Berlin, den 25.November 1899.
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Windsor-Pudding.
ZweihundertGramm WeißbrotkruineWerdengeweicht, tiichtigaus- gedrücktund mitachtzigGramm ganzfeingehacktenOchsenmarkes, ferner miteinerebenso großenRindertalgmenge vermischt.
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mehrundmehr außerRandundBandgerathenden Leute,die das» DeutscheReichamLiebstenmitallenMächtenderErdeinKrieg verwickelumöchtenundsichtrotzdem höchststolzPatriotennennen, schreien jetztinihrer Presseundinihren schlechtbesuchtenBersammlungen,derKaiser dürfenicht nach England gehen.DasseieinGebot derSclbstachtungund derpolitischenMoral. Warum? WeilEnglandinSüdafrika augenblick- licheinendemdeutschenVolkmißfallendenKrieggegendenBurenstamm führt. Auchwirfinden diesen-KriegungerechtundhabenausunserenSym- pathienmit denBuren,derenTapferkeitwir denSieg wünschen,nieeinHehl gemacht. AberistesetwaDeutschlands Aufgabe,in der ganzen Welt dieSache der-Gerechtigkeitzuverfechten?KannesunserePflichtscin,gegenjedesirgend- woverübteUnrecht aufzutreten, selbstwennwirdadurchinkriegerischeVer- wickeluugengeratl)enkönnten?Gewiß:cskannFälle geben,wo diegesammte Kulturmenschheitgezwungenist,sichzumMassenkampfgegenRechtsverletzung undBergewaltigungzuschaaren.UnsereLeserwerdenunsverstehen,wennwir den NamenDrehfus aussprechen AuchdasSchicksalAlexandersvonBat- tenberg schienuns einesKriegesgegen dasMoskowiterreichnicht unwerth.
Aberwar esnicht gerade FürstBismarck— aufdensichdie,Alldeutschen«
undihreHelfcrshelferjetztberufen-—,derdamals demmächtigennationalen Empfindenhinderndin denWegtratund— vomStandpunkt seinervon uns«nicmalsgebilligtenbesonderenpolitischenMoral ausmitRecht—- den
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Deutschen rieth, sich zunächstgefälligstum ihre eigenen Interessenzu kümmern?Wohinaberweist heute unserInteresse?DieBuren mögenso tapfer, soehrlich,unsererSympathie so würdigsein,wiesiewollen:zu bieten haben sieunsnichts. Großbritanniendagegen,dasuns stammverwandte Land derpolitischenErbweisheit,desLiberalismus und desFreihandels, ist unsernatürlicherVerbündeter;esistuns, wie derKaiser oftinzündenden Worten erklärthat, durchmitBlutbesiegelteWaffenbrüderschafttheuerge- worden unddarfuns, wollenwirnichtdasJochrussischerBotmäßigkeit aufuns nehmen,nieentsremdetwerden. Wennuns diesesLandjetzt, inrichtigerErkenntnißbegangenerFehler, dieFreundeshandentgegenstreckt, wärenwirThoren, schmollendundgrollendimWinkel zustehen. Freilich:
währenddie liberalenParteieninDeutschland sichstets gehütethaben,die Kreise unserer DiplomatiezustörenundanderauswärtigenPolitik,deren Getriebederfern Stehende dochnieübersehenkann,unzeitgemäßeKritikzu üben— esgenügt, hierdieNamen Virchow,BambergerundLangerhans zunennen —- glaubendieneuesten patriotischen Schreihälsesichbefugt,die LeitungdesAuswärtigenAmtes vomSchreibtischundder Rednertribüne aus aburtheilenzu können.FüreinsolchesGebahrenfehltuns dieparla- mentarischeBezeichnung. Auchwäreeszwecktos,mitLeuten zudiskutiren, diesogardaskaiserlicheTelegrammanden Kommandanten derRoyalDra- goons zumGegenstandeeinerunehrerbietigenKritik zumachen wagtenund sichnicht entblöde-ten,darineinenWiderspruchmit der bekanntenDepesche andenTransvaalpräsidentenfindenznwollen.Als ob es desKaisers Schuld wäre,daßeinzelneenglischeBlättermitseinerselbstverständlichenKundgebung Mißbrauchgetriebenhaben!Wennnun beimAusbruchdesdeutschfranzö- fischenKriegesderrusfischeZar seinemberlinerAlexanderregimenttelegra- phirthätte,erwünscheihmeineguteundglücklicheHeimkehrausdemFeldzuge:
wäre darin eineParteinahme gesehenundinDeutschland gesagt worden,es sei offenbar, daßdieSympathiedesZarendiedeutschenHeerebegleite?Es isteigentlichnurnöthig,solchenUnsinn niedrigerzuhängen.Nein: wir freuenunsderFestigkeitunsererRegirung,diesichvondenSchreiern nicht insSchlepptaunehmenläßt.DieReise nach England durfte nicht aufge- geben werden; gerade sie bezeichnetklar denvernünftigenStandpunktder deutschenPolitik,denStandpunktstrengsterundaufrichtigsterNeutralität, vondem wirnurzuunserem Schaden abweichenkönnten.«
Manfügt hundertundsünfundzwanzigGramm Zucker,zweihundert Gramm Rosinen,etwasRumundabgeriebeneApfelsine hinzu.
