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Die Zukunft, 4. November, Bd. 29.

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Academic year: 2022

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Berlin, den 4. November 1899.

h sjv f f

zwei Depeschen

MutdrittenJanuar 1896 sandtederDeutscheKaiser WilhelmderZweite anHerrn Paul Krüger,denPräsidentenderSüdafrikanischenRepublik, einTelegramm, dessenInhaltlautete:

»Ich sprecheJhnenmeinenaufrichtigstenGlückwunschaus, daßesIhnen, ohneandieHilfe befreundeter Mächtezuappelliren,mitIhremVolkegelun- genist,ineigenerThatkraft gegenüberdenbewaffneten Schaaren, welcheals FriedensstörerinJhrLandeingebrochensind,denFrieden wiederherzustellen unddieUnabhängigkeitdesLandes gegenAngrifsevonaußenzuwahren.«

Damals warin dasTransvaalgebieteinebritischeMinderheiteingebrochen, der die Burensichleichterwehrenkonnten.DasTelegrammweckteinDeutsch- land lautenJubel. Auchin der»Zukunft«wurdees, alserfreulichesSymptom eines in derhöchstenRegion eingetretenenStimmungwechsels,froh begrüßt;die BlüthezeitderAnglomanie,dieandieschlimmenTage FriedrichWilhelmsdes Vierten erinnerthatte,schienfürimmerverreist. Schondamalsaber wurdehier gesagt:»EinesolcheKundgebunglegtdieReichspolitikfestundverpflichtetdas ganzeVolk,injedemFalledieFolgen auf sichzunehmen. HättedieseKundge- bung nichtdieselbe gute Wirkung gehabt,wenn dasTelegrammvomKanzler cIbgefchiclktwordenwäre, derpolitischeEntschlüssezu verantworten hatundim ReichderkaiserlicheMinister ist?Dannkönnteman esohneängstlicheRücksicht kritisiren,dannträfendieVorwürfeundSchmähungenderBritennurdenKanz- ler und demDeutschenbliebe derwidrigeAnblickerspart, daßdieGestaltdes Kaifers,dernach außendieVolkheitzurepräsentirenhat, jetztvondenunan-

ständigstenVermuthungenumsponnenwird.«

DieunanständigstenVermuthungennichtnur, nein: diesrechstenSchimpf:

reden wagtensichinEnglanddamalsandieGestaltdesDeutschenKaisers.Der Enkel derwürdigenDame, dievond’JsraelisGnaden denTitelderKaiserin VVUIndienträgt,wurdeinMeetingsundRauchtheaterngröblichverhöhntund

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seinBildwurdeausdenOffizierkasinosbeseitigt. JohnBullverstandmitsei-

nem bewundernswerthenpolitischenInstinktdieBedeutungdesKaisertelegram- mes, in demklippundklargesagtwar: Deutschlandbetrachtetsichals eine der SüdafrikanischenRepublik befreundeteMachtundwärebereit, dieUnabhängig- keit des Transvaals gegenAngriffevonaußenzuwahren.Daswareine min- destensmoralischeVerpflichtungAlseinesolcheempfandenesauchdieschlauen Buren: sie glaubten, aufdesDeutschenReichesHilfe rechnenzudürfen,und ihr Stolz erstarkteso sehr, daß sieschließlichvoreinemblutigenEntscheidungs- kampfmitEngland nichtmehr zurückschraken.

DerKrieg,zu demesnachmenschlichemErmessenohnedenEingriffdes DeutschenKaisersniegekommenwäre,istentbrannt. Jm Vergleichmit den Mitteln,die inEngland zurJnszenirung diesesMinenkriegesangewandtwurden, erscheintdieThat JamesonswieeinesleckenloseHeldenleistung.DasDeutsche Reich, sowirdamtlichverkündet,hält sichneutral. Dasheißt:essiehtgelassen zu, wie die BritenimafrikanischenSüden dieletztenRestederWiderstandsfähig- keitausroden,undhindert durchdieseHaltung auchalleübrigenGroßmächtean einerwirksamenAktion gegenEngland.Jn Berlinwird mit denHerrenRhodes undBeit, denUrheberndesRaubzuges,bei demJameson seinLebeneinsetzte, freundschaftlicheZwiesprachegepflogen.DerDeutscheKaiser rüstetsichzu einer Reise nachEngland,die indiesemAugenblicknur als eineAbsageandieBuren undalseineUnterstützungderbritischenPolitik aufgefaßtwerdenkann, under

