X X V ltt. Jahrg. Berlin, den 1, November 1919 Nr. 5
ie B u k u n f t
Herausgeber
Maximilian Harden
IN H A LT
Seite
W ie es k a m ... 121 D as G elobte Land. Von W a lth e r R a t h e n a u ...149
Nachdruck verboten
Er s chei nt j e d e n S o n n a b e n d
Preis vierteljährlich 10,— Mk., das einzelne Heft 1,— Mk.
BERLIN
Verlag der Z u k u n ft
Großbeerenstraße 67
1919,
I
co
cd© -rf a
E „ B J; - 2 c\f
I 3 CO
« " ? £ *
,B S b A» 5 2 | ^
=
_x«£5
* » n . 8
# r l ® &
* ö . m
Q co > a
■ ■ C * h
C .S «j c fr r®
I I 1
< * “
V
c ° a «
* r-
O (D c c caM ® rt
— cn «-
—* to e "
_ > m A O w r Os s s
s O) C 9
(B ZT ■*
* " 2 ■
* io 3 «*
f l i S
£ S I 8
iw
_
c Min GD
O .S.2 fc
® o ^ 3
*äj *o <a 2£
S t oa
(0
S o E ~
0) w c Q o £
£ 8
c N
■£ Bf
e Ul c O
0 o 1 *
— ^ « 2
«j m
<s>
OEIH-fniBEn-HUTH B E R L I N W
Abt 48 hoehkünsUerlsehe Frei- llchtaurnahmen. Brom- sllberorlgfnalfotos, seltene ______ Wahl weiblicher Schönheit
einsehliefll. ges. gesch. Stereo-Apparat, hervorragend. Optik u. Plastik, nur 15,— Mk.
franko Nachnahme. Illustr. Prospekt frei!
Fotohaus K. Nolle, ibt. 1 , Berlin S 14
Bank-Geschäfte
inserieren erfolgreich in der W ochenschrift Die ZuKunft.
BERNHARD KDNZEL
Bankgeschäft
B E R L I N W 8
An- und Verkauf von Wertpapieren
K osten lose A u skunftserteilung
Geheimschränke
%
■'*o
zum E in m a u e rn ab Lager sofort lieferbar
H. Arnheim
G eldschrank« u. T resorbau
= B e rlin S W 11 =
* »S* oö**
Bestes'
zur Pflege derZähne.
W i r t s c K a f t l i c h . e s B ü r o
L e i t e r D r . H e r m a n n Z i c K e r t »
Objektive
undsorgfältige Beratung über W ertpapiere jeder Art, Börsengeschäfte, Vermögensverwaltung, Kapitalanlagen, Steuern.
:: Sprechstunden : Dienstag und Freitag von 10— 12 Uhr. ::
Berlin W 8 FriedricHstr. 161.
Privat- u. Spezial-Auskünfte
Üb. Ruf, Vorleben, Vermög.- u. Familien V erhältnisse etc., streng vertraulich, a. all.
Orten, In- u. Ausland. Erledig, v. Vertrauensangelegenheit, fed. Art. E rm lttel. e:c.
I I Ä u sku n f ts - S c h ü tz 11
s. lang. Jahren d. la Ref., Inanspruchnahme von Behörden anerkannt unbedingt zuverlüssig, bestinformierte, d. eig. direkte Vertretungen organis. Spez.-Auskunftei 1. Rgs., Berlin W, Tauentzlenstr. 3 (a. Wittenbergplatz). Teleph. Steinpl. 94f>S.
Berlin, den 1. November 1919
W ie es kam
Top ik a.
\ 7ier Blinkfeuer haben für M inuten d auer den feuchten Ok*
* tobernebel durchzuckt. D er Reichsfinanzm inister ließ k ünden, daß die D eutsche R epublik in ihrem ersten Lebens*
jah r vierzig M illiarden M ark verbraucht habe un d daß ihre Schuldenlast Jiinter der Schwelle des neuen Jahres den G rat von zw eihundert M illiarden überw achsen werde. D ie Ver*
zinsung der Reichsschuld allein w ird in jedem Budgetjahr fort*
an also ungefähr zehntausend M illionen M ark fordern. W ahn*
sinn nur, durch dessen D u nkel kein V ernunftfünkchen glimmt, konnte solchen A ufw an d beschließen, von dem kein Sieg je zu entschädigen verm ochte. W eil heroische T ollh eit alle in den Krieg gerissenen Länder in ähnliche D urchhalterleistung zwang, konnte der Friedensschluß in seiner finanziell*wirth*
schaftlichen A usw irkung, die dem Sieger selbst n ichtG ew inn, Surplusprofit, keinem auch n u r A ufw andsersatz bringt, dem Besiegten kaum m ilder w erden, als er gew orden ist. Bleibts nu n aber bei der hem m unglosen G eldverschleuderung, vor der jeder W ache seit Jahren lau t w arn t? D u ld e t die National*
Versammlung, daß für W ehrm annschaft, der n u r noch Polizei*
pflicht obliegt, in jedem M o n at dreizehn* bis fünfzehntausend M illionen ausgegeben w erden, d aß W aareneinfuhr, die um s Sechs* J^is Zehnfache die A u sfu h r übersteigt, erlaubt, allerlei S ch ieb u n g b egün stigt,den A rbeitlosen,die das R ech tauf Woh*
10
122 Die Zukunft.
nung, G ew and, N a h ru n g haben, statt ausköm m licher Natural»
hilfe ein G eld lo h n gew ährt w ird, der das allzu M enschliche in ihnen bestim m en m uß, vor w idriger A rb eit m äkelnd zu zau*
d e rn ? Zw eitens: Als Folger Balfours, den hohe G eisteskultur, liebensw ürdigeSkepsis, Kennersfreude an deutscherM usik und Philosophie nicht vor dem A nfall eiskalten D eutschenhasses bew ahrt hat, ist Lord C u rzo n of K edleston Leiter des inter*
nationalen Britengeschäftes, H e rr der lo nd oner Foreign Office gew orden. G eorge N athaniel C u rzo n ist fast Einundsechzig;
war, w ährend der um elf Jahre ältere B alfour schon im Staats*
Sekretariat für Schottland saß, bei dessen O heim Salisbury Privatsekretär (in solchem D ienst schult sich meist ja der jun ge englische Edelm ann fürs R egireram t); w urde Unter*
Staatssekretär des Indischen Am tes, des A usw ärtigen, Vice?
könig von Indien (wo er sich mit K itchener nicht v ertrug );
veröffentlichte nicht unbeträchtliche Schriften über R uß land s V ordrang in M ittelasien, über „Problem e des Fernen O stens“ ; hat fünfzehn Jah re im U nterhaus gesessen und ist 1911 in die Kammer der Peers berufen w orden, wo er in der letzten , Kriegszeit die Politik des Kabinets Lloyd G eorge vertrat. E r galt als der unsunfreundlichsteStaatsm annB ritaniens; m it dem M arquis of Lansdowne selbst, dem Stifter der Entente Cor*
diale, hatte die deutsche D iplom atie lieber als m it C urzon zu th u n ; kom m t D er, hieß es, ans Steuer, dann stehen wir vor dem Krieg. Seine berühm te Rede, die Indien als den P ivot aller B ritenpolitik zeigte, in jedes B ritenhirn den E ntschluß ram m en wollte, auf jeder vom Schicksal erw ählten W a lstatt für Ind ien zu fechten, habe ich m ehr als einmal hier citirt.
