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Die Zukunft, 17. November, Bd. 33.

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Berlin, den I7. November 1900.

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Moabiter Dramaturgie.

Met-Reichstagwird in denerstenTagen seinesneuen Lebens einenschwe- renStandhaben.Monate langwurdeseinWort sehnsüchtigerwartet undnunmußerschreien,wenn erüberhauptGehörfindenwill.Vergessen ist China,dasBündnißmit denBriten,der imAsbesthauszumSchweiger gewordeneOberbefehlshaber,vergessensind sogardie beidenletztenSkandale:

dasBuchderGräfinWedel und derFallWoedtke-Bueck. DasBuchwird UnterallerleiharmlosenTitelnnochin dieGesellschaftgefchmuggelt,diesich selbstgern diegute nennt,undvondemFallBueck wirdwiedergesprochen werden,wenn derGeneralsekretärdesCentralverbandes DeutscherIndu- striellendasOriginaleines dervonihm versandten Sammelbriefedem Reichstagvorlegtundbündigerklärt,wie esmöglichwar,daßerimHoch- fvmmer1899 ausdieserZeit sollen nach seinerAngabedieBriefe stam- men vonder»AgitationfürdenEntwurfeinesGesetzeszumSchutzdes gewerblichenArbeitverhältnisses«redenkonnte, trotzdemdamalsderGesetz- entwurf,denernurmeinenkann,unterdemEkelnamenderZuchthausvor- lagelängstbekanntgewordenund schoninersterLesungberathenwar. Einst- weilen sind dieseDinge sämmtlichvergessen.Das schlechteGedächtnißder Völkerhat seitJahrtausendendenMächtigenunschätzbareDienste geleistet.

DieöffentlichMeinenden horchen nachandererRichtungundhabenkeine Lust,sichum dielangweilige Politikzu kümmern. MorgensUndabends fliegt-wenndieZeitung kommt,dasAugenurflüchtigüberDepeschenund KUksehinundbleibtdannaufderSeitehaften,woinfettenLetterndie Uebekschkiftprangt: »ProzeßSternberg«.NurKonitzkonnte damitkon-

kUkkilkettzaber inKonitz habendieantisemitischenAgitatoreneine Nieder- 19

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lage erlitten,dieHoffnung,einenjüdischenRitualmord aus preußischem Boden entdecken zukönnen,ist vorläufiggeschwunden,unddaßderkonitzer Oberstaatsanwalt gesagthat,erhabe sichdieberlinerKriminalkommissare anders vorgestellt,alsersiesnunkennengelernt habe,kannhöchstensDen in- teressiren,derbestraftwordenist,weilerdieseBeamtenfürungeeignetzur Er- mittelung schwierigerFällehielt.JetztbehauptetHerrAugustSternbergallein dasFeld.Anjedem Stammtisch,injedem Straßenbahnwagenwirdvon ihm gesprochenundbaldwirdwahrscheinlichderDirektor derDeutschen Kredit-undBau-Bank inLiq.derHeldeinesKolportageromans sein,dem einnoch größererAbsatzsicheristalsweilanddemScharfrichtervonBerlin.

Schwer ist dieserRomannicht mehrzuschreiben;derwichtigsteStoff ist schonzusammengebrachtunddieZahlderMitarbeiter istLegion.DreiTage nachdemUrtheilkann einschnelldichtendesGenie diewundervollsteHinter- treppengeschichtefertig haben,diejedastugendsameHerzeinerKöchinin wonnigem Schaudererbebenließ.EinMillionär,dermitPersonenunter vierzehnJahren unzüchtigeHandlungenvorgenommen haben soll, alsonach

§1763 desStrafgesetzbuchesmitZuchthausbis zuzehn Jahren bestraft werdenkann.Ein Millionär? Dasklingtzum Erbarmen armsälig.Nein:

einMann,dernachderVersicherungseinernächstenFreunde achtzehnMillio- nenMarkbesitzt.ZweimalwarerdesMißbrauchesgeschlechtlichMinder- jährigerangeklagt.Einmalisterverurtheiltworden.DasReichsgerichthat dasUrtheil aufgehoben,weil esfand,man habederVertheidigungimHaupt- verfahren nichtgenugFreiheit gewährt.Undnun kämpftderMannmit denachtzehnMillionen,derseitelfMonateninUntersuchunghaftsitzt,umsein armes Krösusleben.Nebenihm aufderAnklagebanksitzenzweiMädchen und einMann,diesein Verbrechen begünstigthaben sollen.EineZeugen- schaar,die ausdendunkelstenHöhlenderHauptstadtausgescheuchtscheint, schiebtsichinshelle LichtdesGerichtssaals: Prostituirte, Kupplerinnen, Zuhälter,Absteigequartierwirthinnen,DetektivsmitihrenvonderStraße ausgelesenenGehilfen.EinPolizeidirektormitadeligemNamenmußbe- kennen, daßervondemAngeklagtenGeldgeborgtundGeschenkeerhalten hat.EinSchutzmannsagtaus, deradeligePolizeidirektorhabe ihmweitere Ermittelun gen in der SacheSternberg unmöglichgemachtundein Kriminal- lommissar habe ihmHunderttausendeversprochen,wennergegenSternberg nichts mehr unternehme;derselbeSchutzmann beschuldigtdenberühmtesten deutschenVertheidiger unanständigerHandlungen.DiegefährlichsteZeugin ist nachAmerikabefördertwordenundesstehtfest,daßderAngeklagteihrdie

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ReisebezahltundseitdemmehrmalsGeldgeschickthat.Dasdreizehnjährige Mädchen,auf dessenZeugnißjetztAllesankommt, hat seineAussage völligver- ändertzeserklärt,diefrühereAussage seiihmvondemKriminalschutzmann, dersofurchtbareAugen habe, aufgezwungenworden,undbleibthartnäckigda- bei:»IchhabemitHerrnSternbergnie Etwasvorgehabt.«Fast jederZeuge weißvonVersuchungen,dieihm genaht, von«großenSummen, dieihm geboten seien,zuberichten. UnfindbareMänner sindunter verschiedenen Namenin alleWinkelgekrochenundhaben mitGoldstücken,mitblauenund braunen Scheinen, je nachdemWerthdesZeugnisses,eine demAngeklagten günstigeAussagezusicherngesucht.UnddieserAngeklagteselbsterzählteine SchauergeschichtevoneinemKomplott, dessenOpfererwerdensolle.Eine frühere,seit beinahe zwanzig Jahrenaus seiner Gunst verstoßeneLiebste habe ihren unersättlichenFrauenhaßaufdenSchutzmannmit denfurcht- baren Augen übertragen aufdenselbenSchutzmann,der denPolizei- direktorunddenKriminalkommissar beschuldigthat undandiesesim HaßvereintePaar habe sicheine ganzeErpresserbandegehängt,derenWuth Wachgeworden sei,weilihreHoffnung ausdieMillionenbeute sichnichter- füllt habe...KanndiePolitik, selbstdieanbuntenAbwechselungenreichste,

solcheSensationenbieten? UndistseinWunder, daßman vondenlumpi- genzwölftausendMark nichts mehr hören will, seitvonMoabit herder

GoldglanzderachtzehnMillionen leuchtet? Schon jeder sichtbareZusam- MenstoßvonPolizeiundProstitutionrüttelt dieNeugier ausundreiztdie Hirnezuromanhaften Vorstellungen. Pariser "Polizeidirektoren,anihrer SpitzedergeriebeneCanler, haben selbstja erzählt,daßalleLustknabenund sehrviele Dirnen der SuretåSpionendienste leisten;obesimneuen Berlin nichtamEndeauch soweitist?Undnun trittnocheinnachder Gründer- modeaufgeputzterMonte Christoin denGräuelkreis,eingeheimnißvoller Wüstling,dessenAgentendenWegzurHöllemitGoldstückenpflastern.

AlsPetronius,Nerosarbiter elegantiarum, seineSatiren erscheinenließ Undbeschrieb,wie diegeileQuartan anderDeflorirungder kleinenPan- m)chisdengierigenBlickweidete,kann das Staunen nicht größergewesensein.

Aber Berlinist nichtdasneronische Rom, ist nichteinmal Canlers Paris.Manmuß bedauern, daßdermoabiterGerichtssaal soklein unddaß Der Eintrittnur mitbesonderer Erlaubniß gestattet ist.DerZeitungleser denktansardanapalischeOrgien,anüppigeBrunstfestenachdemberiichtigten MusterdesMarquisdeSadk;säheerdaselendeMenschenhäusleinauf- Makschiren,dannwürdeerDennicht beneiden,derindieserschmierigenWelt