hataneinemderletztenOktobertagedemObersteneinesenglischenDragoner- regimentes,dassichzumKampfgegenKrügersLeuteeinschiffte,einTelegramm geschickt,dessenJnhaltlautete:

»EntbietenSie demRegimentmeinen AbschiedsgrußlMögen Sie Allegesundundfroh heimkehrenl«

DasByzantinerbemühen,diesesTelegrammderpolitischenBedeutung zu entkleiden, verdientkaum einverächtlichesLächeln.Wenn dieRoyal Dragoons gesundundfrohheimkehrensollen,dannmüssensievorherdie Burenundderen deutschesEorpsgeschlagenhaben.DasTelegrammdesKaisers isteinunzwei- deutigesZeichenoffener Parteinahme für England, isteinGlückwunsch,der ge- wißnicht wenigeraufrichtiggemeintistals derfrüheranHerrn Krügergerichtete- DerKaiser ist Herr seinerEntschlüsseund kann,so oftesihm beliebt, seineAn- sichtenändern. Sind wirimDeutschen Reichaberwirklich schonsoweit gekommen, daßderKanzler,der,ermagwollenodernicht, für politische KundgebungendesMonarchendieVerantwortung trägt, nach solchenVor- gängen nochwagendarf,mitangeblichimJnteressedesdeutschenAnsehens nöthigenForderungenvordenReichstagzu treten?

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EinBriefanTreitschke 187

Ein Brief an Treitschke-H

Leipzig,amzwölftenDezember1864.

LieberFreund!

Wennuns Jemandrecht großeFreude gemachthat, pflegteswohlzu geschehen,daßwir denDank inFesttagsstimmunglangeinunsherum- tragen, eheeralsBergstrom herausbricht. Diesen BriefbitteichSieals langezurückgestauteStrömungzubetrachten. Leichtsinnigwollteichnicht denken, sondern mich erstinFrieden Jhres Buches freuen; diese Freudewurdemir nochdadurchin dieLängegezogen,daßmirHirzel,derWollende dem Wollenden, Jhr Buchwiederwegnahm,weilihmwegenheftigerForderungendieExem- plare so knapp gewordenwaren, daßerauf einigeTage entblößtwar. Jetzt habe ichwiedereinmaldenvollenEindruckJhres Wesens gehabt,dasaus Stil, Behandlung,GedankengeradeausIhrenArbeitensostark herausbricht, daßman sich fast noch mehrüber den Autorfreutalsüber das Gute,welches manvonihmlernt,Dasaberists,waseinBuch tüchtigundwirksammacht.

DieKritik,welcheich,alterJournalist,andemBuch fürzweckmäßig halte, sollenSiein den Grüne-nlesen; ich verschoneSiehier damit-W) Daß derAufsatzüber denEinheitstaatRumoren machenwird, davonbinich auch überzeugt.Eswar abereine guteThat, ihnzuschreibenunddiesen Halbem unddennochzahlreicherenStaatlosen TrotzindieZähnezuschleudern.Ob sichunsere ZukunftinWahrheit so gestaltenwird? Jchwürdenichtzweifel- haft sein,wenn ich Preußeninder-Lage sähe,eineAbsorptionkraftzuent- wickeln,diemitstarker Zersetzungunter dem kleinenVolkaufräumt.Aber unserUnglückist, daß dieser ostdeutscheKolonistenstaatnochimmersehr stark indenaltenAgrikulturtraditionen steckt.Undich fürchte,aucheineneue,