D er Krieg ist verbraust; u n d hat, wie jeden G ew issenhaften, auch den neuen Lord F euerbrand im Tiefsten gew andelt.
R ußlands Riesenleib ist von tausend W u n d e n geschlitzt, das geschlagene, in Schuldknechtschaft gepferchte Deutsch*
land ist w eder im A erm elkanal noch in Bagdad eine Ge*
fahr un d Ind ien nu r von der Bolschew ikenaussaat ernstlich
b edroht. Lord C urzon hat sich m it fast inbrünstigem Eifer
zu denTG edanken des V ölkerbundes bekannt, der Sendung
G reys nach Am erika (der H eim ath der Lady C urzon) gern
zugestim m t un d öfter, als h ö rb ar w urde, bewiesen, d aß er
Wie es kam 123 die N o th w endigkeit eines w ürdigen Verhältnisses zu Deutsch#
land klar em pfindet. Er ist zu klug, um zu verkennen, daß E uropa, daß auch sein British Em pire ein kräftig sich re*
gendes, der M enschheit eingeordnetes D eutschland braucht un d die Z eit schrankenlos nationalistischer P olitik verstrichen ist. W enn m an ihn nicht, nach üblen Brauch, sogleich wie#
der durch die A nheftun g eines Ekelnam ens ärgert, als Jingo und N orthcliffiden verschreit, nicht durch thörichtes Geäugel m it slaw o*japanischer Z u k u n ftk o alitio n in neues M ißtrauen hetzt, w ird m it ihm zu leben sein. D ritten s: C urzons Kollege W in sto n C hurchill hat Italiens angelsächsischen K redit durch die B ehauptung zu heben versucht, das K önigreich habe sich stets Vorbehalten, in einem Krieg Englands gegen die Kaiser#
reiche des D reib und es neutral zu b leib en . So wars n ic h t; konnte auch nicht so sein,da der D reib u n dsvertrag vo m M ai 1882 n u r V ertheidigung gegen Frankreich u n d R u ß la n d als Zw eck setzte u n d in einem Z usatzp ro to kol ausdrücklich die A bsicht au f irgendw ie feindsäliges T rachten gegen E ngland von sich wies.
Erst 1896, als die deutsche Marine* un d T ürk enpolitik die G efahr anglo*deutschen Zw istes näherte, erklärte Italien, offi*
ziell u n d feierlich, daß es für den Fall eines Krieges, der E ngland an Frankreichs Seite fände, sich den Bundesge*
nossen nicht zu W affenhilfe verpflichten könne. Berlin u n d W ie n haben sich damals zwar geweigert, diese Erklärung „zur K enntniß zu nehm en“ ; doch m ußte der Lehrling in Diplo*
m atie wissen, daß Italien, m it seinen langen, ungeschützten K üsten, dieFeindschaftB ritaniens niemals herausfordern dürfe.
V on A lledem w ird zu reden sein, w enn, endlich, die T exte d er D reibundsverträge veröffentlicht w erden. D er Unter*
suchungausschuß der N ationalversam m lung m üßte sie ein#
fordern. A us seinem A rbeitbezirk leuchtete das vierte Blink#
feuer auf. G ra f Bernstorff w urde ü b er das Friedensvermittler*
m ühen des Präsidenten W ilso n vernom m en. D er Botschafter, dessen m ännisch nüchterne K lugheit nicht in W ahnvorsteil*
ung neigt, ist fest überzeugt, daß der Präsident gerechten Frie#
den redlich erstrebte u n d ihn erlangt h ätte, w enn nicht der deutsche Beschluß rücksichtlosen T auchbootkrieges jäh in die leisen T astversuche eingebrochen wäre. G raf Bernstorff
10*
124 Die Zukunft
ist erst fünf W o chen nach seiner H eim kehr aus W ashington ins G ro ß e H au p tq u artier gerufen u nd vom Kaiser em pfangen w orden. G eneral L udendorff hat ihn d o rt m it ironischer Höf*
lichkeit bew irth et u n d versichert, binnen drei M onaten, spä*
testens Ende 17, ehe ein am erikanischer Soldat au f E uropas Festland stehe, w erde das H eer der Feinde niedergerungen sein.
(W e n n G eneral L udendorff, wie gedruckt w orden ist, den B otschafter eines trügenden G ed äch tn iß bild es zeiht, so kann ich bezeugen, daß G ra f B ernstorff noch in Kreuznach unserem F reund Ballin, am nächsten Tag, ohne G roll, in Berlin das Ge#
spräch bis ins Kleinste genau so w iedergegeben hat wie jetzt im V erhör.) D as w ichtigste E rg eb n iß d er A u ssch uß sitzung war die öffentliche Feststellung der Thatsache, d aß schon am acht«
zehnten Ja n u ar 1916 der D eutsche Kaiser sich schroff gegen W ilso n s V erm ittlung gew andt u n d an den Staatssekretär Zim»
m erm ann telegraphirt hat: „Es w ird vorgegangen!“ A u f die G e fa h r, daß auch A m erika uns den Krieg erkläre. Dieses Telegram m ist V erhängniß gew orden.
V o r e lf J a h r e n
„A m achtundzw anzigsten O k to b e r 1908 stand in der lon=
d o n er Z eitu n g T he D aily T elegraph ein A rtikel, der den T itel ,T he G erm an Em peror and E ngland' trug un d als per*
sonal interview bezeichnet war. D er Verfasser ließ den D e u t
schen Kaiser in direkter Rede zu einem entam teten britischen D iplom aten sprechen. ,Ihr Engländer seid völlig verrückt.
