XXVIII.Jatirg. Berlin, den II. Oktober 1919 Nr. 2
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Herausgeber
Maximilian Harden
IN H A L T
Seit«
D es Lebens F a c k e l ... . 37
Nachdruck verboten
E r s c h e i n t j e d e n S o n n a b e n d
Preis vierteljährlich 10,— Mk., das einzelne Heft 1,— Mk.
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Berlin, den 11. Oktober 1919
D es Lebens Fackel
A n t w o r t e n
T p b e n so irrig wie der G laube, das W o rt „T erpsichores“ , ein G enetiv, bezeichne einen Feiertag der Ju d enheit, war die V erm uthung, V aluta sei der N am e einer Film erin oder eines anderen Schaubretterm ädels. Bis gestern nannte Keine sich so. D ennoch ist m öglich, daß Sie das W o rt in Verbind d u n g m it dem K inohim m el sahen. M u ß eine Stum m spielerin, die im vorigen Jahr eine V iertelm illion einstrich, einen Vertrag abschließen, der ihr nur noch dieJahreseinkunfteinesR epublik#
Präsidenten verbürgt, so kann in ihrem C oncern und draußen gesagt w erden, ihre V aluta sei gesunken; was dann hieße:
U nsere Lais, Hella, M im i zieht nicht m ehr so stark wie zuvor.
D enn das W o h llau tw o rt, aus dem Sprachschatz des Landes, wo die C itro nen blühen, bezeichnet nicht n u r den W e rth einer Forderung, die durch Staatsgesetz bestim m te W äh ru ng und das Zahlm ittel, sondern auch das V erhältniß des Nenn#
w erthes zum Tageskurs. Schlichter gesagt: die aus V ertrauen o d e r M iß trau en kom m ende Schätzung eines D inges. D ie kann hoch über, kann tief unter dem N en n w erth des D inges liegen. R em brandts H u n d e rtg u ld e n b la tt w ürde im Kunst*
m arktkurs heute gew iß blitzschnell bis an das Tausendfache gehoben. U n d Ihr blauer Lappen, auf dem, neben rothem o d er grünem Stempel, steht, er sei h u n d ert M ark werth, gilt der internationalen Schätzung n u r noch (ungefähr)
zwanzig. Folge feindlicher N ied ertrach t? N euer Irrthum . D er K unsthändler, der R em brandts N ad elw u n d er für vier*
h u n d erttausend M ark erw ürbe, dürfte sicher sein, spätestens überm orgen es m it N u tzen zu verkaufen. W er aber den blauen Lappen zu seinem N en n w eitli einhandelte, wäre geprellt.
W elche K aufkraft hat denn dieser Zettel in seiner H e im a th ? Zw ei sind nöthig, um ein Paar feiner Stiefel, drei, um ein D am enhem d samm t H öschen, zw ölf bis vierzehn, um einen H errenanzug zu kaufen; fü r einen sind im G lücksfall acht»
zig Eier, sind nicht vier Pfund Butter, sind fünfundfünfzig Pfund Bauerpflaum en zu haben (die im O k to b e r sonst fünf*
zehn M ark kosteten). U n d n u r in dem engen Bezirk, auf den die Reichsregirung jetzt, viel zu spät (vor acht Mona*
ten w urde es hier em pfohlen), drei Papierm illiarden schütten will, ist, vielleicht, nahe Preissenkung von irgendw ie nützlicher D auer zu erwarten. N u r da. Bedenken Sie, daß die vom größten M assenverbrauch geforderten G ü ter die Steigerung noch nicht m itgem acht haben; nicht einmal K ohle u n d H olz ganz, dieB rotfrucht gar nicht. D em L andw irth.derinderK riegs*
zeit beträchtlich verdient hat, aber auch M enschenkraft, Pferde*
Vieh, G eräth viel theurer bezahlen m uß, m ehr als der Städter unter derK o h len n o th leidet u n d m eist wieder im Z u stan d e der dam pflosen, m aschinenlosen H andw irkerzeit lebt, b ringt der K örnerbau nichts m ehr ein. Er baut, weils besser fleckt, Lu*
zerne an, verfüttert, weil der dem H an d el freigegebene Ha*
fer m it reichlicherem G ew inn zu verkaufen ist, den Roggen un d fragt sich, w arum er, in einer n u r dem B edürfniß des Industriearbeiters unterth an en W elt, im G estiebe von tausend lästigen, oft bureaukratisch thörichten „V ero rd n u n g en “ , den E rtrag m ühsam er A rb eit un ter dem W eltm arktpreis hingeben solle. D a ballt sich eine G efahr, die der H err Landrath neuen Stils, Sekretär o d er Lagerverwalter aus der Stadt, noch nich t riecht, die aber von den bürgerm eisterlichsten Reden nicht abgeleitet wird. N ü ch tern Sachverständige prophezeien, von den U rstoffen, von Land«« u n d B ergbau werde bald eine steile Preissteigerung a u sg e h e n ,d e rflin k d a n n d ieL ö h n eu n d danach alle W aarenpreise folgen müssen. Im Septem ber schrieb ein G ro ß h ä n d le r: „ W ir bekom m en Preise w ieB udapest in seiner
39 schlimm sten Z eit.“ So denken auch die Völker m it anderer W ähru ng . Sie kaufen noch nicht in Riesenposten die deutschen Industrie*, Bank* u n d V erkehrsaktien, die sie doch zum Fünf«
tel, höchstens V iertel des N ennw erthes einspeichern könnten.
W er weiß, denken sie, ob nicht sozialisirt, bolschewisirt, aller Besitz enteignet, geplündert, zerstört, O b ligation und A ktie zu einem bethm ännischen „Fetzen P ap ier“ devaluirt w ird ? Sie können w arten; und m orgen in D eutschland ganze Indu*
strieprovinzen oder in O esterreich, dessen K rone unter ein Z ehntel des N ennw erthes gefallen ist, um einen Pappen»
stiel die ganze Staatsschuld aufkaufen. E instw eilen genießen sie, als G äste der entkräfteten Länder, die W o nnen spott*
billigen D aseins; un d m it ihnen schm atzt das auf allen Bahn*
strängen w im m elnde H eer der Valutaschieber. D er Arm eines R eisendenbiegt sich in d en spitzen W inkel, der zuden„Errun<
genschaften großer Z eit“ gehört; unter düsteren Stirnfalten blickt das A uge eines in Seide oder Ju te „M achenden“ auf die U hr. „N ettes U ehrchen. W as kostetSie das D in g ? “ Zweihun*
dertM ark . „Vier gebe ich Ihnen sofort d afür.“ Nee. Bei Sechs wird die Sache ernst; für siebenhundert hat der Bieter die A rm b an du hr u n d ist breiten Profites beim W iederverkauf ge*
w iß .In jed em W ag o n w ird geschachert. G anze Läden, Waaren*
häuser werden ausgekauft. E in T ailo rk leid viertausend M ark?
D ie Berlinerin überläufts. D er A m erikanerin sinds n ur zwei*
h u n d e rtD o lla rs,d e rB ritin v ierz ig P fu n d :ein F u n d ! EinH otel*
zimmer m it Bad im Vierten Stockvierzig M ark: im new yorker A storia ists für zwei D ollars nicht zu haben. E in Paar speist, sehr gut, in der neusten berliner L uxu ssp elu n k e; hundertvierzig M ark m it W ein u n d Kaffee. „ U n d in einer Stadt, wo man Das f ür sieben D ollars haben kann, w ird über T heuerung gestöhnt!“
D rei Freunde gehen über die Schweizergrenze ins Oester*
reichische, frühstücken behaglich, zahlen zusam m en fünfzehn Francs: u n d die K ellnerin giebt noch vierzig Kronen heraus.
