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Die Naturwissenschaften. Wochenschrift..., 17. Jg. 1929, 31. Mai, Heft 22.

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DIE NATURWISSENSCHAFTEN

17. Jahrgang 3 1 • Mai 1929 Heft 22

Ein altes Scheinproblem.

V on

Wo l f g a n g Kö h l e r,

Berlin.

Wieso haben wir die Dinge der anschaulichen W elt vor uns, außerhalb von uns, da doch heute jederm ann weiß, daß sie von Prozessen in unserem Inneren, im Zentralnervensystem , bedingt sind?

E in Psychologe w ird in der R egel die einfache A u f­

lösung dieses sonderbaren Problem s sofort an ­ geben können. A b er daß sie allgem ein bekannt wäre, darf man nicht behaupten. N ich t nur ein Philosoph wie S

c h o pen h a u er

übernim m t die verkehrten Voraussetzungen jener Frage ohne K ritik und muß dann die kühnsten Annahm en machen, um sie zu beantworten. Viele der größten Physiologen, unter ihnen sogar H

e lm h o lt z

, haben an dieser Stelle keine volle K larh eit gefunden1.

M

ach

und A

v e n a r iu s

bem ühten sich, die wissen­

schaftliche W elt von den Fehlern abzubringen, die schon in der Form ulierung des Paradoxons liegen.

A ber entweder müssen ihre D arlegungen recht unbekannt geblieben sein, oder sie haben das Problem noch nicht ausreichend aufgelöst2. Denn vor wenigen Jahren noch w arf ein bekannter M edi­

ziner von neuem die Frage a u f: „W ie kom m t das an einen Organism us gebundene B ew ußtsein über­

haupt dazu, die Veränderungen seiner Sinnes­

organe auf etw as außer ihm Befindliches zu be­

ziehen?“ A lle Versuche einer E rklärung für diesen

„P rojektion szw an g“ erschienen ihm zw ecklos;

denn hier liege eines der ewigen R ätsel vor, welche m it dem „Leib-Seele-P roblem “ Zusammenhängen.

Man überzeugt sich leicht, daß jener M ediziner der G egenw art nicht allein steh t; er v e rtritt eher die M ajorität der N aturforscher. Studierende vollends, auch solche der N aturw issenschaften, m achen stets erst eine A rt R evolution ihres W eltbildes durch, wenn man darangeht, das anscheinend so M erk­

würdige in einen einfach übersehbaren Sachverhalt 1 Aus den Grundlagen seiner Raumtheorie will

He lm h o ltz

„eine wunderliche Folge ableiten: „ die im Raume vorhandenen Objekte erscheinen uns mit den Qualitäten unserer Empfindungen bekleidet. Sie erscheinen uns rot oder grün, kalt oder warm, riechen oder schmecken usw., während diese Empfindungs­

qualitäten doch nur unserem Nervensystem angehören und gar nicht in den äußeren Raum hinausreichen.“

(Die Tatsachen in der Wahrnehmung.)

2 Ein durchaus klarer und in den wesentlichen Punkten korrekter Ansatz zur konkreten positiven Auflösung des Paradoxons wurde schon 1862 von

Ew a ld He r in g

gegeben, wenigstens für die optische Wahrnehmung (auf S. 164— 166 seiner Beiträge zur Physiologie);

He r in g

äußert sich übrigens selbst sehr pessimistisch über das Verständnis, das seine Dar­

legungen bei seinen Zeitgenossen voraussichtlich finden würden.

um zuwandeln. U nter diesen Um ständen erscheint es w ohl angebracht, das Versehen, das in jene- Fragestellung steckt, noch einm al etwas ausführr licher zu korrigieren.

W ir haben den typischen F all einer Schw ierig­

keit vor uns, die man selbst schafft, indem man auf einem richtigen Gedankenwege eine Strecke w eit fortschreitet, ihn aber nicht konsequent zu Ende geht. W enn auf einem G ebiet eine neue Erkenntnis durchgeführt w ird, während auf einem N ach bar­

gebiet unverm erkt eine frühere Erkenntnisstufe erhalten bleibt, so müssen sich W idersprüche er­

geben. Der W eg, um den es sich im vorliegenden F alle handelt, ist durch die E ntw icklung der P h ysik von

Ga l i l e i

und

Ne w t o n

an unm ittelbar vo r­

geschrieben. K onsequenterweise w ird man sich auf eben diesen W eg der N aturw issenschaft be­

geben, um den K ern der entstandenen Schw ierig­

keit aufzudecken und sie zu beseitigen. E s wäre n icht vie l gewonnen, wenn man nur durch philo­

sophische E rw ägung zeigen w ollte, daß ein Irrtum vorliegen muß, während sich die Einzelw issenschaft auf ihrem W ege nach wie vor auf das alte Paradoxon geführt sähe.

Die P h ysik des späten B arock zerstört den naiven Realism us. D ie Dinge, welche unabhängig vom B eobachter bestehen und Gegenstand ob­

je k tiv gerichteter Forschung sein sollen, können unm öglich alle die bunten Eigenschaften haben, die die U m w elt in anschaulicher B etrach tu n g sicher­

lich aufw eist. D er P hysiker zieht also eine Menge sog. „Sin nesqu alitäten “ ab, wenn er aus dem A n ­ schaulichen herausarbeiten will, was er für o b jek tiv hält. Ob die größten K öp fe der Zeit sich sofort darüber klar waren, daß notw endig sehr vie l mehr geschehen muß, näm lich eine radikale Aufhebung der numerischen Id e n titä t von A nschauungsding und physischem Ding, w age ich n icht zu beurteilen.

Bisweilen sieht es so aus, als w äre für sie das an ­ schauliche D ing einfach das durch allerhand su b ­ jek tive Zutaten ein w enig verfärbte physische D ing selbst, beide also im Grunde doch ein und dasselbe Existierende. W ie immer es m it dieser historischen Frage stehen m ag, nach E lim ination der „sek u n ­ dären Q ualitäten “ en tw ickelt sich die P h ysik so schnell, daß ihre D en kart alsbald auch auf das V e r­

hältnis zwischen physischen Hergängen und Organis­

mus übertragen werden muß. Denn ob z. B. eine Schallwelle auf eine Saite oder ob sie auf das m ensch­

liche Trom m elfell fällt, das kann ja keinen U n ter­

schied im Prinzip bedeuten. Von diesem A ugen­

blick an scheint es kein Entrinnen vor dem P ara ­ doxon zu geben. Anatom ie, Physiologie und P ath o ­

N w . 1929 3 0

(2)

3 9 6 K ö h l e r :

Ein altes Scheinproblem. [

D ie N a tu r­

w issenschaften

logie lehren, daß über einen P u n k t keine Zweifel mehr m öglich bleiben. A n die A bfolge physischer V orgänge zwischen D ing und Sinnesorgan schließen sich w eitere H ergänge an, die durch N erven und N ervenzellen bis in bestim m te Hirnregionen fo rt­

gepflanzt w erd en ; und irgendwo in diesen Regionen kom m en Prozesse zustande, an deren Stattfinden die A nschauung überhaupt und dam it auch das Vorhandensein von Anschauungsdingen gebunden ist. So w ird ein physisches Ding, welches das T ageslicht anders reflektiert als seine Um gebung, der U rsprung einer langen R eihe sich sukzessive bestim m ender F ortpflanzungs- und U m setzungs­

vorgänge durch recht verschiedene Medien hin­

durch, bis am E nde ein Prozeßkom plex zustande kom m t, den man als den physiologischen Träger des entsprechenden anschaulichen „Sehdinges“

bezeichnen kann. D a es offenbar unsinnig wäre, den A usgangspunkt und eine so späte oder entfernte Phase dieser W irkungsreihe m iteinander zu iden­

tifizieren, so läß t diese geläufige Ü berlegung wohl Ähnlichkeiten irgendeines Grades zwischen dem Anschauungsding und seinem Partner in der physikalischen U m w elt zu; aber beide stellen jeden­

falls m indestens so verschiedene E xistenzen dar, wie es das physikalische D ing und der an ganz anderer R aum stelle verlaufende Hirnprozeß sind, von welchem das Vorhandensein des Anschauungs­

dinges unm ittelbar abhängt. W enn ich einen Schuß auf eine Scheibe abgebe, so w ird niemand behaupten, man dürfe das Loch in der Scheibe m it dem R evo lver identifizieren, von dem das G e­

schoß ausging. Genau ebensowenig kann natürlich das Anschauungsding m it dem physikalischen D ing identifiziert werden, von welchem die betreffenden R eize ausgegangen sind. U nter gar keinen U m ­ ständen h a t das Anschauungsding etw as an der Stelle des physikalischen Raum es zu tun, wo sich das „zu geh örige“ physikalische D ing befindet.

