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Aerztliche Sachverständigen-Zeitung, 8. Jg. 15. April 1902, No 8.

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Die „A e rz tlic h e S a ch v erstttn d lg en -Z eltu n g “ e rs c h e in t m onat- J " ■ # 1 A lle Mann<,kriPte > M itth eilu n g en u n d re d a k tio n e lle n A n frag en lieh zw eim al. D u rc h je d e s d eu tsch e P o stam t w ird d ieselb e J A ^ ' ' W ' V / A P ' 3 I b e lie b e m an zu se n d en a n D r. F . L e p p m a n n , B e rlin NW.,

*um PreU e vo n Mk. 6.— v ie rte ljä h rlic h (M. 4.94 f ü r die Sach- / » L | ■ * ' # I I I I i j W ik in g e r-U fe r No. 1. K o rre k tu re n , RezensionB -Exem plare.

v erstiln d ig en -Z eitn n g , 0 Pf. fiir B estellg eld ) fre i ins H au s 1 W \ J M W A B J B | 1 ^ 1 I I ^ So n d erab d rilek e an die V e rla g sb u ch h an d lu n g , In se ra te u n d

g e lie fe rt. (P ost Z e itu n g s-P re isliste No. 34). B eilag en a n d ie A n n o n c e n -E x p e d ltio n von R u d o lf U osse.

Sachverständigen-Zeitung

Organ für die gesanunte Sachverständigentliätigkeit des praktischen Arztes sowie für praktische Hygiene und Unfall-Heilkunde.

R e d a k tio n :

Dr. L. Becker Dr. Braehmer Dr. Florschütz Dr. Fürbringer Dr. Haug Dr. Kionka Dr. Kirchner Dr. A. Leppmann

G eh .M ed .-R ath G e h .S a n .-R a th G otha. G eh .M ed .-R ath u .P r o f. P rofessor P ro fesso r G eh. Ob.-Med.-R. u. Prof. M ed.-R ath.

B e rlin . B e rlin . B e rlin . M ünchen. J e n a . B e rlin . B e rlin .

Dr. von Liszt Dr. Loebker Dr. Ostertag Dr. Puppe Radtke Dr. Roth Dr. Silex Dr. Stolper Dr. Windscheid

G e h .J u st.-R a th ü . Prof. P ro fesso r P ro fesso r Priv.-D oz. u. G erich tsa rzt K a iserl. R eg .-R a th R e g .-u .G e h .M e d .-R a th P rofessor B re s la u . P ro fesso r

B e rlin . B ochum . B e rlin . B e rlin . B e rlin . P o tsd a m . B e rlin . L eip zig . Dr. F. Leppmann - Berlin.

V e r a n t w o r t l i c h e r R e d a k t e u r .

V e r l a g v o n R i c h a r d S c h o e t z , B e r l i n , NW., L u i s e n s t r a s s e No. 36.

VIII. Jahrgang 1902. 8 . Ausgegeben am 15. April.

Inhalt:

Originalien: S tu r s b e r g , Zur Beurtheilung des Zusammenhangs zwischen multipler Sklerose und Trauma. S. 153.

K n o tz , Zur Frage der traumatischen Neurosen. S. 155.

C a h e n , Syphilis und Unfall. S. 159.

Referate: Sammelbericht. S to lp e r , Die neueren Arbeiten über trau­

matische Erkrankungen der Wirbelsäule. S. 162.

Chirurgie. R ie g n e r, Subkutane Zcrreissung des Sinus longitudinalis durae matris. S. 165.

T ilm a n , Ueber Hirnverletzungen durch stumpfe Gewalt und ihre Beziehungen zu den Brüchen des knöchernen Schädels.

S. 165.

I l o t t , Eindringen eines Pfeifen-Mundstücks in den Gaumen und Durchbohrung des Bodens der Augenhöhle. S. 165.

W a tt, Traumatisches Emphysem der Augenlider. S. 166.

Vergiftungen. O e h m k e , Selbstmord durch Schwefeldunst. Erstickung oder Vergiftung. S. 166.

C o n z e n s, Folgen einer Salzsäurevergiftung. S. 166.

K r a t t e r , Ueber Phosphor und Arsen als Fruchtabtreibungs­

mittel. S. 166.

J a q u e t , Ueber Brommethylvergiftung. S. 167.

Aus Vereinen und Versammlungen: Z w ei D is k u s s io n e n ü b e r d a s R e c h t dos A rz te s z u r F r u c h ttö d tu n g . (I. Berl. Med. Ges.

Sitzungen vom 22. und 29. Januar, 5. und 12. Februar 1902.

II. Verein für wissenschaftl. Heilkunde in Königsberg, Sitzung vom 6. Januar 1902.) — B e r l i n e r B a h n ä r z t l i c h e r V e re in . S. 167.

Gerichtliche Entscheidungen: Aus dem R e ic h s - V e r s ic h e r u n g s a m t:

Erwerbsfähigkeit und Versicherungspflicht im Sinne des Inva­

lidenversicherungsgesetzes bei einem Menschen, der beide Hände verloren hat. S. 170.

Bücherbesprechungen: K o lb , Sammelatlas für den Bau von Irren­

anstalten. — Zur Besprechung eingegangen. S. 170.

Tagesgeschichte: Fürsorge für Unfallkrüppel. — Mittheilung ärztlicher Gutachten an die Unfallverletzten seitens der Berufsgenossen­

schaften. — Der Gebührengesetz-Entwurf vor der Berlin-Branden- burgischen Aerztekammer. — Heilstätte für Geschlechtskranke.

— Das Gesetz über die öffentliche Gesundheit in Frankreich. S. 171.

Aus der medizinischen Universitätsklinik zu Bonn, Direktor Geheimrath Prof. Dr. Schu ltze.

Zur Beurtheilung des Zusammenhangs zwischen mul­

tipler Sklerose und Trauma.

V o n

Dr. H. Stursberg,

A ss is te n z a r z t der P o lik lin ik .

W i n d s c h e i d h a t vor Kurzem in dieser Zeitschrift*) über einen K ranken berichtet, dessen Leiden er als m ultiple Skle­

rose deutet und au f eine Verletzung als ursächliches Moment zurückführt. A ngeregt durch diese M ittheilung, m öchte ich im Folgenden kurz 3 Fälle dieser E rkrankung besprechen, die auf Unfälle zurückgeführt wurden und im Laufe des vorigen Ja h re s in der B onner medizinischen Klinik zur Beobachtung und B egutachtung kam en. Sie bieten bezüglich d er Vorge­

schichte eigenthüm liche V erhältnisse, verm öge deren sie für

*) 1902, Heft 1. Vergl. übrigens betr. der Diagnose des dort mitgetheilten Falles: K a p la n - F in k e ln b u r g , Anatomischer Befund bei traumatischer Psychose mit Bulbärerscheinungen etc. Monats­

schrift für Psychiatrie und Neurologie, 1900, S. 210 ff.

die B eurtheilung des Z usam m enhanges der herdförm igen V er­

härtung m it T raum en ein gew isses In teresse beanspruchen können.

Im e r s t e n F a lle handelte es sieh um den 37jährigen Dreher L., aufgenommen am 12. April 1901. Seiner Angabe nach stammt er aus gesunder Familie, ist verheirathet, Vater von 4 gesunden Kindern. Er behauptet auf das B e s tim m te s te , früher, abgesehen von einer Eiterung am linken kleinen Finger, nie k r a n k g e w e s e n zu sein. Am 3. Februar 1900 stürzte er angeblich in Folge Ab­

gleitens eines Schraubenschlüssels bei der Arbeit an der Drehbank hinterrücks zu Boden und schlug mit dem Hinterkopfe auf einen Eisenblock auf. Er habe sich dabei eine stark blutende Kopfwunde zugezogen, sei 2—3 Minuten lang bewusstlos und 5 Wochen (nach den Akten nur 3 Wochen) wegen der Kopfwunde und wegen Be­

stehens von Kopfschmerzen und Schwindel arbeitsunfähig gewesen.