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dieGiergestillt haben soll.DerMann mit denachtzehnMillionen trägt einenschlechtfitzendenRock undißtwährendderPause Weinbeeren,die das mitangeklagteFräulein,eineGenossinseinerverschwiegenenFreuden, ihm in einerfeuchtenPapierdüte hinüberreicht.DiezumZeugniß berufenen Prostituirten sehenaus, alsseien sieimMagdalenenstift ausgesucht,um lasterhafteMännervon Sündenzuentwöhnen;nur in denentlegensten Vorstädtentrifftmannachts nochsolcheGestalten.Und dieHauptzeugin,die dreizehnjährigeFriedaWoyda?Wer imLehrbuchderPerversitätengeblättert hat,kennt denTypusderpetiteagenouilleåe,dasUrbilddesBarrisonis- mus, underwartet,imGerichtsfaaleins der kokettzurechtgemachtenKinder zufinden,die im OrientundaufdenäußerenBoulevardsder argen Lutetia mitgrazilen FormenundaltenDirnenaugendieFremdenansichzu locken suchen.DasangeblicheOpfer sternbergischerNiedertracht gleichtihnenin keinemZug.Einganzunentwickeltes,kaumzehnjährigscheinendes,ärmlich gekleidetesKind,dasmitseinem mageren, blassenGroßstadtgesichtund den dünnen, strohblondenZöpfenineinerKellerwohnung nicht durchdenaller- geringsten Reiz auffallenwürde. Und nebendiesesWaisenhauskind,dasin seinem abgeschabtenWintermantel bejammernswerth aussieht,tritt von ZeitzuZeitdernichtminderberühmteSchutzmann,der garnichtsvom Oger,abersehrvielvomkleinenGrünkramhändlerhatunddem man,wenn ersienicht selbsteingestandenhätte,galanteAbenteuerwirklichnichtzutrauen könnte.WelchewidrigeKümmerlichkeitlZolas Saccard, der,wieSternberg, ein Gründer war, wieSternberg,umseine Spekulationenzufördern,sich eineZeitung schufunddieSexualneigungen hatte,derender Direktorder DeutschenKredit- undBau-Bank inLiq. beschuldigtwird, bezahlte sich immerhindocheineechteBaronin.Nein:BerlinistnichtBabylon,nichtRom, nichtParis.JnMoabitfändederZuschauerkeineorgiastischeStimmung.

Schade, daßderMassedasJammerbild nicht entschleiertwird.

DemErfolgdesKolportageromanswäresolcheEnthüllungnicht nützlich.DieZugelassenenwürdensichbalddieNase zuhaltenund die Ab- gehärtetenwürdenmerken, daß ihnen eigentlichnichtsNeuesgezeigtwird.

VonschwerenKuppeleienundschlimmenPerverfitätenhaben fiein den Büchern Parent-DuchateletsundKrafft-Ebingsgenug gelesen;auchdie HerrenEulenburgundMoll,die alsSachverständigediedunkle Kinder- psychederWoyda beobachten, habendasGebiet derSexualverirrungen oft anschaulichbeschrieben.Daßesunter denschlechtbezahltenPolizeileuten, dienicht selten vorher schonirgendwo schiffbrüchigwaren,schwacheMen-

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Moabiter Dramaturgie. 267 schengiebt,dieihre Macht manchmal mißbrauchen,um Schulden tilgen, SchloßabzügetrinkenoderanfeilenReizen naschenzukönnen,wußtejeder Erwachsene,ehevonSternbergs Thatendie Kundekam. Dengewissenlosen Detektiv wagtman heutekaumnoch denKöchinnenvorzusühren.Unddaßder Reicheauchin einemBeamtenstaat vonunangetasteterGesundheitallerlei Mittel hat, sichdem-meist rechtunsicherpackenden——ArmderGerechtigkeit zuentziehen,istdieältestealleraltenGeschichten.HättesonstAischylosschonvon demAbscheugesprochen,dendas demGriechenzurlebendigenPersönlichkeit gewordeneRechtvordemblinkenden,lockendenGoldglanzempfindet,und hätteDemosthenesin einerberühmtenRede dieathenischenMännerermahnt, diestrafbareHybrisdesBielvermögenden,denFreveldesReichennichtmilder zuahndenalsdasVergehendesArmen? Ganzsoleichtwiein denstillen OligarchienentschwundenerTage habenesdiegroßenDiebeübrigens doch nichtmehr;wenn sieinoffenenKonfliktmit demStrafgesetz kommen, regt sichgegensiedasMassenrefsentimentderMühsäligen,diesichvon dem langebeneidetenKrösusjederSchandthatversehenzukönnenglauben.Diese Stimmungkannnatürlicherst sichtbarwerden,wenn der Millionär vom

