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Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 8. Jg. 1. März 1902, No 5.

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Die n A e rz tlic h e Sach v e rstttn d lp cn -Z eltu n g u e rsc h e in t m onat- J £ ~W A lle M an u skrip te, M itth eilu n g en u n d re d a k tio n e lle n A nfragen lloh zweim al. D u rch je d e s d e u tsch e P o stam t w ird d ieselb e A r-i _ _ _ -A I b elieb e m an zu se n d en an D r. F . L e p p m a n n , B erlin NW., J nni P reise von Mk. 6.— v ie rte ljä h rlic h (M. 4.94 fllr die Sach- M I I I 1 ^ I I I j W lk in g e r-U fe r No. 1. K o rre k tu re n , R ezen sio n s-E x em p lare.

▼ei»tKndlRe n -Z e ita n B, 6 P f. fllr B estellgeld) fre i ins H aus i m \ J U M A B J B j f ^ S o n d e rab d rü c k e an die V erlag sb u ch h an d lu n g , In se ra te und

g e lie fe rt. (P o s t-Z e itu n g s-P re isliste No. 34). B eilagen an d ie A n n o n c e n -E ip e d itiu n von R u d o lf Uosse.

Sachverständigen-Zeitung

Organ für die gesammte Sacliverständigenthätigkeit des praktischen Arztes sowie für praktische Hygiene und Unfall - Heilkunde.

R e d a k t i o n :

Dr. L. Becker Dr. Braehmer Dr. Florschütz Dr. Fiirbringer Dr. Haug Dr. Kionka Dr. Kirchner Dr. A. Leppmann

G eh.M ed .-R ath G e h .S a n .-R a th G otha. G eh.M ed .-R ath u. Prof. P rofessor P rofessor G eh. Ob.-Med.-R. u. Prof. M od.-Rath.

B e rlin . B e rlin . B e rlin . M ünchen. J e n a . B erlin . B e rlin .

Dr. von Liszt Dr. Loebker Dr. Ostertag Dr. Puppe Radtke Dr. Roth Dr. Silex Dr. Stolper Dr. Windscheid

G e h .J u st.-R a th u . Prof. P ro fesso r P ro fesso r Priv.-D oz. u .G e ric h tsa r z t K aiserl. R eg .-R a th R e g .-u .G e h .M e d .-R a th P rofessor B re s la u . P rofessor

B e rlin . B ochum . B e rlin . B e rlin . B e rlin . P o tsd am . B e rlin . L eip zig . Dr. F. Leppmann - Berlin.

V e r a n t w o r t l i c h e r R e d a k t e u r .

V erlag von R ich a rd Schoetz, B erlin, NW., L u ise n stra sse No. 36.

VIII. Jahrgang* 1902. 5 . Ausgegeben am 1. März.

Inhalt:

Originalton: E u le n b u rg , Zweites Gutachten über einen schweren und eigenartigen Fall elektrischer Verunglückung. S. 85.

R o th , Die Mitwirkung des Kreisarztes auf dem Gebiete der Ge­

werbehygiene. (Schluss.) S. 89.

S c h w a rz e , Ueber Varicen als Unfallsfolgen. S. 92.

K n o tz, Bericht über Bauchwandbrüche nach Ochsenhornstoss, zu­

gleich ein Beitrag zur Volksmedizin in Bosnien. S. 94.

Referate: Chirurgie. K l a u s s n e r , Luxatio sternalis duplex congenita.

S. 96.

K ö rte und H e rz fe ld , Ueber die chirurgische Behandlung des Magengeschwürs und seiner Folgezustände. S. 96.

S e lig e r , Ueber den Shok, namentlich nach Kontusionen des Bauches. S. 97.

Neurologie und Psychiatrie. G o o d a ll, Bemerkungen über die anthropo­

logische Untersuchung von Irrenanstaltsinsassen, nebst einem Schema dafür. S. 97.

B rie , Tabo-Paralyse und Unfall. S. 98.

K e lln e r , Ueber transitorische postepileptische Geistesstörungen.

S. 98.

Vergiftungen. R u b in , Ueber einen Fall von Gastritis toxica und Ver­

engerung des Pylorus in Folge von Salpetersäure-Vergiftung.

Gastroenterostomie. Heilung. S. 98.

L a n g e r , Schwere Verätzung durch Schmierseife bei einem 18 Monate alten Kinde. S. 98.

K ir c h , Akute Strychninvergiftung. S. 99.

W e b e r, Ein Fall von schwerer Morphiumvergiftung, geheilt durch subkutane Einspritzungen von hypermangansaurem Kali. S. 99.

Aus Vereinen und Versammlungen. Kasuistisches über Verletzungen und Verletzungsfolgen. S. 99.

Gerichtliche Entscheidungen: A us dem R e ic h s g e r ic h t: Blutvergiftung in Folge ungeeigneter Behandlung einer Verletzung etc. S. 100.

Bücherbesprechungen: W ie k , Ueber Simulation von Blindheit und Schwachsichtigkeit und deren Entlarvung. — K ro c k e r und F r io d h e iin , Deutscher militärärztlicher Kalender. S. 100.

Gebührenwesen. W ittk o w s k y , Von wem kann nach den Bestim­

mungen des Bürgerlichen Gesetzbuches der von einer Ehefrau angenommene Arzt Bezahlung einer Honorarforderung verlangen?

S. 102.

Tagesgeschichte: Die Geisteskrankheiten in der Armee. — Rund­

schreiben des Reichsversicherungsamts. — Ausführungsbestim­

mungen zum Fleischschaugesetz. — Kaffeestuben und -Karren des Berliner Vereins für Volkshygiene. — Fortbildungskurs^

für Aerzte. — Neue Ministerialerlasse. S. 102.

Zweites Gutachten über einen schweren und eigen­

artigen Fall elektrischer Verunglückung.

V o n

Professor A. Eulenburg-Berlin.

G eh. M ed izin a l-R a th .

Von dem königlichen L andgericht X. bin ich lau t Bew eis­

beschluss vom 14. Ja n u a r aufgefordert worden, den K läger H. persönlich in L., in seiner W ohnung, unter Zuziehung des O berstabsarztes Dr. H. und des p raktischen Arztes Dr. K., Beide zu L., zu untersuchen und alsdann ein definitives schriftliches G utachten dem Bew eisbeschluss vom 6. Sep­

tem ber 1900 gem äss zu erstatten.

Zufolge dieser Aufforderung habe ich mich am 3. d. M.

nach L. begeben und am V orm ittag des 4. A pril, g e­

m einschaftlich m it den beiden oben genannten Aerzten, den K läger einer eingehenden m ehrstündigen U ntersuchung u n te r­

zogen.

Indem ich über die Befundnahm e und d eren E rgebnisse im F olgenden b erichte, m uss ich die B em erkung vorau s­

schicken, dass es sich dabei nur um eine E rgänzung und Ver­

vollständigung m eines früheren G utachtens vom 6. Dezem ber

1900x) in dem Sinne handeln kann, dass, w ährend je n es frühere G utachten l e d i g l i c h a u f G r u n d d e r A k te n e rsta tte t w erden m usste, m ir nunm ehr ein a u s e i g n e r A n ­ s c h a u u n g geschöpftes U rtheil über den K rankheitszustand des K lägers erm öglicht und dam it für die B eantw ortung der F rag en des B ew eisbeschlusses vom 18. Septem ber 1900 eine festere U nterlage gew onnen wurde.

Im m erhin bleiben dabei sowohl die D arstellung der Vor­

geschichte, wie auch die E rw ägungen allgem einer Natur in [ Betreff der Auffassung elektrischer V erunglückungen u n v er­

ändert in Geltung, w eshalb ich zur V erm eidung von W ieder­

holungen auf die betreffenden Abschnitte des früheren Gut­

achtens zurückw eise.

K r a n k h e i t s b e f u n d a m 4. A p r il 1901.

Beim Besuch des K lägers, des je tz t im 51. L ebensjahre stehenden früheren R ittergutspächters Wilhelm H., in seiner W ohnung in L., tra f ich diesen, am Vorm ittag um V210 Uhr, angekleidet in einem L ehnstuhl sitzend, in etw as nach vorn geneigter H altung des O berkörpers und K opfes, w elcher letztere zugleich nach der linken Seite gew andt und der

!) Vgl. 1901, No. 3.

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86 A e r z t l i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . No. 5.

linken Schulter an g en äh ert war. E r h a tte einen k alten U m ­ schlag über dem Kopf, der ihm der oft äu sserst heftigen K opfschm erzen w egen angenehm sein soll; der früher an g eb ­ lich sehr reichliche H aarw uchs erschien zu beiden Seiten des Kopfes sowie auch in einem Theile der H interhauptgegend in grösser Ausdehnung geschw unden, der noch ziem lich reiche V ollbart stark ergraut. Auch das noch vorhandene H aupthaar zeigte eine überw iegend hellbraungraue Färbung. H. benutzte den angezogenen und gekrüm m ten linken Arm, in dem e r ein Tuch hielt, von Zeit zu Zeit zu Bew egungen, w ährend der rechte Arm schlaff und w illen lo s, H and und F inger in leichter B eugestellung, herabhing und von Zeit zu Zeit auch ohne besonderen Anlass von kram pfartigen Stössen heim ­ gesucht und in anhaltende schüttelnde Bew egung versetzt wurde. Auch an d er M uskulatur der rechten H alsseite liessen sich zuw eilen zitternde, oszillirende Bew egungen w ahrnehm en.