verständigeRegirungwirdnur langsamdie innernHemmnissebeseitigen.Für dasgrößte halte ich, daß Preußen auf seinemBoden nichtdieKräfte erzeugt, welcheihmdiegeistigeFührerschaftinDeutschland sichern.Esmußimmer importirenUnd Siez. B. werdeneinhalbes MenschenalterinBerlinlehren müssen,eheSieuns wiedereinGeschlechterzogenhaben,das einenkräftigen Jdealismus hat.DiejetzigeJugenddortist übel gezogen;esfehltdas Feuer in Liebe undHaß.Wenn man nichtAlterFritz ist,kannman nicht große PolitikmitkleinenLeutenmachen.DernächsteKönigwirdlavirenmüssen,

etfindetkeinestarken Parteien,vielzähenUnsinn,vielVerbitterung.Da

« It)Ausdem amdreizehntenNovember beiS.HirzelinLeipziger- scheinenden Buch,,GustavFreytagundHeinrichvonTreitschkeimBriefwechsel«.

W)Gemeintsinddie,,Grenzboten«,woFreytagdieAufsätzeTreitschkesanzeigte.

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schienmirdieholsteinischeFragealseinguterAnfang,um zuzeigen,wie man diedeutschenDynastienundStaaten ansichfesselnkönne. DenHerrschern KooptationindiepreußischeFamilie, wie mitdensüddeutschenHohenzollern derAnfang gemacht.DenVölkerngemeinsamesHeerwesen,Marine, nationale Vertretungbeim Auslandr.

FürdieallmählichePrussisizirungDeutschlands auf diesemWege giebt esein kleines,geräuschlosesMittel,welchesaberunwiderstehlichwirken wird.

EsisteinGesetzüber dieStaatsangehörigkeit,dessenleitendeGrundsätzewären:

1.derCharaktereinesPreußen istindelebjlis. Auchwer sichimAusland ansiedelt, bleibt mitschlafendenPflichtenundRechten Preuße,eben soseine Kinder undNachkommen,wenn sie sicham Ortihres Ursprunges eintragen lassen.DiesemGesetzverdankt dieSchweizdenPatriotismus unddieHin- gabe ihrer Auswärtigen.2.JederDeutsche, unbescholten,ernährungfähig, wirddurch einfache Anmeldungund EinzeichnungPreußemitschlafenden PflichtenundzumTheil Rechten,ermagwohnen,woerwill,erhat jeder- zeitdasRecht,sichalsPreußenzugeriren, SchutzPreußensunddiePatronage seinerInteressen, welchedenimLande wohnendenAngehörigenwird. Ein Gesetz auf solchen Grundzügenwürdeinzehn Jahrenüberalleinestarke, thätigepreußischePartei schaffen,eswürde dieRegirungenzu Todequälenund in einerWeise isoliren, dieihreExistenzinWahrheitvonPreußenabhängigmacht.

Dann wäreZeit, zusammenzuziehen.ObdannBundesstaat,obnoch schärferangezogenesBand, DaswürdevonderZeitlage abhängen.Jn jedem FallewäredannderBundesftaatnur einsanfterUebergang. Jch hoffe,daßauf diesemWege sichdieEinheitvollziehenwird, aberichmeine, wirkommen über dasStadium einesBundesstaates nichthinweg. DaßSie dieUngeheuerlichkeiten diesesprekärenZustandesinJhrer schönenAbhandlung soscharfgezeichnethaben, soll IhnenvondenDeutschennievergessenwerden-

SiehabenmirdieEhre erwiesen,meinenNamenaufdasBuchzusetzen.

Jchbinrechtstolzdarauf. Auch auf Jhre Freundschaft,lieberTreitschke.Und ichhoffe,dasstilleBündniß,daswirohneviele Wortegeschlossen,solldauern.