Schutzmannaus seinemLuxuslebengerissenist. Vorherkannermitseinem GelddieSpurüblenThunsverdecken;istereinmalgesaßt,danndrohtgerade ihmdiehärtesteStrase.-.SolcheGemeinplätzemußman beschreiten,um zu erkennen,wiewenigNeuesderSternberg-Skandalbietet. Trotzdemwird erwie einnieerschautesWunder,wie dasspannendsteallerKriminaldramen derletztenJahre bestauntunderwürde,selbstwenn diehandelndenundver-

handelndenPersoneninhellereBeleuchtung gerücktwerdenkönnten,nur einen geringen Theil seines Publikumsverlieren. DerGlanzwürdeer- bleichen,SardanapalundMonteChristomüßtenschnellverschwinden;aber schmutzigesElendistjetztjainderMode. Und dieschwereKunst, Menschliches menschlichzusehen,scheinendieVielzuvielennie lernen zu wollen.

SeitungefährzehnJahrenwirduns erzählt,siehättenes widerEr- wartendochendlich gelernt·Ein neues Dichtergeschlecht,hießes,ist aufge- kOmmen,dasunsvondemalten Trödelfür immerbefreien wird,unddieses GeschlechtwirdseinenRichterstuhl aufdie Bretter stellen,diederherbeiströ- mendenMassenuneinereale, nichtlängereineerlogeneWeltbedeutensollen.

KünftigwirdeskeineerklügelteTeleologie,keineZwangsvorstellungeines allbeherrschendenDualismus mehr geben;dieneuen Dichterwerden die schlichtenErscheinungendieserErdenichtmehr durcheinvergrößerndesGlas

betrachten,nicht mehrGegensätzekonstruiren,wiesie, so deutlichundscharf

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abgegrenzt,dieWirklichkeitniemals zeigt.DermoderneMenschwillsich selbst,will denNächstenerkennenlernen. Nichts Anderesdünktihnder MühedesAufhorchens,desNachdenkens werth.ErhatIvonMillgelernt, daßvollkommeneBösewichtehienieden vielleichtnoch seltenersindalsEngel, undvonTaine, daßerinTugendundLasternatürlicheProduktewieZucker undBitriolzusehen hat.Er magsichvonTünchernundTäuschernnicht länger foppen lassen. In seinemBewußtseinherrscht,seitdieromantischen Nebelwichen,dasGesetzderKausalitätzunddiesesGesetzesWaltensuchter fortan auchin derPoetenwelt.Undweilman im Landneuer Erkenntniß vomEinfachensachtzumKomplizirterenfortschreitenmuß,läßtersichwillig zuerstzum niederenMenschengethierführen.Das wirdbesondersfürdie- sozialeErziehung sehr nützlichsein.MitdengutGekleideten hatman sich langegenugbeschäftigt;jetztwirdmandasLeid derAermftenmitleidenlernen.

Eswar eineZeit herrlicherHoffnung.DerNaturalismus verhießeineRe- naissanceMenschen schaffender,Menschenhirneerhellender Kunst, einer Kunst fürdas ganze Volk. DaswardergefährlichePunkt.Wiesollte ohne Kultureinheit solcheKunst möglichsein? Daran hattemanimerstenFreuden- rauschnichtgedacht.UnddochhattejderMann,vondem dasneueSchlagwortin dieModegebrachtworden war,hatte Zola frühschonvordemWahn gewarnt, diegrobeSensationkönnejedieWirkungversagen,dieMengejeangrell beleuch- teterMelodramatik dieLust verlieren;denGegnern,diehöhnendaufd’Enne- rysMassenerfolgwiesen,hatte erzugerufen:Lepubliciratoujours tatst- lement ä. desspectaeles pareils,comme ilvavoirguillotiner,rue de LaRoquette, oucomme ilsepreeipite dans une rue pourre-

garderun homme eerase. Leplaisirest tout physique La ohair estprjse,les nerfs sont secoues,leslarmes eoulent quandmeme.