O ft u n d laut habe ich Euch gesagt, d aß einer der heißesten W ün sch e meines H erzens der ist, mit E ngland in bester Freund»«
schaft zu leben. Falschheit u n d A rglist sind meinem W esen
frem d u n d m ein H andeln bew eist die W ah rhaftig keit m einer
W o rte . D a ß Ihr sie m iß d eutet u n d m ir nicht glaubt, em pfinde
ich als eine schwere persönliche B eleidigung. Ein großer
T heil Eurer Presse w arnt das V olk, die H a n d , die ich Euch
hinstrecke, zu fassen, u n d behau ptet, m eine andere H an d
halte einen B ritanien b ed ro h en d en D olch. Ich kann imm er
n u r w iederholen, d aß ich E nglands F reund bin. A ber ich bin
in m einem Land m it diesem G efü hl in der M inorität. In
breiten Schichten D eutschlands, unten u n d im M ittelstand,
Wie es kam 125 ist die Stim m ung Euch unfreundlich. M it aller K raft arbeite ich an der Besserung unserer Beziehungen: u n d Ihr seht in m ir den Erzfeind. W ä h re n d des südafrikanischen Krieges war D eutschland von bitterster Feindschaft gegen Euch er*
füllt. Oeffentliche u n d private M ein u n g kehrte sich w ider England. W as aber th at ich? W e r hat denn der R undreise der von den Buren A bgeordneten, die eine europäische Inter*
v ention gegen Euch erw irken sollten, ein Ende gem acht?
Ich. D ie Leute w aren in H o llan d u n d Frankreich b ejubelt w orden u n d auch das deutsche V olk hätte ihnen gern Kränze gew unden. Ich aber weigerte mich, sie zu em pfangen: u n d sofort hörte die A g itatio n auf u n d E u re F e in d e k onnten nichts ausrichten. A ls in Südafrika der hitzigste K am pf tobte, for*
d erten die Regirungen von R u ß lan d u n d Frankreich uns auf, gemeinsam vorzugehen u n d die B eendung des Krieges zu erzw ingen; sie m einten, die Stunde sei gekom m en, w o man E ngland bis in den Staub erniedern könne. Ich a n tw o rte te ,.
D eutschland w erde nie an der V orbereitung einer Nieder*
läge Britaniens m itw irken, nie für eine P o litik zu haben sein, die es in einen K onflikt m it einer Seemacht vom Rang Eng*
lands zu bringen verm öchte. Im A rchiv des Schlosses W in d so r liegt das Telegram m , in dem ich damals der K önigin Victoria den Plan Eurer Feinde u n d meine abw eisende A n tw ort mel*
dete. D as ist noch nicht Alles. In der Schwarzen W o ch e (im D ezem ber 1899), als Eure Fehlschläge sich häuften un d ein Brief m einer verehrten G ro ß m u tte r den tiefen K um m er ihres G em üthes verrieth, begnügte ich mich nicht m it einer schnell m eine Sym pathie ausdrückenden A ntw ort, sondern th at noch m ehr: ich ließ von einem m einer Offiziere die K opfzahl u n d die P osition der in Südafrika auf beiden Seiten fechtenden T ru p p e n feststellen, entw arf nach diesen A ngaben den u n ter solchen U m ständen fü r E nglands Interessen taug*
lichsten Feldzugsplan u n d schickte ihn, als m ein General*
stab ihn gebilligt hatte, nach E ngland. A uch dieses Doku*
m ent liegt in W in d so r Castle. U n d m ein K riegsplan glich
in allem W esentlichen dem vom Lord R oberts dann m it
Erfolg ausgeführten. H an d elt so ein Feind E nglands? A b er
Ih r sagt, unser F lotten bau b ed ro h eE uch . N e in : W ir brauchen
126 Die Zukunft
eine große Flotte, um unseren H an d el u n d unsere anderen Interessen zu schützen. D e r Kreis dieser Interessen w ird sich noch erw eitern. W ir m üssen uns für die Auseinander*
setzung vorbereiten, die im Stillen O zean (früher, als M anche glauben) n ö th ig w erden w ird. Japans rascher A ufstieg und C hinas Erw achen zeigt, welche A ufgaben im Fernen O sten von den europäischen M ächten zu bew ältigen sind. U m für den Kam pf um die Z u k u n ft des Stillen O zeans in Be»
reitschaft zu sein, brauchen w ir eine starke Flotte. W en n in diesem K am pf einst britische u n d deutsche G eschw ader für die selbe Sache streiten, w ird auch E ngland sich der That*
sache freuen, d aß D eutschlan d sich eine große Flotte ge»
schaffen h at.“ D as ist der H a u p tin h a lt der personal interview.
A ls sie in D eu tsch land bekan n t w urde, glaubten einfältige G em üther, M ein u n g und W o rt des Kaisers seien gefälscht, entstellt un d m indestens durch groben V ertrauensbruch ans Licht gebracht w orden. D ie E nttäuschung kam schnell. W olffs Telegraphisches B ureau u n d die N o rd d eu tsch e Allgem eine Z eitu n g übernahm en den A rtikel des D aily Telegraph. Da*
m it w ar der W o rtlau t b eglaubigt; war auch erwiesen, daß d er Kaiser die V erbreitung w ünsche. N u n brach der Sturm los; drinnen und draußen. W u th u n d H o h n , G eheul und G elächter im A u slan d ; überall. In D eu tsch land eine leiden»
schaftliche E m pörung, wie sie ein H a lb ja h rh u n d ert lang nicht erleb t w ard; in N o rd un d Süd; in allen Ständen; auch in der Arm ee. N iem als war ü b er den Kaiser lau t so geredet, nie noch so geschrieben worden.
D ie Kaiserkrisis ist A llen sichtbar gew orden. Seit sech»
zehn Jahren w ard hier gesagt, d aß sie kom m en müsse, wenn erw achender M assenm uth zu W ah rh aftig k eit nicht ein W un*
deL wirke. Seit dem M ärz des Jahres 1890 hatte die mäch*
tigste deutsche Stimme sie angekündet. W a r Bismarck ein
verbitterter G reis, der ins A m t zurück w ollte? H a t er nicht
Alles, was geschehen ist, vo rausgeahnt? W ir m üssen dafür
sorgen, daß nicht auch seine düsterste Prophezeiung noch
erfüllt wird. W ir w ollen n ich t neue Sündenböcke in die
W ü ste schicken; nicht betitelte u n d besternte H erren zu
Prügelknaben machen. D ie H albm änner, deren schädlicher
Einfluß Jahrzehnte lang, U nheil zeugend, fortgew irkt hatte, sind beseitigt. W as sie angerichtet haben, sieht jedes un*
getrü bte Auge. O b die Spur ihres Trachtens je ganz weg*
zuw ischen sein w ird, b leibt fraglich. D o ch der Ring ist ge*
sprengt. U n d unzulängliche R athgeber nisten sich überall ein. Jetzt hat die N atio n m it dem Kaiser zu reden. N u r mit ihm. D ie Fehler der H andlanger verschw inden neben der furchtbaren G efahr, die er heraufbeschw oren hat. D em Reich heraufbeschw oren h ätte, auch wenn keins der vor B ritenohren von ihm gesprochenen W o rte gedruckt w orden wäre. M erk t die K urzsicht noch immer nicht, daß die Ver*
öffentlichung der Interview in dem traurigen Stück deut*
scher G eschichte der einzige A k t ist, der uns T ro st gewäh*
ren k a n n ? D a ß in dem Streit um das Bestim m ungrecht des deutschen Volkes die H auptfrage nur lauten darf: H a t der D eutsche Kaiser die Sätze, die der britische O berst ihm zu*
schrieb, gesprochen?