W eil ein Franc zw ölf K ronen kauft. Einer schweizer„Krönen*
Brauerei“ w ird nachgesagt, sie erwäge, ob sie nicht, statt der durch Papier und D ruck arg vertheuerten Flaschenzettel, öster*
reichische K ronennoten aufkleben solle; für deren G eldw erth, sieben bis acht Centim es, sei ihre alte E tiquette nicht sauber
herzustellen. H aben Sie gar noch ein H ä u fle in schmieriger Z w anzighellerstücke: für je fün f em pfangen Sie in Südtirol eine italische Lira un d für fü n f Lire in O esterreich fünfund*
d reiß ig Kronen. Ringsum g leißt ein D o rad o des Schieber*
geschäftes. A b er der K aufkraftverlust erklärt nicht A lles;
u n d auch das Fehlen der n u r aus Sage noch bekannten zu«
länglichen G olddecke, u n ter die man einst alle Geldwerth*
fragen schob, b lö ß t nicht die W u rzel des Problem es. Sie aufzugraben, sind Lehrer der Finanzw issenschaft un d Schüler der Praxis h u rtig bem üht. Selbst King D o llar kauft heute lange nicht m ehr so viel wie v o r drei Jahren (fünfundzw anzig erhandeln in N e w Y ork ein Paar Stiefel): u n d th ro n t doch a u f dem höchsten G ipfel des V alutagebirges. D em Kauf*
kraftm aß m uß sich irgendw as U ebersinnliches gesellen. Als Laie nenne ichs: V ertrauen. D ie ökonom ische W eltherrschaft d er V ereinigten Staaten ist fü r den unserem A uge ermeß*
liehen Z eitraum gesichert: also ziemt ihrem Zahlm ittel der T h ro n . W e n n R ußland, m it konstitu tion ell aufgebügeltem Zarism us oder als fest gestrafftes R epublikenbündel, m orgen w ieder in O rd n u n g kom m t, kein seiner W irth sch aft uner*
setzliches L andstück verliert und der kaum ahnbaren Fülle seiner B odenschätze in eisfreien H äfen die M eerpforten auf*
klinkt, ist ihm nach zehn Jah ren von K rieg un d Innengraus nichts m ehr anzum erken, kanns nach zwanzig, m it unbarm*
herziggesäuberterV er w altung, zu den auch an K apital reichsten Ländern gehören: also sind die R ubel aus der Z arenzeit und selbst die Kerenskijs noch immer zu anständigem Preis v e rk ä u f
lich. N icht, weil die R epublik O esterreich heute kein G eld hat u n d ,u m fürzw ei W o c h en N ä h rm itte lein z u h a n d eln .d ie schön*
b ru n n er G obelins, die goldenen Schüsseln,Teller, N äpfe und Vasen der H a b sb u rg er verkaufen m uß, steht ihre Renner*Krone so niedrig, sondern, weil der W irthsch aftk u n dig e w eiß, daß diese R epublik, einsam, ohne Kohle u n d zureichende Korn*
menge, niem als in W o h lstan d aufsteigen könnte. Sie w ird ja nicht einsam bleiben; doch ihr G efieder schlimm zerrupft sein, w enn sie die Fusion erlangt. D eutschland hat zehnm al m ehr M enschen und, statt armen A lpenlandes, guten und leidlichen A ckerboden, Kohle, Kali, Zechen un d H ü tten, Eisen* und
41 Stahl*, Elektro#, Farbstoff*» u n d T e x tilin d u s trie , die von ihrer H ö h e n u r abgleiten m üßten, Wenn sie auf den Erdm ärkten nicht m ehr beachtet w ürden un d drum genöthigt wären, vor Mo*
dernisirun gzu knau sern . D eutschlands V aluta ist schlecht, weil seine W irthschaft schlecht ist. A u f Protzenverschw endung in der H eim ath u n d „ D u m p in g “ drau ßen (Preisschleuderei und U nterbietungdrang, die überall W u th , bis in den Höhen*
zug der P olitik fortw irkende, wecken m u ß ten ) folgte das zw ischenZaum zw ang un d bissig erW ildh eit taum elnde Kriegs*
getriebe; u n d in der R epublik sieht es bis heute nicht viel besser aus. Ein D u tzen d M illiarden (H eeresgut) gestohlen, verschoben; th u t nichts: in zwanzig Tagw erken liefert die D ruckpresse sie uns zurück. „ Z u wissen sei es Jedem , ders begehrt: D e r Z ettel hier ist tausend K ronen w erth. D am it die W o h ith a t A llen gleich gedeihe, so stem pelten wir gleich die ganze Reihe; zehn, dreißig, fünfzig, h u n d e it sind parat.
Ihr d en k t Euch nicht, wie w ohls dem Volke that.“ N u r nicht dem Volk jenseits von unseren G renzen. D em w ird berichtet: „D ie D eutschen hausen wie B ankeroteurs oder H ochstapler. D ru cken täglich sechzig M illionen M ark. G eb en für ihre Söldnerschaar in jedem M o n at dreizehnhundert Mil*
lionen aus, m ehr als vierzig auf den Tag, m ehr als das Zwölf*
fache Dessen, was die theuerste Friedenspräsenz des kaiser*
liehen H eeres gekostet hat. D en A rbeitlosen, denen sie loh*
nende A rb eit schaffen m ü ß ten u n d könnten, zahlen sie Be*
träge, deren A bstan d vom Lohn so klein ist, d aß er zu A rb e it nicht lockt (.Z w ölf M ark U nterstü tzu ng , achtzehn Höchst*
lohn: für sechs M ärker zerrackere ich meine K nochen nich.‘) Sie richten in jed er W oche neue A em ter ein, m iethen oder kau*
fen neue Bureaupaläste, achten neuer Staatsgutverschleppung kaum , schleußen Riesenschiffe m it Luxusw aaren an ihre U fer und schneiden ihrem Leben das K leid so üppig zu wie das H ofgesinde in der faustischen Kaiserpfalz. D as kann nu r m it einem Krach enden. Ein N arr, wer ihr Papiergeld zum Nenn*
w erth nähm e.“ H er W issell, der sparsame G em einw irthschaft w ollte und deshalb aus dem M inisterium gedrängt w urde, hat im M ai gesagt: „W elche unerträglichen Z ustände entstehen, wenn in unserer W irthschaft ein Loch offen gelassen wird,
sehen wir jetzt in den besetzten G ebieten. H ie r werden un*
geheure M engen von Fertigwaare, deren wir augenblicklich gar nicht bedürfen, aus den E ntenteländern eingeführt und erreichen auch das unbesetzte G ebiet. W aaren fü r m indestens ach thu nd ert M illionen M ark sind schon hineingeschoben wor#
den. D ad u rch wächst nicht n u r unsere V erschuldung aus Aus*
land au f die gefährlichste H öhe, sondern schon d ro h t vielen Betrieben, besonders in der T ex tilindustrie, der sichere Unter«
gang und ihren A rbeitern B eschäftigunglosigkeit.“ Stellen Sie sich vor, was seitdem, in fü n f M onaten planloser W irthschaft, hereingekom m en ist. Schaufenster un d Ladenparaden helfen Ihrer Phantasie geschw ind nach. U n d bedenken Sie, daß durch das E infuhrloch deutsches G etreide auf den besser zahlenden W eltm ark t gelangen kann. W as herein, was hinausgehen darf, m uß der Staat bestim m en, m uß dem Staat zinsen. W en n wir in A n g stv o rd erB ezah lu n g d ern ö th ig sten Rohstoffe schwitzen, dürfen wir uns nicht eine M illiardenschuld für feine Fertig*
waaren au fb ü rd en . W ir bezahlen sie? N ein. In die Zettel, die uns das A uslan d zum Fünftel, höchstens Viertel ihres Nenn»
betrages abnim m t, m uß erst die A rbeit künftiger Jahre, Jahr*
zehnte W erth pum pen. Kein der Zusam m enhänge B ew ußter kann ü b er das Elend der V aluta staunen. D eren G enesung ist unlösbar an die derW irthschaft geknüpft. U n d nicht alle Heil*
m ittel haben w ir in der H ausapotheke. A uch nach der Ent*
strickung aus geistlos unsittlicher Zw angsw irthschaft, durch deren breite Lücken der Schieber un d Schw indler kriecht, brauchen wir H ilfe von drau ß en. Ist noch nicht offenbar, daß n u r internationale W irthschaft E uropa zu retten verm ag?