C’estd’uneffet sur etviolent, contre lequellesraisonnements litteraires, lesquestionsdegoüt n’ontaucune prise. Dievonder HöhedesJntellektuellen herab gesprochenenWortekonnten denDemokra- tennicht angenehminsOhr klingen; dochdieErfahrungeinesVierteljahr- hunderts hatunsgelehrt, daßderErbeHugosschärfersahals diegeschäftigen Berlünder derneuen Massenkunst. Längstschonhörenwir,derNaturalis- mussei »überwunden«,und über einKleineswerdenauchdieKurzsichtigen diealteHintertreppewiedererkennen,diejetztnurblankgescheuertundelektrisch beleuchtetist. Manchmal liegt aucheinPerserteppichaufdemmorschenHolz.

Zwei Beispiele.Zwei Dramen,dieseitWochenin den alsbesondersmo- derngerühmtenSchauspielhäusernderReichshauptstadtaufgeführtwerden.

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IneinemNothstandsjahr hateinostpreußischesGutsbesitzerpaar, demesnoch leidlich ging, zwei fremdeKinderinsHausgenommen. Der Knabe istderSohneines demGutsherrn verschwägertenJunkers,dersich, weilerseineHypothekenzinsennicht zahlenkonnte undsälligeEhrenscheine Umlausen hatte,eineKugelvordenharten Kopf schoß.DasMädchenistdie TochterdernnverehelichtenWeszkalnene,einerversoffenen,diebischenLand- streicherin.JnbeidenNothftandskindern regt sichdasererbte Blut. Der SohndesJunkerswirdeinstolzer, irrlichtelirender Phantaft,derkeinen Herrnübersichduldenwill, fürHeidenkraftundHeidenmuthfchwärmtund dochdasschwindligeGewissendes engandieAlltagsbehaglichkeitgeketteten Philistershat.DieTochterdervomAlkoholvergiftetenDiebinhatdietypischen TugendenundLaster jeder Sklavenkaste: siedientwilligundarbeitetohne Murrenvonfrühbisspät,abersieist unaufrichtig, stiehlt sichdie-Genüsse, die dasSchicksaldenSonntagskindern beschert,undglaubt sichandas Sittengesetzder bürgerlichenWeltnicht gebunden.Mit den Beidenwächst einMädchenauf,das derGutsherrschaftspätgeborenist,ein nettes, dummes Ding,dasgernlacht,einehübscheMitgiftzu erwarten hatund denEhe- mann einstzärtlichliebenund,wenn ersichs gefallen läßt, ehrfürchtigan- beten wird. Diesem JüngferchenverlobtsichderSohndesJunkers.Eine Weile haterandiePflegeschwestergedacht.Dieschiensichumihnabernicht zukümmern;undamEnde wäre esaucheineschlechtePartie.Manmußsich in dieVerhältnisseschicken,braucht deshalb aberdieBlume,dieamWege blüht,nichtzuverschmähen.»EinmalimJahristFreinacht«,sagtderjunge Herr;,,daerwacheninunserenHerzendiewildenWünsche,die das Leben nichterfüllthatund—— wohlverstanden nicht erfüllendurfte.«Morgen wirdermitseinerTrude sittfamvordenAltartreten undingeziemender ErgriffenheitdemWortdesgreifenPredigers lauschen;aberheute iftFrei- nacht, heutekanner,während draußendieJohannisfeuer verglimmen, Marilke,dasHeimchendesHofes,brünstigumfangen.Siegiebt sichihm ohneSträuben,bietetsichihm beinahean; sie hatzumerstenMalihre Mutter gesehenundhofft,imRausch ErlösungvonEkelund Grausenzu finden.AmnächstenMorgenreichensieeinander ohneReuedieHände.Herr GeorgvonHartwig zerdrückteinThränchenimAuge, schäkertgleichdanach aberschonwiedermitseinerTrude undwirdeinguterNormalehemann werden,der—»wohlverstanden!«—mit denwildenWünschenimmergedul- dig wartet,bisFreinacht ist.Und Marikkewird inBerlinjenseitsvonGut undBöse ihrGlückversuchen... Das istderInhaltdesSchauspiels

»Johannisfeuer«,dasHerr HermannSudermann erdachtundgedichtethat.