Nach Wiederaufnahme seiner Thätigkeit befiel ihn plötzlich während einer Eisenbahnfahrt um Mitte April desselben Jahres ein so heftiges Schwindelgefühl und eine derartige „Steifheit“ in den Beinen, dass er nicht allein gehen konnte. Nach eintägiger Schonung trat Besse­

rung ein, völlig verschwanden aber die Beschwerden nicht mehr.

Am 6. September 1900 zwangen zunehmendes Schwindelgefühl, Flimmern vor den Augen und Doppeltsehen ihn zum Niederlegen der Arbeit. Eine Inunktionskur, welche im Krankenhaus mit ihm vor­

genommen wurde, blieb ohne Erfolg.

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154 A e r z t l i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . No. 8.

Bei der Aufnahme klagte L. über Kopfschmerzen, Schwindel, Steifigkeit in den Beinen, Doppeltsehen beim Blick nach rechts, über des Nachts auftretende blitzartige Zuckungen durch den ganzen Körper und über schlechten Schlaf. Beim Wasserlassen und bei der Stuhlentleerung bestanden keine Beschwerden.

Der Untersuchte ist ein ziemlich kräftig gebauter und gut ge­

nährter Mann. Neben einer oberflächlichen Narbe am linken Unter­

schenkel und einer narbigen Verkrümmung des kleinen Fingers der linken Hand findet sich am Hinterkopfe links etwas unterhalb der Lambdanaht eine kleine, oberflächliche, gut verschiebliche, angeblich druckempfindliche Narbe, die von dem in Frage stehenden Unfalle herrühren soll.

Erkrankungen der Brust- und Bauchorgane sind nicht nach­

weisbar.

Die Kniereflexe sind beiderseits erheblich gesteigert, beiderseits besteht sehr lebhafter Patellar- und Fussklonus. Fusssohlenreflexe ziemlich lebhaft, Plantarflexion der Zehen. Cremasterreflexe sehr schwach, Bauchreflexe nicht deutlich nachzuweisen. Auch die Arm­

reflexe sind gesteigert, auf beiden Seiten sehr lebhafter Ulnareflex und Reflexzuckungen beim Beklopfen der Handwurzelknochen. Kinn­

reflex lebhaft. Hornhautreflex links normal, rechts etwas herab­

gesetzt.

Die Sehfähigkeit des linken Auges soll wesentlich schlechter sein als die des rechten; dem entspricht der Augenspiegelbefund*), der links Atrophie der Papille, rechts vielleicht etwas blässere Farbe derselben erkennen lässt. Ausserdem besteht auf beiden Augen Chorioiditis disseminata. Pupillen ohne Besonderheiten. Beim Blick nach aussen ziemlich lebhafter, feinschlägiger Nystagmus. Die rechte Nasolabialfalte ist etwas verstrichen, der rechte Mundwinkel bleibt beim Zähnezeigen etwas zurück. Im Uebrigen sind die Gehirnnerven frei von Störungen; die Sprache ist regelrecht.

Die Kraft der Arme und Beine ist gut erhalten, ln den Letzteren geringe, aber deutliche Spasmen; keine Ataxie. An den Händen Intentionstremor angedeutet. Gang deutlich spastisch. Starkes R o m b e r g ’sches Phänomen.

Sensibilität intakt.

Keine psychischen Abnormitäten.

A uf Grund dieses Befundes w aren w ir wohl berechtigt, die D iagnose auf „herdförm ige V erhärtung des Gehirns und R ückenm arks“ zu stellen. W enn auch der Unfall nicht allzu schw er w ar, so lag doch die V erm uthung eines ursächlichen Zusam m enhangs zwischen ihm und dem zentralen Leiden nahe, und w ir k onnten d ah er in unserem G utachten einerseits nicht völlig ausschliessen, dass das T raum a bei v o rhandener Dis­

position v i e l l e i c h t die Rolle eines auslösenden Momentes gespielt haben könnte, an d ererseits schien es uns aber m in­

destens ebenso w ahrscheinlich, dass das Leiden schon vorher bestand, und dass der U nfall sogar m öglicherw eise als Folge eines durch die zen tralen V eränderungen bedingten Schw indel­

oder Schw ächeanfalls aufzufassen w ar, ähnlich dem jenigen, w elchen der K ranke im April 1900 durchm achte.

Ein Hinweis h iera u f v eran lasste N achforschungen seitens der K rankenkasse und diese ergaben, dass L., abgesehen von einigen an deren E rkrankungen, im J a h r e 1 8 8 9 4 W o c h e n l a n g a n „ a k u t e r ( s p i n a l e r ) L ä h m u n g “ g e l i t t e n h a t t e . W enn nun auch seitens des Arztes, w elcher ihn in den letzten J a h re n behandelte, Anzeichen eines N ervenleidens nicht b e­

obachtet w urden, so glaubten wir doch, die dam alige E r­

krankung als erste A eusserung der m ultiplen Sklerose auf­

fassen und einen ursächlichen Z usam m enhang zw ischen der V erletzung und dem Leiden in Abrede stellen zu m üssen, zu­

m al je tz t die G laubw ürdigkeit des U ntersuchten in etw as zw eifelhaftem L icht erschien. Auch eine V erschlim m erung des Z ustandes w esentlicher und d a u e r n d e r Art in Folge des U nfalles k onnten w ir m it R ücksicht au f das w eite Zu­

rückliegen d er ersten E rscheinungen nicht als besonders w ahr­

*) Die Augenbefunde wurden durch Herrn Privatdozent Dr.

H u m m e ls h e im kontrolirt.

scheinlich gelten lassen, vielm ehr m ussten wir zugeben, dass in A nbetracht des progressiven C harakters der m ultiplen Skle­

rose w ahrscheinlich auch ohne die nicht allzu schw ere V er­

letzung die Entw ickelung des Leidens den gleichen V erlauf genom m en hätte.

A ehnliche V erhältnisse bot der z w e i t e F a l l , dessen K rankengeschichte ich vorausschicke.

Der unverheirathete, 32jährige Tagelöhner W. aus T. wurde am 11. April 1901 auf Freibett in die Klinik aufgenommen. Seine Mutter ist angeblich wegen Brustleidens seit 4 Jahren bettlägerig, Vater und Geschwister sind gesund. Abgesehen von mehrfach auf­

getretenen Hautausschlägen (Ekzem) war W. bis zum Jahre 1896 nicht krank. Damals wurde er längere Zeit wegen eines A u g e n le id e n s behandelt, der Arzt habe von „ Sehnerv en-Entzündung“ gesprochen.

Im Juni 1899 sei ihm ein schwerer Stein aus etwa 1 m Höhe auf den Kopf gefallen; eine wenige Minuten andauernde Bewusstlosig­

keit sei die Folge gewesen, eine halbe Stunde später habe er wieder arbeiten können. Am folgenden Tage sei ein „Brennen“ im linken Auge aufgetreten, welches nach ein paar Tagen wieder vorüberging, 4 —6 Wochen nach dem Unfall bekam er plötzlich nach 2—3stün- digei* Arbeit ein „stumpfes, spannendes“ Gefühl in den Beinen, welches sich bis Mitte Oktober 1899 so verschlimmerte, dass er seine Beschäftigung aufgeben musste. Um diese Zeit bemerkte er auch ein „spannendes Gefühl“ im Kreuz und im Leib und Be­

schwerden beim Wasserlassen; anfangs war bei der Entleerung stärkeres Pressen nothwendig, während später das Zurückhalten nach Verspüren des Dranges Schwierigkeiten machte. In den letzten Monaten bemerkte er ein „taubes Gefühl“ in den Händen und eine Behinderung der Sprache. Das Sehvermögen nahm ab.