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Windsor-Pudding. 323
»DerKaiser hatmitseiner erhabenenGemahlinund mitseinenbeiden KinderndieReiseüber den Kanalangetreten,vonwoschonjetzteinungemein sympathischesEchozuunsherüberweht.DiemaßgebendePresseEnglandsist des Lobes überWilhelm denZweitenvoll.SeinegroßartigeInitiative auf allen Gebieten desöffentlichenLebens wirdenthusiastischgerühmt,diebekann- testen seinerdenkwürdigenAusspriichewerdendenLeserninsGedächtnißge- rufenundselbstbei denverbissenstenNörglernfindetdiegenialePersönlichkeit desrastlosfür seinesVolkesWohlfahrtundGrößearbeitenden Monarchen AnerkennungWerdenCharakterdesfreienBritenauchnur einigermaßen kennt,weiß,daßihmderTonhöfischerSchmeicheleiganz und garfremd ist.
DerAngelsachsehatmanchen Fehler;abererist aufrichtigundseindemokrati- schesEmpfinden ist echt.Umso höhersind solchespontaneRegungenlands- mannschaftlicherSympathiezubewerthen.Wäre esnachdenWünschen UnsererBrüllpatriotengegangen,dann hättenwirdiesesherzerhebendeSchau- spielnicht erlebt, aufdasder unsfeindlicheTheil Europasmit Neid blickt.
Die großenVaterlandsfreunde, die,wie ein demauswärtigenAmtnahe- stehendesBlattganzrichtig gesagt hat, jetztförmlichinEngländerhaßwaten, find ja nichteinmal mit demSamoavertrage zufrieden,denjeder Deutsche dochals einenTriumph unserer Staatskunstbewundern müßte.Siemei- neninihrer gespreiztenAllwissenheit,dadiebisherigen Mitbesitzer, Eng- länderundAmerikaner, aufSamoa ihrealtenhandelspolitischenRechte belvahrten,alsodenDeutschen gleichgestelltblieben, bestehedie ganze Ver- änderungeigentlichnur darin, daß künftigdasDeutscheReichdieKosten derVerwaltungvonUpoluundSawaii allein zutragenhabenwerde. Die englischeundamerikanischeKonkurrenz werde demnach nichtzurückgedrängt undessei unverantwortlich, daßin derersten amtlichen Publikationdes Vertrageseineso wichtigeBestimmung verschwiegenunddieöffentliche Meinunggetäuschtwordensei.MitsolchenlächerlichenQuisquilien sucht man dasMeisterstückdesGrasenBiilow herabzusetzen!Esisteiner- heiternder Anblick,dieSorge unserer Agrarier fürdendeutschenKaufmann zUsehen,demsiedaheim sogardaslegitime Lieferungsgeschäftunmöglich zumachen verstanden haben. Wir werden uns durchsolchenKlein- kramdieFreudean Deutschlands diplomatischen Sieg nichtvergällen lassen.Das gerade sinddiebesten Geschäfte,mit denenbeide Kon- tkahenten zufrieden sind,undwirhabenmitehrlicher Genugthuungge- hört,wiefrohderbritischeCommon sense denSamoavertrag begrüßt hat«MögendieEngländerundAmerikaner aufSamoa rechtvielGeld
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verdienen: dieAnhängerderwirthschaftlichenFreiheitwerdensichernichts dagegen haben.BaldwerdendieHasenkanonenvonPortsmouthdasstolze Kaiserschiffbegrüßen,baldwird auchdasmoderne Panzerschisf,dasden unvergeßlichenNamen unseresKaisers Friedrich trägtundeinDeplace- mentvon 11 180 Tonnen hat,diebritische Flaggehissenundaus seinen vierundzwanzigSchnellfeuergeschützenden Salut erwidern,baldwirdder ruhmreicheEnkelindenArmen derachtzigjährigenGroßmutter, dieses Musterseinerstreng konstitutionellenHerrscherin,ruhen.DieWeihe echt germanischenFamilienlebenswird