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EshatdemPublikum nichtgefallen.Warum,da esdochnichtschwächer undan Spannungreizkaumärmer istalsandereromanhasteDramen desselbenVerfassers?Die Antwort ist einfach:weilihmdiesympathischen Rollen fehlen. Sympathisch sind nichtnurdieEngel, sondernunter Um- ständenauchdieTeufel. Einheitlichkeitwirdverlangt, Vollkommenheitim GutenoderimBösen.Wassollman mit einemPaar anfangen,das weder ganzgut nochganzböseist?HerrSudermann hatversucht,seineHomunkel inverschiedenerBeleuchtungzuzeigen; für solchesVermessenwäreerbe- straft worden, selbstwenn dieSchöpferkrastinihm stärkerwäre. Nurzwei Gestalten habendenWegzumHerzenderHörergefunden:dieWeszkalnene, dieLotteBirch-Pfeiffer aufdiezitterndenBeinegestellthaben könnte,und einfideler Landpastor,der gern einenHumpenhebt,den liebenGotteinen guten Mann sein läßtundzwischenzwei SchnäpsendieerbaulichstenDinge vonsichgiebt.DieBeidenpassenin dieBretterwelt;beiihnen weißJeder gleich,woundwie.Die anderenJohannisfeuerleute sindzukomplizirt,als daßsie leidenschaftlicheLiebeoderleidenschaftlichenHaßwecken könnten. Da- herdie Kälte imWesten.DerliterarischeEhrgeizhatdemgeschicktestenThea- tralikerzum dritten MaleeinenStrich durchdieJahresrechnung gemacht.

EinAnderer,derbisher für seiner galt, hat sichmitsolchemGepäck nicht belastet;erhat, nach manchem mißlungenenVersuch,denDornenweg zur modernen Tragikomoediezuerklimmen,demTheater gegeben,wasdes Theaters ist,undsein LohnwareinSieg aufder ganzen Linie. Der Glück- licheistHerrHartleben;seinStückheißt»Rosenmontag«.Hans,ein Lieute- nant,liebtGertrude,einBürgermädchen.DasPaar istsoglücklich,wiezwei jungeMenschenzuseinpflegen,wennsiein jeder freienStunde, beiTagund beiNacht,einanderherzen dürfen.Dochmit desGeschickesMächtenist noch immerkeinewiges-Bundzuflechten.HanswirdaufvierWochenzurDienst- leistungbei derGewehrfabrikkommandirt undGertrudebleibt trauernd in derrheinischenGarnisonstadtzurück.ZweiVerwandteHansensmachensichan sie,ladensie,unter demBorwande,derGeburtstagdesabwesendenLiebsten müssefestlichbegangen werden,in dieWohnungeinesreichen,alsFrauen- jägerbekanntenKameraden undgeben ihrdortmehrWein zutrinken,als sievertragenkann.Diesesist,Jedermerkts,eineJntrigue.Hanssollvondem nicht standesgemäßenVerhältniß »losgeeist«undvortheilhast verheirathet werden.GrrtrudeschläftbeidemGelageein, erwacht,unter demHohngelächter derbeimJeu sitzendenOffiziere,amhellen Morgen, undHanserfährt durchdieVermittlungderzärtlichenVerwandten,wieseinMädel,dasihm so

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schnsüchtigeBrieseschreibt,sichbeiNacht amusirt.Denarmen Jungen wirft dieNachrichtaufs Krankenlager.Alsersichnothdtirftig erholt hat, giebt erdemRegimentskommandeurdasEhrenwort, daßdieGeschichtemitder Kleinenfürimmervorbeiist,undentschließtsich,derSchwiegersohneines reichenKommerzienrathesaus dergutenStadtKöln zu werden. Dochbe- kanntlichsindsogardiefeinstenGespinnstenicht vorLöcherngeschützt.Hans kehrtin dieGarnison zurück,erfährt,welchesschnödeSpielmitihmgetrie- ben ward,undpreßtdasschuldlos verdächtigteMädchenansliebendeHerz- GertrudewirdinseinerKasernenwohnung gesehen.DerEnkel des Man- nes,der desRegimentes Stolz ist, hat sein Ehrenwort gebrochen. Solche Sünde sühntnurderTod. DerGroßvaterfielbeiMars-la-Tour undsein Bild hängtimKasino...Nocheintoller, seligerKarneval;danngehts gemein- sam ausdieletzteReise.Hans,derinStunden menschlicherSchwächeauch Versemacht, hatesvorausgeahnt:

»Am Rosentnontag liegen Zwei, DiekaltenHände noch verschlungen..