Die M uskulatur beider Arme liess keine auffälligen U n ter­

schiede und auf beiden Seiten keine beträchtliche A bm agerung erkennen. Auch M uskelspannungen oder K ontrakturen w aren nicht vorhanden. Wie eine g enauere Einzelprüfung dem ­ nächst h erausstellte, w ar die willkürliche B ew eglichkeit auch des linken Armes sehr eingeschränkt, der H ändedruck äu sserst schw ach; n u r m it grösser A nstrengung und u n ter w iederholten ruckw eisen Stössen verm ochte H. den Arm bei gebeugtem Ellbogen bis zur Schulterhöhe und etw as darü b er hinaus zu erheben. K o p f und H a ls erschienen in nicht w esentlich eingeschränkter W eise beweglich. Das Gleiche konnte, so­

w eit sich zu W ahrnehm ungen darüber Anlass bot, von den ä u s s e r e n G e s i c h t s m u s k e l n und den K a u m u s k e l n gelten, w ährend dagegen die B ew eglichkeit der Z u n g e offenbar in sehr hohem Grade gelitten h a tte ; ein H inausstrecken derselben aus der Mundhöhle w ar nicht zu erreichen, die Zunge konnte nur, au f dem Boden der Mundhöhle liegend, m it ersichtlicher An­

strengung etw as gegen die untere Z ahnreihe g epresst w erden, wobei ihre Spitze zugleich eine deutlich ausgesprochene Ab­

w eichung nach links zeigte.

Bei Ankunft der Aerzte sowohl, wie auch späterhin, sass H. in der geschilderten W eise apathisch und völlig in sich v ersunken da. Bei der nachgew iesenen fast vollständigen E rblindung und E rtau b u n g , d er B eeinträchtigung auch der übrigen Sinnesorgane m ussten die K om m unikationen m it der A ussenw elt freilich au f das denkbar engste Mass reduzirt sein. Nur auf sehr stark es A nrufen schien H. zu sich zu kommen, zuckte e rst m it dem Zeichen heftigsten E rschreckens zusam m en und g erieth dann in ein m inutenlanges a u sg e­

breitetes Schütteln des ganzen Körpers, nach dessen Aufhören e r allm ählich sich etw as m ehr zu besinnen und auf die an ihn gerichteten F rag e n m it w enigen unzueam m enhängenden, stossw eise und undeutlich hervorgem urm elten W orten eine Art von E rw iderung zu ertheilen verm ochte. Es ergab sich dabei freilich, dass er den Sinn d er F ra g e in der R egel nicht deut­

lich erfasste und dass es sich bei seinen Antw orten überhaupt m eist um einzelne zur G ew ohnheit gew ordene, stereotype R edew endungen und W ortverbindungen handelte. Seine beiden behandelnden Aerzte erk an n te er nach dem Anrufen nicht, erst nachdem sie sich ihm direkt g enannt h atten — v e r­

w echselte sie auch nachm als m itein an d er und h a tte ihre An­

w esenheit binnen Kurzem augenscheinlich vergessen. Meine A nw esenheit ist ihm wohl — trotz w iederholter Versuche, sie ihm begreiflich zu m achen — , überhaupt nicht zum B ew usst­

sein gedrungen. Auf die an ihn gerichtete Aufforderung, die Stelle des Kopfes zu zeigen, wo der abgerissene D raht ihn getroffen h a b e , gerieth e r nach dem ersten schreckhaften Z usam m enfahren in w üthende E rregung, in der er einzelne abgerissene WTorte h e rv o rstie ss: „Die will ich v erk la g e n “ —

„ich will g e h e n “ — „sie haben m ich“ — „du F r a u “ — „hier ist es w o“ — ; alsdann fuchtelte er m it dem nun auch in sehr heftiges kram pfartiges Schütteln v ersetzten linken Arm un­

sicher herum , bis es ihm m it frem der U nterstützung zuletzt möglich w urde, die betreffende (der äusseren vorderen P artie des linken Seitenw andbeines entsprechende) Kopfgegend m it der Hand zu erreichen.

Nach Abnahme einer über den U nterkörper gebreiteten Decke zeigte sich auch in d er H altung der u n t e r e n G l i e d - m a s s e n ein ähnlicher U nterschied wie bei den oberen. In der Sitzstellung zeigte sich das linke Bein im Knie fast rechtw inklig gebeugt und m ehr angezogen als das rechte, das schlaff au sg estreck t dalag. W enn m an bei dem in g e­

schilderter Lage a u f dem Boden aufgestem m ten linken Bein die K niesehne m it dem P erkussionsham m er n u r ganz leicht beklopfte, so erfolgte sogleich ein äusserst heftiges Zucken der O berschenkelm uskulatur, w odurch der U nterschenkel gestreck t fortgeschleudert w urde, m it wiederholtem kram pf­

artigen N achzucken; auch selbst beim Beklopfen der K nie­

sehne am völlig g estreck ten Bein erfolgten starke und w ieder­

holte stossw eise Z uckungen; ebenso beim Beklopfen der Schienbeinkante (hier in Form von Beugung des U nter­

schenkels und von F ussschütteln). In etw as schw ächerem G rade w ar die V erstärkung der K niesehnenreflexe auch rech terseits ausgesprochen, in Form einm aliger ausg eb reiteter Zuckung der O berschenkelm uskulatur, w ährend Schienbein­

reflexe sich am rech ten U nterschenkel nicht nachw eisen liessen.

Bevor in diesen P rüfungen fortgefahren w urde, wozu eine Entblössung der Beine erforderlich w a r, schien es u n s , um eine unnütze B elästigung durch doppeltes Aus- und W ieder­

anziehen zu verm eid en , zw eckm ässig, uns zunächst durch Ausführung einiger S t e h - u n d G e h v e r s u c h e von dem V erhalten bei g rösseren koordinirten M uskelaktionen zu ü b e r­

zeugen. D as A ufrichten und der U ebergang aus der sitzenden in au frech t stehende H altung w ar m it ausserordentlichen Schw ierigkeiten verbunden. H. verfiel bei dem Versuche dazu in ausgebreiteten heftigen S chüttelkram pf und verm ochte nur m it U nterstützung zweier P ersonen diesen allm ählich zu über­

w inden und sich in die Höhe zu arb eiten , dem Einnehm en der aufrechten Stellung gingen w ieder m inutenlang andauernde S chleuderbew egungen des Rum pfes und Kopfes vorauf, wobei nam entlich L etzterer u n ter k ram p fh after B ethätigung der N ackenm uskeln schleudernd hintenübergew orfen und endlich fixirt wurde. Jed e O rtsbew egung, wie besonders das Gehen, m usste natürlich, abgesehen von den Störungen der B e­

w egungsorgane, durch die f a s t t o t a l e E r b l i n d u n g des K lägers im erheblichen M asse beeinträchtigt w erden. Zu den ersten ganz langsam en S chritten bedurfte H. w iederum der kräftigen F ü h ru n g und U nterstützung durch zwei Personen, w ährend er n ach h er, von seiner F rau an der rechten Hand gefasst und m it einem Stock in der linken Hand sich in dem w ohlbekannten Zim m er Schritt für Schritt vorw ärts schob.

Eine zu überschreitende Thürschw elle bildete, durch das E in treten neuer K ram pfbew egungen, ein fast unübersteigliches H inderniss. D er Gang selbst erfolgte u n ter A ufstützen auf das linke Bein, Nachziehen des rechten, das m it der Spitze zuerst aufgesetzt und langsam abgew ickelt w urde, wobei ein intensives Z ittern sich vom F usse bis zur Hüfte hinauf fort­

pflanzte. In dieser W eise w urden einige zwanzig Schritte durch zwei anstossende Zimmer unter den grössten Schw ierig­

keiten und stets drohendem H instürzen vollführt. Das W ieder- hinsetzen b ereitete ebenso grosse Schw ierigkeit; schliesslich liess H. den bei den Schultern gehaltenen und unterstützten R um pf ohne koordinatorische E igenthätigkeit au f die U n ter­

lage passiv herabfallen.