W enn es überhaupt an irgendeinem P u n k t des physikalischen Raum es untergebracht werden soll, dann gehört es offenbar noch am ersten an die Stelle im Hirn, wo der unm ittelbar zugehörige physiologische Prozeß abläuft. Man sieht bei S c h o p e n h a u e r , bei H e lm h o ltz , bei dem oben angeführten Mediziner und bei jedem , für den jenes Paradoxon besteht, auf den ersten B lick, daß sie gerade eine solche L okalisation von Anschauungs­

dingen und anschaulichen B eschaffenheiten für die n atürliche halten würden. S ta tt dessen aber haben w ir die Anschauungsdinge ohne Zw eifel vor uns, außerhalb von uns.

E s liegt nahe genug zu sagen, daß B estandteile der anschaulichen W elt prinzipiell an keinem O rt der physikalischen K örperw elt lokalisiert gedacht werden dürfen, da anschauliche und physische L okalisation inkom m ensurable D aten seien. D es­

halb kom m e auch Lokalisation eines Anschauungs­

dinges im Innern des Gehirns nicht in B etrach t.

M an m uß sich jedoch die B eantw ortun g unserer F rage nicht zu leicht machen. Eine solche rein n egative These löst das nun vorliegende Problem

gewiß nicht auf. Denn dieses w ird ja darin ge­

funden, daß die anschaulichen D inge in einer be­

stim m ten L age doch gerade relativ zu unserem Körper, nur n icht in ihm, sondern außerhalb von ihm lokalisiert sind. So scheint die einfachste E r­

fahrung dem eben angeführten erkenntnistheoreti­

schen A rgum ent zu widersprechen. In der T a t findet man deshalb bei Biologen und sogar P h ilo­

sophen die Annahm e, daß das anschauliche D ing auf irgendeine A rt („Projektion szw an g“ ) wieder aus dem K örper hinaus in den physikalischen A u ßen ­ raum und w om öglich gerade an den O rt seines physikalischen Partners zurückverlegt werde. So phantastisch eine solche V orstellung auch sein m ag

— man ist leider gewohnt, auf psychologischem G ebiet allerhand H ypothesen zuzulassen, wie sie in ähnlicher Verw orrenheit auf rein naturw issenschaft­

lichem G ebiet niem and dulden würde. A uch fehlt es wohl nicht an solchen, die in einer so abenteuer­

lichen L eistung die Ü berlegenheit des Geistes über die beschränktere N atur ausgedrückt finden w ür­

den.

Zu dem erkenntnistheoretischen Satz von der Inkom m ensurabilität physikalischer und anschau­

licher L okalisation aber ist folgendes zu sagen. A n ­ genommen, er sei absolut korrekt und die A n ­ schauungsgesam theit einer Person einfach deshalb im physikalischen W eltganzen nicht irgendwo be­

stim m t lokalisierbar, weil keinerlei direkte F e st­

stellung über das L okalisationsverhältnis von A n ­ schauungsdaten und physischen D aten auch nur erdacht werden könne, dann folg t gerade daraus, daß w ir uns die Anscha.VLxmgs,gesamtheit eines Men­

schen nach Belieben dort in der physischen W elt denken dürfen, wo uns das unser Vorstellen in irgendeiner H insicht erleichtern könnte. So ein Vorgehen w ird bei konsequenter D urchführung nie­

m als eine U nstim m igkeit ergeben können, gerade w eil w ir es in der T a t stets m it R elativlokalisation entweder physischer D aten oder anschaulicher Gegebenheiten je unter sich, nie aber m it L o k ali­

sation der einen relativ zu den anderen zu tun be­

kommen sollen1. Nun ist nach unserer G rund­

auffassung die Anschauungsgesam theit einer Person streng gewissen Prozessen im Zentralnervensystem dieser Person zugeordnet. E s w ird also unsere B e ­ trach tu n g und Ausdrucksw eise einfacher gestalten, wenn w ir im folgenden nicht neben L okalisations­

verhältnissen im physischen R aum die räum lichen Verhältnisse der anschaulichen W elt als Angelegen­

heiten ganz für sich behandeln, sondern uns die Anschauungsgesam theit und ihre Teilgebiete m it denjenigen Hirnprozessen zur D eckung gebracht denken, die ihnen sicherlich wenigstens zugeordnet sind. Dieses Vorgehen präjudiziert nach dein G e­

sagten nichts; wer glaubt, aus V orsicht dergleichen 1 Ich kann mir ja auch die „Begriffspyramide“

der alten Logik oder das „Farbenoktaeder“ unbesorgt in beliebigen Raumgebieten lokalisiert denken, gerade weil die Quasiräumlichkeit jener die Deckung mit bestimmten „wirklichen“ Raumbereichen genau ebenso­

wenig ausschließt wie fordert.

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Heft 22. 1 31. 5. 1929J

K ö h l e r :

Ein altes Scheinproblem. 397

verm eiden und die Anschauungsgesam theit ständig in einem inkom m ensurablen R aum für sich v o r­

stellen zu sollen, muß auch dabei zu genau dem ­ selben Ergebnis, derselben Auflösung des P ara ­ doxons gelangen, wie sie sich für uns ergeben wird.

Übrigens aber kom m t es mir darauf an, zu zeigen, daß diese Auflösung auch dann vollkom m en gelingt, wenn man m it

He l m h o l t z

und so vielen Biologen sagt, die anschaulichen Gegebenheiten „gehörten nur unserem N ervensystem an “ .

D er Anschauungsraum w eist überall Beispiele des ,,Außereinander“ auf. Neben meinem Buch, außerhalb von ihm, liegt der B leistift, noch w eiter von beiden steht das Anschauungsding T intenfaß da. D as kom m t uns ganz natürlich vor. D er einzige Gedanke, der zur Auflösung jener sonder­

baren Problem lage erforderlich ist, besteht nun darin, daß „m ein K örp er“ , vor dem und außerhalb von dem die Anschauungsdinge wahrgenom m en werden, selbst ein solches Anschauungsding neben anderen im gleichen anschaulichen Raum e ist, und daß er auf keinen F all m it dem Organism us als dem physikalischen O b jekt identifiziert werden darf, welches von den N aturw issenschaften, A n a ­ tomie und Physiologie untersucht w ird. D a man im Anfang, solange diese U nterscheidung noch nicht selbstverständlich ist und dam it das Schein­

problem verschw indet, notw endig ein w enig von ihr verw irrt wird, so möge der Sachverhalt stufen­

weise erläutert werden: W enn ich meine eigene Hand neben B le istift und T intenfaß halte, so reflektiert die H and L ich t und dieses reizt mein Auge, genau wie das bei den zwei anderen Objekten, der F all ist. In jenem Hirnfeld, das die physio­

logischen K orrelate unserer A nschauung (und nach unserer K onvention auch diese A nschauung selbst) enthält, spielen sich also nicht nur zwei P rozeß­

gesam theiten ab, die den Außendingen B leistift und Tinten faß entsprechen, sondern noch eine dritte von generell durchaus gleicher Beschaffenheit, m it welcher das A uftreten des Anschauungsdinges Hand verbunden ist. Niem and w undert sich darüber, daß das Anschauungsding B le istift außer­

halb des anschaulichen Dinges T intenfaß liegt.

Aber genau ebensowenig kann man erstaunt dar­

über sein, daß die H and als ein drittes Anschauungs­

ding neben beiden und sie wieder außerhalb der Hand erscheinen. D ie Prozesse in jenem Hirnfeld müssen unzw eifelhaft irgendwelche Beschaffen­

heiten haben, au f Grund deren nicht nur die Anschauung überhaupt räum lich ist, sondern im besonderen ein bestim m tes Verhalten mehrerer Prozesse zueinander dem anschaulichen Neben- und Außereinander der zugehörigen Anschauungsdinge entspricht. W enn dieses bestim m te V erhalten für die Prozesse von B leistift und T intenfaß vorliegt, dann im eben besprochenen F alle sicherlich genau so für beide in ihrer B eziehung zu dem „H and- Prozeß“ .

W ie ich aber da am Schreibtisch sitze, ist außer meiner Hand im etw as mehr peripheren Sehfeld

auch ein gutes S tü ck von beiden Arm en und von meinem Oberkörper sichtbar. O ffenbar sind da Arm e und O berkörper Anschauungsdinge genau so gu t wie die H and, oder auch w ie B le istift und T in te n fa ß ; sie sind genau auf dieselbe A rt wie diese physikalisch-physiologisch durch retinale A b b il­

dung und im N ervensystem daran anschließende Prozesse entstanden, folglich auch denselben Regeln der R elativlo kalisatio n unterworfen w ie jene O b­

jekte. W enn es also verständliche Gründe dafür gibt, daß diese unter den U m ständen unseres B ei­

spieles außerhalb voneinander erscheinen, so liegen genau dieselben Gründe für ein A ußereinander ihrer Gesam theit und meines K örpers als eines A n ­ schauungsdinges vor.