Er hat sie gesprochen. K onnte sie sprechen. U n d hat, als er sie las, in ihnen den A u sd ruck seines D enkens und W ollen s erkannt. Seine A bsicht war, den Briten zu sagen, d a ß er sie herzlicher liebe, als der M ehrheit seiner Lands*
leute erw ünscht sei; daß er ihr Reich vor dem Zusammen*
bruch b ew ahrt, in tiefster N o th ih n en , die im Landkrieg rathlos w aren, den w irksam en Feldzugsplan geliefert, die heim lich w ühlende Feindschaft der (ihnen jetzt eng befreun*
deten) M ächte vereitelt, die E in ladu n g in ein antibritisches B ündniß nicht n u r abgelehnt, so n d ern , trotzdem sie Ver*
schw iegenheit bedingte, nach L ondon gem eldet habe; und d a ß die deutsche Flotte zum K am pf gegen Jap an u n d C hina bestim m t sei. D ie M ehrh eit der D eutschen h a ß t England (also hab t Ihr die Kriegsgefahr vor der T h ü r und die W ahl, o b Ihr m orgen losschlagen oder noch hastiger D readn ou gh ts bauen w ollt). W e n n ich die russischen und französischen A nerbietungen, die im V ertrauen auf unsere D iskretion nach Berlin kam en, nicht abgewiesen un d flink m einer Groß*
m utter m itgetheilt h ätte, wäre es Euch schlecht gegangen (ü b erleg t also, ob R ußlan d u n d Frankreich zuverlässige Freunde sin d ). U m Euch aus der O hnm acht zu helfen,
Wie es kam 1'27
1 2 8 Die Zukunft
habe ich, der höchste K riegsherrd es deutschen H eeres, einen Feldzugsplan für die britische Arm ee ausgearbeitet (also die N eutralitätpflicht verletzt) u n d dem G ro ß en G eneralstab zur P rü fun g übergeben (also die Z eit m einer klügsten Offiziere .in E nglands Interesse belastet). M eine Flotte baue ich, um fü r den K am pf um den Stillen O zean stark zu w erden (also m erket Euch, d a ß wir da große A m bitionen haben, u n d er#
zählet den gelben M ännern, d aß w ir ihnen ans Leben wol#
len). D as hat W ilhelm der Zw eite, D eutscher Kaiser und König von Preußen, vor E ngländern gesagt. D a ß Einer, der sich der M acht entkleiden will, so spräche, wäre noch zu begreifen. A uch ihm m ü ß te staatsm ännischer Sinn empfeh#
len, die H errscherhoffnung des E rben nicht im Keim zu zerstören. D a ß Einer, der w eiterregiren will, sich d rau ßen so um alles V ertrauen, um allen G lau b en an seine E ignung für die einfachsten A u fgaben der P olitik gebracht hat, ist ohne Beispiel in der neuen G eschichte. O h n e Beispiel auch die W irk u n g dieser W o rte auf dem w eiten R und der Erde.
A ngeln, Rom anen, Slawen, M ongolen stehen gegen uns ver#
eint. Vom W e iß e n bis zum G elben M eer W u th u n d H o h n . W ill der Kaiser u n d K önig der K rone entsagen? In geringerer, in nicht selbst verschuldeter Fährniß hat sein G ro ß v ater daran gedacht. D en Enkel w ird kein Frauen
w unsch u nd keine V olk sd ro h un g drängen. Sein W ille ist frei. D och er d arf sich nicht darü ber täuschen, daß seine V olksgenossen jetzt gegen ihn sind u n d d aß kein Kanzler sich, der alte nicht noch ein neuer, halten kann, der nicht aus dem M u n d e des Kaisers die Bürgschaft unverbrüch*
licher Selbstbescheidung bringt. D ie m uß D eutschland for*
dern. A uch das H a u s H ohenzollern. In dieser grausam ernsten Stunde noch. Sonst w ird es zu spät.
W e r das N ah en der Kaiserkrisis früh erkannt, fast zwei Jah rzeh n te lang vor ihr, tro tz Schm ähung, Vermögensschä#
dig u n g , Einsperrung, als vor der d ro h en den Reichsgefahr
furchtlos gew arnt hat, D er brau cht sich.jetzt nicht in Schweiß
zu schreien, um den A pplausspendern zu beweisen, d a ß
ihm im D unstk reis der M ajestät feige Scheu nicht für immer
die Kehle zugeschnürt hat. D e r d arf ru h ig reden; gelassen
Wie es kam 129"
wie Einer, der von u nbestrittenen, unbestreitbaren That*
sachen spricht. Sind sie bestritten w ord en ? Sind sie zu be»
streiten? N ic h t Einer hats auch n u r versucht. Im weiten deutschen Land nicht ein irgendw ie Beträchtlicher, dem Fron*
pflicht nicht das Kreuz so nutzlosen M ühens aufzw ang/
So weit sind wir. Endlich. U n d d ürfen aufathm en: denn der Erdkreis m erkt n u n w ieder, daß auf deutschem Boden nicht eine H eerde lebt, die der W in k des H irte n auf eine kahle D ü hnen k lipp e treib t oder in den Stall pfercht. D a ß germ anische V olkheit im Q ualm der Städte den Stolz freier Sassen noch nicht verlernt hat; daß sie nach selbstherrlichem Ermessen ihr V ertrauen giebt u n d nim m t; u n d, w enn Noth*
w endigkeit befiehlt, dem H a u p t der in ihrem Bereich mäch*
tigsten Familie m it u nüb erhörb arer Stimme, wie H iobs G o tt einst dem wilden M eer, zuruft: ,Bis hierher d arf D eine Ge*
w alt reichen un d nicht um Fußes Breite je w eiter!1 D as ist geschehen. D a der W u n sch treuer H erzen, die M ajestät möge sich w ieder m it W o lk e n kleiden u n d in D u n st wie in W in*
dein wickeln, unerfü llt geblieben ist, im G ebraus üppigen H oflagerlebens w ohl gar nicht vernom m en w ard, haben tau*
send schrille Stimmen von dem Kaiser u n d K önig G ehö r erzw ungen. In den rauhen C h o r klang eine from m m ahnende W eise hinein; wie ins Feuergeläut der um florte T o n einer T otenglocke. D er V orstand der K onservativen Partei hat eine E rklärung veröffentlicht, in der gesagt w ird: ,W ir sehen m it Sorge, d aß A eußerungen Seiner M ajestät des Kaisers*
gew iß stets von edlen M otiven ausgehend, nicht selten dazu beigetragen haben, zum T heil durch m ißverständliche Aus*
legung, unsere A usw ärtige P o litik in schwierige Lage zu bringen. W ir halten, geleitet von dem Bestreben, das kaiser*
liehe A nsehen vor einer K ritik u n d D iskussion, die ihm nicht zuträglich sind, zu bew ahren, u n d von der Pflicht be*
seelt, das D eutsche Reich u n d V olk vor Verw ickelungen u n d N achtheilen zu schützen, uns zu dem ehrfurchtvollen Aus*
druck desW unsches v erbunden, d aß in solchen A eußeru ng en
kü nftig eine größere Z u rü ck h altu n g beobachtet werden m ö g e /
Eine Totenglocke. D ie einen ehrw ürdigen W a h n zur letzten
R uhstatt geleitet. Ein K önig von G o ttes G n aden dürfte nie
130 Die Z u k u n f t
getadelt, niem als zu ,g rößererZ u rück h altu n g‘gem ahnt werden.