Denngerademit demTheil unseresLebenswachsenwir alstreueArbeiterzu- sammen,den wirselbstfürdenbestenhalten müssen.Alsichhierherkamundam rundenTischesaß,war mirdieErinnerunganSie recht wehmüthig.Esist derersteWinter, denich seit Jhrer Abreise hier zubringe,es warderletzteJhres Aufenthaltes hier,in demichSiesolieb gewann,daßmirdasRechtwurde, Sieschmerzlichzuentbehren.GernmöchteichIhnen zurufen: AusWiedersehen oftundüberall,aberendlichinBerlin. DaßSiedorthin gehören,istmirnie zweifelhaftgewesenundichhoffe,man wirdjetztda,woesdaraufankommt, die selbeUeberzeugunghegen.Obichaber in BerlinamPlatz seinwerde,iftmir sehrzweifelhaft.

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EinBriefanTreitschke. 189

EswirdJhnenliebsein,zuhören,daßderKronprinz sichinSchles- wig sehrbravgehalten.SeinemDrängenbeimKönigverdanken wir, allein den Sturm vonDüppelunddenEntschluß,darüberhinauszugehen.Die militärischeUnbrauchbarkeitdesPrinzen FriedrichKarlistdemGeneralstab unddemKönig unzweifelhaftgeworden,Siekönnensichdie.........

Berschrobenheitnichtarggenugdenken. Alles,wasSie etwavom Gegen- theilgehört,ist KomoediantenwirthschastundLüge.Denwärenwirfür· die Zukunft wohl so ziemlichlos· JnPreußen siehts jetzt schlechtaus. Der König,der bisjetztan demAugustenburger hielt, fängtan, wankendzu werden, unddieschwankendeundrabulistischePolitikkleinerMittel istin Berlinwie inKielzubeklagen.Könnten diePreußendasLand mit Willen derBewohner, ohneandereOpferanEhreundLand,behaupten, sowäre Dasjaeineso schöneLösung,daß wir übersolchemGlück Vielesvergessen dürften;leiderstehtesgarnicht so.

DaichinpolitischenKlatsch gekommen,willich dochnochdasUrtheil überNapoleon zuschreiben,dasKönig LeopoldausVichy gebracht:Er wird unschädlich,erführtkeinengroßenKrieg mehr,erhatbeiSolferino erfahren, daßerkeinGeneral istunddaß seineNerveneineCampagne nichtaus- halten;erhat jetzt großeSorgeum WeibundKindundfürchtetmehrals Alles einenglücklichenGeneral,deranderSpitzeeinerstegreichenArmee inParis einzieht;erwirdnichts mehramRhein unternehmen,erwirdjedem europäischenKrieggeschicktausdemWege gehen, ihn,woerkann,verhin- dern,erwirdnur kleinemilitärischePlaisirs arrangiren,weitentlegen,zur BefriedigungderArmee. Mir scheintDas nicht übelgeurtheilt, obgleich KönigLeopoldselbstbewiesenhat, daßman einem altenKaternichttrauen darf.

Die,,Grenzboten«machenmirKummer. WissenSie einen Redakteur?

500Thaler fürdieredaktionelle Arbeit,für jedenArtikelunserHonorarzesist für einenthätigenMann eineStelle von 1200 Thalern, so daß sie ihm noch MussezugrößererArbeitläßt.MeineBemühungen,stattdesausgerissenen BuschV) einenfesterenErsatzzufinden,waren vergeblich;unddieZeit drängt.

Jordanhatmitritterlicher HingabedasGeschäftbisjetzt geführt.

SieschreibenmirwegenJhresArtikels Jch habe Jordan sogleich davon inKenntniß gesetzt,alsich nach Leipzigkam.Er hatteübernommen, Ihnen gleichzuschreiben,wasselbstverständlichist. Jch fügenurnochhinzu,

s·)Buschwar EndeJanuar 1864 vonFreytagselbst aufvierWochen NachHolstein gesandt worden,umdurchSchilderungenvondortherinden»Grenz- boten« für die SachederHerzogthürnerzuwirken. Er tratjedochinKielaus eigenemEntschlußindieDienstedesErbprinzenvonAugustenburgundver- ließ seinenRedakteurposten.