U m diese Sachlage noch etw as konkreter vo r­

stellen zu können, führen w ir eine Annahm e ein, die sicherlich so nicht ganz zu trifft und nachher korri­

giert werden m uß: W ir wollen vöraussetzen, daß dem anschaulichen Nebeneinander zweier Dinge wie B le istift und T intenfaß und ihrem konkreten anschaulichen A bstand einfach das Nebeneinander und der bestim m te A bstand der ihnen zugehörigen Hirnprozesse entspricht, kurz daß der Anschauungs­

raum und die räum liche V erteilung der unm ittelbar zugehörigen Prozesse im H irnfeld einander ge­

wisserm aßen geom etrisch ähnlich oder daß sie sogar kongruent sind. Dann ergibt die B etrachtun g des eben besprochenen Beispieles, daß sich jeweils an einer bestim m ten Stelle des physikalischen Hirnfeldes der Prozeßkom plex für meinen Körper als Anschauungsding abspielt, daß rings um ihn die Prozesse für andere anschauliche D inge stattfinden, und daß, wegen der gegenseitigen geometrischen B e ­ ziehungen dieser Prozesse, im Anschauungsraum überall Anschauungsdinge nebeneinander und dabei sie alle außerhalb eines (für mich) besonders w ichtigen von ihnen liegen müssen, das ich „m einen K örp er“ nenne.

D as ist der erste wesentliche S ch ritt zur A u f­

lösung des Paradoxons. W enn

S c h o p e n h a u e r

und nach ihm viele N aturforscher über die „A u ß e n ­ lokalisation“ der Anschauungsdinge erstaunt waren, so lag das nur daran, daß sie eine B etrachtun g, die ihnen für sonstige O bjekte n atürlich geworden war, nicht auch für den eigenen K örper durchführten, sondern für diesen die naive Identifikation oder Verw echslung von physikalischem D ing und A n ­ schauungsding beibehielten. A ber wenn w ir sagen, irgendein D ing stehe vor „u n s“ , so ist eben, was w ir m it „u n s“ bezeichnen, nicht der Organism us im physikalisch-physiologischen Sinn, sondern ein A nschauungsding neben anderen, das dieselbe A rt R elativlokalisation ihnen gegenüber aufweisen muß wie sie unter sich. D abei hängen beide, die anderen anschaulichen Gegenstände wie das „ I c h “ (im banalen anschaulichen Sinn), funktionell von bestim m ten Prozessen im eigenen 'physikalischen K örper, und ebenso hängen von der V erteilung dieser Prozesse alle anschaulichen R e lativlo kali­

sationen ab. Noch niemals aber h at jem and ein Anschauungsding relativ zu (außerhalb von)

3 0 *

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3 9 8 K ö h l e r :

Ein altes Scheinproblem.

r Die Natur- L Wissenschaften

seinem eigenen 'physikalischen K örper lokalisiert gesehen1.

A n dieser Stelle bleibt leicht ein R est von U n ­ behagen übrig, weil nun zw ar die anschaulichen D inge verständlicherw eise außerhalb des anschau­

lichen Ich liegen, aber doch jene wie dieses unserer K onvention zufolge im eigenen physikalischen Körper existieren. N achher w ird in dieser H insicht wohl jedes Bedenken verschwinden. Zunächst aber bedarf das bisher A usgeführte einer Erw eiterung und einer K orrektur.

D ie E rw eiterung w ird dadurch notwendig, daß in unserer Anschauungsw elt sehr viel mehr en t­

halten ist als nur Optisches. D ie bisherige E r­

örterung blieb nur deshalb auf den optischen G e­

h alt des Anschauungsraum es beschränkt, w eil wir wissen und an die Erkenntnis gewöhnt sind, daß die optischen Prozesse sich geordnet in einem physiologischen Feldzusam m enhang abspielen, so daß die A nordnung des op£isc/t-anschaulichen eige- nenLeibes neben die übrigen gesehenen Anschauungs­

dinge etw as unm ittelbar Zwingendes hat, wenn man einm al weiß, daß der anschauliche K örper nicht m it dem physikalischen Organism us identifiziert w er­

den darf.

Schall wird im allgemeinen weniger scharf, er w ird aber doch auch im anschaulichen R aum lokali­

siert. Ebenso spüre ich die H ärte des Tisches unter meinen H änden (als Anschauungsdingen), also wieder im Anschauungsraum . E in alter S treit be­

trifft die Beziehungen dieser anschaulichen R aum ­ daten anderer Provenienz zu denen des Sehens.

E in T atbestand aber ist phänom enologisch jeden­

falls gesichert: Ob scharf oder diffus lokalisiert, Schall tr itt für uns an Orten desselben Anschauungs­

raum es auf, in dem w ir (an gleichen oder anderen Orten) die anschaulichen D inge sehen. N ur des­

halb kann ich z. B . sagen, ,,daß es eben d ort im Gebüsch raschelte“ , und dabei einen Sch allort auf die L age eines optisch gegebenen A nschauungs­

dinges beziehen. G anz ebenso spüre ich die H ärte des Tisches, z. B . etw as links von der Stelle, wo das Anschauungsding B le istift liegt, und lokalisiere d am it einen T asto rt relativ zu einem Sehort. W er gew ohnt ist, sein U rteil über Sachverhalte der W ahrnehm ung durch sein W issen über die peri­

pheren Sinnesorgane bestim m en zu lassen, w ird hier n ich t sogleich zustim m en mögen, da die Sinnes­

organe des Sehens, Hörens und T astens vo n ­ einander getrennte Receptorenflächen darstellen, und sicherlich auch noch die prim ären E inm ün­

dungsgebiete der betreffenden N erven in der G roß­

hirnrinde voneinander getrennt sind. W as aber den ersten P u n k t anbelangt, so sind auch die beiden A ugen zwei peripher getrennte Sinnesorgane, deren

1 Wenn hier von dem eigenen anschaulichen Ich die Rede ist, so bleibt die Persönlichkeit in einem tieferen Sinn zunächst ganz außerhalb der Diskussion.

Wir sprechen hier von dem Ich, das gemeint ist, wenn wir sagen, „ich lege mich auf das Sofa“ , „ich setze mich", „ich gehe die Treppe hinunter“ usf.

R eizung trotzdem optische A nschauung unzw eifel­

h a ft in einem Raum zusam m enhang ergibt. D aß ferner die primären Einm ündungsgebiete der ein­

zelnen Sinnesnerven zugleich auch die letzten Stationen der sensorischen Prozesse seien, ist eine Annahm e, für die eine rechte Begründung durchaus nicht vorliegt. M it der unm ittelbaren E rfahrung viel besser übereinstimm en würde jedenfalls die andere H ypothese, daß alle sensori­

schen Prozesse zu letzt in ein ihnen allen gem ein­

sames Feld einmünden und hier nach M aßgabe ihres Verhaltens zueinander in die Beziehungen kommen, welche die Grundlage ihrer L okalisation in einem einzigen Anschauungsraum abgeben. Das ist die physiologische W endung einer Ansicht, die früher einm al als nahezu selbstverständlich galt, und die in neuerer Zeit W . S t e r n wieder vertreten h at. Es w äre ein schlechtes Argum ent, wenn man einwenden wollte, daß doch n icht selten D is­

krepanzen zwischen der L okalisation eines Schalles und der L age der gesehenen Schallquelle, daß eben­

so U nstim m igkeiten zwischen dem T astb ild eines Gegenstandes und seiner Sehform beobachtet werden. Denn einm al folgt aus der eben erwähnten Annahm e keineswegs, daß dergleichen nicht

V o r ­

kom m en d ürfte; und dann setzt die Feststellung einer solchen D iskrepanz ja gerade voraus, daß Schallort und optische Lage der Schallquelle, daß T astbild und Sehbild prinzipiell vergleichbare Beschaffenheit haben, da ich sie bei einer solchen Feststellung ja in der T a t m iteinander vergleiche.