über derfeierlichenStundeschweben.Aber auchdiePolitikwirdnichtzukurzkommen. DieEngländerhängen trotz- demoderweilsiesich demokratischerEinrichtungen erfreuen,mitinniger ZärtlichkeitanihremHerrscherhause Dieses Gefühlkam inrührendster Weise erst neulichwieder zumAusdruck,alsaufdemsüdafrikanischenKriegs- schauplatzezurFeierdesGeburtstagesdesPrinzenvon Wales einund- zwanzig Lydditbomben verschoffen"wurden. Auchin dasHaus dieseser- lauchten Fürstensohnes,desVorbildes allerimwahren,liberalen Sinn adeligen Tugenden,wirdunserKaiseralsGasteinkehren.Undwie die Fürsten, sowerdensichgleichsamsymbolischzweiVölkerumarmen, die, nach einerPeriode bedauerlicher Mißverständnisse,entschlossensind, fortange- meinsamdenWeltfriedenzuwahren.WirwissenunsvonJllusionenund sentimentalenAnwandlungen frei;aberwirmeinen,eshießedennun beginnenden Vorgangabsichtlichund boshaft verkleinern,wenn man indieserfürdenWelthandel so bedeutsamenStunde nichts Besseres zuthun hätte,alsandenBurenkriegundaneinzelne unliebsame Episoden zuerinnern,in denen derenglischeHandelsgeistsichuns nichtebenvonder freundlichstenSeitegezeigthat. Diese Zeit istvorbei.DerDelagoa-Vertrag, dasSamoa- Ablommen und derKaiserbesuch: diesedreiEreignisse sind Marksteine aufdemSiegesweg deutscherMachtundGröße. Deutschlands Seeleist,wieimmer, auchdiesmal mitDeutschlands Kaisernndwünscht ihm MeeresstilleundglücklicheFahrt.«
Das Gelbe vonfünfEiern nndeinganzesEiwerden hinzuge- than, fernerdasWeißevonzwei Eiern,dasvorherzuSchneege- schlagen wordenist.Dann fülltman dieMasseineineglatte Form undläßt sieimkochendenWasserbadgarwerden. DerZusatzvonMa- deira,wieerbeiderWindsorsuppe gebräuchlichist, empfiehlt sichin diesemFalle nicht.
»Die ehrwürdigenRäumevonWindsorCastle habendasKaiserpaar
Windsor-Pudding. 325 nebstdenlieblichenKindernaufgenommen.Hier,woWilhelmderEroberer sogernweilte,woElisabethundnachihrdieedelstenStuartsihreSommer- residenzhatten,wirdnuneinfriedlicherEroberer,derwieWindsorsWieder- erbauerheißt,neue Siege erringen.DesKaisersKunstsinnwird in den ihmalsHeimangewiesenenVanDyck-undRubens-Zimmern reichliche Nahrungfinden.Seine PietätwirdsichandemStandbilde desKönigs Georg,einesseinerAhnen,erfreuenundimMausoleumdesPrinszemahls AlbertdenMarieneinesdeutschenFürsten huldigen,dendie Briteninherz- licherLiebedenJhrennannten. Schon dieseAndeutungen zeigengenugsam, daßauch wir,wie dieamtlichen Stellen,demBesuchdenCharaktereines reinfamiliärenAkteswahrenwollen.Darauf weist auch schondie ganze Art derReisehin.DerKaiserwillseiner GroßmuttereinProdukt deutscher Schiffsbaukunst vorführenundim Lande der in allen maritimen Dingen anderSpitzemarschirenden EngländerdenRuhm unsererWerftenver- künden:deshalb begleitet ihndasPanzerschiff ,Kaiser FriedrichIlI.·