D er w üß te besser als jeder A ndere, was ihm ziemt, was dem Lande from mt. D e r fünfte N ovem bertag des Jahres 1908, der diese E rklärung gebar, ist aus Preußens Geschichte nicht m ehr zu tilgen. V or zwanzig Jahren, beim Johanniter*
m ahl in Sonnenburg, hat W ilhelm der Zw eite die .Edelsten des V olkes4 als seine zuverlässigsten H elfer gerühm t. Sechs Jahre danach sprach er in der K rönungstadt preußischer K önige: ,W ie der Epheu sich um den knorrigen Eichstamm legt, ihn schm ückt m it seinem Laub u n d ihn schützt, wenn Stürm e seine Krone durchbrausen, so schließt sich der preußi*
sehe A del um mein Haus.* D er sichtbarste Theil des A dels hat vor der A n tw o rt auf die Reichslebensfrage so lange ge*
zaudert, daß die kaiserliche Katachrese an Sätze erinnern m ußte, die G oethe ins Buch seines Erlebens schrieb: ,W ie die M ollusken keine K nochen, so hat der Epheu keinen Stamm, mag aber gern überall, wo er sich anschm iegt, die H au ptro lle spielen. A n alte M auern gehört er hin, an denen o h n eh in nichts m ehr zu verderben ist, von neuen G ebäuden entfernt man ihn billig; die Bäume saugt er aus un d am A llerunträglichsten ist er mir, wenn er an einem Pfahl hin»
au fk lettert u n d versichert, hier sei ein lebendiger Stamm, weil er ihn um laubt habe.* D ie Z eit ist vorbei. D er A del will nicht länger anschm iegsam er Epheu sein. N ic h t blind, w ie ihm zugem uthet w ard, durch D ick und D ü n n folgen- N o ch aber ist nichts gew irkt, nichts gesühnt, nichts ver»
bürgt. Ist durchaus nicht sicher, daß nach ein paar W ochen das alte Leid nicht w ieder die V olkskräfte lähm t. D as abe d a rf nicht sein. U m des Reiches, auch um des Kaisers willen.
,D er Dreizack gehört in unsere F a u st4 ,D er A dm iral des A tlantischen Ozeans g rü ß t den A dm iral des Stillen O zeans.4 ,A uf dem Erdball keine E ntscheidung m ehr ohne Mitwirk*
u n g des D eutschen Kaisers!4 ,H ohenzollern*W eltherrschaft.4 , D eutschland in d e rW e lt vornan!1 K onnten solcheW ortedem Briten lieblich klin g en? U n d schlimmere sind gesprochen w orden; viel schlimmere geschrieben. Ist E ngländern zu ver»
argen, daß die hitzige W e rb u n g um die Liebe der Moham*
m edaner u n d A m erikaner, daß die P o litisirung der Bagdad#
Wie es kam 131 bahn, die als gunstloses G eschäftsunternehm en die C ity nicht beun ruh igt hätte, ihr M ißtrau en w eckte? D a ß sie der M är nicht trauen, D eutschland dehne sein Steuerrecht bis an den Bezirk der V erm ögenskonfiskation, n u r um seinen H andel zu schützen, trachte n u r deshalb, neben dem stärksten Land*
heer sich eine seinen K olonialbesitz ins U ngeheure über*
wachsende Flotte zu schaffen? Kriegsschiffe, deren Stapellauf m it Schlachtgesängen u n d hellen Fanfaren der Erobererhoff
n ung gefeiert w ird? O h n e V erständigung ü b er die G renzen der Seemacht keine aufrichtige Freundschaft m it England.
Niem als. D en n für E ngland ists die Lebensfrage, ob es die ungefährdete H errschaft über die M eere behält; u n d es m uß Jeden hassen, ders zwingt, noch schwerere, theurere R üstung auf sich zu nehm en. U n d die anglo*deutsche K onfliktsgefahr w irkt über den Erdkreis hin u n d bestim m t in O rient und O c c id e n td ie G ru p p iru n g der M ächte.D as könnte jed er Nüch?
terne wissen. W o z u dann die stete U m Werbung, die den stol*
zestenD eutschen längst auf die N erven fällt? Seit dasT em po des Flottenbaues nach jähem , leider allzu suggestivem Ent#
Schluß beschleunigt w orden ist, steht D eutschlands internatio*
nale P olitik un ter w idrigem G estirn. U n d was w ird die H äu f, ung der finanziellen un d der politischen Schwierigkeiten schließlich erreichen? W as die Fam ilienpolitik in der Buren*
kriegszeit erreicht hat: neue, vorher unahnbare K oalitionen.
N u r ein für die bedächtige K onstruktion u n d die stille A bw ickelung politischer G eschäfte völlig ungeeignetes Tem*
peram ent konnte hoffen, ein H errenvolk von alter K ultur und politischem G enie dadurch zu gew innen, d aß m an, als Erbe nachgew achsener M acht, ihm sagt: ,W en n ich Euch damals nicht gerettet hätte,w äre es Euch m iserabel gegangen'; u n d zu verstehen giebt, wie die G n ad e des V erw andten der Unfähig»
keit in K olonialkriegen ergrauter Krieger aus dem Sum pf ge*
holfen h a t; einem V olk zu verstehen giebt, dessen im V erkehr m it D eutschland em pfindlichster P u n k t das B ew ußtsein mili*
tärischer Schwachheit ist. W e r so oft, so furchtbar geirrt hat, kann V ertrauen in seine E ignung zum A m t eines'Reichsge#
schäftsführers niem als m ehr heischen.