D as Normale ist freilich, daß nicht nur die L o k ali­

sation des Anschaulichen verschiedener Sinnes­

gebiete in ein und demselben Anschauungsraum geschieht, sondern dort überdies, im Groben wenigstens, dasjenige zusam m enfällt, was zu ­ sam m engehört, also der O rt des Schalles und der O rt der Schallquelle als eines Sehdinges usw. Es ist für unsere Frage nicht wesentlich, ob diese un­

gefähre „A ngem essenheit“ in der anschaulichen R elativlo kalisatio n von Sehdingen, Schall und Gegenständen des Tastens zu einem Teil anatomisch begründet ist (wie die einheitliche Raum ordnung des Sehens m it den beiden Augen), ob ein fast unvorstellbares Maß von Lernen die O rte von Schallen, Tastdingen u. s. f. in etw a angemessene Beziehung zu der einheitlichen Raum ordnung der Sehw elt bringt, oder ob schließlich neben diesen beiden noch weitere M öglichkeiten der E rklärung in B etrach t kommen. Sehr früh im menschlichen Individualleben besteht jedenfalls schon jene Z u ­ ordnung der Lokalisation. U nd dam it fügen sich die übrigen anschaulichen D aten dem einen A n ­ schauungszusam m enhang ein, der oben zunächst in seiner optischen E rstreckung vor dem optisch gegebenen K örper-Ich beschrieben wurde. D es­

halb können w ir uns auch die sensorischen P ro ­ zesse nicht-optischer Provenienz jew eils an den­

jenigen Stellen des oben betrachteten Hirnfeldes

stattfindend vorstellen, wo sich die zugehörigen

optischen Prozeßkom plexe abspielen (vgl. jedoch

unten S. 400).

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K ö h l e e :

Ein altes Scheinproblem. 399 Eine ganz .entsprechende Erw eiterung aber ist

sogleich auch hinsichtlich der anschaulichen K o n ­ stitution unseres Körper-Ichs vorzunehm en. Für dieses und seine wechselnden Zustände sind Sinnes­

daten außeroptischer Provenienz sogar zweifellos w ichtiger als seine optische Erscheinung, die ja für uns selbst stets eine recht unvollkom m ene bleibt.

W ie unsere anschauliche U m w elt sich durch B e ­ tasten bereichert, dabei aber eine in hohem M aße korrekte Zusam m enordnung von optischen A n ­ schauungsdingen und Tastgegebenheiten in einem Anschauungsraum gew ahrt bleibt, so gliedert sich, was w ir von uns selbst durch Berührung spüren, im Groben rich tig dem Sehding „eigener K örp er“

an und ein. In dieselbe Region des anschaulichen Raum es wird, wieder hinreichend passend, eine Fülle von D aten eingezeichnet, die es im wesent­

lichen nur für den eigenen anschaulichen K örper und seine Glieder gibt, und über deren ph ysio­

logische Fundierung in Sinnesorganen der H aut, der Muskeln, Gelenke usw. w ir bisher n icht ganz vollständig unterrichtet sind: D as sind die (auch ohne Hinsehen) anschaulichen Lagen unserer G lie­

der, die gespürte Anstrengung oder E ntspannung von E xtrem itäten und Körperregionen — wobei man fortw ährend verm eiden muß, von der B e ­ trachtung des A nschaulich-U nm ittelbaren, das eben m it diesen W orten gem eint ist, in die der physikalisch-physiologischen Zustände und Ä nde­

rungen in entsprechenden Teilgebieten des ph ysi­

schen Organism us hinüberzugleiten. E s versteh t sich von selbst, daß als eine der w ichtigsten G rup­

pen von anschaulichen D aten diejenige nicht ve r­

gessen werden darf, die Änderung und Bew egung des anschaulichen Körpers und seiner Glieder be­

trifft. E s ist bekannt genug, daß Erregungen der Yestibularnerven gewissermaßen die reinste A n ­ schauung räum licher D ynam ik erzeugen. U nd all dies tr itt als Zustände und H ergänge in und an demselben anschaulichen Gebilde auf, für welches w ir phänomenologisch ganz berechtigterweise einen einzigen Namen, näm lich den des Ich (im A ll­

tagssinn) haben, ohne uns um die gew altige M annig­

faltigkeit ganz verschiedener sensorischer Anlässe zu küm m ern, die physiologisch fortwährend zu seiner K onstitution beitragen. So können w ir w ie­

der nur deshalb verfahren, weil alle diese D aten, welcher peripher-physiologischen Provenienz sie auch sein mögen, sich im allgemeinen so durchaus angemessen in einem Gebilde des Erlebnisraum es zusammenordnen. D ie Anstrengung, welche ich eben in meinem rechten A rm spüre, indem ich die F au st balle, ist in dem Gebilde lokalisiert, das ich sehend meinen rechten Arm nenne, u. s. f. W ieder­

um w ird auch die hirnphysiologische Konsequenz zu ziehen sein, daß die D aten aller dieser ve r­

schiedenen Sinnesorgane zur Bestim m ung eines ein­

zigen in sich geschlossenen Prozeßkom plexes führen, dessen anschauliches K orrelat eben „ ic h “ heißt.

Deshalb w ird hirnphysiologisch wie anschaulich­

phänomenologisch durch die „sensorische H etero­

genität“ des anschaulichen Ich sowie der anschau­

Heft 22. 1 3 1. 5- 1929J

lichen U m w elt gewiß nichts an dem Tatbestand geändert, daß das eine von den B estandteilen des ändern umgeben ist und keinerlei Grund besteht, weshalb die anschauliche U m w elt im anschau­

lichen Ich auf treten sollte. So etw as kom m t wirklich nur in besonderen Fällen vor, wo es gerade aus dem Prinzip der norm al angemessenen E in ­ ordnung aller Sinnesdaten in einen Anschauungs­

zusam m enhang folgt: Indem ich Speisen zu mir nehme, verspüre ich diese Anschauungsdinge, eben noch Gegenstände der anschaulichen C/mwelt, gewiß einige Momente im Innern des anschau­

lichen Körper-Ichs, näm lich im Munde. Aber das h a t natürlich nichts m it dem Paradoxon zu tun, von dem w ir ausgingen, sondern bedeutet nur, daß in einem einheitlichen Anschauungsfeld (und entsprechend in einem einheitlich geordneten H irn­

feld) stetige Verschiebungen eines Anschauungs­

bildes (und ebenso des ihm zugrundeliegenden Hirnprozesses) von einem umgebenden Bereich in ein umschlossenes Sondergebiet (den V erband der Ich-Prozesse) hinein m öglich sind.

A ußer der eben gegebenen Erw eiterung, von einer B etrach tu n g des nur optischen Sachverhalts zu der der W ahrnehm ung überhaupt, erfordert die Auflösung des Paradoxons noch die K orrektu r einer vereinfachenden, aber ernstlich gar nicht aufrecht zu erhaltenden Annahm e, m it der bis hierher operiert w^urde: E s ist unmöglich, daß die Lageverhältnisse im Anschauungsraum einfach geometrischen Lagebeziehungen der zugehörigen Prozesse im Hirnfeld entsprechen. G. E . M ü l l e r h a t bereits vor längerer Zeit darauf hingewiesen, daß so etw as schon deshalb nicht in B etrach t kom m t, weil z. B . der gesehene R aum sich wie ein recht gleichm äßiges K ontinuum verhält, während die zugehörigen Prozesse des Hirnfeldes anato­

misch-geom etrisch au f die beiden Hem isphären ve rteilt sind, und also nach dem rein geometrischen Prinzip etw as wie eineLücke oder wenigstens eine grobe Zusam m enhangsstörung durch diese In ­ hom ogenität der geometrischen P rozeßverteilung b ew irkt werden m üßte. Dasselbe folgt aus der (ebenfalls von M ü l l e r hervorgehobenen) sehr unregelm äßigen E inlagerung von B lutgefäßen zwischen die nervösen Gewebe. V on solchen B e­

denken ganz abgesehen, h a t der Anschauungsraum eine große A nzahl von Eigenschaften, die schlech­

terdings unverständlich bleiben m üßten, wenn man voraussetzen w ollte, daß sein A ufbau und seine Gliederung in jedem konkreten F all von weiter nichts bestim m t würden als von rein geometrischen Beziehungen lokaler Einzelprozesse. D ie neuere W ahrnehm ungspsychologie h a t wohl zwingend erwiesen, daß als physiologische Grundlage der anschaulichen Raum ordnung nur Prozeßausbrei­

tung in funktionellem Zusammenhang, sowie A b ­ stufungen und Gliederungen in einem solchen Z u ­ sam m enhang in B etrach t kommen. Die physio­

logische Theorie des Anschauungsraum es m üßte

danach dynamischen, nicht geometrischen C harak­

(6)

4 0 0 K ö h l e r :

Ein altes Scheinproblem.

[

D ie N a tu r ­ w issenschaften

ter haben. D ie Sym m etrieeigenschaften einer ge­

sehenen K reislinie z. B. würden nicht auf den nur geom etrischen Beziehungen zwischen den Orten unabhängiger Einzelprozesse beruhen, sondern darauf, daß in einem ausgedehnten Prozeßganzen, das dem gesehenen K reis zugrunde liegt, en t­

sprechende Sym m etrie des Funktionszusam m en­

hanges besteht. Eine nähere D arstellung des Sach ­ verhalts würde zu w eit von unserem W ege ab- führen1. E s w ird genügen, wenn an einem A nalogon aus der E lem entarphysik gezeigt wird, wie sich von dieser veränderten V oraussetzung aus auch jene aus der Anatom ie entspringenden Schw ierigkeiten auflösen lassen.