DieseüberjedenBegriff rührende Geschichtegefälltdernngemein modernenKundschaftdesDeutschenTheaters sehr. Einzelne Leute,dieauf höhereBildung halten, schämensicheinBischenundsagenzurEntschul- digung,dieHaupthandlungseizwarnichtvielwerth,aber dasMilieu,der Kasernen-undKasinoton seiprachtvollgetroffen.DasisteinefchlechteAus- rede;geradedieOffizieresindinReden undHandelnsounpreußisch,daßman

ik)t!en,wennein paarWitzblattwendungen ausgemerzt würden,die Uni- fvrmMilansodereines anderen Balkanheldenanziehenkönnte. Nein: der Kassenerfolgistallein derrührendenGeschichtezu danken. DagiebtesKabale UndLiebe,dastehtman ganzguteundganzböseMenschen,daweißauch derEinfältigstestets,wenerbewundern,wenerverabscheuensoll.UndAlle sprechen,wie mans vonje herinanerkannten, nachderKunstregelstilisirten Bücherngelesenhat.Als dasschlichteBürgermädchendemLiebstendieschreck- licheGeburtstagsfeiergeschilderthat,vonderdas ganzeUnheil kam, macht eseinelangePauseundsagtdann,,fest«:,,Ja,.Hans:soistesgewesen.Jch verschweigeDirnichts, nichts.Sowahr ich Dichliebgehabt habeund immer nochliebhaben muß,Hans:Dasistdie reineWahrheit.Am Abend desTagesbinichindieKirchegegangennndhabe lange, sehr lange gebetet.

JchhatteGottesGebotübertreten,dennunsereLiebewar Sündegewesen;

Undichglaubtenun,DiesseidieStrafe.«Und alsesansSterbengeht,sagt derLieutenant»tieferns«:»Ich habeschwere,unsühnbareSchuld aufmichge-

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laden.Jch habe meineBraut, ich habeihren Vater,eineehrenwertheFamilie betrogen, ich habemeinemOberstdasWortgebrochen...Ichkann nicht mehrlebenindieserWelt;undeine anderehabeich nicht.Dasolldenn wenigstensderNameRudorff (nacheinemflüchtigenBlick zu dem Bilde seines Großvaters,schwer)Glaubemir,DuLiebe!Ich weißschon,warum ichin denTodgehe.AberDu,Du...« Sogehörtessich;so hatderHeld, hatdieHeldinimmer gesprochen.Herr HartlebensolleinSpaßvogelsein;

nachderhundertsten AusführungseinesStückesrückteramEndenochmit demGeständnißheraus, erhabenur, ,,illuminirtund fresko«,nachSchillers RathandieDramatiker, zeigen wollen,wiewenig sichdashochwohllöbliche Publikumin derstrengen Naturalistenschuleverändeythat-

Eswirdsich sobaldauch nicht ändern,nicht-vorderBretterbühne undnichtimTribunal. An beiden Ortenfordertes dieschärfsteScheidung derGutenvondenBösen,willesbewundern oderverwünschen.Derver- liebte Lieutenant solleinlichterHeld,dererotomanischeMillionäreinpech- schwarzerSchurke,derKriminalschutzmanneinfinstererDämon sein.Die Lehre, Menschenmenschlichzusehen,klingtjarechtgutund einMahadöh,der denganzenTagnichtszuthunhatunddiegöttlichenNervennichterstaufzupeit- schenbraucht,kannsichsolchenLuxusgestatten.DieMassemachtsichausdemein- zelnenIndividuum nichtviel undhält sichbeikomplizirtenNaturen nichtgern lange auf.Das hatdieSozialdemokratieerkannt unddeshalbdasErdengethier inWölfeund Lämmergetheilt; sie hat stetsein paarTodsünderimFegefeuer undsokann inihrem ReichdiePolitiknie»sachlich«,nielangweiligwerden, Wirbildenunsgarzuleichtein,dieMenschenweltseiandersgeworden,seit jeder BildungphilistervonDeterminismus, Kausalität,Psychophysikund ähnlichenDingenredet,diedochselbstdenWohlhabendenFremdwörterohne verständlichen,WillenundVorstellung bestimmendenSinn geblieben sind.

Umernüchtertzuwerden,müssenwir moderne Schauspielhäuserbesuchen oderBerichteübersensationelleGerichtsverhandlungenlesen.Dannmerken wir, daßes noch unentweihteStättengiebt,in die dermodischeUnfug nicht dringen darfundwoinfleckenloserReinediealte,bewährteMelodramen- psychologieherrscht.DawirdnochvomfreienWillendesaufrecht schreiten- denVierfüßlers,vonMenschenwürdeundWeltordnungwievon selbstver- ständlichenWahrheitengesprochen.Dagehtman insich,legtdenalten Adam ab undbeginnt,weileinschönesWortdasGewissenaus träger Ruhege- weckthat,ein neues,geläutertesLeben.Dasist höchstlehrreichundaußer- demschmeichelhastfürdenhomo sapiens,dersichvonAllem,was sonst