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1. März 1902. A e r z t l i c h e S a ch v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . 87 Es w urde nun nach Entblössung von U nterschenkel und

Fuss in der begonnenen U ntersuchung fortgefahren. Der Fuss- sohlenreflex, sowohl beim Streichen wie beim Stechen, zeigte sich au f der rechten Seite ziemlich stark, und in Beugung (Plantarflexion) des F usses und der Zehen bestehend. Auf der linken Seite w ar dieser Reflex noch m ehr v erstä rk t und erfolgte hier in der Form einer kram p fh aft verlängerten Streckung (Dorsalflexion), wobei nam entlich die grosse Zehe gehoben und der innere Rand des F usses durch spastische Zusam m enziehung aufw ärts gewölbt w urde, m it nachfolgenden zitternden Oszillationen. D er A chillessehnenreflex w ar auf beiden Seiten deutlich vorhanden. Links Hessen sich auch am F ussrücken von der M ittelfussgegend aus Reflexe in Form von Streckung (Dorsalflexion) des Fusses auslösen; dazwischen erfolgten zuweilen spontane Zitter- und Schüttelbew egungen des F u sses, oder Zuckungen einzelner Zehen. Ein Fuss- schütteln bei passiver Streckung der Zehen (sog. „Fussklonus“) w ar in leichter Andeutung bem erkbar. Auf N adelstiche tra t linkerseits seh r starke, rechts dagegen g ar keine w ahrnehm ­ bare Reaktion ein. D er gleiche U nterschied im V erhalten der Hautem pfindlichkeit zeigte sich auch an den Armen und überhaupt an der ganzen K örperoberfläche bis zum Halse hinauf, wo sich das V erhältniss um kehrte, so dass an Hals und Kopf au f der rechten Seite die H autem pfindlichkeit (Schm erzem pfindlichkeit) deutlich ausgesprochen war, linker­

seits dagegen, ziemlich sch a rf in der M ittellinie abschneidend, allem Anschein nach fast vollständig fehlte.

Es schien, aus differeDzial-diagnostischen Gründen, von W ichtigkeit, sich von der R e a k t i o n d e r g r ö s s e r e n N e r v e n - s t ä m m e u n d M u s k e ln b e i e l e k t r i s c h e r R e i z u n g soweit wie möglich zu überzeugen. Bei der m it einem Induktions­

apparate vorgenom m enen P rüfung der ,,faradischen“ Nerven- und M uskelreizbarkeit zeigte sich an N erven und Muskeln des linken Armes und Beines ein der Norm entsprechendes V er­

h a lte n ; jedenfalls w ar hier keine deutliche Abschwächung der E rregbarkeit zu konstatiren. Auf d er rech ten Seite w ar die Reizung ebenfalls w irksam , dabei kam jedoch, sowohl am Arm wie am Bein, schon bei Anwendung der schw ächsten überhaupt erfolgreichen Ström e ein heftiges, anhaltendes und ausgebreitetes Vibriren und Schütteln der gesam m ten Musku­

latur des betreffenden Gliedes zur E rscheinung, das die ge­

nauere Beobachtung des örtlichen Reizeffektes in hohem Masse erschw erte. Den V ersuch einer Prüfung m it dem konstanten Strom e m ussten wir, w egen unzulänglicher Beschaffenheit des verfügbaren A pparates, als unm öglich aufgeben.

Die besonders wichtige Aufnahm e des A u g e n b e fu n d e s w urde u n ter spezieller M itwirkung des A ugenarztes H errn Dr.

K. vorgenom m en. Die Pupillen w aren beiderseits gleichm ässig veren g t und Hessen auf B eschattung noch eine ganz gering­

fügige E rw eiterung w ahrnehm en. Die Lidspalten w aren eng, die linke durch stärk eres H erabhängen des oberen Lides m eist etw as enger als die rechte. Eine genaue funktionelle P rüfung des Sehorgans w ar bei dem Zustande des P atien ten nicht aus­

zuführen; doch Hess sich bestim m t feststellen, dass H. selbst grosse ihm vorgehaltene G egenstände in keinem T heile des G esichtsfeldes überhaupt w ahrzunehm en, geschw eige denn deutlich zu unterscheiden im Stande war. U eber die äusseren A ugenbew egungen liess sich u n ter diesen U m ständen nichts Sicheres erm itteln, da H. w eder den vorgehaltenen F ingern noch der Lichtflam m e m it den Blicken folgte. A ugenzittern (Nystagmus) w ar nicht zu bem erken. Die A ugenspiegelunter­

suchung ergab beiderseits vollständig klare Medien des Auges;

links zeigte sich die Sehnervenscheibe in beginnender grauer V erfärbung — rechts gelang es nicht, dieselbe ins G esichts­

feld zu bekom m en, weil der Augapfel zu stark nach aussen

gedreht w ar und der P atien t die ihm vorgeschriebenen Ver­

änderungen der Blickrichtung nicht ausführte.

Hinsichtlich der übrigen Sinnesorgane liess sich nur fest­

stellen, dass das G e h ö r offenbar auf dem linken Ohr für Sprache und sonstige G eräusche vollständig fehlte, w ährend auf dem rechten noch eine sehr v errin g erte H örschärfe b e­

stand, und dass auch der Geruch gänzlich zu m angeln schien, w enigstens eine W ahrnehm ung vorgehaltener R iechobjekte nicht nachzuw eisen w aren. Hinsichtlich des G e s c h m a c k e s Hessen sich P rüfungen schon w egen der Schw erbew eglichkeit der Zunge nicht m it Sicherheit ausführen.

In Betreff der v e g e t a t i v e n F u n k t i o n e n d e r E r ­ n ä h r u n g , A b s o n d e r u n g u. s. w. liess sich natürlich bei der kurzen B eobachtungsdauer unm ittelbar w enig erm itteln.

Die H erzthätigkeit zeigte keine auffälligen krankhaften V er­

änderungen, nam entlich auch nicht solche im Sinne vorge­

schrittener V erhärtung oder V erkalkung der grösseren arte ­ riellen G efässstäm m e; der ziemlich kleine und w eiche Radial­

puls zeigte in der R uhe norm ale H äufigkeit ( 6 6 in der Minute).

Im Gesicht w ar öfters Schw eissausbruch erkennbar. Das Hinabschlucken von Flüssigkeit (Wasser) erfolgte ohne Störung.

Beim K auen fe sterer Speisen soll sich H. leicht a u f die Zunge beissen; er soll daher auch fast n u r Flüssigkeiten (Milch, Brühe), höchstens etw as kleingeschnittenes Fleisch in der Regel gem essen. Nach Angabe seiner Frau, sowie des H errn Dr. H. soll H. ferner an grösser T rägheit der Darm funktion, die zum regelm ässigen G ebrauche von A bführm itteln nöthigt, und an verm ehrtem H arndrang (nam entlich Nachts) leiden.

Der U rin soll, nach der von H errn Dr. H. vorgenom m enen Prüfung, keine abnorm en B e s ta n d te ile (Eiweiss, Zucker) enthalten.

Als eine Art von Stichprobe für das körperliche und geistige V erhalten des K lägers diene die nachfolgende kleine, w ortgetreu w iedergegebene Szene, wie sie sich nach der Ankunft und Selbstvorstellung des A ugenarztes Dr. K. zw ischen diesem und H. abspielte:

K. K ennen Sie m ich?

H. Ja, ja, H err O berstabsarzt (dabei in grösser Aufregung).

K. W ollen Sie heute spazieren gehen?

H. Ich w ar m al gefahren —

K. Haben Sie denn noch einen W agen?

H. F ah ren wir heute — (nach einer Pause) m eine F rau t-*- H err Doktor — ich — ich — kenne Ihnen schon sehr lange —

K. W ie ist es m it den Augen?

H. Es wird — w ird — helle w erden — K. Sehen Sie m ich?

H. J a — j a —

K. (mit vorgehaltener Uhr): W as ist das hier? — H. (fuchtelt m it dem linken Arm in der oben beschriebenen W eise herum , verm ag aber nichts zu erfassen, versin k t dann w ieder in Apathie).

G u t a c h t e n .

Es kann nach der voraufgegangenen B efunderhebung nicht dem geringsten Zweifel u n terlieg en , dass wir es bei dem K läger m it einer a u s s e r o r d e n t l i c h s c h w e r e n , o r g a n i s c h e n , c h r o n i s c h - d e g e n e r a t i v e n G e h i r n e r k r a n k u n g zu thun haben.

Die an das G ehirn als Z entralorgan des N ervensystem s gebundenen Funktionen der E m p f in d u n g u n d S i n n e s w a h r ­ n e h m u n g , der w i l l k ü r l i c h e n B e w e g u n g und der h ö h e r e n S e e l e n t h ä t i g k e i t e n sind bei H. säm m tlich in grossem Um­

fange und in denkbar schw erster W eise geschädigt. D as Haut­

gefühl ist. in einem grossen Theile der linken und in einem

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88 A e r z t l i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . No. 5.

kleineren Theile der rechten K örperhälfte vollständig oder doch nahezu vollständig aufgehoben. Geruch und Geschm ack scheinen fast gänzlich zu m angeln; das Gehör fehlt au f dem linken Ohr vollständig, w ährend rechts nur eine sehr h e ra b ­ gesetzte H örschärfe besteht. W as das Sehverm ögen betrifft, so kann zur Zeit höchstens noch von einer quantitativen Licht­

em pfindung (U nterscheidung von hell und dunkel) allenfalls die Rede sein, da selbst grössere G egenstände in geringem Abstande vom Auge nicht m ehr w ahrgenom m en w erden. Es h a t sich das Sehverm ögen offenbar fortschreitend verschlechtert, da nach A ussage des H errn Dr. K. bei den ersten U n ter­

suchungen w enigstens im äusseren Theile des rechten G esichts­

feldes noch G egenstände erk an n t und selbst grössere Schrift­

proben gelesen w erden konnten; auch lässt die im A ugen­

spiegel w ahrnehm bare graue V erfärbung der Sehnervenscheibe au f beginnenden Schwund (Atrophie) der Sehnervenfasern schliessen.