Die Untersuchung ergiebt einen ziemlich grossen, mässig ge­

nährten Mann, dessen Brust- und Bauchorgane keine krankhaften Veränderungen erkennen lassen. Am linken Unterarm leichter ekzematöser Hautausschlag.

Der Kniereflex ist rechts beim Beklopfen der Sehne gesteigert, links mittelstark, beiderseits nicht von abnormen Stellen auslösbar.

Rechts besteht ziemlich lebhafter Fussklonus; links mittelstarker Achillessehnenreflex, kein Klonus. Radius- und Tricepsreflexe sind beiderseits mittelstark; links schwacher, rechts deutlicher Ulnareflex.

Fusssohlenreflex vorhanden, kein Babinski. Cremaster- und Bauch­

reflexe fehlen.

Die Pupillen erscheinen ziemlich weit, rechts > links, Licht­

reaktion vorhanden, aber wenig ausgiebig. Beim Blick nach aussen sehr deutlicher Nystagmus. Ophthalmoskopisch ist die linke Papille etwas grau, die rechte etwas blass gefärbt, bei letzterer ist die tem­

porale Hälfte blasser als die nasale. Sprache etwas langsam und monoton.

Die Kraft der Arme ist gut erhalten, links etwas schwächer als rechts. Deutlicher Intentionstremor. In beiden Beinen bestehen er­

hebliche Paresen, besonders ausgesprochen in der Peroneusmuskulatur.

Keine deutlichen Spasmen.

Die Sensibilität ist am rechten Unterschenkel, weniger am rechten Oberschenkel und in der rechten Unterbauchgegend gestört;

Berührungen werden stellenweise nicht empfunden, „spitz“ und

„stumpf“ nicht deutlich unterschieden und die Schmerzempflndung erscheint herabgesetzt. Das Lagegefühl ist an den Beinen stark gestört. Im Uebrigen regelrechtes Verhalten der Sensibilität.

Betreffs dieses K ranken w urde die K linik nach seiner E ntlassung um ein G utachten angegangen, da er inzw ischen A nsprüche au f eine U nfallrente erhoben hatte. Aus den Akten der B erufsgenossenschaft ergab sich, dass Dr. Sch., w elcher den W. im Ja h re 1896 behandelte, bereits dam als die Augen­

e rkrankung als Anzeichen einer centralen Störung aufge­

fasst h atte, w eil er gleichzeitig H erabsetzung der Pupillen- und K niereflexe feststellen konnte. Ausserdem findet sich eine B em erkung, dass W. 1894 w egen „allgem einer Schwäche d er G lieder“ gefeiert habe, eine Angabe, die sich vielleicht auch schon au f das beginnende nervöse Leiden beziehen lässt.

U nter diesen U m ständen konnte selbstverständlich auch h ier der Unfall nicht als E ntstehungsursache d er m ultiplen

(3)

15. April 1902.

Sklerose angesprochen w erden, wir konnten aber auch eine V erschlim m erung w esentlicher und dauernder Art durch die Verletzung, zum al diese verhältnissm ässig geringfügig gew esen zu sein scheint und ausserdem n u r den Kopf betroffen hatte, nicht als w ahrscheinlich bezeichnen. Schw ieriger w ürde vor­

aussichtlich die B eurtheilung gew esen sein, w enn uns W. be­

reits als R entenbew erber überw iesen w orden w äre, da wir dann wie beim Fall I durch ihn selbst wohl keine M ittheilung von der früheren E rkrankung bekom m en hätten. F alls auch die B erufsgenossenschaft durch Zufall ohne K enntniss davon geblieben w äre, h ätte sich wohl leicht auch bei diesem K ranken ein ursächlicher Z usam m enhang zw ischen T raum a uud Skle­

rose konstruiren lassen.

F a l l III w urde auf V eranlassung des Reichsversicherungs- am tes von H errn G eheim rath S c h u l t z e und P rofessor A.

S c h m i d t begutachtet.

Der 60 Jahre alte Aufseher P.M. aus M., am 11. November 1901 in die Klinik aufgenommen, war angeblich früher stets gesund, hat zwei Feldzüge mitgemacht und will früher n ie gezittert oder an Gehstörungen gelitten haben. Potus wird geleugnet.

Am 4. Dezember 1899 stürzte er von einem Gerüste; im An­

schlüsse daran trat Bewusstlosigkeit ein. Auf welchen Körpertheil er fiel, ist nicht bestimmt festzustellen, wahrscheinlich auf die rechte Seite. Neben Verletzungen im Gesicht und an den Unterschenkeln erlitt er zwei Rippenbrüche rechterseits. Er klagt über Erschwe­

rung des Gehens, über beständiges Zittern an Händen und Füssen, über Störungen des Gesichts und Gehörs, ausserdem über Beschwer­

den, die sich auf die Organe der Brust- und Bauchhöhle beziehen.

Da der Befund der letzteren für die Beurtheilung der nervösen Störungen ohne Belang ist, lasse ich ihn unberücksichtigt. Die Untersuchung des Nervensystems ergab Folgendes :

Sämmtliche Sehnenreflexe an Armen und Beinen sind gesteigert, zeitweise besteht Patellar- und Fussklonus. Von den Hautreflexen fehlt der Bauchdeckenreflex. Die Pupillen sind gleichweit, reagiren gut auf Lichteinfall und Akkomodation. Keine Störungen der Augen­

bewegungen, kein Nystagmus. Abgesehen von Presbyopie bietet der Augenbefund nichts Abweichendes. Die Hörschärfe ist beiderseits herab­

gesetzt; Herr Privatdozent Dr. E s c h w e il e r stellte beiderseits getrübte Trommelfelle fest und nimmt ausserdem auf Grund der Stimmgabel­

prüfung an, dass der schallempflndonde Theil des Gehörorganes nicht intakt ist. Erkrankungen der übrigen Gehimnerven be­

stehen nicht. Die Muskulatur des Stammes und der Extremitäten ist überall gut entwickelt und genügend kräftig. Der Umfang des linken Unterschenkels beträgt 3 cm weniger als der des rechten, sonst sind keine Differenzen zwischen beiden Seiten erkennbar. Die Spannung der Muskulatur ist erhöht.

Der Gang ist spastisch, jedoch in etwas eigenartiger, mit Wackeln verbundenerW eise; die Fussspitzen und die äusseren Fuss- ränder werden dabei über den Boden geschleift.

An den Händen, weniger in den Füssen und am Kopfe besteht ein beständiges, mässig schnellschlägiges Zittern, welches bei ruhiger Lage nachlässt und bei Bewegungen stärker wird, ohne jedoch den Charakter des Intentionstremors anzunehmen. Bei abgelenkter Auf­

merksamkeit wird dasselbe, ebenso wie die Störung des Ganges, zweifellos geringer, verliert sich abor nicht ganz.

Die Sensibilität ist nicht beeinträchtigt, ebensowenig die Harn­

entleerung.

In diesem Falle ist die D iagnose nicht m it solcher Be­

stim m theit zu stellen, wie in den beiden anderen, jedoch lässt sich in U ebereinstim m ung m it H errn Professor D i n k l e r - Aachen, w elcher den K ranken früher begutachtete, wohl an ­ nehm en, dass „höchst w ahrscheinlich eine R ückenm arkser­

krankung vorliegt, welche hauptsächlich die P yrm idenbahnen beth eilig t“, und dass es sich verm uthlich um m ultiple Sklerose handelt. Dass das Leiden seine E ntstehung dem Unfalle v e r­

danke, konnte nicht als w ahrscheinlich bezeichnet werden, dagegen m usste m it Rücksicht a u f die Schw ere der E rsch ü tte­

rung eine B eschleunigung seiner E ntw ickelung durch ihn als möglich zugegeben w erden.