Aus fadenförm igen Leitern sei ein dreidim en­

sionales N etz oder G itter gebildet, derart, daß die L eiter als die K anten von lauter gleichen kleinen W ürfeln angesehen werden können und folglich an den E cken jedes solchen W ürfels je 6 Fäden leitend m iteinander verbunden sind, während die Fäden sonst in isolierenden H üllen liegen. W ird ein solches N etz in einer bestim m ten W eise m it den Polen einer B atterie verbunden, so kann die V e r­

teilung der zustande kommenden stationären Ström ung natürlich rein geom etrisch dargestellt werden. Das ist aber ein recht äußerliches V e r­

fahren, da ja für den H ergang reine R aum daten sehr wenig bedeuten und die Ström ungsverteilung sachgem äß auf Leiter strecken bezogen werden muß. Rein geom etrisch würde die stationäre Ström ungsverteilung eine ganz andere, sie würde verzerrt werden, wenn das N etz „verb o ge n “ , manche Fäden in K u rven gelegt würden u s w .; zu ­ gleich jedoch würde, in Leiter- oder W iderstands­

strecken gemessen, dieselbe V erteilung w eiter b e­

stehen wie zuvor. Ja, bei solcher Messung könnte man auch dann noch von derselben V erteilung sprechen, wenn m anche der Fäden (zwischen zwei Verbindungspunkten) eine von den übrigen a b ­ weichende Länge, dabei aber denselben W iderstand h ätten wie sie. U nter solchen U m ständen würde es gewiß zu rech t erheblichen D iskrepanzen zwischen einer Beschreibung der Ström ung in rein geom etri­

schen und einer solchen in den (allein adäquaten) funktionellen K oordinaten kommen könn en ; in diesen würde eine bestim m te Ström ungsverteilung z. B . als „hom ogen“ zu bezeichnen sein, während ihre D ichte, auf Q uadratzentim eter bezogen, von einer Stelle zur anderen stark variierte.

D a die U nterscheidung von funktionellen und geom etrischen K oordinaten sich auf andere H er­

gänge übertragen läßt, also nicht auf den F all stationärer elektrischer Ström ung beschränkt bleiben m uß, kann sie wohl au f das Z entral­

nervensystem und insbesondere denjenigen Teil von ihm angew andt werden, dessen Prozesse jew eils der räum lichen Anschauungsordnung zugrunde liegen. E s leuchtet ein, daß dann nur funktionelle

1 Vgl. jedoch

We r t h e i m e r,

Über das Sehen von Bewegung (Drei Abhandlungen zur Gestalttheorie) und

Kö h l e r,

Die physischen Gestalten. Beides Berlin, Verlag Dr.

W .

Benary.

K oordinaten verw andt werden dürfesn und deshalb die von allerhand sekundären F akto ren m it­

bestim m te geom etrisch-anatom isahe L age der einzelnen leitenden Gebilde und Zellen relativ zu ­ einander bedeutungslos wird. D am it verschwinden die von

Mü l l e r

erörterten Schwierigkeiten. Im allergröbsten w ird man freilich immer noch E n t­

sprechung von geom etrisch-anatom ischen und funktionellen K oordinaten des System s vo rau s­

setzen können, da etw a funktionell nächstbenach­

barte Gewebeteile m eist auch geom etrisch-ana­

tom isch N achbarn und funktionell voneinander sehr entfernte auch anatom isch durch eine gewisse R aum strecke getrennt sein werden. A ber bis ins einzelne und bis zu strenger E ntsprechung wird diese Ü bereinstim m ung nicht gehen. Für die A u f­

fassung der Geschehensordnung in einem solchen Feld w ird sie stets belanglos sein, da es ja immer nur au f die funktionellen Koordinatenabm essungen ankom m en kann.

W enn ohne dieses Prinzip schon die Beziehung zwischen optischer R aum ordnung und entsprechen­

den Hirnprozessen nicht verstanden werden kann, so w ird es erst recht beachtet werden müssen, so­

bald w ir die angemessene Zusam m enordnung der Erscheinungen verschiedenster sensorischer Provenienz in einem R aum ganzen physiologisch begreiflich machen wollen. (Das ist gegenüber der vereinfachenden Form ulierung S. 398 zu be­

denken.) V ielleicht am w ichtigsten aber w ird der gleiche G esichtspunkt für das V erständnis des Aufbaues des anschaulichen Ich aus genetisch so sehr verschiedenartigem sensorischem M aterial sein.

W ieder wird man ernstlich n icht daran denken können, daß in dem betreffenden H irngebiet die zugehörige Prozeßm annigfaltigkeit jeweils eine A rt geom etrische K opie des anschaulichen Körpers d a r­

stellt, weil es eben au f die funktionellen K o o rd i­

naten ankom m t, und diese auf die m annigfachste W eise „v e rz e rrt“ und ungleichm äßig im G ehirn­

raum liegen können. A n der R elativlokalisation von anschaulichem Ich und anschaulicher U m ­ gebung wird durch diese K orrektu r des m aß­

gebenden Koordinatensystem s n icht das m indeste geändert. D as „A u ß e rh alb “ und der wechselnde A bstand von anschaulichen Dingen relativ zum anschaulichen K örper ist nur wieder funktionell, als eine A b stu fu n g im ausgedehnten P rozeß ­ zusam m enhang, begründet zu denken, welcher die rein geom etrischen Verteilungen nur im Gröbsten gem äß sein werden.

H iernach schw indet wohl jeder R est von P a ra ­ doxie aus der Lokalisation unserer anschaulichen U m w elt rings um uns. W as an anschaulicher R elativlo kalisatio n überhaupt Vorkommen kann, bestim m t sich nach funktionellen N achbarschaften und Abständen innerhalb der zugrunde liegenden nervösen Prozeß Verteilungen. D aß diese als G e­

sam theit im Innern der G ehirnhäute und des

Schädels liegen, geht auf keine A rt in jene F u n k ­

tionszusam m enhänge ein, kann also unm öglich

in unserer A nschauung zum A usdruck kommen,

(7)

Kö h l e r:

Ein altes Scheinproblem. 401 deren R äum lichkeit ja nur auf jenen funktionellen

Zusammenhängen beruht. E rst wenn man w äh ­ rend seiner Überlegungen von einer A rt K oordina­

tensystem in ein ganz anderes gerät, kann man hier noch Schw ierigkeiten finden. W enn das anschau­

liche Ich auf einem Prozeßkom plex, die anschau­

liche U m w elt auf anderen solchen Kom plexen be­

ruht, und die anschauliche R elativlokalisation bei­

der einem funktioneilen Außereinander entspricht (wie es genau so dem Außereinander verschiedener anschaulicher U m weltdinge zugrunde liegt), dann geht die R echnung ohne R est auf.

Es wird gu t sein, den E indruck zu verm eiden, als führe die hier gegebene D arstellung zu weiter nichts als zur B eseitigung des alten Paradoxons.

Bisher wurde aller N achdruck darauf gelegt, daß für konsequentes Denken gerade die im allgem einen getrennte Lokalisation von anschaulicher U m w elt und Ich natürlich und notwendig w ird. In etw as anderer H insicht aber führen dieselben Ü berlegun­

gen vielm ehr zu einer funktionellen Gleichstellung und V erw andtschaft des anschaulichen Ich und der Anschauungsdinge, die man wieder n icht v e r­

stehen kann, solange dieses Ich noch nicht als ein Sondergebiet der Anschauungsm annigfaltigkeit er­

kannt ist. Physiologisch b etrach tet stellen ja das Ich und die U m weltdinge Prozeßkom plexe in einem gemeinsamen Gehirnfeld dar, und es ist durchaus nicht notwendig, ja nicht einm al w ahr­

scheinlich, daß diese Prozeßkom plexe funktionell vollkom m en indifferent gegeneinander sind. Die W ahrnehm ungspsychologie kennt eine große R eihe von gegenseitigen Beeinflussungen der anschau­

lichen U m w eltdinge und -Hergänge. Form en, Größen und R ichtungen von gesehenen Dingen z. B. können bei geeigneter W ahl der angrenzenden optischen U m gebung von dieser stark beeinflußt werden. W eil dann objektiv-ph ysikalisch lauter unabhängige, gegeneinander praktisch indifferente Dinge, Form en oder K onturen vorliegen, also außerhalb des Organism us keine entsprechende Beeinflussung besteht, pflegt man die betreffenden Verzerrungen als „T äuschungen“ zu bezeichnen.