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190 DieZukunft.

daß ich michvonHerzenfreue,wenn Sie wiedermitunseremwackerenHaym inVerbindungsind.So istesrechtundinderOrdnung.

UeberEtwas, dieEmpfindungenIhresliebenVaters, vermagich Ihnennur zusagen, daß ichmitdemGedankenanihn jede Zeile ihrer Kraftstellen gelesenhabe. Wüßte ich doch einMittelodereineGelegenheit, wieman demritterlichenMann irgendein Liebeserweisenkönnte, dasihm wohlthäteundihmdenGedankennahe legte, daß aucherUrsache hat, aus denFreiburger stolzzusein.Was etwaaus unserem Lagerversuchtwerden könnte, Das würdeihn doch leicht mehr verletzenalserfreuen. Wissen sie Etwas, ichwäreIhnen dankbar,wenn Sie mirsschrieben.

MeinenRomanIhnenzusenden,habe ichin meinerEinsamkeit Hirzeln überlassenmüssen.DerdritteTheil.ist nichtganzso harmlos,alsergern seinmöchte. Unsere Fürstenwerden sich doch nichtetwa getroffen fühlen?

DieMehrzahl istganzanders,diekriegendieEaesarenkrankheitnicht so, daß sie zumAusbruch käme,esistzuwenig vorhanden,was verwüstetwerden könnte.DieSchwierigkeitderArbeit lag wohldarin,daßdieGrundlage derErzählungnur einkleinerNovellenstofswar-

WasSiejetzt beschäftigenwird, deutscheGeschichteinihrerödesten Zeit,Das erfordertinWahrheitvoneinemFeuergeist,wie derIhre, große Resignation. Dennoch müßtenSie einmal durch dieseWirthschast hindurch.

Denn dieGrundlage Ihrer späterenLehrerthätigkeitwirddochimmer,nicht geradedieDarstellung,aberdieKenntniß dieser Vergangenheitsein. Und sie,würdeIhnendenVorzugeinerSpezialität geben,daGervinus außer Fragestehtundvon denübrigenHistorikernNiemand darinzuHause ist.

Ich weiß nicht,wie Sie dieGeschichtefassenwollen. Aberwärenichteine interessanteundhöchstpopuläreAusgabe,beijedem einzelnenLande diecharakte- ristischenEigenthümlichkeitenseinerEntwickelung,geistig,industriell,einBis- chen ethnographischherauszuheben?Dann kämensonnige Partien hinein.

DochDas istnur meinEinfall. IchwürdesehrgernausIhremMunde hören,wieSiedenStoff sichzurechtlegen. Hoffe, daßmirdazubald Ge- legenheitwird. Ichwill in denlaufendenWochen, vielleicht,wenn dasWetter milder wird,nachdemFest,einenAusflug nachFrankfurtundKarlsruhe machen

«

undich möchteSiegern inFreiburg besuchen. Istsso weit, sofrage ichan.

MeineFrau,derich IhrBuch jetzt nocheinmalvorlese,wünscht,an-

gelegentlichIhrer freundlichen Erinnerung empfohlenzusein. Sie aber, meinFreund,bitteich,lieb zubehalten

Ihrentreuen Freytag W

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DieWiedergeburtdertürkischenLiteratur. 191

Die Wiedergeburt der türkischenLiteratur.

enn man von dermodernen EntwickelungderorientalischenVölker

«

spricht, heißtesvon denTürken immer: »DieOsmanen sindvor- trefflicheSoldaten!« Damit sollAllesgesagt sein.JnderThat sind sie Das; aberindieserEinseitigkeitdesUrtheils liegt docheinestarkeUnge- rechtigkeit.Dieheutige osmanischeGeneration hat auch nochunter anderen GesichtspunktenAnspruch aufdieAufmerksamkeitEuropas.