155 Wie bereits erw ähnt, bestritt M. das V orhandensein von K rankheitserscheinungen in frü h erer Zeit, dagegen enthalten die A kten eine M ittheilung von Dr. W., w onach in dem H eim athsorte des U ntersuchten allgem ein bekannt sei, dass er s c h o n f r ü h e r g e z i t t e r t h a b e u n d s c h l e c h t g e g a n g e n s e i. Ob w eitere Nachforschungen deshalb angestellt w urden, entzieht sich bisher unserer K enntniss. —

Diese Beobachtungen m ahnen doch wohl hinsichtlich der A nnahm e eines traum atischen U rsprungs der m ultiplen Skle­

rose zur V orsicht und sie b estärken uns w esentlich in der A nschauung, dass m anche angeblich au f V erletzungen zurück­

zuführende F älle durch eine genaue E rforschung d er V orge­

schichte als bereits früher bestehend erw iesen w erden können, und dass desw egen die A nam nese sich ebenso wie bei R enten­

bew erbern auch bei anderen K ranken nicht nur auf subjektive Angaben stützen darf, die j a auch einm al aus irgendw elchen Gründen, z. B. infolge G edächtnissschw äche in sp äteren Stadien der E rkrankung, unzuverlässig sein können.

Vielm ehr h alten wir besondere E rhebungen in jedem Falle für unbedingt nothw endig und glauben, dass bei Be­

rücksichtigung dieser Forderung die Zahl der au f äussere G ew alteinw irkungen zurückzuführenden Sklerosen noch erh eb ­ lich geringer w erden wird.

Allerdings w ird noch eine grössere Reihe von K ranken übrig bleiben, bei denen eine V e r s c h l i m m e r u n g durch einen Unfall z u z u g e b e n ist. Eine solche d arf aber unseres E rachtens n u r dann angenom m en w erden, w enn das g a n z e zentrale N ervensystem von einer e r h e b l i c h e n E rschütterung betroffen w urde, wie in unserem dritten Falle a n erk an n t w erden m usste. W ir glauben dagegen nicht, dass z. B. eine lokale E inw irkung au f den Kopf einen w esentlichen Einfluss au f R ückenm arksherde haben oder gar die E ntstehung von solchen v eran lassen kann. Auch die H ypothese G u s s e n - b a u e r ’s, w elcher eine Fortleitung der E rschütterung durch die Cerebrospinalflüssigkeit annim m t, verm ag uns einen d er­

artigen Z usam m enhang nicht w ahrscheinlich zu m achen. — H errn G eheim rath S c h u l t z e , m einem hochverehrten Chef, spreche ich für die U eberlassung des M aterials, sowie für die gütige D urchsicht des Aufsatzes m einen ergebensten Dank aus.

Aus dem Stadtspital zu Banjaluka (Bosnien).

Zur Frage der traumatischen Neurosen.

V o n

Dr. Ignaz Knotz,

L e ite r des S p ita lc s.

Nach V erletzungen oder E rschütterungen des K örpers, m anchm al nach einem überstandenen Schrecken oder grö sserer Angst, also einer seelischen E rsc h ü tteru n g , m eist ab er durch beide F aktoren gleichzeitig w erden bekanntlich eine R eihe von

„funktionellen“ N ervenstörungen h erv o rg eru fen , w elche e n t­

w eder vorw iegend das Bild der H ysterie, der Hypochondrie, N eurasthenie oder einer einfachen Psychose, am häufigsten aber einer Mischform dieser Leiden darbieten und trotz allen Einw ürfen auch heute noch als „trau m atisch eN eu ro sen “ ( O p p e n ­ h e i m) bezeichnet w erden. D er ehem als hochgehende, oft er­

bittert geführte K am pf um Namen und W esen dieser Leiden ist vielfach einer ruhigeren Auffassung gewichen.

Aber auch die neueste Arbeit über dieses Thema*) be­

leuchtet noch eine Menge strittig er P unkte und w idm et n am en t­

lich der F rag e einen breiten Raum, w elchen Antheil S i m u ­

*) Dr. L. B runs-H annover, Die traumatischen Neurosen. Un­

fallsneurosen. N o th n a g e ls Spec. Path. u. Ther. XII. I. 4. Wien Holder. 1901.

A e r z tlic h e S a c h v e r s tä n d ig e n - Z e itu n g .

(4)

156 A e r z t l i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . No. 8.

l a t i o n und U e b e r t r e i b u n g an dem K rankheitsbilde haben.

Da dürften denn drei Fälle „trau m atisch er N eurosen“, die sich, völlig unbeeinflusst von an deren U rsachen, lediglich aus dem Unfall heraus entw ickelt haben, für den Gerichts- und U nfalls­

arzt nicht ohne In teresse sein.

Bevor ich über diese F älle kurz berichte, m öchte ich eine B em erkung vorausschicken, die sich dem K enner hiesiger V er­

hältnisse unabw eislich aufdrängt, w enn er die neuerdings be­

sonders in D eutschland w iederholt aufgetauchte Behauptung vernim m t, die „traum atischen N eurosen“ seien m eistens auf dem Boden der U nfallversicherungs-G esetzgebung entstanden, ja durch dieselbe geradezu gezüchtet worden.

Diese Hypothese a u f ihre Giltigkeit für deutsche V er­

hältnisse nachprüfen zu wollen, liegt m ir völlig fern e; dort m ögen j a im aufreibenden Kam pfe um die lockende Rente seltsam e „U nfallsfolgen“ erblühen.

H ierzulande ab er giebt es keine a l l g e m e i n e n Unfalls- versicherungs-G esetze, keine R enten, d aher auch keine Käm pfe um dieselben. J a auch die Schadenersatzansprüche nach V er­

letzungen sind m eist lächerlich geringe und w erden selten ernstlich angestrebt.

Die B eschädigten haben zudem gar keine Ahnung von der in F ra g e kom m enden Sym ptom engruppe und könnten sie übrigens unm öglich in ih re r G esam m theit vortäuschen.

Die bosnischen B auern sind m eist kräftige, einfach lebende M änner, w elche dem gew ohnheitsm ässigen A lkoholm issbrauch nicht ergeben sind, w iewohl A usschreitungen gelegentlich des B esuches der nächsten S tadt oder an hohen F e ie rta g e n vorzu­

kom m en pflegen.

Doch scheint dieser gelegentliche Alkoholm issbrauch die W iderstandsfähigkeit des N ervensystem s der E ingeborenen eben so w enig herabgesetzt zu haben als die relativ noch v er­

b reitete Syphilis.

Tabes und progressive P aralyse, die m an ätiologisch so oft m it Syphilis verknüpfen will, kom m en näm lich, w ie ich schon anderweitig*) hervorhob, u n te r der einheim ischen B e­

völkerung seh r selten zur Beobachtung.

G eradezu auffallend ist die grosse Zahl schw erer S chädel­

verletzungen m it günstigem Ausgange, eine T hatsache, die den hiesigen G erichtsärzten w ohlbekannt ist und u n sere Prognose oft in günstigem Sinne beeinflusst.

Man kann also d er hiesigen Landbevölkerung eine ziem ­ liche W iderstandsfähigkeit gegen E rk ran k u n g en des N erven­

system s nam entlich nach T raum en, nicht absprechen.