Die Psychologie ist jedoch immer mehr zu der E r­

kenntnis gelangt, daß es sich 'physiologisch jeden­

falls um echte Beeinflussungen optischer P rozeß­

kom plexe durch ihre N achbarn im Feld handelt.

N ach dem oben A usgeführten kann man ja auch n icht erstaunt darüber sein, daß unter den P ro ­ zessen, die der anschaulichen R aum gliederung zu­

grundeliegen, intim ere funktionelle Zusam m en­

hänge bestehen als zwischen den einzelnen Dingen im physikalischen Raum , deren Form en, Größen usw. unter gewöhnlichen Um ständen je un­

abhängig für sich bestehen. Besonders auffällige Beeinflussungen werden im Anschauungsraum vielfach dann beobachtet, wenn Bewegungen im Felde auftreten. Jederm ann h a t schon einm al bem erkt, daß z. B. der Mond, an dem W olken v o r­

beiziehen, deutlich in Bew egung der entgegen­

Heft 22. ] 3 1. 5. 1929J

gesetzten R ich tun g gerät. Man spricht in solchen Fällen von „in d u zierter“ Bew egung eines A n ­ schauungsdinges, und kürzlich h a t

Du n c k e r

deren m erkwürdige Eigenschaften bereits recht befriedi­

gend aufklären können1. W enn nun das anschau­

liche Ich dem gleichen Feldzusam m enhang an- geliört, in welchem Dinge der anschaulichen U m w elt einen solchen E influß aufeinander aus­

zuüben vermögen, dann wird man erwarten dürfen, daß dieselbe Einw irkung, die z. B. der Mond von den ziehenden W olken erfährt, unter geeigneten U m ständen auch von starken Bewegungen der anschaulichen Um gebung auf das anschauliche Ich ausgeübt wird. Nun ist es ja bekannt und sogar ein beliebter Jahrm arktsscherz geworden, daß au f­

fällige Drehungen der sichtbaren Um gebung gesetz­

m äßig zu Gegendrehungen des anschaulichen Ich führen, während doch der physische Organismus, etw a au f einem Stuhle, dauernd ruht. D ie E in ­ ordnung des Prozeßkom plexes, der dem anschau­

lichen Ich zugrunde liegt, in den allgemeinen F eld ­ zusam m enhang der Prozesse für alles Anschauliche überhaupt m acht diese Erscheinung im Prinzip durchaus verständlich.

Man lernt aus einem so einfachen Beispiel be­

sonders eindringlich, daß der anschauliche R aum und der ihm zugrunde liegende physio­

logische Feldzusam m enhang E igenschaften auf­

weisen, die im physikalischen R aum nicht ebenso vorhanden sind. Insbesondere gibt es im H irnfeld dynam ische Beziehungen zwischen dem P rozeß­

kom plex des Ich und den Umgebungsprozessen, denen keine analogen W irkungszusam m enhänge zwischen dem physischen Organism us und seiner physikalischen U m gebung entsprechen. Ist man aber so w eit gelangt, so muß man konsequenter­

weise alsbald außerordentlich viel weiter gehen.

Denn aus Kontinuitätsgründen w ird nun auch jede eigene Verhaltungsweise, in der man auf einen U m ­ gebungsbestandteil gerichtet ist, als der A usdruck eines vektoriellen Zustandes oder Geschehens zwischen dem jeweiligen Prozeßkom plex des Ich und dem betreffenden U m gebungsprozeß a u f­

gefaßt werden müssen. Je nach der aktuellen B e ­ schaffenheit beider, von der ja solch ein vektorieller Zustand jedesm al bestim m t ist, werden dabei sehr verschiedene G erichtetheiten auftreten können.

Psychologische D aten w ie „ A u f m erken a u f“ ,

„S ich angezogen oder abgestoßen fühlen vo n “ ,

„Zaudern vor etw as“ usw., welche im E rlebnis­

raum von einem Anschauungsding zum Ich oder um gekehrt gerichtet auftreten, müssen, w ill man folgerichtig vorgehen, dem entworfenen Schema einer Entsprechung von anschaulicher Ordnung und Funktionalzusam m enhang im H irnfeld ein­

gegliedert werden. E ine konkretere Durchführung dieses Gedankens ist jedoch kaum möglich, ohne daß man dabei sogleich auch au f die mnemischen Erscheinungen eingeht, und würde deshalb zu w eit v on unserem Gegenstand fortführen.

1 Psychol. Forschg 12 (1929).

(8)

4 0 2 K r a u s e :

Zur pflanzengeographischen Gliederung Kleinasiens.

r Die Natur­

wissenschaften

Zur pflanzengeographischen Gliederung Kleinasiens.

V on

K . Kr a u s e,

Berlin-D ahlem . B ei der pflanzengeographischen Gliederung

Kleinasiens unterscheidet man gewöhnlich in unm ittelbarem Zusam m enhang m it den R e lie f­

eigentüm lichkeiten und den dadurch bedingten klim atischen Verhältnissen des Landes folgende B e z irk e : Zunächst den kolchischen B ezirk im nörd­

lichen Kleinasien, der aufs stärkste beeinflußt wird durch reiche und ziem lich gleichm äßig über das ganze Jahr verteilte, vom Schw arzen Meer herkom m ende N iederschläge und deshalb im w esentlichen ein großes W aldgebiet darstellt, das in den dichten, feucht-üppigen U rw äldern am Südw estfuß des K au kasu s beginnt und bis über den B osporus hinaus zu verfolgen ist. D ie in der L iteratu r bisweilen für den gleichen B ezirk ge­

brauch te B ezeichnung ,,pontisch“ verw end et man für seine botanische Charakterisierung besser nicht, da floristisch unter diesem Nam en m eist etw as ganz anderes, näm lich Steppenelem ente der L än d er nördlich des Schw arzen Meeres, v e r­

standen wird. Einen weiteren B ezirk bildet das w estliche Kleinasien, das typisches, im Sommer w ährend der H auptvegetationsperiode durch große W ärm e und gleichzeitige Trockenheit, im W in ter durch feuchte Milde ausgezeichnetes M ittel­

m eerklim a b esitzt und dem zufolge auch ausgespro­

chene M editerranflora aufweist, in der besonders die im m ergrünen, hartlaubigen Gebüsche der M acchien vorherrschen. Einen dritten B ezirk ste llt das Innere dar, dessen vo n überragenden R andgebirgen umschlossene H ochflächen unter dem E in flu ß des trocknen, kontinentalen K lim as m eist vo n Steppen oder W üstensteppen, stellen­

weise sogar vo n fast vö llig vegetationslosen Salzw üsten b ed eckt sind. D er vie rte und letzte B e zirk endlich u m faßt das südliche und südöstliche Kleinasien, das, zw ar auch zum M editerran­

gebiet in w eiterem Sinne gehörig, doch floristisch in diesem eine, vor allem durch die hohen Gebirge der T au ru skette und ihre zahlreichen Endem iten bedingte Sonderstellung einnim m t.

E in V ergleich dieser einzelnen Florenbezirke ergibt, daß sie untereinander zunächst weniger Beziehungen zu haben scheinen als zu G ebieten außerhalb Kleinasiens. So gehört das nördliche A natolien, wie schon gesagt, dem kolchischen oder nach A .

En g l e r

südeuxinischen Florengebiet an, dessen Elem ente vom K au kasu s an, am ganzen Südufer des Schw arzen Meeres entlang bis zum Istrand sch a D a k 1 in der europäischen T ürkei und noch w eiter bis B ulgarien zu verfolgen sind.

D as w estliche K leinasien w eist so enge Beziehungen zu dem gegenüberliegenden Griechenland sowie

1 Die türkische Bezeichnung für „Berg“ wird bisher in der deutschen Literatur oder auf deutschen Karten meist als „D agh“ wiedergegeben. Da die neue, . lateinische Buchstaben brauchende türkische Schreibweise „D ak“ ist, empfiehlt es sich, diese Form auch bei uns anzuwenden.

zu den vielen dazwischenliegenden Inseln auf, daß m an es am besten, dem V orschläge

Ph i l i p p- s o n s

folgend, m it diesen zu einem einheitlichen Florengebiet der Aegaeis zusam m enfaßt. D ie H och­

steppen des Inneren wiederum enthalten so viele besondere E lem ente und sind floristisch wie auch physiognom isch so eng m it den Steppen des an­

grenzenden arm enisch-iranischen Hochlandes v e r­

w andt, daß m an sie eigentlich nur als einen T eil derselben ansehen kann. E s ist dabei im Grund gleichgültig, ob man das innere A natolien noch wie

En g l e r

dem M editerrangebiet zurechnet, oder ob m an es schon einer anderen, als zentralasiatisches W üsten- und Steppengebiet zu bezeichnenden F lorenprovinz zuteilen will, wie es

Gr i s e b a c h

und

Ri k l i

tun. D as südliche K leinasien endlich lä ß t so viele B eziehungen zu der davorliegenden Insel Cypern erkennen, daß es

En g l e r

m it dieser zu der taurisch-cyprischen U nterprovinz v e r­

einigt, der auch noch der Libanon zuzurechnen ist.