Die willkürliche Bew egung ist am rechten Arm fast ganz aufgehoben, am rechten Bein stark verm indert, w ährend sie au f der linken K örperhälfte in geringerem G rade ebenfalls herabgesetzt ist. Die Zunge ist vorzugsw eise linksseitig gelähm t. Zu diesen unvollkom m enen L ähm ungszuständen ge­

sellen sich aber noch schw erste B ew egungsstörungen kram pf­

h after N atur in Form von spontan auftretendem Zittern, der In ten sität nach w echselnd bis zu heftigstem Schüttelkram pf, und allgem eine kram pfartige Störungen des Zusam m enw irkens der M uskeln bei den ein solches erfordernden („koordinirten“) Bew egungen — nam entlich bei den O rtsbew egungen, beim H insetzen und A ufrichten, beim Stehen und Gehen — sowie endlich auch bei äusserem Reiz (Anrufen), seelischer E r­

reg u n g u. s. w. eintretende K ram pferscheinungen. D er Aus­

gangspunkt aller dieser Störungen kann nur im Zentralorgan, im G e h i r n , in den der Em pfindung, der S innesw ahrnehm ung, w illkürlichen Bew egung und K oordination dienenden R inden­

abschnitten (nam entlich der Grosshirnrinde) gesucht w erden.

F ü r einen solchen zen tralen Sitz der E rkrankung spricht über­

dies die geschilderte enorm e S t e i g e r u n g d e r R e f l e x e , die bei G ehirnleiden durch W egfall der vom Gehirn a u f die Reflex- cen tren des R ückenm arks norm alerw eise geübten H em m ungen zu Stande kom m t; nicht m inder der C h a r a k t e r d e r L ä h m u n g e n , das Ausbleiben von M uskelschwund (Atrophie) selbst nach längerem B estehen der L ähm ung und das E rh alten ­ bleiben der elektrischen R eaktion in den von der L ähm ung befallenen N ervenstäm m en und Muskeln.

Ganz unzw eideutig endlich w ird das V orhandensein einer schw eren degenerativen G ehirnerkrankung, m it besonders aus­

gebreiteter B etheiligung der G rosshirnrinde, erw iesen durch den allm ählich g esteig erten s e e l i s c h e n V e r f a l l des K ranken, durch die bis zu hochgradiger Verblödung fortschreitende i n t e l l e k ­ t u e l l e A b s t u m p f u n g . Es ist dieser V organg psychologisch als eine noth w endige und unausbleibliche Folge der ausgebreiteten Sinnesstörungen zu betrachten, w odurch gew isserm assen die säm m tlichen in dieA ussenw elt hineingestreckten seelischen Fühl- fäden jä h abgerissen, ih res Z usam m enhanges beraubt und so die Aufnahme seelischer A nregung in Form von Em pfindungen und Sinneseindrücken und deren Um bildung zu V orstellungen unm öglich gem acht w urden.

Anatom isch und physiologisch ist der V erlauf in der W eise zu v e r s te h e n , dass zuerst grösstentheils die sogenannten Sinnesfelder d e r G ro s s h irn rin d e in ziemlich rap id er W eise zerstört, funktionsunfähig w urden und w eiterhin auch die V er­

bindungssystem e zw ischen diesen und den in u n m ittelbarer N achbarschaft, zw ischen ihnen belegenen sogenannten Asso­

ziationsfeldern fortschreitend degenerirten.

Von einem nicht durch schw ere m aterielle V eränderungen

bedingten (sogenannten „ f u n k t i o n e i l e n “ ) N ervenleiden — Schreckneurose, traum atische Neurose, N eurasthenie, H y sterie—

kann nach dem ganzen Verlaufe, nach der überaus grossen Schw ere und A ndauer der S ym ptom e, dem A ugenbefunde u. s. w. u n ter keinen U m ständen die R ede sein; noch w eniger natürlich von einem V erdachte auf S i m u l a t i o n , der sich durch den ganzen H abitus des zur körperlichen und geistigen Ruine gew ordenen P a tie n te n ohne W eiteres erledigt.

W enn nun also auch u nbestreitbar ist, dass K läger an einer schw eren organischen, chronisch-degenerativen Gehirn- erkrankung leidet und durch diese unbedingt als gänzlich und andauernd erw erbsunfähig gelten m uss — so könnten doch Zweifel darüber au ftau ch en , ob die vorhandene G ehirn­

erkrankung als auschliessliche, unm ittelbare Folge des am 14. A ugust 1898 erlitten en U nfalls anzusehen sei, oder ob sie vielleicht an d eren , nicht traum atischen (inneren) U rsachen ihre E ntstehung verdanke, oder derartige ursächliche Momente w enigstens m itw irkend konkurriren.

In dieser Beziehung ist zunächst das a k u t s t ü r m i s c h e E i n s e t z e n d e r H a u p t e r s c h e i n u n g e n im u n m i t t e l b a r e n z e i t l i c h e n A n s c h l u s s a n d e n U n f a l l nachdrücklich zu betonen. H. w ar, abgesehen von einer schw eren Influenza und darnach für kurze Zeit zurückbleibender nervöser V er­

stim m ung (im W inter 1895— 1896) vor dem Unfall körperlich gesund gew esen, soll nu r eine bei besonderen A nlässen sich dokum entirende nervöse E rregung auch späterhin gezeigt haben. Es erscheint j a gew iss nicht ausgeschlossen, dass diese fortbestehende nervöse Disposition etw as dazu beigetragen haben kann, die unm ittelbaren Unfallfolgen nam entlich nach d er Seite ih rer seelischen Rückw irkung hin stärk er und un­

gehem m ter h erv o rtreten zu lassen : die m it so elem en tarer G ew alt einbrechenden initialen E rscheinungen der gegen­

w ärtigen E rkrankung konnten aber dadurch unm öglich h ervor­

gerufen, höchstens unw esentlich modifizirt werden. Man e r­

in n ere sich, dass H. den Z eugenaussagen zufolge bei dem Unfalle bew usstlos hinstürzte und sofort über heftige Schm erzen im Kopf klag te; dass bereits w enige Stunden d a rau f u n ter schw eren K ram pferscheinungen sich die Lähm ung der rechten K örperseite entw ickelte, auch die Störungen des Geruchs und Geschm acks, der S ehverlust au f dem linken, die Einschränkung des G esichtsfeldes au f dem rechten Auge bei negativem A ugenspiegelbefunde — sichere Zeichen zentralen Befallen­

seins der Sehsphären — zur Ausbildung gelangten; dass in den nächsten Tagen u n ter öfterem Schw anken der Symptome und periodenw eise ein tretenden Zuckungen und Schm erzen auch die G efühlstörungen, die unvollkom m ene Lähm ung der linken K örperhälfte u. w. in ausgesprochener W eise hervor­

traten . Ein so blitzartig sich vollziehendes A uftreten der schw ersten, au sg eb reitetsten zentralen Reizungs- und L ähm ungs­

erscheinungen bei einem bis dahin relativ gesunden, je d e n ­ falls keine Momente organischer E rkrankung darbietenden M anne und in unm ittelbarem zeitlichen und örtlichen An­

schlüsse an eine den Kopf direkt treffende V erletzung kann doch wohl v e rn ü n ftig e rw e is e nu r m it eben dieser V erletzung, m it dem e l e k t r i s c h e n T r a u m a als solchem, in ursächlichen Z usam m enhang gebracht w erden. — Es kom m t dazu, dass das K rankheitsbild, auch abgesehen von der Art seines Einsetzens, in seiner sp äteren G estaltung ein solches ist, wie es eigent­

lich k ein er bestim m ten Form typisch o rg a n isc h e r, nicht trau m atisc h er H irnerkrankung entspricht; es zeigt wohl gew isse A ehnlichkeiten und B erührungspunkte m it den Symptombildern, wie sie sich bei chronischen H irnerkrankungen auf infektiöser oder intoxikatorischer (syphilitischer, alkoholistischer) Basis, bei dissem inirter H erdsklerose, paralytischer D em enz, sekun­

d ärer Dem enz noch H erdaffektionen u. s. w. entw ickeln können

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1. März 1902. A e r z t i i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . 89 ist aber von jedem einzelnen dieser K rankheitsbilder doch-

wieder grundverschieden, und durchaus eigenartig gestaltet.

Am m eisten äh n elt es noch dem Bild der sogenannten m u l t i p l e n ( d i s s e m i n i r t e n ) H e r d s k l e r o s e — und diese Aehnlichkeit ist nicht zu verw undern, weil wir es auch hier augenscheinlich m it einer an m eh rfach en , räum lich ge­

trennten H irnstellen einsetzenden, also „m ultiplen“ Invasion zu thun h aben; aber das hier vorliegende K rankheitsbild lässt doch einerseits m anche besonders charakteristische und so Zusagen pathognom onische Zeichen der H erdsklerose (wie Augen­

zittern, A ugenm uskellähm ungen, eigentliches Intentionszittern u. s. w.) verm issen — an d ererseits ist es wieder durch das hochgradige und diffuse B efallenw erden der säm m tliehen zentralen Sinnessphären und die überaus schw ere seelische Mitbetheiligung von dem gew öhnlichen Bilde der H erdsklerose erheblich verschieden.