In selten ere n F ällen ist nun diese W iderstandsfähigkeit aus irgend einem G runde m eh r w eniger v erm in d ert; dann dürfte es eben auch leichter zu feinen, vielfältigen organischen V eränderungen als Folge des körperlichen T raum as kom m en;

aber auch die gleichzeitige seelische E rschütterung findet le ic h te r Angriffspunkte, w irkt überw ältigend a u f das Indivi­

duum und ru ft so die Neurose hervor.

I.

Zaim H., 34 J a h re alt, m uham ., Taglöhner aus V rbanja bei B anjaluka, stam m t aus gesunder Fam ilie, Ü berstand vor 10 Ja h re n S y p h i l i s . Sonst w ar er im m er gesund, N erven- oder G eisteskrankheiten k am en w eder in der A scendenz noch in d er D escendenz vor. Seine V orfahren (M uhamedaner) tra n k e n nicht, P. se it 10 Ja h re n öfter S c h n a p s . ' Am 1. Septem ber 1900 stü rzte P. von einer im Bau begriffenen Brücke 4 —5 m tief a u f steinigen Boden, w urde bew usstlos in seine W ohnung getragen, wo ich ihn einige S tunden nach der V erletzung besuchte.

*) J. K n o tz. Bin Fall von Pseudobulbärparalyse mit einseitiger reflektorischer Pupillenstarre. Wiener med. Wochenschrift. No. 45,1901.

Grösser, kräftig gebauter, m uskulöser, ziemlich gut g e­

n äh rte r Mann. Sensorium noch ziemlich benom m en, auf kräftige Anrufe re ag irt P atie n t und b ean tw o rtet einzelne F rag en m ühsam . Puls 60. Pupillen gleich w eit, reag iren ziemlich prom pt.

An V erletzungen findet m an au f der r e c h t e n K örper­

hälfte: m ehrere hirsekorngrosse H autabschürfungen über der In n en seite der P atella.

H andgelenksgegend stark geschw ellt, über dem proc. styl, ulnae eine hellergrosse H autabschürfung; Zeichen von heftiger K o n t u s i o n u n d D i s t o r s i o n des H andgelenkes; F ra k tu r des proc. styl, ulnae.

U eber dem Stirnhöcker eine 2 cm lange, knieförm ig ge­

bogene seichte Rissquetschw unde.

Auf der l i n k e n Seite n u r eine kronengrosse H aut­

abschürfung über der P atella.

Beim E in tritt ins Stadt-Spital (3. Septem ber 1900) w ar P atie n t etw as verw irrt, lag aber w ährend der n ächsten Tage m eist ruhig im Bette, liess H arn u n ter sich; Stuhl e rst am 4. Septem ber auf L ax an s; P uls 76—80; T em peratur im m er norm al.

In unbew achten M om enten erhob er sich, ging, hin und h er taum elnd, zur T hür, m usste sich jedoch, um im Gange w eiterzukom m en, an der Mauer anhalten. E r beantw ortet die g estellten F rag en zw ar sinngem äss, doch ist die Sprache lan g ­ sam , hie und da u n v erständlich; m itten in der R ede setzt er sich oft au f oder m acht eine andere unbegründete Bewegung.

G edächtnis ungestört.

P a tie n t k lagt über Schw äche in der rech ten H and und im rech ten B ein; L ähm ungen nirgends konstatirbar, jedoch h erab g esetzte m otor. K raft in den rech ten E xtrem itäten.

H örschärfe: F lüstersprache beiderseits a u f 1 m. Zentrale Sehschärfe fast norm al.

Einige Zeit nach der V erletzung bem erkte P a tie n t eine Sehstörung. Das G esichtsfeld beider Augen erw ies sich kon­

zentrisch erheblich eingeengt (P erim eteruntersuchung wurde dam als nicht vorgenommen).

Seit der V erletzung b esteh t eine Sensibilitätsstörung, w elche nicht nu r die H aut, sondern auch die Schleim häute im Bereich der rechten K örperhälfte betrifft.

W ährend des Spitals-A ufenthaltes (3. Septem ber bis 9. Ok­

tober 1900) heilten die W unden und die F ra k tu r aus, der Gang besserte sich allm ählich, die übrigen B eschw erden aber blieben unverändert. P atien t kam noch oft ins Ambulatorium, seine G em üthsstim m ung w ar gedrückt, e r begründet dies d a­

mit, dass er nicht arbeiten könne, sein rech ter Arm und das rec h te Bein seien schw ach, auch sehe e r nicht gut.

Im August 1901 bot P a tie n t folgenden B e f u n d :

I n t e l l i g e n z u n d G e d ä c h t n i s s anscheinend ungestört;

P atie n t ist schm erzlich verstim m t, er fü h rt dies auf die T rau er um sein vor einem Monat verstorbenes Weib zurück, gleich d arau f k lagt er aber auch, dass er zu Nichts m ehr tauge, da er Nichts erw erben könne und betteln m üsse u. s. w.

Es b esteht k e i n S c h w i n d e l g e f ü h l , keine K ram pf­

zustände; Schlaf ungestört.

S e n s i b i l i t ä t : Auf der linken K örperhälfte w erden Be­

rührung, Stich, Druck, W ärm e- und faradische Reize norm al em pfunden und nach ih rer S tärke unterschieden, dagegen ist auf der ganzen r e c h t e n K ö r p e r h ä l f t e d i e E m p f i n d l i c h ­ k e i t d e r H a u t u n d a l l e r S c h l e i m h ä u t e für alle erw ähn­

ten Reize deutlich h e r a b g e s e t z t , auch die Muskeln des rech ten B eines zucken au f faradische Reize etw as schw ächer

als norm al.

S i n n e s f u n k t i o n e n : S e h s c h ä r f e , beiderseits = 5/6* ^ e -

(5)

15. April 1902. A e r z t l i c h e S a c h v er s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . 157 s i c h t s f e l d rechts auf 25°, links auf 30° um den F ixations­

punkt konzentrisch eingeschränkt.

K e i n e H ö r s t ö r u n g . (H örschärfe beiderseits: F lü ster­

sprache au f 15 m!)

R i e c h s c h ä r f e : rech ts etw as geringer als links.

G e s c h m a c k s e m p f i n d l i c h k e i t : Auf der rechten Zungen­

hälfte für süss und sau er erloschen, für bitter angedeutet, auf der linken Zungenhälfte für alle Q ualitäten normal.

R e f l e x e : Bindehaut-, Hornhaut-, N asenreflex rechts kaum angedeutet, links deutlich. Triceps-, Bauchdecken-, Crem aster-, F usssohlen- und P atellarreflexe beiderseits vorhanden, letzterer rechts deutlicher als links.

Pupillen reag iren auf Licht, akkom m odativ und konsensuell prompt.

M o t i l i t ä t s s t ö r u n g e n : R hythm isches, kleinschlägiges Z ittern der rechten Hand, w eniger des rechten Beines, moto­

rische K raft der rech ten E x trem itäten auffallend g erin g er als die der linken.

F acialis intakt, Zunge wird gerade herausgestreckt. Keine Atrophie.

G a n g breitspurig, bei schnellerem Gehen noch etw as taum elig; rech tes Bein zeigt ataktisches Schleudern. Bei Augenschluss kein Schwanken.

S p r a c h e ungestört. A llgem einer E rnährungszustand b e­

friedigend; Blasen- und M astdarm funktion ungestört.

Die ehem als norm ale L i b i d o s e x u a l i s u n d P o t e n z seit der V erletzung völlig erloschen, keine E rektionen, seither nur zwei P o l l u t i o n e n b e i s c h l a f f e m G l i e d e .