Wollte Gott unddieReichstagsmehrheit,wirwären erst so weit, daß einemächtigeSchlachtflottedemMonarchenbeiseinenFamilienbesuchen folgenkönnte!DieNeunmalweiseu habenzwargesagt,mitdemCha- raktereinesfamiliärenBesuches seidieAnwesenheitdesStaatssekretärs GrafenBiilow nichtzuvereinen;um seine Großmutterzu umarmen, brauchederKaiser dochnichtdenLeiterdesAuswärtigenAmtes als Zeugenmitzunehmen.Eseriibrigt sich, auf diesesGerede desNäheren einzugehen.Gewißhaben auchwirkürzlichausgeführt,schondieAnwesen- heitdesGrafenMurawiew drücke demZarenbesuchdenStempeleines politischenEreignisses auf.Diesmal aberliegendieDingeanders. Nicht zu verkennenistdochdieAbsichteinzelnerenglischenKreise,denKaiserbesuch politischauszunützen,ihnalseinZeichenderParteinahmeimsüdafrikani- schenKriegzuverwerthenundEuropa glaubenzumachen,eshandle sichgewissermaßenum einenBesuch,denein VolkinschwererStunde dem anderen abstatte. Wir habengegenderartige Entftellungeneines ganzprivaten VorgangesvonAnfanganmitallerEntschiedenheitFront gemacht.Ebendeshalb freuenwir uns,daßdererfahreneLeiterunserer auswärtigenPolitikmit demMonarcheninWindsorweilt. Er wirdseinen Samoatriumphdort invollenZügen genießen,aberauch verhindern können,daßunpassendeZumuthungen irgend welcherArtanWilhelmden Zweiten herantreten. Wohlwirdersowenigwie derKaiserselbstdieGele- genheit versäumen,Tnit denenglischenStaatsmannern, denSalisburh,
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BalsourundChamberlain, Zwiesprachezuhalten;unddieThatsache, daß auchderbritischeBotschafterSirFkankLascellesaus-Berlin indieHeimath geeilt ist, bürgt schonalleindafür, daßpolitischeUnterhandlungen nichtans- geschlossenseinwerden« SolangeaberFürstHohenlohe,denAgrariernUnd anderen HetzernzumLeidwesen,dieGeschäftedesReiches leitet,brau- chenwirwahrlichnichtzu fürchten,unserePolitikkönnejeanderenalsdeut- schenInteressen nachstreben.GiebteszwischenDeutschlandundGroßbri- tannien dennausderWeltkeinen anderen Berathungsgegenstandals den Transvaalkkieg, der, so weitnicht ernste GeldrücksichteninFrage kommen, fürunsnichtdieKnocheneinespommetschenGrenadiers werth ist?Und seitwanngiltesdennals dasZeicheneinerParteinahme,wenneinMonarch demanderen,unter AufbietungdesüblichenHosprunkes,inKriegszeiten einenBesuch abstattetP Deutschland hat seineNeutralität bereitsbewie- sen,alsdenOffizierenderArmeedieTheilnahmeam Burenkriegver- botenwurde; diesesVerbotgalt fürbeidekämpfendenTheile,dennsicher- lichwaren auchvieledeutscheOsfizierebereit, imLager derWhiteundBuller zufechten.Einneuer Beweis dieserehrlichenNeutralität istderfamiliäre BesuchdesKaisersbeiseiner greisen Großmutter,demnurdiekleinliche Bosheitund VerdrehungskunstderTeutschestenallerTeutschendenStempel einespolitischenEreignissesaufzuprägenvermag. DemruhigenBeobachter genügt schonderUmstand, daßder, wieJeder hinlänglichweiß,inwichtigen FragenunbeugsameWille desReichskanzlersdemReiseplankeinen Wider- stand entgegengesetzthat,umallesonstetwamöglichenBesorgnissezuver- scheuchen.Eshandelt sichebenum einen AktsamiliärerPietät,denwir freudig begrüßen,weilergeeigneterscheint, unsere Weltmachtzumehren undgeradejetztimZeichendesFlottenkampses,demWeltfriedenneue,feste Stützenzuschaffen.«
Notizblatter einesBühnenleiters. 827
Notizblättereines Bühnenleiter5.
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findeesselbstverständlich,daß sich jedesTheatekpudcikumausLeuten zusammensetzt,die einUrtheil besitzen,undausAnderen,die keinshaben.Bedauernswerthistesnur, daßdieAnderen sooftdie Kritikenschreiben.