T ro tz dieser zunächst rech t auffälligen V er­

schiedenheiten zwischen den einzelnen Floren ­ bezirken Kleinasiens treten aber doch auch B e ­ ziehungen und Ä hnlichkeiten zwischen ihnen hervor, die sogar stärker zu sein scheinen, als m an bisher m eist angenom m en hat. Schon

H a n d e l - M a z e t t i 1

hebt bei seiner Schilderung der V egetation des Sandschaks T rap ezu nt die m editerranen E in ­ sprengungen hervor, die m an dort findet, und auch ich habe m ich auf einer Reise im Som m er 1926, die ebenfalls das pontische K leinasien betraf, von ihrer Ausdehnung und Zusam m ensetzung überzeugen können. E s handelt sich bei diesen m editerranen E n k laven teils um größere, gewöhn­

lich ziem lich scharf abgegrenzte Bestände, die sich besonders auf stark exponierten Süd- und Südostabhängen finden, teils um kleinere, manch- m al überhaupt nur aus wenigen In dividuen be­

stehende Kolonien von m editerranen A rten, die zerstreut innerhalb der unteren B usch w ald­

zone auf treten und ihr Vorhandensein gleichfalls fast im m er besonderen, hauptsächlich in der E xposition hegenden Standortsbedingungen v e r­

danken. Ihre charakteristischen B estandteile sind vo r allem die bekannten, w eit verbreiteten m editer- ranenM acchiensträucher, wie der rotfrü ch tigeW ach ­ holder Juniperus oxycedrus L ., Cistusazten, beson­

ders Cistus villosus f . tauricus, der Erdbeerbaum , Ar- butus andrachne L ., die M yrte, M yrtus communis L ., P h illyream ediaL ., der L orbeer Laurus nobilisL., die Baum heide Erica arborea L ., der Pfriem enginster Spartium junceum L ., ferner Pistacia palestina, der Stechdorn Paliurus aculeatus, der M äusedorn R us­

cus aculeatus L . u. a. A u ch die Pinie, P in u s pinea L ., die im K alan em a D ere w estlich von T rap ezu n t einen ziem lich großen geschlossenen W ald bildet, ist ein solcher m editerraner V ertreter im kolchi-

1 Ann. d. k. k. Naturhist. Hofmuseums Wien 23,

6 — 212 (1909).

(9)

K r a u s e :

Zur pflanzengeographischen Gliederung Kleinasiens. 403

Heft 22. 1 31. 5 - 1929J

sehen Florengebiet. Denn die Zweifel, die früher m anchm al betreffs ihres kleinasiatischen Indigenats geäußert wurden, scheinen nach den F eststellun ­ gen von

H a n d e l - M a z e t t i

(

1

. c.) und neuerdings von

B e r n h a r d 1

tatsächlich nicht zu R e ch t zu bestehen.

W ie aus den A rbeiten von R a d d e , M e d w e d e w u. a. bekannt ist, treten gleiche m editerrane Inseln auch noch östlich von K leinasien im südwestlichen K aukasus auf, wo die größte von ihnen aus dem unteren Tschorochtale beschrieben ist. A us dem nordwestlichen Kleinasien, dem alten Paphlagonien, liegen bisher noch keine genaueren botanischen Schilderungen vor und auch mir ist dieses Gebiet nicht aus eigener A nschauung bekannt. D och scheinen auch hier ähnliche Verhältnisse zu herr­

schen. Denn aus einer Pflanzensam m lung, die Prof. A l i R is a B e y 2 bei Zonguldak anlegte und die ich selbst durchsehen konnte, geht hervor, daß sich die oben genannten m editerranen Sträu- cher auch fast säm tlich in der U m gebung dieser Stad t finden, und ebenso sagt E . N o w a c k in einer von F r . M a r k g r a f 3 herausgegebenen A rb eit über die VegetationsVerhältnisse P ap h lagoniens: „Sch on bei Songuldak, wo w ir das erstem al die Schw arze Meerküste betraten, überraschte uns, die wir auf Grund der bisherigen V egetationsschilderungen dies nicht erw arten konnten, eine prachtvoll üppige M ittelm eerm acchie vo n Laurus nobilis, Arbutus unedo, M yrtus communis, Erica arborea, Ilex aqui- folius 4, Phillyrea media u. a .“ E ndlich finden wir auch in dem Istrandscha D a k in der europäischen Türkei solche m editerranen Einsprengungen, die wohl Veranlassung dazu gegeben haben, daß dieses Gebiet von A d a m o vic zur engeren M editerran­

provinz gerechnet wurde, ein Irrtum , auf den neuerdings J. M a t t f e l d hingewiesen hat.

T reten so eine ganze A n zah l m editerraner Elem ente zum T eil sogar in geschlossenen B e ­ ständen in dem B ereich der kolchischen F lora auf, so finden w ir um gekehrt verschiedene A rten des nördlichen Kleinasiens in den Gebirgen der Südküste wieder. Dieses Vordringen von V er­

tretern der kolchischen W aldflora nach Süden ist bisher nur w enig beach tet und in der L iteratu r kaum behandelt worden. E rst in allerneuster Zeit h a t W .

S i e h e 5

in einer A rb eit: „D endrologische W anderungen in Cilicien“ m it wenigen Zeilen auf diese T atsach e hingewiesen und auch einige Beispiele dafür angeführt. Sie sind nicht zahlreich, vor allem aus dem Grunde, weil w ir über die V er­

breitung vieler kleinasiatischer Pflanzen noch im m er 1 Tharandter Forstl. Jahrb.

79,

265 (1928).

2 Al i Ris a Be y

et J.

Pa l i b i n e,

Excursion botani- que dans les environs de Zonguldak, Asie Mineure, in Monit. Jardin Bot. de Tiflis 50, 15 — 26 (i92°)-

3 Fr. Ma r k g r a f,

Plantae anatolicae Nowackianae, in Notizblatt Bot. Gart.

u. Mus.

Berlin-Dahlem

10, 3 5 9 - 3 7 7 (1928).

4 Das Zitat von Ilex aquifolius wäre in diesem Zu­

sammenhänge besser unterblieben.

6 Mitt. Dtsch. Dendrol. Ges. 1928, 85 — 92.

nicht genügend un terrichtet sind, und w eil beson­

ders die P flanzenw elt des südlichen Kleinasiens nur recht wenig bekan nt ist. D och geben mir B eob ach ­ tungen, die ich auf eigenen, in den letzten vier Jahren unternom m enen Reisen in A natolien machen konnte, sowie H erbarstudien Gelegenheit, dieser Frage näherzutreten, und ich m öchte deshalb im fo l­

genden mehrere besonders charakteristische V er­

treter der kolchischen W aldflora behandeln, die auch im südlichen K leinasien Vorkommen. E s sind dies zum Teil Arten, auf die schon

Si e h e

aufm erksam m achte, zum großen Teil aber solche, die von ihm nicht genannt wurden.

G eradezu als C harakterpflanze des kolchischen Florengebietes kann die gelbblühende Alpenrose Rhododendron flavum (= Azalea pontica) gelten, die im ganzen nördlichen Kleinasien in W äldern und Gebüschen von der K ü ste an bis über die W ald ­ grenze hinaus wächst. Sie ist neuerdings auch im südöstlichen Kleinasien, im cilicischen Taurus, in dem T ale des oberen Calycadnus festgestellt worden und bildet eins der schlagendsten B ei­

spiele für die Florengem einschaft zwischen Nord- und Südkleinasien. Ähnliches gilt für das ro tvio lett blühende Rhododendron ponticum L ., das gleichfalls einen überaus charakteristischen, bis in den europäischen Istrandscha D a k zu verfolgenden V ertreter der kolchischen W aldflora darstellt und schon seit langem aus dem Libanon bekan nt ist.

E s ist sehr leicht m öglich, daß auch diese A r t noch im Taurus, der so vieles m it dem Libanon gemein­

sam hat, nachgewiesen wird.

Eine andere überaus typische A rt der kolchischen W älder ist die orientalische Buche, Fagus orientalis Lipsky, die vom K aukasus an durch das ganze nördliche Kleinasien und Thrazien bis nach O st­

bulgarien verb reitet ist. W ährend sie im eigent­

lichen Pontus als W aldbaum m eist erst in einer Höhe von etw a 750 m ü. M. beginnt und dann bis zur W aldgrenze, d. h. bis zu ca. 1900 m, aufsteigt kom m t sie im westlichen Teile ihres V erbreitu n gs­

gebietes auch wesentlich tiefer vo r und findet sich z. B . im Belgrader W ald nördlich vo n K o n sta n ti­

nopel schon in ganz geringer Höhe über dem Meere.