Dem Einw ande, dass die stattg eh ab te V erletzung nach ihrer Beschaffenheit und Schw ere nicht derartig gew esen sein könne, um so intensive und extensive Folgew irkungen zu e r­

zielen — diesem m it den V erhältnissen der Strom stärke, der Strom spannung und der W iderstände im getroffenen O rganism us rechnenden Einw ande bin ich schon in m einem früheren Gut­

achten ausführlich begegnet. Ich will an dieser Stelle nur noch hinzufügen, dass, wie es den Anschein hat, im vor­

liegenden F alle sich die V erhältnisse fü r eine bedeutende H erabsetzung der Leitungsw iderstände und som it für ein be­

trächtliches Anwachsen der Strom stärke (und Stromdichte) im K örper des Getroffenen verhältnissm ässig günstig gestalteten, so dass die ausnahm sw eise verderbliche W irkung des Strom es bei der im Allgem einen noch nicht als schw er gefährlich g eltenden Spannung von 500 Volt dadurch dem V erständnisse näher gerückt wird. W enn näm lich — wie angenom m en w erden darf — der herabfallende und m it W ucht aufschlagende L eitungs­

draht dem H. den Hut (den m an ja sp äter auf der Erde fand) vom K opf schleuderte und also m it dem Schädel direkt in B erührung gelangte, so m usste u n ter dieser B erührung des strom zuleitenden D rahtes m it der (noch dazu vielleicht stark schwitzenden) K opfhaut seh r bald ein ganz ausserordentliches H erabgehen des K örperw iderstandes und dem entsprechend ein rapides A nw achsen der Strom stärke im K örper erfolgen.

W ir sehen, dass u n ter an deren V erhältnissen schon bei Ström en (Batterieström en) von höchstens 100 Volt Spannung der K örper­

w iderstand bis a u f 300, ja selb st bis au f 180 Ohm herabsinken kann, w ährend die absolute Strom stärke zw ischen 300 und 500 M illiampere b eträ g t — so bei der (besonders zu gynäko­

logischen Zwecken geübten) A nw endung der Elektrolyse.

W ährend so der W iderstand der Kopfbedeckung u n ter obiger V oraussetzung ganz elim inirt wird, kann auch d er W iderstand d er Fussbekleidung und des Bodens nicht unbedingt als so hoch geschätzt w erden, dass dadurch ein gefahrdrohendes A nw achsen der Strom stärke im durchflossenen K örper un­

möglich gem acht w ürde. U eber die an dem U nfallstage von H. getragene Fussbekleidung w ar leider au sser der Angabe der F rau, dass ih r Mann Zw irnstrüm pfe zu trag en pflegte, etw as B estim m tes nicht m ehr zu erm itteln; doch m ögen wir wohl m it der V erm uthung nicht fehlgehen, dass er an dem als heiss geschilderten A ugusttage n u r leichtes Schuhw erk an­

gelegt h atte und dass dieses sowie die Strüm pfe von Schweiss durchfeuchtet gein konnte, w oraus eine erhebliche H erabsetzung des W iderstandes resultiren m üsste. W as die B odenverhält­

nisse anbetrifft, so ist der Ring in L., w oselbst der Unfall p assirte — wie ich mich bei G elegenheit m eines Besuches überzeugte — m it Steinen gepflastert. Ein solches P flaster ist aber als verhältnissm ässig gut leitend zu betrachten, weil w egen der niedrigen Eigenw ärm e der Steine sich die F euchtig­

keit d arau f niederschlägt, und auch der zwischen den Steinen befindliche Sand in feuchtem Zustande den Strom gut fortleitet, so dass m an diesen bei unipolarer B erührung noch in einer m ehrere Meter betragenden Entfernung von den G eleisen zuweilen deutlich empfindet. Es dürfte übrigens nach theoretischen E r­

w ägungen wie auf Grund experim enteller Analogieen m it Sicher­

heit anzunehm en sein, dass die grösste und w esentliche Schädigung des eingeschalteten K örpers nicht sowohl w ährend des Strom schlusses, sondern vielm ehr e rst im Augenblick der S t r o m ö f f n u n g — d. h. b e im A u f h ö r e n d e r B e r ü h r u n g d e s h e r a b g e f a l l e n e n L e i t u n g s d r a h t e s , zu w elcher Zeit der K örperw iderstand schon auf sein Minimum herabgesetzt w ar

— blitzartig plötzlich erfolgte.

U ebrigens fehlt es auch nicht gänzlich an kasuistischen Beobachtungen ähnlicher A rt; vgl. z. B. den im Z entralblatt für Augenheilkunde (Septem ber 1900) referirten F all des Dr. U l b r i c h , wobei nach Einw irkung des elektrischen Stromes sich in den nächsten T agen eine Atrophie der Sehnerven und L ähm ung der B ew egungsnerven des Auges entw ickelte. Mir selbst ist ein dem vorbeschriebenen in m ancher Beziehung verw andter F all, der in der E y s e l e i n ’schen A nstalt zu Blanken­

burg a. H. von Dr. M a t t h e s und G r o s c h beobachtet w urde, kürzlich m itgetheilt worden.

Im m erhin befinden wir uns beim E ingehen a u f die Einzel­

heiten des E ntstehungshergangs, wie zugegeben w erden m uss, vielfach auf schw ankendem Boden und m üssen das vorhandene unzureichende und lückenhafte M aterial an m anchen Stellen durch m ehr oder m inder bew eiskräftige V erm uthung ergänzen.

Dies schliesst jedoch nicht aus, dass wir in dem H auptpunkte u n serer Sache gew iss sein dürfen — dass näm lich e in u r ­ s ä c h l i c h e r Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n d e m j e t z i g e n s c h w e r e n , d ie E r w e r b s u n f ä h i g k e i t b e d i n g e n d e n K r a n k ­ h e i t z u s t a n d e u n d d e m U n f a l l e , d e r e l e k t r i s c h e n V e r ­ l e t z u n g , u n v e r k e n n b a r u n d u n z w e i f e l h a f t o b w a l t e t .

Mein endgiltiges G utachten a u f die F rag en des Bew eis­

beschlusses vom 18. Septem ber 1900 gebe ich dem gem äss dahin ab, „ d a ss K l ä g e r z u r Z e it d a u e r n d e r w e r b s ­ u n f ä h i g i s t u n d d a s s d i e s e E r w e r b s u n f ä h i g k e i t n u r d i e F o l g e d e s a m 14. A u g u s t 1900 e r l i t t e n e n U n ­ f a l l e s i s t . “

Die Mitwirkung des Kreisarztes auf dem Gebiet der Gewerbehygiene.

V o n

Regierungs- und Geh. Medizinalrath Dr. E. Roth-Potsdam.

(Schluss.)

Um bei solchen A nlagen, w elche m it besonderen Gesund­

heitsschädigungen für die A rbeiter einhergehen, sich einen Einblick in die Art der Einw irkung des Betriebes speziell auf die Arbeiter auch w eiterhin zu sichern, em pfiehlt es sich, schon im G enehm igungsverfahren die Bedingung zu stellen, dass der U nternehm er in b e s t i m m t e n Z w i s c h e n r ä u m e n e i n e U e b e r s i c h t d e r s t a t t g e h a b t e n E r k r a n k u n g s - u n d T o d e s f ä l l e u n t e r d e r A r b e i t e r s c h a f t nach einem zw ischen K reisarzt und G ew erbeinspektor zu vereinbarendem Schem a E rsterem einreicht. Da es sich hierbei nicht um S tatistiken zu w irthschaftlichen Zwecken handelt, m ithin der

§ 139 b der Gew.-O. nicht in F rag e kommt, andrerseits den Beschlussbehörden bei der Festsetzung der Genehm igungs­

bedingungen, sow eit sie im In teresse d er Sicherheit des Be­

triebes oder der A rbeiter geboten sind, durchaus selbständig sind, w erden der Aufnahme einer solchen Bedingung prinzipielle

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90 A e r z t l i c h e Sa c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . No. 5.

Bedenken dann nicht entgegen stehen, w enn die Genehm igung I u n te r V orbehalt e rth eilt w urde; andernfalls empfiehlt es sich, um etw aigen späteren E insprüchen und Beschw erden zu b e­

gegnen, wie dies bezüglich der K onzessionsbedingungen im Allgem einen vor A ufstellung derselben seitens der B eschluss­

behörden vielfach geschieht, die v o r h e r i g e E i n v e r - s t ä n d n i s s e r k l ä r u n g d e s U n t e r n e h m e r s auch bezüglich dieser Bedingung herbeizuführen. Die Beschaffung einer solchen Statistik w ird dann keinen Schw ierigkeiten begegnen, w enn für die betreffende gew erbliche A nlage eine besondere Be­

triebskrankenkasse eingerichtet und der U nternehm er in der L age ist, sich die erforderlichen U nterlagen durch V erm ittelung des V orstandes der B etriebskrankenkasse zu verschaffen.

