theilhafterenBoten entzieht. Für grwissenhafteRichter sollte dieThatsache, daßzwei unterihnen dieSchUldfrageverneinthaben,Gewichtgenughaben, umsiebciderStrafabmessungzuderäußerstenMildezustimmen,diedasGesetz irgendwieerlaubt— selbstwennessichnicht, wieinRennes,umeinenSchwer- kranken handelt,derUnterabnormen Verhältnissengelittenhatund zweimal einemhochnothpeinlichenProzeßum Ehreund Lebenausgesetztwordenist.

...Voranderthalb Jahren hat Mittelstaedt hier gesagt: »Soviel erscheintmirunter allenUmständen gewiß:würdeheutedieFamiliedes AlfredDreyfus aufGrundeinesProzeßfehlerseineWiederaufnahmedesVer- fahrens erzielen,AlfredDrehfuswürdevonNeuemverurtheiltwerden«.Die ProphezeiungeinesKriminalistenvon großerErfahrunginjeglicherForm desProzeßrechteshat sich ersülltzundwirhaben gesehen,wiewenigdie groben ScheltworteundSchmähungeneinerkühlenPrüfungdesSach- verhaltes entsprechen.Bismarck pflegte,als die Afkaire schonStaub auf- wirbelte,zusagen,mansolledieFingervonbrenzlichenStoffen lassenund sichumdieinnerePolitik Frankreichs möglichstwenigkümmern.Wenndie verantwortlichenLeiter derReichsgeschästeaberglaubten,vondiesem Weg weichenundfüreinenunschuldigVerurtheilteneintretenzusollen,danngab eseineinfaches Mittel,dasfaitnouveau zuschaffen,daszurKassation desin RennesgesälltenSpruchesund zurFreisprechungdeszweimalBer- urtheilten führenmuß: sie brauchtennurdurchdenFürsten Münsterder französischenRegirung amtlichdieMittheilungunterbreiten zulassen, daß dieimBordereau aufgezähltenDokumente undRoten vondemfrüheren MajorWalsins-EsterhazyderdeutschenRegirung verkauftwordensind-

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Die öffentlichenGlückspiele.

sisteineeigenthümlicheErscheinung, daß zweiWissenschaften die Rechtswissenschaftunddie Nationalökonomie —, diesonstinderRegel einträchtigzusammenwirken,aufdemGebietederGlückspielegesonderteWege wandeln. WährenddieRechtswissenschaftdieLehrevon denGlückverträgen längstineiner reichhaltigenLiteratur verarbeitet hat, hatsichdie National- ökonomiebisher nirgendsmitderFrage nachderBerechtigungoderdochder BegründungdesSpieltriebes befaßtund sichdenGlückspielengegenüber stets ablehnendverhalten.Unddoch liegtderSpieltrieb tiefindermensch- lichenNatur unddieGlückspielesindebensoaltwie dasMenschengeschlecht.

DieErklärungdieseraufdenerstenBlickbefremdendenErscheinungist wohlvor- wiegendindemUmstandezusuchen, daßdieJurisprudenzdenErscheinungen und Thatsachendes Wirthschaftlebenseinvorwiegend formales Interesse entgegenbringt,d.h. daßdieJurisprudenz diese Thatsacheneinfachhinnimmt, ohneweiternach ihren UrsachenundEntstehungsgründenzufragen,undsich damit begnügt, ihre juristischeSeite zuerforschenund indasbestehende Rechtsfystecneinzufügen.DieJurisprudenz also standdenGlückspielenund Glückverträgenganz unbefangen gegenüberunderforschtederenjuristisches Wesen.DieNationalökonomie hingegen,derenAufgabeesist, diewirth- schaftlicheBedeutungunddieEntstehungursachenderVorgängezuergründen, gelangte nichtzu einerrichtigen ErkenntnißderGlückspiele,weilsie sichin dereigenen Fallefing. Definirt man nämlich was jaan sichganz richtig ist dieWirthschaftals »diejenigeplanmäßigeThätigkeit,welche darauf gerichtetist,denBedarfanGüternzu decken«,so liegtesnah,an-

zunehmen,daßfürdieGlückspieleinnerhalbdesBegriffes ,,Wirthfchaft«

oder»Wirthschaftlichleit«keinRaum ist,weilesnicht wohl angeht,einen regelmäßigenHaushaltung-undWirthschaftplanetwa aufderGrundlage desWürfelspielesaufzubauen.Wenn man von dieserAnschauung ausgeht, erscheintesganzselbstverständlich,daßdie Arbeit undnur die Arbeitdie Grundlage jeder vernünftigenWirthschaft sein könne;undistDemso,dann mußman konsequenterWeisedieGlückspielealseineArtvon Krankheit, alseineVerwirrung, kurz,alsEtwas, dasnicht sein foll, betrachten.Dem entsprachdennauchdieHaltungderzünftigenNationalökonomiegegenüber denGlückfpielen;siehattenur WortederMißbilligungfür sie.

Erwägtman jedoch,daßdieGlückspiele,wiegesagt,ebensoaltsind

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