A uch sie ist abseits ihres H auptareals im südöst­

lichen A natolien, im Am anus in der N ähe von Bagdsche, sowie w eiter in der Gegend von M arasch festgestellt worden, wo sie ebenfalls W älder bildet.

W ie die orientalische B uche ve rh ält sich auch die Silberlinde T ilia tomentosa Moench (= T.

argentea Des f.), die im nördlichen Kleinasien, m eist in Laubm ischw äldern, nicht selten ist und sich gleichfalls im Am anus wiederfindet. Sehr beachtensw ert ist ferner die V erbreitung der kau ­ kasischen Flügelnuß, Pterocarya fraxinijolia Lam., die im K au kasu s sowie den angrenzenden Gebirgen des nordöstlichen K leinasiens au ftritt und neuer­

dings von W .

S i e h e

im cilicischen Taurus oberhalb Mersina an einem kühlen W asserlauf bei ca. 500 m Meereshöhe en td eckt wurde.

W eiter ist für die F lora des ostkolchischen

Gebietes der Buchsbaum , B uxu s sempervirens L.,

(10)

4°4

K r a u s e :

Zur pflanzengeographischen Gliederung Kleinasiens.

[

Die N atur­

wissenschaften

charakteristisch, der hier stellenweise in so aus­

gedehnten, fast reinen B eständen w ächst, daß H a n d e l- M a z e t t i geradezu eine besondere Buxus- R egion unterscheidet. A u ch er kom m t im südlichen K leinasien vo r und ist z. B . von E . N o w a c k in den Gebirgen zwischen A dalia und A la y a beobachtet worden. D ie Eibe, Taxus baccata L ., kennen wir ebenfalls aus der ganzen nördlichen Türkei, wo sie, wenn auch nur zerstreut, vom K au kasu s an bis hin nach Bulgarien in W äldern vorkom m t. A u ch sie tr itt abseits ihres nordanato- lischen, geschlossenen Areals im südlichen K lein ­ asien auf und w urde schon von

K o t s c h y

im cilicischen Taurus, sowie nach diesem von W . S ie h e unw eit von M ersina und an einigen anderen, w enig zugänglichen O rten des cilicischen T aurus beobach­

te t. Ä hnlich ve rh ä lt sich die Bergrüster, Ulmus montana With., die, in Bergw äldern des nördlichen K leinasiens m ehrfach festgestellt, so von B a la n s a in Lasistan, von D i n g l e r am oberen G jö k D ak in B ithynien , ebenfalls von

K o t s c h y

in der Tannenregion des cilicischen T aurus in einer Höhe von 1500 — 1650 m ü. M. nachgewiesen wurde.

A u ch die Esche, Fraxinus excelsior L., kennen w ir in Kleinasien bisher einm al aus dem kolchischen G ebiet und dann in einem vo rläu fig noch ganz isolierten Vorkom m en im Am anus. D ie Haselnuß, Corylus avellana L., gleichfalls in W äldern und Gebüschen am Südufer des Schw arzen Meeres nicht selten, wurde in der Gegend zwischen H arunije und A lexan d rette gesam m elt. D ie E ls­

beere, Sorbus torminalis Crantz, von Thrazien durch Paphlagonien und den Pontus bis hin zum K au kasu s vor kom m end, tr itt im cilicischen Taurus auf, allerdings in einer etw as abweichenden Form , die m eist als besondere V arietät, Var. pinnatifida Boiss., bezeichnet wird. D ie eigenartige kletternde L iliacee Danae racemosa L . kom m t außer in den K üstenländern am Schw arzen Meer und dem K au kasu s auch in höher gelegenen Eichenw äldern des Am anus v o r ; und neben all diesen H olzgew äch­

sen gibt es auch noch eine ganze A nzahl sie b e­

gleitender krautiger Pflanzen, die sich in ihrer V er­

breitung ebenso verhalten.

H andelt es sich bei den bisher genannten A rten hauptsächlich um solche, die bis je tz t nur aus dem nördlichen und südlichen bzw . südöstlichen K lein ­ asien festgestellt sind, so kennen wir noch einige andere, die auch in den dazwischenliegenden G ebieten nachgewiesen wurden. D ies gilt zunächst für die orientalische H eckenkirsche, Lonicera orientalis Lam ., die in W äldern und Gebüschen der pontischen und paphlagonischen B erge wiederholt gesam m elt wurde, ebenso in Cilicien a u ftritt und auch m ehrfach in den Gebirgen des inneren A n a ­ toliens, z. B. am E rdschias D ak sowie im Sultan D ak bei Akschehir, festgestellt worden ist. Ä h n ­ lich verh ält sich unser europäisches Pfaffenhütchen, Evonymus europaeus Scop., das in Laub- und M ischwäldern des kolchischen Florengebietes nicht selten ist, von

K o t s c h y

im cilicischen Taurus nachgewiesen wurde und dazwischen noch bei

K aisarie a u ftritt. A uch einen H ornstrauch, Cornus australis C. A . M ey., kennen w ir einm al aus dem ganzen nördlichen Kleinasien, dann aus den Gebirgen im O sten aus der Gegend von K h a rp u t und endlich aus dem Südosten, aus dem G ebiet zwischen H arunije und A lexandrette, sowie aus dem Am anus. E ine ähnliche V erbreitung scheint auch M yricaria germanica (L.) Desv. zu besitzen, die bisher im Pontus, in Cappadocien und Cilicien nachgewiesen wurde. N ur aus dem nordöstlichen und m ittleren, dagegen n icht aus dem südlichen K leinasien kennen w ir unsere gewöhn­

liche B irke, Betula verrucosa Ehrh., deren südlich­

ster Standort in unserem G ebiet am E rdschias D ak ist. E s w äre sehr interessant, festzustellen, ob auch die B irke bis zum Taurus vorgedrungen ist. D a der B aum schon im nordöstlichen A natolien eine große Seltenheit ist, erscheint sein V orkom m en so w eit südlich allerdings wenig wahrscheinlich.

D ie genannten Beispiele mögen zum N achw eis der T atsache genügen, daß verschiedene, und zw ar m eist rech t charakteristische V ertreter der kolchi­

schen F lora auch in den Gebirgen des südlichen K leinasiens auftreten. Ihre Zahl ließe sich noch w eiter verm ehren, doch sind absichtlich einige zw eifelhaft erscheinende A rten weggelassen worden.

V o r allem gilt dies für die orientalische Fich te, P icea orientalis (L.) Lin k, die in den Gebirgen des nordöstlichen Kleinasiens große ausgedehnte W ä l­

der bildet und bis zur W aldgrenze em porsteigt.

A u ch sie wird von

B o i s s i e r

und diesem folgend von verschiedenen anderen A utoren aus dem T aurus und A n titau ru s angegeben, doch habe ich sie selbst dort nie gesehen, kenne auch keine B elegexem plare anderer Sam m ler und m öchte des­

halb die Frage, ob sie tatsächlich dort vor kom m t, am liebsten verneinen, zum m indesten aber noch unentschieden lassen. A u ch das z. B. von

G r o t h e

behauptete Vorkom m en der kaukasischen N ord­

m annstanne, Abies Nordmanniana ( Stev.) Spach, in der Gegend von K aisarie, ist sehr zw eifelhaft.

V ielleich t liegt hier eine V erw echslung m it Abies cilicica Ant. et Kotschy vor.

W ie w ir sehen, kann m an im allgem einen bei den Pflanzen, die das kolchische G ebiet und der T aurus m iteinander gem einsam haben, zwei G rup­

pen unterscheiden, einm al solche A rten, die nach unseren bisherigen Kenntnissen in den zwischen K olchis und Taurus liegenden Gegenden vö llig zu fehlen scheinen, und dann solche, die auch von dort wenigstens von einigen Standorten bekannt sind. Zu den ersteren gehören z. B . die orientalische Buche, die Flügelnuß, die Silberlinde, die pon­

tischen Alpenrosen u. a., zu den letzteren die orien­

talische H eckenkirsche und das Pfaffenhütchen.

D ie Grenze zwischen den beiden Gruppen ist nicht scharf, schon deshalb nicht, w eil die V egetation der asiatischen Türkei, vor allem der im Osten liegenden arm enischen und kurdischen Gebirge, sowie des A n titau ru s noch vie l zu w enig bekan nt ist, um etw as Genaueres über die hier vorkom m en­

den Gewächse sagen zu können. G erade diese öst-

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