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Wenn eine alteKunstimSterben liegt, so sammeln sichalle litera- rischenErbschleicherum ihr Totenlager.
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ZuallenZeiten hatdasTheater sichtbareramLebenabgefärbt,als dasLebenjemalsam«Theater abfärbenwird.
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DiegutenKollegen verzeihenuns vielleichter zehn großeMißerfolge alseinenkleinenErfolg.
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Wenn einKritiker sicheinesTageszumMißbrauchderAmtsgewalt entschließt,soschreibterTheaterstücke.
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JedeHauptstadt hatnebeneinemTheaterderLebendenaucheinTheater der Ueberlebten.·. Eswirdgewöhnlichvom Hof subventioniit.
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Seltsam, daßdieZeitungen·immerdentoten Bühnendichternsoviel herzliche-sLobspenden——:sie hättendoch auchvon denlebendigenkeine Be- richtigungzubefürchten!
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Die StückevonHerntann Bahr mußman unbedingteinmalgesehen haben,—— schon,damitman siesichnichteinzweitesMal anzusehenbraucht.
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DiepatriotischenBühnenwerkewerdenvonunserenKritikern mitdem nämlichenHintergedanken gelobtwieMichaelBeer von Heinrich Heine:
»DiesenDichterkannman ruhigloben— esglaubt ja dochKeiner!«
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Esgiebt Poeten,denendieMuse schonbeiihrerGeburt denrothen Adlerorden vierterKlasseindieWiege gelegt hat.
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Mancher unglücklicheAutor beklagt sich,daßervon derBühne nicht leben kann. Aberervergißt,daßdieBühne auchvon ihm nichtleben könnte.
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Es schadeteinemStückenichts, daßesdieZuhörer langweilt,—
328 DieZukunft.
wenn sienur am anderen TagindenZeitungen lesen,wieausgezeichnet sie sich unterhalten haben. .
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Welche BühnenstückegewöhnlichMachwerkegenannt werden?... Die Werke,die vielmachen.
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EinAbend,dersichaus lauter Einakternzusammensetzt,kommtmir undVielensovorwie eineEisenbahnfahrt,bei derman nachjeder halben Stunde umsteigenmuß.
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SchadenkanneinemTheater jeder Kritiker;nützennur derjenige,der imRecht ist.
Bisweilen wurdeuns einStückversprochen,dasdenAbendfüllen sollte,— undeshat gleichwohldenAbendleergelassen.
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AuchderVorrathanfremdenMelodien nimmtschließlicheinEnde undso giebtesbereitsKomponisten,diesich"aus- abgeschriebenhaben.
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Die französischenSchwankdichtererreichenihre Erfolge fastimmer durchdiesaubere BehandlungdesUnsauberen.
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WenndasAufrichtenvon Marterln auch auf literarischenUnglücks- stättenüblichwäre,so müßte aufdemGrabemanches Theaterstückeseine Tafelkünden:»Hier isteinguterGedankeverunglückt.«
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Esgiebt zweifellosmancheTheater,dieaucheingutesStückablehnen,
— aberesgiebt auch manchesguteStück,dasdieTheater ablehnt,weil esmitleidigemTrotzan allemBühnenmöglichenvorübergeht
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JchkennemanchenBühnenleitervonAnsehenundErfolg, dessenper- sönlicheThätigkeitsichimmernur darauf beschränkthat,dienothwendigsten Ausgabenzuverweigern.
Wirhaben auchDramatiker derBerdrießlichkeit,dievonihren Hörern nur beseufztwerdenwollen undnacheinemdurchschlagendenAch-Erfolgstreben.
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DerenglischePhilosoph Hobbes hatdenAusspruch gethan: »Das Lachen istein arges GebrestedermenschlichenNatur,dasjederdenkende Menschzu überwindenbestrebtseinwird.«...Das scheintderWahlspruch
NotizblattereinesBiihnenleiters. 329 dermürrischenHerrenzu sein, die inDeutschlandüberlustigeBühnenstücke berichten.
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WiesparsameGastgeberuns diejungen FrüchteerstalsPrimeurs vorsetzen,wenn sieschoninjeder Markthalle seil gebotenwerden,sobringt uns auch mancher Bühnenschriststellerdieneuen Stoffe erstdann,wenn sie längstbillige Gemeinplätzegeworden sind.