Aus der Sym ptom enreihe obigen F alles tritt eine Gruppe stark h e rv o r: r e c h t s , also au f der K örperseite, w elche nach dem Sturz aus 4—5 m Höhe die m eisten und gew ichtigsten V erletzungen davon trug, fand sich H e m i a n ä s t h e s i e , V er­

m inderung der m otorischen K raft, fern er sensorielle (Riech- und Geschmacks-) Störungen, endlich eine H erabsetzung einiger Reflexe, eine Sym ptom engruppe, deren hysterischen C harakter u. a. auch die (beiderseitige) konzentrische G esichtsfeldbe­

schränkung bekräftigt; eine etw a durch traum atische Blutung in die innere K apsel bedingte H e m i a n ä s t h e s i e m üsste n äm ­ lich offenbar von H e m i a n o p s i e begleitet sein.

Mit den Sym ptom en hysterischer Art ist aber der Befund nicht erschöpft.

Es bestanden anfangs auch K om m otionserscheinungen;

Bew usstlosigkeit, Sprach-, Blasen- und M astdarm störungen, die bald w ichen, w ährend die G angstörung sich nur zum Theil zurückbildete. Diese sowie die chronische V erstim m ung, das D arniederliegen von Potenz und Libido sexualis sind derart in das K rankheitsbild verw ebt, dass die B eurtheilung als

„ t r a u m a t i s c h e N e u r o s e m i t v o r w i e g e n d h y s t e r i s c h e m C h a r a k t e r “ gerechtfertigt erscheint. P. h at den U nter­

nehm er des B rückenbaues, bei dem er verunglückte, n i e g e ­ k l a g t und auch k e i n e n S c h a d e n e r s a t z a n s p r u c h e r h o b e n .

II.

Mile S., 35 Ja h re , aus Vilusi, Bezirk Banjaluka, erhielt anlässlich einer R auferei am 13. O ktober 1901 einen F u sstritt gegen die rechte B auchseite ohne nam hafte Folgen, drei kleine Schnittw unden an der rechten Hand, Q uetschungen in der L endenw irbelgegend und schliesslich einen Hieb m it einem Holzpflock a u f die linke Schädelseite, w orauf er bew usstlos zu Boden stürzte und w ährend der U ebertragung ins nächste Haus w iederholt „Galle und Blut“ erbrach.

E rst am n ächsten T age erw achte er aus der Bew usst­

losigkeit, erbrach noch blutige Flüssigkeit, konnte aber schon w enige W orte m it schw acher Stim m e aussprechen.

Auch aus der Nase ging Blut ab.

In den nächsten T agen erholte er sich so weit, dass er sich flüsternd und langsam sprechend verständlich m achen konnte; er klagte über K opfschm erzen, nam entlich in der linken H interhauptsgegend, und Schwindel, seit der V erletzung sehe er auf dem linken Auge „wie durch ein Sieb“ und höre a u f dem linken Ohre nichts.

Der V erletzte ist bei der gerichtsärztlichen U ntersuchung am 17. Oktober 1901 noch sehr hinfällig, kann nicht gehen.

Temp. 37,8, Puls 84—9 2 , schw ach, gleichm ässig, nicht aus­

setzend. —

Am Schädel sieht m an folgende V erletzungen:

In der Mitte zw ischen linkem Scheitelhöcker und W arzen­

fortsatz eine hellergrosse grünliche V erfärbung der Haut.

Diese Stelle ist etw as geschw ellt und druckempfindlich.

1 Zentim eter nach aufw ärts von der Mitte der linken Jo ch ­ brücke eine linsengrosse, jedoch unregelm ässig begrenzte rosa v erfärb te, theilw eise m it K rusten bedeckte oberflächliche H autabschürfung. 1 Z entim eter über dem äusseren Ende der linken A ugenbraue eine dreieckige l/ 2 cm breite, m it der Spitze ohrw ärts sehende, m it K rusten bedeckte ähnliche V eränderung.

Die A ugenuntersuchung ergiebt:

Pupillen gleich und m ittelw eit, reag iren prompt.

S e h s c h ä r f e und G esichtsfeld des rech ten Auges normal.

L i n k s : Sehschärfe = F ingerzählen a u f 1/2 m ; Gesichts­

feld hochgradig konzentrisch eingeschränkt.

H ö r p r ü f u n g : R.: — F lüstersprache auf IV2 m < L. wird selbst laute K onversationssprache unm ittelbar vor dem Ohre nicht vernom m en.

G e r u c h s s i n n : R norm al, L erloschen.

G e s c h m a c k s e m p f i n d u n g : L vollkommen erloschen.

Die S e n s i b i l i t ä t s p r ü f u n g ergiebt: Völlige linksseitige H em ianaesthesie, A naesthesie der ganzen Mund- und Zungen­

schleim haut, selbst ein D urchstechen der Zunge löst keinen Schm erz aus. —

R. im U ebrigen norm ale Empfindlichkeit der H aut und Schleim haut.

R e f l e x e : R e c h t s alle lebhaft;

L i n k s : Cornealreflex

K onjunktivalreflex fast N asenreflex erstorben.

Gaum enreflex

B auchdeckenreflex beiderseits nicht nachw eisbar, P ate lla r­

reflexe beiderseits, rechts lebhafter, vorhanden.

M otorische K raft der linken E x trem itäten im Vergleiche zur ändern Seite bedeutend herabgesetzt.

D er V erlauf brachte nur langsam e B esserung; nach n eun­

w öchentlicher B ettlägerigkeit begann P atien t langsam um her­

zugehen und erholte sich bis 24. D ezem ber 1901 so weit, dass er zum 30 km w eit en tfern ten Stadt-Spital reiten konnte.

B e f u n d : S chw acher, m assig gut g en äh rter Mann, am ganzen Körper rhythm isches kleinschlägiges Z ittern, bei längerem Stehen schw ankt P a tie n t; Rom berg deutlich.

Die seinerzeitigen V erletzungszeichen spurlos verschw unden, Schädelknochen überall glatt.

S e h s c h ä r f e u n d G e s i c h t s f e l d : R. norm al, L. kon­

zentrisch noch auf ca. 5 0 0 um den F ixationspunkt ein­

geschränkt, vor dem linken Auge sieht P atien t fortw ährend Funken in lebhafter Bewegung.

H ö r p r ü f u n g : R. = O m Flüstersprache, L. = 1 „

G e r u c h : R. = normal, L. = erloschen.

G e s c h m a c k : R. Zungenhälfte = norm al, L. = erloschen.

(6)

158 A e r z t i i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . No. 8.

S e n s i b i l i t ä t : Die ganze linke K örperoberfläche vom G esicht gegen das Bein zunehm end unterem pfindlich fü r alle Q ualitäten der Empfindung, insbesondere wird ein sehr stark er faradischer Strom nam entlich am Bein nur als B erührung em pfunden.

R e f l e x e : L. K orneal- und K onjunktivalreflex fast norm al;

N asen-G aum enreflex herabgesetzt.

Bauchdecken- und K rem asterreflexe beiderseits nicht nach­

w eisbar; Patellar-R eflex L. eben deutlich, R. jedoch deutlich erhöht, alle an deren Reflexe R. normal.

M o t o r i s c h e K r a f t der L. E x trem itäten im V ergleich zu R. noch deutlich herabgesetzt.

E rektionen sollen sich seit einiger Zeit w ieder eingestellt haben, doch h at P atie n t seit der V erletzung keinen Koitus vollzogen.

Auch dieser zw eite F all w eist nach einem Schlage auf die linke Schädelhälfte neben den Kommotions- und F ra k tu r­

zeichen eine Reihe von N ervenstörungen auf, w elche über­

w iegend a u f der linken K örperhälfte lokalisirt sind und in U ebereinstim m ung m it dem früheren F alle hauptsächlich der H ysterie angehören, sodass auch für diesen Fall die Beur- theilung als „ t r a u m a t i s c h e N e u r o s e v o r w i e g e n d h y s t e ­ r i s c h e n C h a r a k t e r s “ gerechtfertigt erscheint. —

Die Prognose dürfte hier günstiger sein als im vorigen Falle.