Im Ja h r 1898' hat R ußland vorgeschlagen, den Prinzen
132 Die Zukunft
G eorg von G riechenland zum G ouv erneu r von K reta zu er#
nennen. A u f diesem P osten, hat A b d ul H am id erw idert, werde ich nie einen Frem dling dulden. D ennoch w ird, als in K andia d er B ritenkonsul w ährend eines Straßenkam pfes von w üthenden M usulm anen getötet w orden ist, die frem de Be#
Satzung auf Kreta verstärkt u n d die Pforte gezw ungen, ihre T ruppen von der Insel zurückzuziehen. A m dreißigsten Ok#
tob er 1898 spricht in Bethlehem der D eutsche Kaiser zu den evangelischen Pfarrern: ,A u f die M oham m edaner kann nu r das Leben der C hristen E indruck machen. D a ß sie vor dem christlichen N am en keine A chtung hab en , kann ihnen kein M ensch verdenken. Politisch reiß t man, u nter allen mög#
liehen V orspiegelungen, ein Stück nach dem anderen von ihnen w eg, w ozu m an gar keine B erechtigung hät.‘ A cht Tage danach antw ortet er in D am askus au f die A nsprache des Scheichs: ,M öge Seine M ajestät der Sultan und m ögen die d reih u n d ert M illionen M oham m edaner, welche, auf der Erde zerstreut leb en d ,in ihm ihren Khalifen verehren, Dessen versichert sein, daß zu allen Z eiten der D eutsche Kaiser ihr Freund sein w ird.' Z u allen Zeiten. D as ist ein festes Ver«
sprechen. D rei W ochen zuvor ist das G erüch t von einem anglo*deutschen V ertrag durchgesickert. K risenstim m ung. Ni#
kolai A lexandrow itsch hat die A b rü stu n g em pfohlen. Bei Fa#
schoda w ird eine neue Reibungfläche zwischen E ngland un d Frankreich sichtbar. . . H a t das D eutsche Reich w irklich den Briten Südafrika sam m t der D elagoabai überlassen, dann ist Frankreichs K olonialm acht b ed roh t; w ird die R epublik die Folgen der U n k lu g h e it spüren, die, als H an o tau x gefallen war, den deutschen Vorschlag einer V erständigung über die ostasiatischen Fragen unb ean tw o rtet ließ. C ham berlain rü h m t in W akefield das neue anglo^deutsche A bkom m en als einen wichtigen Erfolg der U n io n isten reg iru n g un d versichert die ,deutschen Freunde', d aß E ngland ihnen nie zum uthen w erde, für englische Interessen O pfer zu bringen. Schon am Lord«
m ayorstag aber erw ähnt Salisbury in der G u ild h all die Freund«
schaft m it D eutschland nicht m ehr; erinnert er an die Mög#
lichkeit eines um das T ürken erb e entbrennenden Krieges, für
die B ritanien seine Seemacht stärken m üsse. W as ist geschehen?
Wie es kam 133 D er D eutsche Kaiser ist als T riu m p h ato r d urch das Osmanen»
reich g ezogenund hat dem Islam ungefährdetes Leben verbürgt.
Persönliches Regiment. Kaum Einer hatte gew ußt, welches U nh eil da wuchs. Einer, ders ahnte, stöhnte, als der Plan der O rientreise auftauchte, im Sachsenwald, seine T rom pete sei leider durchschossen; sonst hätte er m it letzter Lungenkraft noch das alte W arnerlied wieder geblasen. U n d wäre gewiß w ieder nicht geh ört worden. H ier w urde gefragt, ob man w irklich glaube, d aß die W estm ächte still zuschauen w erden, w enn der D eutsche Kaiser versuche, im O rien t alle anderen H errschergestalten zu überstrahlen; ob der Papst nicht für sein Protektoratsrecht,O esterreich»U ngarn für seinenBalkan*
handel fürchten werde. Vergebens. H u n d e rt Posaunen preisen die hohe B edeutung der Reise. ,A uf A llerhöchsten Befehl4 w ird, als kehre ein vom Sieg gekrönter K reuzritter heim, ein feierlicher Einzug veranstaltet. A m ersten D ezem bertag steht der O berbürgerm eister, barhäuptig, trotz schlechtem W etter, am B randenburger T h o r, reckt die D enk erstirn in die H öh e des Pferdekopfes u n d giebt, im N am en der .braven Bürger#
schaft4, dem D ankgefühl u n d dem H u ld ig u n g b ed ü rfn iß der R eichshauptstadt m annhafte W orte. Fünfzig Jahre nach Acht?
undvierzig; u n d W ilhelm nennt, wie der G ro ß o h m ,d ie Stadt?
genossen .meine lieben Berliner*. In der T h ro nrede w ird die Reise ausführlich erw ähnt; w ird auch gesagt, dem D eutschen Kaiser (dessen T itel un d M acht doch nicht aus den W olk en, sondern aus der versailler Spiegelgalerie stam m t) sei .die Ge»
w alt von G ottes G naden verliehen1. W ie in der Z eit, da Z ions H errlichkeit durch den T raum Friedrich W ilhelm s spukte. U m die auf horchenden W estm ächte rasch zu be?
ruhigen, versichert G raf Bülow , der Staatssekretär, im Reichs?
tag, die O rientreise habe nicht die ,ihr untergeschobenen M otive u n d Z iele4 gehabt. .D eutschland hat im O rient keine direkten politischen Interessen.4 Z u den Reden von Beth?
lehem un d D am askus stim m t die neue T o n art nicht. Da»
hinter steckt Etwas, d en kt m an in L ondon; denkts in Paris.
Vergessen ist die G lückw unschdepesche, die W ilhelm prom pt
nach Kitcheners Sudansieg an die G ro ß m u tter sandte; ist alle
A rtigkeit, die er eifernd Franzosen erwies. Delcasse klopft,
134 D ie Zukunft
noch m it schüchternem Finger, bei Salisbury u n d C urzon an.
,Seht Ih r nicht, was Euch b ev o rsteh t? U n s A llen ? U m die Liebe der M usulm anen w irb t der Im perator, weil er will, d aß sie in der seinem T rachten günstigen Stunde die b riti
sche H errschaft vom E rdball abschütteln. D ie B agdadbahn, fü r die er sich wie ein A ufsichtrathsm itglied oder ein an
derer A cquisiteur eingesetzt hat, soll ihm den trockenen W eg nach In d ien sichern. U n d d aß d er hastige Flotten bau nicht von der N o th w en d ig k eit des H andelsschutzes geboten ist, brauche ich Euch nicht erst zu bew eisen.4 W o die W u th üb er W ilhelm s Telegram m an Paul K rüger nachzittert, m uß solche W a rn u n g wirken. D u rch die D reyfuskrisis u n d den B urenkrieg w ird die E ntw ickelung verzögert. E nglands Miß*
trauen ist aber nie m ehr geschw unden. A uch nicht, als der Enkel der G ro ß m u tte r den Plan zur V ernichtung der Buren geschickt u n d ausgeplaudert hat, d a ß R u ß lan d u n d Frank*
reich ihn in einen antibritischen C oncern ziehen w ollten.