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Esgiebt auchallzumilde Kritiker, die imGegensatzezu demfranzö- sischenWeisheitwortAllesverzeihen,weilsie nichts verstehen.
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Bearbeiter nennen sich oftdiemerkwürdigenLeute, die gern amMiß- erfolgeinesAnderen theilnehmenwollen-
DasSchlagwort»modern«scheint sichausschließlichanjenes Gigerl- Publikumzu wenden, dasauch GeschmackundUrtheilnur nachdemneuesten Schnittmusterformt.
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Jch habemanchesStücknur deshalbabgelehnt,weilman vonseinen MitmenschenniedasSchlechtesteannehmen soll.
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WerausdemLobkeineFreudeundaus demTadelkeineLehre mehr schöpfenkann,soll seineFederzerbrechen.
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Bosisio.
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größteuagtitchdasJtatiea treffe-ikamt,istdieallmählichein- tretendeVerwischungund dievorauszusehendegänzlicheZerstörung derregionalen UnterschiedezwischendeneinzelnenLandestheilen. JmMittel- alterlagdieKraftdesLandes in denselbständigenStadtrepublikenmit hOchentwickeltem Bürgersinn;dielandsmannschastlicheundmundartlicheZu- fammengehörigkeitin denProvinzenmitihren großenCentren hat·sich imWesentlichenbisaufdieneuesteZeitbehauptet, fängtaberjetztan,dem Allesgleich machendenundverslachendenZugederZeitzuweichen,derdie gelchäftigenund Geschäftemachenden Parlamentarier aus allenWinkeln Italiens nachRom treibt,sieaus dergewohnten heimathlichenVerbindung reißtunddervaterstädtischen,fürdenStaat ebenso nützlichenwienur in kleinnachbarlichenVerhältnissenmöglichenKontrole entzieht.Oskar Blumenthal.
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Vorderstaatlichen EinigungItaliens war naturgemäßdiepäpstliche Kurie derMittelpunkt,demdieverhältnißmäßigkleineZahlderEhrgeizigen zueilte,diederEnge provinziellenLebensentfliehenwollten ; aber obsie
nun lediglichnach MachtundEinfluß strebtenoder die imInnersten sovieler JtalienerschlummerndeHerzensneigungfür Geldgeschäftebefriedigenwollten,
—- siekonntenihrStreben nur ingeistlichemGewandebefriedigen. Nichts fälltDem, derMailand undmailänder Leben kennt, imVerhältnißzu der Namengebunggroßer deutschenStädte mehr aufals dieHäufigkeitvon Namen,die mailänder FamilienundOrtsnamen inderBrianzaunddem sonstigenHinterlandederwahren Hauptstadt Italiens gemeinsamsind.Namen wieBecker, Meier,Müller, Krüger bezeichnendieursprünglicheBeschäfti- gungderzugewanderten, ursprünglichländlichenBevölkerung:Belgiojoso, Belinzago,Eantti undPårego— um nur diesezunennen-sind zugleich Namenvon mailänderFamilienundvonOrtschaftenimmailänderGebiet;
so ist auch Bofifio zugleichderName einesDorfesan demreizendenSee von PusianoinderBrianzaundder einesFranziskanermönches,derim Jahre1742 inEomo, derStadt derKirchenundKlöster, geborenund schonim sechzehntenLebensjahrin denOrden eingetretenwar. Durch natürlicheBegabungund praktische Geschicklichkeiterwarb ersich so großes Ansehen, daß ihnderOrdensgeneralindasFranziskanerklosteraufAra- eeli inRom berief.Der Ordensregel gemäß,benutzteeraufseinerReise wedereinenWagen nocheinPferd,fühlte sichaber,fastschonimAnblick derPeterskirche, zuletzt soermüdet,daßerdasAnerbieteneinesebenfalls die ViaFlaminiaentlang ziehendenMüllers annahmund sich aufeinen von des Müllers Eseln setzte. KurzvorderPorta delPopolokamihm diegoldstrotzendeKarrosfeentgegen, in der der KardinalCorsini seineNach- mittagsspazirfahrt machte. »Der Heilige FranziskusrittaufkeinemEsel«, rief ihmder Kardinal zu. »UndderHeiligePetrus fuhrinkeinemWagen«, erwiderte derMönchderEminenz.DerKardinal war viel zuklug,umdie Antwort übelzunehmen,erzähltesievielmehrdemPapst;undPiusVl, der Männer von dergeschäftlichenBegabung Bosisiosbeiseinengewagtenfinan- ziellen Unternehmungen sehr wohl brauchenkonnte, zog denFranziskanerin seinenDienst.