III.

M a r k o P., 35 Jahre, aus dem Bezirk K otor-V aros, über­

stand vor 25 Ja h re n T y p h u s , vor 2 Ja h re n eine m ässige Q uetschung der rech ten Hand durch das Rad eines W agens.

E r und die ganze Fam ilie w ar sonst gesund. P. trin k t nicht, desgleichen sein V ater, nur die M utter tran k Schnaps. Am 28. Juli 1900 erhielt P. m it ein er Holzschaufel a u f N acken und H interhaupt einen Schlag und m it einer eisernen Haue einen w uchtigen Hieb aufs V orderhaupt, blieb eine Stunde danach bew usstlos, es ging ziemlich viel Blut aus d er Nase ab, P atien t m usste dreim al erbrechen.

Die ziemlich heftige B lutung aus der Nase d auerte all­

m ählich abnehm end noch län g ere Zeit an. A nfangs sah P at.

alle G egenstände nur wie durch einen sehr dichten Nebel, e rst am sechsten T ag nach der V erletzung begann er besser zu sehen, im m er aber erblickte er gerade nur den Fleck, wo er eben hinsah.

Ins Bezirksspital Kotor-Varos (dam aliger L eiter: H err Dr.

M. B e r m a n n ) ü bertragen, bot P a tie n t am 3. August 1900 fol­

genden Befund dar:

Ziemlich k räftig er M ann; Puls 60, T em p eratu r norm al. In der Mitte des oberen Stirnbeinantheiles zieht eine circa 4 cm la n g e, u n reg elm ässig e, bis zum anscheinend unverletzten Knochen reichende R issquetschw unde der w eichen Schädel­

decken. — Sonst keine andere V erletzung. Aus der N ase geht noch im m er etw as Blut ab.

P a tie n t kann sich w eder aufrecht erhalten, noch kann er ohne Hilfe gehen, er schw ankt hin und her, „es drehe sich Alles um i h n “, auch in ru h ig er Lage scheinen ihm fixe G egen­

stände herum zu tanzen. Säm m tliche G egenstände erscheinen ihm grün gefärbt und wie von Nebel um hüllt.

A m b e y o p i e und konzentrische G esichtsfeld-Beschränkung in hohem G rade a u f beiden Augen nachw eisbar. — P atien t k lagt über heftigen Kopfschmerz. Auch im V e r l a u f e noch Kopfschm erzen, die P a tie n t in die Stirngegend lokalisirt und Schwindel, der ihn nam entlich beim Blick in grelles L icht und bei L agew echsel erfasst.

D aneben plagte ihn Schlaflosigkeit, sein k a rg e r S chlaf w urde durch schreckhafte T räum e (Visionen verschiedener

U ngeheuer) g estö rt; es tra ten häufig Pollutionen bei schlaffem Gliede auf, die Libido sexualis lag vollständig darnieder im G egensatz zum V erhalten vor der Verletzung.

24. August 1900. G ang noch im m er sehr unsicher und schw ankend, obwohl P atie n t seine B ew egungen m it den Augen überw acht. R o m b e r g ’sches Symptom sehr deutlich au s­

geprägt. P atellarreflexe hochgradig gesteigert. Pupillen über­

m ittelw eit, links > rechts, reag iren au f Licht, konsensuell und akkom odativ träge.

Amblyopie w esentlich gebessert, konzentrische G esichts­

feld-B eschränkung u n v e r ä n d e r t . F arbensinn normal.

Die Stim m ung des P atien ten ist eine gedrückte, w einer­

liche, der G esichtsausdruck m issm uthig und schw er leidend.

A llgem einer E rnährungszustand gesunken. An Stelle der Stirnw unde eine bew egliche Narbe.

Am 3. D ezem ber 1900 sah ich den P atienten anlässlich der H auptverhandlung.

B efund: E rnährungszustand ziemlich gut, Miene noch etw as leidend, Schw indelgefühl und Kopfschm erz nam entlich beim N iederbeugen öfters w iederkehrend; Gang bei offenen Augen ziemlich sicher, bei geschlossenen schw ankend; kehrt sich P atie n t hierbei schnell um, so fällt er beinahe zu Boden;

Rom berg deutlich, Patellar-R eflexe lebhaft, keine Blasen-, Mast- darm -, keine Sensibilitätsstörungen. Potenz und Libido sexua­

lis arg darniederliegend (P atient hat nach seiner Angabe in fünf M onaten nur einm al m ühsam den Koitus vollzogen). Pat.

schläft besser.

Augenbefund: L ider und Bulbi nach Lage, Form und Be­

w eglichkeit norm al. O phtalm oskopischer Befund normal.

Pupillen reag iren un g estö rt; links > rechts.

Sehschärfe rechts = 6/8 (— 0- 25 D), links = % (— 0- 50 D).

Die G esichtsfeldprüfung m ittelst P erim eters ergiebt au f beiden Augen eine erhebliche konzentrische E inschränkung, und zw ar rech ts au f circa 25°, links au f circa 30° um den Fixationspunkt.

Im obigen F alle fand sich, wie ein Rückblick lehrt, bei einem kräftigen Manne nach Schlägen au f den Kopf anfäng­

liche B ew usstlosigkeit, B lutung aus der Nase, hochgradige, beiderseitige Amblyopie und konzentrische Gesichtsfeld-Ein­

schränkung, B lendungsgefühl, heftiger Schwindel, G angstörung, R o m b e r g ’sches Symptom, erhöhte P atellarreflex e.

Später trau rig e V erstim m ung, Schlafstörung, schreckhafte T räum e, Potenz und Libido sexualis fast erloschen.

V erlauf: Allmähliche B esserung fast aller Symptome deutlich. G egenw ärtig leidet P. noch an Kopfschm erz und Schw indelanfällen, wobei er angeblich alles grün sehe.

Bei B eurtheilung dieses F alles w urde G ehirnerschütterung und Sprünge an der Schädelbasis m it konsekutiven B lutergüssen aus den zerrissenen D uralgefassen angenom m en, und dam it für die Amblyopie und beiderseitige konzentrische Gesichtsfeld- E inschränkung der W eg zu einem anatom ischen E rklärungs­

versuche geeb n et.1)

F ü r die m eisten übrigen Symptome aber erw eist sich dieser W eg vorläufig ungangbar.

Es v erhält sich dam it ähnlich wie in beiden vorigen Fällen, nur gehört hier die h ervortretende Sym ptom engruppe der N e u r a s t h e n i e an, führt aber ebenfalls, wie dort der hy ste­

rische Sym ptom enkom plex, im K rankheitsbilde noch einige Züge m it, w elche auch für diesen Fall die Bezeichnung „ t r a u ­

Vergleiche ähnliche Fälle: I. K n o tz , Beobachtungen über Seh- und Hörstörungen, sowie über Augenmuskellähroungen nach Schädelverlotzungen, Wiener med. Presse No. 30, 31, 35, 1900.

(7)

15. April 1902. A e r z t l i c h e S a c h v e r s t ä n d i g e n - Z e i t u n g . 159 m a t i s c h e N e u r o s e “ (jedoch vorw iegend n e u r a s t h e n i -

s c h e n C harakters) am zutreffendslen erscheinen lassen.

Die g enauere Analyse aller dieser Symptome, des V er­

laufes, der Diagnose, Prognose und T herapie w ürde viel zu w eit führen und überdies das Ziel dieser M ittheilung w esent­

lich verrücken. Ich möchte nur noch kurz a u f die E ingangs­

worte zurückkom m end betonen, dass es den B eschädigten nicht in den Sinn kam , die längere F o rtd au er ih rer nervösen Störungen zur E rreichung höheren Schadenersatzes zu ver- w erthen, obwohl der unzw eifelhafte Zusam m enhang des Leidens m it den V erletzungen bei der gerichtsärztlichen Beurtheilung entsprechend hervorgehoben w urde. „ B e g e h r u n g s v o r s t e l l ­ u n g e n “ im Sinne S t r ü m p e l l s sind also auszuschliessen.