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„D ie ewigen K niebeugen unserer R egirung vor dem T yran nenthron der Entente können Sie doch nicht billigen!“
Billigen? Ich beseufze sie in schmerzendem G rim m . D och keine war, nach dem Geschehenen, verm eidlich; zu verm eiden war, in jedem Fall, der zu D em üthigungversuch heraus*
fordernde A nlaß. W äre man gegen schädliche H etzerei früh, nicht m it V erbot un d Strafe, sondern m it aufklären*
der Rede un d Schrift, vorgegangen, dann wäre um die frem*
den U niform träger, die sich meist doch still und höflich
halten, nicht N achtklam auk entstanden, nicht der franzö*
sische Sergent gem ordet w orden, an dessen Sarg Deutsch*
land im B üßerhem d stehen, Berlin eine M illion opfern m ußte.
H ätten die Regirer die Pflicht em pfunden, Friedensvertrag u n d Reichsverfassung, Versailles u n d W eim ar auch in puncto Oesterreich in Einklang zu bringen, dann hätten sie ihrem O h r schrillen K eltenhohn, ihrer H a n d die U nterzeichnung einer K otau*U rkunde erspart, in deren stam m elnde D em uth kaum je zuvor eine G roßm acht sich gebückt hat. (T ag vor T ag hoffte ich damals, Kanzler Bauer w erde sich von Kanzler Renner, dem G enossen in C arolo M arx, öffentlich um den Verzicht auf den anstößigen A nschluß*A rtikel bitten lassen u n d so, aufrecht in W ü rd e , der drohenden Beschwerde aus weichen.) U n d M arschall Foch wäre nicht zu dem frostigen U ltim atum vom siebenundzw anzigsten Septem ber erm ächtigt worden, wenn Berlin nicht allzu lange die-in R ußlands Ost*
seeprovinzen vorgeschobenen T ru p p e n verhätschelt oder we»
nigstens vor derbem Z u griff der K om m andogew alt behütet hätte. W a r über den U n fu g im Baltikum , der Letten und Esthen in w üthende Feindschaft gegen deutsches W esen auf*
gepeitscht hat,n ich t oft genug schon geschrieben,geredet wor*
d e n ? „ S ta tt das Baltikum zu räum en,befördern wir neue Trup*
pen hin. G anze Form ationen sind aus unserem H eereskörper in die Baltische Landw ehr übergetreten; sie haben das Heeres*
g u t nicht abgeliefert, haben die vom deutschen Volk bezahlte A usrüstungm itgenom m en. W ir w urden aus O st mit den selben Lügen überschw em m t, die w ir in der Kriegszeit hinnehm en m ußten. H a t die Regirung den G rafen G oltz un d die anderen Schuldigen zu Rechenschaft gezogen? D ie W e rb u n g e n fü r die Baltische L andw ehr haben nicht aufgehöit. Täglich bringen Züge T ru p p e n , G eschütze, Feldküchen, Vieh, Lebensmittel über die O stgrenze.“ Das hat, im ju li, der A bgeordnete H aase in der N ationalversam m lung gesagt. Ein G eschw ader anderer W arnungen und Anzeigen w arvoraufgegangen. A uch von ru*
higen D eutschen, von Offizieren sogar, hörte man, M itau sei d asH au ptq u artierderG egen rev olutio n , D ieH äupterderW est*
machte m ußten V erm um m ung, V erschw örung w ittern. W eil sie, zw eim al,nur leis zu E rfüllung der im Z w ölften A rtikel des
W affenstillstandvertrages übernom m enen Pflicht m ahnten, entstand der (dem W estproletariat w idrige) G laube, der Ge*
neralissim us der Entente habe die deutschen T ruppen gegen Trotzkijs gedung en .N achder zweiten M ah n ung war noch Z eit;
nach der A n tw ort, die sich in O h n m ach tb ek en n tn iß erniederte, war Fochs H an d eln vorauszusehen. Er sperrt die Z u fu h r von N ährm itteln u u d Rohstoffen bis in den T ag der G ew ißheit, d aß die berliner R egirung alle T rup p en, Stäbe, B ehörden aus den Baltenprovinzen schleunig zurückzieht, alle in Russen*
corps übergetretenen D eutschen heim ruft, jede W e rb u n g fürs Baltenland verbietet; und d ro h t für d en F alld erW eig eru n g o d er A usflucht m it Einm arsch un d E rneuung starrster Blockade.
A us dem „ A u fru f der Freicorps an das deutsche V aterland un d alle K u lturvölker der E rde“ w eht den H ö h rer ein fader D u ft an. „D as G ew issen ru ft uns zur Befreiung der Mensch»
heit auf. W ir sind aus der T aufe der deutschen R evolution hervorgegangen un d kennen die W a h rh e it u n d W irkenskraft, die eine soziale W eltanschauung.in sich trägt. W ir käm pfen den K am pf zur V e r te id ig u n g d er höchsten Religion gegen das tötliche G ift des entarteten Bolschewism us. U eber den H a ß , den der W eltkrieg zwischen den V ölkern entfesselt hat, stellen w ir diese g rö ß te einigende Idee, für die w ir käm pfen u n d sterben w ollen.“ Soldatensprache? Ranzige L iteratur.
Bis gestern w urde die hoch besoldete, g u t genährte Corps*
m annschaft von G ehorsam sw eigerung offiziell m it der A ngabe entschuldigt, sie wolle durch ihr Bleiben die H ergabe des zu*
ges.igten,nungew eigertenSiedlerlandeserzw ingen.Jetzt,plötz*
lieh, wird die Erlöserflagge gehißt. Sicher sind in diesen C orps, wie in allen, wackere un d üble Leute; die wackersten k ön nten klug genug zu der E rk en ntn iß sein, d aß die Bolschew iken, in enger Klemme, an E inbruch in O stp reu ß en m orgen nicht denken dürfen u nd daß solcher Einbruchsversuch diesseits, nicht jenseits von unserer G renze abzuw ehren wäre. W irres H eim athgerede hat die E rörterung verbittert. D ie E innistung in L ettenland dem R om antikerzug nach Fium e zu vergleichen, ist eben so thöricht wie die B ehauptung, das G ebo t derW est*
mächte sei, weil der Friedensvertrag noch nicht in Kraft er*
wachsen ist, unberechtigt. M ajor D ’A nnunzio wird bejauchzt;
45 G eneral G oltz verw ünscht; u n d Fochs F orderung w urzelt fest in dem W affenstillstandspakt vom elften N ovem ber 1918.