Anders liegt die Sache, w enn es sich um gew erbliche Anlagen handelt, deren Arbeiter nicht in einer besonderen B etriebs­

krankenkasse zusam m engefasst sind, sondern einer allgem einen O rtskrankenkasse angehören, deren V orstände und Aerzte u n ter U m ständen einem solchen V erlangen sich w eniger g e­

neigt zeigen w erden. Je m ehr es dem K reisarzt gelingt, gegenüber den A erzten des K reises eine V ertrauensstellung sich zu sichern, um so eh er w erden die hieraus u n ter U m ­

ständen entstehenden Schw ierigkeiten sich überw inden lassen.

F ü r diese statistischen U nterlagen, die au f die w ichtigsten D aten beschränkt bleiben m üssen, w ürden im A llgem einen folgende F rag en für ausreichend zu erachten sein.

A. D urchschnittliche Zahl der A rbeiter — der Arbeite­

rinnen — der jugendlichen Arbeiter.

B. Zahl der E rkrankungen und K rankheitstage a) für A rbeiter,

b) für A rbeiterinnen, c) für jugendliche Arbeiter.

C. Von den E rk ran k ten w aren beschäftigt:

a) bis zu 3 M onaten, b) von 3 bis zu 6 Monaten.

c) von 6 bis zu 12 M onaten, d) von 1 bis 2 J a h r u. s. w.;

D. K rankheits- und Todesursachen, unterschieden a) als spezifische B erufskrankheiten (Anilismus,

Blei-, Q uecksilber- u. s. w. Vergiftung, Staub- in h alatio n sk ran k h eiten , spefizische H autkrank­

heiten, Milzbrand u. s. w.),

b) als K rankheiten, bezüglich deren der unm ittel­

bare Zusam m enhang m it dem Gew erbebetrieb nicht nachweislich ist, und zw ar: 1. E rkrankungen der A thm ungsorgane (ausschliesslich der L ungen­

tuberkulose), 2. E rkrankungen der V erdauungs­

organe, 3. L ungentuberkulose. 4. Sonstige In­

fektionskrankheiten. 5. K rankheiten des N erven­

system s. 6. K rankheiten der Haut. 7. Sonstige K rankheiten. 8. V erletzungen.

Die F estsetzung der im Einzelfall aufzunehm enden spezi­

fischen B erufskrankheiten richtet sich nach der Art des Ge­

w erbebetriebes. D abei d arf nicht vergessen w erden, dass die Grenzen zw ischen den spezifischen B erufskrankheiten und den­

jenigen, bezüglich deren der Zusam m enhang nur ein m ittel­

barer ist, wie beispielsw eise in einer grossen Zahl der Fälle von L ungentuberkulose, keine festen s in d , und dass jed e solche Statistik nur einen u n g efä h ren , durch eigene Be­

obachtung zu ergänzenden Anhalt bietet.

Nach dem V organg der au f Grund der §§ 120 e und 139a erlassenen B ekanntm achungen des B undesraths empfiehlt es sich, die w ichtigsten M assnahm en des persönlichen Schutzes der A rbeiter in die A rbeitsordnung aufnehm en (§§ 134 a Abs. 1 und b, Abs. 3) oder, falls eine A rbeitsordnung nicht erlassen wird, durch besondere V orschrift den A rbeitern zur

Pflicht m achen zu lassen, ausserdem aber die A rbeiter in kurz­

gefassten B elehrungen au f die hauptsächlichsten ihnen drohen­

den G efahren und deren V erm eidung hinzuweisen. Eine e n t­

sprechende Bestim m ung ist gleichfalls in die Genehm igung aufzunehm en.

F ü r eine Reihe gesundheitsschädlicher B etriebe ist schon je tz t eine in r e g e l m ä s s i g e n Z w i s c h e n r ä u m e n zu w i e d e r h o l e n d e ä r z t l i c h e U n t e r s u c h u n g d e r A r b e i t e r vorgeschrieben. Eine solche periodische U ntersuchung ist a n ­ geordnet für die A rbeiter in Phosphorzündholzfabriken, in Q uecksilber-S piegelbelegen, in A nlagen zur H erstellung elektrischer A kkum ulatoren aus Blei oder Bleiverbindungen, in A nlagen zur H erstellung von A lkalichrom aten, für die Ar­

b eiter in Z inkhütten und für die in Bleifarben- und Bleizucker­

fabriken beschäftigten Arbeiter. Die Zwischenräum e, innerhalb d eren diese U ntersuchungen auszuführen sind, schw anken in den einzelnen B etrieben zw ischen einer W oche und drei M onaten. In den v orgenannten Anlagen und ausserdem in A nlagen, in denen Thom asschlacke gem ahlen oder Thom as­

schlackenm ehl g elag ert wird, sind die A rbeitgeber ausserdem v erpflichtet, ein K o n t r o l - ( K r a n k e n - ) B u c h nach vorge­

schriebenem Schem a zu führen oder u n ter ih rer V erantw ortung führen zu lassen, das dem G ew erbeaufsichtsbeam ten jederzeit zur E insicht vorzulegen ist. Dieses K rankenbuch ist nach der B ekanntm achung vom 8. Juli 1893, betr. E inrichtung und Betrieb von B leifarben- und B leizuckerfabriken auf V erlangen auch dem M edizinalbeam ten vorzulegen, und das Gleiche schreibt der M in.-Erlass vom 8. Mai 1889, betr. Vorschriften über Einrichtung und Betrieb von Q uecksilber-Spiegelbelegen vor. Es ergiebt sich h ie ra u s, dass den M edizinalbeam ten schon je tz t bezüglich der g en an n ten gew erblichen B etriebe eine M itwirkung bei d e r U eberw achung des G esundheits­

zustandes der A rbeiter eingeräum t w ar, w enn auch von dieser Befugniss, soweit bekannt gew orden, wohl nur ganz ausnahm s­

w eise bei gelegentlich in G em einschaft m it dem Gewerbe- inpektor au sgeführten B esichtigungen d erartig er Anlagen Ge­

brauch gem acht worden ist. F ü r die Zukunft wird es Sache des K reisarztes sein, bei den in G em einschaft m it dem Ge­

w erbeinspektor auszuführenden B esichtigungen sich diese K ranken-(K ontrol-)B ücher in jedem F alle vorlegen zu lassen, um bei dieser G elegenheit von den vorgekom m enen E r­

krankungen K enntniss zu nehm en und etw aige ungenaue E in­

trag u n g en richtig zu stellen. Zur D urchführung der im § 92 der D ienstanw eisung g estellten F orderungen erscheint w eiter­

hin e i n Z u s a m m e n a r b e i t e n d e r K r e i s ä r z t e m i t d e n K a s s e n ä r z t e n , s p e z i e l l s o l c h e r K a s s e n , in d e n e n A r ­ b e i t e r g e s u n d h e i t s s c h ä d l i c h e r B e t r i e b e v e r s i c h e r t s i n d , u n e n t b e h r l i c h . So lange eine Anzeigepflicht für die gew erblichen K rankheiten im engern Sinne nicht eingeführt ist, w ird der K reisarzt hinsichtlich der B eurtheilung der G esundheits­

schädlichkeit nam entlich solcher Betriebe, für welche die Führung eines K ontrolbuches nicht vorgeschrieben ist, im W esentlichen a u f die durch V erm ittlung der Aerzte an Orts- und B etriebs­

k rankenkassen ihm zugehenden statistischen U nterlagen an ­ gew iesen bleiben. Auch für diese statistischen D aten w ird ein einheitliches Schem a zu verein b aren sein.

D ass d er K reisarzt z u r a m t l i c h e n B e s i c h t i g u n g g e ­ w e r b l i c h e r A n l a g e n o h n e b e s o n d e r n A u f t r a g n i c h t b e f u g t i s t , sondern zu diesem Zweck die M itwirkung der zuständigen O rgane, in erster Linie des G ew erbeaufsichts­

beam ten, in Anspruch zu nehm en hat, un terlieg t nach den B estim m ungen d er G ew erbeordnung (§ 139b) keinem Zweifel und h at auch im § 92 der D ienstanw eisung für die K reisärzte entsprechenden Ausdruck gefunden. Die in G em einschaft m it dem G ew erbeinspektor vorgesehenen Besichtigungen solcher

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1. März 1902.

Anlagen, von denen G esundheitsschädigungen zu befürchten sind, bieten ein w eiteres Mittel zur Gewinnung sicherer U nter­

lagen für die B eurtheilung der G esundheitsschädlichkeit der einzelnen Betriebe. Wie schon seit lange betont, m uss das Z ie l e i n e r g e o r d n e t e n F a b r i k a u f s i c h t ein geregeltes Zusam m enw irken der G ew erbeaufsichtsbeam ten m it den G esundheitsbeam ten des K reises sein ; denn die Forderungen, welche die B estim m ungen der G ew erbeordnung nach der gesundheitspolizeilichen Seite stellen, haben zu ih rer D urch­

führung eine sachverständige ärztliche M itwirkung zur Voraussetzung. Diese M itwirkung ist besonders nothw endig in solchen Betrieben, wo durch giftige oder staubentw ickelnde M aterialien, schädliche Gase und Dämpfe, körperliche Ueber- anstrengung, hohe H itzegrade oder gezw ungene K örperhaltung die A rbeiter und in besonderem Masse die w eniger wider­

standsfähigen, nam entlich die jugendlichen A rbeiter und die A rbeiterinnen besonders gefährdet sind, und sie ist nicht m inder geboten in Bezug auf die Schädigungen der Anwohner und des Publikum s und die durch die Fabrikabw ässer verursachten V erunreinigungen des U ntergrundes und der W asserläufe.