Mit dem W egfall der erw ähnten Absicht zerfällt auch der V erdacht a u f Sim ulation der Sym ptom e in sich selbst.

Mit R echt kann m an daher behaupten, dass die U n ter­

suchten von der B edeutung und T ragw eite der fraglichen Störungen bis zur V erhandlung überhaupt nichts w ussten und auch durch die p aar U ntersuchungen d arau f nicht aufm erkssm wurden.

Wo bleibt u n ter solchen V erhältnissen eine „Züchtung der traum atischen N eurose“, w enn für diese A nnahm e w irk­

lich alle V orbedingungen fehlen?

Neinl Die drei vorgeführten Fälle w enigstens haben sich

„jenseits von Gut und B öse“ der m odernen E ntschädigungs­

und U nfallversicherungs-G esetze entw ickelt.

In diesem Lichte b etrach tet dürften die F älle dem Gerichts­

und U nfallsarzt im m erhin einiges In teresse abgew innen und ihn veranlassen, m it dem V erdacht au f Sim ulation und A ggra­

vation von U nfallsneurosen zurückhaltender zu sein.

Die auch hier v ertre ten e M einung C. E d i n g e r ’s und S.

A u e r b a c h ’s , *) dass die B ezeichnung „T raum atische N eurosen“

im Sinne O p p e n h e i m ’s 2) als die zutreffendste bis au f W eiteres beizubehalten sei, dürfte der m ehr praktischen R ichtung der oben erw ähnten Sachverständigengruppe Zusagen. D ies soll uns ab er nicht hindern, in W ürdigung der neuerdings von S a c h s und F r e u n d 3) vorgebrachten Ein würfe, die genauere Diagnose des Einzelfalles anzustreben und sie durch Hervor­

hebung der vorherrschenden Sym ptom engruppe (Hysterie, Hypochondrie, N eurasthenie u. s. w.) in der B enennung zu präzisiren.

Gelingt es einm al, die den „funktionellen“ N ervenstörungen zu G runde liegenden g e w e b lic h e n V e r ä n d e ru n g e n aufzudecken, d a n n können w ir den altbew ährten N am en ruhig über Bord w erfen, — ein neuer, besserer w ird ja ohnehin gleichzeitig m it dieser E ntdeckung g ep räg t werden!

Syphilis und Unfall.

Zugleich als Beitrag zur Frage der berufsgenossenschaftlichen V ertrauensärzte.

V on

Dr. P. Cahen-Berlin.

Zur B eantw ortung der je tz t aktuell gew ordenen F rag e, ob V ertrauensärzte für die BerufsgenosBenschaften überhaupt eine N othw endigkeit seien, erscheint m ir der nachfolgend g e­

') C. E d in g e r und S. A u e rb a c h , Unfallnervenkrankheiten, E u l e n b u r g ’s Encyklopädie XXV. S. 64.

a) O p p e n h e im , Die traumatischen Neurosen. Berlin 1889.

A. H irs c h fe ld .

3) Dr. H e in r ic h S a c h s und D r. C. S. F r e u n d , Die Er­

krankungen des Nervensystems nach Unfällen mit besonderer Be­

rücksichtigung der Untersuchung und Begutachtung. Berlin W. 1899 F is c h e r ’s med. Buchhandlung H. K o rn fe ld S. 414.

schilderte Fall verw erthbar zu sein, den ich aus diesem Grunde m itzutheilen V eranlassung nehm e:

Am 6. März 1901 erhielt ich von der N orddeutschen T extil-B erufsgenossenschaft den Auftrag, einen am 27. F e ­ b ru ar verunglückten M aschinenm eister G. Sch. in seiner W oh­

nung zu besuchen und m itzutheilen, ob es sich em pfehle, g e­

m äss § 76 schon je tz t in das H eilverfahren einzugreifen, ge­

gebenen Falls auch in w elcher W eise und aus welchen Gründen.

Die beiliegende U nfallanzeige besagte:

Gf Sch., 8. August 1853 geboren, verheirathet.

Am 27. F ebruar V orm ittags verunglückt.

Verletzung ist noch nicht zu konstatiren. D er Betroffene fühlt sich nur schw ach und unwohl und rieth ihm der Arzt vorläufig nur Ruhe an.

Der V erletzte schm iedete Vorm ittags m it dem H eizer E. 0 . zusam m en. Beim Zuschlägen, das H. besorgte, ging der H am m er vom Stiel und tra f den Sch. in d er G egend der W eichen. Er h atte wohl m om entane Schmerzen, die aber bald nachliessen, so dass er den Vorfall nicht w eiter beachtete.

Heute erklärte er nun plötzlich, so schwach zu sein, dass er nicht arbeiten könne.

D er Arzt h at erklärt, dass er eine V erletzung bis jetzt nicht konstatiren könne und rieth ihm, wie schon vorher gesagt, nur ein p aar T age R uhe an.

Berlin, 1. März 1901. U nterschrift.

Bei m einem Besuche am 11. fand ich den P atien ten im Bette liegend, m it sta rk er Schw ellung der L ym phdrüsen der rechten L eistengegend und derber Infiltration und R öthung der Haut in dieser Gegend. Auf der B rust und dem Bauch ein R oseola-Exanthem . P atie n t gab au f Befragen an, er habe, da die Schmerzen und die Schw ellung in der L eisten­

gegend nicht nachgelassen, 2 Tage Jodkali genom m en, sofort sei der Ausschlag entstanden, der trotz A ussetzen des Mittels nicht verschw and.

Meine daraufhin gestellte Diagnose, dass es sich um frische Syphilis handele, bestätigte sich bei dem zw eiten Be­

such am 30. März. D er Ausschlag bestand fort.

Ich erk lärte der Berufsgenossenschaft, dass es sich nach m einer A uffassung g ar nicht um Folgen eines Unfalles hier handele, em pfahl ih r aber gleichzeitig dem behandelnden Arzt folgende F ragen vorzulegen:

1. An w elchem Tage nahm P at. zuerst w egen seines a n ­ geblichen U nfalles Ih re Hilfe in A nspruch?

2. W as gab der V erletzte Ihnen über die Enstehungsur- sache seines Leidens an und wie schilderte er Ihnen gegen­

über den H ergang des angeblichen U nfalles?

3. Wie w ar der objektive Befund bei der ersten U nter­

suchung und wie lau tete die subjektive Angabe des V erletzten und wie stellten Sie die Diagnose?

4. W elche K rankheit liegt bei dem Sch. nach den w ährend der B ehandlung von Ihnen gem achten Beobachtungen vor?

5. W elchen V erlauf nim m t das H eilverfahren und w elches sind die A ussichten für die Zukunft?

D arau f erging folgendes G utachten.

20. 4. 01.

Der M aschinenm eister G. Sch., w elchen ich vor 1 Ja h r an einem Furunkel des linken U nterarm es behandelt habe, konsultirte mich zum ersten Mal am 1. März dieses Ja h re s wegen einer sehr schm erzhaften G eschw ulst in der rechten Leistengegend, verbunden m it grösser A bgeschlagenheit und dem Gefühl von Fieber. D erselbe gab an, am 27. F ebruar sei ihm ein Schm iedeham m er gegen die rech te L eistenbeuge geflogen und seit dieser Zeit bestehe der jetzige Zustand, w ährend er sich vorher vollständig gesund befunden habe.

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