N ach H au s,lieb e Landsleute! A m Besten wärs, w enn Ihr ohne W affen (die in den G renzquartieren zu sammeln w ären) heim#
kehrtet. Ihr wollt nicht als D eserteurs geächtet w erden,dasR echt deutscher Bürger verlieren, dem V aterland.M ütterland das Leid neuen Entbehrens aufbürden . W o llt der ju ng en R epublik N oth h elfer sein: un d findet hier A rb eit in F udern un d Alles h eiß t Euch, der rinnende H erb st und das M ädchen am Weg*
rain, von H erzen w illkom m en. Seit der im W esentlichen ver*
ständigen, nirgends listigen Rede des' Kanzlers ist Schlim*
mes kaum noch zu fürchten. „ W ir sind fest entschlossen, unserer V ertragspflicht gerecht zu w erden, u n d ersinnen we*
der heim lichen V orbehalt noch die A usrede, d aß N o th kein G e b o t kennt. W ir haben im Baltikum nichts zu suchen und wollen um jeden Preis schnell h eraus.“ Spät kam so kräftig klare Rede; doch siek am .U n d der W id erh all aus W ashin gto n, L ondon u n d Paris kann nicht un h o ld sein. H err Bauer tastet sich m it derben Fühlern erst in das G rö ß e heischende A m t ein un d hat w ohl schon gem erkt, daß er M anches falsch ge*
m acht hat oder m achen ließ. M enschenlos. Eine Regirung, die öffentlich ausspricht, d aß sie die von ihr gelöhnte T ru p p e nicht in G ehorsam zw ingen kann, bringt sich selbst um ihr A nsehen oder in den M iß ru f verschm itzter H euchelei.
H aben nicht w ir zu H aus, gerade die W achsam sten, ein W eilchen die W ah rh aftig k eit des O hnm achtbekenntnisses an#
gezweifelt un d an neuen M ilitaristen trug g eg laub t? U n d m uß denn Alles öffentlich ausgeschrien w erden? D en Führern der Frem denm issionen in Berlin und D ü sseld o rf klärt Einer, der ihr V ertrauen erw orben hat, leicht das T rüb ste. Ver«
trauen ist Alles. H öchstes N ahziel unserer Staatsm annschaft m uß sein, die V aluta deutscher Politik m it reinen H änden zu heben. H err Bauer scheint den W e g zu erblicken; u n d m üßte, als Sozialdem okrat, wissen, daß er ohne Internationale nichts vorw ärts brächte. Bleiben T ru p pen theile im O sten störrig, so ist in rückhaltlos offener A ussprache m it den Ver#
tragspartnern zu erwägen, wie trotzdem die R äum ung des - Baltenlandes rasch zu sichern ist. N ich t der schmälste In*
46
teressenspalt h in d ert V ertrauensgem einschaft. Ist sie fest ge*
w o rd e n ,d a n n schw indet Lust u n d G e fa h r der D em ü thig un g.
O b ich billige? D rei A ugenm aßfehler, drei A bb itten.
W e h uns, wenn sie deutsche G ew ohnheit w ürden!
L e r n e t , G e w a r n t e !
H err Bauer hat sich gegen die N ationalisten m it schrof?
ferem W o rt als gegen die U nabhängigen gew andt. Er k ü ndet die nahe V eröffentlichung von ach th u n dert U rk u n d e n über die Genesis des Krieges an. A u f sein Ersuchen begin nt der A usschuß der N ationalversam m lung, der m it Gerichtsvoll»
m acht alle vor und in der Kriegszeit schuldig G ew ordenen erm itteln, verdam m en soll, die A rbeit. U n d das lange erwar»
tete Buch des G roßad m irals A lfred v o n T irp itz ist erschienen.
D reim al: Endlich. W ir waren in M orast gerathen und m ußten fürchten (o d er durften hoffen), die R epublik schon im zweiten Lebensjahr in Sum pf versinken zu sehen. A lltagsgespräch:die kaiserlose,dieschrecklicheZ eit.,.W ilhelm w ar,w eiß G ott,keine W o n n e ; aber die Jungen, die au fd en nach der A bnahm e seines B ildesleerenW andfleckim Schulzim m erE bert^N oskeinB ade*
ho sen k leb ten ,h ab en der Katze die Schelle angehängt.“ U n d sie klingelte laut Spottlieder durchs Land, als zu politischem Pa*
laver m it G ym nasiasten Preußens scheinrother K ultusm inister sich auf die Pom m ernbeine machte. „D as war doch früher nicht m öglich; u n d er hat die Bengels nicht mal untergekriegt. W a r denn von allem heute G eschehenden gestern irgendw as mög«
lic h ° “ D em Seufzer hing gern sich die V erw echselung von U rsache und Folge an. Einst glänzend, jetzt dreckig. D aß uns die G lanzzeit den D reck vererbte, w ard nicht beachtet.
„A u f die Sorte Freiheit pfeifen w ir.“ U n ter fröhlich zw in#
kerndem A euglein grinsten die fett Königischen. „ W arte t die W ah l ab, Bande! H in d e n b u rg Präsident; und, fürs Erste, eine K oalition, die sich gewaschen h a t.“ Jetzt stehen die F ronten w ieder starr gegen einander. H err von T irpitz hat die K om m andoflagge aufgezogen. Seine „E rin n eru n g en “ sind u n ter denbishererschienenen R echtfertigungschriftendie einzige, die des Lesers M ühe belohnt. Ein gefährliches Buch, voll von W id ersprü chen; ein schwer entw irrbares G eknäuel.
D es Lebens Fackel 47 D as W ichtigste: was er, als Z ugehöriger, über U rsp ru n g und F ü h run g des Krieges sagt. Keiner errathets.
Am fünften u n d sechsten Ju li 1914, nach der M ission Hoyos*Szögyenyi u n d vor der A breise ,,nach N orw eg en“ hat der Kaiser in Potsdam den K anzler u n d den Kriegsm inister, die Leiter des A usw ärtigen Am tes, des M arineam tes und M ilitärkabinets (auch des General* u n d A dm iralstabes) em*
pfangen. „E r sah w eitergreifende G efahren für unwahrschein*
lieh an ,h o ffte,daßS erb iennach g eb en w e rd e ,h ie lta b e rd o c h fü r erforderlich,auch für einen anderen A u sg an g g erü stetzu sein .“
D eshalb w urde nach der Berathung „beschlossen, daß Maß*
nahm en, die geeignet wären, politisches A ufsehen zu erregen o d e r besondere Kosten zu verursachen, verm ieden werden sollten.“ (B erathung un d Beschluß w urden noch im Ju li 1914 von den Offiziösen der W ilhelm straße in den Bezirk „bös*
williger Phantasiegebilde“ gewiesen. Im letzten Ju lih e ft habe ich geantw ortet: „N a c h der Zusage deutscher W affenhilfe m ußte der Kaiser, ehe er auf seine lange Reise ging, die fü r die W ehrm acht V erantw ortlichen zu sich rufen und die V orbereitung des Feldzuges anordnen. M u ß te : selbst wenn er den Krieg gegen G roßm ächte noch zu verm eiden hoffte;
sonst fehlte er seiner K riegsherrnpflicht. W ilhelm h at sie erfüllt, hat den Beginn der V orbereitung befohlen: u n d dürfte d en Leugner .böswillig* schelten.“ D as Z eugniß des H errn von T irpitz bestätigt, daß die A ngabe richtig war.) Am Ende der ersten Tuliwoche 14 hat also in Berlin u n d in W ien die V orbereitung des Krieges begonnen; die G renzen zog die Losung: So wenig K osten un d so w enig A ufsehen wie ir*
gend m öglich. A m A chten verbot das A usw ärtige A m t Ur*
laubsu n terbrechun g u n d anderes Auffällige; „der Eindruck, als ob wir O esterreich antfieben, müsse verm ieden w erden“ . D ie bisher veröffentlichten A m tsu rk un d en erwiesen, daß die Stärke des berliner A ntriebes den G rafen Berchtold in die Furcht gleiten ließ, Oesterreichs Stellung im D re ib u n d werde sich arg verschlechtern, w enn es sich dem A uge des Bundes*
genossen jetzt „schlapp“ zeige und das U ltim atum nicht „so überpfeffere, daß Serbien es nicht schlucken kö nn e“ . Am Elften w eiß das A usw ärtige A m t, „d aß die E ntente in Bel*
grad zum N achgeben gerathen h abe“ . Am D reizehnten k en n t der Kanzler drei H au p tp u n k te des U ltim atum s, da*
run ter den anstöß igsten: M itw irku n g österreichischer Be*
amten an Serbiens Strafjustiz. Beweis: Capelles Bericht an Tirpitz, der, inT arasp, sofort „den Eindruck hatte, daß dieses U ltim atum für Serbien unannehm bar sei und leicht den W elt*
krieg herbeiführen k ön n e“ . A m Z w eiundzw anzigsten ist auch der W o rtlau t (der nichts wesentlich N eues bringt) des U ltim atum s in Berlin bekannt. D ie Kaiserliche R egirung hat bis in ihre letzte Lebensstunde behauptet, sie habe es nicht früher als die Leiter anderer G roßm ächte kennen ge?