Neben dem G ew erbeinspektor kom m en als A u f s i c h t s ­ o r g a n e f ü r d ie u n t e r d e n § 16 G e w .-O . f a l l e n d e n g e ­ w e r b l i c h e n A n l a g e n n a c h § 1 3 9 b G e w .-O . in zw eiter Linie die O r t s p o l i z e i b e h ö r d e n in F rage. Zwar besitzen auch die A ufsichtsbeam ten bei der Ausübung ih rer Aufsicht alle am tlichen Befugnisse der Ortspolizeibehörden, insbesondere das R echt jederzeitiger Revision der Anlagen, aber ein direktes polizeiliches E ingreifen steh t ihnen u n ter gew öhnlichen Ver­

hältnissen nicht zu, vielm ehr sind A nordnungen zur D urch­

führung der in den §§ 120 a — c enthaltenen V orschriften für einzelne Anlagen au f Grund des § 120d von der Polizeibehörde, für bestim m te Arten von A nlagen gem äss § 120 e vom Bundes­

rath, den L andeszentralbehörden oder von den Polizeibehörden zu treffen. Polizeiliche V erfügungen, um deren E rlass die Ortspolizeibehörde von dem zuständigen G ew erbeaufsichts­

beam ten ersucht wird, sind von dieser binnen zwei Wochen zu erlassen, sofern sie nicht binnen dieser F rist Bedenken dagegen erhebt. In diesem letzte m Fall hat der G ew erbeaufsichtsbeam te, falls er die erhobenen Bedenken für unbegründet erachtet, die E ntscheidung der höheren V erw altungsbehörde einzuholen.

Nach der Preussischen A usführungsanw eisung vom 26. F ebruar 1892 (Min.-Bl. f. d. i. Verw., S. 89) ist V oraussetzung für die auf Grund des § 120d Gew.-O. seitens d er Polizeibehörde zu erlassende V erfügung, dass die M assregel, welche angeord­

n e t w erden soll, zur D urchführung eines der in den §§ 120 a — c Gew.-O. enthaltenen G rundsätze erforderlich, und dass sie bei der B eschaffenheit der einzelnen Anlage überhaupt ausführbar ist. Bei polizeilichen V erfügungen, die nicht au f E rsuchen des G ew erbeinspektors erlassen w erden, h a t die Polizeibehörde vor E rlass derselben die gutachtliche A eusserung des zuständigen G ew erbeaufsichtsbeam ten einzuholen. Spricht sich dieser gegen den E rlass der V erfügung au s, so h at die Polizeibehörde den E rlass der V erfügung so lange auszusetzen, bis sie die Zu­

stim m ung der höheren V erw altungsbehörde erw irkt hat. Nur w enn eine dringende, das Leben oder die G esundheit bedro­

hende G efahr zu beseitigen ist, h at die Polizeibehörde ohne Aufschub die erforderlichen V erfügungen zu erlassen und zur A usführung zu bringen. H iernach kann die Initiative zu der­

artigen V erfügungen sowohl von der Ortspolizeibehörde wie von dem G ew erbeaufsichtsbeam ten ausgehn, doch ist, ab­

gesehen von dringender Gefahr, das vorherige E invernehm en beider O rgane V oraussetzung, w ährend bei M einungsverschieden­

heiten die höhere V erw altungsbehörde anzurufen ist. Der for­

m ale E rlass und die D urchführung der V erfügung bleibt der O rtspolizeibehörde überlassen.

Ebenso wie der Gewerbeinspektor ist selbstverständlich auch die P o l i z e i b e h ö r d e b e f u g t , d ie M i t w i r k u n g d e s K r e i s a r z t e s in g e e i g n e t e n F ä l l e n in A n s p r u c h zu n e h m e n . A bgesehen von der M itaufsicht, die der Polizei­

behörde gegenüber den genehm igungspflichtigen A nlagen zu­

steht, hat sie der E rrichtung von A nlagen, die m it G esundheits­

g efahr für das Publikum verbunden sind, durch polizeiliche V erbote entgeg en zu treten , wie sie auch das au f öffentlichen S trassen, W egen, Plätzen verkehrende Publikum vor N achtheilen und G efahren, wie sie schädliche D ünste, stark er Rauch und ungew öhnliche G eräusche m it sich bringen, durch polizeiliche M assnahm en sicher zu stellen h a t, B efugnisse, die sich aus den eigentlichen Aufgaben der Polizei au f Grund des § 10, Th. II, Tit. 17 des Allgem einen Landrechts und des Polizei­

verw altungsgesetzes vom 11. März 1850, bezw. in den neuen Provinzen der V erordnung vom 20. Septem ber 1867 ergeben.

In gleicher W eise ist die Polizeibehörde befugt, über den § 27 der Gew.-O. hinausgehend durch Spezialverordnungen für alle m it E rregung ungew öhnlichen G eräusches verbundenen B etriebs­

anlagen vorzuschreiben, dass ihre E inrichtung an Stellen, wo ihr Betrieb G efahren für die Gesundheit oder V erkehrsbelästi­

gungen m it sich b rin g t, nicht zulässig ist. (Vergl. E ntschei­

dungen des O berverw altungsgerichts Bd. IX, S. 373; Bd. XV, S. 433; Bd. XIV, S. 319; Bd. XXV, S. 393; Bd. XXILI, S. 254).

In diesen Fällen wie desgleichen in allen denjenigen Fällen, wo es sich um L uftverunreinigungen durch Rauch, Russ, durch w iderliche A usdünstungen u. s. w. handelt, die G esundheits­

gefahren für das Publikum überhaupt oder für bestim m te Be­

völkerungskreise herbeizuführen geeignet sind, wird d i e P o 1 i z e i - b e h ö r d e s ic h d e r M i t w i r k u n g d e s K r e is a r z te s z u v e r s ic h e r n h ab en , der sein G utachten auf Grund örtlicher U ntersuchung und u n ter B erücksichtigung der in F rag e kom m enden P ersonen­

kreise abzugeben h a t, wobei die K enntniss der einschlägigen E ntscheidungen, nam entlich des O berverw altungsgerichts un­

erlässlich ist. (Vergl. ausser den oben angeführten Entsch.

Bd. XIV., S. 326 u. f.; Bd. XVIII, S. 302; Bd. X X III, S. 349, 351; Bd. XXXIV, S. 394 imd R echtsgrundsätze des O berver­

w altungsgerichts von K untze und Kautz, 1898, Bd. 2, S. 316 u. f.) Dass die der Polizei durch den § 6 des Polizeiverw altungs­

gesetzes vom 11. März 1850 gegebenen Befugnisse über die im § 10 Th. II, Tit. 17 des Landrechts gegebenen nicht h in ­ ausgehen, dass insbesondere b l o s s e B e l ä s t i g u n g e n d e r N a c h b a r s c h a f t ein E inschreiten der Polizeibehörden nicht rechtfertigen, sondern nur dann, w enn dadurch die Ordnung, Sicherheit und L eichtigkeit des V erkehrs auf öffentlichen S trassen u. s. w. b eein träch tig t wird, und dass das Zw angs­

und V erordnungsrecht der Polizei auf den Schutz des Publikum s vor G efahren sich beschränkt, w ährend es au f dem Gebiet d er W ohlfahrtspolizei versagt, darüber lassen die vorliegenden zahlreichen E rkenntnisse des O berverw altungsgerichts keinen Zweifel (vgl. Entsch. Bd. IX S. 373 und Bd. XXXV S. 382, s. auch Sam m lung gerichtlicher E ntscheidungen auf dem Ge­

biete der öffentlichen Gesundheitspflege, Veröffentlichungen des kaiserlichen G esundheitsam tes Beilage III, S. 44 u. f.)

Eine M itwirkung des K reisarztes bei der E rrichtung nicht genehm igungspflichtiger Anlagen kom m t nicht in Frage. In G em ässheit des E rlasses des M inisters für Handel und Gewerbe vom 20. F ebruar 1889 wurden die Polizeibehörden in den einzelnen R egierungsbezirken veranlasst, B augesuche für solche gew erb­

lichen Anlagen, w elche nicht u n ter den § 16 der Gew.-O. fallen, m it Ausnahm e der rein handw erksm ässigen Betriebe, vorher dem zu­

ständigen G ew erbeaufsichtsbeam ten vorzulegen, um möglichst bei der ersten Anlage F ürsorge zu treffen, dass den Forderungen nam entlich der §§ 120 a —c Gew.-O. R echnung g etragen wird.

Die Baupolizei ist jedoch nicht in der Lage, die von dem 91 A e r z t l i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g .