DerOrient rücktuns mitjedemTage näherund seine allgemeine Entwickelunggeht so raschvorwärts,daß nichtnur diepolitischenundöko- nomischenVorgänge,sondern auchdieliterarischenAngelegenheiten,dieKämpfe dergeistigenWelt,verdienen,besserinsAuge gefaßtzuwerden-

Es isteinGemeinplatz,dietürkischeLiteratur seinur einschwacher Abglanzarabischerund persischerVorbilder und diemilitärischtüchtigen TürkenglicheninihremMangelanpoetischerOriginalitätdentapferen,aber dichterischwenig begabtenRömern. Fürdiesogenannten klassischenWerke dertürkischenLiteratur magDas zutreffen:dieverfchrienenLyrikerausder SchuleBakisstolpernin denFußstapereinesHafizundSaadi einher.Und für diegeistigeEntwickelungderOsmanen wurdedieseNachahmungumso .gefährlicher,als siedieSprachezu einem widerwärtigen,ohne gelehrte Studien unverständlichenMischmaschvon arabischenundpersischenBestand- theilen umbildete. DasAlles hat sichinderGegenwartaberverändert.

JnSpracheundLiteratur zeigt sicheineifriger Neuerungtrieb;undder Kampf,indemderKlassizismus besiegtundentthrontwurde,istmiteiner Begeisterunggeführtworden, dieandenAnsturmderfranzösischenRoman- tikerderdreißigerJahren erinnert. Wiesooftinderliterarischen-Ent- wickelung,war auchhierder erste FührerderBewegungkeineigentlicher Dichter.DerKritiker isthäufigerderGeburthelferdesNeuen alsderPoet.

Schinassi(1826bis 1872)wareintalentvoller Journalist,ein feinerBeurtheiler und einMann von ausgebreitetenKenntnissen, Dichterwar ernicht.

Er hattedenMuth,miteinerhundertjährigenTradition zubrechen,und dasGlück,eineReihe begabterundbegeisterterAnhängerumsichzusammeln.

DieGötzenbilderderpersischenAltmeisterwurden zertrümmert Förderung desechtOsmanischeninSprach-und DenkweiseunterAufnahmeoccidentaler Kulturelementewar dasEndzielderneuen Schule.

Man hattegegendieVorurtheiledesPublikumsunddenArgwohn derRegirungzukämpfen.Dieneuen Schriftstellerwaren mißliebig,zumal sie dieGrenzscheidezwischen literarischerund politischerPublizistiknur zu Oftüberschritten.DiebeidenTalentvollsten,KernalBeyundAhmed Midhat, wurden von AbdulAziz verbannt;dieFurchtvor einemähnlichenSchicksal

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1 9 3 DieZukunft.

verschloßdenUebrigendenMund. Erstals AbdulHamiddenThron bestieg.ändertesichdieSachlage. Ahmed Midhatkamzurück,tratmit dem HerrscherinVerbindungun) schloßmitihmFrieden. Dadurchwurdedie bedeutsameAufgabederWiederbelebungderosmanischenLiteratur gegenden destruktivenEinfluß jungtürkischerUmtriebe gesichert.

Ohnedieliterarische Charakteristikaller andieserArbeitbetheiligten Schriftstellerzuerschöpfen,will ichdiePhyiiognomienderBedeutendsten unter ihnenmitwenigen Strichen zeichnen.

ErklärterLieblingallergebildetenOsmanen,bewundertes Vorbildaller jüngerenDichter istderschonerwähnteKemalBey (1837bis1888),der den melancholischenReiz orientalischerVolkspoesiemitdemkühnenGedankenflug und dengewagtenMetapherneinesViktorHugoverband. Die Sorgen einer schwer erprobten Jugend klingeninseinen kleinen,formalvollendeten Gedichten nach.EristderbegeisterteVerkünder derneuen Aeraeinergeistigen BefreiungderNation,aberindieseVerherrlichungderZukunft klingtdie leiseKlagedesDichters,demselbstnicht vergönntwar,dieseZukunftzuerleben.