lernt: un d w u ß te doch seit dem D reizehnten, was drin stehen werde. H err von T irpitz, der am Siebenundzw anzigsten, kurz vor dem Kaiser, zurückkehrt (d er Kanzler wollte Beide gern noch länger von Berlin fern halten) findet, die serbische A n tw o rt habe „unverm uthetes E ntgegenkom m en“ gezeigt und Greys V erm ittlungvorschlag sei durchaus annehm bar.
D er Kaiser sagt: „Ich w eiß gar nicht, was die O esterreicher wollen. D ie Serben haben, bis auf einige Bagatellen, doch Alles zugestanden.“ D er Kanzler, den W ilhelm „unzuläng*
lieh “, T irpitz „völlig in die Knie gesunken“ findet, will, weil der Kaiser ängstlich heim gekehrt ist u n d G rey leis ge*
d ro h t hat, „ein A libi in den A kten h ab e n “ : seinem H e rrn beweisen könne, daß er sich um friedliche V erständigung gem üht habe. D eshalb giebt er, der zuvor W ien eindring*
lieh vor englischer V erm ittlung w arnen ließ, den Vorschlag G reys w eiter; lä ß t aber dem G rafen Berchtold zugleich die u nsterb lich eN o te vorlegen, die sagt; ..D urch eine A blehn un g jed e r V erm ittlungaktion w ürden wir für die K onflagration vor der ganzen W e lt verantw ortlich gem acht un d als die eigentlichen T reiber zum Krieg hingestellt w erden. D as w ürde auch unsere Stellung im eigenen Lande unm öglich machen, wo wir als die zum Kriege G ezw ungenen dastehen m üssen. W ir können daher die Rolle des V erm ittlers n ich t abweisen u n d müssen den englischen Vorschlag dem wiener K abinet zur Erw ägung unterbreiten, zum al L ondon un d Paris fortgesetzt auf Petersburg einw irken.“ M ehr hat der zornigste Feind, in dessen H irn noch ein Fünkchen V ernunft
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glom m , niemals behauptet. In Belgrad hat die Entente Nach*
giebigkeit em pfohlen. L ondon u n d Paris w irken „fortge#
setzt“ m äßigend au f P etersburg ein. R uß lan d m öchte m it O esterreich d irekt verhandeln. Sir Edw ard ist, tro tz der berliner A bleh n ung , unerm üdlich im E rsinnen neuer Vor«
schläge. Berlins Leitw unsch ist: ,,im eigenen Lande als die zum Kriege G ezw ungenen d azustehen“ . D as heißt: dem deutschen V olk vorzulügen, der Krieg sei ihm aufgezw ungen w orden. Berlin kann also nicht zum zweiten M al einen V erm ittlungvorschlag m it schroffer O ffenheit abw eisen; über#
nim m t aber die V erm ittlung n u r als „R olle“ , um nicht „als eigentlicher T reiber zum Krieg hingestellt zu w erden“ , und em pfiehlt den Vorschlag G reys nicht m it einer Sterbenssilbe.
Eine R egirung, die am tlich erklärt: W ir „m üssen als die zum Kriege G ezw ungenen dasteh en“ , will den Krieg, ist von dessen U nverm eidlichkeit überzeugt, m öchte n u r den Schein w ahren u n d den Präventivkrieg in einen ihr durch Ver#
schw örertücke aufgenöthigten um lügen. G raf Berchtold ant#
w ortet, „d aß er die M otive für die H a ltu n g des deutschen Kabinets vollauf w ürdig e.“ Er versteht, d aß D eutschland schlagen, aber sich für „ü berfallen“ ausgeben will. W as er nicht verstehen kann, ist, daß Kanzler und Staatssekretär ihre H o ffn u n g auf Prestigem ehrung durch die Furchtsam#
keit des Kaisers gefährdet sehen u nd deshalb, seit er heim#
gekehrt ist, in U rk u n d en , für die sie verantw ortlich gemacht w erden können, zu den W ienern anders zu sprechen be#
strebt sind als in „ganz geheim en“ , „streng vertraulichen M itth eilu n g e n “ , die Franz Josephs B otschafter w eitergeben soll. A m achtundzw anzigsten Juli konnte ein ernstes W o rt aus Berlin den Frieden erhalten; dieses: „ D a alle Groß#
m ächte in dem W un sch einig sind, der austro#ungarischen M onarchie die G e n u g th u u n g zu gew ähren, die ihr gebührt, ist jeder Konferenz oder B esprechung der Erfolg gew iß und w ir m ü ß ten w eiter zielenden Forderungen W ien s den Bei#
stand versagen.“ A m selben T ag noch hätte über Europa sich der H im m el entw ölkt un d jed er Staatsm ann aufgeathm et.
A n diesem T ag aber hat O esterreich dem K önigreich Serbien d e n Krieg erklärt: w eil es glaubte, glauben m ußte, n u r da*
d u rch den Berlinern sich als b ü n d n iß fäh ig zu erweisen.
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D en R ussen hat es erst sechs Tage später als Deutsch*
land, das in diesem Fall doch Sekundant war, den Krieg er*
klärt. „M an hatte vergessen, O esterreich zu fragen, ob es m it uns gegen R uß land käm pfen wolle. M oltke sagte m ir zu mei*
nem Entsetzen, wenn die O esterreicher zurückzuckten, hätten wir einen Frieden um jeden Preis schließen m üssen.“ D as schreibt H err v o n T irp itz ; u n d setzt hinzu, für ihn „bleibe ein ungelöstes R äthsel“ , w eshalb der Kanzler durchaus dieKriegs*
erklärung an R ußland gefordert habe. „Ich höre ihn noch, wie er m it erhobenen A rm en w iederholt die unbedingte Noth*
w endigkeit der K riegserklärung betonte u n d dam it jede wei*
tere E rörterung abschnitt.“ D as Räthsel istle ic h tz u lö se n :H e rr von Bethm ann glaubte, die Sozialdem okraten n u r bei seiner Stange halten zu können, w enn deren W im pel die Losung
„ W id e r den Z arism us“ trug. G egen dieW estm ächte u n d n u r für O esterreichs Sache, dachte er, sind die rothen Bataillons nicht m obil zu machen, ohne um ständliche Rückfragen aber gegen R u ß la n d ; also m uß die Geschichte in N o rd o st anfangen.