N ie wieder. D ie M ächte, von denen 1808 C au lainco urt ge*
sagt hatte, sie k ö n n ten niem als B undesgenossen w erden, u n d die noch bei Faschoda, noch in den Tagen von Ladysm ith und M afeking u nversöhnbar schienen, befreunden sich, ver
loben sich gegen die ,deutsche Gefahr*. W eil der D eutsche K aiser Poseidons D reizack u n d das W eltarb itriu m für sich geheischt, die B uren zum K am pf erm untert, die gelbe gegen die w eiße M enschheit aufgestachelt, nach ostasiatischem Be
sitz die H a n d gestreckt, sich den A d m iral des A tlantischen O zeans genannt, im K halifat u n d im Scherifenreich die Rolle des Islam retters an sich gerissen hat. N u r d e s h a lb ... Per
sönliches Regiment.
D essen W e rk war die franko*russische, die franko*bri*
tische, die anglo*russische V erständigung. W as unm öglich schien, w urde E reigniß. T o tfein d e verscharrten den alten H a ß u n d schw oren einander Treue. W e r trieb sie in so seltsame B undesgenossenschaft? W aru m sah ein Reich, das T ag vor T ag seine friedliche A bsicht betheuerte u n d von keiner Beute je einen saftigen Fetzen erschnappte, sich plötz*
lieh auf allen Seiten von Feindschaft u m rin g t? W e il das
H a u p t dieses Reiches zu oft den M u n d geöffnet, zu oft m it
W ie es kam 135
der A n k ü n d u n g g ro ß er T hat, m it V erheißung, D ro h u n g , W e rb u n g den Erdkreis b eu n ru h ig t hatte u nd weil schließ»
lieh Jeder die E inkreisung des Ruhestörers w ünschte. Ge*
m einsamer W id erw ille ist stärker als die Sucht nach Augen»
blicksvortheil. A lle m ißtrauen dem D eutschen Kaiser; aus allen Ecken züngelt der H o h n nach ihm : und w ir haben keine W affe, die ihn w irksam vertheidigen könnte. In den skandinavischen Ländern sogar ist offiziös erklärt w orden, seit man W ilhelm so kenne, wie er sich in der Interview selbst dargestellt habe, müsse m an von ihm abrücken und in den Britencöncern eintreten. D er englische Premier»
m inister verspricht den Franzosen H ilfe für den Fall naher Fährniß. D as eine Beispiel zeigt den sichtbaren Segen des persönlichen Regimentes. Jedes der zwanzig Unheilsjahre»
die hin ter uns liegen, hat ihn jedem wachen A uge gezeigt.
W arum ist D eutschland, das, trotz seiner Kraft, in dieser Z eit Keinem auch nu r das winzigste Stück genom m en hat, vereinsam t un d ringsum g e h a ß t? W eil es sich von dem un?
steten W illen eines Kaisers lenken ließ, der keinen Bluts*
tropfen eines Staatsmannes in sich hat. N e u n Zehntel aller Schwierigkeiten, die das Reich hemm en, hat die persönliche P olitik dieses Kaisers bew irkt. Sie zu enden, ehe von ih rr wie Bismarcks trü b e r Blick ahnte, das Reich zerstört ward*
ist nationale Pflicht. Bonaparte hatte sich m it dem Schwerte den W e g auf den T h ro n gebahnt u n d zwar nicht den Land»
besitz, doch den Phantasieschatz und den K riegerruhm eines nach A nerken nu ng d ü rsten d en ,"k au m der Lilienfron ent*
laufenen Volkes fü r die D au er gem ehrt. D em Lande, das
er allein vor den Bütteln E uropas zu schützen verm ochte,
durfte er, so lange die Schlachtenfortijna ihm lachte, den
W illen seines hem m unglosen G enius aufzw ingen. Friedrich
W ilhelm d er Vierte war ein schwächlicher Schöngeist, d er
den starken M ann spielen w ollte un d dessen krankes H irn
w ähnen m ochte, Fritzens P reußen sei fü r die Freiheit noch
nicht reif. W ilhelm der Zw eite, der vierzig Jah re nach der
R evolution auf den Z o llern th ro n kam u n d im Reich kein
M onarch ist, hat der N atio n nie N ützliches geleistet und
für seinen W ille n dennoch die höchste G eltu n g verlangt.
136 Die Zukunft
N u n sieht er die Ernte. W en n s ihn, nach allem Gesche*
henen, m öglich d ü n k t, w ird er die Krone auf seinem H a u p t be*
halten. D och niemals w ieder d arf an seinem W illen das Schicks sal des D eutschen Reiches, deutscher M enschheit hängen.
A ls der verhängnißvolle A rtikel im D aily T elegraph erschienen war, em pfahl der Kaiser den R ekruten in zorniger Rede strenge Selbstzucht. A ls D eutschland in Scham und Schmerz erbebte, ging er auf die Jagd. Z uerst nach Eckartsau, wo er sich dem Erzherzog Franz F erdinand als G ast ange»
sagt hatte. D ie Frau des Schloßherrn lag, m it schwerer In*
fluenza, in K indsnöthen. D er M ann m ußte ihr, für die er d e r H o ffn un g auf ebenbürtige N achkom m enschaft entsagt hat, fern bleiben un d für das Jagd«* u n d Tafelvergnügen des hohen Gastes sorgen. D as Paar lebt einfach, wie an*
dere E delleute auf dem Land. N u n m ußten A utom obile herbei (d er Kaiser braucht ein H alb d u tzen d für sich und sein G efolge); m ußte aus dem W aldrevier das W ild zu*
sam m engetrieben, das Schloß zu P ru n k u n d Lustbarkeit ge*
rü stet werden. W ir lasen, daß Franz F erdinand die Flinte nicht in die H an d nahm ; d aß W ilhelm an einem T ag drei D utzend H irsche schoß u n d in fröhlichster Stim m ung war.
D ann gings nach D onaueschingen zum Fürsten M ax Egon von Fürstenberg. O b der m untere Kavalier sich diesm al eine W achsnase geklebt hat, die er in der W irm e des Kerzen*
lichtes langsam abtropfen ließ, erfuhren wir nicht; dieses K unststückchen soll ihm früher viel Beifall ein gebracht haben.
Sogar die Zahl der geschossenen Füchse blieb uns verborgen.
M ancherlei aber vernahm en wir. A us Berlin u n d aus Frank*
furt waren Bänkelsänger gerufen w orden, die C ouplets vor*
tru g en . A n den A benden, wo E uropa die Berichte über die K aiserdebatte des Reichstages las, ,D er Kaiser u nd die hohen H errschaften applaudirten stürm isch u n d sprachen in per*
sönlicher U n terredu n g ihre dankbare A nerkennung für das b rillant gew ählte Program m u n d die tadellose V orführung aus.4 Ein in Berlin sehr bekannter C abaretier hatte m it zwei G efäh rten der Jagdgesellschaft einen frohen A b en d bereitet.