(8)

G ew erbeinspektor für erforderlich erach teten A enderungen dem U n tern eh m er als Bedingungen vorzuschreiben, sondern sie kann ihn bei E rtheilung der baupolizeilichen G enehm igung nur d a ra u f aufm erksam m achen, dass seitens des G ew erbeaufsichts­

beam ten diese F orderungen an die fertige Anlage gestellt w erden w ürden. Eine an d ere Schw ierigkeit liegt darin, dass sich bei der Einreichung der B augesuche vielfach noch garnicht die Art des B etriebes nach U m fang und E inrichtung übersehen lässt.

Nach dem V orstehenden wird sich die M itwirkung des K reis­

arztes au f dem G ebiet der G ew erbehygiene, unter A usseracht- lassung der S taatsbetriebe (§ 93 Dienstanw eisung), im W esentlichen au f seine gutachtliche T hätigkeit im G enehm igungsverfahren, w eiterhin a u f ein geregeltes Z usam m enw irken m it den Ge­

w erbeinspektoren und A erzten gegenüber gesundheitsschäd­

lichen B etrieben im engeren Sinne und drittens auf die Be­

gutachtung gesundheitsschädlicher E inw irkungen gew erblicher A nlagen beschränken, die von ihm seitens der zuständigen Polizeibehörden erfordert w erden. Auch in diesem Um fang bedeutet die M itwirkung der K reisärzte, in richtiger W eise ausgeübt, einen ausserordentlichen F o rtsch ritt au f dem Gebiet d er Gew erbehygiene.

Von einzelnen gew erblichen Anlagen haben ausserdem in der D ienstanw eisung für die K reisärzte besondere Erw ähnung erfahren die S c h l ä c h t e r e i e n (§ 80), bezüglich deren der K reisarzt die gesundheitspolizeilichen In teressen w ahrnehm en soll, und von nicht genehm igungspflichtigen A nlagen die M o l k e r e i e n (§ 79), die er in G em einschaft m it dem be­

am teten T hierarzt zu beaufsichtigen hat, sowie die M i n e r a l ­ w a s s e r f a b r i k e n (§ 81).

O h n e A u f t r a g u n d o h n e v o r h e r i g e s B e n e h m e n m it d e m G e w e r b e i n s p e k t o r ist der K reisarzt endlich be­

fugt, in solchen Fällen, wo es sich um A u s b r ü c h e g e m e i n ­ g e f ä h r l i c h e r o d e r ü b e r t r a g b a r e r K r a n k h e i t e n handelt, die zu der B etriebsstätte oder dem B etriebe in ursächlicher Beziehung stehen, in gew erblichen Anlagen die erforderlichen Feststellu n g en zu erheben und entsprechende Anordnungen, bei G efahr im V erzüge selbständig, andernfalls durch V er­

m ittlung der O rtspolizeibehörde zutreffen. In dieser H insicht kom m en hauptsächlich Pocken, Milzbrand, Cholera, P est und Typhus in F rage, deren Einschleppung durch infizirte H adern und Lum pen, Abfälle aller Art, R osshaare, Felle, gebrauchte Schiffstaue u. s. w. sowie durch Nahrungs- und G enussm ittel (ausländisches G etreide, Milch etc.) erfolgen kann und ein u nm ittelbares E inschreiten des K reisarztes nothw endig m achen.

Hievon abgesehen können auch alle s o n s t i g e n ü b e r t r a g ­ b a r e n K r a n k h e i t e n , w e n n s ie g e h ä u f t a u f t r e t e n und eine ursächliche Beziehung zur B etriebsstätte oder dem Be­

triebe anzunehm en ist, zu einem gesundheitspolizeilichen E in­

schreiten des K reisarztes Anlass geben. A usser solchen E rkrankungen, die wie Typhus, R uhr u. a. zum Wrasser der B etriebsstätte in ursächlicher Beziehung stehen können, würde h ieher auch die Lungentuberkulose gehören, und zw ar dann, w enn ein gehäuftes A uftreten u n ter der A rbeiterschaft d arau f hinw eist, dass die erforderlichen vorbeugenden M assnahm en ausser B eachtung geblieben sind. Auch bei der Ueber- w achung der V erunreinigungen der W asserläufe durch Zu­

führung schm utziger oder giftiger A bw ässer aus gew erblichen A nlagen u. s. w. k an n der K reisarzt zu einem selbständigen V orgehen sich genöthigt sehen, sobald M issstände zu seiner K enntniss gelangen ( § 7 6 der D ienstanw eisung).

Schliesslich w ird d er K reisarzt gem äss § 92 der D ienst­

anw eisung auch den h a u s i n d u s t r i e l l e n B e t r i e b e n und den von hier ausgehenden gesundheitlichen Schädigungen seine A ufm erksam keit zuzuw enden haben, wozu ihn die O rtsbe­

sichtigungen sowie die aus Anlass sanitäts- oder medizinal-

92 No. 5.

polizeilicher V errichtungen auszuführenden D ienstreisen Ge­

legenheit bieten. Das W ichtigste bleibt au f diesem sozial ausserordentlich schw ierigen Gebiet die Beschaffung einw and­

freier U nterlagen für die m it den einzelnen B etrieben v e r­

bundenen gesundheitlichen G efahren und w eiterhin die An­

regung ih re r Verhütung. Es steh t zu hoffen, dass die Be­

stim m ungen des neuerdings dem B undesrath zugegangenen E ntw urfs über die gew erbliche K inderarbeit ausserhalb der F abriken bei energischer D urchführung dazu beitragen w erden, die körperliche, geistige und sittliche Schädigung des heran- w achsenden G eschlechts, die m it dieser K inderarbeit bisher unzertrennlich verbunden w ar, m ehr und m ehr einzuschränken und zu verhüten.*)

lieber Varicen als Unfallsfolgen.

V on

Dr. Schwarze.

R elativ oft tritt an den G utachter in U nfallverletzungen die F rage heran, ob K ram pfadern durch einen Unfall e n t­

standen oder verschlim m ert worden sind. Ich m uss gestehen, dass ich in jed em dieser F älle im m er rech t unsicher gew esen bin und dass ich deshalb dieser F rag e schon seit län g erer Zeit m eine A ufm erksam keit geschenkt habe. Mein Interesse w urde durch zwei U m stände um so m ehr wach gehalten, als ich bei den A ngestellten der S trassenbahn recht viel K ram pf­

adern zu sehen bekom m e und auch als F rau en arzt häufig genug dam it zu thun habe.

Schw ach entw ickelte V aricen m achen ja allerdings w enig B eschw erden und w erden für R entenansprüche w enig in Be­

tra ch t kom m en, ab er an d rerseits ist es oft auffällig, dass der sichtbare Grad der Entw ickelung durchaus nicht der Höhe der geklagten B eschw erden proportional zu sein braucht.

A usserdem m uss m an sich doch auch vom G esichtspunkte des U nfallgutachters sagen, dass die gering entw ickelten K ram pfadern sich m it zunehm endem A lter verschlim m ern und dann Grund zu E ntschädigungsansprüchen w erden können.

F e rn er ist d er m ir vorgekom m ene Fall zu berücksichtigen, dass alle übrigen Unfallsfolgen z. B. eines U nterschenkelbruchs, verschw unden sein können und nun die F rage auftritt, ob die R ente abgesetzt w erden k ann oder die natürlich nicht verschw in­

denden K ram pfadern dauernd einer Entschädigung bedürfen.

S tark entw ickelte K ram pfadern m achen nicht nur durch sich selbst, sondern noch m ehr durch ihre Folgenzustände, die Eczeme, G eschw üre, Schm erzen und Schw äche der befallenen E x trem ität so hohe B eschw erden, dass sie bei älteren Leuten einen hohen G rad von E rw erbsunfähigkeit bedingen können.

W enn dann in diesem Stadium noch die F rag e des Zu­

sam m enhanges m it einem U nfall aufgew orfen wird, dann g e­

hört die B eantw ortung derselben zu den schw ierigsten des gew issenhaften G u ta c h te rs!

Die E ntstehung der K ram pfadern ist noch nicht in allen P unkten aufgeklärt I W enn m an auch die frühere Theorie d er E ntstehung a l l e i n durch Blutstockung und Stauung in den V enen als ganz beseitigt annehm en m uss und die neueren histologischen Arbeiten aktive W achsthum sveränderungen an den B lutgefässen m it Sicherheit bew iesen haben, so sind die feinsten V orgänge des Beginns und der Art dieser Ver­

änderungen noch nicht in übereinstim m ender W eise geklärt.

Ich verw eise aus der neueren L iteratu r über diesen Gegen­

stand auf die Arbeiten von M e n a h e m H o d a r a (aus U nnas Institut) in der M onatsschrift f. D erm atologie 1898; S c h a m -

*) Im ersten Theil dieses Aufsatzes findet sich ein sinn­

entstellender Druckfehler. S. 67, linke Spalte, Z. 7 muss es heissen:

„Die Zusammensetzung der Rückstände der Fabriken und der Fabrik­

abwässer“ etc.

A e r z t l i c h e Sa c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g .

Cytaty

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