A us dem selben Em pfindensschacht kam die Rede gegen den fluchw ürdigen T shinow nik, die P olenproklam ation (die Ni*
kolaiA lexandrow itsch „eine O hrfeige in mein G esicht“ nann*
te) un d die Scheu vor S onderfriedensverhandlung m it Ruß*
land, die sein banges H erz doch ersehnte. O b w o hl H err von T irp itz in dem Kapitel über „den A u sb ru ch des K rieges“ nach dem ersten D ru ck viel geändert, weggelassen und eingefügt hat, steht noch Erbauliches drin. D er A dm iral fragt den Staats*
sekretär des A u sw ärtig en : „K onnten Sie nicht R ußland die D u rch fah rt durch die D ardanellen u n d alles M öglicher ver*
sprechen, um den Krieg zu v e rh in d e rn ? “ Spitzige A n tw o rt:
„ W en n Sie uns ein kleines Flottenagreem ent m it England ge*
geben hätten, wäre der Krieg nicht n ö th ig gew esen.“ H err von Jagow habe gesagt, E ngland w erde neutral bleiben, wenn man es m it der D ro h u n g deutschen Einmarsches in H o llan d bluffe. H e rr von Bethm ann sei „vollständig zusammenge*
bro ch en“ , als er m erkte, d aß E ngland E rnst mache. D e r C hef des M arinekabinets, ein K opf der von T irp itz gehaßten „Hy*
d ra“ , ist „entsetzt ü ber seine jü n g sten Erfahrungen m it Beth*
m ann“ . „D er E indruck von der K opflosigkeit unserer poli*
51 tischen L eitung w urde immer beunruhigender. Ein alter Ver»
trauter äu ß erte, er habe nie ein so tragisches un d zerstörtes G esicht gesehen wie das des Kaisers in diesen Tagen. M oltke beklagte sich beim Kaiser über den deplorablen Z ustan d der politischen L eitung.“ D ie Briefe des A dm irals lehren, daß im H au p tq u artier der „ Z u sta n d “ noch ü bler w urde.
„Ich habe die U eberzeugung, daß der Kaiser die Unzu*
länglichkeit B ethm anns vollständig erkennt. M ach D ich ge*
faßt auf die große M öglichkeit, d aß auf mich später das Ana*
them a fällt. W ie hätte ich persönlich gew ünscht, diesen Krieg nicht zu erleben! Ich kann noch im m er nicht begreifen, daß wir m it R ußland nicht auf einen m odus vivendi kom m en konn*
ten. Z u viel Jäm m erlichkeit da droben. H a t Ingenohl (Flotten*
chef) den G enius des Siegers? Pohl (A dm iralstabschef) hat ihn sicher nicht. O ffenbar ist der Kaiser gegen mich scharf gemacht. D ab ei habe ich die Em pfindung, gerade in diesen Fragen m ehr in der N ase zu haben als Pohl im ganzen Schä*
del. B ethm ann bearbeitet Pohl fortw ährend, die Flotte nicht einzusetzen. D as wäre der T o d unserer Flotte nach dem Krieg.
Er un d die ganze Bande von D iplom aten will die Flotte beim Friedensschluß m it England verkaufen. D as ist das gange Ge«
heim niß. D er Kaiser will nichts m it der Flotte riskiren. A n mich kom m t Keiner von selbst, da sie mich zu sehr fürchten.
Pohl kann ich nicht verklagen. D ie A nalogie m itM oltke (dem der Ressortm inister Falkenhayn op po n irte) w irkt zu stark. Es w ürde als V ordrängerei abgewiesen werden. Ich fürchte den Kanzler u n d seineLeute; wie sie durch ihre P olitik den Krieg nicht verh ind ert haben, so w erden sie auch einen jämmer*
liehen Frieden zu Stande bringen. In Berlin scheint m an et*
was siegestoll gew orden zu sein. D ie schw erstenT age werden noch kom m en. Ich habe w enig Einfluß. Bleibt Bethm ann, so w ird sicher Alles v erb ru d delt w erden. Alles ginge gut, wenn wir einen Eisernen Kanzler un d einen ,A lten Kaiser* hätten.
W ir haben den Erfolg unserer ersten Siege überschätzt. W en n man an 1870 denkt: diese W ü rd e, dieser Ernst, der kristall*
klare M an n, der wägen u n d wagen k o n n te, u n d schließlich der Eiserne! A ng st und bang kann Einem w erden; dazu das siegestolle Berlin zu einer Zeit, wo noch Alles auf dem Spiel
steht. Pohl ist fürchterlich; keine Spur von A der in dem Men*
sehen. W e n n der liebe H e rrg o tt der M arine nicht hilft, sieht es schlimm aus. H ie r ist die Krisis (M arne) noch gar nicht v orüber; sie w ird sich Euch auch noch in hohen Personal ver*
änd erungen kenntlich machen. Ich kann mich ja täuschen, aber ich w ürde Falkenhayn nicht (als M oltkes Folger) gew ählt ha*
ben, obendrein m it sehr großen Befugnissen. In H intze sehe ich die einzige H offnung gegen eine gewisse Sippe. A b er es i s t ,ihnen* geglückt, den gefährlichen M ann (der sich aus Mexi*
ko bis ins H a u p tq u a rtie r durchgeschm uggelt hatte) abzuschie*
ben (nach Peking). H intze war der Ansicht, d aß der M angel an F ü h ru n g d*er Z ügel die herrschende Klasse, Sieg oder Nie*
derlage, um ihre Stellung bringen müsse un d daß sofortiges großes Entgegenkom m en,Sozialdem okraten auf hohen Posten, W ahlrechtsreform in P reu ß en , das einzige M ittel wäre, den ungeheuren Schw ung der N atio n in einigerm aßen gnädige Kanäle zu leiten. U eber den Start des ganzen Krieges und den Z usam m enbruch seiner Kollegen war er außer sich. (F ür einen M ann, der im Septem ber 1914 zu dem G roßadm iral so sprach, m üßte in der W ü ste unseres A usw ärtigen D ienstes w ohl breiter Raum sein.) D u rch den Z usam m enbruch hier (M arne) sind all die furchtbaren O pfer ohne Erfolg gebracht w orden u n d ist D eutschland in eine überaus gefährliche Lage gekom m en. Alles ist letzten Endes der Spielerei zu verdanken.
M it dem bisherigen Kasten* u n d Klassenwesen ist es vorbei:
Sieg oder N iederlage: wir bekom m en die reine D em okratie.