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Moabiter Dramaturgie. 273

kreuchtundfleucht,gernunterschiedensieht.DerProzeßSternberg scheint sichja nocheinhübschesWeilchenhinzuziehen.Wie wärees,wennDrama- tikernundSolchen,dieeswerden wollen,diefreien Zuschauerplätzerefer- virt würden? Siekönntendraußenwas lernen; namentlich fürdie An- fertigungvonVolksstücken,andenendochMangel ist, sinddieLehrender moabiter Dkamaturgie geradezu unschätzbar.ManmußdietiefeRührung miterlebt haben,die den Saalergriff,alsFräulein Ehlertzu weinenanhub Unddann, nochimmerschluchzend,gestand, sie habedenHohenGerichtshof bisherschmählichbelogen.Eswar »wieimTheater«;dasTribunal wurde- zUrSzene.UndamnächstenTagewars wiedersehr rührend,alsVater Ehlerterzählt,seinTöchterchenhabe sichschonmitfünfzethahren herum- getrieben,in derCharitå gelegenundimGefängnißgesessenundseivon KindesbeinenaneineverlogeneKrötegewesen,diesogardieeigenenElternver-

leumdethabe.Wäre derVater gleichnachderTochterzum Wortgekommen, dann hätteman sichüber den Manngeärgert,dermitrauherRede ineineholde Vorstellungbrach.Soaberfolgte auf genußreicheRührung nichtminder genußreicheEmpörungzundwenns andenTagkommensollte, daßder Vatergeflunkertund dieTochterdieWahrheit gesprochenhat,dannhättendie Hörerobendrein nocheineneueSensationundkönnten abermals tief gerührt Undhöchstempörtsein. WelcheThorheitwar es,zu glauben,dieGeschichtedes Mannesmit denachtzehnMillionen könneihre Spannkraft verlieren,weil siein derNähegarso erbärmlichaussieht! Auchin derNähebrauchtman nichtzufragen,wie dasWesenderMenschen geworden ist,kannman sich mit ganz Guten und ganzBösen begnügen.Einreicher Wüstling, reuige Magdalenen,schielendeKupplerinnen,unheimlichePolizeischergen,mitallen HundengehetzteDetektivs,imHintergrundeeinMillionenhort,aus dessen UnerschöpflicherFülleEidegekauftundTugendenvernichtetwerden: ob nichtschonirgendeinFelix PhilippizumMeisterstückdieFeder ansetzt?... DasGenie desHerrnAugust Sternberg hat einstdenMutterschoßderber- liner Pressebefruchtet;vielleichtwird einewesentlicheFörderungderdeutschen DramatikinLiq.dieletzteLebensthatdesbestechendenHelden sein.

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s gegenüberstehen wie zwei ganz fremde Nationen; denn trotzdem heute, wo nur gesellschaftliche,nicht auch rechtliche Schranken die Bevölkerung trennen, der Uebergang von einer

Zeiten, wo sie selbst eine großeKrinoline getragen hatte und auf der Friedrich- straße allmählig größereHäuser entstanden und die alten großen Gärten dort immer mehr zugebaut und

sind. Und dann werden die erprobten Patrioten, die seit zehn Jahren alle schlimmenFehler mitgemacht und meist mit Jubelgesängenbegleitethaben, sich in schöner Wallung um die

Viel wäre bei Moreau über das rein Technische zu sagen, besonders über seine Behandlung der Farben. Moreau war von Anfang an sarbiger als die meisten seiner Zeitgenossen. Doch in

Er ist —- anderthalb Jahrzehnte später — noch immer Junggeselle und wohnt ärmlich genug in einer möblirten Stube. Er ist eben Susanne Dam- bacher, der Frau des reichenSportsman,

Als historisch gebildeter Mann glaube ich, ein Urtheil über die allgemeinen Lebens- bedingungen der Völker und Staaten zu haben, aber als Laie in Marinesacheu kann ich unmöglich

Vorherrschaft gewann, die geborene Herrscherin. Die Jahrhunderte gingen dahin und noch bespült die Aare den Fels, darauf die mächtigeBurg der Zähringer er- stand; von drei

Damals war in das Transvaalgebiet eine britischeMinderheiteingebrochen, der die Buren sichleichterwehren konnten. Das Telegramm weckte in Deutsch- land lauten Jubel. Auch in