AlleEigenschaften,dieman analternden Priestern beobachtethat, zeigtederregirende PapstimhöchstenGrade. Alser,der imJahre1717 inEesenaalsSohndesGrafenMarco AurelioBraschi geborenwar, zum Papst erwähltwurde,nahmeram fünftenNovember1775vom Palastdes Lateran ineinerWeise Besitz,dieallein schondieunersättlicheEitelkeit deutlichzeigte,diedannspäter seineganzeRegirung charakterisirthat: statt, derSitte gemäß,zureiten,ließersichineinemprachtvollgeschmücktenund
Bosisio. 331 von vierSchimmelngezogenenWagenwie einTriumphatorindenPalast fahren. DiePriesterlichkeit hatansich schonetwas Weibischesunddieser MangelanMännlichkeit äußert sichebensoinweibischerEitelkeitwie in denUmarmungenundKüssen,die zumBeispiel PiusIX.seiner nächstenUm- gebung— geistlichersowohlwieweltlicher— freigebigzuspenden pflegte.
Jedes Alter hat seineeigenen LeidenschaftenundSelbsttäuschungen.Je früherderMann zumGreisewird,destoeifriger beginnter,anAufgaben zuarbeiten, derenVollendungerniemals erlebenkann. JneinfachenVer- hältnissenpflanzterBäume,in derenSchatten erstdiespäterenEnkelsitzen können,auf PetriStuhleunternimmt er ungeheureBauten, derenVoll- endunger—- wenn sie überhauptmöglichist— selbstniemals fördernkann.
WievielePäpste habenamBau derPeterskirchenur geplant, geschaffen undverschwendet,umihremNachfolgerAenderungenimBauplanunddie Möglichkeiteineskleines Fortschritteszuhinterlassen!
Fasteben sostark äußertsichindenPäpstendieLeidenschaft,durchdie GründungeinerFamiliefortzuleben,undgeradeumso stärker,jeweitersie von« derMöglichkeitentfernt sind, ihrBlut zugleichmitihremNamenzu vererben. PiusVl.ließdieSöhne seiner SchwesterGiuliaund desGrafen Girolamo Onestiaus Cesena nachRom kommen,gab ihnen Wappenund FamiliennamenderBraschi,bauteihnendenschönen,noch heute stehenden PalastanderPiazzaNavonaund suchte für sieeingroßes Familiengut zusammenzubringen.Der ersteindieserRichtungunternommene Versuch freilich schlug fehl.Don Amanzio Lepri hinterließunter Enterbungder eigenen FamiliedemPapstein mehrereMillionen betragendesVermögen.
Aberdie Leibeserben prozessirtenund dieganzeSachewar so ftandalös, daß sichderPapst aufeinenVergleicheinlassen mußte:das fürdieNe- potenfamilie erhoffte Erbglückzeigte sichalszugeringundderPapst mußte seinenSinn aufandere Plänelenken. ZumGlückfürdieBraschi gaben erstensderPapstundseine Rathgeber mehr auf Plinius alsauf Taeitus;
undzweitenslebte derBegründerderkritischenmodernenGeschichtforschung, BartholdGeorg Niebuhr, noch nicht: sonstwärenschwerlichdieungeheuren Summen verschwendetworden,dieder Papst aufeinUnternehmenver- wandte, dasseinerNatur nachniemals auchnur biszu einemerheblichen Grade oder gar ganzgelingenkann. Ja,jene gigantischeVergeudung hatte eineerheblichepolitischeBedeutung: siebereitetedieAnschauungenvor, die schließlichdazu führten,daspäpstlicheRegimentfür unmöglichzu erklären, und diefrüherzupraktischerHerrschaft gekommenwären,wenn nichtderWahn- finn napoleonifcherHerrschgiereineeuropäischeReaktion hervorgeruer hätte, dieauchdieschlechtestenElementeälterenpolitischenLebens,soweitesüber- hauptmöglichwar, wiederherzustellenunternahm.