W ie ist dieser Krieg schwer u n d vor Allem die große, große G efahr, daß allesB lut um sonst geflossen sein sollte!D ieFran*
zosen werden vorzüglich geführt, w ährend Das bei uns leider nicht der Fall gewesen ist. Laß k ein en T o n d arüber verlauten, aber gefährlich ist unsere Lage gew orden, weil O esterreich so völlig versag that.S ieso llenin G alizien von achthunderttausend A usgerückten noch fü n fh u n d e rttau se n d haben. N achdem un»
ser H au p tp lan offenbar m ißglückt ist, stehen w ir frontal vor einer U eberm acht, die alle lokalen V ortheile auf ihrer Seite hat un d zweifellos ausgezeichnet geführt w ird. Pohl, M üller, K anzler u n d Kaiser haben die Flotte zurückgehalten. Ich glaub e jetzt, daß sie keinen Schuß abgeben w ird, und mein
53 Lebenswerk endet m it einem M inus. D er Kriegsm inister be*
hauptet, die G efahr des Einbruches ins östliche O stp reu ßen sei geschw unden, weil siebenzigtausend R ussenkadaver die G egend so verpesten, daß man nicht athm en könne. Es ist sehr m erkw ürdig, in welchem M aße w ir das unbeliebteste Volk der Erde gew orden sind. A lles w ünscht, daß w ir unter*
liegen. Ich höre, in der Arm ee sei doch der G edanke durch*
gesickert, daß die F ührun g versagte habe; m an ist sehr ernst gew orden, schätzt die G egner sehr hoch ein u n d unser ge*
w altiger erster Elan ist ohne Erfolg geblieben. W ie soll dieser Krieg enden? M it den selben Leuten, die ihn so thöricht eingeleitet haben oder sich haben treiben lassen, soll ein brauchbarer Friede zu Stande kom m en? D as scheint m ir w ahrhaftig eine Q u a d ra tu r des Cirkels. W ir essen zwar in dem selben Saal, sprechen aber kein W o rt m it einander.
(Schon am Ende des zweiten Kriegsm onats.) D er erste An»
lauf unserer Arm ee hat ungeheuer viel Blut gekostet un d verhältnism äßig wenig eingebracht. W e n n w ir nicht noch Extraglück haben, w ird die Lage sehr ernst. D abei arbeitet die Z eit nicht für uns. A uch im O sten kom m en w ir nicht vorwärts. D ie W e lt steht gegen uns, auch die N eutralen.
D ie R iesenhoffnungen des A u g u st sind verflogen. D e r Kaiser und B ethm ann halten nicht durch. W ie kann der Finish g u t w erden bei dem Start! Ein schier unerm eßliches Ka*
pital ist in den letzten Jahrzehnten verschleudert w orden;
irgendw o u n d irgendw ie m ußte der K rug zu Bruch gehen.
M eine Lage ist scheuslich, ich bin ganz isolirt; ein solches E n d e, wie es m ir bevorsteht, hat meine A rbeit nicht ver«
dient. D ie R esignation u n d der M angel an Initiative in der Flotte gefallen m ir gar nicht. M an hat sich schon einge*
lullt in das N ichtsth un. Bür mich ein schrecklicher G edanke;
u n d ich b in m achtlos. Ich kann m ir kaum vorstellen, nach*
dem die furchtbaren Fehler von der H eeresleitung im A u g ust gem acht w orden sind, wie w ir aus diesem Krieg m it Ehren herauskom m en sollen. D u w eißt ja, wie oft ich gesagt h a b e : Es m uß eine K atastrophe kom m en, m an w eiß n u r nicht, wie u n d wann. M an sah es daherkriechen u n d konnte doch nichts ändern u n d w ird zum Schluß als der Schuldige ge*
n an nt werden. Viele haben auf mich gerechnet; un d ich kann gar nichts ändern u n d das W enige, was ich th u n könnte, auf m aritim em G ebiet, w ird m ir auch verschlossen, weil man das Spielzeug nicht verlieren will. W ie A lles, w ar auch Dieses n u r Spielzeug. (U ebereinstim m ung m it dem U rth eil des Königs E d uard : D ie Flotte ist ja n u r W illys Spielzeug.) E in unverdächtiger Z euge sagte neulich, die drei Kabinets*
chefs thäten blindlings, was der Kaiser sage; die ganze Um*
gebung ist darau f eingestellt. A n fast allen Stellen kom m t eine geradezu erschreckende U nfähigkeit zu Tage. A n ein N iederw erfen unseres Volkes glaube ich nicht einen Augen*
blick. N o ch aber (nach T annenberg, Polen, A ntw erpen) haben w ir keine Siege, die ein A usnutzen m öglich machen.
W ir hatten das G lück in der H a n d u n d haben es verspielt.
Eine sehr große E nttäuschung steht unserem V olk in jedem Fall bevor, w enn m an seine R iesenleistung u n d seinen Blut*
verlust dabei berücksichtigt. W ir w erden in der ganzen W e lt als die A nstifter des Krieges angesehen. L aß t Euch mal eine Brochure geben, die in H o llan d erschienen ist u n d einen W e ltb u n d gegen den ungehobelten, überall störenden Parvenü D eutschland nach dem Frieden propagirt. W e n n sie auch von H a ß gegen uns trieft, so liegt d och, leider, viel W ah res darin. D e r Kaiser ist gänzlich unverändert und es lä ß t sich gar nicht ernstlich m it ihm reden. N ach dem Kriege gehe ich u n ter die Sozen u n d suche m ir Laternen*
pfähle aus, aber einen ganzen H aufen. D en n einer ganzen H y d ra m üßte zu Leibe gegangen werden, w enn es besser w erden sollte. D ie N a tio n ist glänzend; w enn n u r der K opf anders wärel Es w ird den Leuten in der W ilhelm straße schwer gelingen, mich als Sündenbock hinzustellen ;nzu viele Leute wissen das V erfahren des A usw ärtigen Am tes im Ju li, das w ahnsinnige H ineinschlittern in den Krieg. H inden*
b ü rg schneidet das G ro ß e H au p tq u artier. M it P ohl spreche ich D ienstliches ü b erh au p t nicht; dam it aber bin ich prak*
tisch ausgeschaltet. Ich habe die Flotte geschaffen u n d bei der V erw endung fast nichts zu sagen; eine schreckliche Si*
tu atio n für mich. D as furchtbare Ja h r 1914 geht zur Rüste.
Bei der N eu jah rsg ratu latio n sagte Pohl zu]|M üller:
.Schützen Sie mich auch ferner im neuen Jahr* (D as h e iß t
natürlich: gegen m ich). A enderung der K abinetsw irthschaft kann n u r nach einem großen U nglück eintreten. D e r Kaiser w ill keinen E ntschluß fassen u n d keine V erantw ortung tragen.
W ir haben einen mächtigen, gewaltigen Bau u n d n u r eine H y d ra obendrauf. Ein solches M anko an Persönlichkeit in den oberen Etagen zeigt doch eine schwere W u n d e in un#
serem Staatsorganism us, die sich bitter rächen m uß. Je m ehr ich von der Reichsleitung durch den Kaiser u n d den Kanzler sehe, je m ehr schw indet m eine H offnung. D e r Luftangriff au f Y arm outh ist ein Verplem pern. L ondon soll geschont werden. A u f die C ity m üßte Alles, was da kreucht und fleucht, konzentrirt w erden nach meinem V otum . D er eigent#
lieh große Z w iespalt zwischen dem Kaiser u n d m ir ist der, d aß ich für no th w en d ig gehalten habe, die Flotte einzusetzen, u n d der Kaiser nicht wollte. Jetzt sucht m an nach anderen G rün d en hierfür u n d nach dem Sündenbock. P ohl (d er in#
zwischen Flottenchef gew orden ist) hat in seiner Eitelkeit un d U rtheillo sig keit etwas Gefährliches eingebrockt, was ich ausessenm uß. Pohls ganzer E rlaß vom vierten Februar (Unter#
Seekrieg) w ar überflüssig. In der A rt des Startes m it Fanfaren#
gebläse u n d D ro h u n g an dieN eutralen liegt die schlimmsteSeite der A ngelegenheit. Ich k o n n teM ü ller aktenm äßig nachweisen»
daß von m ir durchw eg ein anderer W eg vorgeschlagen w urde u n d Pohl später im m er patzig ablehnte u n d nachher die Sache allein m it dem Kaiser machte. M ich aber trifft es und man glaubt, ich sei der A usführende. X erzäh ltem ir von seiner U nterred u n g m it Bethm ann. D e r habe n ur gerast: ,W as soll ich m achen?