Kräftigen nichtganz soreizvoll,aberaufdem festenBoden der Wirk.ichkeitfußend,ist Ahmed Midhat (geb. 1841),derjetzigeFührerder literarischen Bewegung,von seinen Freundengeliebt,vom Sultan hochge- schätzt,imganzen Volkeverehrt,auchinEuropa schon leidlichbekannt·Er schreibt Romane;nieistaberaus feinerfleißigenFedereinsobewegter RomangeflossenwiederjenigeseinesLebens. Jn feinerSturm- undDrang- periodehuldigteerdenIdeenderJungtürken;imExilleiteteihndieBeobacht- ungeuropäischerVerhältnissezu derEinsicht,daßauch diepolitischeEmail- zipationder TürkeinurdurchdieHebungdes:VolksbildungunddieBeibehaltung derjetzigenStaatsformmöglichsei. DahertraternachseinerRückkehr,vomSul:

tanAbdulHamid begnadigt,in denStaatsdienstein,gründetedieZeitungen»Mi- had·«(Union)und»Terdjiiman-i-Hakjkat«(DofmetscherderWahrheit)und ist heuteder Freund des Sultans undderLehrer seinesVolkes. Erhatsicheinmal imScherz gerühmt,erkönne in einemTage mehr schreibenalseinAnderer lesen. DieArbeitkraftdiesesgeistigundkörperlicherstaunlichenMannes ist jedenfalls außerordentlich.Er sagte sich:Meine liebenLandsleute kennen bisjetzt wenigodernichtsvon dereuropäifchenEivilisation; nun gut, so müssenwir ihnenebenallesDas mittheilen.Erhat auf dieseWeise in jedem FachderWissenschaftundderallgemeinenBildungganzvonvornan- fangen, aus vollständigjungfräulichemBodenbauenmüssen.Dieverschiedensten FragenhateralsJournalist, volksthümlicherSchriftstellerundRomanfchreiber behandelt, oft überrafchendgeistreich,meistensmitGeschmackundimmerge- wissenhaft.Dabei verlor erniesein HauptzielausdemAuge,dieeuro:

päischeGeistesnahrungderislamitischenDenkweise anzupassenundallesmit

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DieWiedergeburtdertürkischenLiteratur. 193

demechtmohammedanischenGefühlUnvereinbare auszuscheiden.Wennman heutevon einertürkischenBildung sprechendarf, so istDasinersterReihe seiner Herkulesarbeitzu danken. Umihm sammelt sichauchdie ganzeSchaar derJüngeren, Lyrikerund Prosaiker, Journalistenund Gelehrten.Für dieAnhänglichkeit,diesiemitihmverbindet,hatman vor einigen Jahren einenmerkwürdigenBeweiserlebt, dermehrandieRömerzeitalsandasneun- zehnte Jahrhundert gemahnt.Der junge LyrikerBeschirFuadbegingim Jahre1889Selbftmord. Er öffnete sichdiegroßePulsader derlinken Handund'schriebmitdemhervorstürzendenBlutandengeliebtenLehrer einenBrief, indemer dieStadien derAgonieund seine Gefühleim AngesichtdesTodeszuschildernversuchte.

Auch Schriftstellerinnen haben sichin der Türkei einen Namengemacht.

Diebekanntesteist FatmeAliHanum, VerfasserindesBuches»Niswsn-ul- Islam«,dasauchfranzösisch(Lesfemmes de1’Islam)erschienenist.Wer den Orientimmer noch nachdenMärchenausTausendundeine Nacht beurtheilt, wirdmitStaunen hören,daß die Türkei sogareineZeitschrift besitzt,die ausschließlichvonundfürFrauengeschriebenwird.

EsisteinfruchtbaresgeistigesLeben, dassichregt. WieLuther einst fürDeutschlandeineSchriftspracheschufunddadurchderVater derneueren

deutschenLiteratur wurde, sohaben auch Ahmed Midhatund seineMit- kämpferinderneugeschaffenengemeinverständlichenSprachedenfestenGrund zurallgemeinenBildungundzu einerkünftigenliterarischenBlüthe gelegt.