Geschmackssache. D a an B ord der ,H o h en zollern‘ Matrosen*
kapellen, verm um m te C oupletsänger, D am enkom iker, Salon*
W ie es kam 137
zauberer, G edankenleser, sogar G enerale als C ancantänzer gern gesehen sind, mag solches Biervergnügen auch an der D o n au m unden. Jagd, Frühstück im W ald,T afelm usik,T ingel«
tangel, ausgelassene H eiterkeit: der Kaiser un d K önig wollte keinen Zweifel d arüber lassen, daß ihn die im Reichshaus anberaum te G erichtssitzung nicht beküm m ere. Kanzler, Bun«
desrath, Reichstag, Staatsm inisterium betrauern des Reiches N o th und fordern den T h ro n en d en auf, das A nsehen der Krone fortan besser zu w ahren; das Land beb t in Krämpfen und kann seinen G ram nicht, kann seine Scham nicht länger bergen; aus spöttischem A uge blickt der Frem dling über die G renze und scheint zu fragen, ob, was er da sieht und hört, sich wirklich im Reich W ilhelm s und Bismarcks er«
eigne. D er Kaiser will der W e lt beweisen, daß solches Ge«
triebe ihm nicht eine A ben d stu n d e verdüstert. ,M ein Kurs ist der richtige und er w ird weitergesteuert.* D er Kaiser jagt, schlägt sich, wenn der Bänkelsang einen saftigen W itz bringt, auf den Schenkel und lacht, d aß die Scheiben zittern.
D er Kaiser ist lustig. Er ahnt nicht, was d raußen w ird.
W ilhelm jagt m ehr als seit der U nheilszeit Ludw igs des Sechzehnten wöhl je ein Regirender; u n d eine Jagdart, die in kurzen Stunden D utzende, H u n d e rte von T hieren auf die Treiberstrecke bringt, ist von edlem W aidw erk recht fern.
A us dem H o fb e ric h t m üßte festgestellt werden, wie viele Tage im Jahr der Kaiser auf der Jag d verbringt. Er reist und zerstreut sich ein Bischen viel. E d uard m acht m eist Geschäftsreisen, von denen er Etwas heim bringt; geht er an die See oder in die böhm ische Q uellenstadt, dann lebt er wie ein reicher Privatm ann und lernt dabei Leute kennen, die er sonst nicht sieht. D er bewegliche V ictor Em anuel sucht im G ew ühl zu verschw inden. Selbst der alte Franz Joseph lebt in Ischl kaum anders als ein w ohlhabender Feld«
zeugmeister. N u r W ilhelm zieht imm er m it dem ganzen Im perato rpru nk durch die W elt. D iese Freude wäre ihm zu gönnen, wenn ihr nicht ein höchst gefährlicher Irrthum erwüchse. W o was zu schauen ist, sammeln sich Gaffer.
W o das A uge sich um sonst sättigt, ist die H and zum A pplaus, die Kehle zum Ju b e l bereit. D en W enigen, die ihm vom
11
138 Die Zukunft
U n m u th des Volkes zu sprechen wagten, hat der Kaiser lachend geantw ortet: ,Sie sind w ohl nicht von hier? A u f m einen Reisen sehe ich doch, wie das Volk denkt. Zeitung#
Schreiber un d Parteibonzen nörgeln. D ie N a tio n jauchzt m ir zu.‘ Leider: weil ihr Tubel nicht aus dem H erzen kom m t;
n u r aus heftig erregten Sinnen. A uch dem Perserschah w ürde zugejauchzt, wenn er in solcher Pracht einherkäm e. D ie Reizmittel des Caesarism us wecken in jed er M asse die Lust, m it H a n d u n d M u n d wenigstens in dem A usstattungstück m itzuw irken, das da durch die Straßen gefüh rt w ird. Wer*
ben dem in ewiger G lorie Spazirenden aber nicht haltbare Liebe. D er Kaiser hat sich einst einen .Richter in Empfängen*
genannt. D iese Em pfänge w erden sorgsam inszenirt un d oft zuvor m it Statisten du rch p rob irt, bis .Alles klappt'. D as Schauspiel ist ohne E intrittsgeld zu genießen : kein W u n d er, d aß die M enge herbeiström t. N ach dem grauen A lltag ein buntes V ergnügen: ,H u rra!' A m A bend freut der Kaiser sich dann des K inem atographen, der den Em pfangenen und die Em pfänger im Bild zeigt. ,W ie mein V olk heute wieder g ejub elt hat, als es mich sah!‘ U n d ist glücklich. W e n n der D alailam a in der Kutsche, der A fghanenem ir auf dem Pferd gesessen hätte, wäre der Ju b e l vielleicht noch lauter gewor*
den. W as er w erth war, kön n te W ilhelm jetzt wissen.
N ic h t d er Jagd nur, den E inzugsfreuden u n d dem Bän*
kelvergnügen w aren die d u nklen N ovem bertage g e w e ih t A ls am berliner K önigsplatz der G erichtstag dämm erte, ließ das K om m ando der H ochseeflotte an alle G efechtseinheiten eine V erfügung ergehen, die offenbar der kriegsherrlichen Initiative entstam m t. Lest sie; u n d lobet den H errn, d er A lles weislich verfüget.
Kiel, den zehnten November 1908.
Seine Majestät der Kaiser haben befohlen, daß das H urrarufen innerhalb des einzelnen Schiffes absolut gleichmäßig unter Hochnehmen der Mützen zu erfolgen habe. Beim Paradiren und H urrarufen ist*
d aher nach folgendem Befehl zu verfah ren : Es sind Posten mit Winkflaggen auf beiden Brückennocken, auf der Hütte, am Bug, am Heck und an sonst geeigneten Stellen des Schiffes aufzustellen.
Auf das Kommando: ,Drei H urras f ü r . . . ' werden die Flaggen hoch
genommen. Gleichzeitig verläßt die rechte Hand der paradirenden
W ie es kam 139
.Leute das G eländer und geht an den M ützenrand. Auf das erste Kommando ,H urra' gehen die Winkflaggen nieder, das H urra u ird wiederholt, während die Mützen durch Strecken des rechten Armes unter einem Winkel von etwa fünfundvierzig G rad kurz hoch
genommen und, sobald das H urra verklungen ist, unter Krüm mung des Awnes kurz vor die Mitte des O berkörpers genommen werden.
Gleichzeitig gehen die Winkflaggen wieder hoch. Beim zweiten und dritten H urra wird entsprechend verfahren; nur werden die Mützen nach dem dritten H urra nicht wieder vor die Mitte des O berkörpers genom men, sondern kurz aufgesetzt, worauf die rechte Hand wieder auf ihren Platz am Geländer geht.
Bei der bevorstehenden Anwesenheit Seiner Majestät de; Kaisers
»st bereits nach diesen Bestimmungen zu verfahren.
I. V.