W as soll ich m achen?4 Sich zerm ürbend in Zw eifel, d aß G o tt erbarm . D a sk a n n ja nicht gutg eh en . In der B udgetkom m ission haben alle Parteien sich au f das Bestim mteste für die Anglie#
d e ru n g von Belgien ausgesprochen. D ie diplom atische Vorbe#
reitu n g für einen W eltkrieg w ar unglaublich. In der Armee#
leitu n g k e in V erständniß für die B edeutung E nglands im Krieg, d agegen absolutes V ertrauen in die Siegesrezepte des toten Schlieffen. D ie O esterreicher versagen w ieder total; es schein fast, daß sie nicht m ehr recht wollen. Staat und Arm ee sind d u rc h u n d durch m orsch; u n d für seine Interessen haben wir die ,schim m ernde W e h r4 eingesetzt! M üller gab m ir neulich den Rath, B ethm ann m üsse geschont werden. ,G eh er; er hat
56 Die Zukunft
kein Glück*, w ürde Fridericus Rex gesagt haben. W en n er doch m it seinem K rückstock vom H im m el herabkäm e! Selbst der gute Bachm ann (A dm iralstabschef) w ar entsetzt über die H y d ra ; er fand die ganze G esellschaft h eu te im G artenbau beschäftigt, m it h erunterhängenden Köpfen. G estern (bei der H o ftafel) war es w ieder sehr öde; die U n terh altu n g schleppte sich langsam entlang. D er Kaiser sah überall riesige Siege; ich glaube aber, um sich u n d seine U n ru h e zu beschw ichtigen.
M ü ller ist von verschiedenen Seiten dringend gebeten wor*
den, m an solle für die D au er des Krieges mich als C hef der A dm iralität einsetzen un d mir dann überlassen, wie u n d w ann ich m it an B ord ginge. A n tw o rt w ar im m er: A usgeschlossen!
D as thäte der Kaiser nie.‘E rw ill selbst den M arinekrieg führen u n d D as könnte er natürlich nicht bei mir. Es ist hoffnung*
los. Ich habe aber diese Z iellosigkeit, diese Fanfaren da*
bei jetzt seit zwei Jahrzeh n ten m iterlebt u n d gesehen, wie jedes R essort für sich arbeitet, A lles sich an ,Ih n ‘ drängt, dem m an den G lau b en beibringt, A lles selbst zu machen, u n d von dem so große V ortheile ausgehen. Byzanz! U n d n u n haben w ir diesen furchtbaren K rieg u n d noch ganz das selbe D urcheinander, die selbe Z iellosigkeit, vom Gesammt»
Standpunkt aus gesehen. In K onstantinopel, in der M arin e, in der \rm e e , in der Politik kein Z usam m enarbeiten, fast Al*
les im m er noch bestrebt, nach dem Kaiser zu schielen, der von w eichen Leuten um geben ist. N u n sehe m an die O vationen im R eichstag; daraus geht doch die völlige V erständnißlosig*
keit des w ahren U ebels hervor. B ethm ann u n d seine Sippe, Bällin u n d jetzt sogar in Reichstagskreisen machen A lle flau.
Ich sehe n u r ein M ittel: D e r Kaiser m uß au f drei W ochen oder m ehr sich krank m elden, anB ethm anns Stelle m uß Hin*
den b u rg kom m en u n d ihm Alles unterstellt w erden, zugleich A rm ee u n d M arine. A uch Kessel war entsetzt über den Kai*
ser u n d seinen gesundheitlichen Z ustand. ,Er habe nicht drein*
geredet, habe ü b erh au p t nichts gethan u n d sehe schon, schließ*
lieh m üsse er allein die Zeche zah len / D ie Stim m ung hier ist sehr gedrückt. Falkenhayn sagt, er könne nichts m ehr machen.
D en O esterreichern trau t m an gar nichts m ehr zu. D e r alte Januschauer schrieb mir, der Kaiser w erde sich w undern, was .nach dem Krieg von seinem K önigreich P reußen noch übrig
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geblieben sei. Ein Feldjäger, O berlieu ten an t, der aus Kon*
stantinopel kom m t, w ollte sich auch bei S .M .m elden. Plessen aber lehnte ab; es sei nicht genehm jetzt für S. M ., noch m ehr von der T ü rk ei zu hören. M öge die A nnahm e, die bürger*
liehen Parteien w ollten einm üthig durchhalten, richtig sein!
Erzberger scheint bereits um gefallen u n d auch von einem frei*
konservativen Parlam entarier hatte ich einen Brief, d er sehr nach U m fallen schmeckte. H A P A G , Banken, W ilhelm straße m it allen Filialen; u n d selbst in der A rm ee außer im O sten keine hervorragenden Erscheinungen. D a ß die Flotte noch zu einer guten Leistung kom m t, glaube ich nicht m ehr. Es ist der Krieg der verpaßten G elegenheiten. D e r Kaiser saß w ieder voller Siegesnachrichten; andere dürfen an ihn nicht herangebracht w erden. U n te r A nderem ,ist in In dien Riesen*
aufstand*; u n d so weiter. D ie W issen d en bliesen T rübsal.
Es wäre m öglich, d aß der Kaiser sich absichtlich betrügt.
Seine Eifersucht au f H in d e n b u rg gab M üller zu. Er beklagte sich über die Zeppelinangriffe u n d ich gab ihm vollkom m en Recht. Ich will versuchen, die K indereien m it den Zeppelin*
schiffen zu brem sen. M üller fand sich schon m it einem Groß*
Serbien ab. O esterreich hat sich leider als ein so morsches G ebilde gezeigt, daß w ir es nicht auf die D au er w erden hal*
ten können. W ir hatten w irklich das sterbende Kamel zu sehr belastet. D er K ronprinz freute sich, mich in Stenay zu sehen;
sonst sei D as ja schwierig, weil w ir Beide ,verdächtig* seien.
M an m üsse n u r die Leute sehen, die um den Kaiser seien:
dann k önne man die Sache beurtheilen. Prinz H einrich meinte»
der K ronprinz w erde sich auch solche Leute wählen, w orauf D ieser sagte: ,N e in ,D a s w erde ich nicht th u n .'Ic h habe doch H offnung au f ihn. Er hat, freilich, nicht arbeiten gelernt, aber er hat ein gutes U rtheil, läß t M enschen arbeiten, ist nicht eitel u n d w ird keine K abinetsw irthschaft treiben. Ich glaube auch, d aß er M enschenkenntniß hat. A b er der Kaiser läß t ihn nicht heran. Ich habe mich in dem ewigen K am pf m it der K abinetsw irthschaft verbraucht. Ich sah seitJahren den Sturm kom m en u n d kon nte nichts th u n , um ihn abzuw enden. Ich habe ja auch se itJah re n gesehen, wie die Flotte verkom m ißte u n d fü r Parade u n d In spek tio n arbeitete. D a ß die Sozialde*
m okraten den R eichskanzler u nterstützen, stim m t. D ie Grand*