DieEntwickelungdesSchulwesensss macht erfreulicheFortschritteunddie in derneutürkischenSprache geschriebeneLiteratur stehtmit Allem,wassichim alltäglichenLebenrührt,ininnigsterVerbindung.Sievereint odersucht wenigstenszuvereinen Osmanenthum, Jslamundmodern europäische Bildung.«EinNachtheilist, daß sieindenausEuropa entlehntenKultur- elementensichbishernur aufFrankreichgestützthat. WährendinderArmee undunter denHandeltreibenden Leutegarnicht selten sind,dieeinegründ- licheKenntnißderdeutschenundenglischenSprache besitzen, istunter den Literaten diefranzösischeBildung alleinherrschend.NurfranzösischeWerke werdenübersetztundnachgeahmtzundselbstin dentürkischenRomanen ist, wenn derSchauplatzderHandlung nach Europa verlegtwird,nichtnur die Namengebung,sondernauchdieGesinnungunddieAusdrucksweisederauf- tretendenPersonen meistens französisch.Das istum soauffälliger,alsder

dlc)Vordreißig Jahrenkonnten nur fünf ProzentderBevölkerungdes osmanischenReicheslesenundschreiben.Jetzt beträgtdieAnzahlderLese- und SchreibkundigennachdemErgebnißderbeiEinberufungderRekruten statt- findendenUntersuchungenfünfundzwanzigbisdreißig Prozent.

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CharakterdesOsmanli mitdemfranzösischenwenig Aehnlichkeithat.Das geistreichSpielende istdemTürkenvollständigfremd-

Deutschland hat wirthschaftlichschon große Theile derTürkeierobert undesunterliegtkeinemZweifel, daßaucheinegeistigeEroberung ausführbar wäre. DieAutorität desfranzösischenNamens im Orient stütztsichvor Allemauf dasaltePrestigederfranzösischenKultur. Einedeutscheoder englischeOrganisation nachdemMusterderÄlliancä franonise, dievon ParisausfürdieVerbreitung französischerSpracheu.s.w.durchVorträge, Prämiirungvon SchülernundAnderesthätigist,würdevielleichtbaldder geistigenSuprematieFrankreichseinEnde bereiten. Deutschland istim Stande, aufdieTürkeinichtnur inderIndustrieundimMilitärwesen, sondernauchimBereichder Literatur und derallgemeinenVolksbildung kräftigeinzuwirken.Jedenfallswürdeesin derjetzigen,aufstrebendenosmani- schenGeneration intelligenteundbeharrliche Schüler finden. DieUneigen- nützigkeitderMänner, die den Türken einehöheregeistigeStufezugewinnen suchen,gehtaus denVerhältnissenselbst hervor.Man kenntdenBegriff desSchriftstellerhonoraresnicht.Daslesende Publikum istimmer nochklein undnicht gewöhnt,vielfüreinBuchzubezahlen.DerVerfasserarbeitet umsonst selbstderJournalist oderzahltobendreindieDruckkostenaus eigener Tasche.Nursehr populäre Dichter,wieSezai VeyoderAhrned Midhat,könnendarauf rechnen, ihreWerkekostenfreiherauszugeben.

Dr.Johannes Oestrup, DozentanderUniversitätKopenhagen.

Der neue Luther.

MankenntdasunheimlicheBeharrungvermögenallerKirchengemeinschasten;

« ihroberstes Gesetz istdasGesetzderTrägheit. Welches ist heutedie ältesteallermenschlichenOrganisationen? DierömischeKirche.Undist sienicht heute noch fast vollständigdieselbewievortausendundmehr Jahren? DreiJahr- hunderte lang hat sie sicheinst entwickelt,dannwarsie fertigund wurdestarr.Und um inihrerStarrheit nicht beschädigtundüberholtzuwerden,hat sieJahr- hunderte langdie ganzeWeltstarr gemacht·AlsabertrotzAllemdergeknebelte

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